thesenpapier strukturwandel der landwirtschaft

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1 Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ZEGK Historisches Seminar Sommersemester 2013 Hauptseminar: Regionalgeschichte als Globalgeschichte Dozent: Prof. Dr. Edgar Wolfrum Referenten: Fabian Kunz, Dominic Gassert 07.05.2013 Strukturwandel der Landwirtschaft: Tourismus statt Ackerbau im Schwarzwald und am „schwäbischen Meer“ Ausgangslage der Landwirtschaft: Im heutigen Baden-Württemberg gab es unterschiedliche Erbregelungen, zum einen das Anerbenrecht und zum anderen die Realerbteilung. Der Al- leinerbe in Anerbengebieten konnte von seinem geerbten Land leben. Dies steht im Gegensatz zu Regionen mit Realerbteilung, in denen es zu einer stetigen Teilung des Grundbesitzes kam. Die daraus resultierenden Acker- flächen waren oftmals zu klein um ein Auskommen zu sichern und deshalb wurden Nebenerwerbsmöglichkeiten im Handwerk gesucht. Die Realerbteilung hat den Ausbau der Industrie und des Dienstleis- tungssektors begünstigt. Entwicklung der Landwirtschaft in Baden-Württemberg: Die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe ist seit Bestehen des Bundeslandes kontinuierlich zurückgegangen. Waren 1960 noch über 330.000 Höfe regis- triert, sank diese Zahl bis heute auf nur noch knapp 43.000. Jedoch stieg die Zahl der Großbetriebe mit einer Größe von über 50 Hektar um mehr als das Zehnfache. Ebenfalls nahm die durchschnittliche Größe der einzelnen Höfe im Schnitt beachtlich zu. Dies lag vor allem an der zunehmenden Technolo- giesierung der Landwirtschaft und dem Aufkommen internationaler Märkte. Damit die Landwirtschaft konkurrenzfähig bleiben konnte, war es wichtig die Vielzahl an kleinen Höfen in große, produktionsstarke Betriebe umzuwandeln. Internationaler Handel als Konkurrent für deutsche Landwirtschaft: Seit der Gründung der Bundesrepublik wurden Versuche unternommen die eigene Landwirtschaft zu stützen und vor internationalen Einflüssen zu schützen. Im ersten Paragraphen des Landwirtschaftsgesetzes von 1955 wird dies als "Nachteilsausgleich", im EWG-Vertrag als "Stabilisierung der Märkte" formuliert. Zwar wurden schon 1962 direkte Einkommenszahlun- gen an landwirtschaftliche Betriebe vorgeschlagen, doch dieser Forderung wurde erst 1999 nachgekommen. In den vier Jahrzehnten dazwischen wollte die EU den Einfluss der Weltmarktpreise auf die europäische Landwirt- schaft aushebeln. Die Gemeinsame Agrarpolitik bestand aus diesem Grund aus Exportsubventionen und dem Aufkauf von Überschüssen. Der gesetzlich festgeschriebene Schutz der Landwirtschaft hat noch immer Subventionen zur Folge. Trotzdem lässt die Gemeinsame Ag- rarpolitik in zunehmendem Maße eine Angleichung an den Welt- markt zu. Tertiärisierungs- oder Drei-Sektoren-Hypothese: Colin Clark und Allan G. B. Fisher stellen die Hypothese auf, dass es nur drei Wirtschaftsbereiche gibt und unter ihnen eine Verlagerung des Ar- beitsmarktes stattfindet. So sollen im ersten Stadium der Großteil der Men- schen in der Landwirtschaft, dem primären Sektor, arbeiten. Aufgrund tech- nischen Fortschritts wird die Landwirtschaft rationalisiert und das produzie- rende Gewerbe, der sekundäre Sektor, bietet daraufhin die meisten Ar- beitsmöglichkeiten. Der finale Schritt in der Entwicklung zur Dienstleis- tungsgesellschaft ist die aufkommende Dominanz des tertiären Sektors. Zwar treffen die Vorhersagen über die Verlagerung vom primären zum sekundären Sektor zu, doch das Aufkommen der Dienstleis- tungsgesellschaft hat in Baden-Württemberg nicht zu einem signifi- kanten Rückgang der Industrie geführt. Der Hauptkritikpunkt von Hans-Joachim Pohl an der Tertiärisierungshypothese besteht in der Schwierigkeit den tertiären Sektor (im Computerzeitalter) klar zu definieren. Tourismus: Die Voraussetzungen für den Tourismus bei der Landesgründung waren äußerst schlecht: einerseits war das Angebot an Übernachtungsmöglichkei- ten durch Kriegszerstörungen sehr gering, andererseits stand bei der Bevöl- kerung die Daseinsversorgung im Mittelpunkt. Das „Wirtschaftswunder“

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Ein Handout zum Strukturwandel in Baden-Württemberg unter Einbeziehung europäischer Einflüsse.

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Page 1: Thesenpapier Strukturwandel der Landwirtschaft

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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

ZEGK – Historisches Seminar

Sommersemester 2013

Hauptseminar: Regionalgeschichte als Globalgeschichte

Dozent: Prof. Dr. Edgar Wolfrum

Referenten: Fabian Kunz, Dominic Gassert

07.05.2013

Strukturwandel der Landwirtschaft: Tourismus statt Ackerbau im

Schwarzwald und am „schwäbischen Meer“

Ausgangslage der Landwirtschaft:

Im heutigen Baden-Württemberg gab es unterschiedliche Erbregelungen,

zum einen das Anerbenrecht und zum anderen die Realerbteilung. Der Al-

leinerbe in Anerbengebieten konnte von seinem geerbten Land leben. Dies

steht im Gegensatz zu Regionen mit Realerbteilung, in denen es zu einer

stetigen Teilung des Grundbesitzes kam. Die daraus resultierenden Acker-

flächen waren oftmals zu klein um ein Auskommen zu sichern und deshalb

wurden Nebenerwerbsmöglichkeiten im Handwerk gesucht.

Die Realerbteilung hat den Ausbau der Industrie und des Dienstleis-

tungssektors begünstigt.

Entwicklung der Landwirtschaft in Baden-Württemberg:

Die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe ist seit Bestehen des Bundeslandes

kontinuierlich zurückgegangen. Waren 1960 noch über 330.000 Höfe regis-

triert, sank diese Zahl bis heute auf nur noch knapp 43.000. Jedoch stieg die

Zahl der Großbetriebe mit einer Größe von über 50 Hektar um mehr als das

Zehnfache. Ebenfalls nahm die durchschnittliche Größe der einzelnen Höfe

im Schnitt beachtlich zu. Dies lag vor allem an der zunehmenden Technolo-

giesierung der Landwirtschaft und dem Aufkommen internationaler Märkte.

Damit die Landwirtschaft konkurrenzfähig bleiben konnte, war es

wichtig die Vielzahl an kleinen Höfen in große, produktionsstarke

Betriebe umzuwandeln.

Internationaler Handel als Konkurrent für deutsche Landwirtschaft:

Seit der Gründung der Bundesrepublik wurden Versuche unternommen die

eigene Landwirtschaft zu stützen und vor internationalen Einflüssen zu

schützen. Im ersten Paragraphen des Landwirtschaftsgesetzes von 1955

wird dies als "Nachteilsausgleich", im EWG-Vertrag als "Stabilisierung der

Märkte" formuliert. Zwar wurden schon 1962 direkte Einkommenszahlun-

gen an landwirtschaftliche Betriebe vorgeschlagen, doch dieser Forderung

wurde erst 1999 nachgekommen. In den vier Jahrzehnten dazwischen wollte

die EU den Einfluss der Weltmarktpreise auf die europäische Landwirt-

schaft aushebeln. Die Gemeinsame Agrarpolitik bestand aus diesem Grund

aus Exportsubventionen und dem Aufkauf von Überschüssen.

Der gesetzlich festgeschriebene Schutz der Landwirtschaft hat noch

immer Subventionen zur Folge. Trotzdem lässt die Gemeinsame Ag-

rarpolitik in zunehmendem Maße eine Angleichung an den Welt-

markt zu.

Tertiärisierungs- oder Drei-Sektoren-Hypothese:

Colin Clark und Allan G. B. Fisher stellen die Hypothese auf, dass es nur

drei Wirtschaftsbereiche gibt und unter ihnen eine Verlagerung des Ar-

beitsmarktes stattfindet. So sollen im ersten Stadium der Großteil der Men-

schen in der Landwirtschaft, dem primären Sektor, arbeiten. Aufgrund tech-

nischen Fortschritts wird die Landwirtschaft rationalisiert und das produzie-

rende Gewerbe, der sekundäre Sektor, bietet daraufhin die meisten Ar-

beitsmöglichkeiten. Der finale Schritt in der Entwicklung zur Dienstleis-

tungsgesellschaft ist die aufkommende Dominanz des tertiären Sektors.

Zwar treffen die Vorhersagen über die Verlagerung vom primären

zum sekundären Sektor zu, doch das Aufkommen der Dienstleis-

tungsgesellschaft hat in Baden-Württemberg nicht zu einem signifi-

kanten Rückgang der Industrie geführt. Der Hauptkritikpunkt von

Hans-Joachim Pohl an der Tertiärisierungshypothese besteht in der

Schwierigkeit den tertiären Sektor (im Computerzeitalter) klar zu

definieren.

Tourismus:

Die Voraussetzungen für den Tourismus bei der Landesgründung waren

äußerst schlecht: einerseits war das Angebot an Übernachtungsmöglichkei-

ten durch Kriegszerstörungen sehr gering, andererseits stand bei der Bevöl-

kerung die Daseinsversorgung im Mittelpunkt. Das „Wirtschaftswunder“

Page 2: Thesenpapier Strukturwandel der Landwirtschaft

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schaffte jedoch ein Bedürfnis nach Erholung, wodurch die vor allem die

Kurorte steigender Beliebtheit ausgesetzt waren.

Der Tourismus in Baden-Württemberg profitierte in der Zeit des

Wiederaufbaus, da dieser vor allem auf das ländliche Gebiet ausge-

legt war.

Bedingungen für den Tourismus:

Eine wichtige Voraussetzung für den steilen Aufstieg des Tourismus waren

die steigenden Reallöhne. Das Reisen wurde für immer größere Bevölke-

rungsgruppen finanziell erschwinglich. Der soziale Wandel schlug sich

desweiteren in einer verbesserten Urlaubsregelung nieder. Hatte der Arbei-

ter 1950 durchschnittlich 12 Urlaubstage zur Verfügung, so stieg diese Zahl

bis heute auf etwa 30.

Der soziale und wirtschaftliche Wandel war ausschlaggebend für

die Entwicklung des Tourismus.

Entwicklung in Baden-Württemberg:

Der Tourismus erfährt seit den 1950er Jahren einen stetigen Aufschwung

und schreib regelmäßig neue Rekordzahlen. Wurden zu der Anfangszeit des

Landes Baden-Württemberg noch etwa 2,5 Millionen Übernachtungsgäste

gezählt, hat sich die Zahl auf über 18,5 Millionen pro Jahr gesteigert. Eben-

falls gestiegen ist der Anteil an Übernachtungsgästen aus dem Ausland,

wohingegen die Länge der Aufenthalte zurückging.

Tourismuswerbung:

Seit dem 19. Jahrhunderts hat sich am Hauptfaktor im Schwarzwald Urlaub

zu machen, das Erleben von ruhiger Natur, kaum etwas verändert. Dies

spiegelt sich auch in der touristischen Werbung für dieses Gebiet wider.

Hier dominieren neben dem Markenzeichen Bollenhut, vor allem Bilder

idyllischer Natur, die auf den Betrachter Ruhe ausstrahlen sollen. Die Wer-

bung für Gastronomie und traditionelle Produkte, wie den Schwarzwälder

Schinken folgen an zweiter Stelle. Zwar gibt die Schwarzwald Tourismus

GmbH auch Informationen zum Familienurlaub und Mountainbiketrails

aus, doch auch hier wird in erster Linie um Wanderpaare geworben.

Das Hauptaugenmerk des Schwarzwälder Tourismus liegt auf Wan-

derern. Für dieses Zielpublikum wird ein naturverbundenes Bild des

Schwarzwaldes gezeichnet, in dem auch die Gastronomie Platz fin-

det.

Klimatische Veränderungen:

Ein "gutes" Klima im Schwarzwald bedeutet touristisch gesehen dicken

Winterschnee für den Skisport und nicht zu warmes Wanderwetter in den

restlichen Monaten. Die Klimasimulation des Meteorologischen Institutes

der Freiburger Universität ergab, dass sich die Anzahl der feuchtwarmen

Tage bis 2050 im Durchschnitt um bis zu 15 Tage erhöhen könnte. Außer-

dem solle eine Reduktion der Schneedecke eine drastische Verkürzung der

Wintersportsaison nach sich ziehen. Die Szenarien würden sich auf die bei-

den großen touristischen Gruppen der Wanderer und Wintersportler auswir-

ken.

Die tourismusklimatischen Faktoren für den Schwarzwald können

sich wegen dem Klimawandel bis 2050 rapide verschlechtern und

somit die Region für den Tourismus unattraktiver machen.

Literaturverzeichnis: BISSINGER, Manfred (Hg.), Merian Schwarzwald. Heft8/2010, Hamburg 2010.

BRAND-SAßEN, Henning/GOLTER, Friedrich/KÖHNE, Manfred, Landwirtschaft im Um-

bruch. Agrarpolitik, Markt, Strukturen und Finanzierung seit den siebziger

Jahren, Stuttgart 2008.

BUGBEE, Zita/EICHLER, Horst/GEBHARDT, Harald, Baden-Württemberg. Landschaft

im Wandel, Luftbilder aus 50 Jahren, Stuttgart 2009.

ENKE, Harald/KÖRBER-WEIK, Margot, Die sektorale Entwicklung der Wirtschaft Ba-

den-Württembergs in den 70er und 80er Jahren. Strukturwandel, Wachstum

und Beschäftigung, Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft,

Mittelstand und Technologie Baden-Württemberg (Forschungsberichte aus

dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung 9), Tübingen 1991.

HACHTMANN, Rüdiger, Tourismus-Geschichte. Mit 8 Tabellen, Göttingen 2007.

MAHLERWEIN, Gunter, Aufbruch im Dorf. Strukturwandel im ländlichen Raum Baden-

Württembergs nach 1950, Stuttgart 2007.

WEBER, Rheinhold/WEHLING, Hans-Georg (Hg.), Baden-Württemberg. Gesellschaft,

Geschichte, Politik (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-

Württembergs 34), Stuttgart 2006. WEBER, Rheinhold/WEHLING, Hans-Georg (Hg.), Geschichte Baden-Württembergs,

München 2007.