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REITER REVUE INTERNATIONAL 12/2014 27 26 REITER REVUE INTERNATIONAL 12/2014 Da geht noch was! Jede Gangart lässt sich verbessern. Das sagt Dressurreiterin Dorothee Schneider, Ausbilderin zahl- reicher Grand Prix-Pferde. Ihr Konzept für fleißigen Schritt, charmanten Trab, umwerfenden Ga- lopp – so können auch Sie über die Wintermonate mehr aus Ihrem Pferdes herausholen! Grundgangarten verbessern TEXT: KAROLIN LESZINSKI FOTOS: STEFAN LAFRENTZ THEMA DES MONATS

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Page 1: TEXT: KAROLIN LESZINSKI FOTOS: STEFAN LAFRENTZ · 30 REITER REVUE INTERNATIONAL 12/2014 THEMA DES MONATS Zur Seite, bitte! Seitengänge machen das Pferd beweg-lich. Und je beweglicher

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Da geht noch was!Jede Gangart lässt sich verbessern. Das sagt Dressurreiterin Dorothee Schneider, Ausbilderin zahl-reicher Grand Prix-Pferde. Ihr Konzept für fleißigen Schritt, charmanten Trab, umwerfenden Ga-lopp – so können auch Sie über die Wintermonate mehr aus Ihrem Pferdes herausholen!

Grundgangarten verbessern

TEXT: KAROLIN LESZINSKI FOTOS: STEFAN LAFRENTZ

T H E M A D E S M O N AT S

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T H E M A D E S M O N AT S

Wie ein Uhrwerk trabt der braune Wallach mit großen Tritten, im Takt schnaufend über den Dressur-platz, tack-tack-tack-tack ... „It’s Showtime“, könnte am grauen

Himmel stehen! Den dunklen Winterpelz aufgestellt wie die plüschigen Ohren – der Hochnebel hängt an diesem Herbsttag über Framersheim, der Heimat von Dorothee Schneider und ihren Pferden. Reiter Revue International ist zu Gast bei der Silber-Medaillen-Gewinnerin von London 2012. So viele Talente hat sie zur Grand Prix-Reife geformt, sie erstrahlen las-sen – in jeder Grundgangart. Denn genau darum geht es: um mehr Eleganz im Schritt, mehr Charme im Trab, mehr „Wow“ im Galopp. Darum, wie auch Sie aus Ihrem Pferd über die Wintermonate mehr herausholen können, um mehr zu glänzen, um im Protokoll aus einer 7 eine 8 zu machen oder einfach nur um mehr Freude an jeder Gangart zu haben.

Alle drei Grundgangarten lassen sich verbessern, ist Dorothee Schneider überzeugt. „Durch gutes Rei-ten, durch einen guten Sitz, durch Geraderichtung“, sagt die 45-Jährige und setzt zum praxistauglichen Anschauungsunterricht an. Mit dem acht Jahre al-ten Sandro Hit-Rotspon-Nachkommen Showtime, der zehnjährigen Rubin Royal-Feiner Stern-Tochter Rock‘n Rose und dem neunjährigen St. Emilion von Sandro Hit-Ehrenwort. Detailverliebt erklärt sie, wo-rauf es ankommt: die Stärken und Schwächen her-ausarbeiten, erfühlen, wo das Pferd seine natürliche Schiefe hat. Wissen Sie es bei Ihrem Pferd?

Schneiders roter Faden: die Geraderichtung

„Auf die Geraderichtung wird viel zu wenig Wert gelegt“, sagt Dorothee Schneider, „dabei erlebt man sehr schnell einen Aha-Effekt in jeder Grundgang-art, wenn man beherzigt, dass jedes Pferd eine natür-liche Schiefe und damit eine hohle und eine stram-me Seite hat.“ Wo Ihr Pferd hohl ist, können Sie füh-len, beispielsweise beim Abwenden auf den zweiten Hufschlag. Das links hohle Pferd wird auf der linken Hand sehr leicht nach innen zu stellen sein, aber auch mit der Hinterhand nach innen und über die äußere Schulter wegdrängen. Auf der rechten Hand lässt sich dieses Pferd in der Wendung nur ungern nach rechts stellen und drängt mit dem ganzen Kör-per gegen den inneren Schenkel. Das erste Gebot bei Dorothee Schneider lautet daher: Weg von der Ban-de, auf dem zweiten Hufschlag reiten! „Und zwar geradeaus, ohne dass mein Pferd zu einer Seite weg-driftet.“ Das Reiten auf dem zweiten Hufschlag ist Test und Wegbereiter zugleich, es ist der erste Schritt zur Geraderichtung. Das zweite Schneider‘sche Ge-bot: Das Pferd auf beiden Seiten gleichmäßig arbei-

ten, um es auf beiden Seiten zu kräftigen. Aber: nicht auf beiden Seiten gleich reiten wollen! Um bei dem links hohlen Beispiel-Pferd zu bleiben: Hier muss der Reiter auf der linken Hand darauf achten, dass das Pferd mehr an den äußeren, also den rech-ten Zügel herantritt und mit dem inneren Hinter-bein nicht seitlich nach innen schwenkt. Also muss der Reiter mit dem inneren Schenkel an den äußeren Zügel herantreiben – das Pferd wird in sich gerade, arbeitet unter den Körper. „Ich habe dadurch mehr Schwungentwicklung und eine schönere Gangart“, sagt Schneider.

Auf der strammen Seite ist der Weg zum Ziel ein anderer: „Hier lässt sich das Pferd ungern im Genick stellen, die Rippenpartie bleibt in sich fest, das Hin-terbein arbeitet auch etwas nach innen, aber nicht nur das, sondern der ganze Körper drückt gegen den inneren Schenkel.“ Deshalb arbeitet Dorothee Schneider auf der strammen Seite viel im Schulter-vor, damit sich das Pferd um den inneren Schenkel hohl macht, biegt und mit dem inneren Hinterbein zur äußeren Schulter und zum äußeren Zügel hin arbeitet. „Durch die Biegung und Stellung, die ich mir durch den inneren Schenkel und durch das An-nehmen und Nachgeben des inneren Zügels erarbei-te, brauche ich die Begrenzung durch den äußeren Zügel und am Hinterbein mit dem äußeren Schen-kel. Dadurch fußt das innere Hinterbein unter den Körper zum Maul hin. Das Pferd ist durchlässig, die Paraden kommen besser an, die Gangarten werden schöner.“ Das Ziel ist eine gleichmäßige Anlehnung, ein Führen des Pferdes zwischen beiden Zügeln und beiden Schenkeln. „Das geht nur, wenn das Pferd nicht zu einer Seite ‚leer’ bleibt, also an einen Zügel herantritt, aber an den anderen nicht!“

Freie Schulter – mehr RaumgriffIm Schritt ist die Anlehnung ein wichtiges Thema.

„Oft sieht man auf Turnieren, dass der Schritt lang-sam mit einem kurzen Zügel geritten wird. Wie soll das funktionieren?“, sagt Dorothee Schneider und erläutert: „Im Schritt fehlt naturgemäß der Schwung. Das Pferd braucht seine schreitenden Bewegungen und den Hals als Balancierstange, um durch den Kör-per zu schreiten. Diese Nick-Bewegung im Hals muss man als Reiter mit einer leichten Hand zulassen ohne die Verbindung zu verlieren. Ist der Zügel zu kurz und der Sitz passiv, kommt das Pferd nicht von hinten nach vorne zur Hand. Dann ist der Raumgriff deut-lich kürzer, der Schritt nicht fleißig und schon gar nicht schreitend.“ Auf Emilion demonstriert Schnei-der, wie der Raumgriff mit kürzerem Zügelmaß weni-ger wird – um ihn im nächsten Moment wieder nach vorne zu lassen. Der Rappe dehnt sich an die Reiter-hand, öffnet das Genick, die Schritte werden größer.

Eine steile Schulter ist gerade im Schritt eine gern verwendete Entschuldigung für mangelnden Raum-griff. Zurecht? Nicht immer. „Aber beim Schritt kann man an der Schulterfreiheit tatsächlich nicht viel machen.“ Im Trab und Galopp spielt die relative Auf-richtung eine Rolle. Durch sie kann man das Manko einer steilen Schulter – immer vorausgesetzt das Sat-telzeug passt – teilweise wett machen. Durch gerade-richten! Denn dann arbeitet das Pferd geschlossener von hinten nach vorn, wird größer. „Wichtig ist da-bei das freie Genick“, betont die Ausbilderin.

Es gibt kein Schema F in der „Trainingsstube“ von Dorothee Schneider. Auch nicht in Sachen Kopf-Hals-Einstellung. „Es gibt Pferde, die etwas mehr Dehnung brauchen und runder gehen sollen, aber immer mit geöffnetem Genick. Und es gibt Pferde, die freier bleiben müssen, um die Bewegungsdyna-mik von hinten nach vorne durchlassen zu können.“ Der Reiter muss fühlen, in welcher Einstellung sich das Pferd aus dem Widerrist heraus dehnt und das Genick öffnet. „Man kann nicht pauschal sagen, bei allen Pferden muss das Genick der höchste Punkt sein! Es kommt auf das Exterieur an. Denn ist das Pferd zu hoch eingestellt, kippt der Rücken nach un-ten weg, selbst wenn das Genick offen ist. Damit ha-ben wir nichts gewonnen.“ Sondern einiges verloren. Nämlich Balance und Takt.

Ein Balance- und Takt-Killer kann auch das falsche Tempo sein. „Man sollte für sein Pferd das Tempo fin-den, in dem es sich wohlfühlt und anfängt zu schwingen. Reite ich zu schnell, fängt das Pferd an zu laufen, reite ich zu langsam, geht mir hinten der Mo-tor aus. Als Reiter muss ich das erfühlen!“

Gelingt Ihnen das, schreitet, trabt und galoppiert auch Ihr Pferd wie ein Showtime: zufrieden, mit Rhythmus und Charme. Ganz einfach, oder?

So kommt Ihr Pferd in die Gänge➛ Finden Sie heraus, wo Ihr Pferd seine

natürliche Schiefe hat. Jedes Pferd ist auf einer Seite „hohl“ und auf der anderen „stramm“ – Sie müssen beide Seiten un-terschiedlich gymnastizieren.

➛ Reiten Sie viel auf dem zweiten Huf-schlag. Das ist der erste Schritt zur Gera-derichtung.

➛ Nur wenn das Pferd in sich gerade ist, arbeitet es mit beiden Hinterbeinen un-ter den Körper, kann Fleiß im Schritt, Schwung im Trab und den Sprung im Galopp entwickeln.

➛ Eine positive Körperspannung des Rei-ters im Schulterbereich, eine flexible Mit-telpositur, ein langer Schenkel und ein flexibles Handgelenk transportieren die Bewegung des Pferdes von hinten nach vorne an die Reiterhand und unterstüt-zen das Pferd in der Versammlung und der Verstärkung.

➛ Impulse motivieren das Pferd, ein stetig treibender Schenkel macht träge.

➛ Die Kopf-Hals-Einstellung des Pferdes ist wichtig für den Raumgriff. Ist das Pferd zu eng, kann es nicht frei aus der Schul-ter nach vorne treten und bleibt hinter den Hilfen.

➛ Tempo-Unterschiede und Übergänge von Gangart zu Gangart schließen das Pferd von hinten, kräftigen und verbes-sern die Losgelassenheit. Trab und Ga-lopp bekommen mehr Ausdruck und Kadenz.

➛ Seitengänge machen das Pferd in sich

gerade und beweglich – jede Gangart profitiert.

➛ Loben Sie Ihr Pferd, sobald es richtig reagiert – positive Verstärkung ist die beste Motivation, Ihr Pferd wird sich schnell das nächste Lob abholen wollen!

Die Geraderichtung ist das Steckenpferd von

Dorothee Schneider. Dazu zählt die Arbeit im

Schulterherein.

So soll‘s sein: St. Emilion dehnt sich zufrieden an die Reiterhand. Das Genick bleibt offen, er kommt von hinten nach vorne zum Schreiten.

UNSERE EXPERTIN

Dorothee Schneider Die Pferde-wirtschafts-

meisterin lebt und trai-niert auf dem Gestüt St. Stephan in Framersheim und ist Chef-Bereiterin des Gestüts Peterhof in Perl-Borg. Sie hat zahl-reiche junge Pferde zur Grand-Prix-Reife ge-formt. Bei den Olympi-schen Spielen in London gewann sie mit dem deutschen Dressurteam die Silbermedaille.

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Zur Seite, bitte!Seitengänge machen das Pferd beweg-lich. Und je beweglicher das Pferd, des-to besser die Grundgangarten.

Rock’n Rose hat die Lösungsphase hinter sich. Die Stute hat ein damenhaft-feines Gesicht, beeindruckt aber durch einen unglaublich großrahmigen Körper und ganz viel Bewegung.

Warum Dorothee Schneider gerade sie ausgewählt hat, wird klar, als sie die ersten Traversalen reitet. Das kann sie! Mit Seitengängen feilt Dorothee Schneider an der Geraderichtung des Pferdes und verbessert die Grundgangarten: Mehr Beweglichkeit, mehr Raum-griff heißt das Rezept! Klingt logisch. Aber auch hier wird schnell klar: Das Wie ist entscheidend. Denn: Einfach „Rüberdrücken“ bringt’s nicht. Weder beim Schenkelweichen, noch beim Schulterherein, noch bei der Traversale.

Eine der liebsten Übungen im Repertoire der Dres-surausbilderin ist der Wechsel Schulterherein-Traver-sale-Schulterherein. Dabei ist eine gute Vorbereitung schon ein Teil der Miete. „Reite ich zum Beispiel im Galopp im Schulterherein oder Schultervor aus der Ecke, habe ich viel mehr Chancen, mein Pferd mit dem Hinterbein unter den Körper zu arbeiten. So be-komme ich die gewünschte Bergauf-Tendenz“, erklärt

Für mehr KontrolleSchenkelweichen auf dem zwei-ten Hufschlag: Prüfstein für den Reiter, Gymnastik für den gesam-ten Pferdekörper.

Für mehr DynamikIn der Galopptraversale aktiviert der Reiter automatisch das äuße-ren Hinterbein und das macht schließlich den Galoppsprung.

Dorothee Schneider. Dabei unterscheidet die Ausbil-derin auch hier Details, die die natürliche Schiefe mit sich bringt. „Auf der hohlen Seite muss ich mehrere Sachen machen, wenn ich aus der Ecke komme: Ich muss den äußeren Zügel und den inneren Schenkel stabilisieren, um das Pferd in sich gerade zu haben. Erst aus dieser Situation heraus darf ich ein Schulter-herein entwickeln. Schulterherein heißt ja ‚äußere Schulter herein’, es ist kein Herumziehen des Halses nach innen und fertig. Es ist ein Ausrichten der äuße-ren Schulter vor das innere Hinterbein.“ Dann erst geht es in die Traversale. So verhindert der Reiter, dass die Hinterhand „vorausläuft“.

„Auf der strammen Seite muss ich über die Schul-terherein-Arbeit und über das Biegen das Fließen in der Traversale vorbereiten“, erklärt Schneider. Auf beiden Seiten ist dieser Lektionswechsel eine gute Übung und eine Vorbereitung, ehe man direkt in die Traversale einsteigt. Der Reiter ist gefordert, immer wieder die äußere Schulter vor das innere Hinterbein zu richten. Die Belohnung: Absolute Kontrolle und ein durch den Körper schwingendes Pferd.

Durch die Traversale und das Schulterherein verbes-sert der Reiter die Beweglichkeit im Hinterbein, weil er das Pferd vor dem inneren Schenkel hat und es an seinen äußeren Zügel herantritt. „Viele versuchen über vermehrte Stellung und vermehrten Druck durch den äußeren Schenkel besser rüberzukommen. Das funktioniert nicht. Stelle ich das Pferd zu sehr, verliere ich die Kontrolle über die äußere Schulter und über das äußere Hinterbein. Auch wenn es sich zunächst unlogisch anhört: Die äußere Schulter macht die Seitwärtsbewegung und über die äußere Schulter natürlich auch das äußere Hinterbein!“ Ins-

gesamt fördert man so das geschlossene Traben und Galoppieren. Besonders im Galopp lässt sich auf diese Weise noch mehr Bergauf und Raumgriff herauskit-zeln. Dorothee Schneider erklärt, warum: „Das äuße-re Hinterbein macht den Galoppsprung. Es drückt vom Boden ab und macht den Raumgriff.“ Arbeitet das äußere Hinterbein nicht mit, bleibt das Pferd im Galoppablauf flach, der Schwerpunkt landet eher auf dem Vorderbein. Die Seitwärtsarbeit hat also hübsche Nebeneffekte: „Wenn ich das äußere Hinterbein im Galopp aktiviere und fleißig mache, fußt das Pferd besser vom Boden ab und kommt insgesamt schöner durch den Körper durch. Dadurch habe ich eine ver-besserte Schulterfreiheit, einen runderen, größeren Ablauf im Galopp und damit eine verbesserte Grund-gangart.“

Ein Fehler, zu dem viele Reiter jedoch neigen, ist die Seitwärtsbewegung zu steil zu reiten. Dadurch ge-hen Stellung, Biegung und vor allem Schwung und Takt oftmals verloren. Deshalb rät sie zudem Wechsel zwischen Schulterherein und einer flachen Traversale zu reiten. „Ich kann so mein Pferd immer wieder in sich geraderichten, um dann den Schwung ins Vor-wärts-Seitwärts zu nutzen.“ Hilfreich ist es, wenn der Reiter einen Punkt für eine flach angelegte Traversale fixiert und mit dem Auge dorthin reitet. „Schaut man runter aufs Pferd, zieht man schnell zu viel am inne-ren Zügel, treibt mit dem äußeren Schenkel zu viel und mit dem inneren zu wenig.“

Kann das Pferd noch keine Traversale, funktioniert das ganze auch mit Schenkelweichen. „Alles was seit-wärts geht, fördert die Beweglichkeit. Man muss Sei-tengänge allerdings immer dosiert einsetzen und darf sie nicht zu steil ansetzen.“ Schneider steuert mit Rock’n Rose die imaginäre Linie entlang des zweiten Hufschlags an. „Hier merkt man schnell, ob das Pferd an den Hilfen steht: Sobald es gegen den inneren Schenkel oder über die Schulter drückt, kommt es von der Linie ab. Eine gute Übung, um das Pferd zwi-schen den Hilfen zu halten und die Beweglichkeit zu fördern.“ Schenkelweichen in die Bahn erfüllt zwar ebenfalls seinen Zweck, allerdings bleiben hier kleine Ungenauigkeiten eher unbemerkt als beim Seitwärts-reiten auf einer geraden Linie. Als Pendant zum Schulterherein-Traversale-Schulterherein rät Schnei-der zum Wechsel aus Schenkelweichen, eine Pferde-länge geradeaus und dann wieder Schenkelweichen. „Damit ich fühle, wie mein Pferd seitwärtstritt und ob ich es zwischen den Hilfen habe.“

Alle Seitwärts-Übungen funktionieren in allen drei Grundgangarten und erzielen einen enormen Effekt: Die Bewegungsabläufe werden größer, dynamischer, ausdrucks- und kraftvoller. Aber: „Ich muss als Reiter vorher sicherstellen, dass der Schub im Schritt, der Schwung im Trab und Galopp nach vorne zur Hand durchgehen.“ Reitet man zu früh seitwärts, verpufft der Effekt wie eine Seifenblase.

Für mehr Beweg-lichkeit(1) Aus dem Schulter-herein in die (2a/b) Traversale, so behält Dorothee Schneider Kontrolle über die äußere Schulter und das äußere Hinter-bein. Dann ist das Seitwärts-Reiten eine Bereicherung für die Grundgangarten, sie werden ausdrucksvol-ler, das Pferd wird beweglicher.

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1 2a 2b

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siert, wenn er sich über seinen Sitz bewusst wird, „kann er unwahrscheinlich viel Positives in einer Grundgangart bewirken.“

Tempounterschiede sind zudem die beste Vorberei-tung für Versammlung und Verstärkung. „Ich schlie-ße das Pferd, treibe das Hinterbein unter den Körper und mit der Mittelpositur erhalte ich den Ablauf in der Versammlung. Wir wollen ja nicht kürzer traben oder galoppieren, sondern geschlossener und mit Raumgriff.“ Im Prinzip gilt dies auch für die Verstär-kungen. Um zu verhindern, dass das Pferd im Mittel-trab lang wird, ins Laufen gerät und eng auf der Vor-hand landet, hilft das Wechselspiel aus „vor und zu-rück“. „Ich möchte eine Rahmenerweiterung, keine ‚Länge‘ im Pferd. Deshalb bringt es nichts, die Diago-nale herunterzubrettern.“ Weniger ist mehr. Schnei-der entwickelt das Zulegen zunächst nur über ein paar Meter und nimmt das Pferd dann wieder zurück. Nur wenn das Pferd genügend Kraft besitzt, kann es einen ausbalancierten, dynamischen Mitteltrab zeigen und halten. Mit Schub aus der Hinterhand, frei aus der Schulter, schwungvoll über den Rücken. Was will man dann noch mehr?

Für mehr SchwungRahmenerweite-rung ja, Länge nein. Dorothee Schneider legt zu, der Schwung ent-wickelt sich von hinten nach vor-ne, das Genick ist offen, das Pferd von hinten ge-schlossen.

Für den gro-ßen Galopp(1) Rückfüh-rung im Galopp wie aus dem Bilderbuch: Dorothee Schneider de-monstriert mit Showtime den Weg zur Ver-sammlung.(2) Durch das Schultervor hält sie die Hin-terhand ge-schmeidig und aktiv unter dem Pferdekörper.(3) Kompakt, aber groß und kraftvoll berg-auf galoppiert der Wallach weiter.

Mit St. Emilion, Stallname „Emil“, arbeitet Dorothee Schneider an Trab-Schritt-Über-gängen. Der Wechsel von einer Gangart zur nächsten ist bestes Krafttraining und

ein Spiegel für die Rückentätigkeit. Was Kraft mit gu-ten Grundgangarten zu tun hat? Viel. Denn ohne Kraft keine Kadenz. Nur ein kräftiges Pferd kann seine Bewegungsqualität halten. Den Übergang zum Schritt reitet Schneider leicht im Schultervor. „Damit das Pferd im letzten Moment der Lastaufnahme nicht gegen meinen inneren Schenkel wegarbeitet, sondern mit dem inneren Hinterbein zur äußeren Schulter hin. Ich bleibe auf beiden Gesäßknochen sitzen, kni-cke nicht nach innen ein. Dadurch tritt das Hinter-bein fleißiger vor meinem Becken zur Hand“, erklärt Schneider. Sie entlässt Emil nicht sofort in den Schritt, die letzten drei bis vier Trabtritte versammelt sie den feinen Rappen extrem, piaffe-ähnlich. „Würde ich sofort zum Schritt durchparieren, landet das Pferd schnell auf der Vorhand. Gerade im Training lasse ich das Pferd noch kurz weiterarbeiten, also im Moment der Parade trabe ich mit meinem Sitz im Rhythmus

Die Wechsel von einer Gangart zur nächsten und Tempounterschiede schaffen Losgelassenheit und Kraft. Und sind für Dorothee Schneider ein wei-terer Baustein zur Geraderichtung, zu mehr Go und die Vorstufe jeder Verstärkung.

Übergangs-Weisen

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weiter und dann erst pariere ich durch zum Schritt.“ Aus dem Schritt geht es wieder frisch in den Trab, von hinten nach vorne mit Schwung, aber stets auf dem Hinterbein sitzend. Nach dem selben Schema funkti-onieren alle Übergänge, zwischen Trab und Galopp sowie Schritt und Galopp.

So wichtig wie die Übergänge von Gangart zu Gangart sind, ist auch das Reiten von verschiedenen Tempi. In Maßen im Schritt, um nicht durch ein zu frühes Zurückführen eine Taktstörung wie den Pass zu provozieren. Aber um mehr aus Trab und Galopp rauszuholen, sind Tempounterschiede geradezu geni-al. Und: Auch hier geht‘s um Geraderichtung.

„Auf der strammen Seite versuche ich dieses Wech-selspiel aus ‚vor und zurück‘ im Schulterherein einzu-leiten. Gerade beim Zurücknehmen, wenn es fürs Pferd anstrengend wird, kann ich es auf diese Weise unterstützen. Ich verhindere, dass es sich nach innen wegdrückt. Es fußt mit dem inneren Hinterbein unter den Körper. Mit meinem Sitz halte ich den Galopp oder den Trab erhaben. Ich sitze also nicht kurz und knapp, sondern groß. Ich setze das Becken ein, mache die Bewegung nach vorne frei. Wenn ich das Genick entsprechend frei habe, das Pferd an die Hand heran-tritt und nicht eng bleibt, kann die Bewegung durch den Körper nach vorne durchfließen. Jeder Trabtritt und Galoppsprung wird rund, groß und schöner.“

Auf der hohlen Seite ist die Sache komplizierter. Schneider wendet mit Emil im Galopp auf den zwei-ten Hufschlag ab, nimmt ihn zurück. „Mit dem äuße-ren Zügel sichere ich die äußere Schulter ab und stelle das Genick vorsichtig nach außen ab. Gleichzeitig muss ich aber mit dem inneren Schenkel das innere Hinterbein unter dem Pferdekörper halten und mit dem Becken den Rhythmus halten.“ Klingt kompli-ziert. „Aber es ist so wichtig! Wenn ich eines der Din-ge nicht mache, weicht mir entweder das innere Hin-terbein nach innen aus oder der Galopp wird kurz und landet auf dem äußeren Vorderbein.“ Schneider ist überzeugt: Wenn der Reiter fühlt, was im Pferde-körper auf der hohlen und der strammen Seite pas-

Für mehr KadenzKurz vor der Parade zum Schritt soll Emil im Trabrhythmus weiterarbeiten ...

... Dann „entlässt“ Dorothee Schneider ihn in den Schritt bei weicher Verbin-dung zum Pferdemaul.

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Stangen für schöne Gänge Nicht nur die Olympiasiegerin der Vielsei-

tigkeit Ingrid Klimke schwört auf Cavaletti-Arbeit. Die Arbeit über Stangen sollte jede Woche einmal auf dem Trainingsplan stehen – die Konstanz bringt den Erfolg. Schrittcava-letti verbessern den Takt, Trab- und Galopp-Cavaletti verbessern Schwung und Beweglich-keit. Werfen Sie einen Blick in unsere November-Ausgabe: Dort stellen wir Ihnen 16 Übungen mit Bodenricks vor, die für Ab-wechslung und Ausdruck sorgen!

Ruhig BlutGelassenheit ist das A und O im

Training bei Dorothee Schneider. Auslauf bringt Gelassenheit. „Bei mir gehen alle Pferde täglich auf den Sandpaddock oder die Weide, damit sie sich so bewegen können wie sie wollen, mental entspan-nen, mal etwas anderes sehen. Sie sind mit sich und der Welt zufrie-dener, gelassener und in der Lage, sich besser zu konzentrieren.“ Außerdem legt Schneider Wert auf Abwechslung. Ausritte, Frei-springen und Springgymnastik gehören zum Wochenplan.

In feiner HandarbeitDie Arbeit vom Boden aus als Ergänzung

zum täglichen Training verbessert Grundgang-arten. Davon ist die Pferdewirtschaftsmeisterin Karin Heß-Müller überzeugt. In ihren Büchern, wie „Pferde arbeiten an der Hand“ aus dem

Kosmos-Verlag beschreibt sie im Detail, wie sie sich an Lektionen wie den Spanischen Schritt herantastet. „Gerade der Spanische Schritt und der Weg dorthin verbessern den Trab“, sagt die Aus-bilderin. Körpergefühl, Muskulatur im Schulterbereich und Schul-terfreiheit werden so geschult. Aber auch bei jungen Pferen setzt Heß-Müller die Handarbeit ein, „die Pferde lernen so schneller und in Ruhe die treibenden und die Zügelhilfen kennen, beim Anreiten macht sich das positiv bemerkbar und letztendlich gehen diese Pferde früher locker und gelassen durchs Genick, mit schö-ner Anlehnung und im Takt.“

Für Dorothee Schneider steht und fällt die Bewe-gungsqualität des Pferdes mit dem Sitz des Rei-ters. Also kann man mit dem Sitz die Grund-gangarten verbessern? Ja! Schneider deutet auf

ihr Becken, „hier transportiere ich den Schwung von hinten nach vorne. Wenn ich in der Mittelpositur steif bin und dadurch das Becken hinten bleibt, wie soll denn dann das Hinterbein über den Rücken etwas nach vorne transportieren? Ich bremse ja den Schwung aus!“ Also auf beiden Gesäßknochen sitzen und mit dem Becken den Schwung nach vorne durch-lassen und unterstützen. „Dann kann auch die positi-ve Eigenschaft einer jeden Grundgangart vorne an-kommen.“

Zu einem beweglichen Becken gehört aber auch die positive Körperspannung im oberen Rücken-Schulter-Bereich. Schneider erklärt, warum: „Wenn die Schul-ter nach vorne hängt, kippt das Becken zurück. Rich-tet sich die Schulter auf und schiebe ich das Brustbein vor, kommt auch das Becken nach vorne.“ Jetzt müs-sen nur noch die Reiterbeine mitspielen. „Drücke ich die Knie und Oberschenkel zu, drücke ich mich auto-matisch aus dem Sattel und mein Becken ist steif. Öff-ne ich Knie und Oberschenkel, sitze ich auf beiden Gesäßknochen. Wenn ich dann noch die Schulter zurücknehme, kippt das Becken nach vorne.“ Damit macht Schneider den Weg frei für Bewegung und Rü-ckentätigkeit, für Schwung und Sprung im Trab und Galopp, für Fleiß und Schreiten im Schritt. „Der Schenkel darf auf keinen Fall drücken! Besser einen Impuls geben, also einmal sagen, ‚komm jetzt, sei flei-ßig‘, eventuell auch mit der Gerte einmal anticken. Wenn das Pferd dann positiv mit dem Hinterbein re-agiert, einmal loben. Das kommt gut im Kopf des Pferdes an, und es will sich beim nächsten Mal noch-mal ein Lob abholen“, rät Dorothee Schneider. Auch ein fauleres Pferd lässt sich so motivieren. „Die Pferde haben es leichter, sind motivierter, für den Reiter et-was zu tun und gehen am Ende des Tages zufriedener in die Box.“

Der Transportweg eines jeden Schritts, Tritts und Galoppsprungs endet an der Reiterhand. Von hier aus fließt die Bewegung des Pferdes direkt über den Zügel ins sensible Maul des Pferdes. Um den Schwung nicht

Die goldene MitteJe besser Sie sitzen, desto besser fließen die Bewegungen Ihres Pferdes. Ergebnis: mehr Flow, mehr Go! Dorothee Schneider erklärt, wie’s geht.

auf der letzten Station im Keim zu ersticken muss das Handgelenk flexibel sein und wie das Becken schnell agieren können. „Was vorne ankommt, soll durchläs-sig bleiben“, sagt Schneider. Bleibt der Reiter vorne hängen, bremst er sein Pferd hinten aus, der Raum-griff geht verloren, der Schwung landet auf der Vor-hand und damit im Sand – der Effekt: Kratzen im Ga-lopp, Tippeln im Trab, Schlurfen im Schritt.

Das Maul und das Genick fühlen mit einer bewegli-chen Hand, nur so kann sie die Bewegung des Pferdes nach vorne herauslassen. Dann kommt eine positive Anlehnung zustande. „Wegschmeißen bringt nichts, weil dann der Zügel durchhängt. Stehen lassen bringt nichts, weil sich das Pferd dann abstößt und hinterm Gebiss bleibt.“

Ein häufiger Fehler ist laut Dorothee Schneider auch, dass viele Reiter auf der hohlen Seite des Pferdes die äußere Reiterhand in der Wendung über den Mäh-nenkamm drücken. Das Ergebnis: Das Pferd verkantet im Genick und läuft über die äußere Schulter weg. „Viele machen das, weil sie das Gefühl haben, das Pferd wendet nicht. Aber warum wendet es nicht? Weil es nicht am äußeren Zügel ist. Was macht die Wendung? Die Schulter macht die Wendung, nicht der Hals. Ich tendiere eher dazu – wenn links die hoh-le Seite ist – mit der rechten Hand mehr nach rechts zu gehen, damit mein Pferd eine bessere Führung fin-det.“ Nur so gelingt eine gleichmäßige Führung zwi-schen beiden Zügeln und beiden Schenkeln. Und dann kann ein guter Sitz Sie im Viereck zum Glänzen bringen – in jeder Gangart! ❚

Statt über den Mäh-nenkamm zu drü-cken, rät Schneider, die äußere Hand nach außen zu schie-ben, um Kontakt zum Pferdemaul herzu-stellen.

Ein flexibles Handgelenk ist Bewe-gungs-Bot-schafter: es leitet Fleiß und Schwung zum Pferde-maul.

Handbremse im wahrsten Sinne: Die verdeckte Hand bleibt hinter dem Sattel hängen, bremst Bewe-gungen aus.

Auch Bundeschampionessen dürfen raus: Zikade genießt die Auszeit sichtlich.

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