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Manssen: Der Hamburger Stadtsiegelfall - VG Köln, NfW 1991, 2584 JuS 1992, Heft 9 745 Wiss. Assistent Dr. Gerrit Manssen, Regensburg Der Hamburger Stadtsiegelfall - VG Köln, NJW 1991, 2584* Die Freie und Hansestadt Hamburg (Klägerin) verlangt von der Be- klagten (B), einer Kölner Antiquitätenhändlerin, die Herausgabe eines Handstempels zum Siegeln von Urkunden (Siegeltypar) und des dazu- gehörigen Aurbewahrungbeutels. Bei dem Siegeltypar handelt es sich um das Original des IV. Hamburger Stadtsiegels, das nachweislich be- reits 1306 zum Siegeln einer Urkunde benutzt worden ist. Es wurde 1810 außer Gebrauch gesetzt, jedoch in der Kämmerei unter Ver- schluß gehalten, später in das Stadtarchiv übernommen und dort inven- tarisiert. Soweit erforderlich, wurde es zur Uberpüfung der Echtheit von Urkunden herangezogen. 1944 wurde das Archivgut in einen Salz- stock ausgelagert. Nach der Rücküberflihrung wurde festgestellt, daß die Kiste, in der das Siegel aufbewahrt wurde, aufgebrochen und das Siegel entwendet worden war. Die B erwarb das Siegel 1986 auf einer Auktion eines Kunsthauses zum Preis von 2107,80 DM. Auftraggeber war ein Ehepaar, welches das Siegel einige Jahre vorher auf einem Trö- delmarkt in Braunschweig erworben hatte. B ihrerseits bot Siegel und Beutel 1987 auf einer Messe für 6800 D M zum Verkauf an. Die Stadt Hamburg erhielt dadurch Kenntnis vom Verbleib der Sachen und ver- suchte zunächst im Wege der zivilrechtlichen Herausgabeklage, die Ge- genstände zurückzuerlangen. Der BGH entschied jedoch mit Urteil vom 5. 10. 1989 (NJW 1990, 899 =JuS 1990, 411 Nr. 6 [K. Schmidt]), die ß habe nach § 935 II BGB im Wege einer öffentlichen Versteige- rung gutgläubig Eigentum erworben. Anschließend beschritt die Stadt den Verwaltungsrechtsweg. Das VG Köln gab der Herausgabeklage statt. I. Einleitung Kunst- und Antiquitätengegenstände, die heute in Läden, auf Messen und Märkten angeboten werden, sind nicht selten in früheren Zeiten von Hoheitsträgern für öffentliche Zwecke verwendet .worden 1 . Die vom VG am Beispiel des IV. Hambur- ger Stadtsiegels vertretene Auffassung z u m Verhältnis von zivil- rechtlichem Eigentum und öffentlicher Sachherrschaft hat des- halb unter Umständen eine nicht unerhebliche praktische Be- deutung. Hätte die Stadt Hamburg letztlich Erfolg, könnte ihr Beispiel Schule machen, Gegenstände von historischem Wert, die sich in Bezug zur Erfüllung aktueller Verwaltungsaufgaben setzen lassen, nicht zurückzukaufen, sondern zurückzuklagen. Die (nicht rechtskräftige) Entscheidung des VG Köln verdient aber auch deshalb besondere Beachtung, weil die darin behan- delte Problematik gute Chancen hat, zu einem der Schulfälle des öffentlichen Sachenrechts zu werden. Denn die Lösung ist im wesentlichen nach ungeschriebenen Regeln des allgemei- nen Verwaltungsrechts zu gewinnen. Das Denkmalschutz-"" oder Archivrecht 3 geben der Stadt Hamburg einen Herausga- beanspruch gegen die B nicht. II. Prozessuales Der Hamburger Stadtsiegelfall ist ebenfalls ein Beitrag zum Thema „Rechtsstaat und Rechtswegestaat". Der Vorwurf, Rechtsmittelmöglichkeiten bis zuletzt auszuschöpfen, wird oft und gerne an die Adresse eines angeblich zu prozeßfreudigen Bürgers gerichtet. Die öffentliche Verwaltung verhält sich je- doch oft ganz entsprechend, auch im vorliegenden Fall 4 . So prozessierte die Stadt Hamburg über drei Instanzen der ordent- lichen Gerichtsbarkeit bis zum BGH, anstatt, wie angeboten, das Siegel für 6800 D M zu erwerben. Nachdem der Zivilpro- zeß in jeder Instanz (!) verloren worden war, begann man den „Marsch" durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, mit ebenfalls ungewissen Aussichten, wenn auch in der ersten Instanz m i t E r - folg. Mit seit dem 1. 1. 1991 geltendem Recht hat der Gesetzgeber ein vergleichbares Vorgehen für die Zukunft allerdings unterbunden. § 17 II GVG n. F. verpflichtet das Gericht des zulässigen Rechtweges, den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu entscheiden. Wäre die Klage vor den ordentlichen Gerichten also nach dem 1.1. 1991 erhoben worden, hätten die Zivilgerichte sowohl die bürgerlichrechtlichen als auch die öffentlichrechtlichen Anspruchs- grundlagen prüfen müssen 3 . Es liegt ein Klageantrag vor (Herausgabe von Siegel und Beutel), gestützt auf einen Lebenssachverhalt, mithin ein Streitgegenstand \ Einernach rechtskräftigem Abschluß des zivilge- richtlichen Verfahrens erhobenen verwaltungsgerichtlichen Klage wür- de dann der Einwand der Rechtskraft entgegenstehen. Für die Ent- scheidung des VG Köln galt dies hingegen noch nicht. Der BGH hatte sich - entsprechend der früheren Rechtslage - auf die Prüfung zivil- rechtlicher Ansprüche beschränkt . III. Grundinformationen zum Recht der öffentlichen Sachen Im Grundsatz besteht an jedem körperlichen Gegenstand 90 B G B ) , d e r sich in der rechtlichen Verfügungsgewalt des Staates oder eines ^Privaten befindet (also nicht herrenlos ist), privatrechtliches Eigentum. Die Figur des „öffentlichen Eigen- tums" als Rechtsinstitut, welches die Begründung privatrechtli- chen Eigentums ausschließt, kennt die deutsche Rechtsord- nung nur für einige, im vorliegenden Fall nicht einschlägige Sonderbereiche 8 . Vielfach verlangen jedoch besondere Verwal- tungszwecke, vor allem die Gewährung bestimmter Nutzungs- rechte, eine spezielle öffentlichrechtliche Inpflichtnahme des privatrechtlichen Eigentums auch u n d v o r allem der öffentli- chen Hand 9 . Sinnvolle Benutzungsbedingungen können nur dann getroffen werden, wenn v o m B G B abweichende, dort nicht vorgesehene Regelungen gelten 10 . Juristisch erreicht wird dies durch die heute weitgehend anerkannte Konstruk- tion einer besonderen öffentlichrechtlichen Sachherrschaft, was zur Entstehung einer öffentlichen Sache fuhrt. Das private Eigentum wird von einer Art öffentlichrechtlicher Dienstbar- keit überlagert (Theorie des „modifizierten Privateigentums" oder „dualistische Konstruktion") 11 . Der öffentliche Sachherr erhält auf diese Weise ein die Eigentümerbefugnisse verdrän- gendes, dingliches, ^egen jedermann wirkendes Herrschafts- recht an der Sache 1- . Die dualistische Konstruktion ermög- licht es, daß eine öffentliche Sache auch dort geschaffen wer- den kann, wo die einzubeziehenden Ggenstände nicht insge- samt im privatrechtlichen Eigentum der öffentlichen Hand ste- hen. Dies trägt dem Übermaßverbot Rechnung. Das Eigen- tum Privater muß nicht unbedingt entzogen werden, gegebe- nenfalls reicht es aus, es nur insoweit zu belasten, wie es die öf- fentlichen Zwecke fordern 13 . * Urt. v. 20. 3. 1991 - 8 K 4501/89. 1) Vgl. Wassner, FAZ v. 30. 3. 1991, S. 33. 2) HbgDSchG v. 3. 12. 1973, GVB1, 466. Im Grundsatz unterliegen auch „bewegliche Denkmäler" den Regeln des jeweiligen Landesdenkmal- rechts, s. Kleeberg-Eberl, Kulturgüter in Privatbesitz, 1990, Rdnrn. 236ff. in. vv. Nachw. 3) HbgArchivG v. 21. 1. 1991, GVB1, 7. 4) Ein weiteres Beispiel hierzu ist die ebenfalls im öffentlichen Sachen- recht angesiedelte Auseinandersetzung um die St.-Salvator-Kirche in Mün- chen: S. zunächst den Abschluß des zivilgerichtlichen Verfahrens durch Bay- ObLG, BayVBl 1981, 438 ff; dann VG München, BayVBl 1985, 281 ff.; VGHMünchen, BayVBl 1987, 720ff.; BVerwGEZl, 115ff. 5) Thomas-Pntzo, ZPO, 17. Aufl. (1991), § 17 GVG Anm. 3. 6) Vgl. Kopp, VwGO, 8. Aufl. (1989), § 90 Rdnr. 7. § 17 II GVG hindert das Gericht im übrigen nicht daran, bei einer prozessualen Anspruchsinehr- heit für einzelne Ansprüche die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges zu verneinen, s. BGH, NJW 1991, 1686 (1686). 7) BGH, N J W 1990, 899 (901); auch eine teilweise Verweisung an das VG Köln war nicht möglich, s. BGH, aaO, und NJW 1984, 2531 (2533). 8) S. § 4 HbgWegeG v. 4. 4. 1961, GVB1, S. 117, und dazu BVerfGE 42, 20ff, sowie Schack, DVB1 1961, 897ff; § 4a HbgDOG v. 29.4. 1964, GVB1, S. 79; § 4 BadWürttWassG v. 1. 7. 1988, GBl, S. 269; vgl. auch Salz- wedel, in: Erichsen-Martens, Allg. VerwR, 9. Aufl. (1992), § 45 I. 9) S. Bartlsperyer, in: BK, Art. 90 (Zweitbearb. 1969) Rdnr. 28. 10) Kräuter, SachenR des öff. Rechts, 1985, S. 41; Weber, VVDStRL 21 (1964), 145 (149). 11) BVerfGE 42, 20 (34); Steiner, in: Steiner (Hrsg.), Bes. VerwR, 4. Aufl. (1992), S. 632 Rdnr. 21. 12) Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 2. Aufl. (1984), S. 4. 13) Weber, VVDStRL 21 (1964), 145 (171).

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Manssen: Der Hamburger Stadtsiegelfall - VG Köln, NfW 1991, 2584 JuS 1992, Heft 9 745

Wiss. Assistent Dr. Gerrit Manssen, Regensburg

Der Hamburger Stadtsiegelfall -V G Köln, NJW 1991, 2584*

Die Freie und Hansestadt Hamburg (Klägerin) verlangt von der Be­klagten (B), einer Kölner Antiquitätenhändlerin, die Herausgabe eines Handstempels zum Siegeln von Urkunden (Siegeltypar) und des dazu­gehörigen Aurbewahrungbeutels. Bei dem Siegeltypar handelt es sich um das Original des IV. Hamburger Stadtsiegels, das nachweislich be­reits 1306 zum Siegeln einer Urkunde benutzt worden ist. Es wurde 1810 außer Gebrauch gesetzt, jedoch in der Kämmerei unter Ver­schluß gehalten, später in das Stadtarchiv ü b e r n o m m e n und dort inven­tarisiert. Soweit erforderlich, wurde es zur U b e r p ü f u n g der Echtheit von Urkunden herangezogen. 1944 wurde das Archivgut in einen Salz­stock ausgelagert. Nach der Rücküberf l ihrung wurde festgestellt, daß die Kiste, in der das Siegel aufbewahrt wurde, aufgebrochen und das Siegel entwendet worden war. Die B erwarb das Siegel 1986 auf einer Auktion eines Kunsthauses zum Preis von 2107,80 D M . Auftraggeber war ein Ehepaar, welches das Siegel einige Jahre vorher auf einem T r ö ­delmarkt in Braunschweig erworben hatte. B ihrerseits bot Siegel und Beutel 1987 auf einer Messe für 6800 D M zum Verkauf an. Die Stadt Hamburg erhielt dadurch Kenntnis vom Verbleib der Sachen und ver­suchte zunächst im Wege der zivilrechtlichen Herausgabeklage, die G e ­genstände zurückzuerlangen. Der BGH entschied jedoch mit Urteil vom 5. 10. 1989 ( N J W 1990, 899 =JuS 1990, 411 N r . 6 [K. Schmidt]), die ß habe nach § 935 II B G B im Wege einer öffentlichen Versteige­rung gutgläubig Eigentum erworben. Anschließend beschritt die Stadt den Verwaltungsrechtsweg. Das VG Köln gab der Herausgabeklage statt.

I. Einleitung

K u n s t - u n d Antiquitätengegenstände, die heute i n Läden, auf M e s s e n u n d Märkten angeboten werden , s ind nicht selten i n früheren Z e i t e n v o n Hoheitsträgern für öffentliche Z w e c k e verwendet .worden 1 . D i e v o m VG am Be i sp ie l des IV. H a m b u r ­ger Stadtsiegels vertretene Auffassung z u m Verhältnis v o n z i v i l -r echt l i chem E i g e n t u m u n d öffentlicher Sachherrschaft hat des­halb unter Umständen eine nicht unerhebl iche praktische B e ­deutung. Hätte die Stadt H a m b u r g letzt l ich E r f o l g , könnte ihr Beispie l Schule machen, Gegenstände v o n histor ischem Wert , die sich i n B e z u g zur Erfüllung aktueller Verwaltungsaufgaben setzen lassen, nicht zurückzukaufen, sondern zurückzuklagen. D i e (nicht rechtskräftige) E n t s c h e i d u n g des VG Köln verdient aber auch deshalb besondere Beachtung , w e i l die dar in behan­delte Problemat ik gute C h a n c e n hat, z u e i n e m der Schulfälle des öffentlichen Sachenrechts zu werden . D e n n die Lösung ist i m wesent l ichen nach ungeschriebenen R e g e l n des a l lgemei ­nen Verwaltungsrechts zu g e w i n n e n . Das Denkmalschutz - " " oder A r c h i v r e c h t 3 geben der Stadt H a m b u r g e inen Herausga­beanspruch gegen die B n icht .

II. Prozessuales

D e r H a m b u r g e r Stadtsiegelfall ist ebenfalls e in Beitrag z u m T h e m a „Rechtsstaat u n d Rechtswegestaat" . D e r V o r w u r f , Rechtsmit te lmögl ichkei ten bis zuletzt auszuschöpfen, w i r d oft u n d gerne an die Adresse eines angeblich z u prozeßfreudigen Bürgers gerichtet . D i e öffentliche V e r w a l t u n g verhält s ich j e ­d o c h oft ganz entsprechend, auch i m vor l iegenden F a l l 4 . So prozessierte die Stadt H a m b u r g über drei Instanzen der ordent ­l i chen Gerichtsbarkei t bis z u m BGH, anstatt, w i e angeboten, das Siegel für 6800 D M z u erwerben. N a c h d e m der Z i v i l p r o ­zeß in jeder Instanz (!) verloren w o r d e n war, begann m a n den „ M a r s c h " d u r c h die Verwaltungsgerichtsbarkeit , m i t ebenfalls ungewissen Auss ichten, w e n n auch i n der ersten Instanz m i t E r -folg.

M i t seit dem 1. 1. 1991 geltendem Recht hat der Gesetzgeber ein vergleichbares Vorgehen für die Zukunft allerdings unterbunden. § 17 II G V G n. F. verpflichtet das Gericht des zulässigen Rechtweges, den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten

zu entscheiden. W ä r e die Klage vor den ordentlichen Gerichten also nach dem 1.1. 1991 erhoben worden, hätten die Zivilgerichte sowohl die bürgerlichrechtlichen als auch die öffentlichrechtlichen Anspruchs-grundlagen prüfen m ü s s e n 3 . Es liegt ein Klageantrag vor (Herausgabe von Siegel und Beutel), gestützt auf einen Lebenssachverhalt, mithin ein Streitgegenstand \ Einernach rechtskräftigem Abschluß des zivilge­richtlichen Verfahrens erhobenen verwaltungsgerichtlichen Klage w ü r ­de dann der Einwand der Rechtskraft entgegenstehen. Für die Ent­scheidung des VG Köln galt dies hingegen noch nicht. Der BGH hatte sich - entsprechend der früheren Rechtslage - auf die Prüfung zivil­rechtlicher Ansprüche beschränkt .

III. Grundinformationen zum Recht der öffentlichen Sachen

I m Grundsatz besteht an j e d e m körperl ichen Gegenstand (§ 90 B G B ) , der sich i n der recht l ichen Verfügungsgewalt des Staates oder eines ^Privaten befindet (also n icht herrenlos ist), privatrechtl iches E i g e n t u m . D i e F i g u r des „öffentl ichen E i g e n ­t u m s " als Rechts inst i tut , welches die Begründung pr ivatrecht l i ­chen E i g e n t u m s ausschließt, kennt die deutsche R e c h t s o r d ­n u n g nur für einige, i m vorl iegenden Fal l n icht einschlägige S o n d e r b e r e i c h e 8 . V i e l f a c h verlangen j e d o c h besondere V e r w a l ­tungszwecke, v o r a l lem die Gewährung best immter N u t z u n g s ­rechte, eine spezielle öffentlichrechtliche Inpf l i chtnahme des pr ivatrecht l i chen E i g e n t u m s auch u n d v o r a l lem der öffentli­c h e n H a n d 9 . S innvol le B e n u t z u n g s b e d i n g u n g e n können nur dann getroffen werden , w e n n v o m B G B abweichende, dort n icht vorgesehene R e g e l u n g e n g e l t e n 1 0 . Jurist isch erreicht w i r d dies d u r c h die heute wei tgehend anerkannte K o n s t r u k ­t ion e iner besonderen öffentlichrechtlichen Sachherrschaft, was zur E n t s t e h u n g einer öffentlichen Sache fuhrt . Das private E i g e n t u m w i r d v o n einer A r t öffentlichrechtlicher Dienstbar ­keit überlagert ( T h e o r i e des „modifizierten Pr iva te igentums" oder „dualistische K o n s t r u k t i o n " ) 1 1 . D e r öffentliche Sachherr erhält auf diese Weise e in die Eigentümerbefugnisse verdrän­gendes, dingl iches , ^egen j e d e r m a n n wirkendes Herrschafts­recht an der S a c h e 1 - . D i e dualistische K o n s t r u k t i o n e r m ö g ­l icht es, daß eine öffentliche Sache auch dort geschaffen w e r ­den k a n n , w o die e inzubeziehenden Ggenstände nicht insge­samt i m pr ivatrecht l ichen E i g e n t u m der öffentlichen H a n d ste­hen . Dies trägt d e m Übermaßverbot R e c h n u n g . Das E i g e n ­t u m Privater m u ß nicht unbedingt entzogen w e r d e n , gegebe­nenfalls reicht es aus, es nur insoweit zu belasten, w i e es die öf­fent l ichen Z w e c k e fordern 1 3 .

* Urt. v. 20. 3. 1991 - 8 K 4501/89. 1) Vgl. Wassner, F A Z v. 30. 3. 1991, S. 33. 2) HbgDSchG v. 3. 12. 1973, GVB1, 466. Im Grundsatz unterliegen

auch „bewegliche Denkmäler" den Regeln des jeweiligen Landesdenkmal-rechts, s. Kleeberg-Eberl, Kulturgüter in Privatbesitz, 1990, Rdnrn. 236ff. in. vv. Nachw.

3) HbgArchivG v. 21. 1. 1991, GVB1, 7. 4) Ein weiteres Beispiel hierzu ist die ebenfalls im öffentlichen Sachen­

recht angesiedelte Auseinandersetzung um die St.-Salvator-Kirche in Mün­chen: S. zunächst den Abschluß des zivilgerichtlichen Verfahrens durch Bay-ObLG, BayVBl 1981, 438 ff; dann VG München, BayVBl 1985, 281 ff.; VGHMünchen, BayVBl 1987, 720ff.; BVerwGEZl, 115ff.

5) Thomas-Pntzo, Z P O , 17. Aufl. (1991), § 17 G V G Anm. 3. 6) Vgl. Kopp, V w G O , 8. Aufl. (1989), § 90 Rdnr. 7. § 17 II G V G hindert

das Gericht im übrigen nicht daran, bei einer prozessualen Anspruchsinehr-heit für einzelne Ansprüche die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges zu verneinen, s. BGH, NJW 1991, 1686 (1686).

7) BGH, N J W 1990, 899 (901); auch eine teilweise Verweisung an das VG Köln war nicht möglich, s. BGH, aaO, und N J W 1984, 2531 (2533).

8) S. § 4 HbgWegeG v. 4. 4. 1961, GVB1, S. 117, und dazu BVerfGE 42, 20ff, sowie Schack, DVB1 1961, 897ff; § 4a H b g D O G v. 29.4. 1964, GVB1, S. 79; § 4 BadWürttWassG v. 1. 7. 1988, G B l , S. 269; vgl. auch Salz­wedel, in: Erichsen-Martens, Allg. VerwR, 9. Aufl. (1992), § 45 I.

9) S. Bartlsperyer, in: B K , Art. 90 (Zweitbearb. 1969) Rdnr. 28. 10) Kräuter, SachenR des öff. Rechts, 1985, S. 41; Weber, V V D S t R L 21

(1964), 145 (149). 11) BVerfGE 42, 20 (34); Steiner, in: Steiner (Hrsg.), Bes. VerwR, 4. Aufl.

(1992), S. 632 Rdnr. 21. 12) Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 2. Aufl. (1984), S. 4. 13) Weber, V V D S t R L 21 (1964), 145 (171).

746 JuS 1992, Heft 9 Manssen: Der Hamburger Stadtsiegelfall- VG Köln, NJW 1991, 2584

Z u den öffentlichen Sachen gezählt werden vor allem die öffentli­chen Straßen und Gewässer, die Sachen im Anstalts- und Verwaltungs-gebrauch und das Kirchengut öffentlichrechtlicher Religionsgesell­schaften („res sacrae"), nicht hingegen das Finanzvermögen der öffent­lichen Hand . Eine Sache wird durch behördliche oder gesetzliche W i d m u n g zu einer öffentlichen . Zusätzlich wird in der Regel gefor­dert, daß die Sache indienstgestellt sein m u ß \ Ansonsten sei die (be­hördliche) W i d m u n g schwebend unwirksam . Gelegentlich fingie­ren die Gesetze aber auch die W i d m u n g mit erfolgter Indienststellung (etwa in § 2 VI a 1 FStrG).

D i e W i d m u n g entzieht die betroffenen Gegenstände nicht d e m al lgemeinen Rechtsverkehr . E i n e öffentliche Sache kann veräußert, e r w o r b e n oder belastet werden , w i r d also anders als bei öffentl ichrechtl ichem E i g e n t u m keine „res extra c o m m e r c i ­u m 4 ' 1 8 . E i n lastenfreier E r w e r b nach § 9 3 6 u oder eine lasten­freie E r s i t z u n g nach § 945 B G B 2 0 s ind allerdings i m H i n b l i c k auf die öffentl ichrechtl iche Sachherrschaft ausgeschlossen. Höchst unklar u n d umstr i t ten sind aber die R e c h t e , die für den öffentlichen S a c h h e r r n aus der Sachherrschaft gegenüber D r i t ­ten fo lgen. Augenfällig w i r d dies in der D i s k u s s i o n u m das Hausrecht des B e h ö r d e n l e i t e r s 2 1 , es betrifft aber auch andere Fragen, etwa den Herausgabeanspruch, oder Ansprüche auf Schadensersatz oder Unter lassung. Jedenfalls dürfte die A u f f a s ­sung i m V o r d r i n g e n begri f fen sein, daß die öffentl ichrechtl iche Sachherrschaft al lein keine Befugnis beinhaltet, die hieraus re­sultierenden mater ie l len Verpf l i ch tungen D r i t t e r d u r c h Erlaß v o n belastenden Verwaltungsakten d u r c h z u s e t z e n 2 2 . H i e r z u b e ­darf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächt igung, falls sich nicht ausnahmsweise - etwa b e i m Hausrecht des B e h ö r ­denleiters - eine gewohnheitsrecht l iche Befugnis a n n e h m e n l ä ß t 2 3 .

IV. Sachen im Verwaltungsgebrauch als öffentliche Sachen

1. Die tragenden Erwägungen des Urteils des VG Köln

Das Siegeltypar w a r zumindest bis zur E n t w e n d u n g nach heutigen recht l ichen K a t e g o r i e n eine Sache i m Verwal tungsge­b r a u c h 2 4 . W e d e r die Außerdienstsetzung i m Jahr 1810, n o c h die A r c h i v i e r u n g oder A u s l a g e r u n g in den Salzstock, n o c h die E n t w e n d u n g führten z u einer E n t w i d m u n g . D e n n das Siegel war w e i t e r h i n dazu best immt, gegebenenfalls nach W i e d e r e r ­langung zur Prüfung der E c h t h e i t v o n U r k u n d e n , also zur E r ­füllung v o n Verwaltungsaufgaben, herangezogen z u w e r d e n _ r ) .

N a c h Auffassung des VG Köln ist auch eine Sache i m V e r w a l ­tungsgebrauch eine öffentliche Sache mi t besonderer öffent­l i chrecht l icher Sachherrschaft. D i e ß konnte z w a r nach § 935 II B G B gutgläubig E i g e n t u m erwerben (so die rechtskräf­tige Feststellung des BGH). D a § 936 aber keine entsprechende A n w e n d u n g f indet , bl ieb die öffentlichrechtliche Diens tbar ­keit h i e r v o n u n b e r ü h r t 2 6 . D e n entsprechenden R ü c k n a h m e a n ­spruch konnte die Stadt H a m b u r g zwar nidnt d u r c h Erlaß eines Verwaltungsaktes durchsetzen, da es insofern an einer gesetzli­chen G r u n d l a g e m a n g e l t e " 7 . M a t e r i e l l soll er sich j e d o c h u n ­mittelbar aus der besonderen d ingl i chen R e c h t s m a c h t des öf­fentl ichen S a c h h e r r n e r g e b e n 2 8 . D e r sog. Vorbehal t des Geset­zes stehe der A n n a h m e eines solchen A n s p r u c h s n icht entge­gen, denn die W i d m u n g zur öffentlichen Sache stelle ke inen G r u n d r e c h t s e i n g r i f f dar, da die Stadt H a m b u r g selbst E igentü­m e r i n w a r 2 9 . E i n e Verjährung des Anspruchs soll ebenfalls nicht i n Betracht k o m m e n 3 0 .

2. Abweichung von der Rechtsprechung des BVerwG

Z u der durch den H a m b u r g e r Stadtsiegefall aufgeworfenen Problemat ik des Herausgabeanspruchs eines S a c h h e r r n einer Sache i m Verwaltungsgebrauch gegenüber D r i t t e n g ibt es bis­her nur wenige j u d i k a t i v e oder literarische S te l lungnahmen. U m s o auffälliger ist es, daß sich das VG Köln n icht m i t der - so­wei t ersichtl ich e inz igen — einschlägigen E n t s c h e i d u n g des

BVerwG zu dieser Frage b e f a ß t 3 1 . H i e r i n hatte sich das BVerwG m i t e i n e m fehlgeschlagenen Grundstückstausch vertrag z w i ­schen einer pr ivaten Investorin u n d einer G e m e i n d e zu befas­sen. D i e auf R ü c k g a b e des erworbenen Grundstücks verklagte G e m e i n d e hatte h ierauf i h r Rathaus errichtet . Gegenüber d e m auf §§ 812ff . B G B gestützten Herausgabeanspruch ber ie f sie sich u . a. auf die W i d m u n g des Grundstücks zur Öffentlichen Sa­che i m Verwaltungsgebrauch, was ihr ein Besitzrecht einräu­me. Das B VerwG führte demgegenüber aus, eine solche W i d ­m u n g könnte jedenfalls nicht die W i r k u n g haben, daß Drivat-rechtl iche Herausgabeansprüche ausgeschaltet w ü r d e n 3 . U m derartige R e c h t s w i r k u n g e n z u erzeugen, sei eine ausdrückli­che gesetzliche Ermächt igung (wie be i der W i d m u n g einer öf­fent l ichen Straße i m Straßenrecht) n ö t i g 3 3 .

Überträgt man diese Auffassung auf den Hamburger Stadtsiegelfall, stimmt das vom VG Köln gefundene Ergebnis hiermit nicht überein . Rathaus wie Siegel sind Sachen im Verwaltungsgebrauch. Kann eine entsprechende „ W i d m u n g " trotz privatrechtlicher Eigentümerstel ­lung der öffentlichen Hand einen schuldrechtlichen Herausgabean­spruch nicht abwehren (Rathausfall), kann sie erst recht keinen Heraus­gabeanspruch gegen den zivilrechtlichen Eigentümer begründen.

3. Das Siegeltypar ah „öffentliche Sache"

a) Förmliche und nichtförmliche Widmung. D i e entscheidende Weichens te l lung enthält die E n t s c h e i d u n g des VG Köln d u r c h die A n n a h m e , die W i d m u n g zur Sache i m Verwaltungsge­brauch führe z u einer besonderen öffentlichrechtlichen Sach­herrschaft i m S inne der T h e o r i e v o m m o d i f i z i e r t e n P r i v a t e i ­g e n t u m . Das VG Köln geht davon aus, daß alle „öffentlichen Sa­c h e n " d u r c h e inen entsprechenden dualistischen Rechtsstatus gekennzeichnet s ind. „Öffent l iche Sache" ist j e d o c h nichts a n -

14) Ausführlicher Forstlwff, VerwR I, 10. Aufl. (1973), § 2 0 1 ; Papier (o. Fußn. 12), S. 1 ff.; Pappermann-Löhr-Andriske, Recht der öffentlichen Sa­chen, 1987, S. 1.

15) Wolff-Bachof VerwR I, 9. Aufl. (1974), § 56 II; Pappermann-Löhr-An-driskc (o. Fußn. 14), S. 13, HOff. Beispiel für eine behördliche Widmung: § 2 I FStrG. Beispiel für eine gesetzliche Widmung: § 5 WaStrG. S. auch Salzwedel, D Ö V 1963, 241 (244).

16) Kromer (o. Fußn. 10), S. 21; Papier (o. Fußn. 12), S. 36; Wolff-Bachof (o. Fußn. 15), § 5 6 111.

17) So Steiner (o. Fußn. 11), S. 636 Rdnr. 31, für die straßenrechtliche Widmung; Pappermann-Löhr-Andriskc (o. Fußn. 14), S. 15. Vorstellbar ist je­doch auch, daß die öffentlichrechtliche Belastung schon mit der Widmung eintritt und lediglich der Eintritt einiger weiterer Rechtsfolgen wie die Er­öffnung von Nutzungsrechten (z.B. der Gemeingebrauch im Straßenrecht) durch die Indienststellung bedingt ist.

18) BGH, N J W 1990, 899 (900). 19) S. Salzwedel (o. Fußn. 8), § 45 Rdnr. 8. 20) Dazu Hardinghaus, Öffentliche Sachherrschaft und öffentliche Sach-

waltung, 1966, S. 101 f. 21) S. dazu Berg, JuS 1982, 260 (263). 22) BVerwG, D Ö V 1975, 208; Frotscher, VerwArch 62 (1971), 153 (159);

Haas, DVB1 1962, 653 (655); Papier (o. Fußn. 12), S. 74; anders Salzwedel (o. Fußn. 8), § 4 5 Rdnr. 10.

23) So Berg, JuS 1982, 260 (262f); Pappermann-Löhr-Andriske (o. Fußn. 14), S. 165, jeweils m.w. Nachw.

24) VG Köln, N J W 1991, 2584 (2585). Zur historischen Entwicklung des Rechts der öffentlichen Sachen, der an dieser Stelle nicht weiter nachge­gangen werden soll, s. Stern, V V D S t R L 21 (1964), 183 (184ff.).

25) VG Köln, N J W 1991, 2584 (2585): ausf. Axer, N W V B 1 1992, 11 (12).

26) VG Köln, N J W 1991, 2584 (2585). 27) So auch das f^G Hamburg im Verfahren des einstweiligen Rechtsschut­

zes gegen einen entsprechenden Verwaltungsakt der Stadt Hamburg, s. den Hinweis BGH, N J W 1990, 899 (899).

28) VG Köln, N J W 1991, 2584 (2586). 29) VG Köln, N J W 1991, 2584 (2586). 30) VG Köln, N J W 1991, 2584 (2586). 31) BVcm>G, N J W 1980, 2538; s. dazu Papier, }uS 1981, 498ff. 32) BVerwG, N J W 1980, 2538 (2540). 33) BVawG, N J W 1980, 2538 (2540); zust. Papia;)wS 1981, 498 (503). 34) Im Rathausfall des BVerwG lagen allerdings noch einige Besonderhei­

ten vor, die das Ergebnis mit beeinflußt haben. So war die Bebauung des Grundstücks mit dem Rathaus materiell baurechtswidrig, s.BVenvG, N J W 1980, 2538 (2540); insofern läßt sich nicht mit letzter Sicherheit prognosti­zieren, wie das BVerwG entscheiden würde bzw. wird, auch wenn es an den Grundsätzen der Rathaus-Entscheidung festhält.

Manssen: Der Hamburger Stadtsiegelfall - VG Köln, NJW 1991, 2584 JuS 1992, Heft 9 747

deres als eine S a m m e l b e z e i c h n u n g für eine R e i h e höchst i n h o ­mogener V e r m ö g e n s g e g e n s t ä n d e A l l e h i e r z u gezählten G e ­genstände w i e Straßen, Gewässer, Sachen i m Anstalts- oder Verwaltungsgebrauch u n d res sacrae s ind zwar i n irgendeiner Weise „gewidmet" . D a m i t ist j e d o c h n o c h k e i n e inhei t l icher dogmatischer N e n n e r gefunden. D i e W i d m u n g zur Sache i m Verwaltungsgebrauch hat etwa mi t der W i d m u n g z. B . zur öf­fent l ichen Straße (§ 2 1 FStrG) als Paradigma eines R e c h t s a k ­tes, der e inen dualistischen Rechtsstatus begründet, k a u m m e h r als d e n N a m e n gemeinsam.

D i e W i d m u n g einer öffentlichen Straße ist eine A l l g e m e i n ­verfügung nach § 35 S. 2 A l t . 2 u n d 3 V w V f G 3 6 , die öffentlich bekanntgegeben werden muß (§ 2 V I 3 F S t r G , § 41 III 2 V w V f G ) . D e m auch i m öffentlichen Sachenrecht geltenden Publizitätsgrundsatz 3 8 w i r d damit genüge getan, der Rechtsver ­kehr k a n n s ich auf die Belastung der Sache m i t einer öffentl ich­recht l ichen Dienstbarkeit auch ohne E i n t r a g u n g i m G r u n d ­b u c h e i n s t e l l e n 3 \ B e i der „ W i d m u n g " einer Sache i m V e r w a l ­tungsgebrauch handelt es sich h ingegen u m e inen öffentlich­recht l ichen Rechtsakt ohne Verwaltungsaktqualität, e inen ver-wal tungs internen, nicht f o r m g e b u n d e n e n Vorgang . Entspre­chende Anschaf fungen v o n Behörden w e r d e n (schon aus prak­tischen Gründen) i n der R e g e l nicht publ iz ier t . Dies müßte aber mangels einer ausdrücklichen a b w e i c h e n d e n R e g e l u n g w i e i n § 2 V I a 1 F S t r G oder den Fällen gesetzlicher W i d m u n g geschehen. S c h o n § 35 S. 2 i . V. m i t § 41 III 2 V w V f G steht des­halb der Begründung einer besonderen öffentlichrechtlichen Eigenschaft einer Sache i m Verwaltungsgebrauch m i t a l lgemei ­ner d i n g l i c h e r W i r k u n g entgegen. D i e unmittelbare Ä n d e ­r u n g der öffentlichrechtlichen Eigenschaft e iner Sache ver ­langt d e n Erlaß einer Al lgemeinverfügung 4 0 .

Damit soll nicht gesagt sein, daß die nichtförmliche „ W i d m u n g " überhaupt keine Rechtswirkimgen äußert. Sie dient der ordnungsge­mäßen Organisation des Verwaltungsbetriebes und ist Indiz für die G e ­w ä h r u n g des Vollstreckungsschutzes nach § 170 III V w G O . Z u einer besonderen öffentlichrechtlichen Sachherrschaft, also einer dinglichen Befugnis mit Außenwirkung, führt sie jedoch nicht.

b) Die Funktion der Lehre vom modifizierten Privateigentum. B e ­stätigt w i r d die Überlegung, daß an Sachen i m Verwaltungsge­brauch keine besondere öffentlichrechtliche Sachherrschaft be ­steht, w e n n m a n die F u n k t i o n überprüft, die die Lehre v o m m o d i f i z i e r t e n Pr ivate igentum erfüllt. A u f z e i g e n läßt sie sich am besten a m Beispie l des Straßenrechts. E i n e Straße erhält durch die W i d m u n g nach den Straßengesetzen die F u n k t i o n e i ­ner recht l ich öffentlichen Sache. J e d e r m a n n hat (nach Indienst­stellung) v o n Gesetzes wegen das R e c h t auf zulassungs- u n d k o ­stenfreie N u t z u n g z u Z w e c k e n des Verkehrs ( G e m e i n g e ­b r a u c h ) 4 1 . A u f die z iv i l recht l i chen Eigentumsverhältnisse k o m m t es n icht an. D i e Befugnisse des privaten Eigentümers werden verdrängt, soweit dies zur E r r e i c h u n g der straßenrecht­l i chen N u t z u n g s z w e c k e erforderl ich ist. B e i Sachen i m V e r w a l ­tungsgebrauch ( im übrigen auch bei Sachen i m Anstaltsge­brauch) Gesteht hingegen k e i n Anlaß für eine derartige dual is t i ­sche R e c h t s k o n s t r u k t i o n 4 2 . D i e meisten Gegenstände w i e M ö ­bel , Bürogeräte, Bürobedarf etc. e rwirbt die V e r w a l t u n g o h n e ­h i n als privatrechtliches E i g e n t u m . D a m i t die Bediensteten auf einer Schreibmaschine die anfallende K o r r e s p o n d e n z er led i ­gen können, bedarf es keines besonderen öffentlichrechtlichen Sachstatus. A u c h zur Bestandssicherung re ichen die z i v i l r e c h t l i ­chen R e g e l n . Z u m einen sind die meisten Sachen i m V e r w a l ­tungsgebrauch ersetzbar. E i n gutgläubiger E r w e r b bei E n t w e n ­d u n g d u r c h D r i t t e n oder d u r c h Bedienstete scheitert z u d e m i n der R e g e l an § 935 I B G B 4 3 . Was die A b w e h r v o n o b l i g a t o r i ­schen Rückgabeansprüchen, etwa nach A b l a u f eines M i e t ­oder Pachtvertrages betrifft, s ind k a u m Fälle denkbar, i n denen die V e r w a l t u n g derart auf eine best immte Sache angewiesen ist, daß ohne sie eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung

nicht möglich ist. A u c h die Stadt H a m b u r g k a n n i m übrigen die E c h t h e i t v o n U r k u n d e n w o h l auch ohne Besitz des O r i g i ­nalsiegels überprüfen.

c) Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für eine förmliche Widmung. Schließlich ist es zweifelhaft, ob - w i e das VG Köln entgegen d e m BVerwG me in t - für die A n n a h m e einer förmli­chen W i d m u n g m i t der Folge der Begründung eines öffentlich­recht l ichen Sachstatus v o m Erfordernis einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächt igung abgesehen werden k a n n 4 4 . E n t g e ­gen der Auffassung des VG hat eine solche W i d m u n g auch dann Grundrechtsrelevanz, w e n n die z u w i d m e n d e Sache i m privatrecht l ichen E i g e n t u m der öffentlichen H a n d steht. D e n n auf diese Weise werden möglicherweise obl igatorische Ansprü­che w i e i m Rathausfal l des BVerwG vereitelt. A u c h privatrecht­l iche F o r d e r u n g e n unterstehen aber d e m Schutz des A r t . 14 I G G 4 5 . f

E i n weiterer Grund spricht für das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage. Grundsätzlich besteht an Sachen, die die Verwaltung für den Verwaltungsgebrauch anschafft, privatrechtliches Eigentum. Zwar sind die Länder berechtigt, öffentlichrechtliche Sonderregeln einzufüh­ren, die die privatrechtlichen Regeln modifizieren. Das Kodifikations­prinzip des B G B (siehe Art. 1 II, 55, 181, 218 E G B G B ) beschränkt den Landesgesetzgeber nur hinsichtlich des-Erlasses privatrechtlicher Be­stimmungen \ Schon aus Gründen der Rechtsklarheit wird man aber eine Modifikation der Regeln des B G B nur durch oder aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulassen können .

V. Die mögliche Verjährung des Rückgabeanspruchs

/. Die Auffassung des VG Köln

I m m e r h i n i n e i n e m P u n k t kann m a n den Ausführungen des VG Köln z u s t i m m e n . W e n n es so wäre, daß auf d e m Siegelty­par e in besonderer, öffentlichrechtlicher Sachstatus lastete, hät­te die Stadt H a m b u r g e inen Herausgabeanspruch, den m a n ent­weder aus einer A n a l o g i e z u §§ 1027, 1065, 1090 II i . V . mi t § 985 B G B 4 8 oder unmit te lbar aus der d e m S a c h h e r r n verl iehe­nen d i n g l i c h e n R e c h t s m a c h t fo lgern k a n n 4 9 . E i n eventuelles R e c h t des Eigentümers auf A u f h e b u n g der öffentlichrechtli­chen Belas tung wäre j e d o c h als E i n w e n d u n g i m Prozeß m i t z u -berücksichtigen 3 ° .

Z u einfach macht es sich das VG Köln aber mit der Frage der Verjäh­rung. Es schließt aus dem nach Auffassung der Kammer absoluten Vor­rang der öffentlichen Sachherrschaft gegenüber der privaten Eigen­tumslage auf die Unverjährbarkeit von Ansprüchen, die „aus dem Recht der öffentlichen Sachen abgeleitet sind"^ . " Was jedoch der Vor­rang des öffentlichen Sachstatus mit der Frage der Verjährbarkeit von Ansprüchen bei deren Verletzung zu tun haben soll, ist nicht recht er­findlich. D a ß die Verjährung „praktisch zum Untergang der öffentlich-

35) Papier (o. Fußn. 12), S. 1. 36) Steiner (o. Fußn. 11), S. 636 Rdnr. 30. 37) Weitgehend folgt dies auch aus den Straßengesetzen der Länder, es

gibt jedoch auch einzelne, gesetzlich vorgesehene Ausnahmen, s. Steiner (o. Fußn. 11), S. 636 Rdnr. 31 m. Fußn. 52; Kodal-Krämer, StraßenR, 4. Aufl. (1985), S. 200; Papier (o. Fußn. 12), S. 39.

38) Vgl. Wolff-Bachoffp. Fußn. 15), § 56.11 e 3. 39) Ein Beispiel für eine Widmungsverfugung ist abgedr. bei Pappennann-

Uhr- Andriske (o. Fußn. 14), S. 24. 40) So auch Gorniq, Die sachbezogene hoheitliche Maßnahme, 1985, S.

62. 41) Steiner (o. Fußn. 11), S. 666ff. Rdnrn. 95 ff. 42) So auch Krämer (o. Fußn. 10), S. 57 ff. 43) Bedienstete sind lediglich Besitzdiener, s. Frotscher, VerwArch 62

(1977), 153 (155). 44) Für das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage auch Axer, N W V B l

1992, 11 (13). 45) BVerfGE42, 269 (294); 83, 201 (208). 46) BVerfGE 42, 20 (32f.); Bartlsperqer, in: Festschr. f. Faller, 1984, S. 81

(84). 47) Papier, JuS 1981, 498 (503); ders. (o. Fußn. 12), S. 14. 48) Frotscher, VerwArch 62 (1977), 153 (158). 49) VG Köln, N J W 1991, 2584 (2586). 50) Papier, JuS 1981, 498 (503). 51) VG Köln, N J W 1991, 2584 (2586).

748 JuS 1992, Heß 9 Timpe: Nötigende Gewalt durch Unterlassen

rechtlichen Sachherrschaft" führen sol l 3 " , ist zum einen nicht allge­mein richtig. W ü r d e die Stadt die Sache zurückerlangen, könnte sie die Befugnisse hieraus ohne erneute W i d m u n g wieder ausüben, auch wenn der Herausgabeanspruch verjährt wäre. Z u m zweiten ist ein sol­cher „ U n t e r g a n g " die notwendige Konsequenz aus dem Zweck jeder Verjährungsregelung, vor allem im Interesse des Schuldners Rechtsfrie­den und Rechtssicherheit herzustellen " .

2. Die Verjährungöfthnhehrechtlicher Aiisprüchc

a) Die Verjährbarkeit des Anspruchs. A m A n f a n g der Prüfung, ob ein öffentl ichrechtl icher A n s p r u c h verjährt u n d damit ent­weder untergegangen oder, soweit der S c h u l d n e r sich darauf beruft, n icht durchsetzbar i s t n 4 , steht die Frage, ob eine Verjäh­r u n g überhaupt in Betracht k o m m t . Im al lgemeinen w i r d dies nur dann a n g e n o m m e n , w e n n es sich u m einen „vermögens­r e c h t l i c h e n " A n s p r u c h h a n d e l t 1 3 . „Vermögensrecht l ich" ist ein A n s p r u c h dann, w e n n er sich auf G e l d oder geldwerte G e ­genstände r i c h t e t 3 6 . Für den vermögensrechtl ichen Charakter des Herausgabeanspruchs der Stadt H a m b u r g spricht , daß das Siegel a l lgemein für 6800 D M z u m V e r k a u f stand. Z u d e m dient die Beschränkung der Verjährung i m öffentlichen R e c h t auf vermögensrechtl iche Ansprüche dazu, den Behörden nicht den Erlaß einseit ig verbindl icher , hohei t l i cher M a ß n a h m e n u n ­möglich zu m a c h e n 3 7 .

So sind etwa die Ordnungsbehörden i m Grundsatz auch dann z u m Einschrei ten gegen einen p o l i z e i w i d r i g e n Zustand berechtigt, w e n n dieser schon seit m e h r als 30Jahren (vgl. § 195 B G B ) b e s t e h t 3 8 . H o h e i t l i c h e Befugnisse i m H i n b l i c k auf das Siegel hat die Stadt H a m b u r g gegenüber der B aber o h n e ­h in nicht . Insofern spricht der Z w e c k der Beschränkung auf „vermögensrecht l iche" Ansprüche nicht gegen eine Verjähr­barkeit i m vorl iegenden Fal l .

b) Die Bestimmung der Verjährungsfrist. Es existiert keine allge­meine gesetzliche R e g e l u n g der Verjährung i m öffentlichen R e c h t , sondern nur eine R e i h e — allerdings praktisch w i c h t i ­ger - B e s t i m m u n g e n für Sondermater ien (§§ 169ff., 228ff . A O , § 45 S G B A T , § 24 PostG) . Gelegent l i ch enthalten auch die landesrechtl ichen Ausführungsgesetze z u m B G B Verjäh­rungsfristen (siehe etwa A r t . 71 B a y A G B G B ) n 9 . Für Ansprü­che aus öffentlichrechtlicher Sachherrschaft gibt es hingegen keine spezielle R e g e l u n g . In e inem solchen Fall ist nicht (vor­schnell) auf die B e s t i m m u n g e n des B G B zurückzugreifen. V o r ­her ist zu überlegen, ob eine der speziellen öffentlichrechtli­chen Verjährungsfristen analogiefähig i s t 6 0 . E i n e analogiefähi­ge Spezialvorschrift ist j e d o c h nicht ersichtl ich, die genannten B e s t i m m u n g e n betreffen Geldleis tungs- , nicht Herausgabean­sprüche, deshalb ist § 195 B G B analog a n z u w e n d e n 6 1 . D i e B war j e d o c h erst seit 1986 i m Besitz des Siegels. E i n e A n w e n ­d u n g des § 221 B G B fuhrt zunächst nur zur einer „Verlänge­r u n g " bis z u m E r w e r b durch die Rechtsvorgänger der B auf dem Trödelmarkt in Braunschweig . O b das Siegel bis zur U n ­terbrechung der Verjährung nach § 209 I B G B d u r c h z iv i l recht ­l iche Klageerhebung 30 Jahre lang i m Wege e invernehml ichen Besitzerwerbs, also d u r c h Rechtsnachfolge, den Besitzer ge­wechselt ha t 6 " , w i r d sich deshalb k a u m m e h r feststellen lassen. H i e r a n dürfte die B e r u f u n g auf Verjährung scheitern, nicht an der Verjährbarkeit.

VI. Fazit

Im R e c h t der öffentlichen Sachen ist zu unterscheiden z w i ­schen der verwaltungsinternen, nichtförmlichen W i d m u n g u n d der förmlichen W i d m u n g durch Allgememverfügung nach § 35 S. 2 A l t . 2 V w V f G wie i m Straßenrecht. Mangels e i ­ner ausdrücklichen anderweit igen gesetzlichen R e g e l u n g führt nur die f o r m l i c h e W i d m u n g zu einer besonderen öfFent-lichrechtlic.hen Belastung der Sache i m Sinne der Lehre v o m modi f iz ier ten Pr iva te igentum. A m IV. H a m b u r g e r Stadtsiegel besteht schon aus diesem G r u n d e keine öffentlichrechtliche

Sachherrschaft der Stadt H a m b u r g . Für die Begründung einer öffentlichrechtlichen Sachherrschaft an e inem der privaten E i -gentumsordnung unterstehenden Eigentumsgegenstand be­darf es z u d e m einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage . A u c h hieran fehlt es i m vorl iegenden Fal l . D i e B hätte als G e ­genrecht einen A n s p r u c h auf A u f h e b u n g der „ W i d m u n g " . Schließlich ist auch eine Verjährung des Anspruchs nicht per se ausgeschlossen. Ergebnis : D i e Herausgabeklage der Stadt H a m ­burg hätte abgewiesen werden müssen.

52) VG Köln, NJW 1991, 2584 (2586). 53) S. zum Zweck von Verjährungsregelungen Zimmermann, JuS 1984,

409 (410). 54) Zur Erinnerung: Die Wirkung öffentlichrechtlicher Verjiihrungsvor-

schriften ist unterschiedlich. Teilweise (etwa nach 169ff., 228ff. A O oder Art. 71 BayAGBGB) fuhrt die Verjährung zum Erlöschen der Forde­rung, was von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Kegelfall ist aber auch im öffentlichen Recht, daß die Verjährung ein Durchsetzungshindernis dar­stellt, auf das sich der Schuldner berufen muß, vgl. Dan; D Ö V 1984, 12 Oft).

55) Vgl. Dörr, D O V 1984, 12 (14); Lange, Die verwaltungsrechtliche Ver­jährung/ 1984, S. 20 f.

56) Thomas-Putzo (o. Fußn. 5), Einl. A n i i i . fV j . 57) So deutlich Lauge (o. Fußn. 55), S. 21 und S. 70. 58) Lange (o. Fußn. 55), S. 22. 59) Umfangreiche Ubersicht über öffentlichrechtliche Verjiihrungsrege-

lungen bei Dörr, D Ö V 1984, 12 (13f.). 60) BVerwGLV), 227 (233). . 61) Dan, D Ö V 1984, 12 (15). 62) Zu diesem Erfordernis s. Palandt-Hemnihs, BGB, 51. Aufl. (1992),

§ 221 Rdnr. I.