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Forum Heileurythmie

1. Weltkonferenz für

Heileurythmie

FESTSCHRIFT

Substanz – Verwandlung - Prozess

Goetheanum, Dornach

vom 30. April bis 6. Mai 2008

Internationales

Forum Heileurythmie Medizinische Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaften Goetheanum, Schweiz

2

IMPRESSUM

Herausgeber:

Medizinische Sektion am Goetheanum,

Forum/Netzwerk Heileurythmie

Redaktion:

Michaela Glöckler

Angelika Jaschke

Lektorat:

Katharina Offenborn

Umschlag:

Karl Lierl

Textgestaltung und Layout:

David Laidlaw

Katharina Offenborn

Druck und Vertrieb:

Kooperative Dürnau GmbH & Co

Graphischer Betrieb KG

Im Winkel 11

88422 Dürnau

3

INHALT

IMPRESSUM .................................................................................................................. 2

EDITORIAL ..................................................................................................................... 9

SUBSTANZ – VERWANDLUNG – PROZESS ............................................................... 11

HIGHLIGHTS ................................................................................................................ 16

Impulsreferat zum 1. Vortrag des Heileurythmiekurses ................................................. 17

Grundlagen einer anthroposophischen Schilddrüsenheilkunde ................................. 17

Zur Entwicklungsgeschichte der Schilddrüse ............................................................ 18

• Die physische Ebene der Schilddrüse ............................................................. 18

• Die ätherische Ebene der Schilddrüse ............................................................ 18

• Die astrale Ebene der Schilddrüse .................................................................. 19

• Die Ich-Ebene der Schilddrüse ....................................................................... 19

Wirkungsweise der Schilddrüse im dreigliedrigen Organismus ................................. 20

Wechselbeziehung zwischen Schilddrüse und Leber ................................................ 20

Wechselbeziehung zwischen Schilddrüse und Stirnhirn ............................................ 21

Über- und Unterfunktion ............................................................................................ 21

Tag- und Nachtseite des Wollens .............................................................................. 22

1. Auswirkungen auf den unteren Menschen ................................................... 22

2. Auswirkungen auf den mittleren Menschen ................................................. 22

Entwicklung der Atmungsfähigkeit ..................................................................... 23

Entwicklung einer tönenden Stimme ................................................................. 23

3. Auswirkungen auf den oberen Menschen und die Sinnesorgane ................ 24

Schilddrüse und Denken ........................................................................................... 24

Erkrankungen der Schilddrüse und Schilddrüsentherapie ......................................... 24

1. Krankhafte Veränderungen in der ätherischen Organisation........................ 25

• Struma beim jungen Menschen ................................................................... 25

• Struma beim alten Menschen ...................................................................... 25

Polare pathologische Veränderungen .................................................................... 25

2. Krankhafte Veränderungen in der astralischen Organisation ....................... 26

• Die Hashimoto-Erkrankung ......................................................................... 26

• Der Morbus Basedow .................................................................................. 27

Polarität der Krankheitsbilder .................................................................................... 28

4

3. Krankhafte Veränderung rund um die Ich- Organisation – Karzinom ........... 28

Therapeutische Möglichkeiten ............................................................................... 28

1. Die Arzneimittel ............................................................................................. 28

2. Heileurythmie ................................................................................................ 29

3. Selbstschulung als Möglichkeit der Selbstheilung .......................................... 30

Metamorphose zum Geistselbst ............................................................................ 32

Impulsreferate zum 2. Vortrag des Heileurythmiekurses ............................................... 33

1. Referat von Dr. Gudrun Merker: .................................................................. 33

Das vokalische Prinzip in der Eurythmie ............................................................ 33

2. Referat von Dr. Sabine Sebastian: .............................................................. 39

Steigerungsstufen der „Großen Vokalübung“..................................................... 39

Überleitung Rudolf Steiners zum Konsonantischen ........................................... 40

Innige Verbindung des ersten Goetheanum und der Eurythmie ......................... 41

Das innere Bild beim Lautieren der Konsonanten .............................................. 42

Die Bedeutung der Eurythmiefiguren ................................................................. 42

Wirkung der Bildmeditation ................................................................................ 43

Impulsreferat zum 3. Vortrag des Heileurythmiekurses ................................................. 45

Chronologie der Ärzte- und Heileurythmievorträge .................................................... 45

Die Welt der Konsonanten ........................................................................................ 46

1. Das Prinzip des Vor- und Nachtingierens – das Prinzip des Stofflichen ....... 47

• Der analytische Ansatz – das Prinzip des Nachtingierens ........................... 47

• Der synthetische Ansatz – das Prinzip des Vortingierens ............................ 48

2. Das Prinzip der Polarität – das Prinzip des Ätherischen .............................. 48

Die Polarität von Eurythmie und Sprache .......................................................... 49

Gegenseitige Spiegelung von Sprache und Eurythmie ...................................... 49

Gesprochene „Powerpoint-Präsentation“ .................................................................. 50

Die Laute nach den vier ätherischen Elementen geordnet ........................................ 51

• Das R in der Sprache ..................................................................................... 51

• Das R in der Eurythmie ................................................................................... 51

Das L in Sprache und Eurythmie ........................................................................... 52

3. Das Prinzip der Dreigliederung – das Prinzip des Astralen .......................... 52

5

Gegenwärtige Verdichtung der Sprache .................................................................... 53

Zukünftige „Verlebendigung“ der Sprache ................................................................. 54

Impulsreferat zum 4. Vortrag des Heileurythmiekurses ................................................. 56

Einstieg mit B und P .............................................................................................. 56

Ausklang mit SCH und H ....................................................................................... 56

1. Untere Gliedmaßen und Stoffwechselsystem .................................................... 56

2. Obere Gliedmaßen und Nerven-Sinnessystem / Bewusstsein ........................... 57

Der Verdauungstrakt: „Abbauen, um aufbauen zu können” ....................................... 57

1. Die Mundhöhle - Sphäre der Wirksamkeit der Ich-Organisation .................. 57

• Beginn der Verdauung ................................................................................. 57

• Weg der Nahrung ........................................................................................ 57

2. Magen – Wirkungsbereich des Astralleibes ................................................. 58

• Fundus ........................................................................................................ 58

• Magenkorpus .............................................................................................. 58

• Magenantrum .............................................................................................. 58

3. Dünndarm – Wirkungsbereich des Ätherleibes ............................................ 58

• Einwirken der Gallenflüssigkeit .................................................................... 59

• Enzyme aus der Bauchspeicheldrüse ......................................................... 59

• Übergang ins Blut ........................................................................................ 59

Verwandlungen ................................................................................................. 59

Verdauung und Inkarnation ............................................................................... 59

4. Dickdarm – physische Atmosphäre ............................................................. 60

• Cäcum (Blinddarm) und Colon ascendens .................................................. 60

• Colon transversum ...................................................................................... 60

• Colon descendens, Sigma und Mastdarm ................................................... 60

Rückverwandlungen .......................................................................................... 60

Wirksamkeit einiger Laute ......................................................................................... 60

• Der Konsonant SCH ....................................................................................... 60

• Der Konsonant H ............................................................................................ 61

• Die Konsonanten D und T ............................................................................... 62

• Der Konsonat L ............................................................................................... 62

6

• Die Konsonanten G, K, Q ............................................................................... 63

• Der Konsonant N ............................................................................................ 63

• Der Konsonant S ............................................................................................ 64

• Der Konsonant B ............................................................................................ 65

• Der Konsonant M ............................................................................................ 65

• Der Laut I ........................................................................................................ 66

Die tiefe Bedeutung von SPRECHEN, BEWEGEN und HÖREN ............................... 66

Die metamorphosische Verbindung von Ohr und Kehlkopf .................................... 66

Die Bedeutung des Zuhörens ............................................................................ 67

Verwandlung des Stoffes durch Eurythmie ........................................................ 68

Aufrufen der heilenden Kräfte ............................................................................ 69

Tonheileurythmie-Demonstration ............................................................................... 70

Großer Kreislauf ........................................................................................................ 72

Zentrale Stauung im großen Kreislauf ................................................................... 72

Periphere Stauung im großen Kreislauf ................................................................. 73

Kleiner Kreislauf / Lungenkreislauf ............................................................................ 75

Vom Wesen der Heileurythmie als Herzorgan der Anthroposophischen Medizin ........... 81

Ita Wegman und die Entwicklung der Anthroposophischen Medizin .......................... 81

Ita Wegmans Werdegang als Medizinerin ............................................................. 81

Frage nach der Erneuerung der Mysterien ............................................................ 82

Die neue Struktur der Hochschule für Geisteswissenschaft .................................. 82

Was bedeutet Initiation? .................................................................................... 83

Einweihung durch das Leben ............................................................................ 84

Gesunde Ausstrahlung von Arzt und HeileurythmstIn ............................................ 84

Leitmotive der Hochschule .................................................................................... 85

Das Herz als Sinnesorgan und Ausstrahlungsort der Vokale ..................................... 85

Herzrhythmen ....................................................................................................... 86

Demonstration der Rhythmen................................................................................ 87

Die ‚Bluttafel' und der Herz-Lungen-Schlag ........................................................... 87

Krankheit und Gesundheit ......................................................................................... 88

Erstellen einer Prozessdiagnose ........................................................................... 88

7

Der Kehlkopf als ‚zweiter Mensch‘ ............................................................................ 89

Vokalismus des Kehlkopfs ..................................................................................... 89

Sprache und Bildebewegungen ............................................................................. 90

Die Heileurythmie, das Herzstück der Anthroposophischen Medizin ......................... 90

Prävention – der Königsweg der Medizin .............................................................. 90

Heileurythmie und pädagogische Praxis ............................................................... 91

Keim, in dem alles enthalten ist ............................................................................. 92

Humor und Herzenskraft ....................................................................................... 92

Das Herz, Zentrum allen Ätherwirkens .................................................................. 93

Entstehung der Ärzteausbildung in Japan ............................................................. 94

Die Prozesshaftigkeit wiederentdecken ................................................................. 95

Eurythmie als Lebens- und Reisebegleiter ................................................................ 95

Heileurythmie als Körpermeditation........................................................................... 97

Nebenübungen zur Ausbildung des Herzchakra........................................................ 97

Der Merkurstab im Herzen ........................................................................................ 98

Das Herz auf den Schwingen der Kunst........................................................................ 99

Über die Wirksamkeit von Eurythmie ........................................................................ 99

Rhythmen in der Natur .......................................................................................... 99

Rhythmus ersetzt Kraft ........................................................................................ 100

Innere Rhythmen................................................................................................. 101

Zur Forschungsarbeit des Instituts .......................................................................... 102

Resonanz des Herzens mit Blutdruck und Atmung .............................................. 102

Sichtbarmachen von Schlafqualität ..................................................................... 103

Gestörter Schlafrhythmus und Brustkrebs ....................................................... 104

Der Alltag als Rhythmusräuber ........................................................................ 104

Die Auswirkungen von Musik auf unsere Herzfrequenz ....................................... 104

Hexameter und Klang des Herzens ................................................................. 105

OM und schwingendes Herz ........................................................................... 105

Das Herz singt eine Tonleiter ........................................................................... 105

Eurythmie und Herzfrequenzvariabilität ............................................................... 106

Herzfrequenzvariabilität im Vergleich .............................................................. 106

Das Herz im Himalaya ........................................................................................ 107

8

Rhythmus gibt Energie .................................................................................... 107

Das Geschenk des Rhythmus ............................................................................. 108

Untersuchungen über Eurythmie am Arbeitsplatz .................................................... 108

1. ‚Eurythmie auf der Baustelle’ ..................................................................... 108

Auswirkungen in der Führungsriege ................................................................ 108

Auswirkungen bei den Bauarbeitern ................................................................ 109

2. ‚Eurythmie in der Schule’ ............................................................................ 111

3. ‚Eurythmie im Krankenhaus’ ....................................................................... 111

Der ‚Morgensorgengipfel’ ................................................................................. 111

Zunahme des Vagus-Tonus .............................................................................. 112

Herzfrequenzen in Musik verwandelt.................................................................... 112

Attraction Economy ...................................................................................................... 113

gesundheit aktiv auf der Weltkonferenz für Heileurythmie ............................................ 116

FEEDBACK ................................................................................................................. 118

Zu Frage 1: „Wie haben Sie die Konferenz erlebt?“ .............................................. 118

Zu Frage 2: „Was sind Ihre Zukunftsvisionen für die HE?“................................... 118

Zu Frage 3: „Was erwarten Sie vom Forum HE?“ ................................................ 118

Zu Frage 4: „Unterstützung des Forum/Netzwerkes HE durch Sie?“ ................... 118

Zu Frage 5: „ Persönliche Anmerkungen?“ .......................................................... 119

FINANZEN .................................................................................................................. 120

NACHKLANG ............................................................................................................. 122

DOZENTEN VON A BIS Z / FACULTY ........................................................................ 123

9

EDITORIAL

Am 24. September 2005 war der Gedanke einer Welt-Heileurythmie-Tagung in verschie-

denen Zusammenhängen so weit gewachsen, dass er erstmals bei der Zusammenkunft

der Landesvertreter im großen Kreis – gewissermaßen öffentlich – ausgesprochen wer-

den konnte.

Ein Vorbereitungskreis bildete sich und rang um eine inhaltliche Gestaltung. Erfahrene

Heileurythmisten und Ärzte, die sich mit der Heileurythmie verbunden haben, wurden ge-

sucht – und gefunden, neue Impulse innerhalb der Berufsbewegung wurden eingeladen

und eine inhaltliche Vorbereitung in der Zusammenschau von Heileurythmie-Kurs (GA

315) und dem dazugehörigen Ärztekurs (GA 313) hat uns auf dem Konzeptionsweg einer

Welt-Konferenz begleitet.

Nach 1 ½ Jahren war der „Strauß von Möglichkeiten“ so groß und reich, dass uns deutlich

wurde: Das wird zu viel!

Ein langer, sehr subtiler Prozess des Abwägens und Neubedenkens begann. Oft hatten

wir den Eindruck, man muss die Konferenz voraus erfühlen, „schmecken“, genau hinhö-

ren auf Unhörbares, um dem, was sich an Substanz bilden wollte auch ein angemessenes

„Kleid“ zu schneidern.

Das letzte Jahr war dann erfüllt von den vielen praktischen Fragen: Welches sind die ge-

meinsamen Themen der Dozenten, die sich wie ein roter Faden durch die Konferenz zie-

hen können, wie können Begegnungsräume geschaffen werden, wer übersetzt wen in

welche Sprache, wer übernachtet wo, wann kann geprobt werden, usw.

Ohne die professionelle Hilfe von Roland Tüscher als Organisationsstützpunkt innerhalb

der Medizinischen Sektion und Michaela Glöckler als „Spiritus rector“ wäre das nicht ge-

lungen!

Begleitet war diese Zeit von der Suche nach finanzieller Hilfe – all überall!

Das aufgestellte Budget hatte einen Finanzrahmen von mindestens 300.000.- Euro.

Durch die vielen Tagungskarten, die finanziell aufgestockt wurden und sich als große soli-

darische Geste erwiesen, Dozenten-Honorare, die uns rückgespendet wurden, die über

40 Stiftungen und Firmen, die wir angeschrieben haben, der unentgeltlichen Mithilfe von

Kollegen, Ärzten, Übersetzern, Graphikern und Freunden, ist es gelungen die Reisekos-

tenfinanzierung vollständig zu decken.

Noch sind nicht alle finanziellen Notwendigkeiten abgerechnet – einschließlich der Fest-

schrift, mit der Transkription aller Vorträge und Impulsreferate und deren Übersetzung und

Drucklegung. Wir sind aber guter Hoffnung, dass wir keinen Hilferuf aussenden müssen!

Das Dozententreffen am Vorabend, bei dem jeder berichtete, aus welchen Impulsen er mit

seinem Thema zum Gelingen beitragen wollte, war der interne Beginn.

10

Ein für alle Landesvertreter zutiefst ergreifender Moment war es, als wir am Morgen des

Konferenzbeginn uns erstmals alle - über die ganze Welt hin - leibhaftig gegenüber stan-

den und uns u.a. gemeinsam durch Tier- und Planetenkreis auf das kommende Ereignis

eingestimmt haben.

So konnte sie beginnen, die heileurythmische Festwoche. Sie war überstrahlt von heiterer,

warmer, offener Arbeitsstimmung, fachlichem Austausch und menschlicher Begegnung,

die das Bewusstsein für Inhalt und Auftritt der Heileurythmie über die ganze Welt ge-

schärft hat.

In fünf bis sieben Jahren hoffen wir auf eine nächste Welt-Konferenz.

Auch das Zustandekommen dieser "Festschrift" wurde nur möglich durch das große En-

gagement vieler einzelner Menschen für die Gemeinschaft. So ist sie inhaltlich und von

ihrem Entstehungsprozess her ein Nachklang der Konferenz geworden, ein Werk vieler

für viele. Wir wünschen viel Freude beim Studium!

Angelika Jaschke für den Vorbereitungskreis

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SUBSTANZ–VERWANDLUNG–PROZESS

Nomen est Omen! Mit 780 Teilnehmern aus 32 Ländern war eine erstaunliche Menge an

Substanz zusammengekommen, um sich sehr verwandlungsbereit den heutigen welt-

übergreifenden Prozessen der Heileurythmie zu widmen. Und das trotz dieser, wie es

Michaela Glöckler in ihrer Begrüßung ausdrückte, ‚individualistischen Berufsgruppe’. Al-

lerdings kamen auch fast ausschließlich nur HeileurythmistInnen, obwohl andere Berufs-

gruppen ebenfalls eingeladen waren. Sieht man uns tatsächlich so exklusiv? Eine große

Überraschung war die Anwesenheit einer Gruppe von 26 japanischen Ärzten, die im

Rahmen des Abschlusskurses ihrer IPMT-Ausbildung in Dornach waren und durch das

Engagement einer Heileurythmistin den Weg zur 1. Weltkonferenz für Heileurythmie ge-

funden hatten.

Michaela Glöckler stellte zu Beginn eine Bitte in den Raum, die wie ein zarter roter Faden

durch den Fortgang der Tagung webte: Wir sollten die Zeit nützen, uns unserer Aufgabe

als Repräsentanten dieses Berufszweiges bewusst zu werden und neue Fragestellungen

mit nach Hause nehmen. Damit man uns kennen und schätzen lernt.

Begleitet wurde die Tagung von Eurythmiedarbietungen zum Grundsteinspruch, jeden

Morgen in einer anderen Sprache. Wenn man zum Beispiel Worte wie das finnische ‚Au-

rinkor = Sonne’ hörte und sah, konnte man schon spüren, wie hier der Kosmos eingela-

den wurde, die Arbeit und die Fragen dieser internationalen Gruppe von HeileurythmistIn-

nen zu begleiten und zu unterstützen.

Die einzelnen Vorträge, die jeden Tag von verschiedenen Ärzten gehalten wurden, wer-

den in dieser Festschrift vollständig veröffentlicht. An dieser Stelle sollen jetzt Stimmungs-

bilder und kleine Episoden Eingang finden, welche die Individualität und gerade eben die

Verschiedenheit der mit der Heileurythmie befassten Menschen zum Ausdruck bringen.

Michaela Glöckler, die in ihrem Abendvortrag mit einer besonderen Dringlichkeit den Weg

der/des HeileurythmistInnen als HeilerInnen mit dem Auftrag, einen Schulungsweg zu

gehen, schilderte, ließ den vollbesetzten Saal in verteilten Gruppen die drei Herzrhythmen

– Jambus, Trochäus und Spondäus – gleichzeitig klatschen. Grandios, was man da hörte:

Der Saal als lebendes Herz!

Matthias Girke eröffnete die Reihe der Morgenvorträge zu den einzelnen Vorträgen des

Heileurythmiekurses mit einer exemplarischen Darstellung der Schilddrüsenerkrankungen

im Spannungsfeld des 3-gliedrigen und 4-gliedrigen Menschen. Die Schilddrüse ist eines

seiner Fachgebiete. Seine Fähigkeit, die geistigen Prozesse und Metamorphosen dieses

Organs in einer unglaublich feinen und differenzierten Art in Worte zu fassen, hat trotz der

technischen Probleme (an diesem Morgen versagte das Mikrophon) den Saal mit greifba-

rer Substanz erfüllt.

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Gudrun Merker und Sabine Sebastian beschäftigten sich am nächsten Morgen in einer

völlig anderen Art und Weise mit dem Vokalischen Prinzip. Nah am Heileurythmiekurs

wurden umfassende Bilder zu den einzelnen Vokalen geschaffen und dazu noch das

schwierige Thema des inneren Abfotografierens ‚verlebendigt’.

Sonja von Lorentz, die am dritten Morgen in der ihr eigenen mitreißenden Lebendigkeit

durch Gesten, Bilder und eine ‚Power Point Präsentation zum Mitmachen’ (der ganze Saal

sprach die Blaselaute und polar dazu die Stoßlaute) das Thema Konsonanten bearbeite-

te, entließ uns alle in guter Laune und mit einem Arbeitseifer, der den ganzen Tag anhielt.

Am vierten Morgen gab es leider umfassende Probleme mit der Simultanübersetzung der

portugiesisch sprechenden Ärztin Sheila Grande aus Brasilien. Die extra eingeflogene

spanische! Übersetzerin machte den Eindruck, weder von Medizin noch von Anthroposo-

phie viel zu verstehen und so blieb die Übersetzung fragmentarisch. Ein Lob an die engli-

sche Übersetzerin Miss Anna Meuss, die aus den spärlichen deutschen Satzbrocken we-

nigstens teilweise ganze Sätze formulierte. Von dem Vortrag war auf diese Weise natür-

lich nicht viel zu verstehen. Insgesamt irritiert sperrte sich dann auch das Auditorium.

Schwierig für die Referentin, die ja nicht wissen konnte, was vorlag. Wir sind also ge-

spannt auf den Abdruck des Vortrags.

Umso verständlicher war der Vortrag von David Ritchie aus Neuseeland zu den seeli-

schen Übungen. Hier kam ein gut nachvollziehbarer Versuch einer Einordnung dieser

Übungen durch die 4-Gliedrigkeit in der 3-Gliedrigkeit.

Den Abschluss bildete das Referat von Wilburg Keller-Roth zum 6. Vortrag. Auch wenn an

diesem Morgen die allgemeine Stimmung schon gewisse Auflösungstendenzen zeigte

und die Anwesenden eine leichte Tagungsmüdigkeit ausstrahlten, verdichtete sich die

Aufmerksamkeit durch ein besonderes Ereignis noch einmal wie in einer Schau. Angela

Locher – inzwischen 78-jährig – zeigte „Über allen Gipfeln ist Ruh“1, rezitiert von Karin

Hege. Und hier konnte man sehen und erleben, wie innere Bilder und eine lebenslange

spirituelle innere Haltung den Ausdruck von eurythmischer Bewegung prägen.

Wir wurden also jeden Tag angeregt und voller Fragen in die Arbeitsgruppen entlassen,

deren thematische und substanzielle Vielfalt noch durch die einzelnen Berichte zum Aus-

druck kommen wird. Die zahlreichen Gespräche mit den Tagungsteilnehmern über die

Kurse ließen jedoch erkennen, dass jeder genügend Möglichkeiten gefunden hat, an sei-

ne eigenen Fragen anzuknüpfen und sie weiter zu entwickeln. Das Spektrum erstreckte

sich von Urangaben bis hin zu völlig neu entwickelten Arbeitsansätzen. So waren die Kur-

se durchweg voll bis überfüllt, was niemanden abgeschreckte trotzdem noch teilzuneh-

men und was auch der Stimmung keinen Abbruch tat. Beeindruckt hat in dieser Fülle die

Authentizität der Vermittlung. Wir haben wirklich etwas zu sagen!

1 Wandrers Nachtlied: Über allen Gipfeln ist Ruh. J.W. von Goethe, 1780.

13

Neben dem offiziellen Programm zog sich die Ebene der Gespräche und Begegnungen

wie ein paralleler Strom durch die Woche – der Austausch zwischen Menschen, die sich

vielleicht seit 30 Jahren nicht gesehen hatten oder die Reunion von Ausbildungsgruppen,

die irgendwann einmal miteinander studiert hatten. Erlebt wurde diese ‚Paralleltagung’ als

fast gleichwertig mit der inhaltlichen Ebene. Das Bedürfnis nach Austausch ist in unserem

Berufszweig immens. Viele Kollegen arbeiten allein auf weiter Flur und griffen die Mög-

lichkeit der Kontaktbildung dankbar auf. Viele sagten auch: Wann gibt es solch eine Gele-

genheit, so viele alte Freunde zu treffen, einmal wieder? Dafür wurde auch die eine oder

andere Veranstaltung geopfert (Autorin inbegriffen!) - die sonnigen Wiesen rund ums Goe-

theanum waren im Grunde vom Morgen bis zum Abend belagert. Hieran wird deutlich,

dass die so wesentliche soziale Komponente der Gespräche und Begegnungen im Rah-

men einer solchen Tagung real miteinbezogen werden muss. Viele Gespräche drehten

sich um ein überraschendes und wichtiges Wiedertreffen von Menschen – die Stimmung

war gelassen bis heiter und daher war trotz des vollen Stundenplans alles möglich.

Einer der Abende war gefüllt mit einer Veranstaltung des ‚Forum Heileurythmie’. Die Ver-

treter der 28 untereinander vernetzten Länder berichteten eindrucksvoll über den Stand

der Dinge in ihrem Land. Der weltweite Zusammenhalt und der Austausch zwischen den

Ländern gewinnt spürbar an Bedeutung für die Weiterentwicklung der Heileurythmie. Man

merkt: Wir kommen nur weiter, wenn wir uns verbinden. Kommentar eines Feedbackzet-

tels: „Jeder konnte sehen und erleben, dass wir eine starke Welt-Berufsbewegung sind!“

An einem anderen Abend wurden zwei unterschiedliche Studien von Harald J. Hamre und

Max Moser zum Thema Eurythmie und Heileurythmie vorgestellt, die von den Zuhörern

als ausgesprochen spannend erlebt wurden. Auf diesem Gebiet liegt eine wichtige Aufga-

be für die Zukunft der Heileurythmie, eine Arbeit, der wir uns jetzt stellen müssen. Die An-

regungen die von den beiden Vorstellungen kamen, können durchaus als Grundlage für

eine beginnende heileurythmische Forschungstätigkeit verstanden werden. Deutlich wur-

de auch, dass diese Arbeit viel Einsatz, Genauigkeit und Standhaftigkeit erfordert. Wer

auch immer sich mutig und engagiert in diesem Bereich betätigen möchte, wird mit Inte-

resse begleitet werden. In diesem Zusammenhang möchte die Autorin auf das Erscheinen

der neuen Heileurythmie Bibliographie von Beatrix Hachtel hinweisen. Das dicke, große

Buch lag während der Tagung aus. 200 Stück wurden vom Verlag zur Verfügung gestellt

für diejenigen, die es sich nicht leisten konnten es zu kaufen. Im Gegenzug wurde eine

Spende erbeten, die dem Budget der Weltkonferenz zufließen würde. Manch einer blätter-

te darin voll Ehrfurcht vor der ganzen Arbeit, die in diesem Buch steckt, und war vielleicht

überrascht, wie viel schon über Heileurythmie geschrieben worden ist, wie viele Heileu-

rythmistInnen und ÄrztInnen sich schon mit der Formulierung des nicht zu Formulierenden

beschäftigt haben. Das lässt doch für die Zukunft der Studien hoffen.

14

Außerdem gab es selbstverständlich Eurythmie in Form von Aufführungen, als Einlagen

und Humoresken – eine Humoreske hat eine Tagungsteilnehmerin zu der Frage bewegt:

Was machen denn die ganzen Ausländer damit? Finden die das auch lustig? Und eine

Ausländerin fragte: Darf ich jetzt lachen? Umso interessanter war es, sich während des

portugiesischen Morgenvortrages auch einmal so richtig als Fremdsprachler zu fühlen und

zu erleben was passiert, wenn das Zusammenführen verschiedener Sprachen nicht funk-

tioniert!

Die Eurythmieaufführung hat wie immer kontroverse Stimmen hervorgebracht. Die inte-

ressanteste Bemerkung soll hier wiedergegeben werden: „Warum versuchen Leute Bilder

zu bewegen ohne Bilder zu haben?“ Das verstärkte Sich-Beschäftigen mit den inneren

Bildern in der Heileurythmie (und auch in der Eurythmie) scheint den Blick für die Kunst zu

verändern...

Natürlich gehören zu so einer Tagung auch Ausstellungen und Verkaufsstände. So hatten

Gabriel und Corinna Hilden einen wunderbaren Stand aufgebaut, eingerahmt von großen

Fotos von Marcel Sorge, die gerade für den Artikel zum 50jährigen Bestehen in der Ver-

bandszeitschrift des Berufsverbandes der Eurythmisten „Auftakt“ gemacht worden waren.

Der Stand war ständig belagert. Die HeileurythmistInnen der Welt haben ihre Chance ge-

nutzt, alles Therapiematerial in jeglichem Metall gleich mitnehmen zu können und man

hörte Gabriel Hilden fleißig jeden Abend bis tief in die Nacht hämmern und schmieden.

(Die Autorin hat im Haus geschlafen!) Des Weiteren gab es verschiedene Ausarbeitungen

zu den Eurythmiefiguren zu kaufen, die sehr unterschiedlich gefertigt waren. Hier konnte

man merken, wie persönlich das eigene Verhältnis zu den Eurythmiefiguren ist. Wie nah

einem ein bestimmter Ausdruck, eine bestimmte Farbgebung ist, so dass man im Grunde

sofort sieht: Das lebt in mir – das lebt nicht in mir. Eine Besonderheit war die erste Aus-

stellung von bisher unveröffentlichten Steffen-Figurenmalereinen zu verschiedenen Be-

wegungen und Gesten eines seelisch-geistigen Ausdrucks.

Neben all den Miniworkshops, Extratreffen und Arbeitsbesprechungen, die rund um die

Tagung stattfanden, an denen man gar nicht überall partizipieren konnte – was einem

immer das leise Gefühl gab, etwas Wichtiges zu verpassen – soll hier noch auf die beiden

Plenen eingegangen werden. Durch die Erkrankung von Armin Husemann gab es in der

Mitte der Tagung ein ausführliches Plenum, geleitet von Michaela Glöckler. Während das

Schlussplenum mehr informativen und bedankenden Charakter hatte, ging es hier auch

um provokante Fragen wie z.B. nach der neuen Heileurythmieausbildung für Ärzte in Un-

terlengenhardt und um die Entlassung der Therapeuten an der Friedrich-Husemann-

Klinik. Obwohl das Plenum eingeleitet wurde mit der Bitte, den einzelnen Beiträgen Verab-

redungscharakter zu geben, blieb die Diskussion dann doch sehr auf der Oberfläche.

Fehlte der Mut? Der Stimmung im Saal war deutlich anzumerken, dass es Gesprächsbe-

darf gegeben hätte. Es wäre eine Chance gewesen.

15

Wir sehen, es gibt noch viel zu lernen, nicht nur auf inhaltlichem Gebiet. Wir leben in einer

existenziell herausfordernden Zeit, die existenzielle Fragen aufwirft (nicht nur zum Thema

IV-Verträge und Umsatzsteuer). Die Autorin freut sich daher ganz besonders über ein

Statement von Angela Locher zur Tagung: „Die Eurythmie wird durch die Heileurythmie

weitergehen. Die HeileurythmistInnen sind wirklich dran an ihren Wurzeln. Die arbeiten

wirklich! Das konnte man auf der Tagung erleben!“

So wurde am Schluss die Bitte vom Anfang, mit neuen Fragen nach Hause zu gehen in

jeder Beziehung mehr als erfüllt. Jetzt, wo alle wieder in ihre Heimat gefahren sind, gibt es

gute Gründe zu hoffen, dass in einigen Jahren die weltweit angeregten Prozesse eine

Verwandlung erfahren haben werden und man sich zur nächsten Weltkonferenz für

Heileurythmie mit neuer Substanz begegnen wird.

Heike Houben (DE)

16

HIGHLIGHTS

Die 1. Weltkonferenz für Heileurythmie liegt nun schon zwei Monate zurück, aber sie tönt

fort. Ein starkes Erlebnis war die Aufführung der ‚Zwölf Stimmungen’. Im Nachklang wird

das Erlebnis noch eindrücklicher: Wie die Sonne majestätisch von Tierkreisbild zu Tier-

kreisbild zieht und die Planeten sich in ihren Gang hineinordnen: Ich fühle mich angebun-

den an das kosmische Geschehen.

Und dann die Satiren, die ja selten aufgeführt werden: Das Publikum ist möglicherweise

zunächst schockieren von den Albernheiten, dem kindischem Gehopse, dem infantilen

Chaos, und der armen Sonne, die sich damit abmüht, ihre Planeten zur Ordnung zu rufen.

Peu à peu wird den Zuschauern jedoch bewusst - und sie sind peinlich berührt - wie viel

davon in ihnen selbst steckt: So nimmt sich das eigene Seelenwesen von der geistigen

Welt aus betrachtet aus. Das ist dann überhaupt nicht mehr lustig - es ist erschütternd.

Satiren sind eben keine Humoresken.

Wir wollen Ursula Zimmermann und Michael Leber und den jeweils neunzehn Eurythmis-

ten zutiefst danken. Die Zwölf Stimmungen haben den kosmischen Ewigkeitsmenschen

aufleuchten lassen, während die Satiren uns die trübe Realität vor Augen führten.

Meine Dankbarkeit richtet sich auch an Thomas Sutter. Alle eurythmischen Darbietungen

auf dieser Tagung wurden umrahmt von den pflanzengefärbten Vorhängen, deren Farb-

klänge die Farben der Beleuchtung aufgriffen und verstärkten.

Von den vielen Vorträgen möchte ich als Beispiel einen nennen, der in der täglichen Arbeit

immer wieder anklingt: Dr. Merker und Dr. Sebastian verknüpften den 2. Vortrag des

Heileurythmiekurses mit den Sprüchen der Säulenweisheit.2 Sie verliehen damit dem

schwierigen Thema des Abphotographierens beim Bilden der Konsonanten und des Füh-

lens beim Bilden der Vokale eine ganz neue Dimension. Wenn ich jetzt Konsonanten bil-

de, tönt es in mir:

Wandelst zum Bilde du den Gedanken,

Erlebst du die schaffende Weisheit.

Und bei den Vokalen:

Verdichtest du das Gefühl zum Licht,

Offenbarst du die formende Kraft.

Dadurch verwandeln und ‚verlebendigen’ sich auch Begriffe wie „Schaffende Weisheit“

oder „Formende Kraft“, werden wesenhaft, lebendig wirksam. Und langsam beginnt man

zu erahnen, warum Heileurythmie wirkt.

Erika Leiste, München

2 Vgl. GA 268, S. 366 (Ausg.1999); GA 284, S. 100 (3. Aufl. 1992); GA 266/1, Vortrag 1.11.1907.

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Impulsreferatzum1.VortragdesHeileurythmiekursesGehalten von Dr. Girke

Wir wollen uns in der folgenden Stunde mit Grundgedanken des ersten Vortrags der

Heileurythmiekurse3 beschäftigen. Ich werde versuchen, etwas von dem gewaltigen Bo-

gen, den dieser Vortrag spannt, nachzuzeichnen:

Er beginnt mit der Aufforderung zu einer geisteswissenschaftlichen Physiologie, geht über

in eine Betrachtung der Organe des Menschen, spannt sich dann weiter im Gedanken der

Metamorphose, an den sich der großartige Impuls anschließt von der Verwandlung des

Kopf-Rückenmark-Brustsystems in die Kehlkopforganisation, die in die oberen Luftwege

fortgesetzt wird. Von da aus wird der Bogen weiter gespannt über die Pathologie des Kin-

des, die Rhythmusstörungen, die konstitutionellen Unterschiede eines unruhigen und ei-

nes phlegmatischen Kindes, und befasst sich schließlich damit, wie die einzelnen Laute

heilend auf einzelne Organsysteme einwirken.

Es gibt nun entweder die Möglichkeit, alles ein bisschen anzureißen oder weniges aus-

führlich zu behandeln. Ich habe mich dazu entschlossen, ein Motiv ausführlich darzustel-

len unter Anwendung der Methodologie der geisteswissenschaftlichen Organbetrachtung,

die Rudolf Steiner in diesem ersten Vortrag entwickelte, mit Blick auf die Einordnung eines

Organs in den gesamten dreigliedrigen Organismus.

GrundlageneineranthroposophischenSchilddrüsenheilkunde

Ich möchte versuchen, Ihnen die Grundlagen einer anthroposophischen Schilddrüsenheil-

kunde darzustellen. Das ist ein Gebiet, das zu den Kernaufgaben der Anthroposophischen

Medizin gehört. Rudolf Steiner vertiefte es noch in seinen letzten Vorträgen 19244 in Lon-

don bis in die Arzneimittel und die Krankheitscharakteristika hinein. In Mitteleuropa betrifft

dieses Thema fast jeden dritten Menschen. Die geisteswissenschaftliche Betrachtungs-

weise besagt:

Jeder Blick auf die Schilddrüse des Menschen offenbart die Wirkungsweise der astrali-

schen Organisation. Dieser Blick ist das Tor zum astralischen Wesen des Menschen.

Zunächst wollen wir jedoch - wie im ersten Vortrag nahe gelegt - nur versuchen, uns auf

das Organ selbst zu besinnen, auf die physische Organisation dieses so kleinen Organs

in der Nachbarschaft des Kehlkopfes, das der Drüsenwelt angehört.

Die Drüsen bilden eine große Polarität im menschlichen Organismus:

• Es gibt Drüsen, die sich ganz nach außen wenden, wie die Schweißdrüsen und

die Drüsen unseres Verdauungstraktes, die Sekret und Wässriges nach außen

3 GA 315, Vortrag vom 12. April 1921. 4 GA 240, Vorträge vom 24. und 27. August 1924 in London.

18

ausscheiden. Dieser Vorgang wird häufig begleitet von seelischen Empfindungen

des Menschen.

• Und dann gibt es Drüsen, die sich nach innen wenden, zum Blut des Menschen.

Das sind die großen Hormondrüsen unseres Leibes, unserer menschlichen Or-

ganisation.

Die in diesem Sinne polar aufgebaute Drüsenorganisation “atmet“ zwischen dem nach

außen zentrifugal Strömenden und dem nach innen gewendeten Pol.

ZurEntwicklungsgeschichtederSchilddrüse

Wir wollen jetzt die Schilddrüse auch entwicklungsgeschichtlich auf ihre Ausrichtung hin

hinterfragen, wie sie sich orientiert zwischen den Polen von Umkreis und Zentrum. Vor

langer Zeit war sie vermutlich ein Organ, das nach außen hin wirkte, das der Seele, die

noch ganz im Umkreis beheimatet war, entgegenstrebte. Dann kam die Metamorphose

von dem nach außen orientierten Organ zu einem Organ, das sich nach innen wendete

und damit den Einzug des Seelisch-Geistigen in die leibliche Organisation ermöglichte.

• DiephysischeEbenederSchilddrüse

Sie ist nun eine Drüse, die mit ihrer Hormonbildung nach innen, nicht mehr nach außen

hin wirkt und sie gehört zu den Organen, die das Seelisch-Geistige des Menschen in die

lebendige leibliche Organisation hereinholen. Alle pathologischen Wechselwirkungen und

Auffälligkeiten im Zusammenwirken des Seelisch-Geistigen mit der leiblichen Organisati-

on drücken sich in den unterschiedlichen Erkrankungen der Schilddrüse aus. Soweit die

Beschreibung dieses kleinen Organs auf der physischen, der leiblichen Ebene.

• DieätherischeEbenederSchilddrüse

Wir wollen nun in einem weiteren Schritt die Schilddrüse auf der Ebene der Lebendigkeit,

der ätherischen Ebene, anschauen und uns die Frage stellen:

Trägt die Schilddrüse noch Leben in sich?

Sie steht im großen Kontrast zur Leber mit ihrer Lebendigkeit, die Schilddrüse hat das

proliferative Leben wie entlassen: Sie ist nicht ganz erstorben, kann noch ein bisschen

wachsen, kann größer und kleiner werden. Im Monatszyklus der Frau verändert sich ihre

Größe jeden Monat, nimmt zu, nimmt ab – eine Art rhythmisches Durchatmen. Selbst in

der Schwangerschaft wird sie größer. Es gibt eine alte Überlieferung aus der ägyptischen

Kulturperiode, dass früher den Mädchen ein Halsband um den Hals gelegt wurde. Wenn

es platzte, ging man davon aus, dass ein neuer Erdenbürger das ägyptische Reich betre-

ten würde. Auch in der Schilddrüse gibt es also Lebenskräfte, aber in einer zarteren nicht

sehr ausgeprägten, nicht mehr so lebendigen Form.

19

• DieastraleEbenederSchilddrüse

Nun kommen wir zu der astralen Ebene der Schilddrüse, auf der sie von unserer seeli-

schen Organisation durchwirkt wird. Dieser Prozess ist mit den Hormonen verbunden. Es

ist mir ein großes Anliegen, dass wir den Begriff „Hormon“ neu fassen, konkreter und kor-

rekter. Es ist erstaunlich, dass im Gegensatz zu der großen Bedeutung, die wir den Hor-

monen berechtigterweise beimessen, diese Hormone in ausgesprochen kleinen Mengen

auftreten: Das freie Schilddrüsenhormon beträgt nur 20 Nanogramm in 100ml – das sind

20 Milliardstel Gramm, einer Potenzierung vergleichbar. Man kann fast sagen, dass diese

geringe Hormonmenge durch die rhythmische Bewegung im Blut die unterschiedlichen

Bereiche der menschlichen Organisation erreicht und durchwirkt.

• In der menschlichen Organisation gibt es Substanzen, die sehr stark ins Physisch-

Materielle hineingehen, wie unser Knochensystem – kiloweise Apatit und Calzi-

umphosphat – also Substanzen, die die physische Organisation erreichen.

• Dann gibt es Substanzen, die direkt in Stoffwechselprozesse hineinwirken - die

Vielzahl der Enzyme und all die Substanzen, die Stoffwechselprozesse gestalten

in der ätherischen Organisation.

• Und dann haben wir diese seltsamen Substanzen, die Hormone, die so ver-

schwindend gering im menschlichen Organismus vorkommen, ohne die wir aber

nicht leben könnten. Sie nehmen nicht direkt an Stoffwechselprozessen teil, son-

dern wirken regulierend, lenkend und gestaltend und gehören zu unserer astrali-

schen Organisation.

Die hormonelle Welt ist dem Nervensystem des Menschen vergleichbar: So wie dieses

Gestaltung und Form herein trägt in den menschlichen Organismus, so wirken auch die

Hormone gestaltend, formend und lenkend auf den Organismus ein. Und genauso wenig

wie wir die Wesenheit des Nervens dadurch treffen, dass wir von einem ‚motorischen

Nerven’ sprechen, genauso wenig treffen wir die Wesenheit der hormonellen Organisation

des Menschen, wenn wir ihr motorische, lenkende, initiierende Qualitäten zuschreiben –

nach dem Motto: die Hormone „machen“ etwas. Sie geben vielmehr einen Formimpuls,

der dynamisch aufgegriffen und hineinorganisiert wird in die Stoffwechselprozesse des

Menschen – insofern der Bezug der astralischen, Formen tragenden Organisation zur

hormonellen Welt des Menschen.

• DieIch-EbenederSchilddrüse

Dann kommen wir zu der Ich-Ebene, die sich auch in der Schilddrüse darstellt.

Alles, was unserem Ich zugrunde liegt, hat die Qualität, Integration zu schaffen, etwas in

die Gesamtheit hineinzuführen, in die Gesamtheit unseres Menschenwesens.

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Die unterschiedlichen Störungen der Schilddrüse sind häufig Veränderungen, die die ein-

geschränkte Wirksamkeit der Ich-Organisation im Astralischen betreffen.

• Denken Sie an den müden Menschen bei der Unterfunktion der Schilddrüse, der

mit leerem Blick in die Ferne schaut. Es ist zwar noch etwas Waches vorhanden,

aber die Ich-Anwesenheit ist in diesem Blick nicht zu fühlen - ein Blick in die Welt

ohne Ich- und Geistespräsenz.

• Umgekehrt wird bei der Überfunktion, die Sie sicher auch schon in Ihrer therapeu-

tischen Praxis erlebt haben, auf einmal spürbar, wie das Seelische der Ich-

Führung komplett entrissen wird, wie sich eine Feuerdynamik entfacht. Dadurch,

dass das Ich nicht mehr die lenkende Instanz ist, die die Zügel in der Hand hält,

gleicht die Dynamik der Seele „Pferden, die durchgehen“. Daran ist zu merken, wie

dem Ich eine gestaltende, eine zusammenführende, eine Maß gebende Funktion

in der astralischen Ebene unseres Menschseins zukommt.

So haben wir in die Schilddrüse, in dieses kleine Organ, das meistens nur 20 Gramm

schwer ist und das in diesem ersten Vortrag erwähnt wird, die vier Wesensglieder der

physischen, der ätherischen, der astralischen und der Ich-Organisation wie „hineinge-

heimnist“.

WirkungsweisederSchilddrüseimdreigliedrigenOrganismus

Der Methode dieses ersten Vortrags folgend, wollen wir uns nicht nur auf dieses Organ

beziehen und uns um eine geisteswissenschaftliche Physiologie bemühen, sondern auf

den Spuren der Metamorphose im Zuge der Entwicklung uns auch fragen:

In welcher Beziehung steht die Schilddrüse zum dreigliedrigen Organismus?

Es gibt zwei wesentliche Richtungen der Betrachtung: Die eine wird von Rudolf Steiner in

diesem Vortrag angesprochen und entwickelt die Beziehung der Schilddrüse zum Ner-

vensystem, die andere geht in die Richtung des unteren Menschen. Die Schilddrüse be-

findet sich in der Mitte.

WechselbeziehungzwischenSchilddrüseundLeber

Zur gleichen Zeit wie die Schilddrüse bildet sich ein anderes Organ aus. Es ist ähnlich wie

die sich im oberen Bereich in der Nähe des Kehlkopfes befindliche Schilddrüse, ebenfalls

doppellappig, aber der Stoffwechselorganisation zugehörig – die Leber. Leber und Schild-

drüse stehen in einer engen Verbindung:

• Die Leberregeneration scheint mit der Schilddrüsenfunktion in einem Zusammen-

hang zu stehen.

21

• Darüber hinaus liefert die Leber die notwendige Eiweißqualität für die Bindung der

Schilddrüsenhormone im Blut, die sie den Hormonen der Schilddrüse zur Verfü-

gung stellt, wie entgegen sendet.

Es gibt also einen engen funktionellen Bezug, einen metamorphotischen Bezug zwischen

der Schilddrüse, dem Organ mit einer tiefen Beziehung zum Astralischen, und der Leber

mit ihrer Lebendigkeit und ihrem – unter einem gewissen Gesichtspunk betrachtet – na-

hen Bezug zum ätherischen Wesen des Menschen. Dieser Bezug der Schilddrüse zur

Leber orientiert sich in Richtung der Stoffwechselorganisation.

WechselbeziehungzwischenSchilddrüseundStirnhirn

Nach der anderen Seite hin wendet sich die Schilddrüse auch einem doppellappigen Or-

gan zu, dem Stirnhirn des Menschen, dem Nervensystem. Das Stirnhirn hat eine intensive

Beziehung zur Ich-Organisation des Menschen. Rudolf Steiner beschreibt an mehreren

Orten, wie wir es unserem Stirnhirn verdanken, dass wir uns als Ich-Wesen artikulieren

können. Viele Erkrankungen des Stirnhirns (Stirnhirnsyndrome) sind dadurch gekenn-

zeichnet, dass das Ich sich nicht mehr in den Seelenäußerungen des Menschen verwirkli-

chen kann.

Über-undUnterfunktion

Wir haben es mit einer großen Metamorphose zu tun, wie eingeschrieben in unseren Or-

ganismus, die bei der Leber im Stoffwechselorganismus beginnt, bis in den Bereich der

Schilddrüse geht und sich weiter erstreckt bis zum Stirnhirn des Menschen. Denn ohne

die Schilddrüse kann sich das Nervensystem physiologisch nicht entwickeln: Die Schild-

drüse ist das Organ, das bei der Entwicklung unseres Stirnhirns und Nervensystems

maßgeblich beteiligt ist. Diese Metamorphose nimmt ihren Anfang in der Lebendigkeit des

Menschen und wendet sich dann den Bewusstseinskräften zu, die sich entzünden auf der

Grundlage der Nervenorganisation. In der Mitte, als das Element der Schilddrüse, lebt die

Wärme, in inniger Weise mit der Schilddrüse verbunden:

• Die Überfunktion macht uns empfindlich gegenüber der Wärme,

• Die Unterfunktion macht uns empfindlich gegenüber der Kälte.

Die Schilddrüse ist das Tor durch das die Lebenskräfte auf dem Weg ihrer Verwandlung

zu Bewusstseinskräften schreiten; sie steht an der Stelle, wo Leben sich in Bewusstsein

verwandelt. Sie lenkt diese Metamorphose. Wenn man dieses Bild aufgreift und diesen

Gedanken nachzeichnet, kommen wir zu drei wesentlichen Qualitäten:

Der Bogen spannt sich über das Leben durch das Tor der Wärme in den Bereich des Lich-

tes. Aus der seelischen Warte könnte man auch so sagen:

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• Leben

• Wärme, Liebe

• Licht

Das sind die drei Qualitäten, die die Schilddrüsenfunktion mit einem weiten Bogen um-

spannt und verbindet.

Jetzt wollen wir diese Bezüge zueinander noch etwas weiter ausleuchten, indem wir die

Wirkungsweise unseres Geistig-Seelischen im dreigliedrigen Organismus nachzeichnen

und uns die Frage stellen:

Wie verbindet sich in jeder Willenshandlung unser Geistig-Seelisches mit dem Leib?

Wer eine Unterfunktion der Schilddrüse hat, kommt nicht richtig in die Tagesseite hinein:

die Muskulatur wird steifer, die Bewegungsorganisation wird kühler und träger in ihren

Abläufen. Das Seelisch-Geistige kann nicht hereinwirken in die Bewegungen des Men-

schen, es bleibt wie ein Stückchen außen vor.

Tag-undNachtseitedesWollens

Der Wille kann sich wie ein Substanz-verzehrender Feuerprozess entfalten – als die Tag-

esseite unseres Wollens. Meiner Betätigung hier vor Ihnen liegen keine aufbauenden

Prozesse zugrunde, sondern bewegende, verbrennende, feuerähnliche Prozesse, die mit

der Willensbildung in Zusammenhang stehen – ganz klar die Tagesseite des Willens.

Wir kennen aber alle auch die aufbauende, die Nachtseite unseres Willens, in der Regen-

ration, Wiederherstellung, sogar Wachstum der Muskulatur stattfinden. Wir müssen die

Tages- und die Nachtseite unseres Willens klar unterscheiden lernen:

Wie hängt nun die Schilddrüse mit der Nachtseite unseres Wollens zusammen?

1. AuswirkungenaufdenunterenMenschenSchilddrüsenbedingte Veränderungen in der Nachtseite unseres Wollens spielen schon in

der Kindheit eine Rolle: Wenn ein Kind unbehandelt in einer Unterfunktion verbleibt, ent-

wickelt es nur eine kindliche Gestalt: Es bleibt klein, hat zu kurze Beine, zu kurze Arme.

Die Ausbildung seiner Willensorganisation und seines Stoffwechsel-Gliedmaßensystems

bleibt zurück. Der Mensch zieht sich seelisch-geistig ein Stückchen zurück, erreicht nicht

das übliche Wachstum und die übliche Dynamik innerhalb seiner Gliedmaßenorganisati-

on. Das Hereinwirken des Geistig-Seelischen in das Gliedmaßen- und Stoffwechselsys-

tem wird durch die Unterfunktion der Schilddrüse wie gelähmt.

2. AuswirkungenaufdenmittlerenMenschenAuch im mittleren Menschen treten bei der Unterfunktion Veränderungen auf, Atmung und

Blut betreffend. Auch dort hat die Verbindung des Seelisch-Geistigen zu den Hauptorgani-

sationen des mittleren Menschen – Atmung und Blut – unmittelbare Konsequenzen: Bei

schwerer Unterfunktion kann der Mensch eine Blutarmut entwickeln und es kommt zu

23

einer Ansammlung von Lymphflüssigkeit. Die Blutqualität nimmt sich wie zurück und lym-

phatische, wässrige Qualitäten im Menschen überwiegen. Wenn ein solcher Mensch be-

handelt wird, ist beobachtet worden, dass er bis zu 20l Wasser ausscheiden kann, einfach

dadurch, dass jetzt das Seelisch-Geistige wieder ausscheidend, dynamisierend wirken

kann.

EntwicklungderAtmungsfähigkeit

Im Hinblick auf die Atmung gibt es ein wunderbares Naturbild, das uns zeigt, wie sich die

Atmung entwickelt: Die Larvalmetamorphose, d.h. die Verwandlung einer Kaulquappe mit

der Kiemenatmung in den Frosch und seiner Lungenatmung. Unsere Atmung war ur-

sprünglich stoffwechselnah, der Ernährung wie einem Geschwisterkind benachbart. Jeder

Fisch, jede kleine Kaulquappe zeigt, dass die Kiemenatmung und der Ernährungsstrom-

ganz nahe beieinander liegen. In der weiteren Entwicklung trennen sie sich: Der Ernäh-

rungsstrom geht in den unteren Menschen, und die Atmung entwickelt sich dem oberen

Menschen entgegen. Diese Metamorphose der Atmung, die sich aus dem Stoffwechsel-

bereich befreit und zur Atmungsfähigkeit entwickelt, hängt mit der Schilddrüse zusammen

– durch ihre Wirksamkeit entwickelt sich Atmungsfähigkeit. Die Larvalmetamorphose un-

terbleibt, wenn keine Schilddrüsenfunktion gegeben ist.

EntwicklungeinertönendenStimme

Aber es liegt auch an der Schilddrüse, dass wir eine tönende Stimme haben. Wenn die

Schilddrüse nicht richtig funktioniert, entwickelt sich eine tiefe Stimme. Es gibt nur wenige

Diagnosen, die man am Telefon stellen kann – die Unterfunktion der Schilddrüse gehört

dazu.

• Die Klangfähigkeit der Stimme, die Seelenbegabung unserer Atmung, dass sie

nicht nur ein Lebensprozess ist, sondern Seele nach außen ausdrücken kann, ist

dem Einwirken der Schilddrüse zuzuschreiben.

• Auch, dass wir Worte artikulieren können, dass wir eine Zunge haben, die nicht

nur Stoffwechselorgan ist wie bei einer Kuh, sondern als Sprach- und Artikulati-

onsorgan dient, verdanken wir ihr.

Die „angeborene“ Unterfunktion führt zu einer großen Zunge im Säuglingsalter. Die Orien-

tierung der Atmung weg von den Stoffwechselbereichen zum oberen Menschen hin, die

sich in der Fähigkeit Töne und Laute zu bilden und Worte zu artikulieren, ausdrückt, hängt

unmittelbar mit der Schilddrüse zusammen.

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3. AuswirkungenaufdenoberenMenschenunddieSinnesorganeNun kommen wir zu dem Wirken der Schilddrüse im Hinblick auf das Nervensystem und

die Sinnesorgane. Im Grunde verstehen wir die Schilddrüse als ein degeneriertes Vor-

derhirn, also ein in enger Beziehung zum Vorderhirn stehendes Organ.

Bei einer Unterfunktion der Schilddrüse haben wir nicht nur eine Veränderung der Stim-

me, auch das Hören kann eingeschränkt sein. Es ist Schulärzten viel zu wenig bekannt,

dass die Vergrößerung der Schilddrüse häufig verbunden ist mit einer Verschlechterung

des Hörens bei den betroffenen Kindern. Die Schilddrüse hat auch zur Ohrorganisation

einen engen Bezug. Zur Kehlkopforganisation und zur Ohrorganisation.

Bei einem Mensch mit Morbus Basedow, der Überfunktion der Schilddrüse, werden die

Augen regelrecht nach außen gedrängt. Die Schilddrüse steht mit Auge und Ohr als den

großen Sinnesorganen des oberen Menschen in Beziehung. Darüber hinaus hat sie Be-

deutung für die Entwicklung und Differenzierung des Nerven-Systems. Damit steht die

Schilddrüse in enger Verbindung mit dem nerven- und Sinnes-Systems unseres dreiglied-

rigen Organismus.

SchilddrüseundDenken

Rudolf Steiner teilt in einem Vortrag eine wichtige Beobachtung mit und gibt eine geistes-

wissenschaftliche Erläuterung dazu. Wir müssen in unserem Denken unterscheiden die

Kräfte, die als Lebenskräfte metamorphosiert zu den Kräften des Denkens werden,5 ge-

wissermaßen diesem lebendigen Strom des Denkens auf der einen Seite. Und wir brau-

chen dann auf der anderen Seite das, was kristallartig, gedankenartig wachbewusst das

lebendige Denken ersterben lässt. Möchte man es imaginativ ausdrücken, so kann man

sagen: Die Licht-Sonnenkräfte des Denkens werden reflektiert durch die Mondenqualität

der Gedankenwelt.

Die Schilddrüse ist nun nicht für die Gedankenwelt zuständig, sondern für die Metamor-

phose der Lebenskräfte in die Kräfte des Denkens. Kräfte, die intentional, willensartig le-

ben, sind die Welt der Schilddrüse, nicht die erstarrte Qualität unserer Gedankenwelt.

ErkrankungenderSchilddrüseundSchilddrüsentherapie

Ich möchte Ihnen einige der Erkrankungen, die Ihnen in Ihrer Praxis immer wieder begeg-

nen werden, nahe bringen, und den Bogen ausweiten auf das, was sich auf den unter-

schiedlichen Ebenen als Therapie anbietet.

Dass die Therapie von Schilddrüsenerkrankungen von großer Bedeutung ist, wird nicht

nur dadurch deutlich, dass Rudolf Steiner für die Heileurythmie diese zwei Schilddrüsen-

reihen kasuistisch angegeben hat, sondern auch daran, dass er eine besondere Pflanze,

5 Vgl. GA 215, dritter Vortrag, Dornach, 8. September 1923.

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nämlich die Herbstzeitlose, „unser“ Colchicum-Präparat, noch in seinen letzten Vorträgen

erwähnt, und es in gewisser Weise an die Seite der Mistel – und ihr auch gegenüber –

gestellt hat. Auf uns alle wartet eine große therapeutische Aufgabe, die wir im Zusam-

menwirken von Heileurythmist und Arzt noch anzugehen haben.

1. KrankhafteVeränderungeninderätherischenOrganisation

• Struma beim jungen Menschen

Schauen wir zunächst einmal auf die Veränderungen in der ätherischen Organisation,

wenn die Schilddrüse erkrankt:

Zu uns kommt ein junges Mädchen, um die Pubertät herum, an dem wir eine vergrößerte

Schilddrüse sehen oder ertasten. Es ist eine ganz weiche vergrößerte Schilddrüse. Daran

können wir erkennen, dass das Seelisch-Geistige, die Ich-Organisation und die astrali-

sche Organisation Schwierigkeiten haben, hereinzukommen in das Stoffwechsel- und

Gliedmaßensysten dieses Mädchens. Das Seelisch-Geistige kann wie „herausgeschockt“

sein: Das Kind kann nicht ausreichend zur Erdenreife gelangen, weil andere Dinge es

daran hindern.

Im Hinblick auf die Therapie sollten wir nicht nur auf das vergrößerte Organ achten, son-

dern alles mit einbeziehen, was das Seelisch-Geistigen fördern und unterstützen könnte

beim Ergreifen des Leibes.

• Struma beim alten Menschen

Auch beim alten Menschen gibt es pathologisches Wachstum. Die Vergrößerung der

Schilddrüse in der Kindheit fühlt sich jedoch ganz anders an als die vergrößerte Schild-

drüse des alten Menschen – Letztere ist hart, enthält u.U. Kalkablagerungen, ist derb, hat

nicht das Weiche des jugendlichen Menschen.

Wir haben es hier nicht mit jener Schilddrüsenqualität zu tun, die sich mit dem Wirken der

Wesensglieder in der Gliedmaßen-Organisation verbindet. Hier wirken die oberen We-

sensglieder vielmehr vom Kopf aus überformend, kugelförmige Knoten bildend in dieses

Organ herein. So ein Knoten verfestigt sich, sklerosiert, kann Kalk enthalten. Die verhärte-

te Schilddrüse des alten Menschen zeigt die verformenden, abrundenden, verfestigenden

Qualitäten des oberen Menschen.

PolarepathologischeVeränderungen

• Dort die diffuse weiche Schilddrüsenvergrößerung des jungen Menschen, die uns

fragen lässt:

Wie wirkt das Seelisch-Geistige in das Stoffwechsel- und Gliedmaßen-System

herein?

• Hier der alte Mensch mit der knotenförmig, festen Schilddrüse und dem dominie-

renden Hereinwirken des oberen Menschen, des Nerven-Sinnes-Systems.

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2. KrankhafteVeränderungeninderastralischenOrganisationDie astralische Organisation der Schilddrüse ist ein Bereich, der für die Schilddrüsener-

krankungen von sehr vielen Menschen wesentlich ist. Vieles an biografischen Ereignissen

zeigt hier Auswirkungen. Es geht dabei um alle Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse:

• das Krankheitsbild des Morbus Basedow, der überfunktionierende Schilddrüse ei-

nerseits,

• und dann dieses rätselhafte Krankheitsbild, das v.a. viele Frauen betrifft - wahr-

scheinlich auch hier in diesem Saal: der Menschheit seit fast 100 Jahren bekannt,

von einem Japaner erstmals beschrieben – die Erkrankung, die wir als Hashimoto-

Erkrankung kennen.

Diese beiden Erkrankungen haben eine innere Polarität. Es liegt mir sehr daran, dass wir

Krankheiten nicht nur isoliert adressieren, sondern dass wir sie in ihrem wechselseitigen

Bezug im Spannungsfeld der Metamorphose unseres dreigliedrigen Organismus kennen

lernen.

• DieHashimoto-Erkrankung

Ein Mensch mit einer Hashimoto-Erkrankung, mit einer sich ausbildenden Unterfunktion

der Schilddrüse, wird Ihnen manchmal erzählen, dass die Gelenke wie steif werden, er

wird manche anderen Einschränkungen in der Gelenksorganisation schildern, und wird

sie häufiger innerlich empfinden, als sie äußerlich zu sehen sind.

Außerdem können eigenartige Veränderungen im Bereich des mittleren Menschen beo-

bachtet werden - in der Gefäßorganisation. Normalerweise haben wir einen Rhythmus in

unserem Gefäßsystem aus Verengung und Erweiterung, einen Atemrhythmus:

• Wenn ein Mensch sehr erschrickt, wird er auf einmal bleich, weil sich die Blutgefä-

ße zusammen ziehen. Das geschieht auch, wenn der obere Mensch und das Be-

wusstsein überwiegen.

• Umgekehrt ist mit der Nachtseite der Schilddrüsenwirksamkeit eine Erweiterung

der Gefäße verbunden: Denken Sie an ein schlafendes Kind mit seiner rosigen

Hautfarbe und den roten Wangen

Bei der Hashimoto-Thyreoiditis ist es nun so, dass sich die Gefäße nicht mehr ausrei-

chend „erweitern“ können, eine innere Erstarrung ist eingetreten, ja sogar eine Sklerose.

Man spricht in der Medizin von der endothelialen Dysfunktion, die dieses Phänomen um-

schreibt. Immer wenn jemand nicht mehr richtig in Bewegung kommt, wenn die Gliedma-

ßen nicht mehr richtig durchwärmt werden, weil sich der Mensch aus dem Bereich der

Stoffwechsel-Gliedmaßen-Organisation wie zurückzieht, dann überwiegt die verhärtende

Qualität, die Sklerosequalität. Sie ist verbunden mit der Unterfunktion der Schilddrüse, die

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sich nach und nach entwickelt. Dieses Bild ist sehr wichtig, weil es uns therapeutisch dar-

stellt, was wir machen können im Hinblick auf eine tiefer gehende Heilung.

Seelisch gesehen mögen die betroffenen Menschen zu Anfang noch etwas Unruhiges,

„Nervöses“ und Kribbliges haben, so dass manche nicht wissen, ob sie nun eine Über-

funktion haben oder eine Unterfunktion. Doch wenn die Seele sich dann weiter und weiter

löst, kommt es zu einer zunehmenden Müdigkeit und Erschöpfung: der Mensch will immer

mehr einschlafen.

Die Krankheit, die sich mit diesem Bild verbindet, besteht darin, dass sich Seele und Geist

schlafartig herauslösen, zuerst aus dem Gliedmaßensystem, zuletzt aus der Bewusst-

seinswelt des oberen Menschen: Das Seelisch-Geistige zieht sich in den Umkreis des

Menschen zurück – es atmet sich zu stark aus. Menschen, die nicht behandelt werden,

werden zu schlafenden Menschen.

Wir brauchen als Therapie alles, was bewegend und dynamisierend wirkt und dazu bei-

trägt, das Seelisch-Geistige wieder in die leibliche Organisation hereinzuführen.

• DerMorbusBasedow

Die „Schwestererkrankung“, der Morbus Basedow, die Entwicklung der Überfunktion, hat

eine ganz andere Qualität: Dabei entfesselt sich die astralische Organisation. Sie baut

das Gliedmaßensystem, die Muskulatur ab. Der Mensch hat zunächst viel Kraft, aber

nach und nach merkt er - so schön die erste Zeit vielleicht war mit wenig Schlaf und viel

Aktivität – dass etwas an seinem Gliedmaßensystem zehrt. Es können sogar Müdigkeit

und Erschöpfung auftreten: Der betroffene Mensch kommt gar nicht mehr richtig in die

Gänge, in die Muskeltätigkeit hinein. Muskuläre Kraftlosigkeit kann im Rahmen der thyreo-

toxischen Myopathie entstehen.

Unruhe erfasst die astralische Organisation: Das Herz fängt an schnell zu schlagen, die

Atmung geht schneller, die Durchblutung der Haut des oberen Menschen nimmt zu - die

astralische Organisation entfesselt sich aus dem unteren Menschen und dringt in den

oberen Menschen ein. Dieses Eindringen zeigt sich in den hervortretenden Augen.

Unser Auge ist Ausdruck der Wirksamkeit unseres astralischen Leibes:

• Der sich zurückziehende astralische Leib führt eher in das Augenschließen: Wenn

wir müde sind, spüren wir, wie die Augen kleiner werden, die Lidspalte sich ver-

engt. Manchmal senken sich die Lider auch, die Augen treten leicht nach hinten.

• Der sich aktivierende astralische Leib, wenn wir gefordert sind, führt zu einer gro-

ßen Lidspalte, zu vor Schreck geweiteten Pupillen und einem eher nach vorne tre-

tenden Augapfel. Das ist konstitutionell beim Morbus Basedow zu sehen.

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Wir haben eine pathologische Dynamik, die man so andeuten kann, dass das Seelisch-

Geistige sich aus dem unteren Menschen befreit und in den oberen Menschen herein-

dringt.

PolaritätderKrankheitsbilder

Darin besteht die Polarität der beiden Erkrankungen:

• Die eine, der Morbus Basedow, führt in eine starke Tagesseite, einhergehend mit

einer Temperatursteigerung, vermehrter Durchblutung, entzündlichen Prozessen.

• Die andere, die Hashimoto-Erkrankung, führt in eine pathologische Nachtseite,

einhergehend mit verhärtenden und erstarrenden Prozessen, mit Sklerose-

Prozessen.

Beide Erkrankungen können in einander übergehen. Es kann durchaus sein, dass sie in

einem Leben miteinander abwechseln. Ihr Metamorphosespektrum zeigt und charakteri-

siert die Dynamik des astralischen Leibes, die nicht mehr ausreichend durch die Ich-

Organisation gelenkt ist.

3. KrankhafteVeränderungrundumdieIch-Organisation–Karzinom

Zum Abschluss möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die Schilddrüse auch die Karzino-

merkrankung kennt, die ich jetzt nicht mehr ausführen kann. Angesichts eines Karzinoms

kann man aber innerlich nachzufühlen versuchen, wie die Schilddrüse wieder zu einer Art

Sinnesorgan werden möchte: Wir haben anfangs davon gesprochen, wie sie von einem

Organ, das sich nach außen wendete, zu einem Organ geworden ist, das sich ganz nach

innen wendet. Beim Karzinom richtet sich die Schilddrüse wieder sinnesorganartig nach

außen.

Allgemein ist zu sagen, dass es große Krankheits-Entitäten gibt, die entweder vorwiegend

mit dem Ätherischen oder vorwiegend mit dem Astralischen in Zusammenhang stehen,

oder eben in einer gewissen Beziehung stehen zur Ich-Organisation – das ist gerade bei

den karzinomatösen Erkrankungen der Fall.

TherapeutischeMöglichkeiten

1.DieArzneimittel

1.1ArzneimittelbeiSchilddrusenvergroßerung

Es gibt hier eine große Gruppe von Arzneimitteln. Besonders wesentlich sind die Colchi-

cum-Präparate. Zum Wesen und zur Wirksamkeit der Herbstzeitlose gehört das Herein-

führen des Seelisch-Geistigen in den Organismus. Immer wenn eine Schilddrüsenvergrö-

ßerung vorliegt, können wir mit dieser Heilpflanze harmonisierend hineinwirken in das

Krankheitsgeschehen.

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1.2ArzneimittelbeiMorbusBasedow

Im Hinblick auf den Basedow, auf die entfesselnde entzündliche Qualität, brauchen wir ein

Arzneimittel, das sich der Wärme dieser Überfunktion annimmt, aber dabei gestaltend

wirkt – das Struktur und Licht hereinbringt. Es gibt eine geheimnisvolle Kupferverbindung,

den Cuprit, das Kupferoxyd. Während Kupfer eine wärmenahe Substanz ist, die etwas

Wärmeartiges in sich trägt, bekommt es in dieser Verbindung die Qualität eines Edelstei-

nes, eines rubinroten, oktaedrischen Steines, durchsichtig, von einer wunderbaren Farbe:

Lichtqualitäten und edelsteinartige Qualitäten sind der Wärme des Kupfers hinzugefügt,

Strukturkräfte, die ordnend einwirken auf die entfesselte Wärmequalität des Morbus Ba-

sedow.

1.3ArzneimittelbeiderHashimoto-Erkrankung

Bei der Hashimoto-Erkrankung, versuchen wir mit Hilfe des Eisens eine inkarnierende,

eine das Seelisch-Geistige wieder hereinführende Qualität zu entwickeln.

2.Heileurythmie

Auf dem therapeutischen Feld der Heileurythmie besteht die große Herausforderung da-

rin, das Vokalische und das Konsonantische innerlich zu verstehen und in seiner Wirk-

samkeit zu erfassen. Das Konsonantische entwickelt Qualitäten, die die plastisch bilden-

den Kräfte unterstützen, auch in Bezug auf die Schilddrüsenheilkunde. Bei allen Prozes-

sen im Menschen gilt es immer zwei Dinge zu unterscheiden, indem man sich folgende

Fragen stellt:

Was geschieht auf der Ebene der Bildekräfte und Prozesse?

Was sind die lenkenden Gesetzmäßigkeiten, das, was den Bildprozessen Struktur gibt

und sie ordnet?

‚Leben’ und ‚Form’ und kann man diese beiden Qualitäten nennen, oder ‚prozessuales

Wirken’ und ‚innere Struktur und Ordnungskraft’:

• Das Konsonantische ist verbunden mit den plastizierenden Bildkräften, die sich

vornehmlich im unteren Menschen entwickeln.

• Das Vokalische ist verbunden mit dem ordnenden, gesetzmäßig sich formenden

Qualitäten, die sich überwiegend aus dem oberen Menschen wie hereinsenken.

In der Heileurythmie bei Schilddrüsenerkrankungen haben wir immer zu fragen:

Wo brauchen wir das konsonantisch plastizierende Element und wo das vokalisch ord-

nende?

• Wenn ich z.B. eine hart gewordene Knotenstruma habe, die eine Erschöpfung des

Bildkräftepotentials zeigt:

Was muss ich da konsonantisch hereinwirken lassen?

30

• Oder umgekehrt, wenn ich Auflösungsprozesse in der Schilddrüse finde, Prozes-

se, die in Richtung der Formlosigkeit gehen:

Was kann über die vokalische Seite Form gebend an den Organismus herange-

tragen werden?

DiezweigroßenSchildrusenubungen

Man kann unter diesen Aspekten und Fragestellungen auf die zwei großen Schilddrüsen-

übungen schauen.

DieLMS-Übung

In dem L, M, und S finden wir eine Dreigliederung im Konsonantischen vor, die die ein-

gangs geschilderte Dreigliederung aufgreift:

• Im L haben wir den Quellpunkt des Lebendigen, eine aufbauende, lebernahe

Qualität.

• Im M haben wir eine vermittelnde, die Mitte gestaltende Qualität.

• Im S sehen wir mit Form, aber auch mit Feuer verbundene Qualitäten.

Aus meiner Sicht hat gerade diese konsonantische Übung das Potential, die Dreigliede-

rung, mit deren Entwicklung die Schilddrüse verbunden ist und in deren Dynamik sie sich

hineinstellt, zwischen dem gestaltenden Pol auf der einen Seite, dem atmenden in der

Mitte und dem aufbauenden Lebendigen im unteren Bereich, aufzugreifen.

DieSMIA-Übung

Bei der SMIA–Übung kommt das Wechselverhältnis vom Vokalischen zum Konsonati-

schen zum Tragen: Hier wirken zusätzlich zu den Qualitäten von S und M, nun diejenigen

von I und A herein. Wenn ich vorhin das Kupfer und den Cuprit erwähnte, so kommt mir

dieser Cuprit wie ein Substanz gewordene I- und A-Übung vor: Das astralische Element,

das mit der A-Wirksamkeit verbunden ist, bekommt durch das I eine innere Lichtkraft.

Ich habe den Eindruck, dass der therapeutische Prozess, den wir mit den Arzneimitteln

anregen, weitergeführt und vertieft wird in dem heileurythmischen Gestus. Dadurch kann

eine therapeutische Verbindung zwischen der Arzneitherapie und der heileurythmischen

Therapie erkannt werden, die das gesamte therapeutische Konzept in einen inneren,

transparenten Zusammenhang stellt und zu einer wirklichen, integrativ wirksamen Heil-

kunst werden lässt.

3.SelbstschulungalsMöglichkeitderSelbstheilung

Als letzten Punkt die Frage, die so viele Menschen stellen:

Was kann ich selbst als Krankheitsaufforderung, als Hieroglyphe dieser Krankheit entzif-

fern und zur inneren Aufgabe werden lassen?

31

U- bungenfurdieEntwicklungdersechzehnblattrigeLotusblume

Als Antwort kommt etwas zum Tragen, das mit der Schilddrüse immanent verbunden ist:

Die Übungen, die zu der übersinnlichen Organbildung gehören, die zu Schilddrüse und

Kehlkopf in Beziehung treten – die sechzehnblättrige Lotusblume. Dieser ganze Übungs-

zusammenhang, wirkt gesundend auf den Bereich der Schilddrüse. Rudolf Steiner hat

diese Übungen in seinem Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“6 aus-

führlich beschrieben.

1. Übung–DieEntwicklungderBegriffswelt

Der Patient mit Hyperthyreose assoziiert oftmals hektisch einen Gedanken nach dem an-

deren. Es ist keine Ruhekraft in seinem Denken. Er muss erkennen, wie wichtig es ist, zu

der richtigen, wahren Begriffsbildung vorzustoßen, damit die Begriffswelt zum treuen

Spiegel der Welt wird.

2. Übung–BewusstesSetzeneinesMotivs

Für einen unruhigen Menschen, oder auch einen, der sich überhaupt nicht entschließen

kann, bei dem die Trägheit dominant ist, ist es besonders wichtig, sich zu schulen, be-

wusst ein Motiv zu setzen als Initium einer Handlung.

3. Übung–DierichtigeRede

Das ungewöhnliche Redeverhalten eines hyperthyreoten Patienten wird in der Medizin

etwas abfällig als Logorrhoe bezeichnet: Oftmals besteht eine schnelle, hektische, ruhelo-

se Sprache „Richtige Rede“ wäre die Übung, die sich als Aufgabe nach innen hin stellt.

4. Übung–KonsequenzendeseigenenTunhinterfragen

Dann kommt wieder eine Willensübung, in der der Mensch darauf hingewiesen wird, nicht

nur bewusst zu entscheiden, was er tut, sondern sich zu fragen:

Wie steht mein Tun in der Welt mit allen anderen in Verbindung?

Was sind die Konsequenzen meines Tuns?

Das ist fast schon ein nachtodlicher Aspekt – das Bewusst-Werden dafür, wie das Han-

deln mit der Welt im Zusammenhang steht.

5. Übung–MeisternvonTrägheitundHastigkeit

Nun eine richtig schilddrüsentypische Übung: das Achten auf Trägheit und Hastigkeit. Das

Träge und das Gehetzte aufspüren – eine Übung für uns alle, bei der wir lernen können,

wie wir aus dem Hamsterrad unserer alltäglichen Betriebsamkeit ein Stück weit heraus

kommen und wieder Maß und Meister in dem polaren Feld des zu Trägen auf der einen

Seite und des zu hastig Schnelllebigen auf der anderen Seit werden.

6 GA 10, Kapitel: Über einige Wirkungen der Einweihung. S. 81ff. (Ausg. 1956).

32

6. Übung–SichdieeigenenFähigkeitenbewusstmachen

In einer inneren Selbstreflexion soll der Mensch sich darüber klar werden, was er kann

und was er nicht kann. Er soll erkennen und nur das tun, was im eigenen Fähigkeitsspekt-

rum liegt.

Wie viel machen wir manchmal, in Anleihe auf zukünftige Entwicklung und wie viel unter-

lassen wir, was wir eigentlich tun könnten?

Es geht darum, das innere Bewusstseinsmoment zu erlangen, was im momentanen

Spektrum veranlagt ist. Eine wichtige Übung, der sich direkt die siebente anschließt:

7. Übung–AlsLernenderdurchsLebengehen

Das Fähigkeitsspektrum ständig zu erweitern, immer weiter zu lernen. Nicht bei dem, was

man kann, stehen bleiben, sondern am Leben lernen, als immerzu Lernender durch die

Welt gehen zur ständigen Erweiterung unseres Fähigkeitsspektrums.

8. Übung–BlickeindasInnere

Schließlich dieser so unendlich wichtige Übungszusammenhang gerade für Menschen mit

Überfunktion, bei denen sich die Augen wie große Sinnesorgane dem Sichtbaren in der

Welt zuwenden: ‚Blicke in das Innere’, bedeutet z.B. die eigenen Ideale und Lebensmaxi-

men zu überprüfen.

MetamorphosezumGeistselbst

Die Ich-Funktion der Schilddrüse kann sich entwickeln und gestalten, kann gefördert wer-

den durch einen solchen Übungszusammenhang, der heilkräftig auf die Organisation des

Menschen wirkt. Über die Charakterisierung der verschiedenen Erkrankungen, über die

Besprechung der Arzneimittel und die Übungen der Heileurythmie bis hin zum inneren

Auftrag, den eine Krankheit dem Menschen selbst stellt, wird ein Bild entworfen, in dem

der Mensch zum Mitgestalter seiner Gesundung werden kann. Die Arbeit am astralischen

Leib wirkt verwandelnd – das Ich erarbeitet sich dadurch eine neue Kompetenz, entwickelt

sich dabei als geistiges Selbst: Die Schilddrüsenerkrankungen sind dem Astralischen Tür

und Tor in seiner Metamorphose zum Geistselbst.

Anhand der Betrachtung dieses so kleinen Organs, das in den ersten Absätzen des ersten

Vortrags des Heileurythmiekurses erwähnt wird, können wir uns bewusst machen, wie

weit sich der Bogen spannt bis hin zu den tieferen Dimensionen, die mit der Heilung und

der Entwicklung des Menschen in Zusammenhang stehen.

33

Impulsreferate zum 2. Vortrag des Heileurythmiekurses

1. Referat von Dr. Gudrun Merker:

DasvokalischePrinzipinderEurythmie

Im zweiten Heileurythmievortrag7 erläutert Rudolf Steiner das vokalische Prinzip in der

Eurythmie. Die Vokale offenbaren, was im Inneren des Menschen an Gefühlen und Emo-

tionen lebt. Es geht vor allem darum, empfinden zu lernen, was in die Bewegung hinein-

fließt, wenn man einen Vokal lautiert: Das Wichtigste dabei ist, dass man die Haltung und

die Bewegung fühlt.

Zu Beginn möchte ich Ihnen Worte Rudolf Steiners zitieren, die er vor 101 Jahren beim

Münchner Kongress für die tief blauroten Säule des vierten Siegels gegeben hat:

„Verdichtest Du das Gefühl zum Licht, offenbarst Du die formende Kraft.

Verdinglichst du den Willen zum Wesen, so schaffst du im Weltensein.“8

Wir wollen jetzt die einzelnen Vokale, wie sie in der Eurythmie gemacht werden, auf ihre

therapeutische Wirkung hin betrachten:

DasIundseinetherapeutischeWirkung

Beim I strecken wir mit beiden Armen und sollen möglichst viele solche I-Stellungen ma-

chen. Fühlen wir die I-Stellungen und verdichten das Gefühl zum Licht, so bilden wir die

vielen I’s, die vom Herzen auswärts strahlen, zu einer leuchtenden Sonne. Schon nach

diesen vielen Armstellungen spricht Rudolf Steiner davon, dass sich die ganze individuelle

Person dadurch ausdrückt.

Was heißt „Person“?

Im Lateinischen ist „persona“ die Maske, abgeleitet von „personare“ – hindurchtönen. In

der Person tönt das Individuum hindurch in seiner menschlichen Eigenart.

Kann Lichtartiges tönen?

Goethe lässt im Faust im Prolog im Himmel den Erzengel Raphael sprechen:

„Die Sonne tönt nach alter Weise

in Brudersphären Wettgesang

und ihre vorgeschriebne Reise

vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke

Wenn keiner sie ergründen mag.

7 GA 315, Zweiter Vortrag, 13. April 1921. 8 Lierl, Robert (HG), Anthroposophie wird Kunst. Der Münchener Kongress 1907 und die Gegen-wart. München 2008, S. 63.

34

Die unbegreiflich hohen Werke,

sind herrlich wie am ersten Tag.“9

Wie ist das bei der Begegnung zwischen Menschen?

Tönt da etwas von dem Individuellen hindurch in die Brudersphäre, die Brüderlichkeit?

Nehmen wir als Beispiel für die therapeutische Wirkung des I einen Menschen, der sich

nicht „ordentlich zu äußern“ vermag als Person, der zu wenig ausschreitet, ungeschickt

geht, sodass die Blutzirkulation darunter leidet und zu langsam geworden ist:

Jetzt lassen wir ihn die I-Übung so machen, dass er nach den vielen I-Stellungen auch

noch die Arme in der Ebene dreht – schnell, schneller, noch schneller, dadurch wird die I-

Übung gesteigert. Das „Drehen in der Ebene“ führt in das Ätherische hinein, das Schnelle

ins Geistige. Das bedeutet, das Geistige des Ich kann bis in die ätherische Ebene aktiv

werden.

Der Einzelne in seiner menschlichen Eigenart lässt hindurchtönen seine Menschensonne.

Vom Herzen heraus offenbart er sich als Person im Wettgesang der Brudersphären.

DasUundseinetherapeutischeWirkung

Wir wollen nun das U betrachten. Das blaue Kleid der Eurythmiefigur zeigt uns, dass die

Bewegung sehr wenig Aktivität erfordert. Wir brauchen Gelassenheit für die U-Übung. Das

Fühlen des Parallelen holt das Umkreislicht an die Gestalt heran – im gelben Schleier. Im

„Sich-Zurückziehen“ und „An-sich-Halten“ drückt sich Furcht aus. Furcht entsteht, wenn

die Macht, die im Menschen die Knochen zur Parallelität und Standfestigkeit verdichtet,

ihren Ort verlässt, herausflimmert.

Wenn wir die Parallelität des U von oben anfangend in einzelnen Stellungen ausgeführt

und gefühlt haben, sollen wir die Arme übergangslos durch alle Stellungen herunterbewe-

gen und wieder hinauf und sollen dabei immer schneller werden, bis die Bewegung eine

ziemliche Schnelligkeit entwickelt hat. Auch mit dieser Bewegung greifen wir durch die

Schnelligkeit in das Geistige hinein.

Die Linien der Arme der Eurythmiefigur ergeben ein Bild, das aussieht wie ein Schnitt

durch einen Wirbel: Ein „Strudel“ bewegt sich abwärts, saugt etwas ein: Er saugt das ein,

was ein Mensch braucht, der Furcht hat, um ihr begegnen zu können.

Mit Goethe können wir sagen:

„Feiger Gedanken,

Bängliches Schwanken,

Ängstliches Klagen,

Weibisches Zagen,

Wendet kein Elend,

9 Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Der Tragödie erster Teil: Prolog im Himmel (Raphael).

35

Macht dich nicht frei.

Allen Gewalten

Zum Trutz sich erhalten,

Nimmer sich beugen,

Kräftig sich zeigen,

Rufet die Arme,

Der Götter herbei.“10

Diese sich herunterbewegenden Arme rufen etwas herbei: Sie rufen den Mut herbei, den

Mut, sich als Mensch offenbaren zu können, fest zu stehen, nicht müde zu werden, Aus-

dauer zu haben und Standfestigkeit zu entwickeln. Die Furcht, die der Mensch als geisti-

ges Wesen auf Erden hat, wird durch das U verwandelt zu der die Menschengestalt for-

menden Kraft.

DasOundseinetherapeutischeWirkung

Nun zum O. Für die O–Haltung schließen wir die Arme zum Kreis und fühlen die Rundung

der Arme, machen die Os zunächst einzeln und dann, indem die Arme hinuntergleiten.

Dabei muss das „Kreisschließen“ erhalten bleiben und auch hier wird die Auf- und Abbe-

wegung jetzt immer schneller und schneller.

Die „glanzvollste Anwendung“, so Rudolf Steiner, hätten wir, wenn eine recht dickliche

Person, eine „unnatürlich“ dickliche Person dies ausführt.11

Was heißt denn „natürlich dicklich“?

Wenn eine Frau schwanger wird, wird sie natürlich immer runder. Wir wissen, was inner-

lich geschieht, dass eine lebendige Seele sich anschickt, den Erdenleib zu ergreifen, Ma-

terie aufzugreifen, um sich darin später als Seele zu offenbaren. Die Seele hat eine Inner-

lichkeit, die wir nicht sehen können. Wenn sich die seelische Innerlichkeit mit Stoff auffüllt,

kommt es zu diesem unnatürlichen Dicksein. Das O wirkt der Tendenz zur Dickleibigkeit

entgegen. Es hilft im Sinne des Wahrspruchs von Rudolf Steiner:

„Der kleinste Erdenmensch, ein Sohn der Ewigkeit, besiegt in immer neuem Leben den

alten Tod.“12

Wenn der Stoff, den wir uns zum Offenbaren unserer Seele aneignen, nicht der Lebendig-

keit der Seele entspricht, dann wird unser ewiges Seelenwesen von der toten Erdensub-

stanz belastet, wird unbeweglich, wird schwer, droht dem Stoff zu verfallen. Die heileu-

rythmische Ausübung des Lautes O verstärkt den ätherischen Umkreis und die tragende

10 Johann Wolfgang von Goethe, Königlich Gebet. In: Goethe, Gedichte. Kommentiert von Erich Trunz. München 1981; Jubiläumsausgabe, 2007, S. 134. 11 Vgl. GA 315, Zweiter Vortrag, 13. April 1921. S. 25 (Ausg. 1981). 12 GA 40: Wahrspruchworte. S. 211 (Ausgabe 1991).

36

Formkraft. Die Liebe zum Stoff wird verwandelt in die Liebe zur Seele und wirkt so als

Gegenpol zu der Dynamik und den Tendenzen des dicklichen Menschen.

DasEundseinetherapeutischeWirkung

Für die E-Bewegung legen wir die rechte Hand über den linken Arm. Um die Wirkung zu

verstärken, machen wir den Kreuzungspunkt immer näher zum Körper hin, „bis die Är-

melnähte hinten zerreißen“. Nach den einzelnen E-Bewegungen sollen wir das E nach

unten führen. Die Führung wirkt nach innen: Das E fixiert das Ich im Ätherleib. Es ist nicht

weiter mit äußeren Wahrnehmungen beschäftigt. Es muss auch keine Selbstbehauptung

ausstrahlen – es kehrt zu seinem eigenen Wesen zurück.

„Mensch werde wesentlich,

denn wenn die Welt vergeht,

so fällt der Zufall weg,

das Wesen, das besteht.“13

So charakterisiert Angelus Silesius diesen Moment des Sich-auf-sich-selbst-Besinnens.

Die Lichtnatur des Ich wird fühlbar durch die Kreuzung der Arme. Licht wird nur sichtbar,

wenn es auf einen Gegenstand trifft. Wir befinden uns mit dem Lichthaften bereits im

ätherischen Bereich. Das Licht macht sichtbar!

Was erscheint in dieser Überkreuzung, die wir fühlen sollen?

Wir sollen das Fühlen zum Licht verdichten. Wir müssen, weil es den Punkt selbst ja nicht

gibt, den Weg, durch den er zustande kommt, in Erscheinung bringen: die weite ausgrei-

fende und sich dann überkreuzende Bewegung.

Rudolf Steiner charakterisiert das Licht mit folgenden Worten:

„Des Lichtes webend Wesen, es füllet die Welt mit Sein.“14

Licht hat eine Webe-Natur, die uns vom Kosmos her umgreift, in die wir hineingreifen und

die wir verwebend auf den Punkt bringen.

Das Gleiche macht auch die Eurythmiefigur: Indem Sie

diese Außenlinien verfolgen, erhalten Sie zwei Über-

schneidungspunkte – hier einen und da einen. Die Ver-

bindung dieser Überschneidungspunkte, denjenigen

von der Armbewegung mit dem Schleier eingeschlos-

sen, ergibt eine gerade Linie.

Im dritten Vortrag heißt es:

13 14

37

„Das Gewahrwerden seiner selbst kommt durch das E zustande und es summiert sich zu

einer Vertikalen.“ 15

Unser Nervensystem macht das ständig - es bringt alle Wahrnehmungen „auf den Punkt“.

Alle Wahrnehmung - das Tasten, Sehen, Hören usw. - alles, was wir wahrnehmen, ist

Lichtwahrnehmung, sagt Rudolf Steiner. Wir können unser Nervensystem auch überstra-

pazieren, indem wir ständig Bewusstsein schaffen. Dann überwiegt der Abbau in unserem

Organismus und wir werden immer dünner. Dünne Menschen sind schwach, was ihre

ätherischen Kräfte anbelangt. Durch übergroße Bewusstheit bauen sie ständig ab, was

der Ätherleib aufbauen möchte.

Das E hilft uns, es nimmt uns Arbeit ab: Durch das E wird Bewusstheit geschaffen, sodass

der eigene Ätherleib sagen kann:

‚Nun bin ich auf den Punkt gebracht, jetzt kann ich auch wieder loslassen und in die Weite

hinausgehen.’

In seinem bekannten Gedicht spricht Goethe von der Sonne, die im Weltenall tönt. Sie

tönt in die Brudersphären hinein, von Ich zu Ich:

„Die Sonne tönt nach alter Weise

in Brudersphären Wettgesang.“16

Wenn man sich schützen muss, weil das andere Ich zu laut tönt, kann man sich in der

eigenen Schwäche der Welt gegenüber aufrechterhalten mit Hilfe des E. Oder man nimmt

angesichts einer starken Lichtkraft selbst auch an Stärke zu:

„Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke...“

Die Anwesenheit dieses leuchtenden Sonnenwesens in der Welt bringt alles Wachstum

hervor, saugt es aus der Erde heraus. Jedes wahre Ich ist ein Bejaher, ein Lichtschaffer.

Ich kann in der Begegnung mit einem starken, strahlenden Ich durch die eigene Aktivität

sein Licht in meinem ätherischen Organismus sammeln, an Stärke gewinnen und mich

dadurch der Welt gegenüber besser aufrecht erhalten.

DasAundseinetherapeutischeWirkung

Wir kommen zum letzten Laut, dem A.

• Wenn wir beim Ausführen des I gesagt bekommen, schnell, schneller, noch

schneller drehen,

15 „ … so summiert sich dieses E-Werden, dieses Sich-im-Punkte-Zusammenfassen in der Vertikalen, in der Höhenlinie.“ GA 315, Dritter Vortrag, 14. April 1921. S. 45 (Ausg. 1999). 16 Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Der Tragödie erster Teil. Stelle: Prolog im Himmel (Rapha-el).

38

• beim U immer schneller, so geht es bei aller Schnelle doch erst einmal ziemlich

langsam und dauert eine Weile, bis wir zuletzt die „ziemliche Schnelligkeit“ ge-

winnen.

• Über das Heruntergleiten der Arme im O

• und das Heranführen an die eigene Achse beim E,

• kommen wir nach vielen A-Stellungen zum ganz langsamen Herunterfahren und

nach rückwärts Gehen.

Es ist eine total andere Stimmung, mit der das A einhergeht und umgeht.

Rudolf Steiner sagt, dass das A in der menschlichen Natur dem Tierischen entgegen wirkt.

Was macht aber die tierische Natur aus?

Die tierische Natur ist allem, was ihr begegnet, ausgeliefert. Sie ist an die Sinne gefesselt:

Ein Hund, der etwas zu fressen riecht, muss dem Sinneseindruck nachlaufen, kann sich

dem nicht entziehen. Die tierische Natur zeichnet sich außerdem durch eine extreme Of-

fenheit der Sinne aus: Wenn Sie ein Reh im Wald treffen und Sie treten auf einen Ast, hört

es Sie sofort und flüchtet. Es ist seinen Reflexen ganz ausgeliefert und auch allem, was

ihm aus der Natur begegnet.

Und nun soll etwas geschehen, durch das der Mensch der tierischen Natur, an der er An-

teil hat, entgegen wirkt. Alles innere Erleben und Fühlen, das er mit dem Tier gemeinsam

hat, wird dabei auf eine andere Ebene gehoben. Wodurch?

In der Vergangenheit reisten die Handwerker durch die Welt, um etwas zu er-fahren. Sie

streckten bewusst ihre Fühler aus, machten „fahrend“ „Erfahrungen“.

Das ausgelieferte Offensein der Welt gegenüber bekommt durch den Wunsch, eine Erfah-

rung zu machen, eine andere Nuance: Ich hole mir bewusst und aktiv eine Erfahrung in

mein Erlebensspektrum herein.

Im A wirkt in der Winkelbildung, die wir fühlen wollen, eine Kraft, die von dem Punkt aus-

geht, den wir vorher mit dem E hergestellt haben, und die uns hinausgreifen lässt in die

Welt. Wohin greifen wir denn da?

An einer anderen Stelle wird das A von Rudolf Steiner so charakterisiert:

„Jetzt erfasst du das, woraus du stammst.“17

Wird der Mensch vom A ergriffen, erlebt er das Menschsein aus dem Kosmos heraus. Er

greift in das Kosmisch-Göttliche, das er durch das A in sein Dasein holen kann. Das A ist

auch ein Moll-Laut, der die Kräfte in das Innere hereinholt und den Menschen an die

Sphäre anschließt, aus der die Götter ihre Kräfte in uns zusammenfließen lassen.

17 GA 279, S. 79.

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Der Mensch hat die Tiernatur, weil er ein Erdenwesen ist und als Adam auf der Erde steht.

Doch dabei muss es nicht bleiben: Mit dem A, dem Staunen, beginnt die Philosophie. In-

dem ich mich aus meiner Tiernatur heraushebe, öffne ich mich für das, woher ich stamme.

Es gibt noch einen ganz anderen wichtigen Aspekt des A–Lauts, seinen zukünftigen As-

pekt, in den alle Entwicklung der Menschheit mündet: Wir, die wir von Adam abstammen,

sollen ja unsere alte Natur überwinden, mit dem Ziel uns im neuen Adam zu vereinigen.

Was führt uns dahin?

Uns führt die Kraft, die wirkt, wenn wir über das, was in der Welt ist, staunen können.

Wenn wir es bis in unser innerstes Wesen hereinholen, es aufnehmen, um es zu verste-

hen. Diese Kraft, die die Menschheit mit jedem Anflug von staunender Verwunderung auf-

bringt, wird in jener Sphäre wahrgenommen, in der sich ein hohes, höchstes Geistwesen

im Mysterium von Golgatha mit der Menschheit und der Erde vereint hat. Auf der Erde

muss nun etwas erschaffen werden, das unseren Wesensgliedern entspricht. Denn dieses

Wesen braucht eine Seele, einen Astralleib. Den bildet es jedoch nicht selbst, sondern

jedes Staunen, jedes verwundert Sein, das ihm aus der Menschheit entgegenkommt,

schafft an dem Astralleib des Christus und baut sein Seelenwesen, seinen Astralleib auf.

Rudolf Steiner beschreibt das so: Erkenntnisse zu haben, ist bereits sehr schön, aber

staunen und verwundert sein Können, diese Offenheit für die Wunder in unserer Welt auf-

zubringen, ist viel, viel wertvoller als jede Erkenntnis.

So möchte ich uns Eurythmisten dazu ermuntern, nur noch staunende A’s zu machen und

diese Zukunftsarbeit im Weltensein zu leisten, Christus ein Seelenkleid zu erschaffen.

2. ReferatvonDr.SabineSebastian:

Steigerungsstufender„GroßenVokalübung“

Bevor Rudolf Steiner auf die Konsonanten eingeht in seinem zweiten Vortrag des Heileu-

rythmiekurses, führt er das, was wir als „Große Vokalübungen“ kennen, weiter aus: Die

Wirkung wird verstärkt, wenn auch die Beine im Stehen den jeweiligen Laut machen.

Noch stärker wirkt es, wenn die Beinbewegungen im Gehen ausgeführt werden.

Die vier ersten Stufen der großen Vokalübungen beschreibt er so:

1. Zuerst werden die einzelnen Gesten mit den Armen allein ausgeführt.

2. Als Steigerung folgt das Durchbewegen, das bei jedem Vokal anders ausfällt:

• Drehen in der Ebene: I

• Herunterbewegen: U

• Hinuntergleiten: O

• Nach unten führen: E

• Nach unten fahren und rückwärts gehen: A

40

3. Als dritte Steigerungsstufe werden die Laute im Stehen auch mit den Beinen be-

wegt: zuerst die Arme, dann die Beine, dann wieder die Arme.

4. Als vierte Stufe folgt die zusätzliche Lautbewegung der Beine im Gehen im Wech-

sel mit der Armbewegung: Arme – Beine - Arme.

Erst in zwei Tagen wird die fünfte Stufe im Rahmen dieser Tagung erwähnt werden: Das

Tönen, dem das Bewegen und am Schluss das innerliche Hören des Vokals folgen.

Im zweiten Vortrag werden jedoch nur die ersten vier Stufen der Vokalübungen eingeführt.

Relativ unvermittelt fährt Rudolf Steiner nach diesen Angaben zu den Vokalen mit den

folgenden Ausführungen fort:

ÜberleitungRudolfSteinerszumKonsonantischen

„Nun möchte ich Sie noch darauf aufmerksam machen, daß dasjenige, was wir jetzt über

das Vokalische gesagt haben, zunächst recht scharf gesondert werden soll von demjeni-

gen, was wir morgen über das Konsonantische üben werden.

Das Konsonantische, das ist im allgemeinen so, daß es das Äußere ausdrückt.... das

Konsonantische hat ja dann ganz besondere Arten von Bewegungen, und in diesen Be-

wegungsformen liegt es schon, daß der Konsonant in einer gewissen Weise wiederum

verinnerlicht wird, indem er in eurythmischen Formen gegeben wird. Er wird verinnerlicht.

Es wird dasjenige, was er in der Sprache auf dem Wege nach außen verloren hat, das

wird ihm wiedergegeben.... beim Konsonanten.... ist es ganz besonders wichtig, daß man

nicht etwa in der selben Weise wie beim Vokal ein Gefühl, also das Streckgefühl, das Bie-

gegefühl, das Weitegefühl hat, sondern dass man beim Konsonanten gleichzeitig sich

selbst in der Form vorstellt, die man ausführt, wenn man den Konsonanten macht, also

wenn man sich gewissermaßen selber zuschaut.

Hier sehen Sie am allerdeutlichsten, daß man die Kunsteurythmisten ermahnen muß,

nicht beide Dinge durcheinander zu werfen; denn die Kunsteurythmisten, die werden nicht

gut tun, sich immer zuzuschauen, da werden sie sich die Unbefangenheit nehmen und so

weiter. Dagegen, wenn Sie ein Kind oder eine erwachsene Person Konsonantisches aus-

führen lassen, so ist es wichtig, daß sie sich.... mit dem Gedanken innerlich selbst abpho-

tographiert; denn darinnen liegt das Wirksame: dass sie sich innerlich selbst abphotogra-

phiert, dass sie sich also in der Stellung darinnen richtig innerlich sieht, die sie ausführt,

und wenn das wirklich so ausgeführt wird, daß die Person eine innerliche Anschauung hat

von dem, was sie ausführt.“18

Bevor also Rudolf Steiner über einzelne Konsonanten in ihrer speziellen Wirksamkeit

spricht, weist er darauf hin, dass es zu der heileurythmischen Konsonantierung gehört, ein

inneres Bild zu haben von der Stellung und von der Form, die man selbst ausführt.

18 GA 315.

41

„Darin liegt das Wirksame.“

Wie können und sollen wir das verstehen?

InnigeVerbindungdeserstenGoetheanumundderEurythmie

Es gibt ganz verschiedene Türen, durch die man eintreten kann in das Verständnis der

Wirksamkeit des inneren Bildes des zu lautierenden Konsonanten. Eine mögliche Tür ist

folgende:

Rudolf Steiner hält diese Vorträge 1921. Genau an der Stelle, an der wir heute sitzen,

stand ein anderes Gebäude, hauptsächlich aus Holz, handgeschnitzt:

Das erste Goetheanum, gebaut als das „Haus des Wortes“.

Wir wissen, dass der Bau, die Entstehung des ersten Goetheanum, Hand in Hand ging

mit der Entwicklung der Eurythmie, dass beides ohne einander nicht denkbar gewesen

wäre. Beide Entstehungsgeschichten sind verbunden mit einer starken persönlichen

menschlichen Beziehung zur geistigen Welt:

In der Bauzeit des ersten Goetheanum verunglückte der kleine Bub Theo Faiss tödlich.

Rudolf Steiner spricht über den großen Ätherleib dieses Buben, der dann für den Bau des

ersten Goetheanum zur Verfügung stand.

Die Entwicklung der Eurythmie wiederum wurde begleitet vom frühen Tod des Vaters von

Lory Maier-Smits: Zehn Tage nach seinem Tod wurde Rudolf Steiner die Frage nach der

Eurythmie gestellt. Als Lory Smits die ersten Angaben von Rudolf Steiner bekam, war ihre

Mutter bereits mit fünf Kindern verwitwet.

Die entscheidenden Fragen in Bezug auf die Entwicklung der Heileurythmie wurden von

drei Menschen gestellt, deren Vater früh verstorben war, als sie selbst noch Kinder oder

Jugendliche waren: von Henrik van Deventer, von Erna Wolfram, spätere Frau van De-

venter, und von Elisabeth Baumann.

Welche Aufgabe hatte nun dieses Gebäude, dieses „Haus des Wortes“?

Was konnte an seinen Formen erlebt werden?

Wenn der Mensch nur Natureindrücken ausgesetzt ist, immer nur die Natur betrachtet und

sie erforscht - sehend, hörend, mit allen Sinnen, die ihm zur Verfügung stehen - merkt er,

dass alles sich im Unendlichen verliert: Alle Phänomene sind immer noch weiter zu ver-

folgen, finden kein Ende. Das führt zu einer Entleerung der Sinne, einer Entleerung der

Seele. Damit sein Blick von außen aufgefangen wird, damit er sich erfangen kann,

braucht der Mensch entsprechende Architektur. Früher in Griechenland wusste man um

die Wirkung von Gebäuden. Das Lastende und Tragende und die gestalteten Formen der

Gebäude fangen den Blick von außen auf und bewahren den Menschen vor der Entlee-

rung seiner Seele und Sinne.

42

So war es auch mit dem ersten Goetheanum. Darüber hinaus spricht Rudolf Steiner da-

von, dass seine Formen so gestaltet waren, dass sie „Karmaschauen“ erweckten bei den

Menschen. Es waren Karmaschau erweckende Formen.

Die Eurythmie, die in einem ätherischen Raum stattfindet, ist eine ätherische Bewegung –

sie ist wie die andere Seite ihres Zwillings, des ersten Goetheanums.

DasinnereBildbeimLautierenderKonsonanten

Wer sich heute mit seinem eigenen Inneren befasst, findet darin allerlei Turbulenzen und

wenig Möglichkeiten, seinem Inneren wirklich zu begegnen und ordnende Kräfte darin

wirksam werden zu lassen. Um dem eigenen Innern wirklich begegnen zu können,

braucht man die Bildmeditation. Ausführungen darüber finden Sie bei Rudolf Steiner in

dem Band GA 236, Seite 139 ff.19

Zurück zu der heileurythmischen Angabe:

„Darin liegt das Wirksame, ein inneres Bild zu haben von dem Konsonanten.“20

Wie ist dieses innere Bild beschaffen?

Es handelt sich eben um ein inneres Bild, kein äußeres. Der Gedanke liegt nahe, dass es

sich um ein ätherisches Bild handelt, denn in der Eurythmie werden ja auch ätherische

Bewegungen ausgeführt. Der physische Leib wird auf die Stufe des Ätherleibes gehoben:

Er führt das aus, was der Ätherleib auch macht.

DieBedeutungderEurythmiefiguren

In den Eurythmiefiguren hat Rudolf Steiner uns ätherische Bilder zur Verfügung gestellt.

1921, zur Zeit des Heileurythmiekurses, gab es sie noch nicht, es hätte sie aber längst

geben sollen. Denn schon 1919, bei der Vorbereitung zur ersten Waldorfschule in Stutt-

gart, kommt Rudolf Steiner darauf zurück, dass er von den Eurythmisten erwartet hätte,

dass sie Stellungsaufnahmen machen von den Kindern, die eurythmisieren. Sie hätten

diese Fotografien künstlerisch vereinfachen und die Kinder auf die Schönheit der Linie

aufmerksam machen sollen, die sie selbst hervorgebracht haben. Das sollte zur Hebung

des Selbstgefühls beitragen, ohne dass die Kinder eitel und kokett würden, und gleichzei-

tig die eurythmischen Fähigkeiten befeuern. Die Eurythmisten hatten diese Anregungen

jedoch nicht aufgegriffen.

Und so kam es über den Umweg der plastischen Figuren von Edith Maryon, zu den

Zeichnungen Rudolf Steiners. Sie sollten farbig ausgeführt werden, auf ebenem Holz – es

handelte sich um ein ganz neues Kunstmittel, bei dem man fragen kann:

Ist es ein Bild, ist es eine Plastik, ist es ein Relief?

19 Esoterische Betrachtungen Karmischer Zusammenhänge, Zweiter Band. 20 Als Zitat nicht zu finden – Vorschlag: Fußnote weglassen und es als eigenen Satz der Autorin betrachten.

43

All das ist es nicht – es ist ein neues von Rudolf Steiner geschaffenes Kunstmittel, das

Ätherische im Physischen sichtbar zu machen, im Sinne von:

„Mein Freund, du wanderst weit, zum Raum wird dir die Zeit.“21

Wenn man sich nicht nur mit den Farben, sondern auch mit den Formen der Eurythmiefi-

guren intensiv beschäftigt, hat man zunehmend die Empfindung, dass sie keine Moment-

aufnahme darstellen, sondern dass alle Bewegungsmöglichkeiten für einen Laut darin

enthalten sind.

In der Heileurythmieausbildung in Unterlengenhardt22 beschäftigen sich die Studenten

auch zeichnend mit den Eurythmiefiguren. Wir sprechen anschließend über unsere Erfah-

rungen, die wir dabei gemacht haben. Erst vergangene Woche berichtete eine Studentin,

dass sie bei der Beschäftigung mit einem Laut zuerst sehr viel gezeichnet hat, sich also

sehr viel mit dem Bild beschäftigte, dann erst intensiv mit der Bewegung. Sie hat dabei die

Erfahrung gemacht, dass dieses Bild ihre Bewegungen befeuert hat, sie verbessert und

verstärkt hat, sodass sie sich leichter in den Laut hineinbewegen konnte. Bei einem ande-

ren Laut verband sie sich zuerst intensiv mit der Bewegung. Daraufhin ging das Zeichnen

sehr viel leichter, weil ihr aus der Bewegung das Bild entgegen kam.

WirkungderBildmeditation

Aus solchen Erfahrungen ergeben sich folgende Gedanken: Wenn dieses innerliche Abfo-

tografieren sich ähnlich auswirkt wie eine Eurythmiefigur, weil dabei auch ein ätherisches

Bild des Lautes entsteht, so wäre das für den Patienten wie eine Bildmeditation, die

gleichzeitig mit der Bewegung ausgeführt wird und bis in den physischen Leib hinunter

reicht. Dadurch wird Karmaschau erweckt in dem Sinne, dass es möglich wird, die Krank-

heit zu ergreifen und auf dem Heilungsweg zu verwandeln. Die Krankheit kann dann als

Entwicklungshelfer auf dem Wege der Gesundung begriffen werden. Darin liegt die Wirk-

samkeit dessen, dass man sich innerlich mit dem Gedanken abfotografiert.

Sie haben heute zu Beginn die Worte gehört, die Rudolf Steiner vor 101 Jahren beim

Münchner Kongress für die tief blauroten Säule gab. Zum Abschluss für das Konsonanti-

sche möchte ich Ihnen die Worte vorlesen, die er beim Münchner Kongress für die rote

Säule gegeben hat:

„Im reinen Gedanken findest du das Selbst, das sich halten kann.

21 Vgl.: „Parzival“ von Richard Wagner 22 Heileurythmie-Ausbildung am Paracelsus-Zentrum, Unterlengenhardt. Zielgruppe: Ärzte und Medizinstudenten. Ausbildungsformat: Dreijährige berufsbegleitende Heileurythmieausbildung für Ärzte. Ausbildungsziel: Als Arzt/Ärztin ein/e kompetente/r Gesprächspartner/in für Heileurythmis-ten zu sein, sowie einzelne Übungen im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit selber mit dem Patienten durchführen zu können.

44

Wandelst zum Bilde du den Gedanken, erlebst du die schaffende Weisheit.“23

Wir wollen uns nochmals die Worte vors innere Auge halten, dass der Patient „mit dem

Gedanken sich innerlich abfotografieren“ soll beim Ausführen eines Konsonanten, damit

das entstandene ätherische Bild dann schaffend und umbildend auf das Krankheitsge-

schehen einwirken kann. Man setzt sich dadurch in eine gültige Beziehung zu dem Laut-

wesen.

„Im reinen Gedanken findest du das Selbst, das sich halten kann.

Wandelst zum Bilde du den Gedanken, erlebst du die schaffende Weisheit.“

23 GA 268, S. 242 (Ausg. 1999); GA 266a, S. 265 (o.J.).

45

Impulsreferatzum3.VortragdesHeileurythmiekursesGehalten von Dr. Sonja von Lorentz

ChronologiederÄrzte-undHeileurythmievorträge

Heute Früh wollen wir gemeinsam versuchen, in den dritten Heileurythmievortrag24 einzu-

steigen, der uns über den Tag begleiten soll. Dieser Vortrag steht in einem bestimmten

chronologischen Zusammenhang, den ich Ihnen vorweg skizzieren möchte, damit wir ihn

in seiner Gesamtheit besser verstehen können.

Früher gab es die Vorträge „Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie“25, GA

313, und den Heileurythmiekurs26, GA 315, nur als zwei Bände. Mittlerweile haben wir die

schöne Möglichkeit, diese Vorträge in einen Band zusammengefasst zu bekommen,

chronologisch so angeordnet, wie sie ursprünglich von Rudolf Steiner gehalten wurden.

Insgesamt haben wir acht Ärztevorträge, acht plus einen. Mit dem ersten Ärztevortrag27

fing die Vortragsreihe an. Ihm folgte ein zweiter Ärztevortrag28 und dann erst der erste

Heileurythmievortrag29, gefolgt von dem dritten Ärztevortrag30, dem zweiten Heileuryth-

mievortrag31, dem vierten Ärztevortrag32. Heute befassen wir uns mit dem darauf erfolgten

dritten Heileurythmievortrag. Wenn man diese zeitlichen Zusammenhänge im Auge be-

hält, bekommt man wichtige Hilfen zum Verständnis dieses Vortrags. Die Ärztevorträge

gehen weiter bis zur Nummer acht, die Heileurythmievorträge bis zur Nummer sechs. Der

siebte Heileurythmievortrag und der neunte Ärztevortrag finden sich als ein gemeinsamer

Vortrag33 wieder.

24 GA 315, Dritter Vortrag: 14. April 1921. 25 Rudolf Steiner, Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie. GA 313. 26 Heileurythmie. GA 315. 27 Erster Ärztevortrag, 11.April 1921, GA 313. 28 Zweiter Ärztevortrag, 12.April 1921, GA 313. 29 Erster Heileurythmievortrag, 12.April 1921, GA 315. 30 Dritter Ärztevortrag, 13.April 1921, GA 313. 31 Zweiter Heileurythmievortrag, 13.April 1921, GA 315. 32 Vierter Ärztevortrag, 14.April 1921, GA 313. 33 Siebter Heileurythmie- und neunter Ärztevortrag, 18. April 1921. GA 313 und 315.

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Im ersten Ärztevortrag geht es vor allen Dingen um die Substanz, um den physischen

Leib. Wir Ärzte werden da abgeholt, wo wir sind: in dem physischen, an die Materie ge-

bundenen Verstandesbewusstsein.

In der Folge arbeitet Rudolf Steiner mit uns am Verständnis des Ätherischen und den vier

Ätherarten. Erst dann ist der Boden bereitet, um den Ärzten die Heileurythmie nahe brin-

gen zu können. Das ist an diesem Punkt, an dem es um die Metamorphose des Kehlkop-

fes geht und wo die Heileurythmie im Vordergrund steht.

Daraufhin geht es wieder einen Schritt weiter im so genannten „Mittevortrag“, wo das

rhythmische System, das Astralische und die Dreigliederung im Mittelpunkt stehen. Nach-

dem er das Verständnis für das Seelische geweckt hat, kann er jetzt über die Vokale

sprechen, wie wir das gestern gehört haben. Jetzt erst ist es möglich, dass sie von ihm

beschrieben werden.

In einem vierten Schritt geht er dann auf den Bereich zu, der mit dem Ich zu tun hat, inso-

fern, als es die Substanz überwindet. Dieser Bereich hat auch mit der eigenen Biografie

zu tun. Eisen spielt dabei eine besondere Rolle. Es ist ein sehr geheimnisvoller Bereich,

wie das Ich überhaupt geheimnisvoll ist.

Erst nachdem dieser Schritt vollzogen wurde, erfolgt der Schritt in die Konsonanten, in die

Welt hinaus. Dem Konsonantischen wollen wir uns jetzt annähern.

DieWeltderKonsonanten

Die Konsonanten werden nach drei unterschiedlichen Prinzipien untersucht und einge-

ordnet. Das erste Prinzip mit dem Vor- und Nachtingieren war und ist für mich das am

schwersten verständliche.

Wenn man selbst nicht weiterkommt, ist es gut und ratsam, sich von Rudolf Steiner an die

Hand nehmen zu lassen und zu schauen, wie er versucht hat, Verständnis für diese The-

men zu erwecken. Ich habe mir den ersten Ärztevortrag vorgenommen, in dem es auch

um die Substanz geht, um zu sehen, wie das Thema dort behandelt wird, was dort be-

schrieben wird.

Es geht dort um das Prinzip der Substanzwirkung im Menschen und in der Außenwelt. Um

den Stoff als Heilmittel. Und auch um Heilmittel, die anders als bloß stofflich wirken. Die

Substanz wird angesehen als ein zur Ruhe gekommener Prozess. Substanzbildung, die

als Prozess beginnt, dann die Form bildet, und zuletzt in die Substanz übergeht. Ein

Bildeprozess, der das Feste überhaupt erst möglich macht. Es ist schwierig über die Vor-

stellung zu einem inneren Erleben dieses Geschehens zu kommen. Damit ist ein großes

Geheimnis verbunden.

Diese Beschreibung des Anfangs aller Substanz möchte ich jetzt zu Hilfe nehmen und

Ihnen etwas skizzieren. Ich habe extra eine große Tafel genommen, damit auch die hinten

Sitzenden etwas sehen können:

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Wenn wir diesen Bogen als den Schwung der Weltentwicklung ansehen, so haben wir

auch ganz am Anfang der Weltentwicklung die Entwicklung der Substanz, des physischen

Leibs. Dieses Entwicklungsgeschehen möchte ich Ihnen jetzt vorlesend nahe bringen.

Spüren sie hinein in diesen urbildhaften Substanzbildeprozess:

„Im Urbeginne war das Wort. Und das Wort war bei Gott und ein Gott war das Wort. Die-

ses war im Urbeginne bei Gott. Alles ist durch dasselbe geworden. Und außer durch die-

ses Wort ist nichts von dem Entstandenen geworden.“34

Diese Schilderung des Anfangs, des Ur-Anfang, beschäftigt sich mit der Substanzbildung

in einer Weise, die uns das Geschehen nur ahnen lässt, obwohl wir im täglichen Leben

damit arbeiten, jetzt und hier. Das Zitat beschreibt die Situation des alten Saturnzustan-

des, wo noch alles eins war. Und trotzdem war alles da.

Die unterschiedlichen Prinzipien des Prozesshaften möchte ich, ähnlich wie Rudolf Stei-

ner es in dem ersten Ärztevortrag machte, noch ein bisschen verdeutlichen, indem ich

einiges daraus wiederhole.

1. DasPrinzipdesVor-undNachtingierens–dasPrinzipdesStofflichen

• DeranalytischeAnsatz–dasPrinzipdesNachtingierens

Mit dem Stofflichen verbunden, an den Stoff gebunden, sind bestimmte Prozesse, die wir

benutzen, mit denen wir in der Welt arbeiten. Dabei folgen wir dem analytischen Ansatz -

in allen Bereichen, in denen wir analytisch vorgehen, bei denen wir meinen, unterschei-

den, differenzieren und untersuchen zu können. Der analytische Ansatz umfasst auch die

wissenschaftliche Art, mit dem Stoff umzugehen. Auch im Menschen arbeiten wir mit dem

Stofflichen gemäß dieser Herangehensweise. Im Menschen selbst gehen die analytischen

Kräfte vom Nerven-Sinnes-System aus. Rudolf Steiner beschreibt sie als ausstrahlend,

sich ordentlich auf die einzelnen Organe verteilend, differenzierend.

Carina Schmid hat am Anfang so schön berichtet, dass Lory Maier-Smits zum besseren

Verständnis der Konsonanten mit ihnen Schülern hinaus in die Natur gegangen ist, um

dort die Phänomene der Außenwelt, des Äußeren, zu beobachten. Um die Weltenlaute

dort zu studieren, wo sie zuhause sind: In dieser Welt, in die wir hinausgehen. Das ent-

spricht den Eigenschaften des ‚analysierenden Prinzips’. Sie erinnern sich vielleicht an

eine derartige Zeichnung am Ende des ersten Ärztevortrags.

Was ist das denn anderes als das Hauptmerkmal des H, das im dritten Heileurythmievor-

trag als Erstes genannt wird?

Ich bin jetzt so frei, Ihnen das H als Nicht-Eurythmist und Nicht-Heileurythmist vorzuma-

chen. Die Bewegung zeigt ganz deutlich das offene Hinausgehen in die Welt. Sie zeigt

34 Vgl. Johannes 1, 1-3.

48

das ‚Prinzip des Nachtingierens’: Man befindet sich in der Welt draußen, verbindet sich

mit der Außenwelt, analysierend, differenzierend.

• DersynthetischeAnsatz–dasPrinzipdesVortingierens

Das andere Prinzip, das ‚Prinzip des Vortingierens’ wirkt, wenn ein Prozess in Gang

kommt. Wir nehmen Stoffe in uns auf, die etwas in Bewegung bringen, die sich über den

Prozess auswirken.

Für uns Ärzte ist es alles andere als einfach zu verstehen, was damit gemeint ist. Dass es

nicht um das Stoffliche geht, sondern um das, was ‚erzeugender Prozess’ genannt wird,

der zwar ganz genau stofflichen Gesetzmäßigkeiten folgt, aber bei dem es vor allem um

den Bildeprozess von Neuem geht: Dieses Prinzip wirkt immer dann, wenn wir Substan-

zen zu uns nehmen, umwandeln und Neues daraus bilden, Neues erzeugen. Dabei geht

es unter Umständen stürmisch und chaotisch zu. Es wird umdifferenziert, wird nicht nur

einzelnes analysiert, sondern Unterschiedliches so zusammengefasst, dass es eins wird.

Es herrscht die Kraft der Synthese.

Meine Zeichnung zeigt, dass das analysierende Prinzip vom oberen Menschen, vom Ner-

ven-Sinnens-System ausgeht, während das zusammenfassende, synthetisierende Prinzip

von unten, vom Stoffwechselsystem ausgeht.

Bei den Konsonanten habe ich dieses Prinzip auch wieder gefunden: und zwar beim F,

das ich Ihnen jetzt als Nächstes zeige. Ich habe die Eigenschaften dieses Lauts, beim

gemeinsamen Üben in Bern selbst deutlich erlebt. Das F geht hinaus in die Welt, nimmt

die Welt anschließend aber in sich hinein und wandelt sie um: Sie wird ‚verstoffwechselt’.

Eine Bewegung des Hinausgehens in die Außenwelt und zu sich herein Nehmens des

Stoffes, der umgebaut wird.

Ich skizziere Ihnen hier den Menschen in klein:

• Auf der einen Seite haben wir die Geste des Herausgehens – das entspricht dem

Nachtingieren: Haaa.

• Und auf dieser Seite die andere Wirkungsweise, das Hinausgehen und den Stoff

mit Hineinnehmen – das entspricht dem Vortingieren: eF.

Bei Ihrem täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Umgang mit den Lauten können Sie

sich immer mal wieder die Frage stellen:

Wie ist das bei diesem oder jenem Laut?

Welchem Prinzip entspricht er?

2. DasPrinzipderPolarität–dasPrinzipdesÄtherischenDas zweite Prinzip, nach dem Rudolf Steiner vorgeht, ist im zweiten Ärztevortrag für uns

Ärzte beschrieben worden als das ‚Prinzip der Polarität’. Im menschlichen Organismus

lässt sich alles Ätherische nach diesem Prinzip erfassen. Sie können aber auch jeden

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Text und jedes Phänomen in der Welt auf seine Polarität hin untersuchen. Rudolf Steiner

macht uns das im dritten Heileurythmievortrag vor anhand der exakten Untersuchung aller

Laute.

DiePolaritätvonEurythmieundSprache

Eurythmie verhält sich exakt polar zur Sprache – eines wird im anderen reflektiert, in sein

Gegenstück umgebildet. Im zweiten Ärztevortrag werden die Ätherkräfte sehr differenziert

beschrieben: die oberen Ätherarten – der Wärmeäther und der Lichtäther – und die unte-

ren Ätherkräfte – der chemische Äther und der Lebensäther. Er beschreibt nicht nur das

‚Prinzip der Polarität’ an sich, sondern führt es sehr differenziert und exakt aus.

Die gegenpolaren Ätherkräfte wirken im menschlichen Organismus in besonderer Weise

in dem Wirbel zusammen, der sich in unserer Körpermitte bildet. Ich möchte Ihnen diese

polaren Kräfte noch auf andere Weise veranschaulichen – durch das Phänomen des

Spiegelns, das sehr ins Bildhafte geht und mit dem Ätherischen Prinzip in seinen Urkräf-

ten zusammenhängt.

GegenseitigeSpiegelungvonSpracheundEurythmie

Das H – ich habe es Ihnen bereits eurythmisch vorgemacht, möchte es aber jetzt noch

einmal detaillierter ausführen:

Die Geste des Stauens wird gefolgt von einer Bewegung des Weitens, des auseinander

Gehens, die auch die Schulterblätter hinten erfasst.

In der Sprache gestaltet sich der Laut Haa polar dazu:

Erst die strömende, in die Weite gehende Bewegung der Luft und dann ein Innehalten.

Sprache und Eurythmie exakt gespiegelt.

Rudolf Steiner bringt noch ein weiteres Beispiel, das D:

In der eurythmischen Geste kommt zuerst die Bewegung, dann der Stillstand.

In der Sprache beginnt der Laut Dee mit dem Anstoßen und fließt dann weiter.

Exakt polar, exakt gespiegelt:

Anstoßen und Fließen in der Sprache - Fließen und Anhalten in der Eurythmie.

Das sind die deutlichsten Beispiele, die Rudolf Steiner als Erstes anführt. Das Ganze wird

im weiteren Verlauf immer weiter ausdifferenziert, wird komplizierter. Sie können die Be-

schäftigung mit der gegenseitigen Spiegelung der Laute in Sprache und Eurythmie als

Anlass nehmen herauszufinden, wie gut Sie diese Siegelungen im Ätherischen selbst

schon nachvollziehen können. Das ist ein weites Übungsfeld. Ich bin überzeugt davon,

dass man die Spiegelungsmöglichkeiten von Sprache und Eurythmie bis ins Einzelne ge-

nau nachvollziehen kann.

Im zweiten Heileurythmievortrag werden nicht nur die Vokale behandelt. Es klingen auch

schon die Konsonanten an. Und im dritten Vortrag geht es nicht nur um die Konsonanten,

50

denn das Prinzip der Spiegelung von Sprache und Eurythmie gilt natürlich auch für die

Vokale. In Bezug auf die Vokale macht Rudolf Steiner uns das anhand des U-O-I- A-und E

exemplarisch vor.

Ich greife nur das U heraus, das als gesprochener Laut Uuuu ganz weit hinaus bis hinauf

zu den Übersetzern reicht, und in der Eurythmie ganz bei sich selbst bleibt, in der paralle-

len Geste, im Stehen. Das eurythmische U wirkt nicht nach außen, sondern im Knochen

mittendrin. Die Polarität hat einen etwas anderen Charakter bei den Vokalen, aber das

Prinzip ist das Gleiche.

Beim O finde ich es köstlich, wie das Formen des O die Lippen ganz verengt: Dabei wird

man ganz klein. In der Eurythmie dagegen wird die Geste weit und umfasst gerade nicht

unser Kleinsein. Auch hier das Prinzip der Polarität, ein Urprinzip des Ätherischen.

Dieses Prinzip wirkte weiter, es blieb nicht bei: „Im Urbeginne war das Wort“.35

Da heißt es weiter: „In ihm war das Leben.“ Das Leben. Zwei kurze Sätze im Prolog, in

denen die ganze Geisteswissenschaft enthalten ist. Wenn der Urbeginn mit dem physi-

schen Leib zu tun hatte, so geht es im Weiteren um den Ätherleib, der damals den Men-

schen gegeben wurde.

Gesprochene„Powerpoint-Präsentation“

Ich würde Ihnen gerne die Vielfältigkeit des Ätherischen erlebbar machen, mit der wir es

in der Eurythmie zu tun haben.

Und sind Sie nicht heute hierhergekommen, um unsere Konsonanten zu begrüßen?

Ich werde Ihnen jetzt meine ‚Powerpoint-Präsentation’ der Konsonanten vorführen. Sie

werden Sie für mich hörbar machen: Ich bitte Sie, diese rot unterstrichenen Konsonanten

gemeinsam zu sprechen und sich dem Erleben ihrer Qualitäten zu öffnen. Hören Sie zu,

hören Sie auf das, was Sie hören!

Www, Fff. Wunderschön.

Sss; SCHschsch; Ththth; CHchch. Das hört man selten so schön, danke.

Konnten Sie erleben, was sich beim Sprechen abspielte?

Was für ein Element hier anwesend war?

Unglaublich. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Erfahrung. Wir hatten es mit dem Wär-

meelement zu tun, dem Feuerelement, das in den Blaselauten spürbar anwesend war. Es

gehört zum Erfassen des Ätherischen, uns diese Differenzierungen bewusst zu machen.

Ohne sie erschließt sich uns nur ein kleiner Teil des Ätherischen.

Jetzt kommen wir zum polarischen Element der Stoßlaute. Es ist interessant, dass diese

beiden gegenpolar sind. Ich würde Sie jetzt bitten, die andere Seite zu ‚verlebendigen’:

Bbb; Ppp; Mmm; Ddd; Ttt; Nnn; Ggg; Kkk. 35 Johannes 1,1.

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Spüren Sie, was passiert? Wie ganz anders diese Laute sind?

Sie haben gerade erlebt, wie unterschiedlich sich das Erdelement, das feste Element der

Stoßlaute, anfühlen kann. Die Erde kann sehr unterschiedlich ausfallen: Granit wie das K,

ganz hart, oder das Nnn, wie Sie das gemacht haben, könnte eine Wiese sein, auf der der

Schritt schon ein wenig abgefedert wird. Bei dem Mmm sah ich ein Moor vor mir. Sie kön-

nen selbst nachspüren, wie facettenreich das Erdenelement differenziert ist. Wir haben

viele verschiedene Erdequalitäten auf unserer lieben Erde. Ebenso unterschiedlich sind

die Konsonanten, mit denen wir arbeiten dürfen.

DieLautenachdenvierätherischenElementengeordnet

• Der Blaselaut entspricht dem Feuerlaut,

• der Stoßlaut dem Erdenlaut,

• der Wellenlaut entspricht dem Wasserlaut

• und der Zitterlaut dem Luftlaut.

Mit dem L haben Sie einen eindrucksvollen Vertreter des Wasserelements, ein Wellenlaut.

Er ist mit Wassertropfen markiert. Könnten Sie ihn besonders schön machen? Lll. Sehr

beeindruckend, danke.

• DasRinderSprache

Und jetzt bitte, ein wunderschönes R. Ein Repräsentant des Luftelements im Ätherischen,

ein Zitterlaut. In Bezug auf das R sagt Rudolf Steiner, dass die Bewegung wie festgehal-

ten, wie gebannt ist beim Sprechen. Das ist etwas schwierig zu verstehen, deshalb möch-

te ich Ihnen ein Bild dazu geben. Das Vibrieren der Zunge beim Rollen des R können Sie

sich so vorstellen:

Sie sitzen zuhause, das Fenster ist offen, zum Schutz vor der Sonne wurde die Jalousie

heruntergelassen. Der Wind fegt durchs Fenster und bringt die Jalousie zum Vibrieren.

Sie macht so ein flatterndes Geräusch, als würde sie gerne mitfliegen mit der durchzie-

henden Luft. Aber sie wird von der Aufhängung zurückgehalten, ist fest gebannt. Sie

macht ein Rrrr. Das wäre ein mechanisches Beispiel.

Ich habe für Sie auch noch ein lebendiges Beispiel, einen Greifvogel, der über den Lan-

den seine Kreise zieht. Mit einem Mal sieht er ein Opfer, fängt an zu rütteln, kommt in der

Luft zum Stillstand - und dann, ‚tsch’, ist er unten und hat etwas gefangen. Bevor die Luft

zum Stillstand kommt, geht sie in einen Zitterzustand über und erstarrt schließlich in der

Bewegung.

• DasRinderEurythmie

In der Eurythmie wird bei dem R genau das Gegenteil gemacht: Wir hören gar nicht mehr

auf uns zu bewegen. Wir sind ständig am Hinterherlaufen, bewegen alle Gliedmaßen,

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vielleicht sogar den Kopf. Beim „R“ sind wir so engagiert am Bewegen, dass wir unter

Umständen hinterher einen Muskelkater verspüren. Dieser Laut ist so groß, dass er durch

den ganzen Menschen hindurchgeht.

DasLinSpracheundEurythmie

Beim L haben Sie ein ähnliches Prinzip, das etwas abgemildert ist im Wässrigen. Be-

obachten Sie einmal einen Schwarm Fische im fließenden Wasser, die wie stille stehen,

wie eins sind, obwohl es sich um lauter einzelne kleine Fische handelt. Sie sind dabei

ständig in Aktion. Plötzlich wendet der ganze Schwarm, alles auf einmal - keiner vorher,

keiner nachher, ‚zupp’, und sie sind wieder formiert. Hier ist die Bewegung zwar nicht so

vibrierend, aber sie ist auch wie festgehalten.

In der Eurythmie sind wir beim Ausführen des L zwar nicht am hinterher Laufen, wir sind

eher am hinterher Strömen, in einer fließenden Bewegung, abgemilderter als beim Luf-

telement. Deshalb ist das L so groß und steht dort nur so klein angeschrieben.

3. DasPrinzipderDreigliederung–dasPrinzipdesAstralenWir wollen jetzt noch einen Schritt weitergehen, nachdem wir den ätherischen Aspekt der

Konsonanten ein Stück verinnerlicht haben: die Polaritäten und die Differenzierung der

Polaritäten in die vier Elemente. Wir haben darüber hinaus noch eine weitere, eine dritte

Möglichkeit, die Konsonanten anzuschauen, das Prinzip das im dritten Ärztevortrag vor-

gestellt wird. Im Prolog heißt es:

„Und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht schien in die Finsternis, aber

die Finsternis hat es nicht begriffen.“ 36

So übersetzte Rudolf Steiner diese Stelle selbst (GA 103, 2. Vortrag u. ff.). Der ‚Logos’

vom Urbeginn wurde auf der Sonne zu ‚Leben’ und auf dem alten Mond wurde er zu

‚Licht’. Das Licht, das im Astrallicht lebt. Auf dem alten Mond bekam der Mensch seinen

Astralleib. Zum ersten Mal tritt auch der Aspekt der Finsternis auf.

Das Prinzip, nach dem man die Konsonanten darüber hinaus noch anschauen kann, ist

das ‚Prinzip der Mitte’, das ‚Prinzip der Dreigliederung’. Jetzt, wo das Astralische hinzu

kommt, geht es nicht mehr nur um die Polaritäten – die Mitte entsteht:

Und so haben wir hier oben die Laute, die beim Sprechen am äußersten Punkt mit den

Lippengeformt werden: W, B, P, F und M.

Sie hängen mit unserem Gefühl zusammen und mit dem rhythmischen System.

Die meisten sind die so genannten Zahnlaute, die an den Zähnen gebildet werden: D, T,

S, SCH, L, dann das Th und N.

Sie haben mit unserem Nerven-Sinnes-System zu tun, mit unserem Denken.

Zuletzt gibt es noch die Laute, die ganz hinten am Gaumen gebildet werden:

36 Johannes 1, 4-5.

53

G, K, CH, Ng und H,

die ganz dicht am Stoff dran sind, und mit dem Willensbereich zusammenhängen.

Und dieser Laut hier, das R, legt sich nicht fest. Er ist so beweglich, dass er in jeden Be-

reich passt: in den Gefühlsbereich genauso wie in den Gedankenbereich und den Wil-

lensbereich. Es ist ein Wunder, dass ein Laut das vermag.

Auf diese drei Prinzipien hin kann man die Konsonanten untersuchen. Die Herausforde-

rung beim Arbeiten mit einzelnen Konsonanten besteht darin, sie immer wieder auf diese

drei Aspekte hin zu hinterfragen: Inwiefern sie

• mit dem Bereich des Stofflichen zusammenhängen und den Stoffbildeprozessen,

nach dem analysierenden ‚Prinzip des Nachtingierens’ oder dem synthetisierend

‚Prinzip des Vortingierens’,

• mit dem Bereiche des Ätherischen zu tun haben und dem ‚Prinzip der Polarität’,

der Dualität und mit den vier ätherischen Elementen,

• nach dem Dreigliederungsprinzip zu verstehen sind, dem ‚Prinzip der Mitte’, das

mit dem Astralischen zusammenhängt.

Wir können das nur nacheinander untersuchen, aber in den Lauten selbst bildet alles eine

Einheit. Ich möchte Ihnen das anhand des B demonstrieren: Im Sprechen des ‚Bee’ haben

wir das Nachtingieren, wie beim ‚Haa’, eine analysierende, in die Außenwelt gehende und

dadurch von außen Form gebende Kraft. Das B ist überdies ein Stoßlaut, der eine be-

stimmte Erdequalität bezeichnet, und da er mit den Lippen geformt wird, hängt er mit dem

Gefühl, dem Rhythmischen zusammen, mit der Mitte. Das ist eine echte Komposition aus

physischem, ätherischem und astralischem Anteil.

Die Laute sind alle Wesen, die durch die Entwicklung hindurchgegangen sind, und die alle

auf ihre Art von diesen Zuständen zeugen. Wir müssten so virtuos werden, dass wir bei

jedem Laut wissen, in welchem Bereich welche Komposition vor uns steht.

Nun noch kurz zum vierten Vortrag, der auf das Ich Bezug nimmt. Dazu noch die Worte

aus dem Prolog:

„Und das Wort wurde Mensch und hat unter uns gewohnt. Und die Menschen nahmen ihn

nicht auf. Die ihn aber aufnahmen, denen gab er Kraft, Gottes Kinder zu werden.“37

GegenwärtigeVerdichtungderSprache

Jetzt kommt es noch einmal zu eine ganz neuen Verwandlung - die Verdichtung des Wor-

tes zum Stoff. Auf der Erde wird das Wort Mensch, es verdichtet sich. Dieser Aspekt klingt

am Ende des dritten Heileurythmievortrags noch an. Er spricht dort über die Sprache,

eigentlich über den Rest des Wortes, das von Anfang an immer da war. Wir Menschen

37Vgl. Johannes 1, 11-14.

54

sind heutzutage mit unserer Sprache in einen Bereich gekommen, in dem die Sprache

ganz zusammengedrängt und -gepfercht wird und wie tot geworden ist. Unser Intellekt

arbeitet mit einer solchen Geschwindigkeit, dass das, was man mit dem Ich im Willen er-

lebt, überholt wird. Nach meinem Vortrag können Sie sagen: „Ich habe alles verstanden.“,

aber um das Gehörte wirklich umsetzen zu können, damit es zu einer echten Erfahrung

im Willensbereich wird, müssen noch viele, viele Äonen vergehen. Eine riesige Wunde tut

sich auf zwischen dem, was das Ich auf der einen Seite an Todeskräften in sich trägt und

wo es auf der anderen Seite wieder ans Lebendige anknüpft. In diesem Spannungsfeld ist

das, was uns krank macht, begründet.

Wir sind nur Kinder unserer Zeit. Doch was heißt „nur“? Es war unsere Aufgabe, diesen

Intellekt zu entwickeln. In den Leitsätzen heißt es:

„Auf den Wegen des Denkens sind wir abgestiegen“38

Zukünftige„Verlebendigung“derSprache

Auf den Wegen des Denkens sind wir aber auch dem Tode anheimgefallen. Es kann nur

weitergehen, wenn wir auf den Wegen des Willens im michaelischen Sinne unsere Spra-

che wieder erlösen. Hier an diesem Punkt der Entwicklung ist die Todessituation aufgetre-

ten, doch es geht weiter: In der Folge kommen wir in einen Bereich, in dem das Physi-

sche, das zu Form und Stoff Gewordene, wieder ‚verlebendigt’ werden soll, wo es erneut

verstärkt von Ätherkräften durchdrungen wird. In weiterer Zukunft, im Laufe der Weltent-

wicklung, soll die Menschheit durch die Einwicklung der Liebefähigkeit, der tätigen Liebe,

auch Teil an einer besonderen Astralität haben.

Wir befinden uns am Anfang der Weltenzeitenwende. Es geht um die entscheidende Fra-

ge, ob wir es schaffen, wieder mehr Teil der ätherischen Welt zu werden und dabei leben-

diger zu werden oder ob wir uns weiter abwärts bewegen.

Aus diesem Grunde sagt Rudolf Steiner, wir könnten die Schnelligkeit der Sprache nur

dann wieder erlösen, wenn wir ins bildhafte Sprechen übergehen, wenn das Bild wieder

eine Rolle spielt.

Ihrer Seele wurde es bereits eingeprägt, dass das Bildhafte mit dem Ätherischen zu tun

hat. Auch diesbezüglich sind wir immer zwischen den Extremen hin und her gerissen –

was bedeutet, dass man sich in der Eurythmie manchmal zu sehr mit Bildgeschichten

befasst und dann nur noch in Bildern lebt. Aber zu abstrakt, ist eben auch zu schnell. Wir

brauchen die richtige Mitte, das Bildliche im richtigen Ausmaß.

Rudolf Steiner benützt das Bild von den Füßen und der Furche im 3. Heileurythmievor-

trag. Durch dieses Bild kommen wir Menschen an unser Gefühl heran: Wenn ich mich

38 Vgl. GA 26, „Der Vor-Michaelische und der Michaelsweg“, Leitsatz 105.

55

frage, was es mit der Furche auf sich hat, bin ich nicht mehr im Kopf, sondern ich werde

langsamer und das ist bereits der erste Schritt in Richtung Willen, der sich noch langsa-

mer darlebt. Wenn wir schon das Gefühl kaum ertragen, können Sie sich vorstellen, wie

schwierig es ist, wirklich im Willen zu sein.

In diesem Sinne ist die Heileurythmie ein Ansatz, mit der Sprache weg vom Intellekt zu

kommen, ins lebendige Wollen und Tun hinein.

Unter diesem Gesichtspunkt zu versuchen, die Bedeutung der Laute immer tiefer zu ver-

stehen, ist eine Aufgabe für die Zukunft, an deren Anfang wir heute stehen. Wir alle dürfen

uns an dieser Herausforderung beteiligen und immer wieder Neues erleben. Wir können

uns auf diesem Wege auf neue Weise der Substanzfrage der Laute nähern und erkennen,

dass sie nicht bloß stoffliche Heilmittel sind, wie wir Ärzte sie gerne verwenden. Wir dür-

fen dann erfahren, dass Heilmittel nicht nur physisch-stofflich wirken können, sondern

über die Heileurythmie auch prozessual-stofflich.

In diesen Zusammenhang fügt sich das Thema unserer Tagung ein. Es geht darum, das

Ur-Logos-Wort, das im Urbeginn war, und über das Luftige und Wässrige in die Erde her-

ab gestiegen ist und sich dabei als Form immer mehr verfestigt hat, sodass wir jetzt feste

Substanz haben, weiter zu verwandeln und wieder ins Prozesshafte hineinzuführen, ins

Feurige: Substanz-Verwandlung-Prozess. Diesen Weg beschreiten wir mit der Heileu-

rythmie.

56

Impulsreferatzum4.VortragdesHeileurythmiekursesGehalten von Dr. Sheila Grande

Heute werden wir über den 4. Vortrag des Heileurythmiekurses39 von Rudolf Steiner spre-

chen. Der 4.Vortrag handelt von der Welt der Konsonanten.

So, wie die Vokale das Seelisch-Geistige mit dem Menschen verknüpfen, so verbinden

die Konsonanten den Menschen mit der Außenwelt, führen ihn zur Beherrschung und

Überwindung der Außenwelt. Die Konsonanten wirken im Stoffwechsel-Gliedmaßen-

system und beeinflussen von da aus den Kreislauf und das rhythmische System. Sie re-

gen die Lebensprozesse und die Bildekräfte an, lösen Deformationen auf und bestimmen

u.a. physiologische Bildeprozesse.

EinstiegmitBundP

Rudolf Steiner beginnt sofort mit der BEWEGUNG. Mit der Bewegung der Beine beim

Gehen: Die Beine sollen die Bewegungen der Arme bei den Lauten B und P nachahmen,

die auf die Nieren wirken, wo der Astralleib mit dem Ätherleib und dem physischen Leib

verbunden ist in einer anabolischen Dynamik, einer starken, tief greifenden Stoffwechsel-

tätigkeit. Die Bewegungen müssen „immer schneller werdend“ ausgeführt werden wäh-

rend vier bis fünf Minuten. Das hat mit dem charakteristischen rhythmischen Verhältnis

von 1:4 von Nervensinnessystem und Stoffwechsel-Gliedmaßensystem zu tun.

AusklangmitSCHundH

Die Reihe der Konsonanten, die im Vortrag dargestellt wird, endet mit dem Laut SCH, der

„...ganz besonders auf den Magen, auf die Anfangspartien des Darmorganismus wirkt." 40

Die Bewegungen des SCH und H sollen sehr langsam und mit Pausen ausgeführt wer-

den, denn die Ich-Organisation und der Astralleib wirken von außen auf den Magen ein.

Der Astralleib ist im Magen nicht verbunden mit dem Ätherleib und dem physischen Leib.

1. UntereGliedmaßenundStoffwechselsystem

Die Gliedmaßen sind sehr wichtig und bedeutsam für die Stärkung der Stoffwechseltätig-

keit. Im Laufe der Evolution werden die Gliedmaßen auf der Erde entwickelt. Über die

unteren Gliedmaßen verbinden wir uns mit der Erde und stellen uns ihr gegenüber. Der

Mond ist im Stoffwechselsystem und in den unteren Gliedmaßen wirksam. In ihnen haben

wir keine solche Geschicklichkeit wie in den oberen Gliedmaßen; sie sind uns weniger

bewusst. Der Gebrauch der Beine und Füße bei den Übungen der Konsonanten hat eine

intensive stimulierende Wirkung auf das Stoffwechselsystem.

39 GA 315, 4. Vortrag: Dornach, 15. April 1921. 40 Ebd.

57

2. ObereGliedmaßenundNerven-Sinnessystem/Bewusstsein

Die oberen Gliedmaßen sind frei, in der Welt zu handeln und haben eine Verbindung zu

unserem Bewusstsein. Beim Sprechen haben die Bewegungen meiner Arme und meiner

Hände, das Gestikulieren, eine Verbindung zum rhythmischen System, zum Fühlen. Die

außerordentliche Geschicklichkeit der Finger steht in Beziehung zum Denken. Die Bewe-

gungen der Arme und die Sprache drücken die Wirksamkeit des Mars aus.

Arme – Sprache – Atmungssystem – Bewusstsein = Mars.

Beine – Eigensubstanz / Anabolismus – Stoffwechselsystem – Unbewusstsein = Mond.

Die Konsonanten werden in der „Physiologie der Verdauung“ vorgestellt als ein Weg zum

Verständnis ihrer Wirkung auf das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem und, indirekt, auf das

rhythmische System. Es wird mir nicht möglich sein, über bestimmte Krankheiten zu spre-

chen, aber einige Gesichtspunkte und Möglichkeiten der Wirksamkeit der Konsonanten

möchte ich Ihnen vorstellen. Dieses Thema ist ziemlich kompliziert und komplex - ich be-

absichtige, Ihnen nur einen Anstoß zu geben, damit Sie die verschiedenen Möglichkeiten

der Wirksamkeit dieser Laute in der therapeutischen Praxis durchschauen lernen.

DerVerdauungstrakt:„Abbauen,umaufbauenzukönnen”

1. DieMundhöhle-SphärederWirksamkeitderIch-Organisation

Die Mundhöhle ist Sphäre der Wirksamkeit der Ich-Organisation. Sie ist eingegrenzt von

den Zähnen, großteils aus dem Ektoderm entstanden, mit vorwiegend venöser Vaskulari-

sation.

• BeginnderVerdauung

Die Nahrung, zum Beispiel eine Ananas, ist eine fremde Substanz, eine Außenwelt in der

Mundhöhle, sie wird gekaut, zerbrochen, reduziert, verkleinert. Mit der Sekretion von

Ptyalin beginnt die Verdauung der Kohlenhydrate. Rudolf Steiner sagt:

„Man kann also im Bereich des Materiellen die Ich-Organisation an der Anwesenheit des

Zuckers verfolgen ...” 41

• WegderNahrung

Gleichzeitig mit dem Kauen werden die Peristaltik der Speiseröhre und die Magensaft-

Sekretion angeregt, der Magen öffnet sich wie mit einer Geste des Lautes A, um die Nah-

rung aufzunehmen. Die Nahrung beginnt im Mund die Form zu verlieren. Im Rachen

kreuzen sich die Wege von Atemluft und Nahrung, die in Richtung Kehlkopf und Speise-

röhre gehen. Wenn wir schlucken, dringt die Nahrung aus dem Bereich des Bewusstseins

41 Vgl. GA 27, Kapitel VIII. Ausg. 1953: S. 35.

58

(Wirksamkeit der Ich– Organisation) in das Unbewusste. Durch die Peristaltikbewegungen

(Kontraktion / Expansion) der Speiseröhre gelangt die Nahrung in den Magen.

2. Magen–WirkungsbereichdesAstralleibes

Im Magen überwiegt die Tätigkeit des Astralleibes: „Die Ich-Tätigkeit taucht unter in die

astralische...“42 und lässt das Unbewusste entstehen: saures Milieu, Eiweiß-Verdauung.

• Fundus

Im Magengrund, in dem anatomisch ein Sphärenprinzip regiert, findet die Sekretion von

HCL (Salzsäure), Pepsinogen und Schleim in den entsprechenden Parietalzellen und an-

deren Zellen statt. Es handelt sich dabei um differenzierte strukturierte Zellen mit wenig

Regenerationskraft, die einen intensiven Katabolismus (Nervensinnessystem) vollziehen

und dabei die Nahrungssubstanz zerkleinern und Fremdartiges eliminieren. Die Kontrakti-

onen verlaufen tonisch, bewegungsarm. Die Verwandlung der Eiweiße in Spaltprodukte,

in Peptone, findet statt unter Einwirkung des Pepsins.

• Magenkorpus

Der Magenkorpus zeigt zwei bis drei rhythmische Kontraktionen pro Minute, tonische und

propulsive Bewegungen. Hier findet ein Übergang statt von differenzierten zu wenig diffe-

renzierten Zellen.

• Magenantrum

Im Magenantrum ist die Schleimhaut schwach differenziert und es gibt undifferenzierte

regenerative Mitosezellen. Hier findet eine starke propulsive, vorwärtsbewegende Kon-

traktion statt (Stoffwechsel-Gliedmaßensystem), um die Nahrung durch den Pförtner zu

leiten. Während des Durchgangs des Speisebreis durch den Pförtner, vom Magen in den

Zwölffingerdarm (erster Teil des Dünndarms), löst sich die Magenblase - das ist die im

Magen gebildete Luft – im verflüssigten Speisebrei, dem Chymus, auf und geht in

Schaum über. Die Flüssigkeit wird ‚gashaltig’. Dieser Übergang charakterisiert die Verbin-

dung von Astralleib und Ich-Organisation mit dem Ätherleib. Es ist ein Atmungsprozess.

Physiologisch drückt sich dieser Prozess durch den Wechsel von saurem Milieu mit ver-

flüssigter Nahrung in ein alkalisches Milieu mit gashaltiger Nahrung aus.

3. Dünndarm–WirkungsbereichdesÄtherleibes

Hier herrscht basisches Milieu, das die Magensäure neutralisiert. Der Dünndarm besitzt

Darm-Microzotten, wodurch die Absorptionsoberfläche des Darmes enorm vergrößert wird

– auf circa 200 m². Der Dünndarm ist in ständiger Bewegung, um die Absorption zu er-

leichtern und den Speisebrei zu lenken. Ein intensiver Katabolismus ist Ausdruck davon,

dass in dieser Region auch die Ich-Organisation stark wirksam ist.

42 Vgl. GA 27, Kapitel VIII. Ausg. 1953: S. 35.

59

• EinwirkenderGallenflüssigkeit

Die Substanzen und Nahrungspartikel werden nun dem Einwirken der Gallenflüssigkeit

ausgesetzt, welche die Fette in eine Emulsion verwandelt, damit sie mithilfe von Enzymen

aufgespalten werden.

• EnzymeausderBauchspeicheldrüse

Die Enzyme sind in den Absonderungen der Bauchspeicheldrüse enthalten, es handelt

sich um Trypsin, Amylase und Lipase, die jeweils das Eiweiß, die Fette und die Kohlen-

hydrate verdauen. In diesem basischen Milieu (im Ätherischen), zerstört die Ich-

Organisation die fremden Substanzen, bis diese völlig ihre Eigenschaften aus der Außen-

welt verloren haben. Dies entspricht einem Todesprozess. Die Substanzen werden neut-

ral, vorübergehend anorganisch.

• ÜberganginsBlut

Sie werden aufgesaugt und gehen ins Blut über (Wärme), wo sie an den Organismus an-

gepasst werden und so die Basis für eine eigene, individualisierte, vermenschlichte Sub-

stanz bilden. Auf diese Weise werden die Substanzen durch

• das Herz ätherisiert,

• durch die Nieren astralisiert

• und in der Leber und Galle von der Ich-Organisation durchdrungen.

Verwandlungen

• Form und Materie (die Ananas) werden verwandelt zu Bewegungen und Prozes-

sen über die Aggregatzustände fest, flüssig, gasförmig und wärmehaltig, die zu

den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer gehören.

• Physisches wird zu Ätherischem verwandelt, unter der Führung der Ich-

Organisation.

• Die Begrenztheit der Mundhöhle wird zu einer riesigen Absorptionsoberfläche von

200 m² verwandelt, bevor der Speisebrei ins BLUT übergeht.

VerdauungundInkarnation

Über die Nahrung verbinden wir uns mit der Außenwelt und zerstören die fremde Sub-

stanz (Todesprozess). Dabei verbindet sich der Mensch mit seinem Leib, er inkarniert sich

wie in einem Einatmungsprozess der übersinnlichen Wesensglieder in seinen Leib und

bildet so körpereigene Substanz. Die Aufnahme des Seelisch-Geistigen in den Lebensleib

zeigt sich deutlich in der Alkalisation des Chymus, des Speisebreis, im Magen.

Nun fahren wir fort mit dem Weg des Chymus durch den Dickdarm:

60

4. Dickdarm–physischeAtmosphäre

Hier herrscht eine ‚irdische’ Atmosphäre: Der Dickdarm ist besiedelt von verschiedenen

Arten von Bakterien (etwa 400 Arten), die die Darmflora bilden und für den Organismus

wichtige Substanzen produzieren wie Vitamin B12 und Vit. K, in dieser Region, in der die

äußere Welt anwesend ist.

Der menschliche Dickdarm:

1 Colon ascendens, d.h. aufsteigender Dickdarm

2 Colon transversum, d.h. Quercolon

3 Colon descendens, d.h. absteigender Dickdarm

4 Sigma

5 Mastdarm (Rectum) und Anus

• Cäcum(Blinddarm)undColonascendens

Im Cäcum und im Colon ascendens findet die Absorption von Flüssigkeiten, Salzen und

von für den Organismus wichtigen Substanzen statt, die aus dem Dünndarm kommen,

was etwa zwölf Stunden oder länger dauern kann.

• Colontransversum

Der Colon transversum produziert Antiperistaltiken und stoppt die Vorwärtsbewegung des

Darminhaltes, der so in der Region des Cäcum und Colon ascendens analysiert wird und

wo das für den Organismus Wichtige entzogen wird.

• Colondescendens,SigmaundMastdarm

Die Kondensation des Darminhaltes durch das Colon descedens, Sigma, den Mastdarm

geht weiter, es entstehen Gase und Stuhl wird gebildet.

Rückverwandlungen

Bewegungen und Prozesse (Dünndarm) werden wieder zu Form und Materie (Anus) zu-

rück verwandelt, Ätherisches wird wieder zu Physischem – eine Art Exspiration des See-

lisch-Geistigen, das sich teilweise vom Körper löst.

WirksamkeiteinigerLaute

Mit diesen Erläuterungen habe ich versucht eine Basis zu schaffen, um die Wirkung eini-

ger Laute veranschaulichen zu können.

• DerKonsonantSCH

Das SCH wird in der Bewegung einer aufsteigenden Spirale gebildet.

61

SCH zeigt seine Wirksamkeit im Übergang vom Magen zum Zwölffingerdarm, im Pylorus.

Es regt an, dass der Flüssigkeit Gas zugesetzt wird. Dieser Atmungsprozess wird durch

das Bewegen des SCH mit den oberen Gliedmaßen und durch den Rhythmus der unteren

Gliedmaßen stimuliert. Die Verbindung des Astralleibes und der Ich-Organisation mit dem

Ätherleib wird gestärkt und angeregt.

Der Rhythmus der unteren Gliedmaßen ist: kurz - lang - kurz Pause lang - kurz - lang

Kurz (Kontraktion des Antrum) – lang (Öffnung des Pylorus) – kurz (Kontraktion des Zwölf-

fingerdarmes) – Pause – lang (Entspannung des Antrum) – kurz (Anspannung des Py-

lorus) – lang (Entspannung des Zwölffingerdarmes) Pause.

Die Bewegung soll langsam ausgeführt werden, denn der Astralleib und die Ich-

Organisation sind von außen her dynamisch wirksam.

Indikationen: SCH reguliert die Sekretion von Salzsäure – es wird eingesetzt bei Gastri-

tis, Geschwüren, Sodbrennen etc., wenn nötig in Verbindung mit anderen Lauten, abhän-

gig von der Anamnese.

• DerKonsonantH

Beim H werden die Schultern von oben nach unten losgelassen oder vorne zusammen-

genommen und dann mit einem Stoß weit gemacht, etwas Verhaltenes, bricht auf und

expandiert (rechts - links), befreit sich. Beim Ausführen dieser Bewegung atmen wir lange

ein. Es ist wichtig, sich ausreichend zu verbinden, um sich lösen zu können und um einen

angemessenen Rhythmus zu finden, ohne Krämpfe zu bekommen.

Indikationen: H wirkt auf den Astralleib,

• wenn dieser sich mit dem Magen nicht ausreichend verbindet, mit einer intensiven

Beteiligung der Sinnesnerven, und sich nicht wieder löst, wobei er Schmerzen be-

reitet,

• bei Krämpfen und Muskelanspannung,

• bei einer Störung der Motilität und Beschwerden beim Entleeren des Magens, so-

wie bei der Hypersekretion von Magensaft, Übelkeit, Übergeben, wie es z.B. bei

einer akuten Gastritis vorkommt und für eine Hyperaktivität des Astralleibes cha-

rakteristisch ist.

H und SCH können kombiniert werden. Man sollte in jedem Fall die Symptome im Rah-

men einer detaillierten Anamnese betrachten. Anhand der Bewegungen des Patienten,

anhand seiner Schwierigkeiten bei der Ausführung des Lautes kann man Rückschlüsse

auf eine Krankheit ziehen und dann den geeigneten Laut, vielleicht auch in Verbindung

mit anderen Lauten, auswählen. Die Bewegungen von H und SCH sollen langsam ausge-

führt werden, mit Pausen, wie oben dargelegt. Stress, Emotionen, ständige Überlastung

bei der Arbeit, Kränkungen, ein bewegtes psychisches Leben, Leidenschaften, Spannun-

62

gen etc., die organisch und psychisch verdaut werden müssen, können den Magen schä-

digen.

• DieKonsonantenDundT

D und T sind in den Vorträgen „Eurythmie als sichtbare Sprache“ der Tierkreisregion des

Löwen zugeordnet, sind Stoßlaute.

Sie wirken auf die Sekretion von Bauchspeicheldrüse und Galle, stärken das Einwirken

der Ich-Organisation beim Aufspalten von Fremdsubstanzen bis in einen neutralen ‚zeit-

weilig anorganischen’ Zustand, in dem sie dann absorbiert werden und bis in das Blut

und die Lymphe gelangen. Der Mensch muss sich gut mit seinem Organismus verbinden,

alles Fremde abbauen und zerstören. Das Seelisch-Geistige muss sich ausreichend ver-

binden, um sich dann im Bereich des Dickdarmes wieder zu lösen.

Indikationen: Wirksam bei Obstipation, bei schlechter Verdauung und vielen anderen

Krankheiten. D und T fördern die Verbindung der Wesensglieder unter der Führung der

Ich-Organisation durch den Katabolismus der drei Stoffe: Kohlenhydrate, Fette und Prote-

ine. Die aus der Außenwelt kommende Fremdsubstanz muss aufgebrochen und zerstört

werden, um absorbiert werden und durch den Anabolismus individualisierte Eigensub-

stanz bilden zu können. Der Astralleib taucht im Ätherleib unter – auch das ist eine anabo-

lische Tätigkeit. Die Bewegungen sollen und können bis zur Ermüdung ausgeführt wer-

den.

Rhythmus 1 (Nervensinnessystem):4 (Stoffwechsel-Gliedmaßensystem).

• DerKonsonatL

„...wirkt ganz besonders stark ein auf die Peristaltik,...“ 43

Der Darm muss ständig in Bewegung sein, damit alle für den Organismus wichtigen Sub-

stanzen aufgenommen werden können. In der fließenden Bewegung der Kontraktion wird

die Substanz ergriffen und erhoben, bei der Expansion wird die Materie vergeistigt, die

Absorption vereinfacht. Die fließende Bewegung des L regt die Blutzirkulation, besonders

aber die Atmung (Einatmung) in den Lungen an. Bei der Einatmung senkt sich das

Zwerchfell, drückt auf die Bauchvenen, was sich auf den Rückenmarkskanal auswirkt mit

Anstieg des Liquordrucks nach oben, wodurch die Gehirnmasse angehoben wird, wie bei

der ‚Gehirn’-Atmung, die wir beim Säugling an den Fontanellen als Pulsieren der Atemzü-

ge beobachten können.

„... und die Gehirntätigkeit ist ja im Wesentlichen ein Zusammenklingen der in das Gehirn

hinein verfeinerten Atmungstätigkeit mit der Nerven-Sinnestätigkeit...“ 44

43 Vgl. GA 315, 4. Vortrag: Dornach, 15. April 1921. 44 Vgl. GA 315, Siebenter Vortrag: Dornach, 18.April 1921.

63

So können wir durch das L über die Atmung die Bildekräfte im Menschen anregen. Wenn

die Zunge in der Mundhöhle das L ausspricht, berührt sie den harten Teil des Gaumens,

der eine enorme Anzahl von Nervenenden besitzt, und stimuliert das Nervensinnessys-

tem. Genauso wird durch die L-Bewegung die Einatmung stimuliert, die auf das Nerven-

sinnessystem zurückwirkt, wie oben beschrieben.

• DieKonsonantenG,K,Q

„..., während bei G, K, Q mehr eine Wirkung auf die Fortbewegung der Speisen im Darm

vorhanden ist, also wenn der Darm selber stockt...” 45

Bei Obstipation kann der Astralleib zu stark mit dem Stoffwechselorganismus verbunden

sein – hypertonische Obstipation – oder zu wenig – hypotonische Obstipation. Aufgrund

der Trägheit der Peristaltik

• findet eine stärkere Absorption von Flüssigkeit statt,

• kann es zu Vergiftung durch die Absorption von Giftstoffen kommen,

• zu einer Zunahme von Bakterien durch die Verwesung von nicht verdauten Sub-

stanzen, die aus dem Dünndarm kommen oder von Rückständen, die zu einer

Dysbiose führen und zu einer Erhöhung der Darmpermeabilität (Durchlässigkeit

der Darmwand), einer erhöhten Produktion von Gasen und sogar zur Übertragung

von Bakterien, was zu Infektionen führen kann und zu verschiedenen Symptomen

wie Unwohlsein, Niedergeschlagenheit, Kolikschmerzen, Kopfschmerzen, Allergie,

Müdigkeit, Verstimmungen und anderen Pathologien.

Wir sehen in den Bewegungen der Laute G und K etwas sich Verteidigendes, etwas Ab-

wehrendes, das von oben nach unten wirksam wird und den Raum nach den Seiten hin

öffnet. G bildet einen größeren Innenraum und stimuliert die Darmbewegungen. Das K

bildet diesen Raum fast als ob es sich verteidigen und angreifen müsste, so wie wir es

wahrnehmen können an der Eurythmiefigur des Lautes K: im Zinnober des Charakters

und im Rot des Kleides, das die Vorwärtsbewegungen in den Raum hinein stimuliert, die

Verteidigung beim Umgang mit der äußeren Welt und irdischer ist als die Atmosphäre des

Dickdarms.

• DerKonsonantN

Das N berührt, erkennt wieder und zieht sich zurück. Es zieht sich fast wie eine Saugkraft

zurück, auf den Fußspitzen, Füßen und Hinterhaupt.

„Das ist eine Bewegung die außerordentlich stärkend auf die Darmtätigkeit wirkt in der

Richtung, dass man sie anwenden soll bei Neigung zu Diarrhöe...” 46

45 Vgl. GA 315, Vierter Vortrag, Dornach, 15. April 1921. 46 Vgl. GA 315, Vierter Vortrag, Dornach, 15. April 1921. Ausg. 2003: S. 61.

64

N festigt, befestigt. Bei Diarrhöe / Durchfall fällt die Nervensinnes-Dynamik des Astrallei-

bes in das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem ein, die Wesensglieder sind nicht gut mitei-

nander verbunden, behalten die Dynamik des Nervensinnessystems bei und erweisen

sich als schwach gegenüber äußeren Einflüssen wie Stress, Schocks, Angst, innerer Un-

ruhe, Nervosität und Situationen, die der hyperaktive Astralleib als befremdend erkennt.

Woraufhin er den Rhythmus beschleunigt, um das, was vergiftet – sei es eine giftige Sub-

stanz, eine Lebensmittelintoleranz, ein physischer oder psychischer Krankheitserreger –

zu eliminieren. Der Astralleib verbindet sich nicht auf korrekte Weise mit dem Ätherleib, er

löst sich zu früh wegen seiner Nerven-Sinnes-Dynamik, wegen seiner Wahrnehmungs-

dynamik und wird katabolisch tätig, er scheidet aus.

Der Laut N führt die Nervensinnes-Dynamik des Astralleibes an ihren Platz zurück.

„...Im N liegt das Zurückleiten ins Intellektuelle...”47

Diarrhöe ist ein Symptom bei funktionellen oder pathologischen Veränderungen. Bei die-

sem Laut betont Steiner „...die Wirkung, die das Gliedmaßensystem auf das Stoffwech-

selsystem ausübt”.48

• DerKonsonantS

S ist dem Element Feuer zu geordnet, ist ein Blaselaut, es strukturiert, bringt in Form,

katabolisiert. Das Bild des Merkurstabes mit den Schlangen bildet die schlangenförmige

Bewegung des S ab: Die Kraft der Ich-Organisation (senkrechter Stab) herrscht vor und

hält die Schlangen (Astralleib) im Gleichgewicht. Die Bewegung des S verlangt Beherr-

schung und Willenskraft, so als ob sie Substanzen verbrennt. Die Ich-Organisation ver-

wandelt und verbrennt Substanz, Materie, und setzt seelisch-geistige Kräfte frei oder sie

verdichtet die seelisch-geistigen Kräfte in Substanz – ein wesentlicher, dynamischer Pro-

zess im Stoffwechselsystem. Das S reguliert diese Umwandlungsprozesse in beide Rich-

tungen und ist im ganzen Organismus tätig:

Bei der Ablagerung von Substanzen bei schwachem, ungenügendem Katabolismus und

so zu den erwähnten Kopfschmerzen oder diversen anderen Krankheiten führen. S hilft,

die Materie abzubauen, um sie auf richtige Weise neu aufzubauen und zur Sphäre des

Lebens zu führen. Der Laut S regelt die Bildung von Gasen im Darm dadurch, dass die

Ich–Organisation den Astralleib ergreift, der seinerseits im Organismus die Luft, die Gase

und den Luftorganismus als seinen Träger hat. Die stark erhöhte Anwesenheit von Gasen

im Darm lässt darauf schließen, dass der Astralleib mit seiner Nervensinnes-Dynamik den

Luftorganismus nicht beherrscht. Mit dem S rufen wir die Ich-Organisation auf, den Astral-

leib und damit die Bildung der Gase zu beherrschen, was zu adäquaten physiologischen

Prozessen führt.

47 Vgl. GA 317: Heilpädagogischer Kurs. Sechster Vortrag, Dornach, 1. Juli 1924. 48 Vgl. GA 315, Vierter Vortrag, Dornach, 15. April 1921.

65

• DerKonsonantB

Das B ist ein Stoßlaut, es wirkt festigend. Die Bewegung der Arme und / oder der Beine

kommt seitlich aus der Peripherie (von rechts und links) und führt zu sich selbst hin (vorn -

hinten).

„...so wirken solche Bewegung,..., tatsächlich zurück auf die innere Verdauung, auf alles

dasjenige, was Verdauungstätigkeit ist in den Blutgefäßen, was Verdauungstätigkeit ist

aber namentlich in den Nieren....”49

Wir können das besser verstehen, wenn wir uns vorstellen, dass die Materie, die Sub-

stanz in der Flüssigkeit, im Blut, an Gewicht verliert und sich den peripherischen Kräften

öffnet. Im Herzen wird sie ätherisiert - das arterielle Blut der Nierenarterie trägt die Sub-

stanzen in sich, die angepasst und astralisiert werden sollen. In den Nieren wirkt der Ast-

ralleib, der mit dem Ätherleib und dem physischen Leib verbunden ist, anabolisch.

Allgemein gilt: Die zentrifugalen Kräfte der Konsonanten, die die Organe bilden, strahlen

aus den Nieren und der Leber und werden an der Peripherie durch die zentripetalen Kräf-

te der Vokale abgerundet.

• DerKonsonantM

Das M repräsentiert den Menschen, die Mitte, den Rhythmus, das Innen und Außen

gleichermaßen – es gleicht die Polaritäten aus. Es ist ein Laut, der bei seiner Ausführung

ein dynamisches, ruhiges Gleichgewicht besitzt.

Das M mit den unteren Gliedmaßen ausgeführt, ist am wirksamsten im Stoffwechselsys-

tem und in den Genitalorganen während der Pubertät.

Die Geschlechtsreife entspricht der Erdenreife, der Ankunft auf der Erde, die Fähigkeit,

organisch zu zeugen – die Geburt des Astralleibes mit diversen physischen und psychi-

schen Auswirkungen. Die Dualität des Astralleibes, die sich ausdrückt durch die Polaritä-

ten von Sympathie und Antipathie, Freude und Traurigkeit usw. kann durch Ausüben die-

ses Lautes harmonisiert und ausgeglichen werden. Diese sich in der Pubertät entwickeln-

den Kräfte – mitsamt der Unterscheidung der Geschlechter im organischen Bereich und

dem Dazugehörigen im Ätherischen Bereich und den gegensätzlichen psychischen Aus-

wirkungen des Astralleibes - können, wenn der Laut M mit den unteren Gliedmaßen aus-

geführt wird, physiologisch, plastisch, auf ihren adäquaten Platz gelenkt werden. Es kön-

nen diverse Störungen durch die errungene Beherrschungskraft vermieden werden.

M wirkt regulierend auf das ganze Stoffwechsel-Gliedmaßensystem als einziger Konso-

nant, der die Ausatmung stimuliert, die Polaritäten harmonisiert, die Astral- und Ätheror-

ganisation aufnimmt, durch Rhythmus ausgleicht und auf den ganzen Organismus wirkt.

49 Vgl. GA 315, Vierter Vortrag: Dornach,15. April 1921.

66

• DerLautI

Am Ende des Vortrages erörtert Rudolf Steiner das I (und das A): Es wird eine Bewegung

ausgeführt, die vom Herzen ausgeht und die vom I aufrechterhalten wird; diese Bewe-

gung strahlt in den oberen Gliedern nach oben und nach unten, nach vorn und hinten,

nach rechts und links, und beherrscht in asymmetrischer Form den dreidimensionalen

Raum.

Dieser Laut bringt die Individualität zum Ausdruck: in der Senkrechten, im Gang, in dem

die Ich-Organisation wirksam ist, und schafft ein Gleichgewicht aus dem Ungleichgewicht

heraus; so ist seine Wirksamkeit in der Bewegung und im Gang eine sehr dynamische.

„Erregung des I, das, was entsteht in der Bewegung des I, Hören desjenigen, was sich

bewegt hat, den Laut wieder hören.”50

DietiefeBedeutungvonSPRECHEN,BEWEGENundHÖREN

Im Folgenden möchte ich kurz auf den 9. Vortrag aus GA 31351 verweisen und einige Stel-

len daraus zitieren, damit wir überhaupt die Wirksamkeit der Konsonanten und der Heileu-

rythmie im Allgemeinen verstehen können und damit auch die tiefe Bedeutung von

SPRECHEN, BEWEGEN und HÖREN.

• Unbewusste Schöpfungspozesse: In der 2. Zeichnung haben wir im abwärts ge-

richteten Teil des gebogenen Pfeils die „Bildekräfte“, die „Aussonderungsprozesse“

und das „Befestigen“, die den unbewussten Schöpferkräften entsprechen, bis hin

zur Wahrnehmung.

• Bewusste Werdeprozesse: Im aufwärts gerichteten Teil des gebogenen Pfeils ha-

ben wir von der Wahrnehmung ausgehend in die der Evolution entgegen gesetz-

ten Richtung das Werden, den Werdeprozess, in dem wir uns zu den Erkenntnis-

kräften, zur „Imagination“, „Inspiration“ und „Intuition“ erheben.

DiemetamorphosischeVerbindungvonOhrundKehlkopf

Das würde bedeuten, dass die unbewussten Schöpferkräfte sich in gewisser Weise mit

dem Ohr verbinden, und die Kräfte des Werdens mit dem Kehlkopf. Rudolf Steiner er-

wähnt, dass wenn sich ein Organ in der Regression befindet – hier das Ohr - sich dann

ein entsprechendes anderes Organ in Entwicklung befindet – hier der Kehlkopf. Das Ohr

sei das erste Sinnesorgan, das schon auf dem alten Saturn entstanden ist und durch wel-

ches die Hierarchien den Menschen erschaffen haben. Im Verlauf der Entwicklung geht

die Wahrnehmung in Richtung „Befestigen“, schafft Bewusstsein und verwandelt sich in

Imagination.

50 Vgl. GA 315, Vierter Vortrag: Dornach,15. April 1921. 51 Vortrag vom 31.05.2009, in: Der Orient im Lichte des Okzidents. Die Kinder Luzifers und die Brüder Christi. GA 113, ab S. 174 (Ausg. 1982).

67

„Wenn die Imagination sich weiter entwickelt und bewusst wird gegen den Aussonde-

rungsprozess zu, dann wird sie zum Inspirieren. Und wenn das Inspirieren sich weiter

entwickelt gegen den Bildungsprozess zu und da bewusst an den Bildungsprozess heran-

stößt, also die Bildung durchschaut, dann wird sie zum Intuitieren.”52

In der Imagination erlangen wir die Wahrnehmung der unbewussten plastischen (ätheri-

schen) Kräfte. Die Inspiration formt und strukturiert diese plastischen Kräfte durch die At-

mung und auf der Stufe der Intuition steigen wir auf zu den substantiellen Wesenheiten.

Wenn die plastischen Kräfte nach außen strahlen und sich nicht innerhalb des Menschen

halten können, entstehen organische Deformationen. Dann können wir das konsonanti-

sche Eurythmisieren anwenden, das die ‚objektiven Imaginationen’ aufrufen kann, welche

die Strahlungsrichtung der Bildekräfte umkehren und sie so im Innern des Organismus

festhalten.

DieBedeutungdesZuhörens

„So dass man sagen kann, wenn man eurythmisieren lässt geradeso, daß man immer den

Patienten aufmerksam macht: Höre gut zu, bringe dir stark zum Bewusstsein den gehör-

ten Laut, den gehörten Satzzusammenhang, nach dem du die Eurythmie machst - dann

wird man ihn aufsteigen lassen gerade zu den äußeren Bildungskräften, zu den objektiv

intuitierenden Kräften.” 53

Wir können durch die Konsonanten und Vokale wirken, indem wir das Gehörte bewegen

und die Bewegung hören. Das verweist uns auf den Kehlkopf, der die vollkommenste Me-

tamorphose des Organismus besitzt.

„Aber ein solches Beispiel, wo wir nur durch eine richtig verstandene Metamorphose ein-

dringen können von einem Organ aus in das Wesen des menschlichen Organismus, das

ist der Kehlkopf.” 54

In den Stimmbändern finden wir genau das vor, dass sich das Gehörte bewegt und dass

wir die Bewegung hören, eines das andere durchdringend, ineinander verflochten:

• In der Metamorphose des Gehörorgans in Schildknorpel und Stimmbänder (einge-

fügt in den Schildknorpel in Richtung Stellknorpel), haben wir das sich bewegende

Hören.

• In der Metamorphose des Schlüsselbeines und der Arme in die Stellknorpel und in

die Stimmbänder, die angewachsen sind an den Stellknorpeln und auf den Schild-

knorpel ausgerichtet, haben wir das hörende Bewegen. (nach Dr. Renate

Thomas).

52 Vgl. GA 315, Vortrag vom 18.04.1921. 53 Ebd. 54 Ebd.

68

Somit finden wir im Kehlkopf die Metamorphose des menschlichen Organismus

• in den Stimmbändern das H Ö R EN (Schildknorpel in Richtung Stellknorpel),

• das S P R E C H E N (Bewegung der Stimmbänder)

• und das B E W E G E N (Stellknorpel in Richtung Schildknorpel) an sich.

Das äußerliche Hören verwandelt sich im Rahmen der Entwicklung des Menschen (ab-

wärts gerichteter Pfeilbogen) fortschreitend in ein inneres Hören.

In der Zukunft wird der Kehlkopf den Menschen erschaffen. Heutzutage erschaffen wir

Laute – im Kehlkopf ist keimhaft alles Zukünftige enthalten.

In der Eurythmie rufen wir das äußere und das innere Hören auf. Sie verwandeln sich in

eine durch die Bewegung sichtbar gemachte Sprache. Seit dem Mysterium von Golgatha

individualisiert sich der Mensch und hat die Möglichkeit, Freiheit im Willen und im Werden

zu entwickeln, die Freiheit der Liebe, und den Weg des Heiligen Geistes, in weit entfernter

Zukunft.

VerwandlungdesStoffesdurchEurythmie

Die Eurythmie und die Anthroposophische Medizin ermöglichen dem Menschen heute,

sich zu entwickeln und die Materie, den Stoff, aus dem er geschaffen ist, zu verwandeln.

Sie helfen ihm seine spirituellen Kräfte aus der Materie zu befreien und das Spirituelle in

der Materie zu erkennen – das ist der Weg der neuen Mysterien, der Weg der Selbster-

kenntnis, der Selbstentwicklung des Menschen, die ihren Höhepunkt in der Erschaffung

der 10. Hierarchie erreichen wird.

Mithilfe der Eurythmie können wir sogar auf Erbkrankheiten, die aus früheren Inkarnatio-

nen mitgebracht werden, einwirken:

„... dann wird man gut tun, insbesondere im jugendlichen Alter immer wieder und wieder

so durch die Eurythmie zu wirken, daß man den Eurythmisierenden immer wieder auffor-

dert: Mache dir ganz klar dasjenige, was du im Äußeren hörst. Dadurch werden ja auch

vertrieben alle diejenigen Tendenzen, die das innerlich fixieren wollen, was etwa da ent-

stehen will, in so etwas wie das mystische Zeichnen oder mystische Dichten.”55

Das Werdende entsteht aus der Wahrnehmung durch das Bewusstsein, es erwächst aus

dem Bewusstsein, das sich entwickelt durch Imagination, Inspiration und Intuition.

Wir haben es mit einem äußeren Hören zu tun, das sich zurück entwickelt und verinner-

licht (spiritualisiert) und mit dem Sprache hervorbringenden Kehlkopf, der in der Zukunft

aus der Kraft des Wortes heraus zeugungsfähig sein wird.

55 Vgl. GA 315, Vortrag vom 18.04.1921.

69

AufrufenderheilendenKräfte

Jeder Mensch, unabhängig von seinem Entwicklungsniveau, kann Heileurythmie machen.

Auf seinen eigenen Bewegungen, auf sich selbst aufbauend, kann er diese heilenden

Kräfte aufrufen und sich verwandeln. Die Bewegung an sich konfrontiert den Patienten mit

sich selbst und mit der Krankheit und gleichzeitig mit der Möglichkeit der Transformation

und Heilung. Die mit den Gliedmaßen ausgeführte Bewegung, bringt die ätherische Be-

wegung durch den menschlichen Körper in die sichtbare Welt. Die unsichtbare Welt des

menschlichen Ätherleibes wird uns in der Bewegung bewusst, wird gestaltbar, kann be-

herrscht werden. Wir wenden uns damit gezielt an die Heilkräfte des Lautes.

Die Bewegung offenbart, was sonst verborgen bleiben würde und wir müssen lernen, im

wahrnehmbar gewordenen Übersinnlichen zu lesen, in gemeinsamer Arbeit von ÄrztInnen

und HeileurythmistInnen. So können wir pathologische Tendenzen und Veranlagungen

wahrnehmen und diagnostizieren, noch bevor sie sich physisch manifestieren. Durch die

Eurythmie wird der Ätherleib der PatientInnen angeregt und die Wirkung der Medikamente

wird verstärkt – sie sprechen besser auf die medikamentöse Behandlung an.

Wir müssen die Heileurythmie in unseren Herzen sehr ernst nehmen und sie weiterentwi-

ckeln, denn – und das ist meine Überzeugung – sie ist die Medizin der Zukunft.

70

Tonheileurythmie-Demonstration

von Annemarie Bäschlin und Dr. Eva Streit

A. Bäschlin : Liebe HeileurythmistInnen und Ärzte, wir begrüßen Sie herzlich zu unserer

Demonstration der Tonheileurythmie. Wir möchten Ihnen anhand einiger Grundelemente

der Toneurythmie zeigen, wie diese in der Heileurythmie angewendet werden können.

Den Beispielen, die ich zeigen werde, wird Frau Dr. Streit einige medizinische Aspekte

hinzufügen.

Die Übungen stammen aus einer Arbeit, die Frau Dr. Margarete Kirchner–Bockholt zu-

sammen mit Lea van der Pals entwickelt und ausgearbeitet hat. Sie waren in die Heileu-

rythmieausbildung von Trude Thetter integriert und sollten eine Grundlage und Anregung

sein für die Weiterentwicklung der Tonheileurythmie. Frau Dr. Streit und ich haben in den

letzten Jahren gemeinsam mit diesen Übungen gearbeitet.

Am Klavier begleitet uns Frau Bettina Niesig.

E. Streit: Liebe HeileurythmistInnen und Ärzte, ich gebe zuerst eine kurze Einführung und

einige medizinische Erläuterungen zu den Übungen, die uns Frau Bäschlin dann zeigen

wird. Die ersten toneurythmischen Grundelemente, über die Rudolf Steiner im Toneuryth-

mie-Kurs spricht, sind Dur und Moll.

Wir möchten für unsere Demonstration heute nun auch mit diesen beiden wichtigsten

Grundelementen der Toneurythmie beginnen.

In der Harmonie haben wir die alles durchdringende Herzkraft der Musik. Hier klingt die

Urbewegung allen Lebens auf, das Zusammenziehen und das Ausdehnen, das sich ur-

bildhaft in der Herzbewegung und in jedem Atemzug zeigt. Diese ätherisch-plastische

Bewegung des Zusammenziehens und Ausdehnens finden wir in der physischen Bewe-

gung, im Beugen und Strecken und im Seelischen empfinden wir dieses Beu-

gen/Strecken, Zusammenziehen/Ausdehnen als Moll- und Dur-Erlebnis. Sie werden dies

nun gleich in der Bewegung erleben können.

A. Bäschlin: Die von Freude und Kraft erfüllte Seele offenbart sich im ausatmenden Dur-

Strom. Die von Leid und Schmerz zusammengepresste Seele offenbart sich im einatmen-

den Moll-Strom.

A. Bäschlin demonstriert Dur und Moll.

Noch differenzierter ist die Dreiklang-Gebärde, die in Dur rechts und in Moll links ausge-

führt wird.

A. Bäschlin demonstriert die Dreiklang-Gebärde.

E. Streit: Rudolf Steiner spricht an verschiedenen Stellen über die innere musikalische

Organisation des Menschen. Nicht nur das Knochensystem ist eine tönende Architektur,

71

alle Organe sind aus der geistigen Welt, aus der Welt des Tones, aus dem Devachan ge-

schaffen, wohin der Astralleib jede Nacht zurückkehrt. Durch die Musik hat der Mensch

so, auch wenn er kein Eingeweihter ist, Anteil an der devachanischen Welt, hat – wie Ru-

dolf Steiner es nennt – ein Heimatgefühl für die geistige Welt.

Die gesundende Wirkung der Tonheileurythmie, die gemäß Rudolf Steiner nebst der ge-

wöhnlichen Toneurythmie auszubilden ist, beruht darauf, dass wir durch das musikalische

Eurythmisieren Bewegungen machen, die nur menschlich sind, nicht naturhaft. Denn das

Musikalische ist nur menschlich, nicht naturhaft.

Wenn der Mensch erkrankt, hat er nicht genügend Kraft, Naturprozesse innerlich umzu-

wandeln, menschlich zu machen. Das Menschliche besteht aber darin, dass wir keinen

Naturprozess in uns dulden, und darum ist das musikalische Eurythmisieren ein Heilfak-

tor. Betrachten wir nun vom Musikalischen aus als Beispiele Dur und Moll in der Blutströ-

mung und im Atemstrom, denn in Dur und Moll offenbart sich die Urbewegung für alles

Strömende:

Im Blut, das vom Herzen in die Peripherie strömt, dem sog. arteriellen Blut, das die Orga-

ne ernährt und mit Sauerstoff versorgt, haben wir eine Dur-Geste. Die Versorgung dieses

arteriellen Blutes mit Sauerstoff findet in der Lunge statt, wo mit der eingeatmeten Luft

Sauerstoff und regenerierende Kräfte aus dem Umkreis aufgenommen werden. In dieser

Einatmung finden wir eine Moll-Geste, die in dem aus der Lunge zum Herzen strömenden

Blut fortgesetzt wird, dieses Blut wird bis in die linke Herzkammer verinnerlicht und dort

findet der Übergang statt in den Dur-Strom des arteriellen Blutes mit seiner plastisch-

aufbauenden Bewegung.

Betrachten wir den Blutstrom von der Peripherie zum Zentrum, das sog. venöse, zum

Herzen strömende Blut, das In-sich-Gehen entsprechend einer Moll-Geste: Dieses koh-

lensäurereiche Blut fließt vom Herzen in die Lunge und die Kohlensäure wird ausgeatmet:

Ausatmung: Dur-Geste.

Betrachten wir nun noch genauer die Strömungsrichtungen im Herzen: In der Diastole das

einströmende, in der Systole das ausströmende Blut: Die Moll-Ströme des einströmenden

Blutes sind ungefähr parallel in der rechten und linken Herzhälfte, die Dur-Ströme kreuzen

sich.

Analog finden wir bei der Moll-Bewegung, der Beugebewegung des Unterarms Elle und

Speiche parallel, während sich bei der Streckbewegung des Unterarmes in der Dur-

Gebärde Elle und Speiche kreuzen. Was in der Knochenbewegung des Unterarmes sicht-

bar wird, entspricht den Bewegungen des Blutes im Herzen.

Nun haben wir bei Systole und Diastole, bei Dur- und Moll-Strom einen Übergang: Ein

kurzer Moment der Umwandlung: Weder Dur noch Moll (weder Systole noch Diastole), ein

Moment, wo wir eine Gleichgewichtslage haben zwischen Dur und Moll ein I-Moment.

72

Dies sehen wir bis in den Faserverlauf des Herzmuskels, wie er von den Blutströmen

plastiziert wird (Herzspitze). Rudolf Steiner beschreibt dieses I-Moment mit den Worten:

„Das I ist immer dasjenige, was das neutrale In-sich-Fühlen ist zwischen dem Heraußen-

Erleben und dem Drinnen-Erleben im Verhältnis zum Leib.“56

Den Übergang zwischen Dur/Moll nennt Rudolf Steiner „Umdeuten“, dies entspricht in der

Laut-Eurythmie dem I-Erlebnis.

Wenn wir nun Störungen im großen Kreislauf und die dazugehörigen Übungen betrach-

ten, so können wir auf Grundlage dieser musikalischen Physiologie von einer zentralen

und peripheren Stauung sprechen, nicht im schulmedizinischen Sinn, sondern im musika-

lischen, ausgehend von Zentrum und Peripherie.

GroßerKreislauf

ZentraleStauungimgroßenKreislauf

In einer Notiz vom 16.1.1908 (München) schreibt Rudolf Steiner zum Begriff der zentralen

Stauung:

„Das Blut wird im Zentrum zurückgestaut, um dort einen Mittelpunkt zu bilden, den Men-

schen stark zu machen gegen die Außenwelt. Es ist die innerste Kraft des Ich, die das

bewirkt.“

Eine zentrale Stauung in diesem Sinn liegt vor, z.B.

• angstbedingt (die Angst kann auch länger zurückliegen),

• beim Erblassen (Furcht, Schreck),

• bei kalten Extremitäten

• und ungenügender peripherer Durchblutung aus verschiedenen Gründen.

Als Therapieziel soll die zentrale Stauung wieder in Fluss gebracht werden: mit ausströ-

mender/einströmender Bewegung von Dur und Moll in einer ein- und ausatmenden Ge-

bärde.

Frau Bäschlin zeigt Ihnen nun in einer aus- und einwickelnden Spirale den ausatmenden

Dur-Strom und den einatmenden Moll-Strom in die jeweils entsprechende Dreiklang-

Gebärde einmündend. Achten Sie dabei auf das Umwenden.

A. Bäschlin : In diesen beiden Polaritäten haben wir in der Mitte das Gleichgewicht zu

suchen, welches in der Lauteurythmie dem I entsprechen würde. Wir führen dies hier –

bei der zentralen Stauung – so aus, dass wir es einen Augenblick durch unsere eigene

Mitte strömen lassen, so dass es an den Wendepunkten der Spiralen nicht zum Stillstand

kommt, sondern innen durchströmt.

56 In: GA 278 (Ton-Eurythmie-Kurs).

73

E. Streit: Zum Lösen der gestauten Mitte, wo die Blutströmung auch etwas in die Starre

kommt, möchten wir nun auch die Wärme anregen. Als Übung eignet sich dazu die A-

Moll-Skala, die Ihnen Frau Bäschlin gleich zeigen wird.

A. Bäschlin : Da die Töne in Moll in der unteren Zone auszuführen sind, wirken hier die

gestaltbildenden Kräfte der Sterne durch die Wärme der Erde hindurch – im Gegensatz zu

den Tönen in Dur, bei denen, im oberen Halbkreis, die Lichtkräfte wirksam sind. Zudem

wird die Wärmewirkung in Moll verstärkt durch das Zusammenziehen der angezogenen

Schritte bei den Tönen G, A, H, im Gegensatz zu den Sprüngen in Dur.

PeriphereStauungimgroßenKreislauf

E. Streit: Was liegt nun bei der Peripheriestauung im großen Kreislauf vor?

Hier fehlt dem großen Kreislauf die Kraft der Mitte, um das Blut aus der Peripherie herein-

zuholen. Das Blut staut sich in der Peripherie bis zur Flüssigkeitsansammlung im Gewe-

be, den Ödemen. Die gestaute Flüssigkeit fällt aus dem lebendigen Zusammenhang her-

aus. Diese Pathologie finden wir bei gewissen Herzkrankheiten, sie wird auch gefördert

durch langes Sitzen/Stehen und bei Venenkrankheiten (chronisch – venöse Insuffizienz).

Therapieziel: Die Mitte stärken, die Zirkulation anzuregen und die gestaute Flüssigkeit

wieder in den lebendigen Zusammenhang zu bringen.

Frau Bäschlin zeigt Ihnen nun die Dur- und die Moll-Spiralen, wie sie bei der peripheren

Stauung angewendet werden.

A. Bäschlin: Hier gestalten wir die unhörbaren Übergänge zwischen Dur und Moll so,

dass wir bei dem Gleichgewichtserlebnis einen Augenblick inne halten. Es entspricht das

Erlebnis dieses Übergangs dem lauteurythmischen I-Erlebnis. Dieser Gleichgewichtszu-

stand muss immer wieder neu geschaffen werden, ähnlich wie die Pause, wie der Motiv-

schwung, wie der Taktstrich. Es ist ein Augenblick der Freiheit, frei von der Bindung an die

eine oder andere Polarität.

Im Wechsel dazu fügen wir auch die Dur- und Moll-Vokale ein:

• O und U für das Dur-Erlebnis.

• A und E für das Moll-Erlebnis.

• Für das Gleichgewichtserlebnis zwischen Dur und Moll das I.

E. Streit: Bei der peripheren Stauung muss der Ruf der Mitte gestärkt werden, um in der

Peripherie gehört zu werden. Als Übung hierfür verwenden wir die C-Dur-Skala (stehend

oder im Schreiten): Wir schicken die Töne aus der durch die Dur- und Moll-Spiralen ge-

stärkte Mitte in die Peripherie und damit die formbildenden Kräfte des Lichtes, welche

durch die Dur-Skala im oberen Halbkreis aufgenommen werden durch die mannigfaltigen

Verbindungsmöglichkeiten mit dem kosmischen Umkreis.

74

Die damit verbundenen Sprünge auf den Tönen G, A, H helfen dabei auch, die Schwer-

kraft und die Formlosigkeit bei der peripheren Stauung zu überwinden. Bei Phlebitis sollen

keine Sprünge gemacht werden.

Diese Übung der C-Dur-Skala wird noch wirksamer, wenn wir die Töne in Verbindung set-

zen zu dem Takt und dem Taktstrich. So haben wir zugleich die Überwindung der Schwere

– „der Kräfte der Erde“ – und die gestaltbildenden, formenden Kräfte der Töne in Tätigkeit

versetzt, eine Wirkung, welche die Aufrichtekraft stärkt und zugleich die menschliche Mitte

mit der Peripherie in Verbindung bringt.

Frau Bäschlin zeigt C-Dur-Skala, Takt und Taktstric h.

Mit einer weiteren Übung bei peripherer Stauung wollen wir darauf eingehen, wie der un-

tere Mensch vom Ich aus ergriffen werden kann: Mit Ethos-Pathos, das Sie gleich sehen

werden.

A. Bäschlin: Im auf- und absteigenden Melos, im Ethos-Pathos, trägt uns die Seele em-

por ins Licht und hinunter in die dunkle Tiefe. In dem Unhörbaren dazwischen haben wir

die Motivschwünge zu gestalten, von einer Motivmetamorphose zur anderen „kühn, geist-

voll“ hinüber zu schwingen. Dazu benötigen wir eine starke Geistesgegenwart, die schon

eine heilende Wirkung hat.

Dazu nehmen wir noch die Töne: Nach unten: es, d, c – Und nach oben, von Licht durch-

drungen: as, h, c. Dazwischen verbinden wir die zwei Pole mit einem kühnen Griff, um

wiederum eine Ganzheit zu haben.

E. Streit: Noch direkter appellieren wir an das Ich durch die Oktave, die wir hier von oben

nach unten führen. Von der Oktave sagt Rudolf Steiner:

„Die Oktavempfindung bringt uns das Finden des eigenen Selbstes auf einer höheren

Stufe“.57

Wir lassen der Oktave vorangehen: die Prim, den Ton C, dann die Oktave und unten

schließen wir mit dem C.

A. Bäschlin demonstriert diese Übung.

Nach diesen Übungen für die periphere Stauung, die wir mit den Dur- und Moll-Spiralen

angefangen haben, ist die Mitte gestärkt, und wir können mit dem Patienten zum Ab-

schließen die Dur- und Moll-Spiralen wiederholen, womit wir an das gesunde Urbild des

Kreislaufs des Herzens appellieren.

57 Vgl. GA 283, Erster Vortrag, Stuttgart, 7. März 1923.

75

KleinerKreislauf/Lungenkreislauf

In der Lunge haben wir ein inniges Ineinanderwirken von Ätherleib und Astralleib, von

Wasserkräften und Luftkräften. Jede Alveole ist umgeben von Blutgefäßen / Kapillaren,

und diesem Bereich der Atmung findet die Aufnahme von Sauerstoff und Abgabe von

Kohlensäure aus dem Blut statt. Im kleinen Kreislauf herrschen ganz andere Druckver-

hältnisse als im großen Kreislauf: Der Blutdruck ist viel tiefer. Bei Störungen im kleinen

Kreislauf, bei Lungenkrankheiten kommt es zu einem Druckanstieg.

Lungenkranke sind oft außer Atem, etwas außer sich, andererseits können sie auch zu

fest in sich sein, fixiert bis zu Zwangsstörungen, die auch mit der Lunge zusammen hän-

gen. Die Lunge ist nicht nur Atmungsorgan, sondern auch wichtig für das Gedanken- und

Vorstellungsleben, das in der Lunge verankert ist. Lungenkranke leben oft zwischen

Zwang und Illusion und haben Mühe, die Mitte zu finden. Auffallend ist bei Lungenkranken

oft die Tendenz zu großen Armbewegungen, z.B. beim Sprechen oder auch in der Heileu-

rythmie. Es fällt diesen Patienten schwer, kleine Bewegungen zu machen, sie sind lieber

etwas „draußen“.

Die Dur- und Moll-Spiralen, welche bei Störungen im Lungenkreislauf unseren Ausgangs-

punkt bilden, werden wir klein gestalten, wie von einer Hülle umgeben. Konzentriert auf

diesen Raum im Brustbereich (Andachtszone) werden auch in der zweiten Übung die Be-

wegungen der Dur- und Moll-Terz klein gestaltet und wir lauschen hinein in diesen Raum,

in welchen sich der Patient wie zu Hause fühlen soll und die Seele sich in Stimmung der

Innigkeit erleben kann. Bei diesen Übungen versuchen wir, die seelische Empfindung in-

tensiv anzuregen wie bei der Seelengeste der Andacht.

A. Bäschlin zeigt die Eurythmiefigur „Andacht“:

Hier kommt das Gemüt doppelt in Bewegung durch die zwei Schleier, die Rudolf Steiner

dieser Eurythmie-Figur der „Andacht“ gegeben hat. Bei der Dur-, Moll-Übung lassen wir

bei den Übergängen zwischen Dur und Moll den Strom wieder durch die Mitte fließen –

als schwebendes Gleichgewicht. Eine konzentrierte Zusammenfassung des Dur- oder

Moll-Erlebens haben wir in der Dreiklang-Gestaltung. Da diese Gebärde „gar nicht anders

dargestellt werden kann als so“ – wie Rudolf Steiner es sagt – fühlt man sich darin zu

Hause. In diesen Innenraum hinein lassen wir nun mit beiden Armen – wie eine Erinne-

rung lauschend – die Terz erklingen – wo das Gemüt in Dur froh gestimmt hinausströmen

möchte; oder in Moll mehr zu sich kommen möchte, in einer warmen, etwas wehmütigen

Stimmung (inbrünstigen Stimmung).

E. Streit: Wie die Wasserkräfte des Blutes die Luftkräfte der Alveolen umspielen und in

Wechselwirkung treten, hat Lemniskatenqualität. Eine kleine Melodie führt uns nun von

der Mitte mit einer Sekund nach oben und zur Mitte zurück und von da eine Sekund nach

76

unten und zur Mitte zurück. Dabei ist darauf zu achten, dass eine Hand den Ton C hält

und umspielt wird. In diesem Melos, das die Mitte umspielt und durchströmt, ergibt sich

eine Lemniskatenbewegung. Diese können wir auch im Raum ausführen, wie Ihnen Frau

Bäschlin gleich zeigt.

Nun setzen wir diese Übung fort, indem wir das auf- und abströmende Melos von einer

Melodie wie eine Lemniskate zwischen den Motiven durch unsere Mitte bewegen lassen:

Frau Bäschlin zeigt diesen Motivschwung durch die Mitte anhand eines Stückes von Co-

relli.

Wenn wir nun das Melos und den Takt gleichzeitig betätigen, so haben wir einerseits im

Melos im fließenden Auf- und Niedersteigen eine Lemniskatenbewegung, die senkrecht

durch die eigene Mitte schwingt und andererseits im Takt, eine Lemniskate, die zwischen

rechts und links in der Horizontalen liegt. Achten Sie nun auf diese beiden Elemente in

einem Choral von J.S. Bach.

A. Bäschlin demonstriert dies.

Und nun versuchen wir, zu Melos und Takt noch den Rhythmus hinzuzufügen: Im Rhyth-

mus haben wir ja dieses Wechselspiel zwischen kurzen Tönen, die vorwärtsdrängen und

uns wach machen, und zwischen den langen Tönen, die den Bewegungsstrom verlang-

samen, uns mehr wegträumen lassen, in die hintere Welt der Ausdehnung. Die Längen

werden sichtbar gemacht, indem wir sie durch den Rücken klingen lassen, wo wir nicht

die sichtbare Welt erleben – während wir bei den Kürzen – im Bereich unserer Sinnes-

wahrnehmungsorgane – vorne der sichtbaren Welt entgegengreifen. Da haben wir ja auch

die Angabe, die Gebärden anzuschauen. So entsteht im Rhythmus eine dritte Lemniskate

zwischen vorne und hinten, die durch unsere Mitte geht. Natürlich würde man jedes der

drei Elemente, Takt, Rhythmus, Melos – einzeln üben, bevor man sie zusammenfügt zu

einem Ganzen, wie sie dies nun in der nächsten Übung von Frau Bäschlin sehen in einem

Choral von J.S. Bach.

A. Bäschlin: Durch Takt, Rhythmus, Melos haben wir „den ganzen Menschen in die Eu-

rythmie eingeschaltet“ – wie Rudolf Steiner an folgender Stelle sagt:

„Sie treten ... den Takt; Sie drücken den Rhythmus aus im Schnell-Langsam, und Sie drü-

cken ... das Melos aus, indem Sie die Bewegungen entsprechend oben ausführen.

Dadurch aber haben Sie im Takt, Rhythmus, Melos den ganzen Menschen in die Euryth-

mie eingeschaltet. Die Musik ist im Grunde genommen der Mensch.“58

E. Streit: Wir verlassen nun das Gebiet des Kreislaufs und wollen uns einer heute zu-

nehmend häufigen Erkrankung zuwenden: der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus ).

58 Vgl. GA 278, Dritter Vortrag, Dornach, 21. Februar 1924.

77

In „Grundlegendes zur Erweiterung der Heilkunst“ finden wir die Angaben, wie der Zucker

einen Bezug zur Ich-Organisation hat, im Bereich der Ich-Organisation wirkt und notwen-

dig ist für unser Bewusstsein. Durch den Zucker im Blut wird die Ich-Organisation in den

ganzen Organismus getragen und Rudolf Steiner sagt – wie in einem Leitsatz:

„Wo Zucker ist, da ist Ich-Organisation.“59

Ungenügende Verarbeitung des Zuckers bedeutet, dass die Ich-Organisation nicht genü-

gend in das Stoffwechsel-Geschehen eingreifen kann. Der Diabetes wird gefördert, durch

alles, was die Ich-Organisation herausreißt aus der in die Körpertätigkeit eingreifenden

Wirksamkeit wie Stress, erbliche Faktoren, intellektuelle Überlastung. Durch die Ton-

heileurythmie wollen wir der Ich-Organisation ein stärkeres Eingreifen ermöglichen.

Als diabetische Spätfolgen entstehen Schäden im Bereich von Nerven, Augen, Gefäßen

und Nieren. Überall da sehen wir ein Zurückziehen der Ich-Organisation, bei den Gefäß-

schäden geht das bis zum Absterben der Gliedmaßen, im Auge bis zur Erblindung.

Wir werden nun einige Übungen sehen, die unter den gesagten Aspekten bei Zucker-

krankheit wirksam sind: Als zentrale Übung haben wir hier die Dissonanz: Aus der auf-

rechten Haltung, in der wir – dem I entsprechend das Gleichgewicht fühlen – gehen wir zu

Beginn in einen Dur-, dann in einen Moll-Dreiklang und Frau Bäschlin zeigt uns, wie dar-

aus die Dissonanz entsteht.

A. Bäschlin: In einem steigernden Tempo wird der Zwischenraum zwischen Dur und Moll

immer enger – und verdrängt das Gleichgewicht, so dass die beiden Polaritäten von Dur

und Moll nicht mehr aneinander gehalten werden können und ineinander geschoben wer-

den. In gleichzeitigem Erklingen entsteht die Dissonanz, die ihren Ausdruck in einer eu-

rythmischen Gebärde findet, die das Gegenteil vom I darstellt. Ich falle herunter und nur

mit großer Anstrengung kann ich den Weg zurückfinden von der Schwere ins Licht, indem

ich im Auslöschen der Dissonanz „ins Geistige hineingehe“ – wie Rudolf Steiner sagt.

A. Bäschlin demonstriert die Dissonanz, danach Absc hluss mit Dur-Dreiklang.

E. Streit: Im wiedergefundenen Gleichgewicht erst ist der Mensch in der Lage, (nach der

Dissonanz), aus freiem Entschluss ins Dur oder ins Moll zu gehen.

Man kann dieses „Auslöschen“ der Dissonanz – wie Rudolf Steiner es nennt, und das Sie

soeben gesehen haben, vergleichen mit einer „Ich-Linie“ in der Lauteurythmie, die in sich

selber rückläufig ist. Wir sehen das nun gleich noch einmal.

A. Bäschlin demonstriert die Dissonanz, danach Absc hluss mit Moll-Dreiklang.

E. Streit: In der nächsten Übung kommen wir zur Oktave. Mit der Oktave, die wir von

oben nach unten führen – so wir sie bei der peripheren Stauung des großen Kreislaufs

59 Vgl. GA 27, Kapitel VIII: Tätigkeiten im menschlichen Organismus. Diabetes mellitus.

78

gesehen haben, appellieren wir wiederum an das Ich, mit dem wir den unteren Organis-

mus ergreifen und durchdringen.

A. Bäschlin zeigt die Oktave abwärts.

E. Streit: Wir bleiben nun noch bei den Intervallen und Frau Bäschlin zeigt uns die Sep-

tim, die zum Grundton geführt wird.

A. Bäschlin: Hier haben wir eine Übung, welche Rudolf Steiner ausführlich beschreibt

und von der er sagt, dass Leben in das Leblose zurückgeworfen wird. In anderen Worten

sagt er, dass man „das geistig Belebende wiederum in das still Stehende, Körperliche

zurückbringt“. Aus diesem belebten Grundton heraus gestalten wir anschließend die Ok-

tave aufwärts.

A. Bäschlin zeigt uns diese Übung.

E. Streit: Im Zusammenhang mit der Septim möchten wir noch erwähnen, dass Rudolf

Steiner im Toneurythmie-Kurs, im dritten Vortrag60, über die therapeutische Anwendung

der Septim spricht:

„Wenn Sie z.B. in der Lunge, oder in einem sonstigen, namentlich Brustorgan, dasjenige

konstatieren müssen, was Verhärtungen sind, so werden Sie sehen, dass gerade diese

Übung (Septim zum Grundton) einen heilsamen, d.h. belebenden, in den Normalzustand

zurückführenden Weg bedeutet. Es ist gerade die Toneurythmie, in der entsprechenden

Weise durchgeführt, zu gleicher Zeit ein heileurythmischer Faktor.“61

Wie die Oktave und die Septim kann nun jedes Intervall zum Grundton geführt werden,

und wir bilden jedes Intervall in seiner spezifischen Qualität.

Insgesamt können die Intervalle in dieser Art immer angewandt werden, wenn wir eine

belebende Wirkung erreichen wollen, also bei Sklerosetendenz und Vorherrschen von

Abbauvorgängen (wie dies eben z.B. bei Diabetes vorliegt).

A. Bäschlin zu den Intervallen: Wir verlegen unser Bewusstsein in dieses Wesen, dann

gehen wir mit dem eigenen Tätigkeitszentrum – und unserem Grundton – dort hin; z. B. so

bei der Septim (demonstriert die Septim zum Grundton) und so bei der Sext:

Demonstriert Sext zum Grundton.

Wir identifizieren uns mit dem Wesen dieses Intervalls und sind dann „Bild“ geworden

davon – wie Rudolf Steiner sagt – „Bild des Empfindens, des Fühlens“ bei der Sext; und

„Bild des Belebens des Unbelebten“ bei der Septim. Die ganze Skala wird so auch mit

den Beinen ausgeführt.

60 Vgl. GA 278, Dritter Vortrag, Dornach, 21. Februar 1924. 61 ebd.

79

E. Streit: Nach der Zuckerkrankheit möchten wir noch etwas beim Stoffwechsel bleiben

und uns dem Eiweiß zuwenden:

„Das aufgenommene Eiweiß ist zunächst, wenn es als Nahrungsmittel aufgenommen

wird, ein Fremdkörper im menschlichen Organismus. Es enthält die Nachwirkungen der

Äthervorgänge desjenigen Lebewesens, aus dem es entnommen wird.“ 62

Viele kennen dieses Zitat aus dem „Grundlegenden“. In der Eiweiß-Verdauung braucht es

eine genügend starke Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse, oder, mit anderen Worten, eine

so starke Kraft der Ich-Organisation und der Bauchspeicheldrüse, dass das Eiweiß durch

die Verdauung in den menschlichen Ätherleib übergehen kann. Sonst haben wir es mit

fremden Ätherwirkungen im Organismus zu tun, die zu Störungen führen, zur Albuminu-

rie, wodurch die Tätigkeit des Astralleibes in der Niere gestört wird, insbesondere seine

Gestaltungstätigkeit. Durch die Übungen der Tonheileurythmie soll der Astralleib beweg-

lich gemacht werden, um die Form- und Gestaltungskräfte im Menschen anzuregen, er

muss aber auch vom Ich aus gelenkt werden.

Von den verschiedenen Übungen greifen wir zwei heraus:

Zuerst die Dur-Skala mit Raumformen, wobei wir versuchen, eine geometrische Form so

zu schwingen, dass das strahlende Dur sichtbar wird bis in exakte Spitzen hinein.

A. Bäschlin demonstriert C-Dur-Skala mit Raumformen .

Die manchmal etwas schwerfälligen Mädchen im Pubertätsalter wurden von Frau Dr. Ilse

Knauer auf große Siebensterne durch den Raum gejagt, wobei sie die Spitzen ganz prä-

zise auszuführen hatten. Danach hatten die Mädchen unmittelbar eine bessere Haltung

und Fasson bekommen.

E. Streit: Als zentrales Element bei Eiweiß-Störungen nutzen wir die Tonhöhe (Melos) mit

Ethos-Pathos zusammen. Das Melos wirkt ordnend und harmonisierend auf den Astral-

leib, vor allem, wenn wir seiner Forderung gerecht werden, es zu formen, zu gliedern

durch die Motivschwünge, wie Sie dies nun gleich sehen, in einer Variation von L. van

Beethoven.

A. Bäschlin demonstriert diese Übung.

E. Streit: Zum Schluss wollen wir noch eine weitere Stoffwechselstörung betrachten, die

heute von zunehmender Bedeutung ist, die Fettstoffwechselstörung . Bei übermäßiger

Fettansammlung – sagt Rudolf Steiner im „Grundlegenden“ – entwickelt der Körper die

Neigung, mehr Fett zustande zu bringen als die Ich-Organisation zu ihrem Leben in der

Innenwärme braucht. Als wichtiges toneurythmisches Element haben wir hier die Pause,

die zum Rhythmus gehört. Wir zeigen Ihnen als Beispiel die C-Dur-Skala in Verbindung 62 Vgl. GA 27, Kapitel IX: Die Rolle des Eiweißes im Menschenkörper und die Albuminurie.

80

mit der Pause. Diese Übung hat sich bei der übermässigen Fettablagerung bewährt, wo

wir durch die Pause immer wieder von der Eigenschaft der Ruhe und der formgestalten-

den Kraft, die im Ton waltet übergehen in die Bewegung, die in der Pause zeitlos und

raumlos erlebt wird.

Frau Bäschlin zeigt Ihnen dies mit der C-Dur-Skala.

Die Pause können wir bei der übermässigen Fettablagerung auch verbinden mit dem Pia-

no-Forte, d.h. mit der Tonstärke, um mit dem Willen die ganze Gestalt zu durchdringen.

Piano-Forte und Pause zeigt Ihnen Frau Bäschlin in einer Diabelli-Variation von L. van

Beethoven.

A. Bäschlin zeigt diese Übung.

E. Streit: Hier möchten wir abschließen, und wir hoffen, wir haben Ihnen mit dieser De-

monstration einen kleinen Einblick und Beispiele geben können, wie wir die Toneurythmie

– Grundelemente in der Tonheileurythmie - anwenden können.

Literatur

Lea van der Pals, Der Mensch Musik

Rudolf Steiner, Eurythmie als sichtbarer Gesang, GA 278.

Rudolf Steiner, Das Wesen des Musikalischen, GA 283, Vortrag vom 12.11.1906.

Rudolf Steiner/Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geis-

teswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27.

Armin Husemann, Der musikalische Bau des Menschen.

81

VomWesenderHeileurythmiealsHerzorganderAnthroposophischenMedizin

Vortrag, gehalten von Dr. Michaela Glöckler

ItaWegmanunddieEntwicklungderAnthroposophischenMedizin

Die Anthroposophische Medizin verdanken wir der Zusammenarbeit von Ita Wegman und

Rudolf Steiner. Sie bekam von ihm den Anstoß, nach ihrer Ausbildung in Schwedischer

Massage auch noch Medizin zu studieren. Dafür musste sie jedoch erst noch das Abitur

nachholen, was für die bereits Siebenundzwanzigjährige eine große Herausforderung war.

In der Zeit der Prüfungsvorbereitung schrieb sie an Rudolf Steiner einen bewegenden

Brief, ob er nicht etwas wüsste, das ihr helfen würde, sich besser zu konzentrieren. Leider

ist uns die Antwort nicht bekannt. Jedenfalls ging alles gut, und sie begann auf Anraten

Marie Steiners ihr Studium in Zürich. Deren Begründung für die Ortswahl war: „Unsere

ganze Bewegung kommt ja doch einmal in die Schweiz.“ Zu diesem Zeitpunkt war jedoch

noch keine Rede davon – die Zentren der anthroposophischen Arbeit waren München und

Berlin. So vollzog sich die Verbindung von anthroposophischer Geisteswissenschaft und

materialistischer Schulmedizin, die für die Weiterbildung zum anthroposophischen Arzt

unerlässlich ist

1907, bei der Spaltung der theosophischen Gesellschaft, stellte sich Ita Wegman klar auf

die Seite Rudolf Steiners und der Anthroposophie. Peter Selg hat in seinem Buch zum

Münchner Kongress 190763 dieses Schicksalsmoment neu dokumentiert und zugänglich

gemacht. Ita Wegman sorgte dann mit dafür, dass Rudolf Steiner oft in die Schweiz kam,

um Vorträge zu halten. Wenn sie zu viel reiste, um auch in anderen Städten und in

Deutschland seine Vorträge hören zu können – sie war auch 1911 in Prag bei dem Vor-

tragszyklus über die okkulte Physiologie - ermahnte Rudolf Steiner sie, dass sie auch stu-

dieren müsste, um ihr Medizinstudium abzuschließen.

ItaWegmansWerdegangalsMedizinerin

So wurde sie in gewisser Weise zum Prototyp eines anthroposophischen Arztes, weder

Homöopath noch sonst ein spiritueller Komplementärmediziner, sondern primär akade-

misch ausgebildet an einer renommierten Universität. Zudem studierte sie als eine von

wenigen Frauen, da für Frauen damals ein Medizinstudium noch etwas ganz Besonderes

war. Ihre fachärztliche Weiterbildung zur Gynäkologin absolvierte sie am Spital Liestal

ganz in der Nähe von Dornach. Anschließend ließ sie sich in Basel als Allgemeinärztin

nieder.

63 Karl Lierl; Florian Roder (Hg). Anthroposophie wird Kunst. Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart. München 2007.

82

1921 entschloss sie sich, ein klinisch-therapeutisches Institut in Arlesheim zu eröffnen. Zu

ihrer großen Freude sagte Rudolf Steiner zu, dort mit ihr zusammenzuarbeiten.

So ist Ita Wegman sehr eng mit der Geschichte der Anthroposophisch-medizinischen Be-

wegung verbunden: Die Zusammenarbeit mit Rudolf Steiner reicht von der Beratung beim

Abitur und beim Studium, über die parallelen Studien der Mainstream-Medizin und der

Anthroposophie bis hin zur Begründung der ersten Klinik und der gemeinsamen Behand-

lung vieler Patienten, wovon hunderte dokumentierter Krankengeschichten zeugen. Zu-

letzt, vor seinem Tode, begleitete sie Rudolf Steiner als Ärztin in seiner eigenen Krank-

heitszeit, zusammen mit Ludwig Noll.

Die Krönung dieser Zusammenarbeit ist jedoch die im Herbst 1923 begonnene Arbeit an

dem ‚Medizinischen Buch’, das nach dem Tode Rudolf Steiners unter dem Titel „Grundle-

gendes für eine Erweiterung der Heilkunst“ herauskam und dessen 18. Kapitel der Heileu-

rythmie gewidmet ist.

FragenachderErneuerungderMysterien

Wegman war es aber auch, die ihm im Sommer 1923 die für die gesamte anthroposophi-

sche Bewegung entscheidende Frage nach der Erneuerung der Mysterien gestellt hatte.

Als Rudolf Steiner nach dem Brand des ersten Goetheanum und dem Versagen der Anth-

roposophischen Gesellschaft mit der Frage lebte, ob er einen Orden gründen und sich

aus der Anthroposophischen Gesellschaft zurückziehen sollte, sagte sie zu ihm: „Aber

Herr Doktor, Sie können doch die Gesellschaft nicht alleine lassen!“ Im Sommer 1923

dann, in England, wurde ihr das zentrale Anliegen ihres Lebens bewusst, das sie Rudolf

Steiner gegenüber etwa so formulierte:

„Ich möchte gerne eine Medizin haben, wie es sie zu den Zeiten der alten Mysterien gab –

nur in christlicher Form.“

Bernard Lievegood hat wiederholt erzählt, wie Rudolf Steiner zu Zeylmanns van Emmich-

hofen gesagt hätte, dass diese Frage Ita Wegmans für ihn „die Parzivalsfrage“ gewesen

wäre, die ihn veranlasst hätte, die Weihnachtstagung von 1923/24 zur Neubegründung

der Anthroposophischen Gesellschaft abzuhalten. Ohne diese Frage wären die Neube-

gründung der Gesellschaft und die öffentliche Begründung der Hochschule für Geistes-

wissenschaft durch Rudolf Steiner gar nicht möglich gewesen.

DieneueStrukturderHochschulefürGeisteswissenschaft

Denn das Neue, das mit der Weihnachtstagung inauguriert wurde, war ja nicht die Be-

gründung der Anthroposophischen Gesellschaft – die gab es schon seit 1912. Auch die

Hochschule war nicht neu – die gab es schon seit 1904 / 1905. Das einzig wirklich Neue,

das auf der Weihnachtstagung erstmals zu Tage trat, war die Einrichtung der Sektionen:

Für allgemeine Anthroposophie, für Medizin, Landwirtschaft, Pädagogik, Kunst, usw. Auf

diesem Boden konnte die Erneuerung der Mysterien stattfinden.

83

Rudolf Steiner machte dazu am 27.12.23 eine interessante Zeichnung64: Er zeichnete

horizontale Ebenen für die anthroposophische Gesellschaft – für die erste Klasse der

freien Hochschule, für die zweite Klasse, für die dritte Klasse. Dazu sagte er, dass dies

der Bau von der Gesellschaft und der dreiklassigen Hochschule sei, den man ja schon

kenne. Er habe jedoch vor Sektionen einzurichten. Diese Sektionen hätten eine vertikale

Struktur:

„Sie greifen von oben nach unten durch.“

GA 260, S. 113

Bildlich gesprochen besteht die Aufgabe einer Sektion also darin, sich vertikal zwischen

oben und unten so stark wie möglich zu verwurzeln. Die Ergebnisse der Arbeit auf den

jeweiligen Horizontalebenen von Hochschule und Anthroposophischer Gesellschaft könn-

ten dann durch die Sektionsaktivität in die verschiedenen Lebensfelder hinausgetragen

und dort verwirklicht werden. Damit könnte dann das Initiationsprinzip unter die Zivilisati-

onsprinzipien aufgenommen werden, so dass alle Bereiche und Themen der Zivilisation

einen initiatorischen Charakter bekämen.

WasbedeutetInitiation?

Das lateinische Wort ‚initiare’ bedeutet ‚anfangen’. Wer den Initiationsweg beschreitet,

fängt ganz bewusst ein neues Leben an. Eine Frau, die sich entschließt ins Kloster zu

gehen und eine Nonne zu werden, beginnt ab dem Schwellenübertritt ins Kloster ein neu-

es Leben, ein Leben in Christus: Sie wird die ‚Braut Christi’, bekommt einen Ring an den

Finger und einen neuen Namen. Sie vollzieht die zweite Geburt, wird aus Wasser und

Geist getauft und beginnt ein frei gewähltes ganz bewusstes Leben im Geist.

64 GA 260: Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesell-schaft 1923/1924. S. 113 (Ausg. 1994).

84

Genau dasselbe macht jeder von uns auf seine individuelle Art, wenn er sich in der erns-

testen Stunde seines Lebens entschließt, die Verantwortung für die eigene Entwicklung

selbst in die Hand zu nehmen und sie nicht mehr zu delegieren an das Schicksal, an das

Erbgut, an Freunde und Verwandte, an Autoritäten, die für einen zuständig und verant-

wortlich dafür sein sollen, dass man dieses oder jenes Problem hat. Es gibt Menschen,

die machen andere für ihr ganze Biografie verantwortlich: Sie wissen genau, wer diese

Schwäche und jenes Problem in ihrem Leben verursacht hat. Im Rahmen einer Biografie-

arbeit oder Psychotherapie ist es eine mühevolle Arbeit, diesen Menschen verständlich zu

machen, dass sie selbst über einen Rucksack verfügen, in den sie alles zurückholen kön-

nen, was sie an andere delegiert und ihnen aufgebürdet haben an Schuldzuweisungen

und Problemprojektionen. Es geht darum, sich das alles selbst in den eigenen Rucksack

zu stecken und zu sagen: Das bin ICH, das gehört zu MIR. Das sind MEINE Entwick-

lungschancen. Das ist meine Lebensinitiation. Denn jedes Problem ist der Vorbote einer

zukünftigen Befähigung, wenn man es verarbeitet hat.

EinweihungdurchdasLeben

Diesen Weg der Einweihung durch das Leben kann jeder gehen. Er zieht sich wie ein ro-

ter Faden durch das Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten“65. Hinzu

kommt die bewusste Schulung, die immer drei Aspekte hat:

Den persönlichen Aspekt, indem jeder sich klar macht:

Wo stehe ich gerade?

Was steht an ganz persönlichen Reifungsschritten an?

Den beruflichen Aspekt, indem jeder von uns sich auf seinem professionellen Schulungs-

weg, der auch ein Entwicklungsweg ist, fragt:

Welche Fähigkeiten brauche ich als Therapeut?

Was macht mich zum Arzt, zum Heileurythmisten?

Wodurch wirke ich heilend?

Den menschheitlichen Aspekt, indem jeder sich als Teil der Menschheitsfamilie empfindet

und sich fragt:

Welche Entwicklungsschritte stehen für die Menschheit an?

Was ist die entwicklungsmäßige Antwort auf die Herausforderungen der heutigen Zeit?

GesundeAusstrahlungvonArztundHeileurythmstIn

Beim Besuch eines guten Arztes kann man das peinliche Erlebnis haben, dass man er-

zählen will, dies und das täte einem weh oder wäre schwierig auszuführen und dann sitzt

man dem Arzt gegenüber und es geht einem gut und man kann ihm das eigene Leid gar

nicht mehr so richtig schildern. Das liegt an der gesunden Ausstrahlung des Arztes.

65 GA 10.

85

Die Entwicklung der Anthroposophischen Medizin war verwoben mit dem heilenden Auf-

trag der Anthroposophie und der Tatsache, dass Rudolf Steiner die Möglichkeit bekam,

die Initiationsprinzipien unter die Kulturprinzipien aufzunehmen. Als christlicher Einge-

weihter war er nicht befugt, etwas zu tun und zu sagen, wenn er nicht zuvor danach ge-

fragt worden war. Man musste ihm durch die Frage die Macht dazu geben. Ita Wegman

vermochte ihm diese Kompetenz zuzusprechen, indem sie die entscheidende Frage stell-

te. Damit konnte die Anthroposophie ihren heilenden Auftrag gegenüber einer am Materia-

lismus krankenden Zivilisation wahrnehmen und umzusetzen beginnen.

LeitmotivederHochschule

Diese drei Schulungswege – der persönliche, der berufliche und der menschheitliche -

sind auch in den drei Bedingungen für die Hochschulmitgliedschaft in Form von Leitmoti-

ven festgehalten:

1. Die erste Bedingung ist, dass ein Mensch weiß, er will den anthroposophischen

Entwicklungsweg wirklich gehen. Dass es sein Weg ist.

2. Die zweite Bedingung verlangt, dass man den Zusammenhalt bewahrt mit den an-

deren tätigen Freunden. Das betrifft uns auch hier als Berufsgruppe: Jeder von

uns erkennt an, dass er gar nicht in der Lage wäre, die Eurythmie und die Heileu-

rythmie als Einzelner ausreichend zu erarbeiten und zu vertreten. Dazu braucht er

die Kollegen als Spiegel, braucht er die Vielfalt: Jeder arbeitet anders, hat eine

andere Herangehensweise, Gott sei Dank. Wir können aneinander erwachen und

voneinander lernen. Aus Fehlern lernt man bekanntlich das Meiste.

3. Die dritte Bedingung ist, dass man das Gelernte sozial kompetent im Leben zu

verwirklichen und zu repräsentieren versucht.

Diese drei Bedingungen erfassen die gesamte medizinische Strömung – und mit ihr die

Heileurythmie.

DasHerzalsSinnesorganundAusstrahlungsortderVokale

Das Herz ist den neuen physiologischen Erkenntnissen und Rudolf Steiners Hinweisen

gemäß ein hochkomplexes und vielseitiges Sinnesorgan. Es nimmt nicht nur den Sauer-

stoffgehalt und die chemische Blutbeschaffenheit wahr, sondern auch die Blutmechanik

und die Wärmeregulation mittels einer Fülle differenzierter Chemo- und Mechanorezepto-

ren sowie Fühlern für den Durchblutungsgrad von Herz und Kreislauf. Im Herzen finden

wir aber auch hormonähnlich wirkende Substanzen, die den gesamten Stoffwechsel über

das Herz abstimmen und damit die Nährstoffversorgung der Organe regeln. Das Herz ist

außerdem eine Art zentrales Sinnesorgan für den Lebenszustand des Organismus und ist

zuständig für die Koordination des Flüssigkeitshaushalts.

86

Der Bezug zu den Vokalen ergibt sich sowohl aus dem anatomischen Aufbau des Her-

zens – das etwa so groß ist, wie die zwei aneinander gelegten Fäuste beider Hände – als

auch aus seiner Funktion:

• Es ist geformt wie ein Becher, ein Kelch, ein A.

• Seine Funktionsdynamik ergibt eine Vertikale, ein I: Bei jeder Kontraktion springt

es in der Brust in die Vertikale. Dabei muss man sich vorstellen, dass es sich beim

Springen in die Vertikalen noch schraubenförmig verdreht – wie entlang den

Schlangenumwindungen des Merkurstabs. Es tanzt so auf und ab, gleichsam spie-

lerisch um sein Gleichgewicht bemüht.

• Das E ist ihm wie eingepflanzt, indem sich die großen Arterienstämme - der zur

Lunge führende Truncus pulmonalis und die den Körper versorgende grosse

Schlagader, die Aorta, im Herzen kreuzen. Sie stellen dort sowohl ein anatomi-

sches als auch funktionelles E dar.

• Als Hohlorgan ist dem Herzen das O eingeschrieben. Seine wundervolle Rundung,

die sich nach jedem Herzschlag in der Diastole neu mit Blut füllt, ist ein geradezu

archetypisch schönes O.

• Betrachtet man jedoch den Gesamtaufbau des Herzens, so findet man das U:

Während der Embryonalentwicklung bildet sich die Parallelität und Symmetrie die-

ses Organs aus einer zweischlauchigen Anlage durch Aneinanderlagern und Ver-

drehen zweier paralleler Gefäßabschnitte – den sogenannten Herzschläuchen.

Das vierkammerige Hohlorgan Herz bildet sich so aus einer symmetrisch-paarigen

Anlage als ein besonders komplizierter, sich spiralig verdrehender Blutgefäßab-

schnitt. Es entsteht also aus der U-Geste heraus und behält den symmetrisch-

parallelen Aufbau zeitlebens bei.

Es ist nicht nur so, dass die Vokale eurythmisch ansetzen im Herzen - das Herz IST klin-

gender Vokalismus. Die vokalischen Urlaute sind dem Herzen anatomisch und physiolo-

gisch eingeschrieben und führen zur 'Verselbstung', indem sie als zentrale Strömungen

des Ätherleibes den gesamten Blut- und Flüssigkeitsmenschen regulieren

Herzrhythmen

Mit dem Herzen ist aber auch alles rhythmische und eurythmische Geschehen verbunden:

Diese Rhythmen, über die Max Moser noch ausführlich sprechen wird, ergeben sich aus

der genauen Koordination von Atem und Herzschlag: In unseren Gefäßabschnitten sind

sämtliche Rhythmen vorhanden, die in der Afro-Amerikanischen Musik vorkommen, auch

synkopische Rhythmen – alles ist dort in sich überlagernden Gefäßpulsen veranlagt und

wird im Herzen synchronisiert. Diese Synchronisation ergibt, dass drei Rhythmen vom

87

Arzt wahrgenommen werden, wenn er das Herz auskultiert. Es sind dies - zusammen mit

dem Atmungsrhythmus - die klassischen Tempi und Rhythmen der europäischen Musik.

DemonstrationderRhythmen

Mit diesen drei Rhythmen beginnt der erste Vortrag im Heileurythmiekurs: Jambus, Tro-

chäus und in der Mitte der Spondäus. Ihr Zusammenspiel würde ich uns jetzt gerne kurz

zu Gehör bringen, bevor ich fortfahre. Ich würde Sie bitten, dass dieser Bereich des Saa-

les einen schönen Jambus klatscht, so richtig frei nach Goethe:

„Der Morgen kam, es scheuchten seine Tritte...“

Jetzt dieser Bereich den Trochäus – frei nach Mörike:

„… gelassen stieg die Nacht ans Land..."

Und das Mittelfeld klatscht den schritt-analogen Spondäus. Jetzt alle zusammen, bitte!

Herzlichen Dank – so klingt das Herz in jedem von uns, darauf stützt es permanent seine

musikalische Arbeitsweise, das ist seine rhythmische Funktionsordnung. Alles, was nicht

durch die Vermittlung des Herzens dazu dient, den oberen mit dem unteren Organismus

zu verbinden, d.h. die Funktionen des Nerven-Sinnesorganismus mit denen des Stoff-

wechselsystems in Beziehung und Korrespondenz zu bringen, muss sich früher oder spä-

ter in Unregelmäßigkeiten des Herzens oder anderen Krankheitstendenzen zeigen.

Was zur Stärkung des Herzens beiträgt, kann als Ausgangspunkt in der Heileurythmie

genommen werden: Indem der Mensch so an seiner ‚Herzlichkeit’ zu arbeiten lernt, er-

schliesst er sich eine unerschöpfliche Gesundheitsquelle, einen heileurythmischen

Schlüssel zur Prävention.

Die besondere Beziehung der Heileurythmie zum Herzen ist also zum einen im eben ge-

nannten Vokalismus des Herzens gegeben. Zum anderen trägt das Arbeiten mit den ar-

chetypischen Herzrhythmen zur Gesamtregulierung des dreigliedrigen Menschen bei, den

wir nicht nur über das I A O und die Vokalübungen positiv beeinflussen können, sondern

auch über diese rhythmische Arbeit.

Die‚Bluttafel'undderHerz-Lungen-Schlag

Das Herz ergießt sein Blut in die Lunge über einen speziellen Kreislauf, der über den

truncus pulmonaris das gesamte Körperblut in die Lunge leitet und somit den Gesamt-

Kreislauf erweitert. Wenn wir alle feinen Alveolen der Lunge aufsplitten würden, hätten wir

einen See von 90 bis 100 m² Fläche, der mit jedem Atemzug belüftet wird - ein Blutsee,

der sich der Umgebung öffnet, die über den Bronchialbaum wie eingestülpt ist in unsere

Lungen, die so genannte 'Bluttafel', die sich als Riesenfläche der äußeren

Luft der Atmung anbietet. Über die Atmung kann nun der Konsonantismus heranbranden,

die Außenwelt, und dem Herzen begegnen. Diese wundervolle Atemaktivität, die wir über

die Konsonanten noch verstärken können, indem wir uns ausdehnen und große Weiten

88

über die Konsonanten heranholen, wird Herz-Lungen-Schlag genannt: Er macht den

Menschen ganz zentral aus.

KrankheitundGesundheit

In den Kapiteln „Charakteristische Krankheitsfälle“, die im Buch „Grundlegendes für eine

Erweiterung der Heilkunst“66 direkt an das Kapitel „Heileurythmie“ anschließen, schildert

Rudolf Steiner den Krankheits- und Gesundungsprozess wie einen Kreislauf. Er sagt dort:

„Sie – die Krankheit – ist an einem bestimmten Punkte angekommen, wenn man den

Kranken in die Behandlung bekommt.“ 67

Oft dauert es ziemlich lange, bis die Krankheit so reif ist, dass der Mensch sie überhaupt

bemerkt, und dann dauert es noch eine Zeit, bis er sich sagt: ‚Jetzt muss ich doch mal

zum Arzt.'

Anschließend muss der Arzt mit seinem Patienten zusammen einen Weg zurück finden

zur Gesundheit bzw. nach vorne zur neuen Gesundheit. Er muss herausfinden, was die-

sen krank gemacht hat. Er muss fragen:

Wie viele Jahre ist diese Krankheitsdisposition wohl schon prozessual am Werk gewe-

sen?

Wie sah dieser Prozess aus und mit welchen Substanzen, heilenden Bewegungen und

Diäten muss ich jetzt arbeiten, dass der Körper diesen Weg wieder zurückgehen kann in

die Zeit, bevor der Krankheitsprozess einsetzte?

Rudolf Steiner bemerkte hierzu, dass man manchmal die Gesundheit bis in die Embryo-

nalentwicklung zurückverfolgen muss.

ErstelleneinerProzessdiagnose

Er beschreibt als Einleitung zu den charakteristischen Krankheitsfällen die Art und Weise,

dass wir uns in der Heileurythmie die medizinische Situationsdiagnose erst einmal über-

setzen müssen in eine „Prozessdiagnose“, indem wir fragen:

Wie kam es dazu?

Welche Prozesse sind nötig, um dem Krankheitsprozess entgegenzuwirken?

Welche Prozesse wurden zu schwach, welche muss ich so stärken, dass ich das Ge-

schehen regulieren kann?

Es sind unterschiedliche Wirkprinzipien, die wir handhaben, aber alles ‚urständet' in die-

ser rein menschlichen Eurythmie, die die plastische Ausgestaltung unseres Körpers her-

vorgebracht hat.

66 Rudolf Steiner; Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswis-senschaftlichen Erkenntnissen. GA 27. 67 GA 27, Kapitel XIX, 1.Absatz.

89

DerKehlkopfals‚zweiterMensch‘

Beim Vorbereiten dieser Tagung hat es mich besonders berührt, im ersten Vortrag des

Heileurythmiekurses nicht nur den Begriff der ‚hygienisch-therapeutischen Eurythmie', der

‚didaktisch-pädagogischen Eurythmie', und selbstverständlich auch der künstlerischen

Eurythmie zu lesen, sondern auch den Begriff der ‚menschlichen Eurythmie'. Diese

‚menschliche Eurythmie’ entwickelt Rudolf Steiner am Kehlkopf. Sie ist jenseits von Kunst,

Pädagogik und Therapie beheimatet – sie ist noch etwas viel Ursprünglicheres, Allgemei-

neres: Das rein Menschliche eurythmisiert im Kehlkopf, dem umgewendeten Hinterhaupt

mit der Gehörregion. Hier liegt auch der Ursprung zum ‚Heil’ des Menschen. Im Vortrag

vom 11. April, der dem Heileurythmiekurs vorgelagert ist, dem allerersten Vortrag, „Geis-

teswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie"68, schildert Rudolf Steiner, warum die-

se Kehlkopf- und Gehörregion so besonders ist: Es ist genau diese Region, wo der physi-

sche Leib am allermeisten er selbst ist. Der Mensch hat sich dort ein physisches Erden-

instrument geschaffen. Die zugehörige Gehörpartie ist wie eine Erinnerung an den Sa-

turnzustand, als der Mensch noch wie ein Ohr war und seinen eigenen Herzschlag hörte.

Aus dieser Tätigkeit bildete sich dann das Wärmeorgan, das auf- und absteigt und pulsiert

in den Wärmeformen des alten Saturn und heute physisch verdichtet und ganz ausgestal-

tet ist als Herz und Zentralorgan der Menschengestalt.

Die am stärksten ausgeprägte physische Form der Hinterhauptpartie findet sich nun in

umgewendeter Weise im Kehldeckel wieder, an den sich Kiefer und Sprechwerkzeuge

anschließen und die dort wunderbar eingebauten Stimmbänder, mitsamt den Stellknor-

peln, diesen feinen, Gliedmaßen ähnlichen Gebilden. Alles, was wir in Worten artikulieren,

wird dort in genau umgekehrter Form, nach rückwärts, aktiv ausgeführt.

VokalismusdesKehlkopfs

Auch hier finden wir – neben dem konsonantischen Aspekt, der sich in den feinen Bewe-

gungen der Stellknorpel und den Spannungszuständen unserer Stimmbänder offenbart –

die Vokale wunderbar archetypisch eingezeichnet, quasi in das Herz dieses 'zweiten

Menschen' eingeschrieben:

• das A in der Form des Kehldeckels,

• das O in den schönen Ringknorpeln um die Trachea herum, unserer Luftröhre,

• dann die Parallelität des U im gesamten Aufbau des Kehlkopfes und seiner An-

hangsorgane,

• aber auch physiologisch-anatomisch in den kreuz- bzw. E-förmigen Muskelzügen

• und schließlich das I im vertikal stehenden Kehlkopf selbst.

68 GA 313, Erster Vortrag, 11. April 1921

90

Im Kehlkopf finden wir alle Vokale anatomisch-physiologisch eingezeichnet. Daran kön-

nen wir merken: In der Eurythmie wird nur sichtbar gemacht, was uns als Körpergeomet-

rie ‚eingestaltet’ ist.

SpracheundBildebewegungen

Dieser ‚zweite Mensch', der physisch so klein und verkümmert wirkt, ist gleichzeitig astral

und ich-mäßig so umfassend, dass wir, wenn wir sprechen, einen ganzen Raum mit Spra-

che füllen und übers Hören aufnehmen können. Die Sprache ergänzt das Physische ins

Seelische und Geistige hinein: Der Sprechakt ist eine Geburt, die erst außerhalb des Lei-

bes vollständig vollzogen wird. Mit den Überschusskräften, mit denen Sprache sich äu-

ßert, arbeiten wir zurück in den Leib, arbeiten wir am Leib, wenn wir diese Sprache in die

embryonalen Bildebewegungen zurückführen: „Im Urbeginne war das Wort“69 – aus ihm

sind alle Formen gebildet, ist alles geboren. Wir müssen zu diesen urmenschlichen Ur-

sprung zurückkehren, aus dem heraus dann im gesunden Bereich die Kunst, im revolutio-

nären Bereich die Pädagogik und im ganz individuell evolutionären Bereich die Therapie

gehandhabt werden.

Und damit bin ich bei meinem Thema angelangt.

DieHeileurythmie,dasHerzstückderAnthroposophischenMedizin

Prävention–derKönigswegderMedizin

Der Königsweg der Anthroposophischen Medizin ist selbstverständlich die Prävention –

wie auch in jedem anderen spirituell orientierten Gesundheitssystem. Von China ist be-

kannt, dass die Ärzte nur Geld bekamen, solange die Patienten gesund waren. Das sollte

man heute einführen: Wie gut es dann den Menschen ginge! Die materialistische Medizin

macht ein Riesengeschäft mit der Krankheit: Nur wenn der Mensch krank genug ist, gibt

es Steuereinnahmen für den Staat. Das ist ein ‚Big Business'. Mit der Gesundheit lässt

sich nicht viel Geld verdienen.

Rudolf Steiner sagte über den Arzt der Zukunft, dass er überwiegend „Lehrer der Ge-

sundheit“ sein wird, wohingegen der Lehrer der Zukunft heilen wird mit den Mitteln der

Pädagogik. Die heutige Statistik besagt, dass 70% aller Krankheiten vermeidbar wären

durch einen gesunden Lebensstil und gesunde Erziehung.

Etwa 30 % der Krankheiten sind karmisch veranlagt – Krankheiten, mit denen man gebo-

ren wird, Veranlagungen, die man hat, denen man nicht entkommen kann, die man durch

gute Erziehung und eine gute Behandlung nur mildern kann und besser zu handhaben

lernen. Die Heileurythmie ist für diese karmisch notwendigen, ins Schicksal der Menschen

integrierten Krankheiten, ein entscheidendes, und manchmal auch primär wichtiges In-

strument unendlicher Gnade, die uns erleben lässt, welches Wunder Gesundheit ist und

69 Johannesevangelium, Anfangsworte (Emil Bock)

91

wodurch sie entsteht. Wir brauchen die Heileurythmie also einerseits dafür, um die vor-

handenen Krankheitsveranlagungen prophylaktisch zu behandeln, aber andererseits

brauchen wir sie, um den Weg zurück gehen zu können bis dahin, wo die Krankheit ent-

standen ist. Mithilfe der Heileurythmie können wir ‚hineingehen' in den Leib und auf die

Bildekräfte einwirken und ihnen Orientierung geben. Die Heileurythmie, die therapeutische

Eurythmie, arbeitet hochspezifisch, akkurat und genau. Rudolf Steiner setzt sie sehr be-

scheiden ein in den Vorträgen für die Ärzte und sagt, man wird nicht alles damit behan-

deln können, aber doch sehr vieles.

Das erste pädagogisch-medizinisch-anthroposophische Werk wurde 1907 herausgege-

ben, „Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft“70. Fast auf

jeder Seite wird von „gesunder Entwicklung“ gesprochen, von „Gesundheit“, von der

„Überwindung von Krankheitstendenzen“ - Prävention in Form von Erziehung, später er-

gänzt durch Selbstschulung und Selbsterziehung – der Königsweg der Medizin, jetzt 100

Jahre alt.

Wie viel davon konnte schon in die Praxis umgesetzt werden?

Woran liegt es, dass eine solche „Medizin des gesunden Menschenverstandes“ nicht bes-

ser den ihr gemäßen Platz ergreifen kann?

HeileurythmieundpädagogischePraxis

Die nächste Entwicklungsetappe umfasste die Darlegung der „Kosmologischen Medizin“,

der „Okkulten Physiologie“ und die anschließende Begründung der Waldorfschule. Im

Rahmen ihrer Tätigkeit in der Waldorfschule fragte Elisabeth Baumann, die zusammen mit

Karl Schubert die Hilfsklasse betreute, immer wieder um Rat im Zusammenhang mit

schwierigen Kindern und bat um spezielle therapeutische und eurhythmische Übungen.

Sie bekam bereitwillig Antworten. Wir sehen, die Heileurythmie entstand aus der pädago-

gischen Praxis heraus. Erna van Deventer-Wolfram verfolgte später die Angaben zur the-

rapeutischen Eurythmie zurück bis ins Jahr 1915 und davor: Von Anfang an ist das Wer-

den der Eurythmie begleitet von Abwandlungen für deren therapeutische Anwendung.

Und immer werden auch Laienkurse angeboten und entwickelt sich das pädagogisch-

didaktische Element. Das prophylaktische, aber auch das heilend-erzieherische Element

begleiten die Entwicklung der Anthroposophischen Medizin in ihrer zweiten Etappe.

Es ist kein Zufall, dass Ostern 1921 der Heileurythmiekurs gegeben wird – integriert in

den zweiten Kurs für Ärzte. Es ist das Jahr, in dem im Juni die heutige Ita-Wegman-Klinik

und in Stuttgart von Otto Palmer die Stuttgarter Klinik begründet wurden. Das markiert

den Schritt in der Entwicklung der Anthroposophischen Medizin, durch den nun - seit

1920, dem ersten Medizinerkurs – die Krankheitslehre entwickelt wird. Zusammen mit der

70 Rudolf Steiner, Aufsatz, 1907, in: Ders., Lucifer-Gnosis, 1903-1908. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften „Luzifer“ und „Lucifer-Gnosis“. GA 34.

92

Wissenschaft von der Krankheit wird auch die Heileurythmie gegeben. Sie wird so voll-

ständig dargestellt, dass Rudolf Steiner ein Jahr später, als er nochmals gebeten wurde

über Heileurythmie zu sprechen sinngemäß sagte: „Eigentlich habe ich doch alles ge-

sagt.“

Keim,indemallesenthaltenist

Ich kenne das von keinem anderen Zusammenhang, dass Rudolf Steiner schlicht darauf

hinweist, er hätte schon alles zu einem Thema gesagt. In diesen Vorträgen ist eigentlich

alles drin und trotzdem kann man noch viel Neues lernen. Ich bin besonders glücklich

darüber, dass im Rahmen unserer 1. Weltkonferenz für Heileurythmie auch die Tonheileu-

rythmie vorgestellt wird, über die Rudolf Steiner im Heileurythmiekurs nicht spricht, son-

dern sie in einem anderen Vortragszyklus ausführt. Es gehört zu meinen ganz großen

Hoffnungen, dass durch die Demonstration der Qualität ‚Tonheileurythmie' die Botschaft in

32 Länder hinausgeht und sich dieser ‚Bazillus’ Tonheileurythmie in Form einer anste-

ckenden Gesundheit fortpflanzt und überall ansiedelt. Denn natürlich gehört zu dem voll-

ständigen Keim, in dem bereits alles enthalten ist, auch das Rhythmisch-Musikalische

(siehe 1. Vortrag). Es ist noch nach vielen Richtungen hin weiterzuentwickeln: In den Qua-

litäten der Farbe, der Form, der Musik, der Fülle der Rhythmen usw. liegen noch große

Schätze verborgen. Auch diese historischen Zusammenhänge weisen darauf hin, dass die

Heileurythmie, diese zutiefst menschliche Eurythmie, wie der Urgrund, der Urzugang, zu

einem spirituellen Verständnis der menschlichen Organisation ist. Ohne dieses Verständ-

nis, lässt sich die Anthroposophische Medizin nicht denken und praktizieren. Heileuryth-

mie ist das Herzstück. Sie selbst ist der reine Ausdruck von Herzlichkeit: Herzlichkeit im

Umgang mit der Welt, Herzlichkeit im Umgang mit den Menschen.

HumorundHerzenskraft

Auch der Humor sollte nie fehlen: Wann immer man Eurythmie macht, muss Humor dabei

sein. Er ist das Gesündeste, was es überhaupt gibt: Ärzte, die nicht lachen können, haben

fast ihren Beruf verfehlt. Sie hätten lieber etwas Solideres, Ernsteres anpacken sollen, als

ausgerechnet diesen Beruf zu wählen – wo doch schon jedes Kind weiß, dass lachen

gesund ist. Eurythmie ist auch deshalb immer mit dem Sinn für Humor und mit dem La-

chen verschwistert, damit man auf der anderen Seite richtig ernst sein kann. Eines der

originellsten Zitate Rudolf Steiners zu diesem Thema ist:

„Wenn man Freude hat an einer guten Karikatur, das ärgert Luzifer ganz entsetzlich.“71

Luzifer hat keinerlei Sinn für Humor – er mag es lustvoll-ernst und schwülstig-moralisch...

Es gibt aber einen noch viel tieferen Grund, warum ich den Eindruck habe, dass die

Heileurythmie das Herz der medizinischen Bewegung ist. Er hängt mit dem heutigen Me-

71 GA 170, 13. Vortrag, 28.8.1916, S. 234 (Ausg. 1992).

93

dizinstudium zusammen: Das Medizinstudium ist durch und durch dem Geist der heutigen

Zeit verpflichtet - einem Wissenschaftsverständnis rein materialistischer Art. Der Medizin-

student wird enorm belastet von all dem Wissen, das er im Grunde nicht versteht, nicht

verstehen kann. Rudolf Steiner sagt über die Anthroposophie:

„So sollen wir auf dem Wege der Anthroposophie ausgehen lernen von der Erkenntnis,

uns erheben zur Kunst und endigen in religiöser Innigkeit.“72

Wie soll man das Belebende, das die Wissenschaft erlöst und verwandelt in echtes Ver-

stehen, in intimes Begreifen, überhaupt erfahren und erlernen ohne Eurythmie?

Das geht gar nicht! Das werde ich gleich näher erläutern.

DasHerz,ZentrumallenÄtherwirkens

Das Zentrum allen Ätherwirkens ist das Herz. Eurythmie ist nicht nur Willenserziehung,

Willensoffenbarung und Leibergreifung, sondern auch reine Herzenssprache und Her-

zensoffenbarung. Das liegt nicht nur daran, dass die Eurythmie ihren Bildegesetzen nach

dem Herz-Lungen-Schlag entstammt. Es liegt vor allem daran, dass das Künstlerisch-

Prozesshafte mit dem Herzen gemacht werden muss. Man kann nicht ausdrucksvoll oder

prozessorientiert Eurythmie machen, wenn man nicht mit dem Herzen dabei ist.

Was aber, wenn man kein Herz hat, weil man zum Angsthasen erzogen wurde?

Wenn man immer Angst hat etwas falsch zu machen?

Angst wird den Ärzten heutzutage antrainiert - immer auf der sicheren Seite zu sein. Die-

ses Angsttraining ist geradezu eine Gegenschule zu dem Wissen und der Tatsache, dass

die einzig wahre Arznei Liebe ist. Angesichts dieser ahrimanischen Gegenschule der heu-

tigen Zeit brauchen Ärzte die Heileurythmie und die Geisteswissenschaft, um das Liebes-

prinzip, die Herzenskultur, die einzig gesundende Arznei, wieder handhaben zu lernen.

Das ist der Grund, warum es auch selbstverständlich ist, dass die Heileurythmie die Ent-

wicklungsgeschichte der medizinischen Bewegung mit ihrer Hauptrepräsentantin Ita

Wegman durchweg begleitet.

Das moderne Arzttum braucht die Eurythmie, um sich öffnen zu können für das, was

wirklich heilt und um den kranken Organismus prozesshaft verstehen zu lernen. Dazu

brauchen wir Ärzte auch das Gespräch mit den HeileurythmistInnen. Die Tatsache des

gegenseitigen Brauchens wird immer evidenter: Die HeileurythmistInnen müssten sich

dazu durchringen, die Erkenntnisseite ihrer Therapie etwas mehr zu pflegen und die Ärzte

müssten sich dazu bewegen lassen, von ihrem Wissensthron herunterzusteigen auf die

Herzensebene. Sie müssten das, was sie wissen, auch wirklich verstehen wollen, indem

sie es für sich in Prozess und Geschehen übersetzen und künstlerisch durchempfinden

lernen.

72 GA 257, 1. Vortrag, 23.1.1923, S. 46.

94

EntstehungderÄrzteausbildunginJapan

Ich bin so froh über unsere sechsundzwanzig japanischen Ärzte, die hier sind. Diese Ärz-

te sind hier, weil Kimiko Ichikawa mit anderen zusammen vor Jahren die Idee hatte, es

müsse für japanische Ärzte eine Ausbildung für anthroposophische Medizin geben. Ihre

tiefste Überzeugung ist, dass Ärzte ohne Eurythmie gar nicht leben können. Sie hat ihr

Ziel energisch verfolgt und so konnten wir vor fünf Jahren mit einer Ärzteausbildung in

Japan angefangen. Etwa die Hälfte der Ärzte dieser Kurses konnten es einrichten, zu ih-

rem Abschlussjahr nach Dornach zu kommen. Weil sie nur in dieser Woche kommen

konnten, mussten wir das kombinieren mit unserer Heileurythmietagung. Das passt ideal

zusammen, auch wenn es nicht leicht zu organisieren war.

Die Ärzteausbildung begann dann auch folgerichtig jeden Morgen mit einer Stunde Eu-

rythmie. Es wurden alle Grundelemente durchgenommen. Warum? Einmal, weil es immer

schön ist, Eurythmie zu machen. Zweitens bekamen sie so Zugang zur Heileurythmie.

Der wichtigste Grund aber ist: Man lernt durch die Eurythmie wieder wahrzunehmen. Man

lernt, mit dem Herzen zu sehen, etwas sensibel zu verfolgen, z.B. einen Prozess an einer

Pflanze.

Ihr könnt Euch kaum vorstellen, was für ein Augenöffner es ist, wenn man mit einer Grup-

pe von Ärzten, die das noch nie gemacht haben, die geometrischen Grundformen übt in

der allerersten Stunde der Ausbildung – den Winkel, den Punkt, die Linie, den Kreis und

die Parallelen, die sich im Unendlichen schneiden: Nachdem das eine Stunde lang geübt

wurde, geht der Arzt hinaus in die Natur und sieht, wie Gott dort ‚geometrisiert’. Wie die

Bäume unterschiedliche Gesten machen. Und dass es viele Punkte gibt, von denen aus-

gehend sich etwas ausdehnt - es fällt diesem Menschen wie Schuppen von den Augen.

Die Bildebewegungen des menschlichen Organismus kann ich nachahmen, indem ich

Eurythmie mache. Ich kann sie aber in einem ersten Schritt auch nur denken: Ich kann

einen Winkel, einen Punkt, eine Linie denken. Und dann kann ich das, was ich gedacht

habe – Anthroposophie beginnt in allen Bereichen mit Wissen, mit dem Denken – auch

tun, mit meiner ganzen Gestalt ausführen und erkenne dabei: Mein Wille ist realisierter

Gedanke. Ich trage wirklich die Schöpferkräfte dieser Welt in mir, nicht nur in meinem

Denken als leibfreie ätherische Kompetenz, als ‚ewiges Leben', sondern eben auch als

‚vergängliches Leben', als Prozess, als Bildebewegung, als Geschehen, als Substanzpro-

zess. Je mehr ich von diesen Prozessen erlebe, erfahre und verwirkliche, umso mehr se-

he ich sie auch um mich herum und in anderen.

95

DieProzesshaftigkeitwiederentdecken

„Jede Form ist eine zur Ruhe gekommene Bewegung"73, sagt Rudolf Steiner.

Mit diesem zur Erfahrung gewordenen Wissen kann ich alles, was sich gefügt und verfes-

tigt hat, ebenso das, was sich kosmisch fügt, anschauen, auch eine Diagnose - und dabei

die Prozesshaftigkeit, den Prozess der Menschengestaltung, empfinden. Von der Heileu-

rythmie und der Eurythmie im Allgemeinen sagt Rudolf Steiner:

• Sie bringt einerseits wieder den Willen herein in die Menschheitsentwicklung, ist

eine unermessliche Willensstärkung und Willenserziehung.

• Auf der anderen Seite bringt sie das Herz zurück, das Denken mit dem Herzen,

das mir offenbart, dass alles, was ich weiß, alles Gefügte und Geformte, ehemali-

ger Prozess ist und sich wieder verwandeln kann in Prozess, in Geschehen, in

Metamorphose, in Entwicklung.

All das lernen wir im Medizinstudium nicht. Es ist aber nötig zu wissen, um Erkrankungs-

und Gesundungsprozesse zu verstehen. Eurythmie hilft dem Arzt, überhaupt erst Arzt zu

werden. Denn ohne eine differenzierte Wahrnehmung des ätherischen Organismus, kann

man Anthroposophische Medizin gar nicht wirklich anwenden. Die eigene Erfahrung mit

der Eurythmie und Heileurythmie sind der beste Weg, um die ätherischen Kräfte zu erfas-

sen und handhaben zu lernen.

EurythmiealsLebens-undReisebegleiter

Ich gehöre zu den Glücklichen, die von klein auf Heileurythmie machten: Babyeurythmie,

Schuleurythmie, auch Heileurythmie, da ich eine Hüftfehlstellung (Dysplasie) hatte.

Frau Franke: So erinnere ich mich auch noch gut an eine Heileurythmistin aus Stuttgart –

Frau Franke – zu der ich als Kind gebracht wurde. In ihrem Behandlungsraum fand ich

eine heile Welt vor. Als ich mit knapp dreizehn Jahren für ein Jahr verreisen sollte, schrieb

sie mir alle Übungen auf, damit ich sie unterwegs durchführen könnte. Das war eine

ernstzunehmende Angelegenheit.

Isabella de Jaager: Im Alter von sechzehn Jahren durfte ich hier in Dornach zu Isabella

de Jaager gehen – das waren ganz besondere Erlebnisse. Meiner angeborenen Hüftdys-

plasie verdanke ich die Begegnung mit den Heileurythmisten ‚der ersten Stunde’. Ich hatte

immer den Eindruck, dass sie bessere Menschen sind, nicht ganz von dieser Welt, die

alles sahen, mich durch und durch erkannten. Isabella de Jaager war fast blind und

schloss die Augen, um besser sehen zu können. Sie konnte dann z.B. sagen: ‚Michaela,

deine Nase ist ganz rot – du bist zu intellektuell.‘ Sie hatte Recht. Ich war zu intellektuell

73 GA 279, 10.Vortrag, 7.Juli 1924, S. 182.

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und bin es vielleicht immer noch. Doch ich arbeitete mit dieser Botschaft und fragte mich

über die Jahre immer wieder:

‚Ist deine Nase im Moment wohl rot oder zeigt sie andere Farben?’

Der Schulungsweg des/der Heileurythmisten/in umfasst das feinfühlige Wahrnehmen der

ätherischen Kompetenz des Gegenübers. Dazu bedarf es sicher manchen Schulungs-

instrumentariums. Ich würde mich freuen, wenn in der einen oder anderen Arbeitsgruppe

am Rande thematisiert würde, wie der spezielle berufsbedingte esoterische Weg der/des

Heileurythmistin/en aussieht.

Wer die Eurythmie einmal kennen gelernt hat, ist für den Rest seines Lebens so daran

gewöhnt, dass er nicht mehr anders kann, als weiterhin Eurythmie zu machen.

Heute bin ich viel auf Reisen, wissend, dass das Reisen höchst ungesund und ein Räuber

ätherischer Kräfte ist. Zum Glück habe ich entdeckt, dass es auf allen Flughäfen Behin-

dertentoiletten gibt, die groß genug sind, Eurythmie zu machen. Überall gibt es also kleine

Eurythmieräume. Eurythmie- und Heileurythmie-Übungen sind wie Freunde, die einen

überallhin begleiten können.

Trude Thetter , eine meiner Eurythmielehrerinnen während des Medizinstudiums, konnte

das sehr schön ausdrücken. Sie hat uns als Heileurythmie- und Medizinstudenten im Ter-

rassensaal vier Wochen lang, den ganzen Tag hindurch unterrichtet. Wir mussten minu-

tenlang B machen - immer im Kreis herum – wie eine Schafherde. Und dann sagte Sie auf

Österreichisch:

„Wissen Sie, ich kann Ihnen gar nichts beibringen – die eigentlichen Lehrmeister, das sind

die Laute.“

Sie hat uns das richtig eindrücklich nahe gebracht, das sitzt einem im Ätherleib, ist nicht

mehr herauszubekommen.

Zwischendurch kam noch Ilse Knauer mit ihren ganz zarten augenheileurythmischen

Übungen. Sie sagte immer:

„Es muss strrrrömen, das M, strröhhmen.“

Sie war schon hoch betagt, aber um sie herum habe ich den Äther so deutlich gesehen

wie noch bei keinem anderen Menschen. Das sind Eindrücke, für die man als Medizinstu-

dent nur dankbar sein kann.

Von Tübingen aus fuhren wir als kleine Gruppe von Medizinstudenten immer nach Eck-

wälden zu Else Sittel . So peinlich es mir ist, das zuzugeben: Mir ist erst viel später einge-

fallen, dass wir ihr nie Geld angeboten hatten. Es erschien ganz selbstverständlich, dass

sie uns Studenten umsonst unterrichtete. Sie war wie eine Mama zu unserer kleinen Me-

dizinergruppe. Wir fuhren in kleine Studentenautos hineingepfercht zu ihr hin, bekamen zu

essen, es wurde gemeinsam Eurythmie gemacht. Wir hatten immer das Gefühl, wir wür-

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den beschenkt. Vielleicht hat der eine oder andere ihr doch etwas zugesteckt - ich kam

erst später auf diesen Gedanken. Damals ging das, da war das alles noch unbewusst-

selbstverständlich. Heute wird auch die wirtschaftliche Seite immer von vorne herein mit-

geplant und besprochen.

HeileurythmiealsKörpermeditation

Ich möchte noch einen letzten Aspekt nennen, den rein meditativen Aspekt – die Heileu-

rythmie hat auch die Seite einer echten Körpermeditation. Denn jede Übung, die wir ma-

chen, können wir ebenso nur in Gedanken vollziehen. Wir können, wenn wir uns physisch

nicht mehr gut bewegen können, dennoch die ätherischen Gliedmaßen bewegen. Das

kann so stark wirken, dass man die Leibfreiheit seines aus dem kranken Organismus

schon etwas herausgehenden Wesensgliedergefüges erlebt. Einige HeileurythmistInnen,

Isabella de Jaager gehörte dazu, haben immer auch Meditationsübungen gegeben,

Atemübungen, die aus der alten Esoterik stammten, z.B.:

„Die höchste Kraft des Geistes zieht mit dem Atem in mich ein.“

„Alle Kraft ruht in mir, von mir geht aus alles Gute, dessen ich fähig bin.“74

Zu solch einer Meditationsübung sollte man sich still hinlegen und sie einfach im Liegen

machen.

Eine andere Möglichkeit nach Isabella de Jaager ist: Bevor man eine Übung macht, sollte

man nur an die Körperstelle denken, dann sich ganz zart die Bewegung vorstellen und

dann erst zu bewegen anfangen. Das kann man im Laufe der Übung steigern und immer

weiter steigern und ausgestalten. Am Ende der Bewegungssequenz sollte man wieder

ruhig liegen und denken: Ich habe bewegt und sich dabei vorstellen, wie die Durchblu-

tungssteigerung langsam wieder abnimmt und wie das, was man getan hat, von der be-

wegten Körperstelle aufgenommen und auch an andere Organe weitergegeben wird. Die-

ses Arbeiten mit der Pause ist das eigentlich wirksame Element.

NebenübungenzurAusbildungdesHerzchakra

Wir alle wissen, dass jede Meditation nur dann gesund ist, wenn sie vom Herz-Lungen-

Schlag ausgeht. Der Schulungsweg der Anthroposophie hat seinen Ursprung und seinen

Gipfel in der Ausbildung des Herzchakra, der Herzlotusblume, durch Übungen, die so all-

täglich sind, dass Rudolf Steiner sie auch ‚Nebenübungen’ nennt: Ich ersetze jetzt das

Wort ‚Kontrolle’ durch ‚Wahrnehmung’:

• Nimm mit dem Herzen dein Denken wahr, ob wirklich du es bist, der hier denkt. 74 GA 268: Seelenübungen – Band II – Mantrische Sprüche. S. 128 (Ausg. 1999): Einatmen und denken: Die höchste Kraft der Natur strömt mit dem Atem in mich ein. Atem anhalten: Alle Kraft ruht in mir. Beim Ausatmen: Ich ströme aus alles Gute, dessen ich fähig bin.

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• Nimm mit dem Herzen deine Handlungsbereitschaft wahr, ob wirklich du es bist,

der handeln will.

• Nimm mit dem Herzen dein Fühlen wahr, ob du das wirklich fühlst und fühlen

willst, was du fühlst.

Nach Vollzug dieser heiligen Dreigliederung ist das Herz an das Denken, Handeln und

Fühlen wirklich angeschlossen.

In den drei nächsten Übungen geht es ganz ins Soziale hinein. Es geht um Positivität und

Unbefangenheit und das Ausbalancieren der sechs Übungen, um sich selbst so ins

Gleichgewicht zu bringen, dass man sich selbst und seiner Umwelt möglichst frei, offen,

direkt, unverstellt, ehrlich und herzlich begegnen kann.

Im Zentrum des anthroposophischen Schulungsweges steht die Ausbildung der Herzens-

sprache, der Herzenskultur, der herzlichen Wahrnehmung.

DerMerkurstabimHerzen

Rudolf Steiner sagte zu uns Ärzten im Jungmedizinerkurs: „Wir müssen auch dasjenige,

was sich um die Gedanken herzlich herumwindet, kennen, wir müssen den Merkurstab

wieder handhaben lernen.“ 75

Der Merkurstab ist uns eingezeichnet im Herzorgan:

• Zuerst der untere Teil der Lemniskate,

• dann das Kreuz,

• zuletzt die offene Lemniskate und die Vertikalität, die spirituelle Einpflanzung des

höheren Ich in das Herz, in das Zentrum des Wärmeorganismus.

Das Geheimnis der ärztlichen Kunst ist das Geheimnis des Merkurstabs, das Geheimnis

der offenen Kreislauf-Herzens-Lemniskate, das Geheimnis des Herzens. Und so wünsche

ich unserer Tagung, dass sie zu einem kräftigen Herzschlag der weltweiten Heileuryth-

miebewegung führt und unsere Herzenskultur, die wir hier üben dürfen, so beflügelt, dass

wir durch unsere Therapie immer mehr Botschafter dieser Herzenskultur werden dürfen

und können.

Zum Abschluss eine Meditation aus dem Jungmedizinerkurs, von der ich glaube, dass sie

gerade Arzt und HeileurythmistIn in ihrer Zusammenarbeit angeht:

„Schau, was kosmisch sich fügt, Du empfindest Menschengestaltung. Schau, was luftig dich bewegt, Du erlebest Menschenbeseelung. Schau, was irdisch sich wandelt, Du erfassest Menschendurchgeistung.“76 75 GA, 316, Osterkurs, 4.Vortrag, 24. April 1924, S. 203.

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DasHerzaufdenSchwingenderKunstPhysiologische Betrachtungen zur Eurythmie von Dr. Max Moser

Ich hoffe, mein verehrtes Publikum, Sie können mich auch in der letzten Reihe noch hö-

ren. Wie Sie an den technischen Problemen sehen, ist es gar nicht so leicht das Hertz /

Herz auf die Schwingen der Kunst zu setzen. Wir haben dafür einige Jahre gebraucht –

insofern gab das ‚Einschwingen’ des Mikrofons nur einen kurzen Einblick, wie schwierig

das ist. Doch wenn das Herz erst einmal auf den Schwingen der Kunst ist, dann können

wir uns von ganzem Herzen von den Ergebnissen überraschen lassen.

Dieses chinesische, kalligrafische Zeichen stellt das ‚Shim’ dar – es bedeutet ‚Herz’ und

‚Seele’. Ein Kardiologe und Künstler aus England, Philipp Kilner, hat vor einigen Jahren

entdeckt, dass die Strömung im Herzen genau diese Wirbelformation bildet, die das chi-

nesischen Zeichen abbildet. Philipp Kilner ist damit in einer der renommiertesten Wissen-

schaftszeitschriften ‚Nature’ auf das Titelblatt gekommen.

ÜberdieWirksamkeitvonEurythmie

Heute werde ich Ihnen ein wenig darüber erzählen, warum und wie die Eurythmie und die

anthroposophische Kunsttherapie auf das Herz wirken. Gemeinsam mit dem Kunstthera-

peuten Dietrich von Bonin und der Eurythmistin Dr. Christine Kahlhammer und anderen

haben wir zu diesem Thema seit 1991 geforscht. Einleitend ein paar Beispiele und Be-

obachtungen über die Bedeutung von Rhythmen in Natur und Kultur.

RhythmeninderNatur

Rhythmus tritt in der Natur an verschiedensten Stellen in Erscheinung, meistens im mittle-

ren Bereich zwischen zwei Polen oder polaren Gegensätzen:

Hier der Mittellauf eines Flusses in Sibirien, aufgenommen vom Flugzeug auf einer Reise

nach Japan. Das Schwingen des Flusses in einem bewegten Rhythmus ist gut zu sehen.

Die ‚Blumenuh r’ ist seit Carl von Linné bekannt, der den Blumen und Pflanzen ihre latei-

nischen Namen gegeben hat: Sie ist gärtnerisch so aufgebaut, dass ihre Blüten sich zu

bestimmten Tageszeiten öffnen und schließen, also die Tagesrhythmik unmittelbar sicht-

bar machen.

Vogeluhr: Tiere folgen ebenfalls gewissen Rhythmen. Von der ‚Vogeluhr’ wissen wir, dass

der Waldkauz und der Schilfrohrsänger zu anderen Zeiten zu singen beginnen als die

Singdrossel oder der Star. Oder um ein berühmteres Beispiel zu nennen - die Nachtigall

singt zu anderer Zeit als die Lerche. Shakespeare wusste das. Julia, die keine Ornitholo-

gin ist, verwechselt die beiden Sänger in dem berühmten Zitat: „Es war die Nachtigall und

76 GA 316, Osterkurs, 2. Vortrag, 22. April 1924, S.172.

100

nicht die Lerche“77. Diese Unkenntnis führt, wie sie wissen, zum weiteren verhängnisvol-

len Verlauf des Dramas.

„Harmonien aus dem Lärm“, „Orchestrierte Ausprägung von Genen“, „Vielfache Oszillato-

ren“ – das sind Titel von Wissenschaftspublikationen der letzten Jahre. Die Wissenschaft

beginnt sich plötzlich für Rhythmen zu interessieren.

Hefezellenbildung: Vor etwa ein bis zwei Jahren untersuchte eine Arbeitsgruppe in den

USA Hefezellen. Diese Bilder zeigen die eurythmischen Zyklen, die von den Genen der

Hefezellen durchlaufen werden. Hefezellen haben einen Vermehrungszyklus von etwa

vier Stunden: Die einzelnen Zellen, die einzelnen Gene in den Zellen, werden in dieser

Folge ein- und ausgeschaltet – 1.200 Gene sind in diesem Beispiel zusammengefasst.

Der Vier-Stunden-Zyklus vollzieht sich in einer Art Dreiklang: eine ‚oxidierende Phase’

gefolgt von einer ‚reduzierenden’, in der wieder aufgefüllt wird, was in der oxidierenden

verbraucht wurde, wiederum gefolgt von einer ‚vorratsbildend-reduzierenden Phase’. Ein

Dreiklang in der Zellfunktion, in jeder einzelnen Zelle, im Zusammenspiel der Gene. Ganz

neue Erkenntnisse, total faszinierend, völlig unerwartet: Die Gentechnologie entdeckt,

dass die Zellen klingen.

Wochenrhythmische Zahnschmelzbildung: „Zeit formt Raum“ – das ist auch an

keimenden Zähnen zu sehen und auch am Schnitt durch den Zahnschmelz, der schon

vorgeburtlich entwickelt wird. Die aufeinander folgenden Linien werden von den Zellen im

Tagesrhythmus erzeugt: Die Zellen scheiden im Tagesrhythmus eine Zahnschmelz bil-

dende Substanz aus. Alle sieben Tage etwa entsteht eine dickere Schicht, schon seit über

hundert Jahren als ‚Retzius -Streifen’ bekannt. Diese dickere Linie im Querschnitt markiert

den inneren Wochenrhythmus, der nicht mit dem sozialen Wochenrhythmus übereinstim-

men muss: Unser Körper hat die Woche bereits internalisiert in einem etwa siebentägigen

Rhythmus, der beim einzelnen Menschen etwas länger oder kürzer dauern kann.

RhythmusersetztKraft

Vor etwa 25 Jahren bereiste ich Afrika. In den Usambarabergen - dort, wo die schönen

Veilchen herkommen - bin ich in einem Dorf auf zwei Frauen gestoßen, die das Mittages-

sen zubereiteten. Sie verwendeten zwei Stößel, die wir als Werkzeuge identifizieren wür-

den. Es waren aber keine Werkzeuge, es waren Musikinstrumente. Die Frauen stampften

im Rhythmus und sangen, während sie den Mais zubereiteten. Es machte ihnen offen-

sichtlich Spaß – sie lachten dabei. Die schwere körperliche Arbeit wurde durch die Musik

erträglich gemacht.

„Rhythmus ersetzt Kraft“78, sagt Rudolf Steiner und das wurde hier in einer Form verwirk-

licht, die früher in vielen Kulturen üblich war. Ein chinesischer Rudergesang aus dem 18.

77 Zitat aus: William Shakespeare, Romeo und Julia (III, 5). 78 Rudolf Steiner 1906, in: Vor dem Tore der Theosophie. GA 95.

101

Jahrhundert zeigt, welche Bedeutung Musik und Rhythmus im Bereich der schweren Ar-

beit früher hatten. Auch auf unseren Feldern haben die Menschen beim Hacken der Feld-

furchen gesungen. In den indischen Reisfeldern ist das noch heute beim Reis Auspflan-

zen üblich. Am Computer singt niemand mehr – offensichtlich regen die Tastaturen nicht

zum Singen an…

Rhythmen liegen den Menschen ‚im Blut’, könnte man sagen. Sie liegen in der gesamten

Physiologie des Menschen. Ein als schön empfundener Rhythmus, ein Eu-Rhythmus,

schwingt mit der Außenwelt im Gleichklang: Es kommt zu Resonanzen, zum Mitklingen

und Mitschwingen. So verhält es sich beim Rhythmus des Sonnenjahres, beim Rhythmus

des Erdentages und beim Mondenrhythmus, mit denen der Mensch mitschwingt.

InnereRhythmen

Es gibt aber auch innere Rhythmen, die nicht mit den äußeren mitschwingen, die aber an

die äußeren gekoppelt sind: Das Nervensystem schwingt ganz besonders schnell, bis zu

1000x in der Sekunde. Das Stoffwechselsystem ist der langsame Pol, der Bass, der dem

Körper Energie gibt. Diese fließt über das rhythmische System, über den Kreislauf und

das Herz, zum Nervensystem. So schwingt der ganze Körper in den verschiedenen

Rhythmen, die aufeinander abgestimmt sind und zueinander in Beziehung stehen, so lan-

ge der Mensch gesund ist. Nun ein Beispiel, wie wichtig das ist.

1978 wurde in Russland, an der sibirischen Grenze zum Tuvaland, in der völligen Wildnis,

von einem Geologenteam eine Gruppe von Menschen entdeckt, die 40 Jahre lang keinen

Kontakt zur Außenwelt hatte. Es waren Altgläubige, Raskolniki, die vor dem sich abzeich-

nenden stalinistischen Regime in die Wälder geflüchtet waren. Sie wussten nicht einmal

vom späteren Stalinismus, wussten auch nicht, dass es einen zweiten Weltkrieg gegeben

hatte. Über diese Menschen hat Wassili Peskow ein berührendes Buch geschrieben, „Die

Vergessenen der Taiga“79. Peskow hat während seiner zahlreichen Besuche lange mit der

letzten Überlebenden, Agafja Lykowa, gesprochen. Sie lebt übrigens heute noch. In sei-

nem Buch beschreibt Peskow, dass diese Menschen von zwei Ereignissen ganz beson-

ders betroffen waren: Zum einen vom Tod der Mutter, die in den Hungerjahren Anfang der

60er Jahre verhungerte, als es im Juni schneite und die gesamten Erntevorräte verdar-

ben. Das zweite Ereignis, das Agafja Lykowa als besonders bedrohlich in Erinnerung hat,

war der Verlust des Kalenders: Die Familie wusste auf einmal nicht mehr, ob es Mittwoch

oder Donnerstag war.

Das zeigt, welche Bedeutung die Zeit, die rhythmisch strukturierte Zeit, für Menschen,

auch wenn sie in der Wildnis leben, hat. Bauwerke wie Stonehenge sind ebenfalls ein

Beweis dafür, wie wichtig schon für diese frühen Menschen und für die zyklische Gestal-

79 Wassili Peskow, Die Vergessenen der Taiga. Das Überleben der Familie Lykow in den Weiten Sibiriens. München 1996.

102

tung der menschlichen Lebensabläufe das Erleben des Jahreszyklus war. Der Familie

Lykow ist es in tagelanger Arbeit schließlich gelungen den Kalender wieder zu rekonstru-

ieren. Sie hatten, als sie 1978 von den Geologen entdeckt wurden, nicht einen einzigen

Tag verloren.

ZurForschungsarbeitdesInstituts

Nun möchte ich auf die Forschungsarbeit unseres Instituts im Bereich der Kunsttherapie

eingehen. Vorneweg muss ich Ihnen ein paar Begriffe erläutern:

Die respiratorische Arrhythmie: Wenn Sie selbst Ihren Puls fühlen und dabei tief einat-

men, merken Sie, wie sich das Herz beschleunigt. Beim Ausatmen wird es wieder lang-

samer. Je stärker dieser Tempowechsel ist, desto jugendlicher ist ihr Herz. Man nennt das

‚respiratorische Arrhythmie’ - eigentlich müsste man von einer ‚respiratorischen Eurythmie’

sprechen, da es sich um eine erwünschte, lebenswichtige Schwingung handelt. Bei Ju-

gendlichen ist diese respiratorische Arrhythmie besonders stark ausgeprägt. Am stärksten

ist sie bei zehnjährigen Kindern. Sie weisen die größte Lebensintensität auf.

Die Herzfrequenzvariabilität: Unser diagnostisches Hauptarbeitspferd ist die so genann-

te ‚Herzfrequenzvariabilität’. Das Herz ist ein wunderbarer Spiegel der gesamten Kör-

perrhythmik - zentral gelegen, auch vom Rhythmus her zwischen dem Nervensystem und

dem Stoffwechsel liegend, spiegelt es viele andere Rhythmen wieder. Man kann aus der

Variabilität des Herzschlages die anderen Rhythmen herauslesen und darstellen.

Damit ließen sich vielfältige Zusammenhänge im menschlichen Organismus ablesen und

darstellen.

ResonanzdesHerzensmitBlutdruckundAtmung

Die Abstände zwischen den Herzschlägen werden mit hochempfindlichen Messgeräten

gemessen und wissenschaftlich ausgewertet. Nicht nur die Atmung prägt sich der Herz-

frequenz ein, auch der Blutdruck, abhängig davon, ob Sie nun ruhig sind oder aufgeregt:

• Beim aufgeregten Menschen schwingt das Herz mit dem Blutdruck mit.

• Beim ruhigen Mensch schwingt es mit der Atmung –das Herz lehnt sich an den

Atem an.

• Noch langsamer schwingt unsere periphere Durchblutung. Die kleinen Gefäße er-

weitern und schließen sich etwa im Minutenrhythmus. Diese Minutenrhythmik tritt

vor allem im Traum auf, im Traumschlaf, oder auch, wenn wir emotional bewegt

sind, wenn wir körperlich schwer arbeiten oder Kälte ausgesetzt sind, dann treten

jedes Mal solche peripheren Zirkulationsrhythmen auf.

• Noch langsamer schwingt der basale Ruhe- und Aktivitätszyklus: Etwa alle einein-

halb Stunden hebt und senkt sich die Herzfrequenz im selben Rhythmus, in dem

103

wir träumen und in dem auch unsere Aufmerksamkeit moduliert wird. Deshalb darf

man bei einem Vortrag über alles sprechen, nur nicht über eineinhalb Stunden,

weil die Zuhörer sonst am Ende eingeschlafen sind.

• Noch langsamer schwingt der Tagesgang: Hier pendelt der gesamte Organismus

zwischen Arbeit und Erholung.

Auf dieser Abbildung sehen Sie zwei Tage hintereinander aufgezeichnet mitsamt der gan-

zen Fülle an Schwingungen, die im Herzschlag zu beobachten sind. Wir haben das in

einem so genannten ‚autochronen Bild ’ dargestellt, das die Eigenzeit des Menschen

angibt, in der der Mensch schwingt:

• In den acht Stunden Schlaf gibt es Phasen, in denen die Herzfrequenz sehr be-

wegt ist, und solche, wo sie ruhig ist:

• In den bewegten Phasen träumen wir, sind wir auch emotional bewegt. Die Blut-

druckrhythmik im Herzschlag wird dann stärker sichtbar.

• In den ruhigen Phasen sind wir im Tiefschlaf, da sind wir ganz in Ruhe, in einem

pflanzenähnlichen Zustand. Da ist die Atmung ganz besonders aktiv.

Die ersten Messungen auf diesem Gebiet mit unseren neuen Messgeräten wurden am

österreichischen Kosmonauten, Franz Vieböck, gemacht. Die Ergebnisse waren so gut,

dass wir von den Russen eingeladen wurden, bis zum Ende der ‚Weltraummission Mir’

am Beginn des dritten Jahrtausends diese Messungen weiter durchzuführen – an den

russischen Kosmonauten.

SichtbarmachenvonSchlafqualität

Was macht einen guten Schlaf aus?

Woran erkennt man, dass der Mensch gut schläft?

Die erste Schlafphase ist die wichtigste für einen guten Schlaf. Man erholt sich vor allem

im ‚Schlaf vor Mitternacht’, wie man ihn früher bezeichnet hat, als die Menschen noch vor

Mitternacht zu Bett gingen. Gegen Morgen hin wird die Erholung immer schwächer, die

Schlafqualität nimmt ab. Dabei gilt: Je geordneter unser Schlaf sich darstellt, desto besser

schlafen wir.

Den Tagesverlauf konnten wir mithilfe einer 24-Stunden-Messung an einer Kranken-

schwester der Klinik Herdecke veranschaulichen:

• Tagsüber ist die Herzrhythmik ziemlich chaotisch - das Herz schlägt sehr unregel-

mäßig durch die natürliche Arrhythmie - ein Zeichen von Gesundheit. Wenn die

Rhythmik flacher wird, ist das ein Zeichen von Stress - von Stress, der noch gut

kompensiert werden kann: Eustress. Würde die Rhythmik unter Belastung ganz

verschwinden, hätten wir es mit Disstress zu tun, der nicht mehr zuträglich ist für

den Organismus.

104

• Hier eine Ruhephase, in der die Krankenschwester sich niedergelegt hat.

• Es folgt die Hausarbeit, die mehr Stress macht als die klinische Arbeit. Es muss

daran liegen, dass die Menschen sie so ungern machen.

• In der Nacht prägt diese Krankenschwester sehr schön blaue Phasen in das au-

tochrone Rhythmusbild: Sie sind ein Zeichen der Balance zwischen dem beruhi-

genden Vagus, und dem belastenden Sympathikus.

GestörterSchlafrhythmusundBrustkrebs

In den letzten Jahren wurden immer mehr Studien durchgeführt, die zeigten, inwiefern

Nacht- und Schichtarbeit mit schweren Erkrankungen wie Herzinfarkt und Krebs zusam-

menhängen. Eine dänische Studie mit 7.000 Frauen findet heraus, dass Brustkrebs bis zu

70% ansteigt, wenn über sieben Jahre Nacht- und Schichtarbeit gemacht wird. Eine Me-

taanalyse aus dem Jahre 2004 zeigte, dass das kein Zufallsbefund ist: Im Schnitt erhöht

sich die Brustkrebsrate bei Nacht- und Schichtarbeit oder in Jetlag-Berufen um über 50%

– bei Flugbegleiterinnen, Pilotinnen. Die Brustkrebsrate ist in Europa und Amerika extrem

hoch: Bis zu 10 – 13 % der weiblichen Bevölkerung bekommen Brustkrebs. In den asiati-

schen Ländern und in Südamerika ist sie wesentlich geringer, was wahrscheinlich auch

mit dem rhythmischeren Lebensstil in diesen Ländern zusammenhängt.

DerAlltagalsRhythmusräuber

Offensichtlich gibt es Rhythmusräuber und Rhythmusgeber. Zu den Rhythmusräubern

gehört unser Alltag heutzutage. Er erinnert viele Menschen, auch mich, an die Fahrt in

einem Rafting-Boot: Man muss ununterbrochen auf neue und unerwartete Anforderungen

reagieren und hat keine Gelegenheit, die Ruhe zu finden, die man eigentlich bräuchte. Die

einzige Möglichkeit Ruhe zu finden besteht für ein Rafting-Boot darin, gelegentlich eine

Sandbank anzufahren - das entspricht den Pausen, die man im Laufe des Tages einlegen

sollte.

Wenigstens die Nacht sollte so sein, wie hier auf der rechten Seite dargestellt – synchro-

nisierte Rhythmen, Gleichklang, Resonanz – dann haben wir die Möglichkeit, was am Ta-

ge verletzt wurde, wieder auszuheilen.

DieAuswirkungenvonMusikaufunsereHerzfrequenz

Hubert von Goisern wird dem / der einen oder anderen von Ihnen bekannt sein – ein ös-

terreichischer Musiker, der eine moderne Form von Volksmusik spielt, und auch internati-

onal erfolgreich ist. Er war so freundlich, sich bei einem Konzert von uns messen zu las-

sen. Die durchgehend bewegte Rhythmik lässt auf eine hohe Vitalität des Musikers

schließen, die beim Musik Machen noch weiter angeregt wird, was man an den vielen

105

Herzrhythmen sehen kann. Allerdings liegt keine besonders große Ordnung vor. Ich erläu-

tere Ihnen gleich, was ich damit meine.

HexameterundKlangdesHerzens

Hier sind zwei Messungen, die Dietrich von Bonin durchgeführt hat – beim Rezitieren von

Hexametern und beim Deklamieren von Alliterationen. Sie sehen, wie unterschiedlich die

beiden Bilder aussehen. Sie zeigen aber etwas, das uns damals völlig in Erstaunen ver-

setzte - wir waren zutiefst überrascht angesichts dieses Phänomens. Beachten Sie diese

waagrechten Linien: Es entstand nicht nur eine Atemlinie, wie wir sie in der Nacht gese-

hen haben. Hier entstanden vier Linien, manchmal sogar fünf oder sechs, die durch den

Hexameter dem Herzschlag eingeschrieben wurden. Das Herz begann in einer völlig

neuen und unerwarteten Weise mit den Hexametern mitzuschwingen und Resonanz zu

zeigen mit anderen Körperrhythmen.

Bei der Alliteration ist das nicht der Fall: Ähnlich wie beim modernen Konzert ist eine Ver-

stärkung der Rhythmik zu beobachten, aber ohne die Ordnung, wie bei der Rezitation des

Hexameters.

OMundschwingendesHerz

Dietrich von Bonin hat daraufhin auch das Meditationsmantra ‚OM’ mehrfach rezitiert. Es

tritt dabei ebenfalls eine besondere Rhythmik auf: Die Rhythmen schwingen aber in einem

tieferen Frequenzbereich und sind kräftiger, nicht so fein ziseliert wie beim Hexameter.

Ihre Periodendauer liegt zwischen 10 und 20 Zehntelsekunden. Beim Hexameter reichten

die Oberschwingungen bis zu einem halben Hertz, also bis zu einer Periodendauer von 2

Sekunden.

Als Wissenschaftler haben wir natürlich als nächstes Laute mit anderen Vokalen unter-

sucht - AM, EM, IM und UM. Tatsächlich bildeten sich auch bei den anderen Lauten sol-

che Linien aus, aber am kräftigsten und deutlichsten erschienen sie beim OM. Es mag

kein Zufall sein, dass gerade das OM als Meditationsmantra eine so bedeutende Rolle

spielt - es erzeugt die ausgeprägtesten und stabilsten Rhythmen.

DasHerzsingteineTonleiter

Dietrich von Bonin hat nochmals Hexameter für uns gesprochen - über einen langen Zeit-

raum von viereinhalb Stunden - mit unterschiedlicher Sprechgeschwindigkeit. Wir wollten

herausfinden, ob das Phänomen der Resonanz mit anderen Körperrhythmen nur bei be-

stimmten Geschwindigkeiten auftritt. Es trat aber bei allen Geschwindigkeiten zwischen

31 und 62 Schritten pro Minute auf. Dabei entstand eine Grafik, die an eine Stufenleiter

erinnert. Daraufhin haben wir diese viereinhalb Stunden Herzfrequenzvariabilität genom-

men und haben diesen sehr langsamen Vorgang mit dem 3600fachen der Geschwindig-

keit abgespielt, also eine Stunde in einer Sekunde. Sie werden gleich hören, wie das

106

klingt. Das sind also viereinhalb Stunden Herzfrequenzvariabilität in viereinhalb Sekunden

durch den Lautsprecher geschickt – eine Tonleiter! Dietrich von Bonin hat durch das

Sprechen des Hexameters eine Tonleiter auf seinem Herzen gespielt. Auf dem Klavier

entsprachen die Töne der G-Dur-Tonleiter. Sie sehen, dass beim Sprechen von Hexame-

tern genau die gleiche Struktur mit den Grundtönen und Obertönen entsteht wie beim

Klavier, nicht so deutlich ausgeprägt natürlich. Das Instrument der abendländischen Musik

ist stärker auf Harmonik ‚abgestimmt’, aber im Prinzip ist das Herz bei diesem Versuch

zum musikalischen Instrument geworden.

EurythmieundHerzfrequenzvariabilität

Wenn jemand konzentriert Eurythmie macht, wird das Herz auch zum Musikinstrument.

Dieses Bild gebe ich Ihnen für Ihre Schüler und Schülerinnen mit. Hier sind Aufzeichnun-

gen von unkonzentriert durchgeführter Eurythmie - dabei kommen keine stabilen Zeitspu-

ren zustande. Ansonsten entstehen aber diese Zeitspuren, diese Linien im autochronen

Bild, die musikalischen Tönen entsprechen. Es sind ganzzahlig vielfach geordnete Töne -

Teiltöne eines gesamten Klanges. Es werden nicht nur Töne durch die Eurythmie und

auch durch den Hexameter am Herzen gespielt – es werden Klänge, ‚Tongestalten’, er-

zeugt.

HerzfrequenzvariabilitätimVergleich

Wir haben in der Folge die Herzfrequenzvariabilität bei verschiedenen Formen von Medi-

tation und Musik und bei Yoga und Eurythmie gemessen und die Bilder miteinander ver-

glichen. Es stellte sich heraus, dass das Herz zählen kann!

• Ein berühmter tibetischer Meditationsmeister hat extra für uns auf ‚Leere’, auf das

Nichts, meditiert. Bei dieser Meditation hatten wir uns auch eine Form von Rhyth-

musbildung erwartet, aber es ist tatsächlich Leere im autochronen Bild entstanden

– die Frequenzunterschiede sind verschwunden, kein Mitschwingen, NICHTS.

• Beim Yoga entstand eine Linie so wie beim Schlaf. Die Atmung befand sich jedoch

nicht in dem Frequenzbereich, in dem sie sich normalerweise beim Schlafen be-

findet, sondern sie wurde im Bereich der Blutdruckrhythmik sichtbar – eine lang-

same Atmung, die sich mit der Blutdruckrhythmik verbunden hatte. Es gibt klini-

sche Studien, die zeigen, dass Yoga gut gegen hohen Blutdruck wirkt - diese Ver-

stärkung der Rhythmik im Bereich der Blutdruckschwingung schärft offensichtlich

die körpereigene Blutdruckwahrnehmung und verbessert die Regulation.

• Beim Rezitieren von OM entstanden drei Rhythmen,

• beim Obertonsingen vier,

• beim Hexameterrezitieren fünf – ich hätte eigentlich sechs erwartet...

107

• und bei der Eurythmie entstanden sogar zehn Linien, die Teiltönen entsprechen.

DasHerzimHimalaya

Szenenwechsel in den Himalaya: Eine Gruppe von Studenten, teilweise aus Graz, einer

davon ein Dissertant von mir, begab sich auf den langen Weg zum Fuß des Mount Eve-

rest. In der Forschungsstation ‚Silberpyramide’ auf 5000m Seehöhe wollten die Studenten

ein Lager eröffnen und mit unserem Messgerät die Herzfrequenzvariabilität bei den drei-

ßig Bergsteigern messen. Es hatte leider ziemlich geschneit, war zudem äußerst kalt. In

der ‚Silberpyramide’ war eine italienische Gruppe zuvorgekommen und hatte das beheizte

Gebäude okkupiert, sodass unsere Studentengruppe ihre Zelte vor der Tür aufschlagen

musste. Trotzdem kam es zu interessanten Messungen.

Beim Auswerten der Daten wartete wieder eine Überraschung auf uns: Bereits bei 3400m

Seehöhe passierte zum zweiten Mal das Unerwartete, bis dahin nur beim Hexameter-

sprechen Gesehene:

• Die Atemfrequenzlinie im autochronen Bild teilte sich in zwei Linien auf – statt ei-

ner Linie am Beginn waren nun zwei Linien zu sehen.

• Auf 4400m sind es bereits mehrere Linien

• und auf 5000m gibt es im gesamten Spektrum Linien, wie bei der Eurythmieübung.

Ein Phänomen, das bisher nicht bekannt war: Das Herz begann vielfach mitzuschwingen.

Dieses vielfache Schwingen war offensichtlich eine Reaktion auf die hohe Belastung in

dieser großen Höhe. Ein besonders mutiger Bergsteiger nahm das Gerät dann noch auf

6000m Seehöhe mit und machte eine der höchstgelegenen Schlafmessungen, die jemals

durchgeführt wurden. Auch dabei traten diese Linien wieder auf – Obertöne und Klänge in

den Herzfrequenzen. Auf dem Rückweg, in 3000m Höhe, wurde das Mitschwingen mit

anderen Rhythmen wieder schwächer und in Graz war nur noch eine Linie abzulesen:

Das Herz schwang nur mit der Atemfrequenz und nicht mit einem ganzen Klangspektrum.

RhythmusgibtEnergie

Wir hatten diese Versuchsreihe wissenschaftlich gut vorbereitet: Es wurden auch der

Sauerstoffgehalt des Blutes und natürlich die Herzfrequenz selbst gemessen. Außerdem

wurden die Versuchspersonen unterteilt in diejenigen, deren Organismus diese Rhythmen

entwickelte und Obertöne erzeugte und diejenigen, die das nicht taten. Die Obertöne er-

zeugenden Personen hatten im Schnitt eine deutlich geringere Herzfrequenz, als die, die

keine Schwingungsfähigkeit im Obertonbereich hatten, die also auch auf 5000m Seehöhe

nur eine Atemlinie aufwiesen. Umgekehrt war der Sauerstoffgehalt geringer bei der zwei-

ten Gruppe, die diese Oberschwingungen nicht zeigten. Die Vervielfachung der Schwin-

gung befähigte den Organismus offensichtlich, den vorhandenen geringen Sauerstoff be-

sonders effektiv zu nutzen und dadurch besser mit der schwierigen Situation umzugehen.

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Rhythmus ersetzt nicht nur Kraft, Rhythmus gibt auch Energie in Notsituationen: Er ent-

spricht einer Notordnung, die der Organismus für schwierige Situationen im Repertoire hat

– das Herz macht dann Eurythmie, ohne es jemals gelernt zu haben.

DasGeschenkdesRhythmus

Rhythmus ermöglicht es dem Menschen, polare Qualitäten zu leben, die sich nicht gleich-

zeitig leben lassen, weil sie sich gegenseitig ausschließen. In verschiedenen Zeitebenen

angeschaut, erschafft Rhythmus eine Ebene, auf der Leben und Tod möglich sind.

Rhythmus verbindet die Polaritäten von Wachstum und Differenzierung in der Entwicklung

des Menschen. Er überbrückt die Kluft zwischen aufbauenden und abbauenden Kräften

im Verlauf des Jahres, zwischen Wachzustand und Schlaf, zwischen Arbeit und Erholung.

Diese polaren Zustände kann man nicht gleichzeitig erleben, sie können nur im Wechsel

auftreten. Wie die Geste des Festhaltens und Loslassens, Einatmung und Ausatmung,

Systole und Diastole im Herzschlag. Dieses Schwingen zwischen Gegensätzlichem ist

das Geschenk des Rhythmus.

UntersuchungenüberEurythmieamArbeitsplatz

1. ‚EurythmieaufderBaustelle’Im Jahre 1999 wurde ich von der Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA), der größten

österreichischen Unfallversicherung, gebeten, ein Programm für Bauarbeiter zu entwi-

ckeln, weil diese eine so hohe Unfallsstatistik aufwiesen: Jedes Vierteljahr hatten im

Schnitt 5% der Bauarbeiter einen Unfall. So entstand ‚Eurythmie auf der Baustelle’ als Teil

eines größeren Programms.

Zuerst führten wir in der Führungsebene ein Kommunikationstraining durch und reinigten

so die Kanäle, die Informationen transportieren. Dieses Reinigen von Informationskanälen

ist etwas ganz Wichtiges für die Firmenkultur. Sollten Sie in einer Organisation arbeiten,

wo die Informationskanäle verstopft sind, sodass die einen nicht wissen, was die anderen

tun, sollten Sie bedenken, dass diese Reinigung extrem hilfreich sein kann für alle weite-

ren Prozesse in der Firma. Wir hatten einen Psychologen, der uns dabei geholfen hat. Für

Gymnastik und Bewegung hatten wir Sportstudenten und Sportwissenschaftler engagiert

– nur in der Mitte hat uns noch etwas gefehlt. Ich schlug Eurythmie dafür vor und wir

nannten das Ganze aufgrund unserer Vormessungen ‚Herz-Kreislauf-Koordinations-

training’, damit es keinen Anstoß erregt. Es wurde ein voller Erfolg.

AuswirkungeninderFührungsriege

Es heißt oft, dass ‚der Fisch am Kopf zu stinken beginnt’. Um dies zu vermeiden, haben

wir bei den Managern begonnen, und sie als Erstes behandelt. Der leitende Manager

wurde zunächst sechs Wochen lang mit Eurythmie betreut, 2x die Woche eine Stunde.

Hier die Auswirkung auf den Schlaf: Am Beginn der Messungen war das Herz ganz wenig

109

fähig, mit dem Atem mitzuschwingen. Nach sechs Wochen ist diese Fähigkeit schon deut-

licher ausgeprägt. Hätten wir noch spätere Messungen gemacht, wäre eine weitere Ver-

stärkung zu bemerken gewesen. Doch damals wussten wir noch nicht, dass man nach

einer Weile Nachmessungen machen muss, weil die Wirkung sich erst allmählich aus-

prägt und stabil wird. Wir wissen heute aus vielen Studien der Herzfrequenzvariabilität,

• dass das mit der Atmung mitschwingende Herz länger lebensfähig ist,

• dass die Wahrscheinlichkeit einen Herzinfarkt zu bekommen,

• und die Wahrscheinlichkeit koronarer Herzerkrankungen geringer ist, wenn das

Herz mit anderen Organsystemen wie z.B. der Atmung oder dem Kreislauf mit-

schwingt.

Das schwingungsfähige Herz kann sich besser auf neue Gegebenheiten einstellen, es ist

anpassungsfähiger und stabiler.

AuswirkungenbeidenBauarbeitern

Noch deutlicher waren die Auswirkungen bei den Bauarbeitern selbst. Wir haben hier ei-

nen Bauzimmerer im Zeitverlauf gemessen: Zu Beginn ist der Erholungswert in der Nacht

sehr gering: Er zeigt die Nacht hindurch fast ununterbrochen Zeichen von Stress. Dann

macht er vierzehn Tage Urlaub. Die Kurve verbessert sich ein bisschen - das ist sein Zu-

stand, bevor er Eurythmie zu machen beginnt. Nach sechs Wochen Eurythmie - alle zwei

Wochen wurde gemessen – ist bereits ein Bilderbuchschlaf zu beobachten. Die Aufzeich-

nungen zeigen einen wunderbaren Wechsel zwischen Erholung in der Nacht und Belas-

tung am Tag. Nach Absetzen der Eurythmie verschlechtern sich diese Werte zunächst ein

wenig, stabilisieren sich aber zwei Monate später und bleiben dann wesentlich besser als

sie zu Beginn waren. Und das, obwohl dazwischen die schwere Bausaison lag, sechs

Monate schwere Arbeit auf der Baustelle, teilweise bei sehr hohen Temperaturen.

Wir haben zur statistischen Absicherung der Ergebnisse auch die drei Gruppen vergli-

chen, die sich aus den Bauarbeitern bildeten: Eine Gruppe hat keine Interventionen mit-

gemacht und wurde wie die anderen über sechs Monate beobachtet: Die Schlafqualität,

die kontinuierlich gemessen wurde, sank von 80% gutem Schlaf am Beginn auf 60% gu-

tem Schlaf am Ende der Bausaison ab. Das ist ein dramatischer Abfall, weil sich das ku-

mulativ auswirkt, wenn jede Nacht der Schlaf ein bisschen schlechter ist, ausgedrückt

durch die kumulative Verringerung der Schlafqualität.

Die nächste Gruppe hat zunächst Gymnastik gemacht und ist dann auf Eurythmie umge-

stiegen, und die letzte Gruppe hat zuerst Eurythmie gemacht und danach Gymnastik. Die

Gymnastik war in der Lage, zu halten, was an Schlafqualität vorhanden war. Aber nur in

der Eurythmiegruppe wurde eine sensationelle Verbesserung der Schlafqualität im Sai-

sonverlauf beobachtet. Das löste großes Erstaunen aus. Wir hatten Zeitungen und Fern-

110

sehen auf der Baustelle – „Die merkwürdigste Baustelle Österreichs“, wurde geschrieben,

„mehr Wissenschaftler als Bauarbeiter“, und dann noch diese merkwürdige Tanztherapie.

Einer der Bauarbeiter fragte die Eurythmistin am Ende der zweiten oder dritten Stunde:

„Sagen Sie mal, sind Sie bei einer Sekte?“ Er ist zu einem mit großer Begeisterung Üben-

den geworden und hat das Programm auch besonders gut absolviert.

Dosis-WirkungskurveinderEurythmie

Bei medikamentösen Therapien findet man in der Regel Dosis-Wirkungskurven: Je mehr

man von einem Medikament verabreicht, desto stärker wirkt es. Wir haben uns also ge-

fragt, ob man so eine Dosis-Wirkungskurve auch für die Eurythmie erstellen kann.

Die Bauarbeiter besuchten zum Glück unterschiedlich viele Interventionen. Einige waren

faul oder uninteressiert und sind gar nicht gekommen oder nur einmal, andere sind 5x

gekommen, andere eben öfter. Daraus ließ sich Folgendes ableiten: Es gibt eine eindeuti-

ge Dosis-Wirkungskurve, wobei 12 Interventionen ungefähr das Maximum des Erreichba-

ren darstellen, danach bleibt der Effekt gleich bzw. stabilisiert sich. Einzelpersonen ver-

besserten sich darüber hinaus noch, aber im Großen und Ganzen kann man sagen, dass

12 Interventionen – das sind 6 Wochen à 2 Interventionen – optimal sind für die Durchfüh-

rung von Eurythmie in einem Baufirmen-Setting.

Beauftragt wurden wir aber nicht, um die Schlafqualität zu verbessern, sondern wegen der

Unfallszahlen. Diese Auswertung hat die AUVA selbst vorgenommen, weil man sich bei

uns Wissenschaftlern nicht so sicher war: Wissenschaftler können bekanntlich mit Statis-

tiken ganz gut umgehen.

AuswirkungenaufdieUnfallstatistik

Die Ergebnisse der AUVA waren noch besser als das, was wir selbst herausgebracht hat-

ten: Die Unfallszahlen hatten sich nämlich von 5% im Vorjahr auf 0% reduziert, ab dem

Moment, wo Eurythmie angeboten worden war. Sie blieben auch die nächsten drei Quar-

tale auf diesem Level von 0%. Es gab keine Bauunfälle, nicht nur auf der einen Baustelle,

die wir intensiv beforschten, sondern auch auf fünf weiteren Baustellen: Die Bauprojekte

konnte ohne Unfälle abgewickelt werden, in der einen Saison wie auch im darauf folgen-

den Jahr. Danach wurde die Baufirma von einer anderen aufgekauft, weil sie so gute Bi-

lanzen schrieb, und wir konnten den weiteren Verlauf nicht mehr verfolgen.

Auch die Ausfälle wegen Krankheit, die Krankenstände, zeigten diese Tendenz: Während

der Interventionen fielen die Krankenstände dramatisch ab, allerdings war der Effekt nicht

so nachhaltig wie bei den Unfällen, was auch damit zusammenhängen könnte, dass die

geplante Übernahme schon bekannt war und die Arbeiter auf Arbeitssuche gingen und

sich dafür krank meldeten.

111

Dieses ‚Baufit-Projekt’, ist inzwischen 85x (!) in Österreich durchgeführt worden. Es brach-

te nicht mehr die hohen Ergebnisse wie in unserem Forschungsprojekt, aber im Mittel

eine 27%ige Reduktion der Unfallszahlen ein Jahr nach Ende der Interventionen, wie mir

die AUVA kürzlich in einem Schreiben mitteilte.

2. ‚EurythmieinderSchule’

Wir haben in einem weiteren Projekt ‚Eurythmie in Schulen’ untersucht und die Ergebnis-

se verglichen mit denen von Team-Ressource-Management, einer psychologischen Me-

thode, und mit Yoga. Untersucht wurden psychologische Variable. Dabei hat Eurythmie

wieder sehr gut abgeschnitten: Die Eurythmiegruppe, Versuchspersonen von vier Schu-

len, LehrerInnen, verzeichnete bei den Herzsymptomen die stärkste Abnahme. Die ande-

ren Interventionen hatten keinen Effekt auf die Herzsymptome. Wir konnten den sozialen

Stress am stärksten durch Eurythmie reduzieren.

Auch die Fähigkeit, die Arbeit nicht als Behinderung zu erleben, wurde durch die Euryth-

mie besonders stark gefördert. Yoga hat die Selbständigkeit bei den Menschen gefördert

und so ihre Angst reduziert, während Eurythmie eher soziale Fähigkeiten gefördert und

verstärkt hat – eine interessante Differenzierung, die zeigt, wie die einzelnen Methoden in

der betrieblichen Gesundheitsförderung gezielt eingesetzt werden könnten.

3. ‚EurythmieimKrankenhaus’

In einem weiteren großen EU-Projekt, das wieder von der AUVA mit beauftragt wurde,

haben wir das Personal von vier österreichischen Krankenhäusern mit Eurythmie und

auch mit anderen Methoden behandelt. Diesmal war nicht ich es gewesen, der an die

AUVA herangetreten war, sondern sie war an mich herangetreten.

Für die nähere Erforschung der Eurythmie wurden spezielle Methoden von Dr. Christine

Kahlhammer entwickelt: Sie sehen hier die Auswirkungen aktivierender und beruhigender

Eurythmieübungen. Bei den beruhigenden Übungen tritt als besonderer Effekt auf, dass

wieder diese Zeitspuren in den Herzschlag eingeschrieben und dann aufgezeichnet wur-

den, diese Rhythmusspuren der anderen Körperrhythmen.

Der‚Morgensorgengipfel’

Anhand von 24-Stundenmessungen der Herzfrequenz bei 40 Versuchspersonen, deren

Werte gemittelt wurden und somit ein ziemlich deutliches Ergebnis zeigten, stellten wir

fest, dass die Herzfrequenz am Morgen stark anstieg: Das Herz regte sich im ersten Jahr

vor den Interventionen morgens sehr auf. Es wurde am Beginn des Projektes gemessen,

nach einem Jahr und nach 2 Jahren. Den anfänglich beobachteten Anstieg der Herzfre-

quenz bezeichneten wir als ‚Morgensorgengipfel’: die Leute waren, bevor sie in die Klinik

gingen, besonders aufgeregt, fürchteten sich schon vor dem Arbeitstag und wiesen des-

halb die höchste Herzfrequenz am Tag auf. Der Zeitpunkt dieses Gipfels korrespondierte

112

mit dem bekannten Zeitpunkt der größten Herzinfarktwahrscheinlichkeit: Von 28.000 aus-

gewerteten Herzinfarkten einer früheren Studie fand ein Großteil 1 - 2 Stunden nach die-

sem Morgensorgengipfel in unserer Studie statt. Bereits im ersten Jahr nach den Euryth-

mieinterventionen verschwand der ‚Morgensorgengipfel’ und kam nicht wieder. Im zweiten

Jahr war er bei allen endgültig verschwunden. Wir denken, dass wir in dieser Klinik eine

gelungene Herzinfarktprävention mit Hilfe der Eurythmie geleistet haben.

ZunahmedesVagus-Tonus

Im Rahmen dieses Projekts wurde, wie meistens, über 24 Stunden hinweg gemessen,

wann die Herzfrequenz besonders niedrig war: Im Folgejahr zeichneten sich gerade die

frühen Morgenstunden durch eine besonders niedrige Herzfrequenz aus. Ein Parameter

stieg sichtbar an - der Vagus-Tonus: Er schützt das Herz, wirkt ‚kardioprotektiv’ wie die

Kardiologen sagen. Dieser Herzschutz-Faktor lässt sich in Lebensjahren ausdrücken, weil

er mit jedem Lebensjahr abnimmt. In diesem Fall hier sind die Leute um ein Jahr älter

geworden, aber der Vagus-Tonus hat zugenommen, und zwar um 2 - 3 Lebensjahre! Die

Menschen sind körperlich älter, aber rhythmisch jünger geworden. Insgesamt haben sie

sich 2700 Herzschläge pro Tag erspart – das ist eine Dreiviertelstunde Herzschlag, bei

einem Mittel von 34 Versuchspersonen in diesem speziellen Fall.

HerzfrequenzeninMusikverwandelt

Am Schluss möchte ich Ihnen noch etwas Musikalisches darbieten. Hier hören Sie noch

einmal den Klang des Herzens: Wir haben mit Hilfe eines Musikers (DJ Christian Kemp,

Graz) unterschiedliche Herzfrequenzabschnitte während der Tagesarbeit, im Tiefschlaf

und während des Traumschlafes, in Töne und Musik umgesetzt. Die bereits erwähnte

Krankenschwester aus Herdecke war unsere Versuchsperson. Der Musiker nahm einen

Teil der aufgenommenen Herzfrequenz und schnitt ihn so zurecht, dass daraus Musik

wurde. Er sagte mir allerdings, dass er aus dem Tagesabschnitt bei der Arbeit keine Me-

lodie machen könne, aber eine Percussion-Performance - eindeutig weniger melodisch

als das Hexametersprechen. Die Traumsequenz ist schon etwas melodischer - mit mo-

derner Musik vergleichbar. Zum Abschluss möchte ich Ihnen den ruhigen Schlaf vorspie-

len – wenn Sie dabei die Engel singen hören, ist das vielleicht kein Zufall…

113

AttractionEconomyI

Ein junger Mann, ein ausgeflippter,

und ziemlich aus der Bahn gekippter,

mit Hahnenkamm und Haar so grün

entschließt sich eines Morgens kühn:

Er möchte jetzt erwachsen werden.

Doch WIE könnt er sich gründlich erden?

Frau Lilli Koch, Heileurythmuse,

in Wollrock und in Seidenbluse,

sie übt allein – o welch ein Jammer –

das I A O in ihrer Kammer.

Ach, wenn der junge Mann das wüsste!

Ob man nicht da was machen müsste?

II

Ein junges Mädchen, blass und hager,

mit hohlem Kreuz und ziemlich mager,

auch skoliös, und – wie verhext –

sie wächst und wächst und wächst und wächst.

Herr Doktor Z. mit gutem Willen

gibt ihr hormongefüllte Pillen.

Frau Lilli Koch, Heileurythmuse,

in Wollrock und in Seidenbluse,

sie übt allein – o welch ein Jammer –

die E- Übung in ihrer Kammer.

Ach, wenn das Mädchen das doch wüsste!

Ob man nicht da was machen müsste?

III

Ein feiner Herr, schon recht betagt,

wird peinlichst und intimst geplagt,

indem dass, wo er geht und weilt

ein leises Tröpfeln ihm enteilt.

114

Das ist ihm lästig, grässlich, peinlich,

er war doch ehedem so reinlich.

Frau Lilli Koch, Heileurythmuse,

in Wollrock und in Seidenbluse,

sie übt allein, - o welch ein Jammer -

übt feurig F... in ihrer Kammer.

Ach, wenn der alte Herr das wüsste!

Ob man nicht da was machen müsste?

IV

Ein Lehrer, grau und ausgebrannt,

von seinen Schülern umgerannt,

total burnt out, erschöpft, erledigt,

Hyper-aktivitäts-geschädigt,

ist hoffnungslos und fühlt sich dumm:

Wie geht man nur mit Schülern um?

Frau Lilli Koch, Heileurythmuse,

in Seidenrock und Seidenbluse,

sie hüpft allein, und denkt dazu:

M M N N B P A U

Ach, wenn der Lehrer das doch wüsste!

Ob man nicht da was machen müsste?

V

Der Lehrer selbst wird frühverrentet,

sein Leben ist wohl bald beentet,

denn auf dem Samstags-Wochenmarkt

naht schon der erste Herzinfarkt.

Frau Lilli Koch, das flotte Weib,

behandelt IHREN Ätherleib

mit Übungen, Sie wissen schon,

der wird ein brauchbarer Patron.

Ach, wenn der Lehrer das doch wüsste!

Ob man nicht da was machen müsste?

115

VI

Frau Lily Koch, Heileurythmuse

trägt nicht mehr Wollrock/ Seidenbluse.

In einem kurzen Prada- Kleide

befreit Patienten sie vom Leide.

Doch diese harren lange, lange

und bilden eine Warteschlange.

Und oft ist ihre Praxis zu:

Sie gibt der Times ein Interview.

Wie kam denn das? Wenn wir`s nur wüssten!

Ob wir nicht auch was ändern müssten?

Erika Leiste

116

gesundheitaktivaufderWeltkonferenzfürHeileurythmie

Macht es Sinn, dass ein Patientenverband auf einer Weltkonferenz für Therapeuten ver-

treten ist?

Diese Frage bewegte uns, als wir von Angelika Jaschke um finanzielle Unterstützung und

Teilnahme gebeten wurden.

Der Zielsetzung dieser Konferenz – die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit wahr-

nehmen, die anthroposophisch-medizinische Heilkunst verstärkt zur Wirksamkeit bringen,

den Zeitkrankheiten und Zivilisationsschäden hilfreich begegnen, den Blick in die Zukunft

mit ihren Chancen und Aufgaben richten – als „Kulturauftrag der anthroposophisch-

medizinischen Bewegung“ ist auch unser Patientenverband verpflichtet. Wir entschlossen

uns daher zur Teilnahme mit dem Wunsch, bei Gesprächen an unserem Stand und in

dem von uns angebotenen workshop deutlich zu machen, worin wir alle uns in diesem

„Kulturauftrag“ entscheidend unterstützen können.

Es war beeindruckend zu erleben, wie rege es dann an unserem Stand im Goetheanum-

Foyer zuging: „Haben Sie ein Heft zur Multiplen Sklerose?“, „Ich suche etwas zum Burn-

out“, „Kann ich diese Broschüre einem Patienten geben, der mit Anthroposophie nicht

vertraut ist?“, „Was macht gesundheit aktiv eigentlich?“

Die vielfältigen Fragen am Stand und das wache Interesse der workshop-TeilnehmerInnen

boten Gelegenheit, die wesentlichen Aufgaben unseres unabhängigen Patientenverban-

des darzustellen:

• die Anthroposophische Medizin mit ihrem gesamten Umfeld einer breiten Öffent-

lichkeit bekannt machen – so in diesem Jahr u.a. mit unserer bundesweiten Ver-

anstaltungsreihe zu dem Thema „Lasst mich Kind sein. Gesunde Entwicklung –

eine Herausforderung für Pädagogik und Medizin“

• die Interessen der Anthroposophischen Medizin von Patientenseite in der Gesund-

heitspolitik wirksam vertreten

Dies ist umso notwendiger, als der gesundheitspolitischen Aufgabe auf nationaler wie vor

allem auch auf EU-Ebene immer mehr Bedeutung zukommt; denn Berufsverbände, die

als Vertreter von Eigeninteresse angesehen werden, finden wenig Gehör, die Stellung-

nahme der Patienten ist dagegen immer stärker gefragt. Die Aussage der deutschen Ge-

sundheitsministerin auf einem der letzten Ärztetage „Der Patient entscheidet über seine

Gesundheitsversorgung“ ist leider noch eine Illusion. Mitzuhelfen sie zu verwirklichen, ist

das Ziel, das sich gesundheit aktiv gesetzt hat und nach Kräften und durch vielseitige

Vernetzung mit anderen Verbänden verfolgt – so z.B. mit der „Aktion für f r e i e Impfent-

scheidung“.

117

Wir sind dankbar, dass wir auf diesem Kongress Ziel und Aufgaben unseres Verbandes

vermitteln konnten, dass wir zahlreiche Anregungen für unsere Broschürenreihe erhielten

und vor allem, dass wir Interesse wecken konnten für die wichtige Unterstützung durch

die TeilnehmerInnen – allem voran durch Aufbau und Unterstützung von Patienteninitiati-

ven im eigenen Land, durch Mitgliedschaft in einem bestehenden anthroposophischen

Patientenverband des eigenen Landes und als wichtige Multiplikatoren durch Hilfe bei

Patientenaktionen – so wurden unsere Impf-Aufrufe zum Verteilen dankenswerter Weise

zahlreich mitgenommen.

Interessierte konnten wir auf den Dachverband der anthroposophischen Patientenverbän-

de in Europa hinweisen: European Federation of Patients Associations for Anthroposophic

Medicine (EFPAM), bei dem jeder Zeit Informationen, Rat und Hilfe eingeholt werden

können; s. auch www.efpam.org .

Unser workshop zeigte beispielhaft, wie gegenseitige Unterstützung möglich ist.

So konnten wir u.a.

als Vorstandsmitglied von EFPAM Hilfe anbieten für die Beratung entstehender Patienten-

initiativen in östlichen Ländern wie Bulgarien, Weißrußland und Kroatien;

Ratschläge für die Gründung einer Patienteninitiative geben;

eine weitere Ansprechpartnerin einer Waldorfschule gewinnen;

Studentinnen dafür begeistern, auf die Bedeutung und notwendige Unterstützung von

gesundheit aktiv an ihrer Hochschule aufmerksam zu machen.

Belebt von dem interessierten Austausch und der begeisternden Stimmung des Kongres-

ses fuhren wir zurück mit dem Wunsch, nächstes Jahr wieder zu kommen und nach Mög-

lichkeit im Plenum kurz selbst auf die Notwendigkeit von Patientenverbänden und auf un-

seren workshop hinzuweisen.

Macht es Sinn, dass ein Patientenverband auf einer Weltkonferenz für Heileurythmie prä-

sent ist?

Unsere Antwort ist eindeutig: Ja, denn dadurch können wir erleben, wie wir uns gegensei-

tig in unserem Einsatz für die Anthroposophische Medizin helfen und ihre Wirksamkeit

immer mehr Menschen vermitteln können.

Heidrun Loewer

gesundheit aktiv anthroposophische heilkunst e.v. Johannes-Kepler-Str. 56 D-75378 Bad Liebenzell Tel. 07052 / 93 01-0 oder 0561-940 22 79

Fax 07052 / 93 01-10 oder 0561-940 23 31

www.gesundheitaktiv-heilkunst.de

118

FEEDBACK(230 Bögen)

ZuFrage1:„WiehabenSiedieKonferenzerlebt?“

Vertiefend, warm, begeisternd, dankbar, anregend, lebendig, große Offenheit, vielfältig,

gut organisiert, freudig, heiter, notwendig, zu atemlos in der Fülle, die Pausen zu kurz, zu

wenig Zeit für individuellen Arbeitsaustausch, viele konkrete Anregungen mitgenommen,

Stimmung von Aufbruch und Mut. Die interessante Choreographie des Forum /Netzwerk

abends war beeindruckend und lebendig, jeder konnte sehen und erleben, dass wir eine

Welt-Berufsbewegung sind. Impulsreferate waren zu schnell gesprochen, daher schlechte

Simultanübersetzungen, die Übersetzung von Sheila Grande war ganz misslungen. (Alle

Referenten müssen in Zukunft ihr Manuskript den Übersetzern vorher einreichen).

Schlechtes und zu teures Essen, viele waren hungrig. Miniworkshops waren eine Berei-

cherung – mehr davon, weil es den fachlich-konkreten Austausch fördert. Flötenmusik vor

den Referaten war sehr gut.

ZuFrage2:„WassindIhreZukunftsvisionenfürdieHE?“

Innere Arbeit an der HE und Außendarstellung in Ausgewogenheit bringen, Öffentliche

Anerkennung des Berufes, Forschung – z.B. Bewegungsdiagnostik, bessere Zusammen-

arbeit mit den Ärzten, das die Impulsreferate beim nächsten Mal von HE’s gehalten wer-

den („wir sind keine Studenten!“) und die Ärztevorträge von Ärzten gehalten werden,

Pflege der Laute und ihre Differenzierung für einzelne Krankheiten, mehr Ärzte als Teil-

nehmer gewinnen.

ZuFrage3:„WaserwartenSievomForumHE?“

Wenig Verwaltung, viel Initiative, Gesprächspartner zu finden, menschliche Begegnungen

fördern, gegenseitige Unterstützung, Patenschaften unter den Ländern, voneinander ler-

nen, das die Ärzte bemerken, was sie an der HE haben könnten, Kommunikation, das

Spezifische der einzelnen Völker herausarbeiten, gemeinsames Bewusstsein, kontrover-

ser, wacher Austausch der Erfahrungen, „Notrufzentrale“, „mobile Einsatzzentrale“, Auf-

fanglager von Nöten/Beschwerden, geistige Arbeitsgruppe, Hilfe gegen die Einsamkeit,

einen langen Atem, Geduld.

ZuFrage4:„UnterstützungdesForum/NetzwerkesHEdurchSie?“

Finanziell, durch Interesse am internationalen Geschehen, HE bekannter machen durch

qualifiziertes Auftreten in der Öffentlichkeit, Weiterleiten von Informationen, Aus-

tausch/Kommunikation, verantwortliches Mitvertreten, sich für die Öffentlichkeitsarbeit mit

einsetzen.

119

ZuFrage5:„PersönlicheAnmerkungen?“

Schöne Arbeitsgruppen, Grundstein in vielen Sprachen war ein tiefes Erlebnis, Impulsre-

ferate waren eher für Laien – nicht für HE’s, die den HE-Kurs kennen, nicht den HE-Kurs

referieren – sondern Erfahrungen mit der HE darstellen, Tagung zu lang, thematische

Schwerpunkte bei der nächsten WHE – z.B. 7.Vortrag HE-Kurs, diagnosebezogene

Schwerpunkte setzen, alle Dozenten sollten sich zu Beginn vorstellen (who is who),

nächste Welt-Konferenz in die Ferien legen, Sprache der Vorträge im Programm kenn-

zeichnen, nächste Konferenz: vormittags Arbeit an den Quellen, nachmittags Arbeit an

Forschung, Dokumentation, Darstellung in der Öffentlichkeit; alle Kurse auf Englisch und

Deutsch, in 5-7 Jahren eine nächste Welt-Konferenz, am 3.Tag einen Nachmittag frei

(Tiefpunkt!), Wahrnehmung der individuellen Handhabung der HE hatte zu wenig Raum,

Tagesausklang immer eurythmisch.

A. Jaschke, Mai 08

120

FINANZEN

Es ist uns eine große Freude inzwischen mitteilen zu können, dass die 1. Weltkonferenz

für Heileurythmie ohne nennenswertes Defizit abgerechnet werden konnte.

Auch wenn immer noch nicht alle finanziellen Forderungen beglichen sind, so wird doch

bis zum Herbst 08 eine abschließende Finanzübersicht vorliegen, die dann über die Medi-

zinische Sektion jederzeit eingesehen und angefordert werden kann.

Damit haben wir das erhoffte Ziel des Vorbereitungskreises erreicht. Zu verdanken haben

wir das der enormen Opferbereitschaft der teilnehmenden und nichtteilnehmenden Kolle-

gInnen und Ärzte.

Mit großem Engagement haben viele HeileurythmistInnen und Ärzte durch eine Erhöhung

des Tagungssatzes oder durch zusätzliche Spenden an der Verwirklichung dieser Konfe-

renz mitgewirkt.

Benefizveranstaltungen zu Gunsten unserer Konferenz, Sammelaktionen bei Veranstal-

tungen, Patientenhonorare, Geburtstagsgeschenke und Jubiläen in Form von Spenden

haben uns erreicht. Viele Vortragende und Künstler haben ihr Honorar zurückgespendet

und viele verborgene Mithelfer haben uns durch Übersetzungen, Layout und Druckkos-

tenerstattung maßgeblich geholfen.

So hat, um ein Beispiel zu nennen, die Konferenz der Heilpädagogik und Sozialtherapie

sowohl einzelne Kollegen aus finanzschwachen Ländern als auch Tagungskartenzu-

schüsse für die Kollegen aus der Heilpädagogik gesponsert. Besonders von diesen Kolle-

gInnen kam ein herzlicher Dank zurück!

Ganz besonders danken wir auch den Firmen, Institutionen und Stiftungen, die uns gut

ein Viertel der benötigten finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt haben. Ohne deren

Einsicht in die Wichtigkeit dieses gewagten und doch so notwendigen internationalen Ar-

beitsaustausches wäre diese Konferenz in dieser Intensität und Vielfältigkeit nicht zustan-

de gekommen.

Selbst im Nachhinein – beim Erstellen dieser Festschrift – haben Vortragende ihre

transkribierten Referate kostenlos bearbeitet und uns zum Druck freigegeben. Dadurch

konnten alle 10 Vorträge hier zum Druck gelangen. Auch dafür sei ganz herzlich gedankt!

Eine glänzende Idee haben sich die KollegInnen in der Herdecker Klinik einfallen lassen:

Sie haben gemeinschaftlich beschlossen, einen gewissen Anteil ihrer Einnahmen der am-

bulanten Patienten für die nächste, die 2. Welt-Heileurythmie-Konferenz (in 5 bis 7 Jah-

ren) zu sammeln.

Nach der Konferenz ist vor der Konferenz!

Folgende Konten stehen für Menschen zur Verfügung, die sich diesem Impuls anschlie-

ßen möchten:

121

International: Deutschland:

Medizinische Sektion am Goetheanum Förderstiftung AM, Med. Sektion

UBS CH-8098 Zürich Volksbank Dreiländereck

Konto Nr. 0233-787377.60 R Konto Nr. 970 760

IBAN: CH28 0023 3233 7873 7760 R BLZ 683 900 00

BIC: UBSWCHZH80A

Schweiz:

Medizinische Sektion am Goetheanum

UBS CH-8098 Zürich

Konto Nr. 0233-787377.01 C

Postkonto: 80-2-2

Clearing: 0233

Verwendungszweck: 1268, Welt-HE 2

Vielleicht findet diese Idee ja noch weitere Freunde auf der Welt!?

Mit großer Dankbarkeit und herzlichem Gruß –

Angelika Jaschke

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NACHKLANG

Wenn Bienen in einem Baum summen, es gibt einen wunderbaren vollen, warmen Klang.

Er ähnelt dem Ton, den ich als Nachklang dieser Tagung empfinde.

Woher kommt dieser Klang?

Vielleicht ist er dadurch entstanden, dass so viele Menschen geholfen haben, finanziell:

Nicht nur Stiftungen, sondern viele einzelne Menschen haben gespendet: Heileurythmis-

ten, Patienten, Freunde, Bekannte, Verwandte, auch Schulen, auch Arbeitsgruppen haben

gesammelt, damit die Heileurythmisten aus Australien, Südafrika, Südamerika und Russ-

land reisen konnten, und damit die Eurythmieaufführungen ermöglicht wurden. Viele

Künstler haben ihre Arbeit gespendet, Bühneneurythmisten, Ärzte, Dozenten, die Kurse

gaben, aber auch z.B. ein Karl Lierl hat die gesamte Programmgestaltung geschenkt. Vie-

le, viele Übersetzer, z.B. David, haben fortwährend übersetzt, völlig selbstlos, obwohl sie

noch nicht einmal selber Heileurythmisten sind. Es sind unzählige Menschen, die einfach

geholfen und geschenkt haben.

Dieser wunderbare Klang, dass er sich nicht verflüchtige...

Beim Abschlussplenum haben wir darüber gesprochen, daß wir, wenn wir das IAO ma-

chen, uns mit dem I mit der geistigen Welt verbinden können, mit dem A mit der ganzen

Erde und mit dem O mit unseren Heileurythmiekollegen auf der ganzen Welt.

Seit dieser Tagung hat dieses IAO eine ungeahnte Fülle gewonnen. Vor Freude mache

ich es morgens um 8 Uhr gleich viermal, in alle Himmelsrichtungen und denke dabei: Hal-

lo Lena in der Ukraine und Kimiko in Japan, hallo John in GB und Gillian in USA, hallo

Ragnhild in Norwegen und Jane in Schweden, hallo Suzan in Australien und Caroline in

South Africa!

Wenn ich es mal vergesse, denke ich wenigstens um 12 Uhr mittags dran, dann ist es

anders:

Liebe Kollegen, wie war der Tag heute bei Euch?

Wie wird er für Euch heute werden?

Erika Leiste, München

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DOZENTENVONABISZ/FACULTY

Adam-Roettig, Carola, Heileurythmistin, Frankfurt, DE

Bana, Dilnawaz, Heileurythmistin, Dornach, CH

Barfod, Werner, Dozent, Dornach, CH

Bäschlin, Annemarie, Dozentin der

Forschungsarbeit Tonheileurythmie, Ringoldingen, CH

Baumgartner, Tanja, Eurythmistin, Pflanzenforschung, Bartenheim bei Basel, FR

Bindler, Ursula Järvi ,Heileurythmistin, Dornach, CH

Bräuner-Gülow, Gisela, Heileurythmistin, Filderstadt, DE

Browning, John, Eurythmy Therapist, Stroud, GB

Burkhart, Dr. med. Ralf, Wangen, DE

Buschmann, Dr. med. Christoph, Augsburg DE

Chapitis, Michael, Eurythmy Therapist, Toronto, CA

Charisius, Adelheid, Heileurythmistin, Herdecke DE

Faltin, Myrta, Heileurythmistin, Gröbenzell, DE

Fehres, Boudewijn, Euritmietherapeute, Ausbilder, Den Haag, NL

Girke, Dr. med. Matthias, Berlin, DE

Glöckler, Dr. med. Michaela, Leitung Medizinische Sektion am Goetheanum, Dornach, CH

Grande, Dr. med. Sheila, Rio de Janeiro, BR

Groh-Schulz, Mechthild, Heileurythmistin, Filderstadt DE

Hagemann, Christiane, Heileurythmistin, Hamburg DE

Haller, Gudrun, Eurythmistin, Alfter, DE

Hammer, Dr. med. Erika, Augenärztin, Lörrach, DE

Hamre, Dr. med. Harald, Freiburg, DE

Hanrath, Peter, General Practitioner, Maidstone, GB

Hermansen, Ingrid, Eurythmy Therapist, Camp Hill Medival Practice, Aberdeen, GB

Hess, Ulla, Eurythmistin, Eurythmieausbildung Zuccolischule, Dornach, CH

Hitsch, Margrit, Heileurythmistin, Heileuythmie-Ausbilderin in Moskau, Ittigen-Bern, CH

Jachens, Dr. med. Lüder, Stiefenhofen, DE

Jaschke, Angelika, Heileurythmistin, internationale Koordination Heileurythmie in der Me-

dizinischen Sektion, Witten, DE

Jonkmans, Titia, Heileurythmistin, Ausbilderin in verschiedenen Ländern, DenHaag, NL

Junghans, Christine, Heileurythmistin, Ausbilderin, Dornach, CH

Junghans, Sebastian, Heileurythmist, Ausbilder, Remshalden-Geradstetten, DE

Kaiser, Mareike, Heileurythmistin Graz, AT

Kampe, Rosemarie, Heileurythmistin

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Keller-Roth, Dr. med. Wilburg, Dozentin der Heileurythmie-Ausbildung Dornach, CH

Kiene, Mena, Schulärztin, Nijmwegen, NL

Koop, Gisela, Heileurythmistin, Bliestorf, DE

Lambercy, Anne,Heileurythmistin, Lausanne, CH

Langerhorst, Ursula, Heileurythmistin, Freiburg, DE

von Laue, Elke, Heileurythmistin, Niefern-Öschelbronn, DE

von Laue, Dr. med. H. Broder, Niefern-Öschelbronn, DE

Leiste, Erika, Heileurythmistin, München, DE

von Lorentz, Dr. med. Sonja, Berlin, DE

Macgregor, David, Sprachgestalter, Stroud, GB

Majorek, Magdalena Heileurythmistin, Dornach, CH

Marston,Daniel, Heileurythmist,Arlesheim,CH

Mau, Gertrud, Euritmietherapeute, Ausbilderin, Den Haag, NL

McGavin, David, General Practitioner, Maidstone, GB

Meierhans, Anja, Heileurythmistin, Basel, CH

Merckens, Dr. med. Harald, Gastroenterologe, Unterlengenhardt, DE

Merker, Dr. med. Gudrun, Pforzheim, DE

Meyler, Tanja, Heileurythmistin, Heileurythmieausbildung Järna, SE

Molin, Erika, Heileurythmistin, Ausbilderin, Järna, SE

Monserrat-Gleissberg, Laura, Heileurythmistin, München, DE

Morrison, Seth, Heileurythmist, Heileurythmieausbildung Copake, USA

Moser, Prof. Dr. med. Max, Althofen, AT

Neukirch, Elke, Heileurythmistin, Bexbach, DE

Ollilainen, Pirkko, Heileurythmistin, Filderstadt, DE

Olschwang, Gabriele, Heileurythmistin, Wuppertal, DE

Peltzer, Dr. med. Irene, Dozentin der Heileurythmie-Ausbildung, Dornach, CH

Porteous, Josefin, Eurythmy Therapist, Sydney, AU

Prange, Sophia, Heileurythmistin, Berlin, DE

Purucker, Marlene, Heileurythmistin, Stuttgart, DE

Reder-Gruijters, Renée, Heileurythmistin, Ausbilderin, Unterlengenhardt, DE + Järna, SE

Ritchie, David, MD, Christchurch, NZ

Rieger, Elisabeth, Heileurythmistin, Berlin, DE

di Ronco, Raymond, Entwicklungsbegleiter in anthroposophischen Einrichtungen, Villin-

gen-Schwenningen, DE

von Roeder, Brigitte, Heileurythmistin, Ausbilderin Dornach, CH

Scheily, Maria, Heileurythmistin, Ausbilderin, Budapest, HU

Schmid, Carina, Eurythmistin, Leitung der Goetheanum-Eurythmiebühne, Dornach, CH

Schütte, Udo Heileurythmist, Freiburg, DE

125

Sebastian, Dr. med. Sabine, Pforzheim, DE

Seydel, Anna, Seminarlehrerin, München, DE

Solstad, Margrethe, Eurythmistin, Leitung der Sektion für Redende und Musizierende

Künste, Dornach, CH

Stamm, Alice, Eurythmy Therapist, Northridge, Los Angeles, US

Stiefvater, Ursula, Heileurythmistin, Arlesheim, CH

Studer-Senn, Dr. med. Kathrin, Zürich, CH Stockmar, Jorinde,

Heileurythmistin, Nürnberg, DE

Thiersch, Margret, Heileurythmistin, Dornach, CH

Torriani, Dr. med. R. A., Winterthur, CH

Trapp, Barbara, Heileurythmistin, Berlin, DE

Weber, Gerhard, Heileurythmist, Klagenfurt, AT

Weishaupt, Angela, Heileurythmistin, Kreuzlingen, CH

Weisskircher, Annette, Heileurythmistin, Ausbilderin des Masterstudienganges

Eurythmietherapie an der Alanus Hochschule, Alfter, DE

Yoshida, Emi, Heileurythmistin, München, DE

Ziegenbein, Ursula, Heileurythmistin, Ausbilderin, Stuttgart, DE