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Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Christoph-Probst-Platz, Innrain 52 6020 Innsbruck „Kriminalität von AusländerInnen: Was wissen wir wirklich?“ Vortragsabend // FeindbildAsylwerberIn Amnesty International Gruppe 13 in Zusammenarbeit mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck 22.04.2009 Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil

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Page 1: Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Christoph-Probst-Platz, Innrain 52 6020 Innsbruck Kriminalität von AusländerInnen:

Univ. Prof. Dr. Andreas ScheilLeopold-Franzens-Universität Innsbruck

Christoph-Probst-Platz, Innrain 52 6020 Innsbruck

„Kriminalität von AusländerInnen:Was wissen wir wirklich?“

Vortragsabend // FeindbildAsylwerberInAmnesty International Gruppe 13

in Zusammenarbeit mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultätder Universität Innsbruck

22.04.2009

Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil

Page 2: Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Christoph-Probst-Platz, Innrain 52 6020 Innsbruck Kriminalität von AusländerInnen:

2Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Empirische Daten und kriminologische Forschungen sind spärlich in Österreich trotz wiederholtem Interesse am Thema

1. Frühe 60er Jahre: Gastarbeiter – Kulturkonflikt durch mobile Arbeiter

2. Frühe 70er Jahre: Wirtschaftskrise durch Ölpreisschock, Kriminalitätsrisiko arbeitsloser Gastarbeiter - soziale Mangellage

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3. Öffnung der Ostgrenzen 1989: „Sozialschmarotzertum“ durch „neue Arme“ (Kriminaltouristen) und wirtschaftliche Konkurrenz durch „neue Reiche“ aus dem Osten Europas (OK) – soziale Überlegenheit der Fremden und Gefährdung der legalen Wirtschaft (Mobilität, freier Kapitalfluss, funktionierende ethnische Netzwerke, hohe Gewaltbereitschaft kraft militärischer Disziplin)

Seit 1989 ist „Ausländerkriminalität“ ein zentrales Thema der Sicherheitsberichte der Bundesregierung über die Innere Sicherheit in Österreich

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4. Sicherheitsbericht 2007 - nur registrierte Kriminalität (Hellfeld)

Die Staatsbürgerschaft ist der alleinige Anknüpfungspunkt für die Eigenschaft „Ausländer“. Soziodemografische Daten wie gesellschaftlicher Status, Bildungsniveau, Maß an Integration werden nicht erhoben, auch darunter leidet die empirische Forschung zu diesem Thema.

Der „kriminelle Ausländer“ im Sicherheitsbericht kann daher ein rumänischer Berufseinbrecher sein, der für eine Woche Österreich heimgesucht hat; oder aber auch ein sozial bestens integrierter deutscher Gastprofessor, der auf seinem Weg zur Universität in der Museumstraße mit seinem Fahrrad einen Fußgänger verletzt hat.

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Dieser Mangel an Information erschwert – und darum geht es ja vor allem beim Thema „Ausländerkriminalität“ – den Vergleich der „Kriminalitätsbelastung“ der Ausländer mit der „Kriminalitätsbelastung“ der Österreicher.

„Kriminalitätsbelastung“: Anteil an den von der Kriminalpolizei geklärten Straftaten bzw an den von den Gerichten Verurteilten im Verhältnis zur registrierten Wohnbevölkerung.

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A. „Verzerrungsfaktoren“ beim Vergleich mit Österreichern:

a. Straftaten, die vor allem (nur) von Ausländern begangen werden (können) – Urkundendelikte; Erschleichung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels(§ 119 Fremdenpolizeigesetz)

b. Viele ausländische Personen halten sich nur vorübergehend (Touristen) oder illegal und daher unregistriert in Österreich auf (Schätzung 500.000 Menschen) – sie fehlen als Bezugsgröße und erhöhen damit die Kriminalitätsbelastung der Ausländer: 1/3 der Mehrbelastung der Ausländer wird darauf zurückgeführt

c. Höhere Anzeigebereitschaft und höhere polizeiliche Kontrolldichte gegenüber Ausländern (Diebstahl, Suchtmitteldelikte, Urkundendelikte etc)

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d. Unterschiedliche soziodemographische Struktur

Ausländer sind im Vergleich zu Inländern in höherem Maße:

jung und männlich; sie leben in Ballungsräumen und sind sozial deutlich schlechter gestellt - Nicht-EU-Ausländer: armutsgefährdet 30 % vs. 11 % Inländer, akute Armut: 18 % vs. 4 % Inländer; Strafentlassene: 50 % Ausländer keinen Pflichtschulabschluss vs. 18 % Inländer; 50 % der Ausländer fallen in das unterste Einkommenszehntel.

All das sind kriminalitätsfördernde Faktoren. Beim Vergleich mit Inländern, die dieselben Eigenschaften aufweisen, halbiert sich der Unterschied in der Kriminalitätsbelastung.

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B. Tatverdächtige Ausländer (2007)

68.941 = 28 % der von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen bei einem Anteil an der registrierten Wohnbevölkerung von 10 %

C. Verurteilte Ausländer (2007)

12.836 = 30 % der von den Gerichten Verurteilten

D. Verurteilungsquote (Anteil an von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen)

Inländer 17 % , Ausländer 19 % - deutet auf Gleichbehandlung von Aus- und Inländern durch die Polizei hin

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F. Anteil der Ausländer an den von der Kriminalpolizei ermittelten Tatverdächtigen (insgesamt 28 %)

§ 88 (fahrlässige Körperverletzung, Verkehrsunfälle) 14 %Suchtmitteldelikte 22 %§ 83 (vorsätzliche Körperverletzung) 23 %--------------------§ 201 (Vergewaltigung) 38 %§ 127 (einfacher Diebstahl) 35 %§ 142 (Raub) 35 %§ 129 (Einbruchsdiebstahl) 50 %§ 130 (Räuberischer Diebstahl – ertappter Ladendieb, 61 % der sich wehrt und mit Beute flieht bzw zu fliehen versucht)

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F. Verurteilungsquote Inländer (17 %) – Ausländer (19%)

Inl. Ausl.

§ 130 (räub. Diebstahl) 42 % 47 %§ 142 (Raub) 29 % 38 % Zuwachs aus § 143§ 143 (schwerer Raub) 53 % 29 % Übertreibung d. Polizei

bei Ausländern§ 201 (Vergewaltigung) 22 % 14 % vorschneller Verdacht

der Polizei g. AusländerSuchtmitteldelikte 21 % 32 % 69% davon Vergehen,

also „Kleinhandel“, kaum Diversion bei Ausländern

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G. Tatverdächtige (TV) nach Aufenthaltsstatus

a. integrierte Ausländer (Arbeiter, Selbständige, Schüler/Studenten, Familiengemeinschaft mit Österreichern); nicht integrierte Ausländer (Touristen, Asylwerber, ohne Beschäftigung, nicht rechtmäßiger Aufenthalt); nicht berücksichtigt: unbekannter Status (3,7 % aller Tatverdächtigen)

b. integrierte ausl. TV: 9,7 % aller TV bei 10 % ausl. Wohnbevölkerung; zusammen machen sie 40 % aller ausländischen TV aus

c. nichtintegrierte ausl. TV: 14,6 % aller TV, also deutlich (ca. plus 50 %) über der ausl. Wohnbevölkerung; zusammen machen sie 60 % aller ausländischen TV aus

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d. Asylwerber als Tatverdächtige

10.602 Tatverdächtige von rund 29.000 Asylwerbern in Österreich

37 % aller Asylwerber sind im Jahr 2007 von der Kriminalpolizei als Tatverdächtige ermittelt worden (vs. 2,4 % der Inländer)

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H. Ausländer in Haft - 45 % der Haftpopulation sind Ausländer

a. 40 % aller Strafgefangenen (2002: 26 %) sind Ausländer bei einem Anteil von 30 % aller Verurteilten

Unbedingte Freiheitsstrafen bei

§ 129 (Einbruchsdiebstahl) Inl. 28 % vs. Ausl. 38 %§ 130 (Gewerbsmäßiger Diebstahl) Inl. 26 % vs. Ausl. 30 %Suchtmitteldelikte Inl. 19 % vs. Ausl. 43 %

Die Verhängung unbedingter Freiheitsstrafen aus generalpräventiven Gründen („Abschreckung“) gegenüber Ausländern vor allem bei diesen Delikten führt zur relativ hohen Haftpopulation der Ausländer.

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b. 57 % der Untersuchungshäftlinge (2002: 52 %) sind Ausländer

Die Untersuchungshaft gegen Ausländer wird wegen derselben Delikte wie unter H. a. verhängt, wobei alleine der dringende Tatverdacht wegen § 130 StGB (gewerbsmäßiger Diebstahls) für 25 % der Untersuchungshaften verantwortlich ist – „Gewerbsmäßigkeit“ ist ein subjektives Merkmal und ohne „Beweisschwierigkeiten“ leicht anzunehmen. Mangelnde Aufenthaltsverfestigung erleichtert die Annahme des Haftgrunds „Fluchtgefahr“.

Verwendete Literatur: Pilgram in Fassmann/Stacher (Hrsg), Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht (2003), Migration und Innere Sicherheit, 305ff; Pilgram in Fassmann (Hrsg) 2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht 2001-2006 (2007), Migration und Innere Sicherheit, 357ff Reindl-Krauskopf/Grafl, Kriminalität nicht integrierter Ausländer, 17. ÖJT III/1 (Wien 2009) - die Tabelle auf Seite 13 stammt aus diesem Buch, BM.I, .Sicherheitshericht 2007 (2009)