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Page 1: UrbanGovernanceEinfuehrung

Informationen zur RaumentwicklungHeft 9/10.2005

Klaus EinigGernot GrabherOliver IbertWendelin Strubelt

Urban Governance

Dipl.-Ing. Klaus Einig Prof. Dr. Wendelin Strubelt Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Deichmanns Aue 31 – 37 53179 Bonn E-Mail: [email protected] [email protected]

Prof. Dr. Gernot Grabher Dr. Oliver Ibert Sozioökonomie des Raumes Geographisches Institut Universität Bonn Meckenheimer Allee 166 53115 Bonn E-Mail: [email protected] [email protected]

Zur Einführung

Renate Mayntz hat in einem kürzlich er-schienen Essay deutlich gemacht, dass das Governancekonzept keine einfache Erweite-rung der politischen Steuerungstheorie zum Inhalt hat, sondern eine grundlegende Ver-schiebung tradierter Fachperspektiven be-inhaltet: Während der Begriff der Steuerung noch die Existenz eines Steuerungssubjekts voraussetzt, dient der Governancebegriff der „Beschreibung von Herrschaftsstruktu-ren, bei denen eine übergeordnete Instanz fehlt“.1 In der Folge verschwimmt die ana-lytische Trennung zwischen Steuerungssub-jekt und Steuerungsobjekt immer mehr. Ge-nerell benennt Governance nun die Gesamt-heit „aller nebeneinander bestehenden For-men kollektiver Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte: von der institutionalisierten zivilgesellschaftlichen Selbstregelung über verschiedene Formen des Zusammenwir-kens staatlicher und privater Akteure bis hin zu hoheitlichem Handeln staatlicher Akteu-re.“ 2 Die Formen von Governance sind nicht statisch, sondern unterliegen einer fortwäh-renden Dynamik.3

Insbesondere auf kommunaler Ebene sind Verschiebungen im Verhältnis von Staat und Gesellschaft als Veränderung des jeweiligen Gewichts des öffentlichen, privaten und drit-ten Sektors wahrnehmbar. Dieser Wandel ist Ausdruck sich ändernder Rollenverteilun-gen zwischen der öffentlichen Verwaltung und nichtstaatlichen Akteuren. Im Verlauf dieses Wandlungsprozesses kommt es zu Überlappungen zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor. An den Schnittstellen der Sektoren bilden sich neuartige, häufig hybride Organisationen und institutionelle Arrangements heraus.4 Unter dem Stichwort „Urban Governance“ werden diese neuen institutionellen Arrangements intensiv the-matisiert.

Das Feld der Urban Governance, in dem das Governancekonzept explizit auf Fragen der Stadtentwicklung und Stadtpolitik übertra-gen wird, gehört zu jenen Diskursen, die sich in der Vergangenheit besonders produktiv entwickelt haben. Davon zeugten auch die Beiträge der Konferenz „Auf Augenhöhe agieren – Urban Governance durch neue

Formen öffentlich-privater Kooperation“, die gemeinsam vom Bundesamt für Bauwe-sen und Raumordnung und dem interdiszi-plinären Forschungszentrum POLIS an der Universität Bonn am 14. Mai 2004 im Uni-versitätsclub Bonn veranstaltet wurde.5 Die-se Konferenz bot eine interessante Plattform für den interdisziplinären und praktisch-theoretischen Austausch zu Fragen von Ur-ban Governance, was nicht zuletzt die hier versammelten Beiträge beweisen.

Was ist Urban Governance?

Der Begriff wird in der Debatte auf zwei ver-schiedene Arten benutzt:

Erstens findet er Anwendung als Terminus technicus, der Koordinationsmodi für kol-lektive Handlungen benennt (z. B. die Go-vernancemodi „Hierarchie“, „Netzwerk“ oder „Markt“).6 Überall dort, wo Menschen sich zu einer Gesellschaft zusammenfügen, entstehen Regeln (Institutionen), die das Zusammenwirken der gesellschaftlichen Elemente koordinieren. „Die Regelungs-struktur und ihre Wirkung auf das Handeln der ihr unterworfenen Akteure steht (…) im Vordergrund“.7 Governance ist in diesem institutionellen Verständnis grundsätzlich zwiespältig. Einerseits grenzen Institutio-nen notwendig Handlungsmöglichkeiten von Individuen ein, andererseits eröffnen sie spezifische Spielräume für individuelles Agieren.8

Zweitens wird Governance heuristisch als ein Sammelbegriff genutzt, der sehr hetero-gene Entwicklungen eines historisch aktuel-len Wandels in der Koordination kollektiver Handlungen einschließt. In diesem zweiten Sinn verstanden klammert Governance alle Arrangements gesellschaftlicher Koordina-tion ein, die der seit Ende der 1970er Jahre konstatierten Wende zum „kooperativen Staat“ 9 zugerechnet werden. Governance erscheint dann als eine Art Gegenmodell zu „Government“, dem klassischen hierarchi-schem Steuerungsverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft.10 Im Folgenden soll von Urban Governance oder neuen Formen von Governance die Rede sein, wenn der Begriff im zweiten Sinne gebraucht wird.

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Merkmale von Urban Governance

Urban Governance ist durch folgende Merk-male gekennzeichnet:

• Heterarchie

Urban Governance meint eine Hinwen-dung zu „heterarchischen“ 11, netzwerkarti-gen Modi der Koordination.12 Im Zuge einer „Enthierarchisierung“ 13 im Verhältnis zwi-schen Staat und Gesellschaft zieht sich der Staat aus der direkten Regelung und Kon-trolle gesellschaftlicher Probleme zurück, setzt aber dafür verstärkt Anreize für private Akteure, diese Probleme selbst zu regeln. Die Grundidee „besteht in der Verbesserung der Selbststeuerungsfähigkeit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Subsysteme.“ 14 Dabei reduziert sich die Rolle staatlicher Akteure häufig auf die von Anstoßgebern, Moderato-ren oder gar bloß noch (gleichberechtigten) Teilnehmern in gesellschaftlichen Aushand-lungsprozessen.15 Die Augenhöhe in hete-rarchischen Kollaborationen ist selten von vornherein gegeben, sondern wird durch die Beseitigung von Hierarchien aktiv herge-stellt. Schwächere Akteure werden „ermäch-tigt“, beispielsweise durch Verfahrensregeln in Partizipationsverfahren an Entscheidun-gen beteiligt. Stärkere Akteure nehmen ihre Handlungsmacht zugunsten einer koopera-tiven Arbeitsweise zurück, etwa eine Kom-munalverwaltung, die bei kollaborativen Lösungsansätzen bewusst auf die „Attitüde der Macht“ 16 verzichtet.

• Schatten der Hierarchie

Der Gegensatz zwischen Governance und Government ist in erster Linie analyti-scher Natur. Das vermeintlich veraltete Steuerungsmodell „Government“ dient im Diskurs vor allem als Folie, vor der die Un-terschiede der neuen Koordinationsmodi deutlicher hervortreten. Nur in diesem ana-lytischen Sinn ist Urban Governance durch kooperative Aushandlungen statt Hierarchie gekennzeichnet und treten marktförmige Steuerungsinstrumente an die Stelle von ob-rigkeitsstaatlichen Ge- und Verboten. In der Praxis entstehen die neuen Formen neben den traditionellen hierarchischen Strukturen oder sind in diese eingebettet.17 Neue insti-tutionelle Arrangements gesellschaftlicher Koordination verschneiden demzufolge die Logik verschiedener Koordinationsmecha-nismen miteinander. Dabei integrieren sie oftmals hierarchische, marktliche und netz-

werkartige Mechanismen zu einem spezifi-schen Mix der Governanceformen. Für die Wahrung der Allgemeinwohlorientierung in den kooperativen Verhandlungsrunden ist es zudem überaus wichtig, dass sich die neuen Formen von Governance in einem „Schatten der Hierarchie“ 18 entfalten. Die Option, dass die öffentlichen Kooperationspartner den zu verhandelnden Sachverhalt notfalls auch mit hierarchischer Intervention allein lösen können 19, ist häufig der „Faustpfand“ 20, der in Verhandlungen mit Privaten eingebracht wird. Auch „responsive Regulierung“ basiert auf diesem Prinzip.21

• Intermediär

Urban Governance umfasst nicht allein Akteure des politisch-administrativen Sys-tems, sondern bindet notwendigerweise die private Sphäre mit ein.22 In zweierlei Weise meint Governance mehr als eine klassische Public-Private-Partnership.23 Erstens ist für den Begriff ganz wesentlich, dass unter „pri-vat“ nicht nur privatwirtschaftliche, sondern auch zivilgesellschaftliche Akteure thema-tisiert werden. Urban Governance bewegt sich damit im „intermediären Raum“ 24, der sich zwischen den reinen Handlungslogi-ken dieser drei Sphären aufspannt. Zweitens handelt es sich in der Regel nicht um dyadi-sche Konstellationen, sondern um komple-xe Multiakteurskonstellationen.25

• Informalisierung

Urban Governance institutionalisiert sich selten in neuen, dauerhaften Organisatio-nen, sondern meint vorwiegend Kooperati-onen bereits bestehender Organisationen.26 Im konkreten Einzelfall ist inter-organisa-torische Kooperation häufig als personen-bezogene Kooperation zwischen Repräsen-tanten dieser Organisation ausgestaltet, die einen vergleichsweise informellen Charak-ter annehmen. Charakteristisch sind Hand-schlagvereinbarungen, informelle Abspra-chen, Verhandlungen am runden Tisch und persönliche Vertrauensverhältnisse.

• Vision und Projekt

Folgt man Dietrich Fürst, so meint Gover-nance vor allem Kooperationen, die auf ei-ner längerfristigen Übereinstimmung von Interessen beruhen und der ein „Einstel-lungswandel zugunsten einer Gemeinwohl-orientierung“ zugrunde liegt.27 Auch wenn die langfristige Perspektive ein konstitutives Merkmal von Urban Governance darstellt,

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befördert sie doch zugleich auch die Entste-hung temporärer Arrangements. Spezifisch ist die Einbettung temporärer Organisati-onen zur Umsetzung konkreter Vorhaben in dauerhafte Netzwerke zur Aushandlung gemeinsamer Handlungsziele, oder – in an-deren Worten – das Zusammenwirken von (langfristiger) „Vision“ und (kurzfristig zu realisierendem) „Projekt“.28 Projekte mani-festieren sich häufig als „intermediäre Or-ganisationen“ 29, die hinsichtlich ihres recht-lichen Status‘, der Eigentumsverhältnisse und der Handlungsziele keiner gesellschaft-lichen Sphäre mehr eindeutig zugeordnet werden können.30

• Territoriale Neuorientierung

Der allgemeine Diskurs um neue Formen von Governance thematisiert auch die Neu-organisation gesellschaftlicher Koordinati-on über die verschiedenen territorialen Ebe-nen.31 Insbesondere der Diskurs um „Regio-nal Governance“ 32 betont, wie Akteure bei der Lösung von Koordinationsproblemen nicht bloß einen problemadäquaten Mix an Koordinationsmodi etablieren, sondern darüber hinaus auch aktiv eine (in dem Fall auch neue) territoriale Handlungsebene, die Region, zur Bearbeitung des Problems insti-tutionalisieren.33

Zwei Hauptmotive liegen der Zusammen-stellung der Beiträge in diesem Heft zugrun-de. Erstes Ziel ist es, nachdem die Steue-rungskrise und ihre Rückwirkungen auf die Stadtentwicklung schon seit längerem the-matisiert werden 34, so etwas wie eine neue Zwischenbilanz zu präsentieren. Welche neueren Entwicklungen gibt es auf dem Feld der „Urban Governance“ und wo haben sich länger diskutierte Trends verfestigt? Dabei stellt sich heraus, dass die beobachtbaren Veränderungen kein einheitliches Gesamt-bild ergeben. Charakteristisch ist vielmehr die „Gleichzeitigkeit von Ungleichzeiti-gem“ 35: Neben der rigiden Praxis traditionel-ler Steuerung entstehen eine Vielzahl neuer, teilweise widersprüchlicher „episodes of collective endeavour“ 36. Eine Auswahl ak-tueller Episoden wird in diesem Heft vorge-stellt. Gemeinsam ist ihnen, dass sie jeweils auf ihre Art ein neuartiges Verhältnis von öf-fentlich zu privat etablieren.37

Zweites Ziel dieses Heftes ist es, die aus den neuen Koordinationsmechanismen resul-tierenden Probleme aufzuzeigen. Wenn die eingangs formulierte Einschätzung von

Patsy Healey zutrifft, dass jede Form von Governance ermöglichende Bedingungen mit eingrenzenden Regulierungen unauf-löslich miteinander verquickt, dann stellen sich punktuelle Neuarrangements zwischen öffentlicher und privater Sphäre notwen-digerweise als ambivalente Entwicklungen dar. Die Debatte sollte also nicht auf eine funktionalistische Sichtweise verengt wer-den (bessere Verfahren, mehr Ressourcen, optimierte Ergebnisse); es müssen viel mehr auch die problematischen, teilweise in Kauf genommenen, teilweise nicht intendierten Nebenwirkungen in den Blick genommen werden. Dieser Zielsetzung dient auch die interne „Regie“ dieses Heftes: Praktiker und Theoretiker tragen zu einzelnen Bereichen jeweils ihre Sichtweise bei. Intendiert ist ein produktiver Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis.

Was ist neu?

Die Beiträge in diesem Heft ordnen sich in die knapp zusammengefassten Merkma-le des Urban-Governance-Diskurses ein; sie geben aber auch Anlass, die skizzierten Grenzverläufe zwischen öffentlich und pri-vat partiell zu verschieben oder präziser nachzuzeichnen.

Trilateralität – das Ausloten des intermediären Raums

Konstitutiv für die neuartigen Formen von Urban Governance ist, dass sie sich im in-termediären Raum zwischen Staat, Privat-wirtschaft und Zivilgesellschaft etablieren. In bisherigen Untersuchungen der Stadtent-wicklungspraxis spiegelt sich diese Auffas-sung allerdings eher selten wider; viel mehr erschließen die meisten praktischen Ansät-ze den intermediären Raum in Form bilate-raler Kooperationen, setzen also entweder auf umsetzungsorientierte Partnerschaften zwischen staatlichen und privatwirtschaftli-chen Akteuren oder aber auf die Demokra-tisierung des Verhältnisses zwischen Staat und Zivilgesellschaft.

Peter Jakubowski und Martina Pauly be-schreiben, wie Modellvorhaben des For-schungsfelds „3stadt2“ des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus erstmals aktiv die Potenziale von umsetzungsorientierten Public-Private-Partnerships mit den ba-sisdemokratischen, die Problemsicht von

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Bürgern berücksichtigenden partizipativen Planungselementen verschneiden. In die-sen „trilateralen“ Kooperationen wird die Partizipation von Betroffenen nicht allein durch angemessenere Lösungen und eine allgemein höhere Akzeptanz gerechtfertigt, immer mehr halten diese weichen Steue-rungsformen auch harten Evaluationskri-terien wie Zeit- und Kosteneffizienz sowie Umsetzungseffektivität stand. Allerdings muss es dazu gelingen, kollaborative Prakti-ken geschickt mit dem Prozess der Umset-zung zu verknüpfen und die informellen ko-operativen Verfahren sehr fein mit formalen Verfahrenselementen zu synchronisieren.

Die Wirksamkeit trilateraler Kooperationen hängt allerdings auch von begünstigenden Randbedingungen ab. Auf Seiten der Priva-ten eignen sich vor allem direkt betroffene Akteure für solche Kooperationen – also In-vestoren, die private Eigeninteressen verfol-gen, wie etwa der „Häuslebauer“ oder lokale Unternehmer. Auf Seiten zu beteiligender Bürger sind dafür vor allem die von diesen Investitionen unmittelbar Betroffenen ge-eignete Ansprechpartner. Darüber hinaus scheinen derartige Akteurskonstellationen davon zu profitieren, wenn sie in einem ökonomisch boomenden Umfeld angesie-delt sind. In schrumpfenden Regionen, die häufig durch Entwicklungsblockaden und geringe Investitionsbereitschaft geprägt sind, sind sie weit weniger fruchtbar und stabil. Trilaterale Kooperation kann Proble-me lediglich selektiv bearbeiten. Der Kern ihrer Wirkungssphäre begrenzt sich auf ins-gesamt eher unproblematische Fälle (pro-sperierende Region bei Vorhaben von lokal verankerten Akteuren), die sich auf einem niedrigen Konfliktniveau bewegen.

Privatisierung öffentlicher und Ver-Öffentlichung privater Aufgaben

Zentral bei der Interpretation des Auftre-tens neuer Formen von Urban Governance ist der Aspekt, dass Aufgaben zwischen der staatlichen Administration und der Pri-vatwirtschaft sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren nach funktionalen Aspekten neu verteilt werden. Public-Private-Partnerships werden immer wieder mit der Hoffnung legitimiert, Synergien zwischen den spezi-fisch öffentlichen und spezifisch privatwirt-schaftlichen Kompetenzen herzustellen: Die öffentliche Hand liefert Planungssicherheit und eröffnet den Zugang zu zentralstaatlich

vergebenen Förderprogrammen, die Privat-wirtschaft mobilisiert privates Kapital und trägt mit Managementkompetenzen zur kos-ten- und zeiteffizienten Umsetzung stadt-entwicklungspolitisch relevanter Vorhaben bei. Zivilgesellschaftliche Akteure bringen komplementäres Wissen in Entscheidungs-prozesse ein, womit ihre Mitwirkung die Pla-nungsverfahren nicht nur demokratisiert, sondern zudem auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, darin problemadäquatere Ergebnis-se zu erzielen (siehe Beiträge Jakubowski/Pauly sowie Sinning). Insgesamt, so hat es den Anschein, konzentriert sich der klassi-sche Interventions- und Wohlfahrtsstaat auf seine genuinen Aufgaben und erledigt diese weitgehend zuverlässig, wohingegen Kom-petenzen und Aufgabengebiete dort partiell abgetreten werden, wo private Akteure spe-zifische, komplementäre Kompetenzen ein-bringen. Die in diesem Heft versammelten Beispiele von Urban Governance spiegeln dieses Bild der Grenzverschiebung zuguns-ten privater Mitbestimmung und einer Kon-zentration auf akteursspezifische Kompe-tenzen nur partiell wider. Häufig wird sogar der genau gegenteilige Eindruck erweckt: Der lokale Staat verabschiedet sich von zen-tralen Aufgaben und widmet sich zugleich neuen Herausforderungen außerhalb seiner „Kernkompetenzen“.

Heidi Sinning beschreibt in ihrem Beitrag unter dem Begriff der „Bürgerkommune“ ein neues Selbstverständnis im Verhältnis des lokalen Staates zu seinen Bürgern. Bür-ger werden zusehends als „Mitgestalter“ und „Ko-Produzenten“ für klassisch öffentlich zu erbringende Dienstleistungen betrachtet. Deren vertiefte Einbeziehung hat nicht nur die Stärkung der basisdemokratischen Mit-bestimmung und Erhöhung der Problemlö-sungsfähigkeit zum Ziel, sondern auch die Funktion, bei der Aufrechterhaltung der öf-fentlichen Infrastrukturausstattung „kosten-günstige Alternativen zur kommunalen Trä-gerschaft“ zu finden, und dort, wo dies nicht möglich ist, „Akzeptanz bzw. Verständnis“ für „eventuelle Einschränkungen öffentli-cher Angebote und Leistungen“ zu wecken.

Grundlegender kritisiert Margit Mayer in ihrem Beitrag zum Konzept des Sozialkapi-tals Strategien, die im Sinne eines „aktivie-renden Wohlfahrtsstaats“ 38 vor allem darauf zielen, die Problemlösungsfähigkeit von in Problemquartieren agierenden zivilgesell-schaftlichen Initiativen zu stärken. Dieses

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Vorgehen erhöhe zwar einerseits deren Fä-higkeit zur Selbstorganisation und stärke soziale Netzwerke (Sozialkapital), zugleich würden aber freie Träger immer stärker in die dauerhafte Lösung klassisch wohlfahrts-staatlicher Aufgaben inkorporiert und Be-völkerungsschichten zu ehrenamtlichem Engagement mobilisiert, die die geringsten individuellen Ressourcen dazu mitbringen.39 Die Gefahr ist hoch, dass soziale Vereine und gemeinnützige Gesellschaften – etwa aufgrund ihrer unregelmäßigen Finanzie- rung 40 – langfristig von der Schwere der Aufgabe überfordert sind und sich die ma-teriellen Probleme in den benachteiligten Quartieren und auf Seiten der Verlierer ge-genwärtiger Modernisierungsprozesse noch verschärfen werden. Vor allem, wenn paral-lel zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Trä- ger die Leistungen der klassischen Wohl-fahrtspolitik weiter zurückgenommen wer-den, geraten diese in die ambivalente Situa-tion, durch ihr Engagement in den Stadtteilen zu lokal ausführenden Organen einer neuen, exkludierenden Sozialpolitik zu werden. Auf der anderen Seite eröffnen die Strategien zur Stärkung des Sozialkapitals im Quartier aber auch Handlungsperspektiven jenseits der Logik wohlfahrtsstaatlicher Paternalität. Sie zielen eben nicht nur auf ein Mehr oder We-niger in der materiellen Ausstattung eines Quartiers ab, sondern auch ganz wesentlich auf qualitative Veränderungen, etwa auf der symbolischen Ebene der Wahrnehmung des eigenen Wohnumfelds (Identifikation mit dem Quartier, subjektives Sicherheitsgefühl) oder der sozialen Ebene des nachbarschaft-lichen Zusammenlebens.41 Für diese Art der „Privatisierung“ staatlicher Wohlfahrtspoli-tik muss gelten: das eine tun, ohne das ande-re zu lassen. Einerseits sollten also freie Trä-ger aktiviert und in ihrer Arbeit unterstützt sowie Bewohner in die Veränderungsprozes-se ihres Wohnumfelds stärker integriert wer-den, andererseits aber sollte diese Art der Ko-Produktion wohlfahrtsstaatlicher Leis-tungen vorwiegend als qualitativ ergänzend zu den bisherigen öffentlichen Leistungen, nicht als deren Ersatz betrachtet werden (vgl. auch Beitrag Sinning).

Dass mit städtebaulichen Vertragslösungen ein Interessenausgleich zwischen Bauträ-gern und Stadtverwaltung im Vergleich zu klassischen Bauleitplänen einfacher gewor-den ist, verdeutlicht der Beitrag von Gerd Schmidt-Eichstaedt. Das heutige Städte-baurecht bietet mit dem Instrument des

städtebaulichen Vertrags vielfältige Mög-lichkeiten, um in Verhandlungen eine Eini-gung zwischen privaten Interessen der Bau-wirtschaft und der gemeinwohlorientierten kommunalen öffentlichen Hand zu erzielen. Solange die öffentliche Hand und die private Bauwirtschaft bei städtebaulichen „Deals“ gewinnen (Win-Win-Lösung), besteht kein Anlass zur Befürchtung, dass mit der Zunah-me städtebaulicher Verträge auch die Gefah-ren für die Kommune größer werden.42 Die vielfach geäußerte Befürchtung, Gemeinden würden mit dem Abschluss städtebaulicher Verträge Schritt für Schritt ihre kommunale Planungshoheit aus der Hand geben, geht allerdings zu weit. So verdeutlichen nicht nur die Erfahrungen aus den Niederlan-den, die dort mit der Schaffung von Bauland über Verträge gesammelt werden konnten, sondern auch die Vertragspraxis in Deutsch-land, dass neue vertragsbasierte institutio-nelle Arrangements flexiblere Lösungen ge-statten, die sowohl für die öffentliche Hand wie für die Privatwirtschaft mit positiven Effekten verbunden sind.

Die Beispiele einer staatlichen Organisati-on von Innovationen – von Oliver Ibert so-wie Manfred Fuhrich dargestellt – stehen dagegen nicht für Rückzug, sondern für die Ausweitung des öffentlichen Leistungs-spektrums. Neue Formen von Governance werden zunehmend damit erklärt und legi-timiert, dass sie imstande sind, „Kreativität“ in die Stadt- und Regionalentwicklung ein-zuführen.43 Vor allem in Stadtregionen, die sich in „regenerativen“ 44 Entwicklungspha-sen befinden, geht es immer weniger um die Stärkung bestehender Strukturen als viel mehr um deren Wandel.45

Dazu müssen, wie Oliver Ibert betont, aller-dings herkömmliche Routinen von Planung und Verwaltung stark an die Erfordernisse einer der Verwaltungslogik widerstreben-den Aufgabenstellung angepasst werden. Am auffälligsten ist sicherlich, so Manfred Fuhrich, dass für experimentelle Modell-projekte temporär Ausnahmebedingungen hergestellt werden müssen, die es erlauben, jenseits ausgetretener Pfade zu agieren. Da-bei müssen die bei Innovationsprozessen unvermeidbaren Risiken systematisch ein-kalkuliert werden sowie auch „gut gemein-te und gut gemachte Fehler“ zulässig sein. Experimentieren unter Sonderbedingun-gen grenzt einerseits die Übertragbarkeit und damit die Reichweite der erzielten In-

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novationen ein, andererseits sind die Son-derbedingungen dennoch notwendig, da die Aufgabe der Innovationserzeugung nur unter bestimmten Randbedingungen der öffentlichen Hand zufällt. „Kreativität“ wird vor allem dann zu einem hochrangigen Ziel und integralen Bestandteil von Urban Go-vernance, wenn Markt und Zivilgesellschaft allein keine bedarfsgerechten Lösungen (zum Begriff der Bedarfsgerechtigkeit siehe Beitrag von René Frey) für die Stadtentwick-lungspolitik anbieten. Der Staat – als an sich unbegabter Innovator – ist so etwas wie eine „Ersatzlösung“, der vorwiegend im Falle des Versagens privatwirtschaftlicher Initiative auf den Plan tritt und Sonderbedingungen braucht, um über den eigenen Schatten springen zu können. Zudem werden staat-lich initiierte Innovationsprozesse gerade in den Regionen dringend benötigt, in denen sich strukturelle Probleme verfestigt haben. Für die Innovationserzeugung muss unter diesen Rahmenbedingungen ein kreativer Freiraum aufwändig über Ausnahmenbe-dingungen eröffnet werden.46

Unternehmensberatungen – ein neuartiger privater Akteur in der Stadtentwicklung

Bisher sind privatwirtschaftliche Akteure in der Governance von Stadtentwicklung vor allem Unternehmen, die in konkrete Projek-te investieren oder an deren Umsetzung be-teiligt sind. Die Städte Wolfsburg und Dort-mund stehen dagegen für einen noch jungen Trend in der Stadtentwicklung, nicht nur die Kollaboration mit Developern und Investo-ren zu suchen, sondern privatwirtschaftlich gehandelte Expertise bei der Formulierung von Zielen und Inhalten der Stadtentwick-lungspolitik hinzuzuziehen und die Repu-tation von Unternehmensberatungen in die Waagschale zu werfen, um eine konse-quenter auf ökonomische Bedürfnisse hin ausgerichtete Stadtentwicklungspolitik zu legitimieren. Private Consultingunterneh-men erweitern das Spektrum privatwirt-schaftlicher Akteure der Stadtentwicklung um einen neuen Typ.

Die wesentlich von McKinsey und Wenzel Consulting verordneten Entwicklungsstra-tegien für die Städte Wolfsburg und Dort-mund sehen vor, dass diese ihre Kräfte sehr stark auf das Ziel hin bündeln, sich für In-vestoren attraktiv zu machen, um produk-tive, ökonomisch aktive Kräfte anzuziehen, sie lokal zu binden und zu „Clustern“ zu-

sammenzuschweißen. Darauf verweisen die Beiträge von Utz-Ingo Küpper für Dortmund und Jürgen Pohl für Wolfsburg. Im Wolfs-burger Konzept „AutoVision“ 47 geht es dar-um, das VW-Werk als Zentrum eines lokalen Produktions- und Lernclusters zu begreifen und Zulieferer, Forschung und Entwicklung sowie Neugründungsaktivitäten inhaltlich, funktional und lokal stärker mit dem VW-Werk zu verknüpfen. Das dortmund-project zielt darauf, „Wachstumscluster“ auf- und auszubauen, indem Ansiedlungen, Neu-gründungen und Betriebserweiterungen in den „Führungsbranchen“ Informations- und Telekommunikationstechnologien, Mi-krosystemtechnik sowie Logistik bevorzugt gefördert werden. Die Consultingunterneh-men ziehen sich nach ihrer Beratungstätig-keit aus den Regionen zurück, sie beteiligen sich nicht an der Umsetzung dieser Konzep-te. Allerdings wird die konzeptnahe Umset-zung der Clusterstrategien in Wolfsburg wie in Dortmund dadurch gewährleistet, dass sie in dem einen Fall an eine privat-öffent-liche Entwicklungsgesellschaft (Wolfsburg AG), im anderen an eine aus der Linienver-waltung ausgegliederte, intermediäre Son-derarbeitsgruppe (dortmund-project) dele-giert wurde, die beide ihrerseits umfangrei-che Kompetenzen übertragen bekommen haben.

Eine entscheidende Frage dieser Strategien ist, ob deren Konzepte zur Stadt- und Re-gionalentwicklung noch stärker als bisher von der privatwirtschaftlichen Logik durch-drungen sind. Generieren sie zusätzliche ökonomische Aktivitäten oder handelt es sich lediglich um regionale Umverteilungs-effekte im Rahmen eines kostspieligen, kom-petitiven Nullsummenspiels? 48 Die Beispiele bestätigen beide Trends. Einerseits wird Clus-terpolitik auch qualitativ verstanden. Die Elemente des „AutoVision“-Konzepts neh-men das zentrale, wenn nicht gar das einzige endogene Potenzial des Standorts Wolfsburg auf und führen es in ein regionsspezifisches Profil „Mobilität“ über. Investitionen zielen auf die Neugründung junger Unternehmen oder auf die Qualifikation der nachwachsen-den und vorhandenen lokalen Arbeitskräfte. Die Dortmunder Clusterstrategie setzt an den bestehenden Potenzialen an, wie dem universitätsnahen Technologiezentrum, der Universität, der Fachhochschule sowie den bereits etablierten 440 Unternehmen aus der IT-Branche. Andererseits fällt an derar-tigen Strategien immer wieder auf, wie sehr

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die anvisierten Clusterprofile einander äh-neln, d.h. wie sehr alle um dieselben knap-pen Ressourcen konkurrieren. Dortmund und Wolfsburg, beide bisher nicht gerade als Zentren der Tourismusindustrie bekannt, wollen Wachstum auch über eine Förderung der Freizeitindustrien und des Tagestouris-mus induzieren. In Wolfsburg geht es zudem ganz explizit darum, Kaufkraft aus anderen Regionen abschöpfen (bzw. abgewanderte Kaufkraft wieder zurückzuholen) und VW-Zulieferer aus anderen Regionen dazu zu bewegen, Standorte in Werksnähe zu verla-gern. Dortmund-projekt und Wolfsburg AG nutzen die Public-Private-Partnership auch als ein „springboard for engaging still more aggresively in territorial competition against other urban regions“.49

Basis-Demokratisierung?

Neue Formen der Urban Governance konsti-tuieren das Verhältnis zwischen politischer Öffentlichkeit und politischen Entschei-dungsträgern neu. Sie betonen weniger die formale Legitimation durch den Akt des Wählens als vielmehr ein basisdemokra-tisches Verständnis, das die unmittelbare Teilhabe der Betroffenen an politischen Ent-scheidungen verspricht (siehe Beitrag von Hermann Hill). Einige Argumente, mit denen dieses neue Verständnis demokratischer Re-präsentanz und Legitimation untermauert wird, erscheinen vor dem Hintergrund der in diesem Heft versammelten Beispiele in neuem Licht.

Die fehlende formale Legitimation von in-formellen Verhandlungsrunden kann aus-geglichen werden, indem demokratisch legitimierte Repräsentanten Ergebnisse der informellen Verhandlungen im Nachhinein durch eine formelle Abstimmung bestäti-gen.50 Allerdings würden die dort gefällten Vorentscheidungen sowie die Erwartungs-haltung, dass diese nach dem betriebenen Aufwand auch tatsächlich umgesetzt wer-den, die nachträgliche Abstimmung auch „präjudizieren“, so dass die Offenheit für Korrekturen eingegrenzt ist.

Arthur Benz argumentiert, dass gesellschaft-liche Koordinationsmodi sich nicht allein über ihre Verfahrensregeln legitimieren, sondern auch über ihre Ergebnisse.51 Beim dortmund-project und der Wolfsburg AG werden zwar im Kern politische Entschei-dungskompetenzen an Public-Private-Part-nerships delegiert und wird ein nicht direkt

betroffener privatwirtschaftlicher Akteur (McKinsey) prominent an der Formulierung von Politiken beteiligt. Dies kann aber als re-lativ unproblematisch gelten, so lange diese Partnerschaften die versprochenen Ergeb-nisse – in Wolfsburg die Halbierung der Ar-beitslosenquote innerhalb von zehn Jahren, in Dortmund 70 000 neue Arbeitsplätze bis zum Jahr 2010 – zustande bringen. Der Ersatz der „Input-Legitimation“ durch „Output Le-gitimation“ (siehe Beitrag Hill) erfolgt aller-dings nur im Erfolgsfall und im Nachhinein. Bei ausbleibendem Erfolg bleibt keinerlei Spielraum mehr für Nachjustierungen.

Ein weiteres Argument spricht dafür, sich auf informelle Verhandlungslösungen trotz formal-demokratischer Probleme nur tem-porär und in begründeten Ausnahmefällen einzulassen. Verfahren innovationsgene-rierender Planung etwa sind zumeist in-transparent für die Öffentlichkeit. Die Rek-rutierung von Verhandlungspartnern folgt selten den Regeln der demokratischen Re-präsentation; häufig umgehen sie formale Prozeduren und verstoßen dabei zudem noch systematisch gegen Alltagsregeln.52 Dennoch kann dies bei zufrieden stellenden Ergebnissen gerechtfertigt sein, so lange es sich dabei um punktuelle, in ihrer Wirkung eingegrenzte, zeitlich von vornherein befris-tete Modellprojekte handelt. Wenn hinge-gen, wie beim dortmund-project oder der Wolfsburg AG, wesentliche Kernaufgaben der Stadtentwicklungsplanung über einen längeren Zeitraum an eine Public-Private-Partnership delegiert werden, greift dieses Argument weitaus weniger.

Margit Mayer zufolge unterstellen viele Prak-tiken im Sinne des neuen Verständnisses von Urban Governance ein ganz bestimm-tes Bild von politischer Partizipation. Ba-sisdemokratische Konsensrhetorik und die Tendenz, bürgerschaftliches Engagement in die öffentliche Aufgabenerfüllung zu inkor-porieren, grenzen Formen der politischen Partizipation aus, die ihre Rolle stärker in der Formulierung von Kritik und der Anprange-rung von Missständen sehen.53 Die Inklusi-onsrhetorik verdeckt dabei die Tendenz zur Exklusion dieser zunehmend unerwünsch-ten Formen politischer Partizipation. Ganz nebenbei wird durch die (Über-)Betonung konsensualer und partizipativer Entschei-dungsfindungen das Vokabular abgeschafft, mit dem harte gesellschaftliche Konflikte überhaupt noch thematisiert werden kön-

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nen. Mayer kritisiert, dass die basisdemo-kratischen Konnotationen des Begriffs der Governance gesellschaftliche Konflikte zu-decken, freilich ohne die Ursachen für diese Konflikte damit aus der Welt zu schaffen.

Die Paradoxie von Urban Governance

Die Praktiken, die unter dem Begriff Urban Governance gesammelt werden, sind sehr heterogene Episoden, die den vorherrschen-den Eindruck einer Vielfalt an Formen, Ver-fahren und Strategien noch verstärken. Jede der Neuarrondierungen zwischen öffentlich und privat eröffnet spezifische Optionen, auch unter schwierigen Rahmenbedingun-gen (Finanzknappheit, Steuerungskrise) neue Handlungsfähigkeit zu gewinnen, da-bei problemadäquatere Lösungen zu errei-chen und demokratischere und effizientere Verfahren zu nutzen. Jedes der diskutierten Beispiele ist aber auch in sich ambivalent, in seiner Reichweite auf bestimmte Typen von Aufgabenstellungen begrenzt und zudem auf förderliche Rahmenbedingungen ange-wiesen.

Die hier präsentierten Kooperationsformen ersetzen nicht das klassische Modell von Government. Die neuen Formen der Urban Governance eignen sich vor allem für „ober-flächlichere“ Interessenkonflikte oder zur Bearbeitung von klar abgrenzbaren Proble-men, bei denen kreative Lösungen benötigt werden. Bei harten Verteilungs- und Zielkon-flikten wird der machtvolle Interventions-staat hingegen nach wie vor benötigt (siehe Beitrag Frey). Ohne ihn wären die neuen Ko-operationsformen vor allem “a new realm of creative expression and empowerment for the middle classes while the interests of the less powerful will continue to be represented (and distorted) by the devalued traditional welfare structures of (local) government”.54 Die allen Vorstößen in Richtung einer Urban Governance zugrunde liegende Paradoxie liegt darin, dass kooperative Verhandlungen einen demokratisch legitimierten und zur hierarchischen Intervention fähigen Staat zur Voraussetzung haben. Tatsächlich ver-danken sie ihre Existenz aber wohl vor allem den Steuerungs- und Legitimationsdefiziten dieses hoheitlichen Staates.

Anmerkungen

(1)Mayntz, R.: Governance Theory als fortentwi-ckelte Steuerungstheorie? Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung, Working Paper No. 04/1 (2004)

(2)Mayntz, R.: Governance im modernen Staat. In: Governance. Eine Einführung Dreifachkursein- heit der Fernuniversität Hagen. Hrsg.: Benz, A. et al. – Hagen 2003, S. 71–83 (72)

(3)Schuppert, G. F.: Governance-Forschung. Ver-gewisserung über Stand und Entwicklungslinien. – Baden-Baden 2005

(4)Schuppert, G. F.: Verwaltungswissenschaft. – Baden-Baden 2000, S. 277 ff.

(5)Damals firmierte das Forschungszentrum noch unter dem Gründungsnamen SYSTRA. An POLIS beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler aus dem Geographischen Institut, dem Institut für Städtebau, Bodenordnung und Kultur-technik und dem Institut für Soziologie der Univer-sität Bonn sowie dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Die Mitglieder des Zentrums forschen in einem interdisziplinären Ansatz zu Polarisations- und Fragmentierungsprozessen in urbanen Räumen. Nähere Informationen: www.polis-bonn.de

(6)Streeck, W.; Schmitter, P. C.: Community, market, state and associations? The prospective contri-bution of interest governance to social order. In: Private interest government: beyond market and state. Hrsg.: Dies. – London, Beverley Hills 1985; Hollingworth, J. R.; Schmitter, P. C.; Streeck, W.: Capitalismn, sectors, institutions and per-formance. In: Governing capitalist economies: performance and control of economic sectors. Hrsg.: Dies. -–New York, Oxford 1994; Le Galès, P.; Voelzkow, H.: Introduction: The governance of local economies. In: Local production systems in Europe. Hrsg.: Crouch, C.; Le Galès, P.; Triglia, C.; Voelzkow, H. – Oxford 2001; Healey, P.: Cre-ativity and urban Governance. DISP 158 (2004), S. 11–20

(7)Mayntz, R.: Governance Theory, a. a. O. (Anm. 1)

(8)Healey, P.: Creativity, a. a. O., S. 14

(9)Ritter, E.-H.: Der kooperative Staat. Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft. Archiv d. öffentl. Rechts Nr. 104 (1979), S. 389–413

(10)Savitch, H. V.; Vogel, R. K.: Paths to new regiona-lism. State and Local Government Rev. 32 (2000) 3, S. 158–168; auch Einig, K.; Fürst, D.; Knieling, J.: Aktionsraum Region – Regional Governance. Einführung. Inform. z. Raumentwickl. (2003) H. 8/9, S. I–VI

(11)Hedlund, G.: The hypermodern MNC – a heter-archy? Human Resource Managem. 25 (1986) 1, S. 9–35

(12)Fürst, D.: Steuerung auf regionaler Ebene versus Regional Governance. Inform. z. Raumentwickl. (2003) H. 8/9, S. 441–450 (443)

(13)Scharpf, F. W.: Die Handlungsfähigkeit des Staa-tes am Ende des 20. Jahrhunderts. Polit. Viertel-jahresschr. (1991) 4, S. 621–634

(14)Siehe Beitrag Frey i. d. H.

(15)Selle, K.: Folgerungen, Weiterungen, Wandel im Planungsverständnis. Zur Fortsetzung der Dis-kussion über Planung. In: Freiraum, Siedlung, Kooperation. Forschungsergebnisse, Hinweise für die Praxis, Folgerungen. Hrsg.: Ders. – Dort-mund 2000

(16)Ebda., S. 215

Page 9: UrbanGovernanceEinfuehrung

Informationen zur Raumentwicklung Heft 9/10.2005 IX

(17)Vgl. z.B. Scharpf, F. W.: Die Handlungsfähigkeit, a.a.O. (Anm. 13); Mayntz, R.; Scharpf, F. W.: Steu-erung und Selbstorganisation in staatsnahen Sektoren. In: Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung. Hrsg.: Dies. – Frank-furt/M., New York 1995, S. 9–38; Kilper, H.: Die In-ternationale Bauausstellung Emscher Park. Eine Studie zur Steuerungsproblematik komplexer Er-neuerungsprozesse in einer alten Industrieregion. – Opladen 1999; Pinson, G.: Political government and governance in Turin. Internat. Journ. of Urban and Regional Res. 26 (2002) 3, S. 477–493; Si-mons, K.: Großprojekte in der Stadtentwicklungs-politik: Zwischen Steuerung und Eigendynamik – das Beispiel Euralille. Planungsrdsch. 8 (2004)

(18)Scharpf, F. W.: Die Handlungsfähigkeit, a. a. O. (Anm. 13); auch Mayntz, R.; Scharpf, F. W.: Steue-rung und Selbstorganisation, a. a. O. (Anm. 17)

(19)Benz, A.: Regional Governance mit organisatori-schem Kern. Das Beispiel der Region Stuttgart. Inform. z. Raumentwickl. (2003) H. 8/9, S. 505–512

(20)Mayer, H.-N.: Projekte in der Stadtentwicklung. Chancen und Risiken einer projektorientier-ten Planung. In: Jahrbuch StadtRegion 2003: Schwerpunkt Urbane Regionen. Hrsg.: Gestring, N. et al. – Opladen 2004, S. 133–143

(21)Ayres, I.; Braithwaite, J.: Responsive regulation. Transcending the deregulation debate. – New York 1992; Einig, K.: Regulierung des Sied-lungsflächenwachstums als Herausforderung des Raumordnungsrechts. DISP 160 (2005) 1, S. 48–57

(22)Fürst, D.: Steuerung auf regionaler Ebene, a. a. O. (Anm. 12), S. 442 f.

(23)Schuppert, G. F.: Grundzüge eines zu entwickeln-den Verwaltungskooperationsrechts. Regelungs-bedarf und Handlungsoptionen eines Handlungs-rahmens für Public Private Partnerships. (2001, unveröff. Rechtsgutachten i. A. des BMI); Heinz, W.: Public Private Partnership. Arch. f. Kommunal-wiss. (1998) II, S. 210–239; ders.: Public Private Partnership. Eine Strategie mit wiederkehrender Relevanz. Difu-Ber. 3 (2004), S. 2–3; Heinz, W.; Scholz, C.: Public Private Partnership im Städte-bau. Erfahrungen aus der kommunalen Praxis. Acht Fallbeispiele aus nordrhein-westfälischen Städten. – Berlin 1996. = Difu-Beitr. zur Stadt-forsch. 23

(24)Selle, K.: Was ist bloß mit der Planung los? Er-kundungen auf dem Weg zum kooperativen Han-delns. – Dortmund 1996

(25)Selle, K.: Folgerungen, Weiterungen; a. a. O. (Anm. 15)

(26)Einig, K. et al.: Aktionsraum Region; a. a. O. (Anm. 10)

(27)Fürst, D.: Steuerung auf regionaler Ebene; a. a. O. (Anm. 12), S. 443

(28)Mayer, H. N.; Siebel, W.: Neue Formen politischer Planung: IBA Emscher Park und EXPO 2000 Han-nover. DISP 134 (1998), S. 4–11

(29)Selle, K.: Was ist bloß; a. a. O. (Anm. 24)

(30)Vgl. Mayer, H. N.: Projekte in der Stadtentwick-lung; a. a. O. (Anm. 20)

(31)Vgl. Brenner, N.: Standortpolitik, state rescaling and the new metropolitan governance in Western Europe. DISP 152 (2003), S. 15–25

(32)Vgl. Inform. z. Raumentwickl. (2003) H. 8/9

(33)Vgl. z.B. Pinson, G.: Political government; a. a. O. (Anm. 17); Brenner, N.: Standortpolitik; a. a. O. (Anm. 31)

(34)Fürst, D.: Planung heute. Neues Arch. f. Nieders. (1993) 2, S. 105–117; ders.: Wandel des Staates – Wandel der Planung. Neues Arch. f. Nieders. (1998) 2, S. 53–73; Selle, K.: Was ist bloß; a. a. O. (Anm. 24); Kilper, H.: Die IBA Emscher Park; a. a. O. (Anm. 17)

(35)Selle, K.: Folgerungen, Weiterungen; a. a. O. (Anm. 15), S. 218

(36)Healey, P.: Creativity; a. a. O. (Anm. 6)

(37)Vgl. dazu auch Selle, K.: Was? Wer? Wie? Wa-rum? Voraussetzungen und Möglichkeiten einer nachhaltigen Kommunikation. – Dortmund 2000

(38)Eick, V.; Grell, B.: Mit der Sozialen Stadt von Wel-fare zu Work? Zur Rolle von freien Trägern in der neuen Stadt- und Beschäftigungspolitik. In: Sozia-le Stadt – Zwischenbilanzen. Ein Programm auf dem Weg zur sozialen Stadt? Hrsg.: Walther, U.-J. – Opladen 2002

(39)Vgl. dazu Mayer, H. N.: Hamburgisches Stadt-teilentwicklungsprogramm – Zwischenevaluation 2003 in acht Quartieren. Gutachten i. A. der Stadt Hamburg. – Hamburg 2004

(40)Vgl. auch Eick, V.; Grell, B.: Mit der Sozialen Stadt; a. a. O. (Anm. 38)

(41)Vgl. dazu Mayer, H. N.: Hamburgisches; a. a. O. (Anm. 39)

(42)Davy, B.: Planning for sale! How efficient and equitable are negociated developments? Paper for the XII. AESOP Congress in Aveiro, Portugal 1998 (www.raumplanung.uni-dortmund.de/bbv/web/de/content/fuer_sie/pics)

(43)Vgl. Healey, P.: Creativity; a. a. O. (Anm. 6); Ibert, O.: Innovationsorientierte Planung. Ver-fahren und Strategien zur Organisation von Innovation. – Opladen 2003. = Stadt, Raum und Gesellschaft. Bd. 19; Siebel, W.; Ibert, O.; Mayer, H. N.: Staatliche Organisation von Innova-tion: Die Planung des Unplanbaren unter widri-gen Umständen durch einen unbegabten Akteur. Leviathan (2001)

(44)Thierstein, A.; Gabi, S.: When creativity meats metropolitan governance. DISP 158 (2004), S. 34–40

(45)Vgl. Siebel, W. et al. 2001: Staatliche Organisati-on; a. a. O. (Anm. 43). Allerdings zeigen sich auch im Kontext einer wachstumsorientierten Raum-ordnungs- und Regionalpolitik genau gegenteilig ansetzende Strategien, die auf eine Stärkung der Starken abzielen.

(46)Ibert, O.: Innovationsorientierte Planung; a.a.O. (Anm. 43); ders.: Zu Arbeitsweise und Reichwei-te innovationsgenerierender Planungsverfahren. Planungsrdsch. (2004) 9, S. 18–43

(47)Vgl. auch Tessin, U.: Kraft durch Freude? Wolfs-burgs Weg aus der Arbeits- in die Erlebnisgesell-schaft. Planungsrdsch. (2004) 8

(48)Brenner, N.: Standortpolitik; a. a. O. (Anm. 31), S. 21

(49)Ebda., S. 18

(50)Benz, A.: Regional Governance; a. a. O. (Anm. 19)

(51)Ders.: Zur demokratischen Legitimation von Ver-handlungen. In: Steuerungseffekte und Legitima-tion regionaler Netzwerke. Hrsg.: Kilper, H. – Gel-senkirchen (IAT) 1994, S. 69–80

(52)Ibert, O.: Innovationsorientierte Planung; a. a. O. (Anm. 43)

(53)Vgl. auch Mayer, H. N.: The onward sweep of social capital: causes and consequences for un-derstanding cities, communities and urban mo-vements. Internat. Journ. of Urban and Regional Res. 27 (2003) 1, S. 110–132

(54)Maloutas, T.; Malouta, M. P.: The glass menagerie of urban governance and social cohesion: con-cepts and stakes/concepts as stakes. Internat. Journ. of Urban and Regional Res. 28 (2004) 2, S. 449–465 (456)