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Vom Krampfanfall bis zu akuten Kopfschmerzen: Kinderneurologische Notfälle Dr. med. Oliver Maier Leiter Zentrum für Kinderneurologie, Entwicklung und Rehabilitation (KER-Zentrum) Klinfor 11. November 2011

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Vom Krampfanfall bis zu akuten

Kopfschmerzen:

Kinderneurologische Notfälle

Dr. med. Oliver Maier

Leiter Zentrum für Kinderneurologie, Entwicklung

und Rehabilitation (KER-Zentrum)

Klinfor 11. November 2011

• Allgemeine Regeln bei kinderneurologischen Notfällen

• Visite auf Station

• Häufige Notfälle mit klinischen Beispielen

Krampfanfall

Fazialisparese

Ataxie

Akute motorische Schwäche

Akute Sehschwäche

Akute Kopfschmerzen

Sonstiges

Gliederung

Kinderneurologische Notfälle

Ziel:

Wichtige und häufige Notfallsituationen erkennen?

Was kann man in der Praxis tun?

Wann braucht es den Spezialisten?

Diagnostisches ABC gilt auch für Notfälle

A Anamnese

B Befunde

C Zusatzuntersuchungen

D Diagnose

E Erklären

F Follow-up

Notfälle-allgemeine Regeln gültig

Definition Status epilepticus

Konventionelle Definition

Der konvulsive Status epilepticus ist eine kontinuierliche

Anfallsaktivität mit oder ohne Bewusstseinsverlust von mindestens 30

Minuten Dauer

Oder

Ein wiederholtes Auftreten von epileptischen Anfällen ohne

zwischenzeitlich vollständige Wiedererlangen des Bewusstseins

Definition Status epilepticus

Lowenstein et al, Epilepsia 1999 („operational definition“)

Status epilepticus (Kinder > 5 Jahren) bei

• Kontinuierlichen Anfälle > 5 Minuten

oder

• 2 oder mehr diskrete Krampfanfälle bei denen der Patient das

Bewusstsein nicht vollständig wiedererlangt

Definition Status epilepticus

Gründe für 5- Minuten Kriterium

• typischer generalisierter ton.-klon. SE dauert bei Kindern

zwischen 1-4 Minuten und benötigt keine Notfalltherapie

• 95 % der gen. ton.-klon. Anfälle, die über 7 Minuten

dauern, persistieren mindestens 30 Minuten und erfordern

eine Notfallbehandlung um Folgeschäden zu vermeiden

Definition Status epilepticus

„Wenn eine adäquate Therapie verzögert einsetzt, kann ein

Status epilepticus permanente neurologische Folgen oder Tod

bedingen“

Deshalb:

„jedes Kind, das aktiv > 5 Minuten krampft sollte

behandelt werden wie ein Kind mit Status epilepticus“

Haafitz, Pediatr Emerg Care 1999

Definition Status epilepticus-Terminologie

Konvulsiv Nicht-konvulsiv

Generalisiert Tonisch-klonisch

Tonisch

myoklonisch

Absence

Fokal Fokal motorisch Komplex fokal

(psychomotorisch)

ILAE

Kontinuierlich-diskontinuierlich

De novo-Epilepsie-chronische Encephalopathie

Lothman EW, Neurology 1990

Pathophysiologische Veränderung während Status epilepticus

Pathophysiologie

Epidemiologie

Inzidenz konvulsiver Status epilepticus bei Kindern

• < 15 Jahren: 20-50 pro 100000/Jahr

• Inzidenz bei Kinder < 1 Jahr am höchsten

Mortalität: zwischen 0-3 %

Neurologische Folgeschäden: 10-20 %

• abhängig von Grunderkrankung, Länge der Anfälle, Alter

Risiko für Rezidiv:

• 4 % idiopathischer SE

3 % febriler SE

bis 44 % bei chronischer Grunderkrankung

DeLorenzo 1996, Maytal 1989

Ätiologie

Erwachsene (%) Kinder (%)

Cerebrovaskulär 25.2 3.3

Medikamentenwechsel 18.9 19.8

Anoxie 10.7 5.3

Alkohol/Drogen 12.2 2.4

Metabolisch 8.8 8.2

Fieber/Infektion 4.6 35.7

Trauma 4.6 3.5

Tumor 4.3 0.7

ZNS Infektionen 1.8 4.8

Kongenital 0.8 7.0

DeLorenzo, Epilepsia 1992

Alter 5 Tage Alter 3 Wochen Alter 7 Monate

Ätiologie

Hemikonvulsions-Hemiplegie-

Epilepsie (HHE) Syndrom

3 Monate, prolongierte Anfälle, Ätiologie noch unklar

Behandlung

Ziele:

1. Erhalt der Vitalfunktionen

2. Diagnose und Behandlung der kausalen Faktoren

3. Beendigung der iktalen Aktivität

Grundsatz der Behandlung

• Behandlung wie SE bei konvulsiven Anfällen > 5 Minuten

• Je länger mit der Behandlung gewartet wird, desto mehr

Antikonvulsiva werden gebraucht

• Der häufigste Fehler ist eine ineffektive Dosis

Behandlung

Sicherung Vitalfunktionen (Pulsoximeter, EKG, Blutdruck)

Sicherung der Atemwege, Sauerstoffvorlage

IV-Zugang und Flüssigkeitszufuhr

Komplikationen bei Status epilepticus durch

• Sauerstoffmangel, Laktatazidose, Hypertension

Behandlung

Diagnostische Massnahmen

• Blutzucker

• Blutbild, CRP

• Elektrolyte, Laktat

• Nieren-,Leberfunktionsparameter

• Medikamentenspiegel (bei antikonvulsiver Behandlung)

• Toxikologie (Urin-Asservat)

• Blutkultur bei Fieber

Behandlung

Behandlung

Akute Erkrankungen erkennen!

• Meningitis

• Encephalitis

• Schädel-Hirn-Trauma

Epileptischer Anfall

Indikation/Zeitpunkt für Bildgebung

•Vorgehen individuell

•Keine reflektorische (nächtliche) CT-Bildgebung

Abhängig u.a von Anamnese, Klinik, Fragestellung

Es gibt auch benigne fokale Epilepsien

Fragen: braucht der Patient eine Bidlgebung

Brauchen die Eltern eine Bildgebung?

Brauche ich eine Bildgebung?

Braucht es notfallmässig eine Bildgebung?

CT oder MRI?

Phase 1 Ausserhalb Spital oder falls noch kein IV Zugang

Diazepam rectal

Kinder > 10 kg 0.5-0.7 mg/kg

10-15 kg: 5 mg

>15 kg: 10 mg

Schulkind: 10-20 mg

Alternative:

Midazolam nasal oder buccal 0.2 mg/kg der iv Lösung nasal oder

0.2-0.5 mg/kg der iv Lösung buccal

Behandlung

• McIntyre et al, Lancet 2005: buccal midazolam vs. rectal diazepam, rand.

controlled, multicentre: Krampfunterbrechung innerhalb 10 Min: 61/109 (56%)

midazolam, 30/110 (27%) diazepam

• Baysun et al. Clin Pediatr 2005: Buccales Midazolam ist gleich sicher und

effektiv wie rectales Diazepam in akuten Krampfanfällen bei Kindern (n=43)

• Mahmoudian et al. Epilepsy Behav 2004: Comparison of intranasal

midazolam with intravenous diazepam for treating acute seizures in children

Wirksamkeit erwiesen

Nachteil: Herstellung

Off-label für Statusbehandlung

Behandlung

Midazolam bukkal/intranasal

Midazolam Nasenspray 2.5 mg/Hub 10ml

• Hergestellt in Klus Apotheke Dr. Fröhlich

• Preis als Einzelherstellung ca. 70 CHF

• Herstellung in Spitalapotheke wäre ca. 20-30 CHF

• Resorptionssrate von 80 %, Wirkung innerhalb 1-2 Minuten

• Nasenspray konserviert mit Benzalkoniumchlorid ist mind.

12 Monate stabil

Info: Klus Apotheke, Dr. Fröhlich,

Hegibachstrasse 102, 8032 Zürich

Behandlung

Behandlung

Lorazepam bukkal/sublingual

• Off-label

• Keine wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit im

Status epilepticus

• Jedoch gute klinische Erfahrung

Yager et al 1988: sublingual lorazepam in childhood serial seizures:

10 Kinder mit gutem Ansprechen

„Die bukkale Lorazepamgabe ist vor allem in Situationen indiziert, in denen

Diazepamrektiolen nicht zur Verfügung stehen und ein statusbedingter

Kooperationsverlust seitens des Patienten die bukkale Gabe vorteilhaft erscheinen

lässt.“

AWMF Leitlinie Status epilepticus im Erwachsenenalter 2005

Phase 2 Frühphase im Spital (5-30 Minuten):

Benzodiazepine iv

Diazepam iv

• Valium Ampullen 2 ml=10 mg, unverdünnt

0.2-0.5 mg/kg

Clonazepam iv

• Rivotril Ampulle 1 ml=1 mg, 1:1 verdünnt mit Aqua ad inj.

0.01-0.05 mg/kg

Lorazepam iv

• Temesta Ampullen 1 ml=4 mg, 1:1 verdünnt mit NaCl 0.9%

0.05-0.1 mg/kg, max 4 mg

Behandlung

Benzodiazepine 1 x wiederholen nach ca. 10 Min.

Cave:

•alle Benzodiazepine haben Risiko der Atem-und Kreislaufdepression

•Gefahr der bronchialen Hypersekretion besonders bei Clonazepam

•Lorazepam in Schweiz für Statusbehandlung off-label

Behandlung

Phase 3 Etablierter Status epilepticus (30-60 Min.)

Phenytoin iv

18-20 mg/kg als Kurzinfusion (separater iv-Zugang)

Phenhydan Infusionskonzentrat (50 ml=750 mg)

Applikation als Kurzinfusion (750 mg Phenytoin (50 ml) mit

500 ml oder 250 ml NaCl 0.9% verdünnen)

• Phenhydan Injektionslösung (5 ml=250 mg), unverdünnt

langsam iv

Behandlung

Phenytoin:

nach 6 Stunden Erhaltungsdosis 5 mg/kg/d in 2 Einzeldosen

Kontrolle Phenytoinspiegel nach 12 h und nach 24 h, gegebenenfalls

Dosisanpassung

Cave: Arrhythmie (EKG/Pulsoximeter), RR-Abfall, separater sicherer

Zugang, nicht mit anderen Infusionen mischen

Maximale Infusionsgeschwindigkeit 1 mg/kg/Min

Behandlung

• Phenytoin sehr effektiv, keine Sedierung,

• Wirkung nach wenigen Minuten bis 20-60 Min.,

• Kombination mit Benzodiazepin sinnvoll,

• Monitoring der Blutspiegel notwendig

Phenobarbital iv

Initial 15 mg/kg Bolus (5-20 mg/kg), gegebenenfalls

Dauerinfusion 0.5-1 mg/kg/h

Indikation insbesondere: Status epilepticus unter oraler

Phenytoin-Therapie, Säuglingsalter

Cave: RR-Abfall, Atemdepressiv, sedativ

Behandlung

Phase 4 ab 60 Min., refraktärer Status, Behandlung auf IPS

Midazolam iv

0.2 mg/kg Bolus, Dauerinfusion 0.05-0.4 mg/kg/h

Titration nach Effekt

Propofol iv 1-2 mg/kg als Bolus

Keine Propofol Dauerinfusion wegen Gefahr des Propofol

Infusionssyndroms

Behandlung

• Behandlung auf der Intensivstation mit Intensivmonitoring,

Sicherung der Atemwege

• EEG Monitoring

• Forstsetzung der Medikation der Phase 3

• Fortsetzung der vorbestehenden oralen antiepileptischen

Langzeittherapie

Behandlung

Sofortmassnahmen:

Atemwege und Oxygenierung sichern

Blutdruck, Temperatur, Herzfrequenz

Venöser Zugang mit BE

Infusion mit NaCl 0.9 % (nach Ausschluss Hypoglykämie)

Therapie starten

Anamnese und Untersuchung

Bekanntes Anfalllsleiden, Grunderkrankung?

Trauma?

Fokale neurologische Zeichen?

Leitsymptome (ZNS-Infektion, Nephro,-Hepatopathie,

neurometabolische Erkrankung)?

BZ, Blutbild, Diff, CRP, Elektrolyte,

Krea, ALAT, ASAT, BGA, Lactat,

Ammoniak, evtl.Medi-Spiegel,

Urin-Toxikologie

Weitere Ursachensuche (Schädel-CT, LP)

Management anderer medizinischer Probleme

Definitive Diagnose und Therapie

Phase 1 (0-5 Min), zu Hause oder im Spital,

falls kein IV Zugang

Sgl.< 10 kg Chloralhydrat Rectiolen

(50-)100 mg/kg/d

Kinder > 10 kg Diazepam Rektiolen

0.5-0.7 mg/kg/d

Phase 2 (5-30 Min), Frühphase Spital

Diazepam iv 0.2-0.5 mg/kg

Phase 3 (30-60 Min.), Status epilepticus

Phenytoin 18-20 mg/kg iv (Kurzinfusion)

Phase 4 (ab 60 Min), refraktärer

Status epilepticus (IPS)

Midazolam 0.2 mg/kg Bolus,

Dauerinfusion 0.05-0.4 mg/kg/h (Titration!)

Akute Fazialisparese

Akute Fazialisparese

Akute periphere Fazialisparese

Idiopathisch 50-70 %

Infektiös

Neuroborreliose (saisonal) bis 30 %

Viral (Herpes) 10-20 % (?)

Schädelbasis (Felsenbein) Prozess

Tumor intrakraniell (Hirnstamm, Kleinhirnbrückenwinkel)

Akute Ataxie DD

•Intoxikation

•Akute post-parainfektiöse cerebelläre Ataxie

•ADEM

•Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom

•Basilaris Migräne

Akute motorische Schwäche

5 jähriger Junge mit motorischer Schwäche, zunehmende

Schluckstörung, im Verlauf Intubation und Beatmung

9 Jahre, akute Gangstörung, Schwäche linkes Bein,

Sensibilitätsstörung Beine

1 1/2 jähriges Mädchen mit plötzlichen

Sehstörung

Visusabfall

12 jähriges Mädchen, zunehmende Sehschwäche, trinkt sehr viel,

ist in Schule die kleinste

Kopfschmerzen

8-jähriges Mädchen, Z.n. Mittelohrentzündung, seit 3 Tagen

Kopfschmerzen, im Verlauf Erbrechen, Krampfanfall bei Eintritt

Kopfschmerz

als Symptom

für Hirntumor Reulecke et al., 2007

Diagnostik bei Kindern mit Kopfschmerzen