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DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN VON THYSSENKRUPP 02.2016 D A S TE C HN O L OG I E - MA G AZIN V O N THY SS EN K 02 techforum www.thyssenkrupp.com/techforum Unsere Arbeitswelt wird sich radikal verändern. Experten von thyssenkrupp denken Jahrzehnte voraus und bereiten den Konzern auf mögliche Szenarien vor Der Sprung in die Zukunft SCHICHT FÜR SCHICHT ZUM ERFOLG Additive Manufacturing bringt Ingenieure zum Schwärmen SCHÜRFEN IN DEN DATENMINEN Big Data verändert Entwicklung, Produktion und Service BUNDESFORSCHUNGSMINISTERIN WANKA CO 2 macht erƩnderisch

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DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN VON THYSSENKRUPP 02.2016

DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN VON THYSSENK02techforum

www.thyssenkrupp.com/techforum

Unsere Arbeitswelt wird sich radikal verändern. Experten von thyssenkrupp denken Jahrzehnte voraus und bereiten den Konzern auf mögliche Szenarien vor

Der Sprung in die Zukunft

SCHICHT FÜR SCHICHT ZUM ERFOLG Additive Manufacturing bringt Ingenieure zum Schwärmen

SCHÜRFEN IN DEN DATENMINEN Big Data verändert Entwicklung, Produktion und Service

BUNDESFORSCHUNGSMINISTERIN WANKACO2 macht er nderisch

Seite 8

Über diese und andere Big-Data-Anwendungen berichten wir ab Seite 18

Über die neue Sandwich-Technik für Batterienberichten wir ab Seite 34Das neue ViSTIS-System stellen wir ab Seite 44 vor

Beim Foresight-Prozess haben bis jetzt mehr als 100 Mitarbeiter aus allen Bereichen von thyssenkrupp einen weiten Blick in die Zukunft geworfen

as das für die Schi fahrt bedeutet zeigen wir ab Seite 30

Welche Plänethyssenkrupp auf diesemGebiet hat, erfahren Sie ab Seite 24

Der Wirkungsgrad der Diesel-Brennsto zelle von thyssenkrupp liegt 25 % über dem eines Dieselmotors

FORSCHER RECHNEN DAMIT, DASS DER MARKT FÜR ADDITIVE MANUFACTURING IN DEN NÄCHSTEN VIER JAHREN AUF

Rund 800 Parameter gibt es in der modernen Stahlproduktion. Ein neuronales et hat usgangssto e und Verarbeitungsschritte neu kombiniert und so einen bisher un- bekannten Premiumstahl erzeugt

Das Forschungsprojekt EMBATT will den Anteil des aktiven Batteriematerials am Systemvolumen des Energiespeichers auf

verdoppeln

DOLLAR WÄCHST

20

80 %

Milliarden

Moderne Simulationstechnik kann die Ausbildungszeit von Matrosen um 50 % reduzieren

Liebe Leserinnen,liebe Leser,

Gut aufgestellte Geschäfte haben eine konsistente Innova-tionsstrategie. Diese nutzt im Allgemeinen Roadmaps, um auf Basis des heute gesicherten Wissens den Weg in die Zu-kunft zu beschreiben. Daher bezieht diese Strategie in den seltensten Fällen disruptive Ereignisse mit ein. Denn diese sind nicht vorhersagbar, treten aber in der realen Welt regel-

mäßig auf. Beispiele für solche nicht planbaren Ereignisse sind die durch die Katastrophe von Fukushima initiierte Entscheidung zur Energiewende oder die globale Finanzkrise.

m wirklich disruptive eränderungspotenziale zu identi zieren, muss man sich vom Heute lösen und in Szenarien denken, die mindestens 15 bis 20 Jahre in der Zukunft liegen. Nur dann kann man sich von den so genannten Sachzwängen der Gegenwart frei machen und wirklich neue Ideen nden. Diese ethode heißt Foresight .

Sie ist eine Spielart der Zukunftsforschung, also einer universitären Forschungsdisziplin. Foresight hat zuverlässige Werkzeuge entwickelt und wird von vielen Unternehmen angewandt. Automobilhersteller fragen uns beispielsweise immer wieder Wie wird die obilität der Zukunft ausse-hen Foresight hilft uns dabei, solche Fragen zu beantworten und gemein-sam mit unseren Kunden plausible Zukunftsszenarien zu durchdenken.

Foresight ist kein Orakel und keine Glaskugel, sondern ein systema-tischer Prozess, der rationale Analyse und Kreativität verbindet. Was er produziert, sind mögliche Zukunftsszenarien – nicht die eine, notwendi-gerweise eintretende Zukunft. Darum entwickeln wir immer mehrere alter-native Szenarien für strategisch wichtige Themen, um uns auf mögliche Entwicklungen vorzubereiten.

Bisher haben wir uns mit den Themen Future of Work in anu-facturing , ast ile obility , Water anagement und Upgrading

egacities beschäftigt. In der aktuellen Ausgabe des techforum stellen wir Ihnen drei mögliche Szenarien zur künftigen Arbeit in der Produktion vor. Wir zeigen Ihnen, wie Beschäftigungsverhältnisse aus sehen könnten, beschreiben mögliche Firmenstrukturen, denkba res Unterneh-menshandeln und zeigen, welches Selbst ver ständnis Arbeit-nehmer künftig entwickeln könnten. Natürlich beschreiben nicht alle Szenarien eine Zukunft, die wir uns wünschen würden. Aber nur wenn man auch diese in Betracht zieht, kann man die Zukunft positiv gestalten. In den nächsten Ausgaben lernen Sie dann die Szenarien zu den anderen Zukunftsthemen kennen. Wir laden Sie ein, mit uns den Sprung in die Zukunft zu wagen, und wünschen Ihnen eine spannende ektüre.

Dr. Reinhold Achatz, Technologiechef der thyssenkrupp AG

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thyssenkrupp techforum 02.2016 03

06 Short CutsCarbon2Chem | Auszeichnung von GM | Aufzüge für Panamakanal | Neuer Online-shop | Lösungen für die Metro in Riad

Titelthema08 Die Zukunft der Arbeit

Drei Szenarien aus dem Foresight-Prozess

10 Arbeiten in der Wolke Flexible Teams aus Freelancern wickeln Projekte ab – feste Mitarbeiter gibt es kaum noch

12 Die große LangeweileNur noch wenige Menschen arbeiten in den Fabriken. Kreativität und Karrieren spielen keine Rolle

14 Der Mensch im MittelpunktNachhaltigkeit und langfristige Bindungen stehen im Mittelpunkt. Maschinen unterstützen die Menschen

16 „In Zukunftswelten eintauchen“thyssenkrupp will die Szenario-technik in allen Unterneh-mensbereichen nutzen

24Große Freiheit: Der 3-D-Druck er et trukteure lli eue lichkeite

r ekte18 Das große Datenschürfen

Neue Stahl-Rezepturen und weniger Ausschuss: thyssenkrupp treibt das Thema Big Data voran

24 Schicht für Schicht zum Erfolg Additive Manufacturing erö net neue Möglichkeiten für das Produktdesign

30 Emissionsfrei auf dem Meer Neue Brennsto zellen machen Schi e leiser und sauberer

34 Power für die E-MobilitätIm Forschungsprojekt EMBATT entstehen Batterien für die Langstrecke

08Foresight-Prozess: Wie k te ich ie r eit -

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04 Th e ru tech rum 0 20

Inhalt

40Für die Menschen: Forschung muss immer auf gesellschaftliche Bedarfe reagieren

Panorama36 Hand in Hand mit der Maschine

thyssenkrupp macht aus Robotern Arbeitskollegen

40 „CO2 macht er nderisch Interview mit Bundesforschungs-ministerin Johanna Wanka

42 Wertvoller KlimakillerDurch das Forschungsprojekt Carbon2Chem wird CO2 um Rohsto

44 Täuschend echt Das Simulationssystem ViSTIS bildet Schi e und Anlagen nach

48 Kreativ an der AtlantikküsteIn Gijón arbeitet ein Forscherteam an den Transportlösungen der Zukunft

50 Arbyte im 21. Jahrhundert Bald erledigen Maschinen alles – auch das Verfassen von Kolumnen

44Virtuelle Welten: Mithilfe von ViSTIS können sich Menschen spielerisch mit ihrem künftigen Arbeitsplatz vertraut machen

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05thyssenkrupp techforum 02.2016

Der Panamakanal verbindet den At-lantischen mit dem Pa i schen ean

und ist eine der wichtigsten erbindungen r den chi s-

verkehr. Der Kanal existiert seit mehr als 100 Jahren und wurde nun grundlegend erweitert, um die Durchfahrt gr er ntainerschi e u ermöglichen. thyssenkrupp hat 14 innovative Aufzüge die bis zu 50 Meter unter den Meeresspiegel fahren, für die-ses Projekt geliefert – sieben für jeden neuen Schleusen-komplex, von denen sich je einer auf atlantischer und der andere auf pazi scher Seite be ndet. wei Aufzüge ermöglichen den ugang zu den neuen Kontrolltürmen, die den Verkehr im Kanal überwachen. Weitere Aufzüge sind entlang der Schleuse in-stalliert. Die Komplexität des Projekts verlangte dem Team von thyssenkrupp viel De-tailwissen ab. Beispielsweise mussten die Aufzugskompo-nenten explosionssicher sein, um maximale Verfügbarkeit zu garantieren – selbst unter härtesten Klimabedingun-gen. In Panama ist dies die erste Konstruktion mit diesen hohen Sicherheitsstandards.

Verdopplung der Kapazität: Die Erweiterung des Panamakanals kostete rund 4,9 Milliarden Dollar

Mehr als 60 Millionen Euro Förderung für Carbon2Chem

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das von thyssenkrupp initiierte Projekt „Carbon2Chem“ mit mehr als 0 Millionen uro. iel ist es, Prozessgase aus der Stahlproduktion in chemische rundsto e umzuwan-

deln – einschlie lich des darin enthaltenen C 2 (siehe dazu auch die Infogra k auf Seite 42 . üttengase aus der Stahlproduktion werden bisher verbrannt, um Strom und Wärme für den Fertigungs-prozess herzustellen. Carbon2Chem stellt die Gase hingegen an den Anfang einer chemischen Produktionskette. Das ist möglich, weil

üttengase unter anderem Wassersto , Sticksto und Kohlensto enthalten, aus denen sich zahlreiche chemische Produkte herstel-len lassen. An Carbon2Chem beteiligen sich neben thyssenkrupp 16 Partner aus der Grundlagen- und Anwendungsforschung so-wie aus verschiedenen Industriebranchen. Im erbst beginnt auf dem Gelände von thyssenkrupp Steel Europe in Duisburg der Bau eines Technikums. Dort sollen nach Ende der ersten Projektphase die Carbon2Chem-Prozesse im Pilotmaßstab erprobt werden.

„Mit Carbon2Chem zeigen wir, wie Klima-schutz und eine wettbe-werbsfähige Stahlproduk-tion dank Forschung und Innovation in Deutschland erfolgreich verbunden werden können. Damit sichern wir Arbeitsplätze in der Stahlbranche in unserem Land.“ Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung

Sichere Fahrt

unter den Meeresspiegel

06

thyssenkrupp techforum 01.2016

Nach der Einführung von „materials4me“ in Großbri-tannien und Spanien steht der Onlineshop für Klein-abnehmer und Endkunden jetzt auch in Deutschland zur erfügung Dort erden etall- und Kunststo -produkte in Standardabmessungen sowie in kunden-spezi schen Kurzl ngen online angeboten it dem Start des Shops setzt thyssenkrupp Materials Services seine Multichannnel-Digitalstrategie planm ßig wei-ter um und forciert die bdeckung des europ ischen Marktes. Das Sortiment von materials4me umfasst in Europa derzeit über 10.000 Produkte. Der Online-shop ist zu nden unter www.materials4me.de.

Auszeichnung für beste Qualität, neue Produkte,

ostene zienz und unden ersorgung

10.000 Produkte im Onlineshop

Auszeichnung als weltweit bester ZuliefererGeneral Motors hat thyssenkrupp als weltweit besten Zulieferer des Jahres 2015 mit dem „Supplier of the Year Award“ ausgezeichnet. Der Preis ging an die Gesch ftseinheit edern Stabilisatoren mit Sitz in Hagen. Bewertet wurde die Leistung in den Kategorien Produkt ualit t Marktein-führung neuer Produkte Kostene zienz und Kun-denversorgung. Seit rund 50 Jahren beliefert thyssenkrupp General Motors mit ahrwerks-komponenten zum Beispiel

edern und Stabilisatoren. Allein im letzten Gesch fts-jahr hat das Unternehmen rund drei Millionen edern und über eine Million Stabi-lisatoren für ahrzeuge von General Motors produziert.

thyssenkrupp liefert insgesamt 41 Aufzüge und ahrtrep-pen für die Linien 1 und 2 des Metro-Projekts in iad Saudi-Arabien. Die beiden Linien sind der erste Meilenstein eines U-Bahn-Systems mit insgesamt sechs Linien 5 Stationen und einer Gesamtl nge von 1 Kilometern. Der Ausbau des entlichen Nahverkehrs in iad ist eines der weltweit gr ßten Projekte seiner Art. Ziel ist es die Zahl von Privat-fahrzeugen zu verringern weil die Stadt und ihre Bev lke-rung in den n chsten zehn Jahren stark wachsen werden.

641 Aufzüge und Fahrtreppen für die Metro in Riad

Neues U-Bahn-System: Saudi-Arabien setzt auf Nachhaltigkeit

85Stationen wird die neue Metro in Riad im Endaus-bau haben. Die Linien 1 und 2 sind der erste Meilen-stein des Projektes

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07thyssenkrupp techforum 02.2016

Die Zukunft der Arbeit

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Titelthema

Wie wird die Arbeit in ferner Zukunft aussehen? Schwierige Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Aber man kann sagen, wie sie aussehen könnte. Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen drei Szenarien zur Zukunft der Arbeit vor, die thyssenkrupp im Rahmen des Foresight-Prozesses ent wickelt hat. Es sind Entwürfe unterschiedlicher Zukünfte. Sie beschreiben Welten, die genauso eintreten könnten. Das heißt nicht, dass sie genauso eintre en werden. Es ist auch nicht so, dass wir bestimmte Szenarien bevorzugen würden. Wichtig ist allein, dass wir verstehen, was werden könnte, um aktiv unsere Zukunft zu gestalten.

Text: Ulrich Eberl Illustration: Skizzomat / Marie Emmermann

thyssenkrupp techforum 02.2016

Seit einer gefühlten Ewigkeit kurven wir nun schon über die Serpentinen des Hoch-schwarzwalds. Wir sind auf der Suche nach dem legendären weißen Haus

von Simon Miles, dem Guru der jungen Entrepreneure. Miles ist eine Ikone des 21. Jahrhunderts: In den 2020er-Jahren war er einer der Ersten, der sich konsequent als freier Er nder, Entwickler und e-signer neuer Produkte selbst vermarktet und auf Projektbasis mit den unterschied-lichsten Firmen gearbeitet hat – heute, 15 Jahre später, ist das nichts Besonderes mehr. och Miles ist immer noch einer der Besten. Wir wollen heraus nden, warum.

Mehrfach hat das Navi unser autono-mes E-Taxi in die Irre geführt – vermutlich hatte Miles Spaß daran, eine „fake loca-tion in die o ziellen atenbanken einzu-schleusen. Am Eingang seines gar nicht so versteckt gelegenen Hauses begrüßt uns ein Geist. Genauer gesagt: ein in der Luft schwebender, halb durchsichtiger, spre-chender Kopf mit irritierendem Smiley-Lächeln. Allein diese emonstration von Miles´ Humor war die ganze Reise wert, doch mehr noch ist es sein Arbeitszim-mer. Vor uns liegt ein fast blendend wei-ßer Raum mit einer geschwungenen Fens-terfront, die auf transparent geschaltet ist und einen fantastischen Panoramablick auf die Hügel des Schwarzwaldes und den in der Tiefe liegenden See bietet.

ie Wände bestehen aus gebogenen omputer- isplays, die aber im Moment

nur weiße ber ächen zeigen. Im ent-rum des Raumes steht ein großer acht-

eckiger, weißer Touchtable, an dem Miles kürzlich gearbeitet hat und der Konst-ruktionsdetails von Robotern zeigt. In der Mitte des Multifunktionstisches senkt sich gerade langsam ein transparenter Würfel mit einer Kantenlänge von etwa 120 en-timetern ab – eines dieser Holo- isplays, in denen man lasergesteuert - - bjekte frei im Raum schweben lassen kann.

Simon Miles umrundet den Tisch, begrüßt uns und bittet, auf einem eben-falls weißen Sofa Platz zu nehmen. as Interview kann beginnen.

techforum: Herr Miles, machen Sie tatsächlich alles alleine?Miles: Wenn mir ein Auftraggeber ein neues Projekt anvertraut, stelle ich ge-meinsam mit ihm ein dazu passendes Team zusammen: esigner, Mensch-Ma-schine-Spezialisten, Produktionsplaner, Logistiker – je nach Bedarf. ann sitzen wir hier zusammen wie in einem Konfe-renzraum. Jeder sieht und hört jeden. In Wirklichkeit sind die Kollegen natürlich über die ganze Welt verstreut. Vor uns im Holo- isplay sehen wir das virtuelle

Sprechender Kopf und Holo-

ispla : Werkzeuge e re e r er

Simon Miles

So könnten wir in ukunft arbeiten: nternehmen kümmern sich im Wesentlichen nur noch um die Verwaltung, während Teams aus spezialisierten rei eru ern die Projektarbeiten erledigen

Arbeit in der Wolke: Die Cloud-based Society

SZENARIO EINS

„Am digitalen Zwilling können wir alles simulieren: Funktionsweise, Herstellung und Reparatur.“ Simon Miles, Freelancer-Ikone

Produkt oder auch seine Fertigungsumge-bung. Hier können wir am digitalen Zwil-ling alles simulieren: die Funktionsweise, die Herstellung oder wie man das Produkt am besten repariert oder zerlegt.techforum: Und an was arbeiten Sie zurzeit?Miles: Es geht um individuelle Kommu-nikationsroboter für zu Hause. Um Helfer für die vielen alten, einsamen Menschen. Um unterhaltsame kleine Gefährten, die an Termine oder Medikamente erinnern, die 3D-Internetverbindungen mit den Kin-

dern und Enkeln einrichten, die Nachrich-ten vorlesen oder mit den Senioren auch mal Spiele spielen. techforum: Verraten Sie uns doch Ihr Geheimnis! Warum sind Sie in den ganzen Wettbewerben immer schneller als die Konkurrenz?Miles: Jahrzehntelange Erfahrung, welt-weite Netzwerke mit den besten Part-nern und KI-Systeme, die auf meine Bedürfnisse optimiert sind, die wirklich mitdenken und strategisch wertvolle Vor-schläge machen. Manchmal merke ich gar

nicht mehr, ob ich übers Netz mit einem menschlichen Kollegen oder einer Maschi-ne mit Künstlicher Intelligenz kommuni-ziere. Und ich bin immer noch so motiviert wie am ersten Tag!

Simon Miles schaut auf die Uhr und wippt mit den Füßen. Wir verstehen: Die kurze Audienz ist beendet. Der Meister muss weiterarbeiten.

Mehr Freelancer als ArbeiterAuf der Rückfahrt sprechen wir darüber, wie sich die Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten verändert und Figuren wie diesen freien Er nder hervorgebracht hat. Es begann wohl Ende des 20. Jahr-hunderts – damals ging die Zahl der Ar-beiter in der Produktion, bei der Rohsto -gewinnung und in der Landwirtschaft dramatisch zurück, während der Anteil der einfachen Dienstleister und der Wis-sensarbeiter deutlich wuchs. Heute, in den 2030er-Jahren, stehen einem fest an-gestellten Firmenmitarbeiter nicht selten fünf bis zehn Freelancer oder Mitarbeiter von spezialisierten Dienstleistungsunter-nehmen gegenüber.

Auch die Unternehmen haben sich radikal gewandelt. Längst sind sie virtuell organisiert und dadurch hoch e ibel. Sie kümmern sich im Wesentlichen nur noch um die „Verwaltung“ und darum, den vielen Freelancern eine Plattform zur Verfügung zu stellen. Alles andere erledigen Men-schen wie Simon Miles – freie Dienstleister, die nur nach ihren Ergebnissen bezahlt werden. Umso mehr sind darum Kreativi-tät und eine geschickte Selbstvermarktung gefragt, was keiner so gut beherrscht wie unser berühmter Interviewpartner. Die Menschen scheinen das nicht nur zu ak-zeptieren, sondern sogar zu schätzen: Sie haben zwar eine hohe Arbeitsbelastung, können aber selbstbestimmt arbeiten und sind sozial hoch angesehen.

So individuell wie die Er nder sind heute auch ihre Schöpfungen. Die Kun-den wollen individuelle Produkte, die sich dank einer vollautonomen und intelligen-ten Produktionstechnik auch wirtschaft-lich herstellen lassen. Die Cloud und weltweite IT-Standards sorgen dafür, dass die ständig zunehmende Komple ität be-herrschbar bleibt – auch hier hat sich die Plattform-Idee durchgesetzt. Erst dadurch können Genies wie Simon Miles zu ihren kreativen Höhen ügen starten und die Konsumenten immer wieder in Erstaunen versetzen.

11thyssenkrupp techforum 02.2016

Spezia-listen überwachen die Produktion, unterstützt von Sensoren und Kameras

zur Überwachung und für den Notfall.

Mensch und Maschine:Dreariness@work?

SZENARIO ZWEI

In den Hallen für die Pilotfertigung de le tro a rio tre en ir e-nige Menschen. Hier laufe prak-tisch alles automatisiert ab, sagt der Mitarbeiter, der uns durch die Produktionsanlage führt. „Die Kol-

legen über achen und kontrollieren die Maschinen – meist aus der Ferne über Log-ins, nicht hier in der Fertigung.“ Ein typisches Bild in den Werken der Kon-zerne der 2030er-Jahre: Dank einer fast durchgängig automatisierten Produktion sind die Mitarbeiter eitgehend aus den Fabrikhallen ersch unden und k nnen sich anderen ufgaben idmen. Es sind vor allem hochautomatisierte Maschinen, die hier ständig neue Produkte herstellen, um die Konsumgesellschaft mit günstigen Massen aren zu versorgen.

„ ch bin ein Fire ghter“, so unser Führer. „Wir springen ein, enn s irgend-

o hakt. Dann müssen ir schnell sein, sonst steht die Fertigung. Aber die Ma-schinen teilen uns meist schon vorher mit, o das Problem liegt. Die haben gute Selbstdiagnose-Fähigkeiten. Was zu tun ist, haben ir im raining durchgespielt. Digital natürlich, mit Avataren, Virtual

eality und unserer What-if -Soft are im Cyberroom.“

Er führt uns zu einem Nebenraum, mit Virtual-Reality-Displays an allen Seiten – o enbar der Cyberroom, in dem die Fer-tigungsprozesse simuliert erden und

o die reale Fertigung danach über acht ird. Ein paar Mitarbeiter beobachten kon-

zentriert, as auf den Displays passiert. Sie sind dafür verant ortlich, dass alle Prozes-se mit ma imaler E zienz ablaufen und die Versorgung der Märkte gesichert ist. Da das System optimal läuft, sind Eigen-verant ortung und Kreativität eher nicht gefragt. Spannende Erfahrungen machen die Menschen außerhalb der Arbeitszeit.

Kein Wunder, dass einer et as mürrisch ein irft: „ hr Feuer ehrleu-te lang eilt euch enigstens nicht –

ir anderen hingegen sitzen hier nur herum und haben fast nichts zu tun, trotz Sechsschichtbetrieb rund um die Uhr.“ Was er denn für einen Job habe? „Requirements Engineering Manager. Ich muss die Anforderungen an ein Sys-tem oder einen Prozess beschreiben, Ausschreibungen organisieren, die bes-ten Partner nden. Aber das ist so ieso alles recht standardisiert, und es gibt da-für eine Menge ools und Bots, die einen Großteil der Arbeit erledigen. Ist schon sch ierig, eine ganze Schicht lang volle Aufmerksamkeit zu bringen, aber mo-derne Methoden ie Gami cation helfen uns dabei.“

„Wir erden nach Leistung bezahlt, nach E zienz und E ektivität, mit all den ständigen KPI-Be ertungen, diesen Key Performance Indicators. „Du solltest froh sein, dass du überhaupt einen Job hast“, knurrt ein anderer. „Schau doch mal, ie viele Arbeitssuchende es elt eit gibt. Wann urde denn hier der letzte Job für Menschen ohne besondere uali kation ausgeschrieben? Bestünde nicht ein Rest Skepsis gegenüber den intelligenten Ma-schinen, ären ir auch nicht mehr hier. Außerdem musst Du ja nicht arbeiten,

enn Du nicht illst.“

„Stimmt schon“, sagt der Anforderungs-manager. „ rotzdem sind die meisten von uns nur Rädchen in einem großen Getrie-be. Der Markt ist immer am längeren He-

bel. Er bestimmt, as ir zu tun haben, ann und o. Aber immerhin verdienen ir ganz gutes Geld und k nnen uns

mehr leisten, als es das Grundeinkom-men erm glicht.“ Seit et a zehn Jahren bekommt jeder Bürger vom Staat eine Mi-nimalversorgung, die für den Lebensun-terhalt und so manches Hobby und kre-ative oder soziale Engagement ausreicht – bezahlt ird das durch Steuern auf die Wertsch pfung der Firmen, die vor allem auf Maschinen statt Menschen setzen.

Wie es denn mit Karriere und Wei-terbildung aussehe, frage ich und blicke in die erstaunten Gesichter der Jüngeren. „Ach, Karrieren, die gibt es hier kaum. Das Konzept ist überholt. Hier unten gibt es nur enige Spezialisten ie ihn.“ Er deutet auf den Feuer ehrmann. „Wir anderen brauchen keine großartige Aus-bildung – nur ein bisschen raining on the Job. Danach holen ir uns alles aus der Cloud, aus WiKis, oder ir fragen die Bots.“

b das auch ein Grund ist, arum es z ar viele neue Produkte mit veränderten De-signs und Features gibt, aber kaum noch radikale Innovationen, die vor einigen Jahrzehnten noch als Heilsbringer galten? Fehlt es den Beschäftigten an Antriebs-kraft, an Kreativität und Freiheiten?

Der Mitarbeiter, der sich vorhin so aufgeregt hat, lacht: „Freiheiten? Ganz im Gegenteil. So ie ir die Maschinen über-

achen, erden ir auch über acht. Mit Kameras und K rper-Scans bei Schicht-beginn und -ende, mit elektronischen Schlüsseln und Authenti zierungen,

enn ir uns irgend o einloggen “Das ist ohl not endig, enn reine

E zienz das oberste iel ist. ptimal ein-gestellte Prozesse müssen m glichst feh-lerfrei laufen. So ird der Mensch zum eil der Fabrik.

Optimal eingestellte Prozesse müssen möglichst fehlerfrei laufen.

13thyssenkrupp techforum 02.2016

Hier bei uns in der Region muss man nicht lange su-chen um irmen u n-den, bei denen Erfolg und Kontinuität Hand in Hand gehen. Smartion und deren

Gründerfamilie sind ein gutes Beispiel dafür. Seit drei Generationen ist sich die Familie Soestmann treu geblieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Moritz Soestmann mit der Herstellung besonders langlebiger Haushaltsgeräte begonnen, sein Sohn Kurt stieg dann ins Geschäft mit Elektroartikeln ein, und dessen Kinder wiederum verschoben Anfang der 2020er-Jahre den Fokus hin zu dezentralen Ener-giesystemen.

Solar- und Biomasseanlagen, Wind-räder, Wärmepumpen, Batterien, Gas- und Wärmespeicher bis zu den Software-Lösungen mittels Künstlicher Intelligenz. In den 2030er-Jahren ergänzten dann noch Redox-Flow- und Power-to-Gas-Energiespeicher das Portfolio der Firma: Damit war das Familienunternehmen der Soestmanns, das sich 2030 in Smarti-on umbenannte, endgültig zu einem der Marktführer auf dem Feld der dezentralen Energiesysteme geworden. Kein Einzel-fall: Viele Unternehmen setzen heute auf Nachhaltigkeit und bauen systematisch ihre Marken rund um dieses Thema auf. Sie haben auch gar keine andere Wahl – denn ihre Kunden wollen keine ständigen Modeartikel, sondern solide Produkte, die lange halten und denen sie gern treu blei-ben. Möglichst von einem Hersteller aus der Region.

Loyalität steht bei den Mitarbeitern ebenfalls ganz oben. Auch das können wir bei Smartion beobachten. Hier arbeiten et-liche Menschen, die bereits seit 40 oder 45 Jahren ihrer Firma die Treue halten. Viel hat sich in dieser Zeit nicht geändert – der Standort ist noch derselbe, an dem das Unternehmen gegründet wurde, und auch viele der Produktionsanlagen be nden sich hier. Aber immerhin hat sich Smar-tion einen Neubau für die Verwaltung geleistet: ein fünfsterniges, niedriges Ge-bäude mit Ausläufern, die wie eine Blüte nach oben ragen. „Gefällt es Ihnen?“, fragt Geschäftsführerin Frida Soestmann. „Di-anthus superbus, die Prachtnelke. Bauen konnten wir ein solches Gebäude nur mit viel Holz und kohlefaserverstärktem Be-ton. Das ist schon etwas ganz Besonderes – wunderschön und zugleich nachhaltig, mit hervorragender CO2-Bilanz und langer Lebensdauer.“

Smartion bietet seinen Mitarbeitern viel: Die Firma achtet auf Arbeitssicher-heit und Gesundheit, die Soestmanns unterstützen die Arbeiterfamilien und die umliegenden Gemeinden, und sie ent-lassen niemanden, auch wenn es gerade

einmal wenig Aufträge geben sollte. Ein in der Region weit beachtetes Vorbild ist auch die „Smartion School of Life“, eine Art Gesamtschule, in der die Kinder der Mitarbeiter von der ersten Minute an mit den Konzepten der Nachhaltigkeit ebenso vertraut gemacht werden wie mit dem Un-ternehmen selbst. Dazu gehört auch das frühe Einüben von Eigenverantwortung: Bei Smartion sind die Hierarchien ach, und jeder Mitarbeiter hat gleichzeitig auch Führungsaufgaben.

Trainings für Teamspirit Darüber hinaus gibt es spezielle Trainings für Weiterbildung, uali zierung und Teamspirit – zu denen oft auch Partner-

rmen, Zulieferer und Kunden eingeladen werden. „Idealerweise sind es möglichst regionale Partner“, erklärt Frida Soest-mann. „Das stärkt das Vertrauen, das Ver-ständnis und die Zusammenarbeit. Mit denen, denen wir vertrauen, teilen wir auch unser Wissen und Know-how.“

In der Fertigungshalle sind immer noch viele Menschen tätig – an statio-nären Monitoren und Mobilgeräten zur Überwachung und Qualitätssicherung der Maschinen, beim Doppel-Check von Eingaben und Steuerbefehlen oder in Kontrollzentren zum Management der Abläufe. In etlichen Fertigungsinseln ar-beiten Menschen und Maschinen sozusa-gen Hand in Hand. Roboterarme reichen den Menschen elektronische Bauteile und helfen beim Zusammenstecken und Mon-tieren, während Sensoren dafür sorgen, dass sie niemanden verletzen und bei ei-

„Im Allgemeinen hat bei uns der Mensch den Vorrang vor den Robotern.“ Frida Soestmann, Geschäftsführerin

In diesem Szenario setzen Unternehmen stark auf Nachhaltigkeit. Das zeigt sich auch beim großen Engagement für die Mitarbeiter, die in der Produktion Hand in Hand mit Robotern arbeiten

Regional verwurzelt:Human-controlled Industry 3.5

SZENARIO DREI

14

nem eventuellen Zusammenstoß sofort in einen weichen Sicherheitsmodus überge-hen, bei dem keine Kräfte mehr auftreten. Die Roboter sind für die physisch schwieri-geren und ermüdenden Aufgaben zustän-dig, während die enschen die ligrane-ren und die kognitiv anspruchsvolleren Feinarbeiten übernehmen.

Gute Ausbildung ist wichtig „Roboter und Computer mit Künstlicher Intelligenz können viel unterstützen – und in Anlagen, wo wir zum Beispiel gefähr-liche chemische Sto e handhaben müs-sen, setzen wir schon auf automatisierte

Prozesse und teilautonome Maschinen, aber im Allgemeinen hat bei uns der Mensch den Vorrang“, sagt Frida Soest-mann beim Gang durch das Werk. „Face-to-Face-Kommunikation schlägt jedes Computer-Dialogsystem. Wir Menschen überwachen alles und tre en die nalen Entscheidungen.“

Dafür braucht Smartion ständig qua-li ziertes Personal. „Eine gute Ausbildung ist sehr wichtig“, betont die Firmenche n.

„Um die besten Mitarbeiter zu bekommen, hilft uns vor allem unser gutes Image als Arbeitgeber – hier in der Region und dar-über hinaus. Doch noch wichtiger als Spe-zialwissen ist mir persönlich, dass jemand teamfähig und loyal ist.“

Dafür ist sie selbst das beste Beispiel. Wir kommen bei unserem Rundgang kaum voran, weil sie an fast jedem Ar-beitsplatz stehen bleibt und sich bei den Mitarbeitern danach erkundigt, wie es ih-nen und ihren Familien geht. Das erklärt vielleicht, warum Smartion auch in der dritten Generation zu den erfolgreichsten Unternehmen in der Region gehört.

Verwaltungs-bau in Blüten-

r Nachhaltig, CO2-arm und von langer Lebensdauer

15thyssenkrupp techforum 02.2016

Die Komfortzone verlassen und über den Tellerrand hinausblicken: Dazu lädt der Foresight-Prozess ein. Innovationsmanager Andreas Meschede erklärt im Interview, wie thyssenkrupp die Ergebnisse in allen Unternehmensbereichen nutztText: Christian Buck

techforum: Die drei Szenarien lesen sich fast wie Science-Fiction-Geschichten. Warum nutzen Sie gerade ein solches Format?Andreas Meschede: Diese Geschichten sind mehr als nur Science-Fiction. Alle ge-schilderten Inhalte sind technisch möglich und in sich widerspruchsfrei. Darauf ha-ben wir bei der strukturierten Erstellung der zugrunde liegenden Szenarien geach-tet. Außerdem ist eine solche Story nur eine bestimmte Darstellungsform unserer Ergebnisse – allerdings eine Darstellungs-form, die besonders dazu einlädt, in diese Welten der Zukunft einzutauchen.techforum: Zu welchen Ergebnissen hat dieses Eintauchen bis jetzt geführt?Meschede: Wir nutzen die Szenarien bei-spielsweise für Ideen-Workshops. Dort tre en sich ertreter unserer Geschäfts-

„In die Weltender Zukunft eintauchen“

thyssenkrupp techforum 02.201616

Mehr als 100 Mitarbeiter waren am Foresight-Prozess beteiligt

Methodisches o ehe Die

Szenariotechnik verbindet Kreativität und Mathematik

felder, die die unterschiedlichsten Funkti-onen innehaben – etwa aus der Technik, dem Marketing oder der Personalabtei-lung. Im Mittelpunkt steht die Frage: Was muss thyssenkrupp heute anders ma-chen, um in der Szenario-Welt der Zu-kunft erfolgreich sein zu können? Bis jetzt sind dadurch etwa 80 Ideen entstanden, von denen wir uns zwölf bereits genauer angesehen haben. Das ist aber nur ein ers-ter Schritt: Wir wollen die Szenarien auf breiter Front und in allen Unternehmens-bereichen nutzen, zum Beispiel auch für Diskussionen mit Kunden und Lieferan-ten. Entscheidend ist, dass wir durch diese Methode immer wieder unsere Komfort-zone verlassen und kreativ in die Zukunft denken.techforum: Das erste große Thema des Foresight-Prozesses war „Future of Wor-king in Manufacturing“, also die Zukunft der Fertigung. Welche anderen Themen haben Sie sich noch angesehen?Meschede: Wir haben uns noch mit „Last Mile Mobility“, „Water Management“ und „Upgrading Megacities“ beschäftigt. Das ist aber nur der Anfang: Der Foresight-Prozess geht kontinuierlich weiter, und wir werden in Zukunft sicher weitere The-men hinzufügen.techforum: Wie ist die erste Liste zustande gekommen?Meschede: Ganz zu Beginn des Foresight-Prozesses haben wir Felder identi ziert, auf denen wir in Zukunft mit spürbaren Veränderungen rechnen – etwa Energie und ohsto e. In einem Workshop konn-ten unsere Strategiechefs und die Ent-wicklungschefs der Geschäftsfelder dann Geld aus einem virtuellen Entwicklungs-budget auf einzelne Themen verteilen. Die Teilnehmer hatten zudem eine gewis-se Summe zu Verfügung, die sie wie ein Risikokapitalgeber in ein ganz neues Ge-biet investieren konnten. Am Ende haben wir die vier Themen ausgewählt, die das meiste Geld bekommen haben, wobei „Wa-

ter Management“ aus der Verteilung des Risikokapitals als Sieger hervorgegangen ist. Das ist ein Gebiet, auf dem thyssen-krupp derzeit nicht aktiv ist – und damit ein gutes Beispiel dafür, dass wir mit dem Foresight-Prozess ganz bewusst über un-seren Tellerrand hinausblicken wollen.techforum: Wie sind die Szenarien zur Zukunft der Fertigung entstanden?Meschede: Hinter der Szenariotechnik steht eine klare Methodik. Zunächst be-stimmen wir in Workshops die zentralen Ein ussfaktoren für ein bestimmtes The-ma – in diesem Fall „Zukunft der Ferti-gung“. Das können weniger als zehn oder 15 einzelne Faktoren sein, darunter bei-spielsweise Technologie, Ausbildung oder

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Datenmanagement. Im nächsten Schritt untersuchen wir drei bis fünf verschie-dene Richtungen, in die sich jeder dieser Ein ussfaktoren – unabhängig von allen anderen – entwickeln könnte. So erhalten wir je nach Zahl der Faktoren mehrere Dutzend Projektionen.techforum: Was tun Sie mit diesen Projektionen? Meschede:Wir führen sie wieder zusam-men in Form einer Matrix, in der jede Pro-jektion senkrecht und waagrecht einmal vorkommt. Dann bewerten wir paarweise, wie gut diese Projektionen zueinander passen: Wenn zwei von ihnen nicht in ei-ner gemeinsamen Welt koexistieren kön-nen, steht an dieser Stelle der Matrix zum Beispiel eine Eins. Andernfalls tragen wir eine Zahl zwischen Zwei und Fünf ein. Je höher der Wert, desto besser passen die Projektionen zusammen. Am Ende nutzen wir die Mathematik, um aus den vielen Möglichkeiten unterschiedliche konsis-tente Projektionsbündel zu extrahieren: Sie sollten sich nicht überschneiden und möglichst breit gestreut sein, was wir auch mathematisch berechnen können. Genau dieser methodische Ansatz unter-scheidet unsere Szenarien von beliebigen Science-Fiction-Geschichten. techforum: Hätten Sie nicht einfach bestehende Studien nutzen können? Meschede: Natürlich können wir auch einfach ins Internet gehen und nach Stu-dien suchen. Dabei gäbe es sicher vie-le Überschneidungen mit Themen von thyssenkrupp. Wir haben das aber ganz bewusst nicht getan – stattdessen haben sich mehr als 100 Kollegen am Foresight-Prozess beteiligt und Informationen bei-gesteuert. Das erhöht die Akzeptanz und regt das Zukunftsdenken im Konzern an. Es geht eben nicht um irgendwelche Sze-narien, sondern darum, wie wir bei thys-senkrupp in die Zukunft sehen. techforum: Wir danken Ihnen sehr für das Gespräch!

„Wir wollen die Szenarien auf breiter Front und in allen Unternehmens-bereichen nutzen, auch für Diskussionen mit Kunden und Lieferanten.“

17thyssenkrupp techforum 02.2016

Gestiegene Rechen-leistung und billige Speicher sind die Grundlagen für Big-Data-Anwendungen

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Projekte

Schürfen in den DatenminenNoch nutzen Unternehmen nur einen Bruchteil ihrer anfallenden Daten. Aber das ändert sich gerade: Mit Big Data können sie neue Produkte entwickeln, Prozesse optimieren und Services verbessern. thyssenkrupp treibt den Einsatz der neuen Technologie voranText: Constantin Gillies

thyssenkrupp techforum 02.2016

Auftrag, eine Erfolg versprechende Kom-ination von Ausgangssto en und erar-

beitungsschritten zu suchen. Dabei nutzte man ein „Neuronales Netz“, das die Funk-tion menschlicher Nervenzellen imitiert. Es bewies tatsächlich Kreativität: „Die vorgeschlagene chemische Zusammen-setzung hatten unsere Entwickler nicht auf dem Schirm“, freut sich Experte Paul. Der neue Premiumstahl bringt die glei-che Festigkeit wie vergleichbare Materi-alien mit, lässt sich aber besser dehnen. Schon 2017 soll er auf den Markt kom-men und zum Beispiel im Automobil- bau eingesetzt werden.

Die von den Stahlforschern ange-wendete Methode ist ein Beispiel für den Einsatz von Big Data. Das einfache Prin-zip: Man lässt einen Computer in den wachsenden Datenbergen nach Mus-tern oder Korrelationen suchen, die ein

Wie stellt man den per-fekten Stahl her? Darü-ber grübeln Menschen seit Jahrhunderten – schließlich sind die Möglichkeiten fast un-

endlich. Reichert man den Rohstahl mit Mangan an? Oder doch besser mit Molyb-dän? Und wie stark soll er danach erhitzt und gewalzt werden? 800 Parameter gibt es in der modernen Stahlproduktion, und eder beein usst das Endprodukt. „Die Zu-

sammenhänge sind zu komplex, als dass der Mensch sie noch verstehen könnte“, erklärt Georg Paul, Senior Expert bei thys-senkrupp Steel Europe. ielleicht durch-schaut sie ja ein Rechner?

Mit diesem Gedanken startete der Konzern unlängst einen ersuch: Ein Computer wurde mit realen Daten aus der Stahlproduktion gefüttert und bekam den

Hohe Kunst:

160 DVDs

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0 20

Mensch niemals entdecken würde. Das kann nicht nur neue Ideen für die Ferti-gung von Stahl liefern, sondern alle Un-ternehmens ereiche e ienter machen. Mithilfe von Statistikprogrammen lassen sich Lagerstandorte so verteilen, dass der

eg um unden immer der kür estm g-liche ist. Oder der Rechner ermittelt unter Milliarden Optionen ene om ination von reisen, die den gr ten ewinn ver-spricht. Mittlerweile nut en ro ent der Unternehmen solche erk euge und lassen sich bei ihren Entscheidungen von Daten leiten – das ergab eine Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom.

Daten besser nutzenthyssenkrupp treibt das Thema Big Data voran, nicht nur beim Stahl. „Wir haben lange Zeit nur einen Bruchteil unserer Da-ten ausgenut t – das muss sich ndern ,

„Die Zusammen-hänge sind zu komplex, als dass der Mensch sie noch verstehen könnte.“ Georg Paul, Senior Expert bei thyssenkrupp Steel Europe

Dem Ausschuss auf der SpurLenkgetriebe für Autos herzu-stellen ist eine komplizierte Sache: Sie bestehen aus 200 Einzelteilen, die in einem langwierigen Produk-tionsprozess zusammengesetzt werden. Ab und zu kommen dabei Getriebe heraus, die nicht der Norm entsprechen. Damit sie nicht ausgeliefert werden, testet der Her-steller thyssenkrupp Presta jedes einzelne Endprodukt aufwendig. Doch das passiert erst am Ende des Herstellungsprozesses, wenn schon viel Geld für Teile und Fertigung ausgegeben wurde.

„Derzeit schauen wir nur in den Rückspiegel“, sagt Andreas Münster, Teamleiter Advanced Manufacturing Engineering. Big Data soll das ändern: In Zukunft will man durch Datenanalyse problema-tische Teile früh in der Produktion entdecken und aussortieren. Damit das gelingt, hat thyssenkrupp zunächst große Datenmengen aus der bisherigen Produktion gesam-melt: Pro Lenkgetriebe fallen rund sieben Megabyte Informationen an, das summiert sich bei 10.000 produzierten Stück pro Tag zu einem Datenberg, der rund 160 DVDs entspricht.

In einem zweiten Schritt soll ein Statistikprogramm nach Faktoren fahnden, die zu unbrauchbaren Endprodukten führen – zum Beispiel eine bestimmte Kombination von Einzelteilen. Solche Risikokandida-ten würden dann gar nicht erst in die Produktion gehen. „Die größte Herausforderung ist noch die Da-tenaufbereitung“, erklärt Münster. Sie in ein einheitliches Format zu bringen bedeutet noch viel Handar-beit. Bis zum nächsten Jahr soll die Früherkennung von Ausschuss aber funktionieren.

aschinelle reati it t Forscher entwickeln mit Big Data neue Stahlsorten

thyssenkrupp techforum 02.2016

gehört diese vorausschauende Wartung bald zum Alltag (siehe Marginalspalte auf Seite 23).

Selbst völlig neue Geschäftsfelder lassen sich mit Big Data entdecken. Dafür nutzt thyssenkrupp den wohl größten Da-tenpool der Welt: das Internet. Die Milliar-den von Wortmeldungen in den sozialen Netzwerken und anderswo gleichen näm-lich einer gigantischen digitalen Glasku-gel. Wer mit den richtigen Werkzeugen hineinschaut, kann viel daraus lernen, zum Beispiel wie das Unternehmen in der

entlichkeit wahrgenommen wird. Ge-meinsam mit IBM hat thyssenkrupp das getestet und dabei über eine Million On-line-Dokumente gesichtet, in denen vom Konzern oder seinen Produkten die Rede ist. Die Auswertung belegte beispielswei-se, wie positiv die Präsentation des ersten

Statistikprogramme suchen nach Lenkgetrieben, die nicht der Norm entsprechen

sagt Dr. Friedrich Löser. Er gehört zu ei-nem Pionierteam, das die Chancen von Big Data ausloten soll und schon in allen Geschäftsbereichen Pilotprojekte angesto-ßen hat. Dabei verfolgt thyssenkrupp zwei Ziele: Das Datenschürfen soll zusätzliche Geschäfte ermöglichen und zugleich die Produktionsprozesse so verbessern, dass Arbeitsaufwand und Energieeinsatz nach-haltig reduziert werden. Die Kunden von thyssenkrupp könnten von Big Data zum Beispiel durch geringere Wartungskosten pro tieren. Eine Stärke der Methode liegt nämlich darin, dass sie einen Blick in die Zukunft ermöglicht: Algorithmen können in Maschinendaten plötzliche Unregelmä-ßigkeiten entdecken und dann selbsttätig einen Servicetechniker alarmieren. So lassen sich Probleme beheben, bevor sie akut werden. In der Aufzugtechnik etwa

„Wir wollen durch systematische Internet-Analyse Stimmungen erfassen und Marktchancen identi ieren Dr. Friedrich Löser, Leiter des TechCenters Control Technology von thyssenkrupp

kabellosen Aufzugsystems MULTI in der entli keit aufgenommen urde e-

lant ist auf diese eise au Trends im etzraus en aufzus ren lange be or

sie bei den erbrau ern angekommen sind ir ollen dur systematis e In-ternet-Analyse Stimmungen erfassen und Markt an en identi zieren erkl rt ig-

ata- angelist L ser enn er dur eine atenanalyse ei as der unde

ill be or er bestellt at ist nat rli im orteil So k nnen zum eis iel Lagerbe-

st nde eines rodukts r enti an die er artete a frage ange asst erden

Experten dringend gesuchtllig m elos lassen si die S tze in

den atenbergen allerdings ni t eben ie gro e erausforderung ist es in kur-

zen ugri szeiten an aten zu kommen

MAX erkennt Probleme, bevor sie zu einem Ausfall des Lifts führen

erkl rt Andreas M nster der si in der Automobils arte on t yssenkru mit dem T ema ig ata bes ftigt sie e Marginals alte auf Seite

in eiterer ng ass sind a leute Sie erden dringend gebrau t damit die

utzung on ig ata ber au t Sinn ergibt s lie li liefert selbst die beste Analyse keine fertige L sung f r ein ro-blem sondern stens An alts unkte

s brau t emanden der die rgebnis-se fa kundig be ertet und erst ndli ma t betont erte L ser In seinem Team arbeiten unter anderem Mat ema-tiker ysiker und lektrote niker ig

ata legt ni t einfa goldene ier son-dern bedeutet arte Arbeit res miert L ser enno ist er on den an en

berzeugt Langfristig ird die utzung on ig ata allgegen rtig sein

Vorausschauender Fahrstuhl „Aufzug außer Betrieb“: Dieses Schild könnte bald Seltenheitswert haben. Denn dank eines neuen Frühwarnsystems kann ein Lift in Zukunft repariert werden, bevor er stillsteht.

Kernstück ist ein Gerät namens MAX, das von thyssenkrupp Eleva-tor stammt: Es ist etwa so groß wie ein Satellitenreceiver und meldet jede Aktion des Aufzugs an den Her-steller zurück: Wie schnell hat sich die ür geö net Wie rasch fuhr die

abine an Per Mobilfunk gehen die Daten an ein Rechenzentrum des Partnerunternehmens Microsoft, wo sie mit einem Spezialprogramm ausgewertet werden. Es ist darauf trainiert, Datenmuster zu erkennen, die mit technischen Problemen einhergehen. Brauchen die Aufzugtüren zum Beispiel länger zum Schließen, kann sich hier ein Defekt andeuten. In solchen Fällen informiert das System automatisch einen Servicemitarbeiter und schickt ihm per Handy-App eine Beschreibung des zu erwartenden Problems zu.

„In 95 Prozent der Fälle ist diese Diagnose richtig“, freut sich Dr. Rory S. Smith, Director of Strategic Development bei der amerikani-schen Tochter von thyssenkrupp Elevator. Für den Kunden ergeben sich durch diese vorausschauende Wartung zwei Vorteile: Zum einen werden kostspielige und lästige Ausfälle vermieden, zum anderen sinken die Wartungskosten, weil der Techniker wirklich nur dann kommt, wenn es auch etwas zu tun gibt. „Bis Ende des Jahres wollen wir 125.000 Aufzüge weltweit an das MAX-System angeschlossen haben“, sagt Smith. In Zukunft soll das Prognoseprogramm übrigens auch gleich die zur Reparatur nötigen Ersatzteile ordern. So hätte der Techniker schon beim ersten Besuch alles dabei, um das Prob-lem komplett zu beheben.

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Schicht für Schicht zum ErfolgEine neue Technik bringt Experten zum Schwärmen:

er ch t ngenieuren unge hnte Freiheiten beim Produktdesign – und ist ein Paradebeispiel

r ndustrie Text: Monika Weiner Photos: Claudia Kempf

Diese Gitterstruktur kann ein Vielfaches ihres eigenen Gewichts tragen

Der Leiter Innovationsstrate- gie und Projekte bei thyssen- krupp, Dr. Markus Oles, ist überzeugt: „Additive Manu-facturing ist eine Zukunfts-technologie, auf die wir set-

zen müssen. Wir haben die Erfahrung, die Forschungspartner, die Logistik und Zugang zu den relevanten Kunden.“ Um das Know-how des Konzerns zu bündeln und neue Märkte zu erschließen, wird jetzt nach dem Vorbild des TechCenters in Dresden, wo thyssenkrupp Spezialwissen zum Thema Karbon gebündelt hat, ein Start-up gegründet. Die Experten in die-sem neuen TechCenter sollen – losgelöst von alten traditionellen Denkmustern – Design und Produktion neu entwickeln. Das Ziel sind maßgeschneiderte Bauteile mit völlig neuen Geometrien und Funkti-onen. Sie sollen stabiler und gleichzeitig leichter sein und sich innerhalb weniger Stunden fertigen lassen. Eine ideale Tech-nik für Industrie 4.0.

Dass Oles beim Thema Additive Ma-nufacturing ins Schwärmen kommt, hat gute Gründe. Die neue Technik scha t nahezu unbegrenzte Möglichkeiten: Wur-den Ingenieure bisher bei der Gestaltung der Geometrie eines Bauteils durch Ferti-gungsverfahren eingeschränkt, können jetzt 3-D-Konstrukteure ohne Einschrän-kung ihre Ideen realisieren: Der gesamte Entwicklungsprozess vom ersten Entwurf bis zum fertigen Produkt ist digital – ein Paradebeispiel für eine Wertschöpfungs-kette la Industrie 4.0. Gleichzeitig erö -net Additive Manufacturing neue Chan-

cen für das Produktdesign: Massive Gri e oder schwere Werkzeuge werden ligran und leicht, weil bionische Strukturen an die Stelle von Gusseisen und Blechen tre-ten. Schweres Stützmaterial? Ballast von gestern.

Schneller, leichter, leistungsfähigerBei thyssenkrupp hat sich die neue Tech-nik bereits bewährt: Übergreifend über die Business Areas haben Ingenieure des Konzerns gemeinsam mit mehreren Fraunhofer-Instituten innovative Bautei-le entwickelt und gefertigt. „Wir be nden uns aktuell mit mehreren Ideen in der Pa-tentierungsphase und können alle mögli-chen Vorteile des Additive Manufacturing adressieren“, so Dr. Alireza Tavakoli, Leiter des Technologieevalutionsprojekts Additi-ve Manufacturing. Von der Gestaltungs-

Bauteile entste-hen aus einem Edelstahlpulver, das winzige Kügelchen mit einem Durchmes-ser zwischen 30 und 50 Mikro-metern enthält

freiheit über die Individualisierung und den Leichtbau bis zur Funktionsintegrati-on habe man bereits spannende Anwen-dungsfelder identi ziert und umgesetzt

So wurde beispielsweise eine kom-plexe Sonde zur Entnahme von Gasproben aus einem fen entwickelt und gefertigt Dank integrierter Kühlkanäle ist sie so hitzebeständig, dass sie im Brennrohr von

ementwerken eingesetzt werden kann „Diese Sonde kann nur mithilfe der Addi-tive-Manufacturing-Technologie gefertigt werden“, berichtet Benny Berndzen, De-sign Engineer bei Industrial Solutions Re-source Technologies ement „ ir konn-ten nicht nur neue Funktionalitäten wie die Kühlkanäle integrieren, sondern das Bauteil auch schneller als mit klassischen

erfahren produzieren “ Auch bei der Konstruktion von

Halterungen für Rohre in U-Booten hat thyssenkrupp die neue Methode erfolg-reich eingesetzt, berichtet Stefan Lengow-ski von der Business Area Marine Systems: „In unserem gemeinschaftlichen Projekt haben wir gezeigt, dass sich Bauteile, von denen nur geringe Stückzahlen benötigt werden, schnell und kostengünstig mit Ad-ditive Manufacturing herstellen lassen “ Bei der Entwicklung erlebten die Ingeni-eure sogar eine positive Überraschung: Die Halterungen sollten ursprünglich aus Metallpulver gefertigt werden Doch schon in der Design-Phase zeigte sich, dass auch Kunststo teile aus dem -D-Drucker die Anforderungen erfüllen – die Kosten für die fertigen Halterungen sanken dadurch deutlich

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Dr. Alireza Tavakoli, -

Um herauszu nden, wann genau sich Additive Manufacturing auszahlt, hat das Team eine eigene Software entwickelt: Der „Part-Identi er“ fragt unter anderem ab, wie gro ein erkstück und wie hoch die Stückzahl ist, welche technischen An-forderungen es erfüllen muss, welche Bau-teileigenschaften und Funktion es hat und aus welchem Material es gefertigt werden soll Mithilfe dieser Angaben ermittelt die Software, ob sich die Umstellung auf die neue Fertigung lohnt – ein ideales Tool, um Kunden schnell und kompetent zu be-raten

Vom Hype zur Anwendung„Noch stehen wir ganz am Anfang“, sagt Tavakoli „Die Industrie beginnt erst nach und nach, die neuen Möglichkeiten von Additive Manufacturing auszuloten “ Die Entwicklung folgte dem für Zukunfts-technologien typischen Gartner-Cycle: An die Phase der ersten Begeisterung schloss sich eine Phase der Ernüchterung an: Die Technik war einfach noch nicht reif für die industrielle Anwendung Erst als dieses Tal durchschritten und die Produk-tionsverfahren weiterentwickelt waren, stiegen die Erwartungen der Industrie er-neut – wenn auch langsam – wieder an

Der Motor dieser Entwicklung ist der technische Fortschritt bei den -D-Prin-tern: Diese werden immer schneller und produktiver Der Kunde kann – abhängig von seinen Anforderungen – zwischen verschiedenen Modellen und Verfahren wählen: Bei den Extrusionsverfahren wie beispielsweise dem „Fused Deposition

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Individuell und güns-ig

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Know-how aus allen Business-Bereichen

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Additive Manufacturing verringert die Zahl der Prozessschritte und den Aufwand bei der Monta-ge der Rohr-Halterung

„Immer mehr Unternehmen beginnen jetzt, die neuen Design- und Produktionsmöglich-keiten auszuloten.“

Vorstand der Business Area Materials Services

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Emissionsfreiübers Meer

Weltpremiere in Ham-burg: Ende August 2008 konnten sich Touristen erstmals emissionsfrei über die Alster schippern las-

sen. Möglich machte es die „FCS Alsterwas-ser das weltweit erste Fahrgastschi mit

rennsto ellenantrieb. n wischen den-ken viele Unternehmen darüber nach, die saubere Technik ebenfalls für die Schi -fahrt u nut en auch th ssenkrupp, das den ebenso umweltfreundlichen wie leisen Antrieb bisher ausschließlich für U-Boote nut t. ie ombination aus Brennsto el-le und E-Maschine er eugt nicht nur prak-tisch keine Geräusche, sie ist außerdem deutlich weniger störungsanfällig als ein Verbrennungsmotor.

as Besondere an Brennsto ellen: n ihrem nneren ndet keine Verbren-

nung statt, und anders als bei einem herkömmlichen Antrieb gibt es dort auch kaum bewegliche Teile. Stattdessen wer-den an einer Membran assersto und Sauersto u asser und Strom für den Antrieb eines Elektromotors umgeset t.

ie von th ssenkrupp entwickelten Hochtemperatur-Brennsto ellen sind in der age, usät lich auch Methan ur Stromer eugung u nut en durch die

idation von ohlensto u ohlendi-

o id. as unterstüt t nicht nur den An-trieb, sondern trägt auch ur ühlung der Brennsto elle bei, weil die Spaltung des Methans Energie erfordert.

ie meisten Brennsto ellen-Fahr euge oder -Schi e speichern die Energie für den Antrieb in assersto tanks. th ssen-krupp hat sich für einen anderen Ansat entschieden: „Wir verwenden gewöhnli-chen iesel in Straßenverkehrs ualität , erklärt eno eites von der th ssenkrupp Marine S stems GmbH und eiter des Projekts „SchiBZ“. Gemeinsam mit ihrem

„Keine Stickoxide, Schwefeloxide oder polyzyk lischen Aromaten: Einzig Kohlendioxid erl sst den Schi s-

schornstein der Zukunft.“ Keno Leites, Leiter des Projekts „SchiBZ“

otot Bau-leiterin Marlene Fischer und Projektleiter Keno Leites vor dem Diesel-Reformer der Brennsto zelle

ieselmotoren in Schi en könnten bald umweltfreundliche onkurren bekommen: iese ennsto zellen sind sauber, leise und

uverlässig. och dieses ahr sticht ein Protot p in SeeText: Gunnar Römer

thyssenkrupp techforum 02.2016

U

Sauberer Strom In wenigen Schritten ent steht aus Diesel und Wasser elektrische Energie

Projektpartner, dem Oel-Waerme-Institut in Aachen, ist es Leites und seinem Team

elun en, iesel in ethan, Wassersto und Kohlendioxid umzusetzen, wobei Wärme und ein aus einer Nickellegierung bestehender Katalysator die Hauptrolle spielen er Kra tsto erdamp t, und der Katalysator spaltet die langen Koh-lenwassersto ketten in Wassersto und Methan.

Dank dieser Umwandlung des Diesels liefert der ansonsten als wenig umwelt-freundlich bekannte Treibsto saubere

nergie f r die rennsto zellen ohne dabei auch nur ein Milligramm Ruß zu

erzeugen. „Kaum jemand in der Fach-welt hat uns das zugetraut“, sagt Leites. „Da keine akti e erbrennung statt ndet, werden auch keinerlei Stickoxide, Schwe-feloxide oder potenziell krebserregende polyzyklische Aromaten ausgestoßen. Ein- zig Kohlendioxid erlässt den Schi s-schornstein der Zukunft.“

Die Projektpartner haben sich be-wusst f r Diesel als rennsto entschie-den. Zum einen ist er sicher anders als Erdgas, das ebenfalls infrage käme, aber hochexplosi ist. Zum anderen ist Diesel in großen Mengen orhanden und besitzt eine im ergleich zu Methan und Was-

Mixer

Reformer

ie e

Wasser

Leistungs-e e troni

or net

Lithium-Ionen-Batterie

Anode Kathode

H2

CH4

H20

CO2

Wärme-energie-r ge-winnung

Luft

H2 und Wärme

ei h-spannung

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Dezentrale Energieversorgung---

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Kompakte EnergiequelleDas System passt in zwei Standardcontainer mit jeweils 20 Fuß Länge oder einen Container mit 40 Fuß.

Wärmetauscher für die interne Wärmeenergierückgewinnung

Zentraler Reaktorbehälter des Reformers. Hier entsteht aus Diesel unter anderem Wassersto

33thyssenkrupp techforum 02.2016

„Wir könnten jeden Bereich mit einer autonomen Energie-quelle versorgen.“ Keno Leites, thyssenkrupp Marine Systems

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Nutzung der Abwärme

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ennsto e en o e für die Stromerzeugung

t n e für die Steuerung des gesamten Systems

e in n zum Lüftungssystem und zur Feuerlöschanlage

Lit i onenBatterien als Energiepu er

Leist n se e troni für die Brennsto zellen

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Gestapelte Bipolarelektroden -

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Forschungsprojektes EMBATT.

- - Text: Christian Buck

Energ e e er nt: Die neue Batterie soll nahtlos in das Chassis von Elektrofahr-zeugen integriert werden

Sandwich-Batteriefür höhere Reichweite

34 thyssenkrupp techforum 02.2016

die elektrische Verbindung zwischen den Zellen, sodass man keine aufwendige und kostentreibende Verbindungstechnik mehr braucht. So lässt sich bei sinkenden Kosten der angestrebte Anteil von 80 Prozent Aktivmaterial im Batteriesystem erreichen.

Neue HerstellungsverfahrenEine einfache Idee – die aber noch nie in-dustriell umgesetzt wurde. Hier kommen die Produktionsspezialisten von tk SY ins Spiel: Gemeinsam mit den anderen EMBATT-Partnern arbeiten sie an neuen Herstellungsverfahren für die innovative Batterie. Zunächst müssen Anode und Kathode auf die beiden Seiten der etwa zwei Hundertstel Millimeter dünnen Alu-miniumfolie im Rolle-zu-Rolle-Verfahren aufgetragen werden. „Wir können das mit Lösungsmittel versetzte Material entwe-der mit einer schmalen Düse aufbringen

oder mit einem Rakel verteilen und an-schließend trocknen“, so Roscher. Danach zerteilt ein Laser das fortlaufende Band mit den Elektroden in einzelne Stücke, die so groß sein können wie der Fahrzeug-Unterbau. Ein anderer Laser entfernt da-nach das Kathoden- und Anodenmaterial am Rand der einzelnen Lagen, sodass dort ein Dichtmittel aufgebracht werden kann. Es sorgt dafür, dass der üssige Elektrolyt später nicht aus der Batterie ausläuft.

Im nächsten Schritt muss eine Ma-schine die einzelnen Lagen greifen und präzise aufeinanderstapeln – ohne dass es dabei zu Knicken oder zum Abrieb von Anoden- oder Kathodenmaterial kommt. In der Folge entsteht ein monolithischer Block, in den über kleine Ports im Dichtmit-tel der Elektrolyt ins Innere geleitet wird. Wenn dieser Arbeitsschritt abgeschlossen ist, verschließt eine Maschine die winzigen

nungen. Am Ende soll die Batterie in ein

Power-Stapel

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Anode

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Separatorfolie -

Elektrolyt

Ableiter

Kathode

Das Dichtsys-tem

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a a

Gehäuse gepackt und mit der Elektronik und den Stromleitungen verbunden wer-den. Dann ist sie einsatzbereit.

Im Technikum in Pleißa wollen die Projektpartner die Herstellschritte pilot-haft abbilden und bis Anfang 2017 die ersten EMBATT-Muster herstellen. „Der neue Ansatz der großformatigen Bipolar-batterie überwindet möglicherweise vie-le Nachteile, die sich bei der bisherigen Batteriebauweise ergeben“, fasst Roscher zusammen. „Wir müssen aber beweisen, dass sich die EMBATT-Idee nicht nur im Labor, sondern auch in der industriellen Massenfertigung bewährt.“ Die Grund-idee kommt jedenfalls gut an: Mehrere Automobilhersteller zeigen bereits Inte-resse, und die kommerzielle Verwertung soll 2019 starten. Mit dem richtigen Part-ner könnten dann wenig später die ersten Elektroautos mit EMBATT-Batterie auf den Straßen rollen.Fo

tos:

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Die Mensch-Robo ter- Kollaboration nimmt Fahrt auf – allerdings nur bei Leichtbau- ro bo tern. thyssenkrupp hat eine Methode ent wickelt, die auch ton nenschwere Industrie-robo ter zum Kollegen des Menschen macht

Teamplayergesucht

Text: Bärbel Brockmann Photos: Britta Pohl

36 thyssenkrupp techforum 02.2016

Panorama - -

Produktions-experte: Dr. Eckhard Wellbrock treibt bei thyssenkrupp die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter voran

thyssenkrupp techforum 02.2016

Hinter Gittern: Die Maschinen an dieser Schraubstation arbeiten noch in einem Schutz-

Durch Mensch-Roboter-Kollaboration könnten Mitarbeiter in den Prozess ein -

rei en ohne ihn zu unterbrechen

Zu Hunderten stehen sie an den Montagelinien, um Karossen, Motoren und andere komple-xe Komponenten unermüd-lich, schnell und äußerst präzise zusammenzubauen:

Industrieroboter sind aus der modernen Automobilproduktion nicht mehr wegzu-denken. Bislang arbeiten sie aber hinter hohen Schutzgittern – denn wenn ihnen ein Mensch in die Quere käme, könnte er sich schwer verletzen. „Roboter sind zwar extrem zuverlässige Arbeiter am Band, aber mit ihren komplexen Bewe-gungsmustern und starken Beschleuni-gungen mit hohen Kräften stellen sie eine Gefahr dar“, sagt Dr. Eckhard Wellbrock von thyssenkrupp System Engineering. „Zudem tun sie derzeit nur das, was ihr Programm ihnen vorschreibt. Auf Un-vorhergesehenes reagieren sie nicht.“ Menschen im Arbeitsumfeld des Roboters sind darum im Moment nur Zuarbeiter und halten sich in sicherer Entfernung von den Maschinen auf.

So soll es aber nicht bleiben. Seit eini-gen Jahren beschäftigt sich die Forschung weltweit mit der Möglichkeit einer echten Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter. Denn neben den Aufgaben, die die eingezäunten Riesen autark erledigen können, gibt es viele Bereiche, in denen eine Kooperation Vorteile bringen würde. Der Schwerpunkt der Entwickler liegt der-zeit allerdings auf Leichtbaurobotern. Sie sind klein und exibel, aber mit utzlas-ten von maximal 14 Kilogramm und ihren kurzen Reichweiten für den industriellen Serieneinsatz ungeeignet. Außerdem sind sie sehr langsam.

Viel interessanter wäre die Zusam-menarbeit von Menschen und den ton-nenschweren Standard-Industrierobotern an gemeinsamen Arbeitsplätzen, ganz ohne trennende Schutzeinrichtungen – denn das würde völlig neue Prozesse in der Montagetechnik ermöglichen, bei-spielsweise bei Motoren oder Karosserien. Davon sind die Entwickler von thyssen-krupp System Engineering überzeugt, und

aus diesem Grund beteiligten sie sich an dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt InSA. Die Abkürzung steht für „Integrierte Schutz- und Sicher-heitskonzepte in Cyber-Physischen Ar-beitsumgebungen“, die auf dem Weg zu Industrie 4.0 praxistaugliche Lösungen hervorbringen sollen. InSA wurde 2014 gestartet, die Ergebnisse werden im Okto-ber im Ministerium vorgestellt.

Die InSA-Projektpartner haben in-zwischen einen Demonstrator entwickelt, der beispielhaft zeigt, wie in einer echten Mensch-Roboter-Kollaboration ein Blech für die Abdichtung der Kurbelwelle zum Motorblock montiert wird. Die Aufgaben-teilung ist klar: Der Roboter präsentiert

Solche n endun en könnten auch all denen den Wind aus den Se eln nehmen die mit uto- matisierun immer nur die ernichtun von Arbeitsplätzen verbinden Dr. Eckhard Wellbrock, th ssenkrupp S stem n ineerin

dem Menschen den Motor in einer ergono-misch günstigen Position, den komplizier-ten Fügeprozess erledigt ein Arbeiter. So werden die jeweiligen Stärken der Betei-ligten ideal genutzt: Die Maschine erledigt die schwere, monotone Arbeit, der Mensch übernimmt den feingliedrigen, intuitiven Prozess.

Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Bremen und Partnerun-ternehmen hat thyssenkrupp für diesen Demonstrator die Prozesse analysiert, Sicherheitsfragen erörtert und die Lösun-gen mittels Sensorik und Laserscanner geprüft. Inzwischen ist thyssenkrupp System Engineering einen Schritt wei-ter gegangen und hat selbst eine erste Praxis-Anwendung entwickelt. Sie ist seit Kurzem in der Fertigungshalle des Kon-zernunternehmens Car-Body-Solutions in Weinsberg bei Heilbronn in Betrieb. „Hier konnten wir erstmals viele Erkenntnisse aus InSA in ein Kundenprojekt ein ie en lassen“, sagt Wellbrock, der das InSA-Projekt für thyssenkrupp betreut und auch die erste Anwendung in Weinsberg begleitet hat.

Erneut geht es um einen Fügepro-zess: In einer Montagelinie müssen an einer bestimmten Stelle Kunststo buch-sen in einen Hinterachsträger eingefügt werden. Die Kunststo buchsen werden vor dem Einfügen erwärmt, wodurch sie etwas schrumpfen. Sobald sie eingebaut sind und ihre ursprüngliche Temperatur wiedererlangt haben, dehnen sie sich aus und sitzen dadurch bombenfest. Die ge-schrumpften Buchsen sind in der Regel leicht unterschiedlich – was für das Resul-tat unerheblich, für den Roboter aber eine Riesenherausforderung ist. „Für einen Ro-

boter wäre das Einfügen eine sehr schwie-rige Aufgabe, für die Geschicklichkeit ei-nes Menschen ist das aber kein Problem“, erklärt Dr. Wellbrock. „Man kann diesen Vorgang vollständig automatisieren, al-lerdings nur mit einem erheblich höheren technischen und nanziellen Aufwand. Deshalb haben wir uns an dieser Stelle für eine Mensch-Roboter-Kollaboration entschieden.“ Das spart ein teures Greif-system für den Roboter und verringert die Kosten damit um 80 Prozent.

Im ersten Schritt haben sich die Ex-perten von thyssenkrupp mit der Prozess-gestaltung beschäftigt, um die Grundla-gen für die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine zu scha en. Er geht unter anderem darum, die Kundenwünsche in puncto Platzverbrauch, Taktzeit und Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen. Wesentlicher Bestandteil war das Sicher-heitskonzept: Laserscanner überwachen die Geschwindigkeit des Roboters und seinen Abstand zum Menschen. Egal, wie schnell sich Mensch und Maschine auf-einander zubewegen – zwischen beiden muss immer ein sicherer Abstand sein. Der Roboter darf sich der Hand des Men-schen nur bis auf 60 Zentimeter nähern. „Der Roboterkollege in Weinsberg wiegt immerhin 1,2 Tonnen“, so Wellbrock. „Es

war darum eine gro e Herausforderung, dieses Gewicht bei Bedarf jederzeit stop-pen zu können.“

Die Referenzanlage in Weinsberg hat sich so gut bewährt, dass thyssenkrupp System Engineering inzwischen einen grö-

eren Markt ins Auge fasst. „Das Ganze nimmt jetzt Fahrt auf. Wir sind mit sämt-lichen Kunden aus der Automobilindustrie in Kontakt und diskutieren über Einsatz-möglichkeiten“, sagt Dr. Wellbrock. Dabei spielt nicht nur der Kostenvorteil gegen-über einer vollautomatischen Lösung eine Rolle. Ein assistierender Industrieroboter kann auch dabei helfen, Arbeitsplätze er-gonomischer zu machen – zum Beispiel im Karosseriebau: Hier werden Bleche durch Punktschwei en miteinander verbunden, und damit zwischen den Schwei punkten keine Feuchtigkeit eindringen kann, müs-sen die Nähte versiegelt werden. „Heute ist es noch oft so, dass ein Arbeiter dafür unter die Karosse kriechen muss“, berich-tet Wellbrock. „Stattdessen könnte ein Roboter die Karosserie anheben und um 90 Grad drehen, damit der Mensch seine Aufgabe stehend erledigen kann. Solche Anwendungen könnten auch all denen den Wind aus den Segeln nehmen, die mit Automatisierung immer nur die Vernich-tung von Arbeitsplätzen verbinden.“

Der Roboter hält das schwere Kurbelgehäuse, der Mensch bereitet die Radialwellendichtung für die Kurbelwelle vor

80 %weniger Kostendurch die Mensch-Roboter-Kollaboration: Die Maschine braucht kein teures Greifsystem

39thyssenkrupp techforum 02.2016

Wie der Klimaschutz die Modernisierung der Wirtschaft vorantreibt: Bundesforschungs-minis terin Johanna Wanka über den Innovations standort Deutschland, neue Forschungs strategien und Bürgerwissenschaft Interview: Bernd Overmaat

techforum: Frau Wanka, ist Deutschland der Innovationsmotor für die Welt, oder stehen wir nur so gut da, weil andere Länder ihre Forschungsbudgets kürzen?Prof. Johanna Wanka: Nach der aktuel-len Unesco-Statistik werden weltweit rund 1,5 Billionen US-Dollar für Forschung und Entwicklung ausgegeben, von der staatli-chen Seite und der Wirtschaft zusammen. Die USA, China und Japan sind für mehr als die Hälfte dieser Ausgaben verantwort-lich – wir stehen an vierter Stelle. Wie im Bundesbericht Forschung und Innovation 2016 dargestellt, liegen wir mit knapp drei

„CO2 macht er nder ch

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Innovationsmotor: Deutsch-land liegt bei den FuE-Ausgaben weltweit auf Platz vier

Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das wir in Innovationen investieren, deutlich über dem OECD-Durchschnitt. In Deutsch-land wurde noch nie mehr in Forschung und Entwicklung investiert als in den vergangenen Jahren. Von 2005 bis 2016 stiegen allein die jährlichen Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung von neun auf knapp 16 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Zuwachs von 75 Prozent. Aber auch die privaten Investiti-onen in Innovationen sind gestiegen – im EU-Vergleich liegt Deutschland an der Spitze. Das zeigen die neuesten, im Juli dieses Jahres ver entlichten Zahlen der EU-Kommission. In vielen europäischen Ländern haben wir eine wirtschaftlich schwierige Lage. Doch wo Forschungs-budgets gekürzt werden, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, mit Innovationen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Volkswirtschaften zu erhalten. Also ja, Deutschland ist einer der wich-tigsten Innovatoren der Welt.techforum: eni er e f r r n un en ist das eine Problem. Sind die strengeren Klimaschutz-Vorgaben für die Wirtschaft das andere?Wanka: Nicht erst seit dem Weltklima-gipfel in Paris im vergangenen Jahr wis-sen wir: Der weltweite CO2-Ausstoß muss gesenkt werden. Der Weltklimarat schlägt unter anderem vor, CO2 aus der Luft mit-hilfe von neuen Technologien wieder zu entziehen. Dazu gehört auch, dass Koh-lensto kreisläufe nach Möglichkeit ge-schlossen werden. Zum ersten Mal haben sich nun alle Länder auf verbindliche Ziele geeinigt, das ist gut. Denn Klimaschutz-fragen sind nur global lösbar. Ich sehe die strengeren Umweltau agen als Chance: Sie treiben die Modernisierung der In-dustrie voran. Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt „Carbon2Chem“, bei dem thyssenkrupp und 16 andere Partner aus Industrie und Wissenschaft ohsto e aus Hüttengasen gewinnen wollen.techforum: Was versprechen Sie sich von Carbon2Chem?Wanka: Wir fördern den Forschungsver-bund Carbon2Chem, weil hier die Ener-giegrundlagenforschung die direkten Anwendungsoptionen mitdenkt. Das Pro-jekt verbindet drei große Ziele: den Klima-schutz, den Erhalt der Wettbewerbsfähig-keit der deutschen Stahlbranche und die Suche nach nachhaltigen ohsto en für

die Energie- und Chemiewirtschaft. Ver-schiedene Entwicklungspfade werden er-forscht, die vielversprechendsten werden dann verfolgt. Hier zeigt sich: Der Klima-schutz setzt Impulse für die grundlegende Modernisierung verschiedener Branchen. Das Projekt ist auf zehn Jahre angelegt. Wir setzen auf langfristige Forschungs-projekte und Technologieo enheit.techforum: Welchen in uss hat die EU-Kommission auf diese Impulse?Wanka: Schon in fünf Jahren beginnt die nächste Handelsphase für CO2-Zerti kate in der EU. Dafür plant die EU-Kommission,

die Menge verfügbarer Zerti kate bis 20 0 im Vergleich zu 2005 ungefähr zu halbie-ren. So sollen weitere 556 Millionen Ton-nen CO2 eingespart werden. Energieinten-sive Unternehmen müssen deshalb jetzt handeln, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Wir unterstützen sie dabei, denn Forschung kann hierfür konkrete Lö-sungen aufzeigen – und hat dabei immer das große gesellschaftliche Interesse an einem besseren Klimaschutz fest im Blick.techforum: Was tun Sie, damit die Forschungsergebnisse schnell bei den Menschen ankommen?Wanka: Wir müssen es scha en, dass For-schung gesellschaftliche Bedarfe aufgreift. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Mit den „Ko-pernikus-Projekten“ haben wir die größte Forschungsinitiative zur Energiewende begonnen. Sie soll vier zentrale Fragen beantworten: Wie kann man die Energie-netze an eine unregelmäßige Einspeisung von Strom anpassen und überschüssigen Strom speichern? Welche Technologien brauchen wir in der Industrie? Und wie müssen Strom, Gas und Wärme zusam-menspielen, damit Haushalte und In-dustrie immer mit Energie versorgt sind? Beim Umbau des Energiesystems müs-sen wir stärker als bisher Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Die technische Umsetzung ist wichtig, die Akzeptanz in der Gesellschaft aber mindestens ebenso entscheidend. Deshalb arbeiten nicht nur über 100 Unternehmen, darunter auch thyssenkrupp, an den Kopernikus-Projek-

Johanna Wankaist seit 2013 Bundesministerin für Bildung und Forschung und Mitglied der Bundesregierung von Angela Merkel. Neun Jahre lang, von 2000 bis 2009, war sie Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Brandenburg, von 2010 bis 2013 diente sie im gleichen Ressort als Ministerin in Niedersachsen.

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ten mit, sondern auch Umweltverbände, Bürgerinitiativen und weitere Interessens-vertretungen. So wird Forschung relevant. So scha en es Innovationen in den Markt.techforum: Aber wird es nicht immer schwieriger, wenn mehr Partner bei den Projekten mitreden wollen? Wanka: Natürlich, aber die Ergebnisse werden am Ende besser sein. Für wen forschen wir, und was wollen wir da-mit erreichen? Wenn wir uns das immer wieder fragen, schärfen wir den Blick für den Alltag der Menschen, die unsere For-schungsergebnisse am Ende nutzen. Ein Schaumsto für Matratzen, wie ihn die Le-verkusener Firma Covestro aus Kohlendi-oxid herstellt, ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine Idee auf den Weg gemacht hat in ein Unternehmen und dort zu ei-nem Produkt wurde, das schließlich jeder zu Hause nutzen kann. Auch das erfolgrei-che KMU Sun re aus Dresden zeigt, dass aus CO2 und erneuerbarem Strom schon heute nachhaltige Kraftsto e hergestellt werden können. Entscheidend ist der ge-sellschaftliche Bezug unserer Forschungs-projekte. Neben exzellenter und kreativer Forschung, investitionsbereiten Unterneh-men, guten Mitarbeitern und Mitarbeite-rinnen sowie einem dynamischen Wis-senschafts- und Bildungssystem ist eine innovationso ene Gesellschaft ausschlag-gebend für unseren Er ndungsreichtum. techforum: ie innovationso ene

esellschaft ndet ihren Ausdruck in der Bürgerwissenschaft, für die Sie sich engagieren. Was versprechen Sie sich davon? Wanka: Wenn Ideen der Bürger direkt bei den Wissenschaftspro s ankommen, nde ich das gut und wichtig. Interessierte Lai-en können wertvolle Daten beispielswei-se zur Auswertung von Wetterdaten und Tierpopulationen liefern. Darüber hinaus

nden sie ganz konkrete Lösungsideen für Alltagsprobleme und heben sie gemein-sam mit Wissenschaftlern auf eine hö-here Forschungsebene. „Citizen Science“, der englische Begri , der sich auch im deutschsprachigen Forscherraum mittler-weile etabliert hat, ist ein Ansatz, von dem alle Seiten pro tieren. Aber die Bürgerwis-senschaft muss gut organisiert sein. Wir planen deshalb eine spezielle Förderung von Projekten, die Ehrenamtliche ein-bezieht und gesellschaftlich relevanten Fragen nachgeht. Wenn sich die Wis-senschaft für die Gesellschaft ö net, hat das Auswirkungen auf die Forscher und darauf, wie sie ihre Ergebnisse kommuni-zieren – kürzer, leichter verständlich und einem größeren Publikum zugänglich.

41thyssenkrupp techforum 02.2016

Chemikalien aus Hüttengasen: Das ist das Ziel des Forschungsprojekts Carbon2Chem® el st ohlendio id ird hier um ohsto große Teile des jährlichen Ausstoßes der deutschen Stahlbranche sollen künftig wirtschaftlich genutzt werdenText: n o ra :

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Sauberere Stahlproduktion

Intelligente Prozesssteuerung

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ANTEIL DES ERNEUERBAREN STROMS

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ZUSAMMENSETZUNG DES HÜTTENGASES

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Methan (CH4)2% Methan (CH4)

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43thyssenkrupp techforum 02.2016

Mit Strom aus Sonne und Wind lässt sich umweltfreundlich

Industrie enthalten:

Wind und Sonne liefern Strom, um per

-produktion, aus Methanol lässt sich unter

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Flexible Energieerzeugung

Nachhaltige Chemieprodukte

Fast wie im echten LebenMit der Simulationsanlage ViSTIS können

e t n it ieder n i en e r die e n rd en nd er i epersonal kann sich vorab mit neuen Anlagen vertraut machen. Die Technik dahinter stammt aus Computerspielen

44

Tief unter dem Meeresspie-gel fällt die Elektronik eines U-Bootes aus. Jetzt muss es schnell gehen. Die Operati-onszentrale erteilt der Crew klare Anweisungen: „Kontrol-

liert das Boot! Tauchbedingungen für manuellen Betrieb herstellen!“ Die Mann-schaft muss hoch konzentriert zusam-menarbeiten, um das Schlimmste zu ver-hindern und das havarierte Boot schnell zu stabilisieren. Ein Techniker klettert über eine Luke ins untere Deck, dreht eine Kur-bel und stoppt so manuell das Fluten eines Tanks. Ein anderer eilt zu einer Schaltan-lage, in der die Fehlfunktion vermutlich aufgetreten ist. Er ndet den Defekt und kann wenig später die erfolgreiche Repa-ratur melden.

Die Crew atmet erleichtert auf. Eine Stimme tönt aus dem Kontrollzentrum: „Die Übung ist beendet!“ Entspannung macht sich breit in der neu entwickelten Simulationsanlage ViSTIS (Virtual Ship Training and Information System) auf dem Werftgelände in Kiel, wo thyssen-krupp Marine Systems die Havarie täu-schend echt in Szene gesetzt hat. Ausbil-der, angehende Besatzungsmitglieder und erfahrene Teams arbeiten und trainieren dort in Räumen, die dem realen Boot nachempfunden sind. An ihren PC-Termi-nals lernen sie wie in einem 3-D-Compu-terspiel, das auf ihren Monitoren erschei-nende virtuelle Schi zu kontrollieren.

Die Simulationsanlage stellt alle Vorgänge auf einem Boot lebensecht nach

Text: François Baumgartner

thyssenkrupp techforum 02.2016

„Wir wollen den Auszubildenden mithilfe modernster Technik den Eindruck vermitteln, auf einem echten

chi t ti zu sein Stephan Braß, Projektleiter ViSTIS

Darum musste auch niemand seinen Platz verlassen, um den Fehler abzustel-len: Die Auszubildenden konnten auf ihren Bildschirmen digitale Ebenbilder von sich zur Kurbel und zur Schaltan-lage schicken. Wichtig ist nur, dass sie die andgri e auch unter Stress korrekt ausführen. Seit 2008 entwickelt thyssen-krupp die Technik, die an einen Flugsimu-lator erinnert, ständig weiter. Das Kont-rollzentrum gleicht nicht nur der realen Operationszentrale – dank einer Hydrau-likanlage lässt sich der Raum auch nach vorn neigen oder nach hinten kippen. Je nachdem, ob das virtuelle U-Boot gerade ab- oder auftaucht.

Junge Azubis lieben ViSTIS Die täuschend echte Simulation basiert auf Technologien, die ursprünglich aus der Welt der Computerspiele stammen: Hinter dem virtuellen Schi steckt die „Cry Engine“ des Frankfurter Unterneh-mens Crytek. Kein Wunder also, dass es besonders jungen Auszubildenden großen Spaß macht, sich auf diese Weise spiele-risch mit ihrem künftigen Arbeitsplatz vertraut zu machen. Alle Routineaufga-ben, aber auch extreme Notfall- und Ge-fechtssituationen lassen sich mit ViSTIS risiko- und gefahrlos simulieren und im-mer wieder üben. „ViSTIS ist eine virtuelle Ausbildungs- und Trainingslösung, die für alle Bereiche interessant ist, in denen

e ahr e n Auf dem virtuellen Boot können die Besatzun s mit lieder so lan e trainieren, bis jeder and ri sitzt

es darum geht, komplexe Verfahren zu erlernen und einzuüben“, sagt Stephan Braß, ViSTIS-Projektleiter bei thyssen-krupp Marine Systems. Dazu zählen ne-ben der zi ilen S hi fahrt ebenso große Industrieanlagen, -Shore-Systeme und

a nerien.Die neueste Entwicklung macht es

möglich, ViSTIS sogar mit weiteren Simu-lationssystemen zu vernetzen. Zum Bei-spiel mit einem externen „Hubschrauber-Simulator“ – dadurch kann ein Pilot mit seinem virtuellen Helikopter das Lande-deck eines Schi es ansteuern, während die rew des virtuellen Schi es die Lan-dung koordiniert. Experten nennen die-ses neue Feature „vernetzte Simulation“. Besonders erfreulich: Für die Übung muss kein Schi aus dem Hafen auslaufen und kein Hubschrauber abheben. Das spart nicht nur Kosten, sondern verringert auch das Risiko von Unfällen.

„Wir wollen den Auszubildenden mithilfe modernster Technik den Ein-druck vermitteln, auf einem echten Schi tätig zu sein“, erläutert Braß. „Es freut uns darum sehr, dass der Konzern unser Aus-bildungssystem gerade mit dem Innovati-onspreis ausgezeichnet hat.“ Aber nicht nur die Besatzungen von Schi en können davon pro tieren: Auch das Personal von Industrieanlagen oder Bohrinseln ließe sich mithilfe der täuschend echten Simu-lationen einweisen und trainieren.

Halbierte AusbildungszeitOft kosten solche komplexen Großanlagen viele Milliarden, sodass eine Investition von 500.000 bis fünf Millionen Dollar für

ein Simulationssystem à la ViSTIS gut angelegtes Geld ist – können die Betreiber damit doch ihre Crews schon vor dem Bau und der Inbetriebnahme der realen Anla-ge mit allen Prozessen und Handgri en vertraut machen. Und auch später erspart die Simulation ausbildungsbedingte Ein-schränkungen und Blockaden des laufen-den Betriebes, wenn eine Übung auf dem Programm steht. Technische Ausfälle und extreme Notfallsituationen lassen sich lebensecht simulieren, und deren Bewäl-tigung lässt sich gefahrlos einstudieren.

Braß prognostiziert dem ViSTIS-Sys-tem auch in Hinblick auf künftige Updates und Modi kationen große Chancen auf dem Markt. Durch Einsatz dieser Simula-tionstechnik kann die Ausbildungszeit an Bord um mindestens 50 Prozent reduziert und die Verfügbarkeit der Besatzungs-mitglieder auf Schi en deutlich erhöht werden. „Weltweit gibt es ein wachsendes Interesse an attraktiven und e ektiven Simulationssystemen“, so Braß. „Denn sie ermöglichen eine qualitativ hochwertige, risikolose und kostensparende Ausbildung von Fachkräften, die komplexe militäri-sche und zivile Anlagen überwachen und bedienen müssen. Unsere ausgelieferten Teillösungen bestätigen diese Einschät-zungen.“ Braß ist davon überzeugt, dass ViSTIS künftig sogar noch eine größere Zeiteinsparung ermöglichen wird.

Trend zu mehr SimulationenDas Training an Simulationsanlagen wie ViSTIS bietet viele Vorteile: Der Betrieb der

riginal ardware um Beis iel S i e oder Industrieanlagen) wird nicht beeinträchtigt, und es lassen sich auch Notfallszenarien üben, die in der Realität nicht nachgestellt werden könnten. Die Ausbildungskapazitä-ten steigen, zudem ro tiert die Trainings-qualität – denn jeder Lehrgangsteilnehmer wird aktiv einbezogen. Hinzu kommt eine gestiegene Flexibilität: Teile der Ausbil-dung lassen sich als „Distance Learning“ umsetzen, sodass Reisekosten entfallen. All das führt zu besseren Ergebnissen und sinkenden Kosten. Kein Wunder also, dass Kunden weltweit immer stärker auf solche Simulationen setzen.

ppelgänger Die Menschen an den ViSTIS-Bildschirmen können sich als Avatare durch die Anlagen bewegen und mit der komplexen Technik vertraut machen

47thyssenkrupp techforum 02.2016

Text: Mirko Heinemann

Kreativität und Innovation

Ein Jahrzehnt der Beschleunigung – so

könnte man die Entwicklung im In-

novation Center von thyssenkrupp

Elevator in Gijón zusammenfassen. Der

Output ist beachtlich: Im Durchschnitt

alle zwei Monate meldet das Team ein

atent an. Er ndungen sind auf diese eise

seit dem Gründungsjahr 2007 zusammengekom-

men. Das Team hat zahlreiche Preise gewonnen,

darunter vor fünf Jahren den thyssenkrupp Inno-

vationspreis und zuletzt im Mai 2016 eine Aus-

zeichnung als Top-Arbeitgeber der Stadt Gijón.

„Unsere Mitarbeiter können zehn Prozent ihrer

eit nutzen, um frei nachzudenken. ir bieten

außerdem viel Raum, um neue Ideen auszuprobie-

ren. Unsere Büros sind o en, die ierarchien ach ,

versucht sich General Manager Javier Sesma an

einer Erklärung für das hohe Maß an Kreativität.

Sein Kollege Alberto Pello verweist auf das nied-

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Im nordspanischen Gijón scheint ein besonderer ind zu wehen. Knapp

0 Mitarbeiter er nden hier mit erstaunlicher Geschwindigkeit die Zukunft der urbanen Mobilität

rige Durchschnittsalter von 35 Jahren und auf die große ielfalt, die „diversity , unter seinen 47 Mitarbeitern. 40 Prozent sind Frauen. Neun von zehn sind Ingenieure, aber aus ganz unter-schiedlichen Disziplinen. Praktika sind üblich, der internationale Austausch wird gefördert.

Man denkt natürlich sofort an das Silicon Valley. Der Vergleich mit dem kalifornischen IT-Standort wird in den Medien in der Tat häu g gezogen, wenn vom nordspanischen Asturien und seiner Metropole Gijón die Rede ist. Ähnlich wie in Palo Alto ndet sich auch in Gijón geballte Innovation auf engstem Raum. Das Innovation Center ist im Nord ügel der Universidad aboral angesiedelt, einem der größten historischen Gebäudekomplexe Spaniens. Neben den Büros verfügen Sesma und sein Team über 2.000 Qua-dratmeter Fläche für das „Real Prototype ab , wo sie ihre Prototypen testen. „Meile des issens lautet das Schlagwort für den Innovationsstand-ort, der weniger als eine Meile von der Universi-dad de Oviedo und vom Technologiepark entfernt

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Transportsystem

mit Transrapid-

ntrie : Javier

Sesma (l.) und Dr.

Heinrich Hiesinger

testen ACCEL

Atlantikbrise für kreative Köpfe: der Hafen von Gijón

liegt. Ebenfalls im Komplex: die Polytechnische Universität, verschiedene Fakultäten der Universidad de Oviedo, eine Kunsthochschule, eine Schauspiel-schule, ein Konservatorium. „Wissenschaft, Indus-trie und Kreativität kommen hier zusammen. Diese Mischung sorgt für ein schöpferisches Ambiente, in dem wir uns sehr wohlfühlen“, erklärt Sesma.

Seine Kollegen entwickeln Transportlösungen für die Zukunft: innovative Fahrtreppen, Fahrsteige, Aufzüge, Fluggastbrücken. Im Virtual Lab testen sie Prototypen von Neuentwicklungen am Rechner, bevor sie gebaut werden. Je nach Komplexität wer-den Prototypen maßstabsgetreu mittels 3-D-Druck hergestellt. Dann geht die Konstruktion ins Labor, wo sie hergestellt, montiert und in einem beschleu-nigten Verfahren getestet wird. So kommen innovati-ve Produkte schnell, aber dennoch ausgereift auf den Markt. „In der Regel brauchten Ideen früher sechs oder sieben Jahre bis zur Marktreife. Unser Ziel ist es, das in einem, maximal zwei Jahren zu scha en. Je nach Komplexität des Projekts“, sagt Pello.

Rund 60 Projekte wurden in Gijón entwickelt, darunter nicht nur die ersten Fluggastbrücken für den Airbus A380, sondern auch der „iwalk“, ein horizontaler Fahrsteig, der ohne Baumaßnahmen installiert werden kann und bereits an Kunden aus

vier Kontinenten verkauft worden ist. Auf erste

Kunden wartet derzeit ein Fahrsteig mit variabler

Beschleunigung, der die Linearmotor-Technologie

der Magnetschwebebahn Transrapid nutzt. Der

revolutionäre, kabellose Aufzug MULTI, ebenfalls mit

Transrapid-Technik ausgestattet, lässt mehrere Ka-

binen in einem Schacht fahren – und das nicht nur

vertikal, sondern auch horizontal. Ein funktionsfähi-

ges Modell im Maßstab 1 : 3 steht im Labor in Gijón.

Die jüngste Innovation ist der Smart Do-cking Assist, eine voll automatisierte Fluggast-

brücke, mit der die Abfertigung von Flugzeugen

deutlich e zienter wird. Die Automatisierung von Prozessen ist für Sesma das Zukunftsfeld,

auf das sich sein Team derzeit konzentriert.An der asturischen Atlantikküste scheint ein

besonderer Wind zu wehen. Wo sonst hat man

einen derart freien Blick und kann im Segelboot der Sonne nachschauen, die weit im Westen im Meer versinkt? Irgendwo dort liegt Amerika – eine Vor-stellung, die Entdecker-träume weckt. Mag sein, dass auch das ein Ansporn ist, anders zu denken. Unkonventionell eben.

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Blick in Richtung

Neue Welt: Sonnen-

untergang in Gijón

Demonstration im Virtual Lab: Mit Datenbrillen können Besucher in die Zukunft sehen

Unkonventionelles Arbeiten: Das Team ist jung, die Struk-turen sind o en

Die neue Software, die ab jetzt meine Ko-lumne schreiben sollte, hatte eine klei-ne Macke. Ich rief beim Support an. „Im Text fehlt überall das C.“ „O“, sagte der Mann vom Support. „Nein, C! Da steht zum Beispiel Buh statt Buch.“ Der Fehler

wurde behoben, und das Programm lernte. Es wertete meine entlich zug ngliche Kommunikation aus, alle Tweets und s mtliche Facebook- u erungen. nd es

ng an, meinen Stil zu kopieren m ma geschneiderte Ergebnisse zu erzielen, las die Software alle Texte ein, die ich jemals ver entlicht hatte wobei mein erk erschreckend wenig Platz auf der Festplatte einnahm. Ein Katzenfoto hat mehr Bytes als eine Kolumne.

Bis zu meinem Kolumnen-Schreibprogramm hatte die Autorenassistierende Software (AAS) einen langen eg zurückgelegt. Den Anfang machte ein Pro-gramm namens ELIZA, das der Computerwissenschaft-ler oseph eizenbaum geschrieben hatte und mit dem man sich scheinbar unterhalten konnte. „Ich fühle mich sonderbar“, schrieb der Mensch am einen Ende. „ ie lange fühlen Sie sich schon sonderbar “, gab die Maschine zurück, indem sie einen Teil der Ein-gabe in eine Antwort oskel umwandelte und damit das

esch ftsmodell von Psychotherapeuten kopierte.In den folgenden Jahren investierten Program-

mierer viel Arbeit in die Entwicklung von Software mit menschlichen Eigenschaften etwa PA , einen paranoiden Patienten, dessen Paranoia-Grad man einstellen konnte. Oder ACTE , der wahlweise über Quantentheorie oder italienischen Salat plauderte. Dann kam der Anfang vom Ende des Journalismus Am . M rz ver entlichte die „Los Angeles Times“ eine Meldung über ein Erdbeben, die von einem Programm namens Quakebot erstellt wurde. Es sam-melte Daten aus Online-Quellen und baute sie nach einem Baukastenschema in den Text ein. Nach drei Minuten war der Artikel fertig. Als N chstes wur-den Sportberichte und irtschaftsnachrichten automatisiert.

Nun also auch Kolumnen. „Inzwischen warten bereits alle auf so etwas wie die sich

selbst essende Automate“, schrieb gerade die Soft-ware, die meinen Text verfassen sollte. Genau die Art von ortspiel, die mich ausmacht! Ich war allerdings ein wenig unsicher, ob ich das gut nden oder beunru-higt sein sollte. usste die Software pl tzlich, was Iro-nie ist Oder ergab sich die Pointe aus einer abstrakten Berechnung auf Grundlage meiner gesammelten Texte

aren launige Artikel genauso fabrizierbar wie indust-rielle Pr zisionsteile

M glich w re es, denn die AAS-Software hatte Ende der er-Jahre eine neue Qualit t erreicht Die Stimmung der Sportberichte lie sich nun mit Schie-beregler zwischen „nüchtern“ und „mitrei end“ ein-stellen. nd um die Artikel m glichst oft verkaufen zu k nnen, wurden bestimmte Schlüsselbegri e in den Berichten einfach durch Synonyme ersetzt.

Ersetzt wurden auch die edakteure. Eine ei-le hatte ich es bei meinen Kolumnen noch mit einem Kollegen aus Fleisch und Blut zu tun aber dann ver-schwand er spurlos, und stattdessen kommunizierte ich mit einem Chefredakteurs-Computer, dessen sinn-lose ückfragen mich stark an ELIZA erinnerten.

Das brachte mich ins Grübeln. as bedeutet Ar-beit im . Jahrhundert as kann ich, was die Ma-schine nicht kann Spaltet sich die Gesellschaft in eine Digital-Aristokratie und immer mehr Automati-sierungsverlierer „ ir wollen nicht spalten“, schrieb prompt die Kolumnen-Software. „ ir wollen vers h-nen, vert chtern, veronkeln, vertanten, verne en und vernichten.“

Der war nicht schlecht. Der war sogar richtig gut! arum war das ortspiel nicht mir eingefallen, son-

dern einem Algorithmus Ich bekam einen trockenen Mund. Auf dem Echtzeit-Honorarticker am Bildschirm zeigte der Kurs für meine Kolumne schon seit L ngerem nach unten. Ich rief beim Support an. „Sagen Sie, ist das jetzt eine Art Entlassung mit weichem bergang “ „Nein, denn wir brauhen Sie noh“, sagte die Stimme. „Allerdings beshr nkt sih die Aufgabe des Menshen nun darauf, Haos ins System zu bringen.“ „In Ihren Antworten fehlt überall das C!“, sagte ich und legte auf.

Algorithmen statt Autoren Die Kolumnen der Zukunft stammen von einem Schreibprogramm

Arbyte im 21. Jahrhundert

Peter Glaser ist Autor und Journalist. Er schreibt unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung und die Technology Review. 2002 gewann er den Ingeborg- Bachmann-Preis

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Herausgeber: thyssenkrupp AG, Corporate Function Communications, thyssenkrupp Allee 1, 45143 Essen

Verantwortlich: Bernd Overmaat (V. i. S. d. P.), [email protected]

Copyright: © thyssenkrupp AG 2016

Für Nachdruck ist die Einwilligung des Herausgebers erforderlich. thyssenkrupp techforum wird über eine Adressdatei versandt, die mithilfe der automatisierten Datenverarbeitung geführt wird. nformationen u thyssenkrupp nden

Sie auch im Internet unter www.thyssenkrupp.com. Eine digitale Version des thyssenkrupp techforums nden Sie unter www.thyssenkrupp.com/techforum

Realisation: Axel Springer SE Corporate Solutions

Projektleitung: Christopher Brott

Redaktionsleitung: Christian Buck

Art-Direktion: Christian Hruschka, Stefan Semrau (twotype design)

Bildredaktion: Bianca Classen

Lektorat: Matthias Sommer

Druck: Neef & Stumme premium printing GmbH & Co. KG Schillerstraße 2, 29378 Wittingen

ISSN: 1612-2763

Die Revolution beginntEingebettet in eine Science-Fiction-Story berichtet Ulrich Eberl über die smarten Ma-schinen der Zukunft und seine Reisen zu weltweit führenden Forschern auf diesem Gebiet. Der Leser lernt etwas über Neurochips, Suchmaschinen mit gesundem Menschen-verstand, begegnet sozialen Robotern und macht zudem die Bekanntschaft der hinreißen-den Androidin Samantha. Ein Buch für alle, die etwas über die bevorstehende Revolution auf den Gebieten Robotik und künstliche Intelligenz erfahren möchten.

Smarte MaschinenUlrich EberlCarl Hanser Verlag24,00 €

Einmalige Möglichkeiten und GefahrenAls Gründer und Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums kennt Klaus Schwab die Diskussionen in den Chefetagen globaler Konzerne und unter den Vor-denkern unserer Zeit aus erster Hand. In seinem Buch stellt er die großen Megatrends dar und beschreibt ihre Auswirkungen auf so unterschiedliche Gebiete wie die Wirtschaft, das Wesen der Arbeit und die internationale Sicherheit. Im Anhang stellt er 23 tiefgreifende Veränderungen vor und diskutiert ihre Folgen sowie die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens.

Die Vierte Industrielle RevolutionKlaus SchwabPantheon Verlag14,99 €

Neuer Wendepunkt der GeschichteSie war der sprichwörtliche „Motor des Fortschritts“: James Watts Dampfma-schine läutete in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den bisher vielleicht fol-genreichsten Umbruch der Menschheitsgeschichte ein. Heute, so Erik Brynjolfs-son und Andrew McAfee, stehen wir an einer weiteren Schwelle: Das „Second Machine Age“ mit seinen selbstfahrenden Autos, au-tonomen Robotern und der immer mächtigeren künst-lichen Intelligenz könnte ein neuer Wendepunkt sein.

The Second Machine AgeErik Brynjolfsson,Andrew McAfeePlassen Verlag24,99 €

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Wachstum ohne Jobs?Roboter übernehmen immer mehr Tätigkeiten, die bislang Menschen vorbehalten waren – nicht nur in der Logistik oder in Fast-Food-Ketten, sondern auch dort, wo hoch-

uali zierte Arbeit gefragt ist. In Zukunft, so der Autor, könnten beispielsweise Radiologen über üssig wer-den, weil Maschinen ihren Job übernehmen. Welche Auswirkungen hat das auf Wirtschaft und Gesellschaft? Wer kann sich die maschinell hergestellten Produkte und Services künftig überhaupt noch leisten?

Aufstieg der RoboterMartin FordPlassen Verlag24,99 €

thyssenkrupp techforum 02.2016 51

„Mithilfe der Mensch-Roboter-Kollaboration können wir viele Produkte und Prozesse neu er nden enn durch sie können wir neuen Anforderungen gerecht werden, etwa an die Ergonomie oder die Flexibilität der Produktion

Seit 2013 beschäftigt sich der Produktions-techniker Dr. Eckhard Wellbrock mit der Zu sammenarbeit von Menschen und Robotern. Forschung und Entwick-lung sind inzwischen so weit vorangeschritten, dass thyssenkrupp erste Lösungen an seine Kunden aus der Automobil industrie liefert. Das Thema ist aber auch für andere produ zierende Gewerbe hochinteressant. Seite 36