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HAUPTBEITRÄGE Organisationsberat Superv Coach (2013) 20:379–395 DOI 10.1007/s11613-013-0341-1 Online publiziert: 15.10.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Dipl.-Soz. F. Bauer () Atrato consulting, Schyrenstr. 11, 81543 München, Deutschland E-Mail: [email protected] Vom Vier-Augen-Prinzip zum Zwei-Fronten-Krieg Wie Kollusionsbeziehungen zum Scheitern von Unternehmensgründungen beitragen können Florian Bauer Zusammenfassung: Laut des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie scheitern 25 % der Unternehmensgründungen in den ersten 3 Jahren. Ein Drittel der teamgeführten Gründungen scheitern dabei nicht an klassischen betriebswirtschaftlichen Faktoren, sondern an Konflikten in- nerhalb der Führungsteams. Dieser Beitrag soll die Fragen nach Gründen und Verlaufsformen der unternehmensgefährdenden Teamkonflikte mithilfe des aus der Paartherapie adaptierten psy- chodynamischen Konzepts der Kollusionsbeziehung nach Jürg Willi beantworten. Dabei werden charakteristische Kollusionstypen anhand anonymisierter Fälle beschrieben sowie mögliche Wege aus diesen Konflikten skizziert. Schlüsselwörter: Unternehmensgründung · Führungsteam · Kollusion From dual control to fighting on dual fronts: how collusion relationships can contribute to the failure of corporate foundations Abstract: According to the German Federal Ministry of Economic Affairs and Technology 25 % of all start-ups fail within their first three years. A third of the team managed start-ups fail not because of classical management errors but due to conflicts within the management team. This article aims to pinpoint the reasons behind team conflicts that jeopardize corporations and to il- lustrate their course by utilizing the psychodynamic concept of collusion relationship (Jürg Willi), adapted from couple therapy. Using anonymized cases, the article will classify characteristic types of collusion and describe possible ways out of these conflicts. Keywords: Corporate foundation · Management team · Collusion

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Page 1: Vom Vier-Augen-Prinzip zum Zwei-Fronten-Krieg; From dual control to fighting on dual fronts: how collusion relationships can contribute to the failure of corporate foundations;

Hauptbeiträge

Organisationsberat Superv Coach (2013) 20:379–395DOI 10.1007/s11613-013-0341-1

Online publiziert: 15.10.2013© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Dipl.-Soz. F. Bauer ()Atrato consulting, Schyrenstr. 11,81543 München, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Vom Vier-Augen-Prinzip zum Zwei-Fronten-KriegWie Kollusionsbeziehungen zum Scheitern von Unternehmensgründungen beitragen können

Florian Bauer

Zusammenfassung: Laut des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie scheitern 25 % der Unternehmensgründungen in den ersten 3 Jahren. Ein Drittel der teamgeführten Gründungen scheitern dabei nicht an klassischen betriebswirtschaftlichen Faktoren, sondern an Konflikten in-nerhalb der Führungsteams. Dieser Beitrag soll die Fragen nach Gründen und Verlaufsformen der unternehmensgefährdenden Teamkonflikte mithilfe des aus der Paartherapie adaptierten psy-chodynamischen Konzepts der Kollusionsbeziehung nach Jürg Willi beantworten. Dabei werden charakteristische Kollusionstypen anhand anonymisierter Fälle beschrieben sowie mögliche Wege aus diesen Konflikten skizziert.

Schlüsselwörter: Unternehmensgründung · Führungsteam · Kollusion

From dual control to fighting on dual fronts: how collusion relationships can contribute to the failure of corporate foundations

Abstract: According to the German Federal Ministry of Economic Affairs and Technology 25 % of all start-ups fail within their first three years. A third of the team managed start-ups fail not because of classical management errors but due to conflicts within the management team. This article aims to pinpoint the reasons behind team conflicts that jeopardize corporations and to il-lustrate their course by utilizing the psychodynamic concept of collusion relationship (Jürg Willi), adapted from couple therapy. Using anonymized cases, the article will classify characteristic types of collusion and describe possible ways out of these conflicts.

Keywords: Corporate foundation · Management team · Collusion

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1 Einleitung: Warum scheitern Unternehmensgründungen?

Mit dieser Frage beschäftigen sich aus gutem Grund zahlreiche Studien, Arbeitsgruppen und Organisationen, denn schließlich ist Unternehmertum eine wesentliche Triebfeder für die ökonomische Entwicklung einer Gesellschaft und somit ein hohes Gut, das es zu hegen und pflegen gilt.

Eine der aktuellsten Studien zu diesem Thema ist die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Auftrag gegebene und im Jahr 2010 abgeschlossen Stu-die mit dem Titel „Ursachen für das Scheitern junger Unternehmen in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens“ (Egeln et al. 2010). Darin werden als die zentralen Gründe für das Scheitern zum einen die betriebswirtschaftlich-strategischen Faktoren gezählt, also „Probleme auf Absatz- und Faktormärkten“, „Unternehmerische Entscheidungen“ sowie „Finanzierungsprobleme“ (Egeln et al. 2010, S. 45 ff.). Zum anderen wird aber auch ein Faktor beschrieben, der „Probleme in der Geschäftsführung“ als wichtigen Grund für das Scheitern junger Unternehmen benennt (S. 55 ff): „Bei mehr als einem Drittel der ehe-mals teamgeführten Schließungen war Uneinigkeit in der Geschäftsleitung eine wichtige Ursache der schließlich nicht zu bewältigenden Unternehmenskrise. Und auch bei mehr als 15 % ehemals teamgeführter Unternehmen war jeweils ein Wechsel in der Geschäfts-führung oder die Notwendigkeit der Abfindung mindestens eines Teilhabers ursächlich für die Unternehmenskrise“ (S. 56). Dieser hohe Anteil deckt sich auch mit den Erkennt-nissen aus Experteninterviews, die von der gleichen Forschungsgruppe durchgeführt wurden: „So war die Gruppe der Insolvenzverwalter sich darin einig, dass Streit in einer mehrköpfigen Geschäftsleitung ‚fast immer tödlich‘ ende und ‚bei Jungunternehmen besonders rasch zum Zusammenbruch‘ führe“ (S. 55).

Das Vorhandensein von Streit, Uneinigkeit und Konflikten in Gründerteams darf dabei nicht mit dem Risiko des Scheiterns in eine einfache kausale Kette gesetzt werden, da auch hier wie in privaten Beziehungen gilt: wo keine Reibung, da kein Feuer. Konflikte sind an sich ein gesunder Treibstoff für Unternehmen, sie können neue Sichtweisen auf bestehende Schwierigkeiten eröffnen und fördern dadurch den Wandel des jungen Unter-nehmens. Die Beziehungen zwischen den Teammitgliedern können sich nach durchge-standenen Auseinandersetzungen vertiefen, die Mitglieder werden füreinander offener und zueinander ehrlicher, sodass die Unternehmensführung gerade durch den Konflikt auf einer zunehmend stabileren Basis stehen kann (vgl. Coser 1956; Willi 1975, S. 46; Hephaistos 2013). Wie in der erwähnten Studie jedoch empirisch untermauert wird, kön-nen manche Konflikte nur schwer von den Gründern alleine überwunden werden, die tiefer gehen, die im psychoanalytischen Sinn neurotisch sind und im ökonomischen Sinn den Fortbestand eines Unternehmens massiv gefährden können. Der Betrachtung solcher Konflikte widmet sich dieser Beitrag.

2 Annäherung an das Thema

Unternehmen werden durch das Anfertigen von Businessplänen, Strategien und Konzep-ten gegründet und mithilfe von Managementmethoden weiterentwickelt. Jeder einzelne Schritt in einem Unternehmen muss nachvollziehbar, sinnvoll und bestenfalls nachhal-

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tig gewinnorientiert sein. Doch hinter dieser von Rationalitätsmythen geprägten Wirk-lichkeit gibt es eine Welt, die nicht mit betriebswirtschaftlichen Methoden durchschaut werden kann, die von Bedürfnissen, Vermeidungen, Gefühlen und unbewussten Motiven bestimmt wird und die auch die scheinbar funktionalen Beziehungen von Gründerteams so beeinflussen kann, dass sie über das Wohl und Wehe eines Unternehmens mitentscheidet.

Gerade für Gründerteams lohnt sich die Beschäftigung mit den für sie oft ungewohnten psychodynamischen Perspektiven, denn schließlich ist im Kontext einer Unternehmens-gründung die existenzielle Abhängigkeit von einer gelungenen Beziehung zu Geschäfts-partnern so präsent wie höchstens im Kontext einer Familiengründung. Zudem sind Strukturen und Prozesse, die sich dämpfend auf das Konfliktpotenzial der Teammitglie-der auswirken können, in den ersten Jahren, in denen sich das gegründete Unternehmen in ein junges Unternehmen wandelt, nicht oder nur rudimentär vorhanden. Die miteinander verbrachte Zeit ist ebenfalls deutlich höher als in späteren Phasen: Wahrscheinlich gibt es kaum eine Situation im Leben eines Menschen, in der man die Gelegenheit hat, mit anderen Menschen so viel Zeit miteinander zu verbringen, so viele Sorgen zu teilen und so sehr auf einen gemeinsamen produktiven Austausch angewiesen ist, wie während einer Unternehmensgründung.

In diesem Beitrag soll es aber nicht darum gehen, jegliches Scheitern von Gründer-teams zu „psychologisieren“ (vgl. Malik 2000, S. 38 ff.), sondern die eher schwach beleuchteten unbewussten Faktoren für deren Konflikte fassbarer zu machen, damit die Teams die Vorzeichen eines solchen Konflikts früher erkennen können und nicht erst aus dem eigenen Schaden klug werden müssen. Das zu diesem Zweck adaptierte psycho-dynamische Konzept der „Kollusion“ entstammt der Paartherapie; es wurde von Jürg Willi (1975), einem Schweizer Psychiater und Psychotherapeuten, entwickelt und schon zuvor auf Business-Kontexte angewendet (Schmidt-Lellek 2004). Wie in allen wissen-schaftlichen Konzepten steckt auch im Konzept der Kollusion die Paradoxie zwischen Komplexitätsreduktion und Unschärfe. Konflikte sind mannigfaltig, und so kann auch deren jeweilige Gestalt einzigartig sein. Die Rückführung auf einzelne ursächliche Fakto-ren ist deshalb immer gewagt; gleichzeitig kann sich gerade durch die Reduktion auf das Wesentliche eine Prägnanz entwickeln, die es erlaubt, im Dschungel der Möglichkeiten für Orientierung und somit für eine Chance zur Neuausrichtung der Beziehung zu sorgen.

Vor dem Hintergrund der Paarbeziehung ist noch eine weitere Einschränkung bezüg-lich des Wirkungskreises des Beitrags zu betonen, denn „tatsächlich auftreten können Probleme innerhalb eines Geschäftsführungsteams natürlich nur dann, wenn die jungen Unternehmen vor oder in der Unternehmenskrise auch von einem Team geführt wurden und kein Einzelunternehmer die Fäden in der Hand gehalten hat“ (Egeln et al. 2010, S. 56).

Im Folgenden werden zunächst die Grundlagen des Kollusionskonzepts und anschlie-ßend die einzelnen Kollusionstypen erklärt. Da Gründerteams natürlich auch aus mehr als zwei Mitgliedern zusammengesetzt sein können, folgt darauf die Ausweitung des Kon-zepts auf größere Personenkonstellationen. Zum Abschluss wird ein möglicher Weg aus diesen speziellen Konflikten skizziert.

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3 Von der Partnerwahl zur Kollusion, oder: jeder hat den Geschäftspartner, den er verdient

Dieser Halbsatz ist nicht abwertend gemeint, sondern spiegelt die Tatsache wider, dass sich schon von den ersten Such- und Interaktionsbewegungen in Richtung Wahl der Geschäftspartner die Vorboten einer eventuell konfliktären Beziehung zeigen können.

Im Vergleich zur Liebesbeziehung geht es in einer Geschäftsbeziehung vordergründig um eine optimale funktionale Ergänzung zum Wohle des zukünftigen Unternehmens. Ein „grandioser Visionär“ sucht sich z. B. einen „bodenständigen Zahlendreher“ zur Absi-cherung seiner geschäftlichen Höhenflüge, und eine erfahrene „graue Eminenz“ sucht sich einen „dynamischen Juniorpartner“, um in den letzten Jahren des Arbeitslebens den Markt noch einmal richtig aufzumischen. Die wechselseitige Ergänzung in diesen pola-ren Formen bildet gleich den wichtigsten Verständnispunkt der Kollusionsbeziehung. Es geht dabei jedoch nicht um die Bewältigung des populärpsychologischen Fragenkomple-xes „gleich und gleich gesellt sich gern“ vs. „Gegensätze ziehen sich an“, sondern um das unbewusste Herausbilden von bestimmten sich ergänzenden Persönlichkeitsmerkmalen im Kontakt zweier Partner zueinander. Diese Merkmale der „Interaktionspersönlichkeit“ (Willi 1975, S. 181) können in ungünstigen Persönlichkeits-Konstellationen und unter ungünstigen Umständen, wie z. B. Stress, zu Konfliktsituationen führen, die aus eigener Kraft nur noch schwer zu lösen sind.

Einfach erklärt, besitzt jeder Mensch verschiedene latente Persönlichkeitsanteile (Unterpersönlichkeiten, Verhaltensstile, Repräsentanzen), die von frühester Kindheit an und kontinuierlich durch Erfahrungen unbewusst angelegt und in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich aktiviert werden (Willi 1975, S. 182). Im Kontakt mit ver-schiedenen Personen kann sich somit eine Person gänzlich unterschiedlich fühlen und verhalten. So fühlt und benimmt sich z. B. eine Person einer anderen Person gegenüber als „grandioser Visionär“, z. B. einer Person, die sich diesem gegenüber als „bodenstän-digen Zahlendreher“ wahrnimmt. Im nächsten Moment fühlt und verhält sich der „gran-diose Visionär“ der „grauen Eminenz“ gegenüber klein und unfähig, wodurch er nicht mehr viel vom Visionär hat, als den er sich gerne selbst definiert1. Zwischen den beiden Partnern finden somit von Beginn an Anpassungsprozesse statt, Prozesse der Selbstdefini-tion im Angesicht des Anderen. Wenn sich der eine Partner in einer „Selbstdefinition vom Partner akzeptiert und bestärkt fühlt, die den eigenen Idealen nahe kommt“ (Willi 1975, S. 184), und umgekehrt, so ist der Boden für eine stabile Beziehung prinzipiell bereitet.

In diesem Prozess der gegenseitigen Bestätigung steckt somit an sich nichts Bedroh-liches. Ungünstig wird es jedoch, wenn sich die beiden Partner, die sich in ihrer gegensei-tigen Definition gut miteinander aufgehoben fühlen, aufgrund unbewusster unbewältigter Grundkonflikte in eine ganz bestimmte Beziehungskonstellation bringen, nämlich die

1 Der Begriff des „grandiosen Visionärs“ beschreibt somit keine Person an sich, sondern nur eine wichtige Persönlichkeitsfacette. Ebenso handelt es sich bei anderen beschreibenden Begriffen immer nur um Teilaspekte: Ein Tyrann ist nur dann ein Tyrann, wenn er mit einer Seite seiner Persönlichkeit, die als tyrannisch bezeichnet werden kann, bei komplementären Persönlich-keitsstrukturen auf Resonanz stößt. In einem anderen Kontext wäre er vielleicht nur eine arme, kleine, aber etwas laute Person.

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Kollusion. Kollusion meint ein heimliches Einverständnis, ein Spiel, das von zwei oder mehr Personen gespielt wird, dessen Regeln ihnen aber nicht klar sind und das auf einem gleichartigen unbewältigten Grundkonflikt beruht (Willi 1975, S. 59, 190).

Willi benutzt dafür die Metapher von Schlüssel und Schloss: Ein Partner nimmt dabei die regressive, der andere Partner die progressive Seite in der Beziehung ein, wodurch sie sich zunächst anziehen, scheinbar perfekt ergänzen und unbewusst ihren Grundkonflikt mithilfe des Partners zu lösen versuchen. Der „kollusive Selbstheilungsversuch“ (S. 59) findet allerdings auf dem falschen Spielfeld und noch dazu mit ziemlich vielen Fouls statt: Der Grundkonflikt ist nämlich ein innerer Konflikt, der auch innerlich bearbeitet werden muss, in der Kollusion jedoch externalisiert wird und wegen des ungünstigen Zusammenspiels der Kollusionspartner zu einer immer schwierigeren Beziehungsstruk-tur führt: „Das Vorliegen einer Kollusion, also eines neurotischen Zusammenspiels, kann vermutet werden, wenn in einem Paarkonflikt beide Partner sich in inadäquater Weise in ein stereotypes Streitritual verwickeln, das einen hohen Anteil ihrer psychischen Energie absorbiert und über lange Dauer keinem der Partner eine Lösung des Konflikts oder ein Entrinnen aus der Verstrickung erlaubt“ (S. 186).

Willi entwickelte aus den wichtigsten Grundmustern, die ihm in seiner therapeutischen Praxis begegnet sind, vier verschiedene Kollusionstypen: die narzisstische Kollusion, die anal-sadistische Kollusion, die orale Kollusion und die phallische Kollusion. Diese Typen orientieren sich an den psychoanalytisch herausgearbeiteten frühkindlichen Ent-wicklungsstufen. Wegen des Business-Kontextes dieser Arbeit verzichte ich weitgehend auf psychoanalytische Termini und bringe die Typen-Bezeichnung in eine allgemeinver-ständlichere Sprache: Die narzisstische Kollusion bleibt dank des mittlerweile in breite-rer Öffentlichkeit verwendeten Begriffs „Narzissmus“ erhalten; aus der anal-sadistischen wird die tyrannische Kollusion, aus der oralen die bemutternde Kollusion und aus der phallischen die Macho-Kollusion. Die beiden erstgenannten Typen werden im Folgenden anhand von hypothetischen Fällen genauer untersucht, da diese im geschäftlichen Kon-text nach meiner Erfahrung nach am häufigsten vorkommen. Auf die bemutternde und die Macho-Kollusion wird etwas knapper eingegangen.

3.1 Gemeinsam die Welt aus den Angeln heben – die narzisstische Kollusion

Ein Marketing-Spezialist will gemeinsam mit einem Finanzspezialisten und weiteren Teammitgliedern ein neues Produkt auf den Markt bringen. Beide Partner ergänzen sich nicht nur fachlich, sondern finden sich auch gegenseitig aus unterschiedlichen Gründen sehr sympathisch. Der Marketing-Spezialist wird vom Finanz-Spezialisten als „grandio-ser Visionär“ wahrgenommen, eine Persönlichkeit, die der Finanz-Spezialist schon immer sein wollte und nie konnte. Der Marketing-Spezialist gefällt sich außerordentlich gut in dieser zugedachten Rolle, er genießt es, dass Menschen ihn aufgrund seines Charismas und Könnens großartig finden. Er selbst sieht im Finanzspezialisten einen „bodenständi-gen Zahlendreher“, einen netten, ihm aber niemals gefährlich werdenden Mitläufer, der genau der Richtige ist, um ihm den Rücken für seinen großen Durchbruch freizuhalten.

Das Geschäft läuft die ersten Monate sehr gut, Investoren werden dadurch schnell gefunden, dass der Marketing-Spezialist seine grandiose Vision glaubwürdig verbreiten kann und der bodenständige Zahlendreher ihm die Bühne für seine Show bereitet. Dies

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tut er z. B., indem er ihm im Hintergrund eine scheinbare Struktur für die Vision bastelt, ihn glauben lässt, dass all seine Gedanken Gold wert sind, seine Geschäftsidee umwäl-zend und genial ist, dass er wirklich das ist, was er zu sein glaubt. Er selbst präsentiert sich nach außen hin als das bescheidene Instrument des großen Meisters. Auf dieser Basis stabilisiert sich die Geschäftsbeziehung einige Zeit scheinbar positiv, die Partner füllen die Positionen gut aus, sie passen wie Schlüssel auf Schloss zueinander.

Irgendwann beginnt allerdings die Fassade zu bröckeln. Der umtriebige „grandiose Visionär“ hat bei seinen Akquise-Bemühungen nicht mehr ganz das richtige Händchen, obwohl er immer noch davon überzeugt ist, alles richtig zu machen. Nur der „bodenstän-dige Zahlendreher“ scheint aus seiner Sicht nun überhaupt nicht mehr der richtige Partner zu sein, und dessen Unfähigkeit, selbst auf die Jagd nach neuen Kunden oder Investoren zu gehen, sowie dessen unterwürfige Haltung ihm gegenüber bringen ihn immer mehr auf die Palme. Hinzu kommt noch, dass jeder Streit damit zu enden scheint, dass er aus Sicht seines Partners derjenige ist, der durch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten das Schiff bestimmt wieder in ruhiges Fahrwasser bringen wird. Eine Zuschreibung, die ihn immer mehr unter Druck setzt, denn schließlich will er ja auch selbst der grandiose Visionär sein und hätte viel mehr Angst davor, wenn sein Partner wirkliche Eigeninitiative bei der Akquise zeigen würde. Somit wehrt er sich gegen diese Zuschreibung im ersten Schritt lieber durch eine weitere Abwertung seines Partners und im zweiten Schritt, indem er nach „neuen Herausforderungen“ in einer neuen Partner-/Unternehmenskonstellation sucht.

Aus Sicht des „bodenständigen Zahlendrehers“ liegt das Problem des schwindenden Erfolgs daran, dass der „grandiose Visionär“ zum einen zwar eine Ausnahmeerscheinung in der Branche ist, aber von Anfang an dazu neigt, seine kostbaren Kräfte (und das Budget der Firma) durch teilweise unsinnige Eskapaden zu vergeuden, z. B. auf ausgedehnten Geschäftsreisen zu Vorträgen etc., während er ihm im Tagesgeschäft den Rücken frei-halten muss. Diese Arbeit wird allerdings vom Visionär in keiner Weise gewürdigt, der „bodenständige Zahlendreher“ fühlt sich von ihm klein gemacht, dabei müsste der Visio-när doch nur seine Fähigkeiten bei den richtigen Ansprechpartnern einsetzen, damit die großartige Firma, die beide aufgebaut haben, wieder in neuem Glanz erstrahlen kann. Er nagelt somit im ersten Schritt den Visionär wegen dessen schlechter Behandlung auf die gemeinsamen Ziele fest und würde im zweiten Schritt z. B. einen externen Berater oder ein anderes Team-Mitglied in die Pflicht nehmen, damit die Firma weiter existieren kann (vgl. Abschn. 4).

Was ist in diesem Fall passiert? In dem Beispiel zeigt sich die zuvor theoretisch beschriebene Kollusionsdynamik, wie aus einer scheinbar funktional und persönlich sinn-vollen Beziehung ein aus eigener Kraft nur schwer zu entwindender Konflikt entsteht, der zu einem abrupten Ende des noch jungen Unternehmens führen kann. Doch was genau ist der Grundkonflikt in der narzisstischen Kollusion? In aller Kürze beschrieben, hat keiner der beiden Partner in frühester Kindheit adäquat gelernt, wer er wirklich ist, bzw. eher gelernt, wer er zu sein hat, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Somit entwickeln sie ein „falsches Selbst“, damit sie z. B. ihren jeweiligen Müttern oder Vätern gefallen, damit sie so sein können, wie sie sich dies vorstellen (vgl. Eidenschink 2004, S. 43 ff.; Willi 1975, S. 65 ff.). Das Tragische hinter dieser frühen Anpassung ist der Verlust, „wirklich sein zu können“, und sich dann in späteren Lebensphasen die Frage nicht mehr beantworten zu

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können: „wer bin ich hinter der Fassade, die ich mir geschaffen habe?“ Das Äußere wird zum Ersatz des nicht mehr wahrgenommenen Inneren.

Im Fall des Marketing-Spezialisten, der die progressiv-narzisstische Seite in der Beziehung einnimmt, ist es die Fassade des „grandiosen Visionärs“, die ihn antreibt, der er zu entsprechen trachtet und ohne die er nicht im Ansatz wüsste, wer er wirklich ist. Deswegen werden soziale Kontakte und Geschäftspartnerschaften auch zwischen stabili-sierenden und gefährdenden Personen unterteilt. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn, da die Gefährder alles, was er sich als Hülle geschaffen hat, zum Einsturz bringen könnten. Er sucht sich lieber Partner, die ihn nicht hinterfragen, die ihn so sehen, wie er es selbst gerne tut. Dies ist allerdings kein bewusster Vorgang, sondern der unreflektierte Autopilot einer eigentlich innerlich tief verunsicherten und verletzlichen Person. Den „bodenständigen Zahlendreher“ sucht er sich genau deshalb als Partner aus. Er sucht ihn sich außerdem noch wegen eines weiteren Vorteils aus, denn durch ihn hat er die Möglichkeit, alles Minderwertige, alles Nicht-Existente, das er in sich wahrnimmt, in den „bodenständigen Zahlendreher“ zu projizieren. Er spaltet auf diese Weise den inneren Konflikt zwischen Grandiosität und Minderwertigkeit – wie in Oscar Wildes „Dorian Gray“ – in ein externes schlechtes Abbild seiner Selbst ab, in diesem Fall nicht in ein Bild, sondern in eine Person (vgl. Abb. 1, 3. Zeile).

Im Gegensatz dazu hat der „bodenständige Zahlendreher“ gelernt, dass er seine innere Leere nicht durch eine direkte Inszenierung seines Selbst bekämpfen muss, sondern durch andere Personen seine heimlichen Größenphantasien weiterleben lassen kann. Er ist ein Trittbrettfahrer, ein Fernsehschauer, der sich durch die Nähe zu seinem Star auf-gewertet fühlt. Sein Selbst interessiert ihn nicht, er wertet sich vielmehr durch die Erfolge des Visionärs und die damit einhergehende Markenbildung ihrer Firma auf. Er verkörpert somit die überangepasste, regressiv-komplementärnarzisstische Seite in der Geschäfts-beziehung. Gemeinsam halten die Geschäftspartner somit ein gebasteltes Selbstideal auf-recht, das durch die Art und Weise, wie Unternehmen in der Öffentlichkeit positioniert werden müssen, um erfolgreich zu sein, zusätzlich genährt wird: „Ich bin mein Unterneh-men, und mein Unternehmen ist spitze, ich bin der aufgehende Stern in der XY-Branche“

Abb. 1: Die narzisstische Kollusion (Willi 1975, S. 83)

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usw. Diese Wertbeschreibungen werden im wirtschaftlichen Kontext nicht leicht als Per-sönlichkeitsstörung, sondern teilweise auch zu Recht als notwendige Selbstinszenierung gesehen. Der Spalt zwischen Authentizität und Hybris ist aber sehr schmal, wie man am obigen Bespiel sieht.

Die Beziehung der beiden Partner fängt genau dann an zu bröckeln, wenn der Firma die Erfolge ausbleiben. Denn der jeweilige Selbstwert wird von beiden an Erfolg und Misserfolg geknüpft, schlechte Quartalszahlen schlagen voll auf den Selbstwert durch. „Ich bin schlecht, bzw. ich bin nichts, wenn es in meinem Unternehmen nicht gut läuft.“ Durch die äußere Krise wird der gemeinsame unbewusste innere Grundkonflikt wieder aufgebrochen, den beide Partner gerade durch die Beziehung vermeiden wollten, dies aber nicht durch eine jeweilige inneren Auseinandersetzung, sondern abermals durch Externalisierung des Konflikts, im Sinne einer „weil Du,… bin ich,…“-Spirale, wie sie auch schematisch in Abb. 1 im Rahmen der Gesamt-Dynamik der narzisstischen Kollu-sion beschrieben wird.

Den oben beschriebenen möglichen Enden des Konflikts bleibt noch die der „never ending story“ hinzuzufügen, denn auch wenn die äußere Krise des schwindenden Geschäftserfolgs nur eine Episode sein sollte und der Konflikt sowie die Geschäftsbe-ziehung sich auch nicht gleich mit Flucht, Allianzenbildung o.Ä. aufschaukeln oder dem Ende zuneigen sollte, kann sich eine Kollusionsbeziehung über viele Jahre durch den Geschäftsalltag ziehen, mit verschiedenen Varianten der immer ähnlichen Verklamme-rungs-Spiralen. So oder so wird allerdings aus der anfänglichen Vision, gemeinsam die Welt aus den Angeln zu heben, also sich selbst und gemeinsam beruflich zu verwirkli-chen, ein sehr brüchiger Pakt, der mal von dumpfer Gewohnheit, mal von leidenschaft-lichem Hass geprägt sein kann.

3.2 Herrschen oder beherrscht werden – die tyrannische Kollusion

Eine erfahrene Anwältin, Partnerin in einer angesehenen Großkanzlei, möchte es beruf-lich noch einmal wissen und sich eine Kanzlei nach ihrem eigenen Dünken von vorne aufbauen. Sie kann aufgrund ihres Renommees weitere Partner aus der alten Kanzlei für die Start-up-Kanzlei gewinnen, darunter einen jungen, aufstrebenden Anwalt, in dem sie einen „dynamischen Juniorpartner“ sieht, eine Person, die mittelfristig ihre Nachfolge antreten könnte. Umgekehrt ist der „dynamische Juniorpartner“ tief beeindruckt, dass eine solche Größe in der Branche gemeinsam mit ihm eine Kanzlei gründen will, für ihn ist die Anwältin eine „graue Eminenz“, ihr Wort ist für ihn Gesetz. Der „grauen Eminenz“ ist es äußerst wichtig, dass die Kanzlei nach klaren ethischen Werten ausgerichtet ist und dass ein Qualitätsstandard in der Beratung der Mandanten eingehalten wird, dem sich alle Partner und Mitarbeiter verschreiben müssen.

Anfänglich funktioniert die Beziehung zwischen der Anwältin und ihrem Juniorpart-ner recht gut, sie kann ihm ihren Erfahrungsschatz als seine Supervisorin gut weiterge-ben, einige Fälle, die er betreut, werden durch ihre Ratschläge erfolgreich abgeschlossen. Recht früh muss die Anwältin aber doch feststellen, dass ihr Juniorpartner seine Man-danten nicht so führt, wie sie es sich vorstellt. Vordergründig hält er sich zwar an ihre Anweisungen, hintergründig trifft er aber immer wieder Entscheidungen, wenn er über-haupt Entscheidungen trifft, für die ihre neue Kanzlei nicht stehen kann und die auch

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aus fachlicher Sicht für sie nicht in Ordnung sind. Im Zuge dessen schaut sie ihm noch genauer auf die Finger, verlangt ständig Berichte seiner aktuellen Verfahren, entzieht ihm sogar manche Fälle, damit der Ruf ihrer Kanzlei gewahrt bleibt.

Die Situation eskaliert völlig, als der Juniorpartner von einer Geschäftsreise zurück-kehrt, die er ohne die Anwältin absolvieren musste. Während dieser Reise hatte sie ihn mehrmals telefonisch zu erreichen versucht, aber bis zu seiner Rückkehr ins Büro nur mit seiner Mailbox sprechen können. In ihrem Büro stellt sie ihn nach seiner Rückkehr laut-stark zur Rede, wirft ihm Illoyalität vor, droht ihm sogar, die Partnerschaft zu entziehen bzw. die gesamte Kanzlei wieder zu schließen, weil sie sich auf ihre alten Tage diesen unnötigen Stress nicht mehr antun müsse. In Wirklichkeit hat der Juniorpartner während seiner Geschäftsreise aus Furcht vor seiner Partnerin sich noch nicht einmal getraut, seine Mailbox abzuhören.

Was ist hier passiert und was zeichnet diese Kollusion aus? Auch in dieser Bezie-hung übernimmt ein Partner die progressive, der andere Partner die regressive Seite. Der gemeinsame Bezugsrahmen gestaltet sich jedoch anders als in der narzisstischen Kol-lusion, denn der Grundkonflikt wurzelt nicht wie dort in einem Selbstwert-, sondern in einem Bindungsthema. Einfach ausgedrückt, kann in der tyrannischen Kollusion eine in der Kindheit nicht optimal verarbeitete Auseinandersetzung mit der Ambivalenz zwi-schen Selbstständigkeit (Autonomie) und Abhängigkeit (Heteronomie) ausgegangen werden. Beide Begriffe stehen jedoch eher als Faktoren für weiter damit einhergehende Ambivalenzen, wie Nähe/Distanz, Herrschen/beherrscht werden, Struktur/Auflösung von Ordnung (Willi 1975, S. 108). Die Mütter oder Väter haben dabei in der Entwicklung der ersten Selbstständigkeit, die zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr eines Kindes stattfindet, den Umgang mit den aufkeimenden Autonomie-Tests, wie z. B. Weglaufen, (Un-)Sauberkeit, bewusste Wildheit und Schreien, nicht flexibel und im Kontakt mit dem Kind gestalten können. Vielmehr haben sie diese Bestrebungen als Machtkampf inter-pretiert, der von ihrer scheinbar mächtigeren Seite nur durch Unterwerfung gewonnen werden konnte. Das Kind lernt dabei unbewusst, dass es in einer Beziehung immer darum geht, sich durchzusetzen, der Stärkere zu sein. Diese Stärke kann aber auf zwei sehr unter-schiedliche Arten gelebt werden: in einer vordergründigen Machtposition, wie die der Anwältin, oder in einer Position der subtilen Machtausübung, wie die des Juniorpartners.

Die Dynamik dieser Herrschaftskollusion gestaltet sich nach den gleichen Prinzipien wie die narzisstische Kollusion. Die Anwältin sucht sich mit dem Juniorpartner genau den Konterpart, der sie in ihrem herrschaftsorientierten Persönlichkeitsanteil unterstützt. Gleichzeitig verdrängt bzw. spaltet sie all ihre Wünsche nach Abhängigkeit und macht-loser Nähe in ihren Partner ab. Umgekehrt ist die Anwältin für ihren Juniorpartner der perfekte Fahrstuhl zur Macht, er kann sich hinter ihr verstecken und von ihr führen lassen, was aber nicht mit bloßer Unterwürfigkeit verwechselt werden darf, denn seine Gefü-gigkeit ist nur vordergründig. Hintergründig entzieht er sich ihrem Herrschaftsanspruch gerade durch seine Entscheidungsunfähigkeit und unselbstständige Bearbeitung seiner Fälle (vgl. Abb. 2).

Sie glaubt, ihren Juniorpartner zu führen, aber eigentlich läuft sie ihm hinterher wie eine Mutter dem spielenden Kind. Je enger und strenger sie ihn zu führen versucht, desto unfähiger gibt sich ihr Partner und desto mehr entzieht er sich damit wieder ihrer Füh-rung. Die Beziehung gerät durch diese Spirale aus Tyrannei und Selbstbeeinträchtigung

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für sie in eine Schieflage, die aus externer Sicht eher das Einspielen eines Gleichgewichts zwischen den Partnern ist, das die Anwältin aber als Schieflage empfindet, da sie ein Stück weit ihre Macht einbüßt. Wie schon in der narzisstischen Kollusion bringt ein äuße-res Ereignis das Fass letztlich zum Überlaufen. Als aufgrund der Geschäftsreise die räum-liche Distanz der beiden zueinander am größten ist und der Juniorpartner aus Angst vor seiner strengen Partnerin nicht ans Handy geht, zeigt sich die Anwältin nicht mehr über-legen, sondern völlig verzweifelt über die Tatsache, dass ihre Kontrolle anscheinend nicht genug war, um ihren Partner an sich zu binden. In diesem Streit kommt auch der innere Konflikt der beiden zum Ausdruck: Die Anwältin kann eine Trennung von ihrem symbio-tischen Juniorpartner nicht ertragen, sie sucht seine Nähe und ist von ihm mehr abhängig, als sie es selbst ertragen kann. Ihre Reaktion, ihm die Partnerschaft zu entziehen bzw. die Kanzlei wieder zu schließen, entspricht darum eher der eines trotzigen Kindes, das die gemeinsam aufgebauten Lego-Häuser zusammenschlägt, wenn ihr Spielgefährte nicht mehr so mitspielt, wie sie es will. Mit diesem letzten Mittel trifft sie aber auch seinen abgewehrten inneren Konflikt, denn gerade aus Angst vor Autonomie, Selbstständigkeit und Distanz hat er sich ja seine Partnerin ausgesucht bzw. sich ihr willig unterworfen.

3.3 Wenn Altruismus ruiniert – die bemutternde Kollusion

In der bemutternden Kollusion geht der progressive Partner zwar auch in Überverant-wortung für die Firma, jedoch nicht aus einem vordergründig beherrschenden Anspruch, sondern aus einem fürsorglichen Antrieb heraus. Er wird von seinem regressiven Part-ner als „Kümmerer“ wahrgenommen, der sich auf wohlwollende, fürsorgliche Art um die Belange der Firma kümmert. Er nimmt dem Partner Verantwortlichkeiten aus der Hand, ohne Kritik, sondern mit scheinbar großer Selbstverständlichkeit und Freude. Der „Kümmerer“ genießt demnach im doppelten Sinn das Vertrauen seines pflegebedürftigen Partners, des „Pfleglings“. Auch wenn das Wort „bemuttern“ eine weibliche Person sug-geriert, soll es hier geschlechtsneutral verstanden werden, denn auch ein Mann kann eine andere Person übergriffig umsorgen.

Abb. 2: Die tyrannische Kollusion (Willi 1975, S. 115)

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Wenn man wie schon in den vorangegangenen Beispielen die Dynamik der Kollusion betrachtet, lebt der „Pflegling“ die verdrängte, bedürftige Seite des „Kümmerers“ aus, während der „Kümmerer“ die verdrängte, aktiv-umsorgende Seite des „Pfleglings“ lebt. Auch hier dreht sich die Spirale durch die jeweilige Verdrängung des internen Konflikts in Richtung eines externen Konflikts. Der „Pflegling“ wird immer unfähiger (gemacht) und klammert sich dabei immer mehr an den „Kümmerer“, während er gleichzeitig das Gefühl hat, nie genug vom „Kümmerer“ zu bekommen. Wie ein Drogensüchtiger, der nach dem nächsten Schuss giert, wird der „Pflegling“ immer verfolgerischer und gieriger, aber nicht mit dem Ziel der Befriedigung seiner Bedürfnisse, sondern aus purer Abhän-gigkeit und Aufrechterhaltung der Vermeidung heraus. Denn wer jegliche Verantwortung für das Wohl der Firma abgenommen bekommt, bevor er überhaupt merkt, dass er Ver-antwortung haben könnte, wird diese auch immer schwerer übernehmen können. So wird nach und nach auch der kleinste Vorgang zur unlösbaren Aufgabe und der Partner zur Mutter, deren Brust einerseits die Rettung aus der unwirtlichen Welt verheißt und ande-rerseits eine nicht versiegende Nahrungsquelle darstellt.

Umgekehrt wird der „Kümmerer“ irgendwann versuchen, sich aus der immer enger werdenden Umklammerung des „Pfleglings“ durch Zurückweisung und Vorwürfe zu befreien, was aber dazu führt, dass der verdrängte Schmerz, auch selbst bedürftig zu sein und umsorgt zu werden, wahrgenommen zu werden droht. Da er ja aus Abwehr vor diesem inneren Konflikt die Beziehung eingegangen ist, befindet sich an diesem Punkt das Verhältnis der beiden Geschäftspartner wiederum in einer Sackgasse, die aus eigener Kraft heraus nur schwer verlassen werden kann.

3.4 It’s a man’s world – die Macho-Kollusion

In der Macho-Kollusion strebt der progressive Partner nach männlichen Bewährungs-proben, Durchsetzungsvermögen in schwierigen Verhandlungen und Stärke, er lebt seine „Macho-Seite“ aus, die auch narzisstische Züge in sich hat. Der regressive Partner unter-stützt ihn in dieser Rolle, verhält sich im Kontrast dazu wie eine „graue Maus“, wodurch

Abb. 3: Die bemutternde Kollusion (Willi 1975, S. 101)

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der „Macho“ noch mehr hervorstechen kann. Auch in der Macho-Kollusion geht es nicht um Männer, sondern um „männliche“ Seiten; so können auch Frauen den progressiven Teil in dieser Kollusion übernehmen.

Der Konflikt entsteht in dieser Konstellation aus der Bestätigungssucht des progres-siven Parts und einer gleichzeitigen Abwertung durch die regressive „graue Maus“: Der „Macho“ braucht mehr und mehr Bestätigung seiner „männlichen“ Seite, damit er seine „weibliche“, verletzliche Seite nicht wahrnehmen muss, während „die graue Maus“ irgendwann nicht mehr nur in ihr Loch der Passivität kriecht, sondern auf dem Höhepunkt des Beziehungsungleichgewichts das Gleichgewicht durch Verachtung des aufgepluster-ten Verhaltens seines Partners wieder herzustellen versucht. Dadurch werden die jeweils verdrängten Seiten wieder spürbar, dem „Macho“ seine passiv-verletzliche Seite und der „grauen Maus“ die eigenen männlichen Rollenansprüche, was wiederum in eine vielfäl-tige Abwehr münden kann. Auch hier führt eine Kollusion ohne die notwendige innere Bearbeitung zu weiteren externen Ereignissen, wie z. B. zu Trennung, nebeneinander her leben, zu extremeren Eskalationsstufen zwischen den beiden Partnern oder auch zum Einbeziehen Dritter in den Konflikt. Mit dem letzten Punkt ist nicht die bewusste Auf-arbeitung unter Zuhilfenahme einer intervenierenden Instanz gemeint, sondern die unbe-wusste Fortsetzung der Kollusionsdynamik in einem größeren Teilnehmerkreis, also eine Ausweitung der Kampfzone, deren verschiedene mögliche Ausprägungen im nächsten Abschnitt umrissen werden (Abb. 4).

4 Zwischen lachendem Dritten und Sündenbock – über das Einbeziehen weiterer Personen in die Kollusion

Nicht das Hinzuziehen Dritter, sei es teamintern oder durch externe Berater, ist das Pro-blem, genauso wenig wie ein Konflikt an sich problematisch ist. Vielmehr sind es die unbewussten Motive dahinter sowie die Verschärfung des Konflikts, die die Ausdehnung einer Kollusion auf weitere Personen kennzeichnen. Durch die Integration weiterer Per-

Abb. 4: Die Macho-Kollusion (Willi 1975, S. 154)

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sonen kann zudem der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Gründerteams nicht nur aus zwei Personen bestehen können bzw. auch im engen Austausch mit Dritten stehen.

Die Ausweitung der Kollusion ist besonders in Geschäftsbeziehungen eine leicht zugängliche und aufgrund des durch Rationalitätsmythen geprägten Wirtschaftskontex-tes beliebte Abwehrmethode. Sie ist leicht zugänglich, weil in der Wirtschaftswelt eine enge Verflechtung zu weiteren Partnern herrscht, sei es teamintern oder extern; sie ist beliebt, weil durch die scheinbar rational mögliche Steuerung des Unternehmens ein Aus-weichen auf scheinbar rationale Lösungsvorschläge durch Dritte schnell zurückgegriffen werden kann. Rationalität wird somit zum Spielball aller Beteiligten: „Der Spieler muss aber, wenn er gewinnen will, eine rationale Strategie verfolgen, die der Beschaffenheit des Spiels entspricht, und muss dessen Regeln beachten“ (Crozier und Friedberg 1993, S. 68; vgl. Geßner 2001, S. 40). Der Konflikt wird somit nicht offener ausgetragen, nicht das Bewusstwerden des inneren, sondern die rationale Rückversicherung des äußeren Konflikts ist das Ziel des Spiels: „Die Zahlen stimmen nicht mehr, wir brauchen jeman-den, der den Vertrieb wieder auf Vordermann bringt“, „die richtigen Stellschrauben zum Erfolg wurden bisher nicht gefunden, deswegen brauchen wir Unterstützung von außen“, „Unser Partner XY performt nicht mehr, kannst du ihn nicht beim neuen Produktlaunch ersetzen?“ Alles zielt darauf ab, die Grenze der Auseinandersetzung perfide nach außen zu verschieben, eine Möglichkeit, die sich beide Kollusionspartner mit Sicherheit nicht entgehen lassen werden, denn jede neue Externalisierung erspart eine wirkliche Ausein-andersetzung mit offenem Visier.

Bei der Ausweitung einer Kollusionsbeziehung kann die Drittperson drei verschiedene Funktionen erfüllen, sie kann als bedrohlicher Dritter, als Puffer und Bindeglied oder als einseitiger Bündnispartner fungieren.

Im Fall des bedrohlichen Dritten bewirkt der Eintritt einer weiteren Person (oder Gruppe) in den Bezugsrahmen einen erneuten Zusammenschluss der Kollusionspartner (Willi 1975, S. 195). Der Dritte kann so zum Symptomträger bzw. Sündenbock der Bezie-hung werden. Ein Mitarbeiter macht den beiden Gründern z. B. immer mehr Ärger, er fordert zu viel oder leistet nicht das, was sich die beiden vorstellen, so können sie sich kollektiv in einer gemeinsamen progressiven Position über den Mitarbeiter erheben und sich lieber mit ihm als mit ihren eigenen Themen auseinandersetzen. Was der Mitarbei-ter wirklich leistet oder welcher Verfehlungen er sich letztlich schuldig macht, steht auf einem ganz anderen Blatt oder kann auch das Resultat einer self-fulfilling prophecy sein. Denn ein Mitarbeiter, der als Unsicherheitsfaktor gebrandmarkt wurde, wird nur schwer aus sich selbst heraus wieder in seiner Arbeit die Sicherheit haben, die er unter anderen Umständen hätte. Noch wirkungsvoller sind Feindbilder von außen. Durch unfähige Lie-feranten und Dienstleister, unmögliche Kunden oder noch besser einen harten Wettbe-werber bekommen die Partner die Chance, noch enger zusammenzurücken, alles nur, um den Feind gemeinsam zu besiegen – ein Prinzip, dass auch auf gesellschaftlicher Ebene gut funktioniert (vgl. Coser 1956; Münch 2004, S. 337 ff.).

Ganz anders stellt sich die Situation mit einer Drittperson als Puffer und Bindeglied dar (Willi 1975, S. 197). In diesem Fall wird die Kollusion nicht auf dem Rücken des Dritten ausgetragen, er übernimmt stattdessen die Rolle des lachenden Dritten. Die Partner brau-chen dauerhafte Interventionen durch bestimmte Personen, weil sie sich z. B. nicht mehr konfliktfrei ohne das Beisein Anderer verständigen können, was eine radikale Form des in

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den obigen Kollusionen beschriebenen Nebeneinander-her-Lebens bedeutet. Dritte wer-den dabei zunächst als Botschafter zwischen den Partnern oder als Kummerkasten beider Partner benutzt. Ein solches Verhältnis kann aber auch vom „Benutzten“ zum „Benutzer“ kippen, nämlich wenn der Dritte sich zum unbewusst gewählten Steuermann des Unter-nehmens emporschwingt. Wenn er die Person ist, ohne die sich die beiden in Kollusion befindenden Partner nicht verständigen können, werden ohne sein Zutun auch keine Ent-scheidungen getroffen bzw. kann er zumindest Entscheidungen beeinflussen. Selbst der autonome Herrscher wird gerne im Konflikt mit seinem heteronomen Untertan manch weisen Ratschlag einer glaubwürdigen Instanz beherzigen.

Falls sich jedoch beide Partner nicht auf einen gemeinsamen Puffer (unbewusst) eini-gen können oder das Hinzuziehen des Dritten nur von einem der Partner erfolgt, fun-giert die Drittperson als einseitiger Bündnispartner, „eines der häufigsten und wohl auch gefährlichsten psychosozialen Abwehrmanöver“ (Willi 1975, S. 199). So kann ein Berater, der ursprünglich zur Beratung der Unternehmensführung von einem der Partner hinzugezogen wird, schnell die Rolle innehaben, die in einer Liebesbeziehung die heim-liche Geliebte einnehmen würde. Eine Dreiecksbeziehung entspinnt sich somit zwischen den Kollusionspartnern und dem Dritten. Wichtig dabei ist, dass das Hinzuziehen eine aktive Wirkung auf das System zeigt; so wird nicht nur von einem Partner über den ande-ren beim Mitarbeiter oder Berater hergezogen, sondern dieser wird aktiv genutzt, um ein Ungleichgewicht in der Beziehung herzustellen. So kann der Narzisst einen Bera-tungsprozess mit dem Ziel inszenieren, dass der Berater seine für ihn ungünstig wahr-genommene Position umkehren werde, indem er z. B. die strategische Ausrichtung des Unternehmens nach seinem Willen beeinflusst, um das Festnageln durch den Komple-mentärnarzissten zu unterbinden. Auch klassische Intrigen innerhalb der Führungsteams können sich so entspinnen: Der eine Partner sucht sich sozusagen eine „Geliebte“ in einem anderen Teammitglied zum Schaden des anderen. Da der damit ins Ungleichge-wicht gerückte Partner dies auch früher oder später spürt, wird dieser sich ebenfalls einen Bündnispartner suchen, der ihn einseitig unterstützen soll.

Die Dynamik einer solchen Bündnisspirale kann damit wiederum zu vielen Ergebnis-sen führen, doch mit Sicherheit führt sie nicht dazu, dass sich die Beziehung der Partner zueinander verbessert und das Unternehmen wieder in ruhiges Fahrwasser gebracht wird. Doch gibt es Möglichkeiten, wie sich die Beziehung der Partner zueinander auch zum Positiven verändern kann?

5 Wege abseits scheinbar auswegloser Pfade – veränderungswirksame Faktoren beim Coaching von Kollusionen

Können miteinander in Kollusion stehende Führungsteams es schaffen, sich gemeinsam und damit auch ihr Unternehmen weiterzuentwickeln? Gibt es Wege aus der Kollusion – jenseits einer Trennung, die rund ein Drittel der Teamgründungen in Deutschland betrifft, wie einleitend beschrieben?

Die Externalisierung eines unbewussten inneren Konflikts wurde als ein Hauptmerk-mal der Kollusion in den verschiedenen Kollusionstypen beschrieben. Jede weitere äußere Bearbeitung, und sei es das ausgeklügeltste Kommunikations- oder Verhaltenstrai-

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ning, birgt deswegen immer die Gefahr, dass den Partnern nur ein neues, noch perfideres Abwehrinstrumentarium zur Verfügung gestellt wird. Gleichzeitig ist eine Unterstützung von außen erforderlich, denn aufgrund der enormen Dynamiken, die in den Kollusionen stecken, wird die eigene Kraft und Lösungskompetenz der Involvierten nicht ausreichen, um den Konflikt sinnvoll zu bearbeiten.

Eine nachhaltige Veränderung der Beziehung kann jedoch durch einen Coaching-Pro-zess mit möglichst beiden Partnern bewirkt werden, in dem die wahren, inneren The-men der Partner in den Fokus rücken. Ein solcher Prozess verlangt von den Partnern den Willen, sich ihren Problemen wirklich zu stellen (bzw. überhaupt die Erkenntnis, dass sie sich in einem schwierigen Konflikt befinden), und vom Coach ein tiefes Verständnis und erprobte Vorgehensweisen, um mit den oben beschriebenen Dynamiken flexibel und umfassend umgehen zu können. Richtiger Umgang bedeutet in diesem Zusammenhang, zu wissen, was Veränderung bei lebenden Systemen bewirken kann (vgl. Eidenschink 2006, S. 5). Demnach lassen sich viele Methoden und Techniken erst dann sinnvoll ein-setzen und kombinieren, wenn verstanden wird, welche veränderungswirksamen Fak-toren hinter ihnen stecken und welche Etappenziele mit ihnen beim Coachee erreicht werden können. Drei dieser Etappenziele möchte ich in ihrer Bedeutung für die Bearbei-tung von Kollusionen exemplarisch herausgreifen und kurz skizzieren:

Als ein wichtiger erster Schritt lässt sich am Faktor Bewusstheit über das innere Erle-ben arbeiten. Den eigenen Bezugsrahmen mit allen Sinnen wahrzunehmen, bedeutet dabei mehr, als diesen nur zu verstehen. Der unbewusste „Autopilot“ der in einer Kollu-sionsbeziehung lebenden Person lässt sich kaum durch reines Wissen umprogrammieren. Vielmehr gilt es, ihn in einer Innenschau zu erforschen, also ganzheitlich zu verstehen, wie man sich selbstverantwortlich immer wieder in die ebenfalls selbstgebaute Falle begibt. Anfänglich wird man zwar immer noch in die Falle rennen, es aber im Nachhinein zumindest merken. Schritt für Schritt wird man jedoch die feinen Warnsignale spüren können, bevor die Falle zuschnappt.

Ein weiterer Schritt ist, eine Akzeptanz für verdrängte oder abgespaltene Persönlich-keitsanteile beim Coachee aufzubauen. Der innere Konflikt besteht gerade darin, dass das, was man wirklich ist, nicht mit dem übereinstimmen muss, was man sein zu müssen glaubt (vgl. Eidenschink 2006, S. 7). Mit diesen Anteilen in Kontakt zu treten und die scheinbar schlechten Seiten als das zu nehmen, was sie außerhalb des eigenen Bezugs-rahmens sind, kann einen Änderungsimpuls hin zu einem flexibleren Umgang mit den eigenen Persönlichkeitsanteilen auslösen. Denn schon das Problem des Erkennens einer Kollusion bei Gründerteams liegt in der gesellschaftlichen Akzeptanz bestimmter Per-sönlichkeitstendenzen und Verhaltensformen. Ein Gründer, der sich altruistisch für seine Firma und seinen Partner aufopfert oder mit eiserner Hand seine Unternehmung durch tur-bulente Zeiten führt, wird an sich in seinem Verhalten als völlig adäquat wahrgenommen – und er kann es auch sein. Wenn umgekehrt von frühester Kindheit an andere Aspekte, wie z. B. eine empfindsamere Seite zu haben, im Dialog mit wichtigen Bezugspersonen abgewertet wurde, kann gut nachvollzogen werden, dass es auch für ein Erlangen von Akzeptanz für diese Seiten keine schnelle Lösung gibt, sondern dass sie sich in einem Prozesses Stück für Stück entwickeln muss.

Der dritte hier skizzierte Faktor ist den Bedürfnissen der Kollusionspartner gewidmet. Hinter der angesprochenen Nicht-Akzeptanz von Persönlichkeitsanteilen steckt auch eine

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Vermeidung, bestimmte Bedürfnisse wahrzunehmen. Wenn der „autonome Herrscher“ seine eigene „heteronome Untertanen-Seite“ nicht akzeptiert, vermeidet er gleichzeitig, in sich das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit wahrzunehmen, geschweige denn dieses Bedürfnis zu äußern oder gar zu befriedigen. Durch das Vermeiden bzw. Unter-drücken wird aber viel Energie verschwendet, denn wie in allen Kollusionstypen gezeigt, verschwinden Bedürfnisse nicht einfach, sie bahnen sich ihren Weg durch die Hintertür und müssen abermals perfide abgewehrt werden. Bedürfnisse hingegen wahrzunehmen, ihnen im Kontakt mit anderen Personen Raum zu geben, wo es angebracht erscheint, und auch bei Frustration sich bewusst Wege zu suchen, wie mit den eigenen Bedürfnissen umgegangen werden kann, wird das starre Gebilde der Kollusion mehr und mehr zum Bröckeln bringen.

6 Schlussbemerkung

Bewusstheit zu erlangen, zu akzeptieren, was man in sich bekämpft, seine Bedürfnisse zu kennen und ihnen nachzugehen – diese und weitere veränderungswirksame Faktoren haben nicht das Verbleiben in der Beziehung zum Ziel, sondern die Kollusion der Partner zu lösen. Wie sich die Geschäftspartner ohne ihre gegenseitige „neurotische“ Verwick-lung weiterentwickeln, ob gemeinsam im Unternehmen oder auf anderen Pfaden, wird jedoch zu einer Frage, die sie sich erst nach der Bearbeitung ihrer Kollusion gemeinsam bewusst stellen können. In der Kollusion war die Beziehung eine Einbahnstraße, deren Ende immer in eine Sackgasse des persönlichen Leids geführt hat. Diese Sackgasse wird nicht nur in der ersten Gründung betreten und bei Scheitern wieder verlassen, sondern schlimmstenfalls immer und immer wieder betreten, ob in der nächsten Gründung, mit dem nächsten Arbeitgeber oder der nächsten privaten Beziehung. Denn Kollusionen sind, wie in diesem Beitrag beschrieben, sehr „attraktive“ Fallen, und der nächste Partner, der mich endlich so wahrnimmt, wie ich bin, und sich anschließend als Scheusal entpuppt, kommt bestimmt. An sich und seinen Beziehungen zu arbeiten, auch an seinen Geschäfts-beziehungen, bedeutet, Chancen für gemeinsames Wachstum sowie Wege zur Selbst-entfaltung zu erarbeiten – beides sind zentrale Gründe, warum Unternehmen gegründet werden und Unternehmertum existiert.

Literatur

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Eidenschink, K. (2004). „Mann, bin ich gut!“ – Die Not narzisstischer Manager. Wirtschaft & Wei-terbildung, 11–12(2008), 42–46.

Eidenschink, K. (2006). Jenseits von Beliebigkeit. Integratives Coaching. ManagerSeminare, Heft 103, 4–9.

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Florian Bauer, Dipl.-Soz., Markenberater und Coach, aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Markenorientierte Organisationsentwick-lung, Entwicklung von Führungsteams.