zur geschichte der antitussiva und expektorantien. “beim arzte nicht in gutem rufe”

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„Beim Arzte nicht in gutem Rufe“ [1] Zur Geschichte der Antitussiva und Expektorantien U LRICH MEYER A ngesichts des hohen Stellenwerts dieser Arzneimittel in der Selbstmedikation verblüfft dieser Befund zunächst, indes lassen sich mindestens drei Ursachen benennen: Expektorantien und Antitussiva kommen vor allem bei „Befindlichkeitsstörungen“ zum Einsatz; etliche puristi- sche Pharmakologen attestieren ihnen lediglich eine „um- strittene Wirksamkeit“. Professionelle Pharmaziehisto- riker beschäftigen sich verständlicherweise bevorzugt mit lebensrettenden oder zumindest lebensstilverän- Obwohl die Arzneimittelgeschichte in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Arbeitsgebiet der Pharmaziehistorio- graphie avancierte, ist die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Expektorantien und Antitussiva vergleichs- weise schlecht erforscht. dernden Arzneistoffen wie Penicillin, Cortison oder der „Pille“. Beide Stoffgruppen sind chemisch sehr heterogen [2], viele Präparate waren nur kurzzeitig auf dem Markt und verschwanden ebenso rasch wie unspektakulär aus dem Arzneischatz [3]. Eine echte Ausnahme bildete Clobuti- nol, das nach 46 Jahren äußerst erfolgreichen Einsatzes am 31. August 2007 aus dem Handel genommen wurde [4]: Ein überraschender Schritt, der bis in die Tagespresse hinein viel Aufsehen erregte [5]. Schließlich gibt es – von Sonderfällen wie Knoll und Boehringer Ingelheim/Thomae abgesehen – kaum Un- ternehmen, die sich über längere Zeit und mit besonde- rer Intensität der Entwicklung von Expektorantien und Antitussiva widmeten. Oft fielen diese als Nebenprodukte anderer und wesentlich relevanterer Forschungsrich- tungen (z.B. Analgetika) an, sodass auch Firmenge- schichten meist nur wenig Information zu entnehmen ist. Dem Forschungsstand geschuldet kann dieser Beitrag des- halb nur einige Schlaglichter auf ausgewählte Arzneistoffe werfen. Eine umfängliche Untersuchung z.B. im Rahmen einer pharmaziehistorischen Dissertation bleibt einstwei- len Desiderat. Sie würde an den Bearbeiter hohe Anforde- rungen stellen und den Willen zu einer beinahe enzyklo- pädischen Breite voraussetzen. Codein Nachdem der französische Apotheker Pierre Jean Robiquet (1780-1840) bereits 1817 aus Opium Narcotin isoliert hat- te, entdeckte er 1832 im getrockneten Milchsaft von Pa- paver somniferum Codein. Narcotin, das wie Codein als Antitussivum eingesetzt wird, ist im Opium zu 2 bis 10 % enthalten, was eine wirtschaftliche Gewinnung ermöglicht. Codein hingegen findet sich nur zu 0,2 bis 3,5 % und kann daher nicht zu ökonomisch vertretbaren Bedingungen di- rekt aus Opium gewonnen werden. Vielmehr bedarf es hier einer Partialsynthese aus Morphin, die Albert Knoll (1858- 1952) erstmals im industriellen Maßstab realisierte (Abb. 1). Die Auffindung dieser Synthese erscheint keineswegs zufällig, sondern ist eng mit der wissenschaftlichen und be- ruflichen Biographie Knolls verbunden. Albert Knoll ab- solvierte zunächst ein Lehrjahr in einer Braunschweiger Chi- ninfabrik, um dann 1875 in dieser Stadt das Studium der 450 | Pharm. Unserer Zeit | 6/2008 (37) © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI:10.1002/pauz.200800283 ABB. 1 Albert Knoll, Hans Knoll, Max Daege (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Abbott GmbH & Co. KG aus U. Thomas: Knoll – 100 Jahre im Dienst der Gesundheit 1886-1986; S. 16).

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Page 1: Zur Geschichte der Antitussiva und Expektorantien. “Beim Arzte nicht in gutem Rufe”

„Beim Arzte nicht in gutem Rufe“ [1]

Zur Geschichte der Antitussivaund ExpektorantienULRICH MEYER

Angesichts des hohen Stellenwerts dieser Arzneimittel inder Selbstmedikation verblüfft dieser Befund zunächst,

indes lassen sich mindestens drei Ursachen benennen:• Expektorantien und Antitussiva kommen vor allem bei

„Befindlichkeitsstörungen“ zum Einsatz; etliche puristi-sche Pharmakologen attestieren ihnen lediglich eine „um-strittene Wirksamkeit“. Professionelle Pharmaziehisto-riker beschäftigen sich verständlicherweise bevorzugtmit lebensrettenden oder zumindest lebensstilverän-

Obwohl die Arzneimittelgeschichte in den letzten Jahrzehntenzu einem wichtigen Arbeitsgebiet der Pharmaziehistorio-graphie avancierte, ist die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Expektorantien und Antitussiva vergleichs-weise schlecht erforscht.

dernden Arzneistoffen wie Penicillin, Cortison oder der„Pille“.

• Beide Stoffgruppen sind chemisch sehr heterogen [2],viele Präparate waren nur kurzzeitig auf dem Markt undverschwanden ebenso rasch wie unspektakulär aus demArzneischatz [3]. Eine echte Ausnahme bildete Clobuti-nol, das nach 46 Jahren äußerst erfolgreichen Einsatzesam 31. August 2007 aus dem Handel genommen wurde[4]: Ein überraschender Schritt, der bis in die Tagespressehinein viel Aufsehen erregte [5].

• Schließlich gibt es – von Sonderfällen wie Knoll und Boehringer Ingelheim/Thomae abgesehen – kaum Un-ternehmen, die sich über längere Zeit und mit besonde-rer Intensität der Entwicklung von Expektorantien undAntitussiva widmeten. Oft fielen diese als Nebenprodukteanderer und wesentlich relevanterer Forschungsrich-tungen (z.B. Analgetika) an, sodass auch Firmenge-schichten meist nur wenig Information zu entnehmenist.

Dem Forschungsstand geschuldet kann dieser Beitrag des-halb nur einige Schlaglichter auf ausgewählte Arzneistoffewerfen. Eine umfängliche Untersuchung z.B. im Rahmeneiner pharmaziehistorischen Dissertation bleibt einstwei-len Desiderat. Sie würde an den Bearbeiter hohe Anforde-rungen stellen und den Willen zu einer beinahe enzyklo-pädischen Breite voraussetzen.

CodeinNachdem der französische Apotheker Pierre Jean Robiquet(1780-1840) bereits 1817 aus Opium Narcotin isoliert hat-te, entdeckte er 1832 im getrockneten Milchsaft von Pa-paver somniferum Codein. Narcotin, das wie Codein alsAntitussivum eingesetzt wird, ist im Opium zu 2 bis 10 %enthalten, was eine wirtschaftliche Gewinnung ermöglicht.Codein hingegen findet sich nur zu 0,2 bis 3,5 % und kanndaher nicht zu ökonomisch vertretbaren Bedingungen di-rekt aus Opium gewonnen werden. Vielmehr bedarf es hiereiner Partialsynthese aus Morphin, die Albert Knoll (1858-1952) erstmals im industriellen Maßstab realisierte (Abb. 1).

Die Auffindung dieser Synthese erscheint keineswegszufällig, sondern ist eng mit der wissenschaftlichen und be-ruflichen Biographie Knolls verbunden. Albert Knoll ab-solvierte zunächst ein Lehrjahr in einer Braunschweiger Chi-ninfabrik, um dann 1875 in dieser Stadt das Studium der

450 | Pharm. Unserer Zeit | 6/2008 (37) © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

DOI:10.1002/pauz.200800283

A B B . 1 Albert Knoll, Hans Knoll, Max Daege (Abdruck mit freundlicher Genehmigungder Abbott GmbH & Co. KG aus U. Thomas: Knoll – 100 Jahre im Dienst der Gesundheit1886-1986; S. 16).

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Chemie an der Technischen Hochschule aufzunehmen, woRobert Otto (1837-1907) zu seinen akademischen Lehrernzählte. Dem praxisorientierten Profil einer TechnischenHochschule entsprechend, belegte er auch zwei Semestertechnische Chemie bei Friedrich Ludwig Knapp (1814-1904), der als „Altmeister der chemischen Technologie“gilt. 1877 wechselte Knoll nach Göttingen, hörte u.a. Vor-lesungen bei Friedrich Wöhler (1800-1882) und wurdeschließlich 1878 promoviert. Nach der Promotion war erkurzzeitig als Vorlesungsassistent bei Otto und als Werks-chemiker in einer Steingutfabrik tätig. 1881 trat er in dieDresdner Firma Gehe & Co. ein, die sich damals dem Groß-handel und der galenischen Verarbeitung von Drogen wid-mete. Der Gehe-Inhaber Rudolph August Luboldt (1831-1894), selber Apotheker und Chemiker, war von Knolls Fä-higkeiten so überzeugt, dass er ihm 1885 ein bezahlteseinjähriges „Sabbatical“ in England anbot, verbunden mitder Aussicht bzw. Verpflichtung, danach die gesamte Fa-brikation der Gehe zu leiten. Knoll bat, „von dieser Bin-dung absehen zu dürfen“, und ging auf eigene Faust nachEngland. Er arbeitete in der Firma J.A. Wink & Co. Ltd. inQueensferry, ein Unternehmen, das sich auf die Extraktionvon Opium spezialisiert hatte. Bald nach seiner Rückkehraus England, am 19. März 1886, teilte er seinem Schwagerund früheren Gehe-Arbeitskollegen Max Daege (1853-1941)mit, dass er eine wirtschaftlich rentable Codein-Synthesegefunden habe. Daege kommentierte diese Mitteilung weit-sichtig mit den Worten: „Eine solche Chance kommt ge-wöhnlich nur einmal im Leben!“

Vor dem Hintergrund des im Deutsch-FranzösischenKrieg von 1870/1871 eklatant deutlich gewordenen Sucht-potentials (parenteral applizierten) Morphins schrieb er am23. März an Knoll: „Der Artikel Codein … ist nach allge-meinem Urteil von ganz hervorragend guten Eigenschaftenund, wie Du weißt, bisher nur nicht genug zu erhalten.Wenn der Preis vom Codein erheblich reduziert werdenkönnte, würde das Codein das Morphium großenteils ver-drängen können… Die Erfindung wäre ein wirkliches Ver-dienst um die mediz.-therapeutische Wissenschaft und wür-de auch Deinen Namen sofort bekannt machen.“ Bereits ineinem vorigen Brief hatte er eine ausreichende Kapitalaus-stattung für ein zu begründendes Unternehmen in Aussichtgestellt. „Wenn die Sache nur ‚einigermaßen das’ sei, wür-de er …’mit Vergnügen ein Vermögen dafür geben … undGeld zum ausbeuten ad libitum.’“[6]

Albert Knoll fand seinen enthusiastischen Schwagerzwar „kaltblütig“, gleichzeitig bezeichnete er seine Ein-schätzung aber als „ganz am Platze“.

Gemeinsam mit dem ebenfalls bei Gehe tätigen BruderHans Knoll (1851-1933) nutzten Albert Knoll und Max Dae-ge ohne Zögern die ihnen gebotene einzigartige Chanceund begründeten 1886 in Ludwigshafen die Firma „Knoll &Co. OHG“. Die Firmengründung basierte fundamental aufdem am 7. Juni 1887 erteilten und ab dem 7. August 1886gültigen Reichspatent Nr. 39887, dessen Gegenstand das„Verfahren zur Darstellung von Methylmorphin (Codein)

und Aethylmorphin“ war (Abb. 2). Die Bedeutung dieser Er-findung war nicht nur seinem Schwager, sondern auch ei-nem „Pharmaunternehmen von der anderen Rheinseite“ –es dürfte sich um Boehringer Mannheim gehandelt haben– bewusst. Auf das Angebot eines Patent-Abkaufes reagier-te der 28-jährige Albert Knoll im Spätsommer 1886 ein-deutig: „Ich lehnte aber ab“. [7]

Das von Knoll entwickelte Verfahren zur Methylierungvon Morphin mittels Natrium- oder Kaliummethylsulfat er-möglichte eine Ausbeute von zunächst 70 %. Dank dieserPartialsynthese wurde das im Opium nur als Nebenalkaloidenthaltene Codein für einen breiteren Gebrauch verfügbarund trat „von Ludwigshafen aus seinen Siegeszug über dieganze Erde“ hin an [8].

Zur wissenschaftlichen Untersetzung dieses „Siegeszu-ges“ wandte sich Knoll an den seinerzeit berühmtesten imDeutschen Reich lehrenden Pharmakologen, nämlich Os-wald Schmiedeberg (1838-1921) in Straßburg. Schmiede-berg, ein Schüler des in Dorpat wirkenden Rudolf Buch-heims (1820-1879), gilt zusammen mit seinem Lehrer als Be-gründer der modernen Arzneiwirkungslehre. Allerdingsverwies der viel beschäftigte Schmiedeberg Knoll an einen

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A B B . 2 Patenturkunde des Reichspatents Nr. 39887 „Verfahren zur Darstellung von Methylmorphin (Codein) undAethylmorphin“ (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Abbott GmbH & Co. KG aus U. Thomas: Knoll – 100 Jahre im Dienstder Gesundheit 1886-1986; S. 10).

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Mitarbeiter, den gerade frisch habilitierten Waldemar vonSchröder (1850-1898). Schröder stellte auch den Kontakt zuärztlichen Meinungsbildern wie Josef von Mering (1849-1908) und Albert Fraenkel (1864-1938) her. Von Mering (renommiertdurch seine Hypnotika-Arbeiten) undFraenkel (Begründer der intravenösenStrophantin-Therapie) betonten dievergleichsweise geringe Toxizität desCodeins, was angesichts der Vorbe-halte vieler Ärzte gegenüber dem Mor-phin von Bedeutung war.

1906 wurde die Ausbeute bei derGewinnung des Codeins durch Einsatzeines neuen Methylierungsmittel (Tri-methylphenylammoniumchlorid) aufüber 90 % gesteigert (Abb. 3). Der Ki-lopreis betrug bei der Einführung desCodeins 900 Reichsmark und redu-zierte sich bis 1914 auf ein Drittel! Derschwankende Einkaufspreis des zurPartialsynthese eingesetzten Morphinsblieb allerdings für Knoll (wie auch füralle anderen Hersteller) ein perma-nenter Risikofaktor, der ggf. den Ge-winn beträchtlich verkleinerte oderaber massive Preiserhöhungen desEndprodukts notwendig machte.

Trotz oder vielleicht gerade wegendes großen Erfolgs des Codeins wid-mete man sich bei Knoll weiterhin der Suche nach wirksa-meren und/oder weniger toxischen Morphin-Derivaten. Dieextern an der Technischen Hochschule Karlsruhe bzw. derUniversität Erlangen tätigen Chemiker Aladar Skita (1876-

1953) und Carl Paal (1860-1935) synthetisierten in Koope-ration mit Ludwig Oldenberg eine Vielzahl von Verbindun-gen. Der Heidelberger Professor Rudolf Gottlieb (1864-1924) führte die pharmakologische und der bereits oben er-wähnte Albert Fraenkel die klinische Prüfung durch. Dasetwa 2,5-fach stärker und zudem schneller wirkende Dihy-drocodein kam 1913 als Paracodin® in den Handel (Abb. 4).

Selbst während des Erstens Weltkrieges wurde bei derFirma Knoll auf dem Gebiet der Morphin-Derivate weiter ge-forscht, wobei Patentierung und Markteinführung der auf-gefundenen Wirkstoffe kriegsbedingt zeitlich verzögert er-folgten. 1923 lancierte Knoll Dicodid® (Hydrocodon), dasfünf- bis sechsmal stärker wirkt als Codein, die pharmako-logische Prüfung hatte ebenfalls Gottlieb besorgt. Die Ein-führung erwies sich als „wichtig für die angeschlagene Fi-nanzkraft der Firma“, denn sie „war der erste nennenswer-te zusätzlich Umsatzträger nach dem … Weltkrieg“. [9]

Dionin®

Der Erfolg des Codeins regte natürlich andere Herstelleran, ebenfalls Antitussiva auf Basis von Opium-Alkaloiden inden Handel zu bringen. Da nicht nur die gewöhnliche In-fekt-Bronchitis, sondern auch Tuberkulose und Keuchhus-ten in der Bevölkerung grassierten, lockte hier ein großerund lukrativer Markt. Außerdem fanden Morphin und sei-

ne Derivate vielfach in der Behand-lung von Asthma bronchiale und Pneu-monien Verwendung.

Für die Firma Merck lag die Be-schäftigung mit partialsynthetischenMorphin-Abwandlungen eigentlich aufder Hand, bot doch schon der Fir-mengründer Heinrich Emanuel Merck(1794-1855) Codein, Narcotin, The-bain und Morphin an. Sein SohnGeorg Merck (1825-1873) war nichtnur als Industrieller, sondern auch alsWissenschaftler hervorgetreten: erentdeckte 1848 im Labor Justus vonLiebigs (1803-1873) Papaverin!

Dennoch ging die Initiative aufdem Feld der Partialsynthetika nichtprimär von Merck, sondern von demschon erwähnten Josef von Meringaus, der dem Unternehmen zunächstBenzylmorphin anbot. Laut Vertragvom 17. September 1897 übernahmdie Firma „die fabrikmässige Darstel-lung und betheiligt Herrn Prof. Dr. v.Mering mit 40 % am Reingewinn.“„Die Dauer des Vertrages“ wurde „derDauer des Patentes entsprechend bis

zum 9. April 1911 festgesetzt“ [10].Indes hatte das als Peronin® eingeführte Benzylmorphin

zwei Nachteile, die einen wirklich durchschlagenden Er-folg verhinderten. Es besaß nicht nur den für Alkaloide ty-

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A B B . 3 Apparatur zur Codein-Synthese, Zeichnung von Albert Knoll 1906 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Abbott GmbH & Co. KG aus U. Thomas: Knoll – 100 Jahre im Dienstder Gesundheit 1886-1986; S. 57).

> A B B . 4 Para-codin-Packung (Ab-druck mit freundli-cher Genehmigungder Abbott GmbH &Co. KG aus U. Tho-mas: Knoll – 100Jahre im Dienst derGesundheit 1886-1986; S. 58)

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pischen bitteren, sondern zusätzlich einen scharf brennen-den Geschmack, was die perorale Anwendung beeinträch-tigte. Der parenteralen Applikation stand die mangelndeWasserlöslichkeit des Benzylmorphins entgegen.

Peronin® trat deshalb lange vor Patentablauf in den Hin-tergrund, zumal Josef von Mering auf dem Feld der Mor-phin-Derivate weitergeforscht hatte und Merck eine deut-lich bessere Alternative offerieren konnte. Hierbei handel-te es sich um Aethylmorphin.

Den ganzen, erstaunlich großen Umfang seiner Unter-suchungen legte von Mering in „Merck’s Jahresberichten“als Originalarbeit unter dem Titel „Physiologische und the-rapeutische Untersuchungen über die Wirkungen einigerMorphinderivate“ dar. Die Überlegenheit des Aethylmor-phins war seiner Meinung nach aufgrund von Struktur-Wir-kungs-Beziehungen von vornherein absehbar. Von Meringschrieb: „Dass Dionin (Aethylmorphin), welches bishernoch nicht Gegenstand therapeutischer Prüfungen gewe-sen, sich am Krankenbett in geeigneten Fällen besondersbewähren würde, war übrigens von vornherein anzuneh-men, da das Aethylmorphin dem Methylmorphin (Codein)chemisch sehr nahe steht und erfahrungsgemäss Substan-zen, in denen das Radikal des Aethylalkohols enthalten ist,besser und ausgeprägter wirken, als solche welche das Ra-dikal des Methylalkohols enthalten. In dieser Beziehung seinur an Trional und Dimethylaethylcarbinol (Amylenhydrat)erinnert, welche vor dem Sulfonal resp. Trimethylcarbinolden Vorzug verdienen, weil die beiden erstgenannten

Körper an Stelle einer Methylgruppe ein Aethyl enthalten“.[11]

Über die Verwertung des Dionins® hatten von Meringund Merck am 1. Juli 1898 einen Vertrag abgeschlossen,der – wohl wegen der nur bedingt positiven Erfahrungenmit Peronin® – noch einen Vorbehalt beinhaltete: „Voraus-setzung ist, dass das Aethylmorphin dem Codein analoge Ei-genschaften besitzt und keine Nebenwirkungen äussert, diees dem Codein gegenüber minderwertig erscheinen lässt.“

Von Mering verpflichtete sich, „seine Ansicht von dertherapeutischen Brauchbarkeit des Dionin … durch Veran-lassung zu Veröffentlichungen oder publicistische eigeneArbeiten dieser Art, weiteren ärztlichen Kreisen zugänglichzu machen und die Propaganda dafür in wissenschaftlicherBeziehung mit allen Kräften zu fördern.“ Er werde „daherdafür Sorge tragen, dass bis zum Jahre 1900 wenigstens 5Abhandlungen, enthaltend klinische oder auch pharmako-logische Studien, über dieses Mittel erschienen sind, wel-che das Dionin in günstigem Sinne beurtheilen…“. Auchwerde „Herrn v. MERING die Firma E. MERCK mit seinemRathe bezüglich der Ausführung einer wirksamen Reclameunterstützen“ [12] (Abb. 5-8).

Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war beiden Sei-ten wohl noch nicht bekannt, dass die Farbwerke Bayerebenfalls an einem antitussiv wirkenden Morphin-Derivat ar-beiteten. Es handelte sich um Diacetylmorphin, um dasschon bald ein heftiger publizistischer Streit entbrennensollte. Besser und selbst dem Laien bekannt wurde diese

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A B B . 5 Anzeige aus der „Zeitschrift für ärzt-liche Fortbildung“ 1906 (Merck-Archiv, BestandW 38 /330 Dionin 1904-1971; Abdruck mit freund-licher Genehmigung von Merck Corporate History,Merck KGaA Darmstadt).

A B B . 6 Dionin – Bekämpfung des Hustens –Beilage zur „Münchner Medizinischen Wochen-schrift“ 1913 (Merck-Archiv, Bestand W 38 /330Dionin 1904-1971; Abdruck mit freundlicher Geneh-migung von Merck Corporate History, Merck KGaADarmstadt).

A B B . 7 Dionina – Anzeige Italien 1931 (Merck-Archiv, Bestand W 38 /330 Dionin 1904-1971; Abdruck mit freundlicher Genehmigung von MerckCorporate History, Merck KGaA Darmstadt).

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Verbindung unter ihrem Handelsnamen – dieser lautete Heroin®!

Heroin®

Die Farbenfabriken Bayer hatten – im Unterschied zu Merck– keine Tradition in der Verarbeitung von Opium-Alkaloi-den, sodass Heroin® auf den ersten Blick als Fremdkörperin ihrem Sortiment erscheinen könnte. Indes folgte es in an-derer Hinsicht einer bei Bayer etablierten Entwicklungs-strategie: 1887 hatte das Unternehmen Phenacetin in denHandel gebracht, 1897 folgte ASS. Beiden Arzneistoffen wargemein, dass man einen pharmakologisch aktiven Grund-körper (Aminophenol bzw. Salicylsäure) durch Acetylierungzu verbessern suchte. Dieser Arbeitsrichtung folgend lag esnahe, auch das Morphin zu acetylieren. Allerdings meintenschon kritische Zeitgenossen zu der „ganze(n) Acetylie-rungsmanie“: „Vielfach ging man dabei in völlig mechani-scher und geistloser Weise und viele der berufsmäßigen Er-finder acetylierten lediglich aus Mangel an anderen Ideen…Und das Acetylieren von allen möglichen und unmöglichenSubstanzen nahm seinen Fortgang.“

Tatsächlich war es Felix Hoffmann (1868-1946), der zu-nächst am 10. August 1897 Salicylsäure mittels Essigsäure-anhydrid zu ASS umsetzte und elf Tage später, am 21. Au-

gust 1897 Morphin zu Heroin®. Der ebenfalls an der ASS-Entwicklung beteiligte Mediziner Heinrich Dreser (1860-1924) besorgte die pharmakologische Prüfung an Fischen,Kaninchen und Katzen, über die er 1898 u.a. als einer vondrei Hauptrednern auf der 70. Versammlung der Gesell-schaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Düsseldorf be-richtete. Die klinische Wirksamkeit wurde u.a. an Bayer-Mit-arbeitern geprüft. Der Werksarzt Theobald Floret schrieb inden „Therapeutischen Monatsheften“, „dass das seit etwaeinem halben Jahr in der Poliklinik der Farbenfabriken vonmir verordnete Heroin sich als ein außerordentlich brauch-bares, prompt und zuverlässig wirkendes Mittel zur Be-kämpfung des Hustens zeigte.“ Er therapierte auch sehr jun-ge Patienten: „Aehnlich günstige Erfolge bewirkte das He-roin in 3 Fällen von Keuchhusten. Es handelte sich um 3Kinder in dem Alter von 3, 4 und 8 Jahren, sämtlich im An-fange des zweiten Stadium convulsivum… Von sämtlichenKindern jedoch wurde das Heroin gut vertragen, ohne ei-ne Spur von ungünstigen Nebenwirkungen zu erzeugen.“Der Werksarzt schien von dem Präparat ehrlich überzeugt,denn er berichtete zudem – wie übrigens auch Dreser –über Selbstversuche: „Ich hatte Gelegenheit, an mir selbstdie erstaunlich schnelle und zuverlässige Wirkung des He-roins zu beobachten. Ein hartnäckiger Katarrh der oberenLuftwege erschwerte mir meine Thätigkeit in der Poliklinikbesonders dadurch, dass das viele notwendige Sprechen oftden heftigsten Krampfhusten auslöste, den stets eine He-roingabe von 0,005 zum sofortigen Stillstand brachte, sodaßich in den Stand gesetzt wurde, stundenlang, ohne mehrvon Husten belästigt zu werden, meine Thätigkeit auszu-üben.“

1899, also einige Monate nach Markteinführung, beganneine langjährig anhaltende Debatte „Über die Giftigkeit desHeroins“, die der Hallenser Pharmakologe Erich Harnack(1852-1915) mit einem so betitelten Beitrag in der „Münch-ner Medizinischen Wochenschrift“ eröffnete. Die Zahl derPublikationen zu diesem Thema war beinahe unüber-schaubar (bis 1915 ca. 185 Veröffentlichungen!), doch ver-suchten die „Merck’schen Jahresberichte“, das seinerzeitallgemein anerkannte und viel gelesene Referate-Organ imBereich der Arzneimitteltherapie, dem interessierten Lesereinen Überblick zu bieten. Da Merck aufgrund der zeit-gleich erfolgten Einführung des Dionins® nicht ohne wei-teres als objektiver Berichterstatter gelten konnte, erregteman sich in der „Pharmazeutischen Konferenz“ der Bayer-Werke Anfang November 1900: „Der Merck’sche Jahres-bericht hat die ganzen pharmakologischen Arbeiten, die gegen Heroin erschienen sind, ausgeschlachtet und alle die-jenigen, die zugunsten des Heroins sprechen, unberück-sichtigt gelassen, hingegen eine fünf Seiten lange lobendeBesprechung des Dionins gebracht, ein sehr parteiischesVorgehen“. [13]

Gelehrtenstreit um Heroin®

In dem bei Bayer kritisierten „Jahresbericht“ hieß es: „NachRosin, dessen Versuche sehr zu Ungunsten des Heroins aus-

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A B B . 8 Dionin – wirksamer als Codein – ungiftiger als Morphin – o.J. (es liegt keine exakte Datierung vor; Merck-Archiv, Bestand W 38 /330 Dionin 1904-1971; Abdruck mit freundlicherGenehmigung von Merck Corporate History, Merck KGaA Darm-stadt).

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fielen, sind aber selbst bei sorgfältiger Dosirung des He-roins Nebenwirkungen wie Schwindel, Uebelkeit, Kopf-schmerzen und Erbrechen nicht immer ausgeschlossen…Im Gegensatz zu Dreser betont Harnack unter Hinweis aufdie Versuche von Dott und Stockmann, mit welchen dieResultate seiner Forschung übereinstimmen, dass das He-roin eine schwächende Wirkung auf die Athmung ausübeund giftiger sei als das Morphin. Zu ähnlichen Ergebnissensind auch Santesson, Winternitz und Lewandovsky gelangtund letzterer Autor bemerkt, dass bei Anwendung des He-roins gegen Husten und Dyspnoe zwar das subjective Be-finden gebessert werde, der objective Zustand sich aberverschlechtere, da das Heroin nur die ausgleichende undheilsame Reaction des Organismus beseitige.“ Nach A. Frän-kel sei jedenfalls „das Heroin giftiger als Codein und der Um-stand, dass schon eine sehr geringe Erhöhung der Dosis beiHeroin hinreicht, um die Athmungsgrösse stark herabzu-setzen, illustrirt ... die dem Heroin innewohnenden Gefah-ren“. [14]

Zu diesen Gefahren zählte natürlich auch das Abhän-gigkeitspotential, das erstmals der Bericht für das Jahr 1905aufzeigte: „Dalmady … weist … darauf hin, dass man, umAngewöhnung zu vermeiden, in seinem Gebrauch vorsich-tig sein muss, damit … keine Heroinomanie verursachtwird. Auf die Gefahren der letzteren macht auch P. Sollier… aufmerksam, in dem der Autor darlegt, dass das Heroinabsolut keinen Vorzug vor dem Morphin besitzt und zurBekämpfung der Morphinomanie schon deshalb völlig un-geeignet erscheint, weil die Heroinomanie von schlimme-ren Folgen begleitet sei als der Morphinismus. Ebenso be-richt M. Page, dass Heroin … schwerer zu entwöhnen ist“.[15]

Aus heutiger Sicht ist zu konstatieren, dass die Referatein „Merck’s Jahresberichten“ frühzeitig und weitsichtig aufpotentielle Gefahren aufmerksam machten. Auch wenn dieBerichterstattung zum eigenen Präparat Dionin® durchwegpositiv getönt war, scheint uns die kritischere Darstellungdes Heroins® nicht vordergründigen Konkurrenz-Gesichts-punkten geschuldet zu sein.

PipazetatEin gutes Beispiel für ein im 20. Jahrhundert eher „beiläu-fig“ entwickeltes Antitussivum ist Pipazetat: Der anfangsbreite Einsatz von Phenothiazinen wie Promethazin (Ato-sil®) in der Behandlung allergischer Erkrankungen regte ne-ben der Synthese von Oxo- und Dioxo-Derivaten auch zurEntwicklung von Azaphenothiazinen an. Führend auf die-sem Gebiet war das Chemiewerk Homburg, wo WilhelmSchuler (geb. 1914) und Hans Klebe (geb. 1926) derartigeVerbindungen Anfang der fünfziger Jahre erstmals darstell-ten; diese wurden von Ansgar von Schlichtegroll (geb. 1922)pharmakologisch geprüft.

Die Patentanmeldung erfolgte am 2. Oktober 1954; imMai 1957 wurde der gewünschte rechtliche Schutz gewährt.Resultat dieses Forschungsprogramms war primär das demPromethazin analoge Isothipendyl (Andantol®). Ausgehend

von der einmal gefundenen Leitstruktur gelang es dem Un-ternehmen, weitere Azaphenothiazine für andere Indika-tionen zu entwickeln. Prothipendyl (Dominal®) kam als Se-dativum, Neuroleptikum und gegen Reisekrankheit zum Ein-satz. Letztgenannte Indikation stellte neben verschiedenenFormen des Erbrechens auch das Einsatzgebiet für Oxy-pendyl (Pervetral®) dar. Als wirksames Antitussivum be-währte sich Pipazetat (Transpulmin®, Selvigon®).

Indes gewannen die vom Chemiewerk Homburg, abervon auch anderen Herstellern entwickelten Azaphenothia-zine in der Therapie insgesamt keine herausragende Be-deutung, zumal „gering- bis mittelgradige sedierende Eigenschaften“ dem Ringsystem fast inhärent zu sein schei-nen. Für das Chemiewerk Homburg bzw. dessen Nachfol-gefirma ASTA MEDICA erwiesen sich immerhin Transpul-min®/Selvigon® und Dominal® über Jahrzehnte als in derStoffgruppe vergleichsweise erfolgreiche Präparate [16].

Ambroxol und BromhexinAusgangspunkt für die Entwicklung von Bromhexin warenInhaltsstoffe der in der Ayurveda-Medizin seit Jahrhunder-ten eingesetzten Pflanze Adhatoda vasica. Der bis zu zweiMeter hohe und wohl in Nordindien beheimatete Strauchgehört zur Familie der Acanthaceae. Als Droge verwendetwerden die getrockneten, bis zu 25 cm langen und 8 cmbreiten Blätter. Adhatoda vasica ist in Indien offizinell, kamspätestens 1890 nach Europa, und das deutsche Homöo-pathische Arzneibuch (1934) führte eine Monographie „Jus-ticia Adhatoda“ für einen Auszug aus den frischen Blättern.Positive Erwähnung findet die Droge auch im 1938 er-schienenen „Lehrbuch der biologischen Heilmittel“ vonGerhard Madaus (1890-1942). Traditionell wird Adhatodavasica als Aufguss eingesetzt gegen Bronchitis und Asthma,bei der letzt genannten Indikation auch inhalativ als Zigar-re, also den früher in Europa gebräuchlichen Asthma-Zi-garren auf Basis von Datura-stramonium-Blättern vergleich-bar.

Als wirksame Inhaltsstoffe gelten Chinolizinalkaloide,die mit einem Gehalt von bis zu zwei Prozent enthaltensind. Hauptalkaloid ist das erstmals 1885 isolierte bittereund gut wasserlösliche Vasicin. Dieses Alkaloid löst eine an-haltende Bronchodilatation aus und stimuliert die Atmung.

Vasicin war Anfang der 1960er Jahre Leitstruktur für einbreit angelegtes Synthese-Programm der Firma Thomae, dasJohannes Keck schließlich zum Bromhexin führte. Die Ver-bindung unterscheidet sich vom Vasicin v.a. durch die Öff-nung des Chinolizin-Rings und die Bromierung. Die phar-makologische Prüfung des Bromhexins führte Robert En-gelhorn (1920-2006) im Vergleich zu Emetin und Codeindurch, die Ergebnisse schienen ihm beinahe zu positiv: „AnMäusen und Ratten war … keine Toxizität festzustellen. Eskönnte aus dem Fehlen einer akuten Toxizität (LD50) nachperoraler Zufuhr auf eine Wirkungslosigkeit des Mittels ge-schlossen werden, wenn nicht die expektorierende Wir-kung überwiegend bei derselben Applikationsform nach-gewiesen worden wäre [17].“ Bromhexin kam 1965 als Bio-

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solvon® in den Handel. Nachdem insbesondere am Kanin-chen durchgeführte Studien zur Pharmakokinetik und Bio-transformation ergeben hatten [18], dass Bromhexin in vi-vo demethyliert und hydroxyliert wird, gelangte 1979 derentsprechende Metabolit Ambroxol als Mucosolvan® aufden Markt. Das wiederum von Johannes Keck synthetisier-te Ambroxol gilt hinsichtlich Bioverfügbarkeit, Wirksamkeitund Verträglichkeit der Muttersubstanz Bromhexin überle-gen [19]. Nachdem in der Praxis schon seit Jahrzehnten be-obachtet worden war, dass Ambroxol-haltige Präparate ein„pelziges“ Gefühl hinterlassen, wenn sie länger im Mundverbleiben, belegten 2002 Placebo-kontrollierte Doppel-blind-Studien die lokalanästhetische Potenz des Wirkstof-fes. Seither finden Ambroxol-Lutschtabletten zur Linderungvon Halsschmerzen Verwendung.

Zitierte Literatur [1] Gordonoff, T.: Die Expektoration und die Expektorantien. Archiv der

Pharmazie 271 (1933), 382-387.[2] Lindner, E., Leßenich, H.: Hustenstillende Mittel. In: Ehrhart, G., Ru-

schig, H. (Hrsg.): Arzneimittel – Entwicklung Wirkung Darstellung –Band 3. Verlag Chemie Weinheim (1972), pp. 41-62.

[3] Büchi, J.: Antitussiva. Schweizerische Apotheker Zeitung 100(1962), 881-905.

[4] Kusnick, C.: Arzneimittelsicherheit ist nicht statistisch. DeutscheApotheker Zeitung 147 (2007), 3905.

[5] Kekulé, A.S.: Tödlicher Hustensaft – Der „altbewährte“ WirkstoffClobutinol wurde verboten. Der Tagesspiegel Nr. 19658 (5. Septem-ber 2007), 8.

[6] Thomas, U.: Knoll – 100 Jahre im Dienst der Gesundheit 1886-1986.Eigenverlag Ludwigshafen (1986), p. 13.

[7] Thomas, U.: Knoll – 100 Jahre im Dienst der Gesundheit 1886-1986.Eigenverlag Ludwigshafen (1986), pp. 9-22.

[8] Schenck, G.: Dr. Albert Knoll 90 Jahre alt. Die Pharmazie 3 (1948),383.

[9] Thomas, U.: Knoll – 100 Jahre im Dienst der Gesundheit 1886-1986.Eigenverlag Ludwigshafen (1986), p. 75.

[10] Merck-Archiv, Bestand R 15 / 12, Verträge mit Erfindern, R-Z.[11] E. Merck’s Jahresbericht 12 (1899), 10.[12] Merck-Archiv, Bestand R 15 / 12, Verträge mit Erfindern, R-Z.[13] Michael de Ridder: Heroin – vom Arzneimittel zur Droge. Campus

Verlag Frankfurt am Main/New York (2000), pp. 1-77.[14] E. Merck’s Jahresbericht 13 (1900), 98.[15] E. Merck’s Jahresbericht 19 (1906), 105.[16] Meyer, U.: Steckt eine Allergie dahinter? Die Industrialisierung von

Arzneimittel-Entwicklung, -Herstellung und Vermarktung am Bei-spiel der Antiallergika. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stutt-gart (2002), pp. 160-164.

[17] Engelhorn, R., Püschmann, S.: Pharmakologische Untersuchungüber eine Substanz mit sekretolytischer Wirkung. Arzneimittelfor-schung 13 (1963), 474-480.

[18] Schraven, E., Koss, F.W., Keck, J., Beisenherz, G., Bücheler, A., Lind-ner, W.: Excretion, Isolation and Identification of the Metabolites ofBisolvon®. Eur. J. Pharmacol. 1 (1967), 445-451.

[19] Schneider, E.: Adhatoda vasica – Eine Ayurveda-Droge in der Phyto-therapie. Zeitschrift für Phytotherapie 9 (1988), 29-32.

Der Autor:Dr. Ulrich Meyer (geb. 1965); Studium der Pharma-zie an der Freien Universität Berlin; 1993 Approbati-on als Apotheker; 1993-1996 wissenschaftlicherMitarbeiter der WALA-Heilmittel GmbHEckwälden/Bad Boll; 1996-1999 wissenschaftlicherMitarbeiter am Institut für Pharmazie der Universi-tät Greifswald; Promotion bei Prof. Dr. ChristophFriedrich; seit 2002 Leitung des Ressorts Wissen-schaft der WALA Heilmittel GmbH; 2001-2006 Lehr-auftrag für Geschichte der Pharmazie an der Univer-sität Heidelberg, seit 2007 an der Universität Greifs-wald.

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