zusammenfassung die feinen unterschiede
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Zusammenfassung von Pierre Bourdieus Klassiker "Die feinen Unterschiede"TRANSCRIPT
Zusammenfassung Die feinen Unterschiede
Abstract
Die feinen Unterschiede ist der Klassiker schlechthin von Pierre Bourdieu. Das Werk umfasst die
wesentlichen Punkte und Begriffe der Theorieanlage genauso wie empirisches Material, das diese
Theorie veranschaulicht und aufzeigt.
Mit einer prägnanten, aber natürlich etwas effekthascherischen Formel kann das zentrale
Gedankenkonstrukt des Buches folgendermassen wiedergegeben werden: Habitus * Kapital + Feld =
Praxis (S. 175). In einer grossflächigen empirischen Untersuchung Frankreichs Ende der 1960er
Jahren und in der Triangulation qualitativer und quantitativer Methoden veranschaulicht Bourdieu
die Gesellschaftsstruktur – den sozialen Raum – und deren Lebensstile – der Raum der Lebensstile -,
der diese überlagert. Neben der Verteilung des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals
(letzteres wird kaum berücksichtigt) stellt auch die Zeitdimension eine wichtige Analysekategorie dar.
Es bestehen sogenannte Laufbahnklassen, die sich auch als Klassenfraktionen einzelner Klassen
verstehen lassen. Im Groben lassen sich drei Klassen unterscheiden, die sich durch je spezifische
Geschmacksformen auszeichnen: die herrschende Klasse, die über den legitimen Geschmack verfügt,
die Mittelklasse oder das Kleinbürgertum mit dem prätentiösen Geschmack und die beherrschte
Klasse mit dem Notwendigkeitsgeschmack. Die herrschende Klasse verfügt über die
Legitimationsmacht im Geschmacksbereich und das Kleinbürgertum versucht diese Formen mit
Beflissenheit zu erreichen und kopieren. Jedoch ohne grossen Erfolg, da (grösstenteils unbewusste)
Distinktionen, für immer neue Trennungen im Lebensstil sorgen. Die beherrschte Klasse sieht sich aus
diesem Spiel um den Geschmack weitgehend ausgeschlossen und zeichnet sich durch einen Sinn fürs
praktische und die Funktionalität von Kunstwerken (Inhalt steht über der Form) aus. Jede dieser drei
Klassen weist wiederum interne Differenzierungen auf, die sich vorwiegend in der Verteilung von
ökonomischem und kulturellem Kapital widerspiegeln. So ist die rive gauche der herrschenden Klasse
(Lehrer, Professoren, Beamte im Kulturbereich, Grafiker, Künstler, Autoren etc.) durch viel kulturelles
Kapital und wenig ökonomisches Kapital gekennzeichnet, die rive droite (Unternehmer, Banker,
Ingenieure, Manager etc.) durch viel ökonomisches und wenig kulturelles Kapital. Dementsprechend
unterscheidet sich ihr Lebensstil, ihre soziale Praxis. Ähnliche Differenzierungen lassen sich für das
Kleinbürgertum und die beherrschte Klasse machen. Das Buch beschreibt die einzelnen Klassen,
deren Geschmäcker und Differenzierungen sehr ausführlich im dritten Teil.
Aufteilung des Buches
Das Buch ist drei Teile mit insgesamt acht Kapiteln gegliedert und etwas mehr als 900 Seiten lang.
Hinzu kommen eine Einleitung, ein ausführlicher Schlussteil und der Anhang. Der erste Teil bildet
eine ästhetische Hinführung zum zweiten Teil, wo die zentralen Begriffe des Bourdieu’schen
Denkapparats erläutert werden: zuerst einmal der Habitus, dann die Praxis, das symbolische Kapitel,
Feld, Klasse etc. Teil 1 und dabei gleichzeitig Kapitel 1 ist in zwei relativ lange Abschnitte gegliedert:
1) Bildungsadel, Titel und Legitimitätsnachweis
- Titel
- Legitimitätsnachweis
Der zweite sowohl theoretische als auch empirische Teil behandelt die wichtigsten Ergebnisse in
Form der Korrespondenzanalyse und die Verknüpfung mit den theoretischen Konzepten, die
hinlänglich bekannt sein dürften. Er enthält drei Kapitel:
2) Der Sozialraum und seine Transformationen
3) Der Habitus und der Raum der Lebensstile
4) Die Dynamik der Felder
Der dritte Teil, der vier Kapitel beinhaltet, ist eine empirische Analyse der einzelnen Klassen. Jeder
Klasse wird ein Kapitel eingeräumt. Die Aufteilung in verschiedene Fraktionen und deren Lebensstile
bilden die Inhalte dieses Teils. Im letzten Kapitel wird auf die politische Dimension der sozialen
Realität vewiesen. Die Kapitel sind wie folgt betitelt:
5) Der Sinn für Distinktion (Herrschende Klasse)
6) Bildungsbeflissenheit (Kleinbürgertum)
7) Die Entscheidung für das Notwendige (Beherrschte Klasse)
8) Politik und Bildung
Einleitung
In der Einleitung behandelt Bourdieu die gesellschaftliche Bedingheit des Geschmacks. Die eher
ästhetische und kulturtheoretische Herangehensweise nimmt einiges vorweg, was später im Buch
ausführlich ausgearbeitet wird. Zunächst einmal sagt Bourdieu, dass auch kulturelle Güter einer
Ökonomie unterliegen, die jedoch eigenen Gesetzen gehorcht. Dann kommt der Klappentext, der ja
hinten gelesen werden kann. Kultur soll nicht als übergeordnetes Ganzes, sondern als täglich
konstruierte, sich bis ins kleinste Detail manifestierende Praxis verstanden werden. Empirisch zeigt
sich, dass kulturelle Praktiken (Museums-, Konzert-, Kinobesuche etc.) und kulturelle Präferenzen
(Vorliebe für bestimme Werke) mit der Bildung und (weniger stark) mit der sozialen Herkunft in Form
des Elternhauses korreliert sind. Im Bezug auf die Hochkultur erweist sich die soziale Herkunft als am
stärksten. „Deshalb auch bietet sich Geschmack als bevorzugtes Merkmal von „Klasse“ an“. Die Frage
nach den legitimen Werken bildet vom 17. Jahrhundert bis heute den Gegenstand von Kämpfen
zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen.
Um die Bedeutung eines Kunstwerks zu erfassen, bedarf es einer Decodierung, die von
gesellschaftlicher Prägung und Schulung abhängig ist. Der „reine Blick“, der sein Augenmerk auf die
Form und nicht die Funktion oder den Inhalt eines Werkes legt, stellt jedoch eine geschichtliche
Konstruktion dar, die keineswegs seit eh und je vorhanden ist. Den kulturell Gebildeten gelingt es
besser Kunstwerke einzuordnen, sie mit einer spezifischen Epoche oder einem bestimmten Stil in
Verbindung zu bringen als denjenigen aus den tieferen Klassen, denen solche Bildung nicht
mitgegeben wird. Als Beispiel bringt Bourdieu den „naiven Maler“, der ausserhalb des Feldes und in
Analogie zum naiven Betrachter steht, der nicht in der Lage ist, das Kunstwerk adäquat zu
decodieren. „Der reine Blick schliesst einen Bruch mit dem alltäglichen Verhalten zur Welt ein, der
[...] zugleich einen gesellschaftlichen Bruch darstellt.“
Des Weiteren geht Bourdieu auf die Kant’sche Ästhetik und den Begriff des Geschmacksurteils ein,
dem populäre Urteile über Photographie, Malerei etc. diametral gegenüberstehen. Sie sind eben
nicht interesselos, sondern suchen in den Werken eine Funktion und greifen dabei auf ein „ethisch
fundiertes Normensystem“ zurück.
„Die reine Ästhetik wurzelt in einer Ethik oder besser, in einem Ethos frei gewählter Distanz zu den
Zwängen und Nöte der natürlichen wie sozialen Umwelt.“
Dabei hebt besonders das Vermögen beliebige und vulgäre (hässliche) Gegenstände zu stilisieren und
zu ästhetisieren besonders ab und wirkt distinktiv. „Geschmack klassifiziert – nicht zuletzt den, der
die Klassifikationen vornimmt.“ Deshalb eignet sich Kunst und Kultur hervorragend zur Legitimierung
sozialer Unterschiede.
Bildungsadel: Titel und Legitimitätsnachweis
„Dem Spiel der Bildung und Kultur entgeht keiner!“ So könnte man dieses Kapitel treffend auf den
Punkt bringen. Es enthält freilich viel mehr als das. Zunächst reflektiert Bourdieu die Rolle der
Soziologie bei der Analyse des Geschmacks. Erst wenn man das Gesamtfeld der Positionen in den
Blick nimmt, kann man die Interessen der einzelnen Akteure genauer bestimmen.
Zwei Einflüsse auf die kulturellen Praktiken und Präferenzen sind es, die Bourdieu für zentral hält und
deshalb in den Blick nehmen möchte: die Bildung und die soziale Herkunft. „Je klarer die gemessenen
Kompetenzen durch die Institution Schule anerkannt sind und je stärker die dabei verwendeten
Messtechniken schulischen Kriterien genügen, umso höher ist die Korrelation zwischen Bildungstitel
und Performanz.“ (-> Wissen, Kennen von Künstlern und Regisseuren etc.) Aber auch
ausserschulische kulturelle Praktiken und Kompetenzen, wie Musikinstrumente spielen oder aktiver
Umgang mit bildender Kunst, sind stark bildungsabhängig. Tabelle 1 auf Seite 37 bringt diese Effekte
prägnant auf den Punkt.
„Von allen Produkten, die der Wahl der Konsumenten unterliegen, sind die legitimen Kunstwerke
die am stärksten klassifizierenden und Klasse verleihenden, weil sie nicht nur in ihrer Gesamtheit
distinktiven Charakter tragen, sondern [...] eine endlose Reihe von distinguos zu erzeugen
gestatten.“
Es lassen sich drei Geschmacksdimensionen ausmachen: legitimer Geschmack, mittlerer Geschmack
(prätentiöser Geschmack) und populärer Geschmack (Notwendigkeitsgeschmack). Am distinktivsten
im Bereich der Praktiken sind „Konzertbesuch“ und „Spielen eines vornehmen Instruments“. Eine
besondere Rolle kommt dabei der Musik zu, die die am meisten vergeistigte aller Geisteskünste ist.
Die Stellung von Produzenten im Produkionsfeld und der Konsumenten im sozialen Raum ist durch
Homologie gekennzeichnet (Beispiel Zola und Mallarmé: das Verhältnis der beiden dürfte sich auch in
ähnlicher Form bei den Konsumenten zeigen).
Das Bildungskapital speist sich nicht aus der Schule allein. Nein, auch die Familie trägt dazu bei:
„Vielmehr stellt das Bildungskapital das verbürgte Resultat der einerseits durch die Familie,
andererseits durch die Schule gewährleisteten kulturellen Vermittlung und deren sich kumulierenden
Einflüssen dar.“ Im Gegensatz zu kulturellem Kapital ohne Titel, stellen Bildungspatente
essentialistische Dokumente dar, die dem Träger eine adelsähnliche Weihe im Vergleich mit den
autodidaktischen „Bildungsplebejern“ verleihen. Je höher man in der Bildungshierarchie aufsteigt,
desto legitmierter ist das freie autodidaktische Lernen (es besteht ein gewichtiger Unterschied
zwischen dem hochbewerteten freien Bildung des Trägers von Bildungsprädikaten und der
freiwilligen Bildung des Autodidakten. Bildungstitel (vor allem höhere wie solche der grandes ecoles)
sind zunächst einmal Statustitel.
Die in der Schule erworbenen Kenntnisse der legitimen Kultur werden von den Bildungsbeflissenen
auf andere, weniger legitime Bereich der Kultur übertragen, beispielsweise im Verinnerlichen und
Lernen der Namen von Filmregisseuren.
„ [...] erscheinen die Bildungsprädikate als eine Gewähr dafür, sich eine ästhetische Einstellung zu
eigen machen zu können.“
Im Unterabschnitt über die ästhetische Einstellung wird mit Verweis auf Panofsky nach dem
spezifischen Charakter von Kunstwerken gefragt: Was unterscheidet sie von Alltagsgegenständen?
Wo ist der Übergang? Laut Bourdieu zeichnen sich die Kunstwerke dadurch aus, dass sie den
Anspruch aufweisen eher in Bezug auf ihre Form als auf ihre Funktion betrachtet zu werden. Wenn
die Übergänge aber so fliessend sind, könnte es auch sein, dass die Intention des Künstlers wichtig
ist. Das reicht jedoch nicht aus, denn auch die Intention des Betrachters muss berücksichtigt werden.
Diese unterscheidet sich je nach gesellschaftlichem und historischem Rahmen. Wie bereits in der
Einleitung ersichtlich wurde, ist der „reine Blick“, der heute in der künstlichen Erfahrung so zentral
figuriert, ein historisch neues Phänomen, geht er doch mit der Ausbildung eines autonomen
künstlerischen Feldes einher (-> Die Regeln der Kunst). Er sorgt dafür, dass das Publikum in zwei
Gruppen eingeteilt wird: „die verstehen und die nicht verstehen“. Dementsprechend kann er nur
hinreichend beschrieben werden, wenn man ihm den naiven Blick der nicht Eingeweihten
gegenüberstellt: Diese „Populäre Ästhetik“ behauptet einen „Zusammenhang zwischen Kunst und
Leben“ und äusserst sich u. a. in der Ablehnung formaler Experimente, wie sie in den unteren Klassen
beispielhaft ist. Besonders in Photographie und Film sind solche Urteile gut zu erkennen (Beispiel mit
dem Kohlköpfen, runzligen Händen, happy end...).
Der populären Ästhetik steht die „Ästhetische Distanzierung“ gegenüber, wie sie im Détachemet des
Ästheten zum Ausdruck kommt. Stichworte in diesem Zusammenhang sind „Distanziertheit,
Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit“. In den Reaktionen auf Werke der Malerei zeigt sich diese
Sichtweise in der Ablehnung von Sujets, „für die sich die kleinen Leute gewöhnlich begeistern (wie
Erstkommunion, Sonnenuntergang am Meer, Landschaft)“. Im Gegensatz zur populären Ästhetik
steht die ästhetische Distanzierung der kantianischen Ästhetik und ihrer Interesselosigkeit nahe.
„Kurzum, Kant trifft genau den Geschmack dieser Schichten, wenn er schreibt: Der Geschmack ist
jederzeit noch barbarisch, wo er die Beimischung der Reize und Rührungen zum Wohlgefallen bedarf,
ja wohl gar diese zum Massstabe seines Beifalls macht.“ Die populäre Ästhetik fordert „eine
respektvolle, bescheidene und folgsame Darstellung von Gegenständen, die durch ihre Schönheit wie
ihre gesellschaftliche Bedeutsamkeit dazu prädestiniert sind.“
Häufig zeichnen sich avantgardistische Werke durch symbolische Übertretungen aus, die die „nahezu
perfekte Antithese zum kleinbürgerlichen Moralismus oder zu dem, was Sartre das „Ernsthafte“ der
Revolutionäre nannte“ bilden. Allerdings sind die Definitionen und legitimen Anschauungsweisen von
Kunst Inhalt von Klassenauseinandersetzungen. In der Analyse von Proudhon, der die l’art pour l’art
deutlich ablehnt und eine auf „Wissenschaft, Moral und Gerechtigkeit“ basierende Kunst – letztlich
eine (dogmatisch) erziehende Kunst – fordert, verdeutlicht Bourdieu diese Kämpfe.
Ein Verständnis des Kunstwerks im Sinne der ästhetischen Einstellung erfordert Wissen: zum einen
über den Künstler und seine Geschichte, zum anderen über seinen Katalog und die Kunstwelt als
ganze. „Die ästhetische Einstellung als Vermögen zur Wahrnehmung und Dechiffrierung der
eigentlichen Stilmerkmale ist folglich nicht zu trennen von der eigentlichen künstlerischen
Kompetenz.“ Kriterien wie Epoche, Schule, Ähnlichkeiten, Referenzen etc. spielen hier mit hinein. Sie
(die ä. E.) steht jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern ist von gegenwärtigen wie vergangenen
materiellen Existenzbedingungen abhängig. Der Aufschub und die Suspendierung ökonomischer
Zwänge begünstigen sie. „Sie setzt jene Distanz zur Welt voraus, die das Fundament der bürgerlichen
Welt-Erfahrung ausmacht.“ In ihr sind Leichtigkeit, Ungezwungenheit und Wohlhabenheit fest
verankert.
„Als Bekräftigung der Macht über den domestizierten Zwang beinhaltet der Lebensstil stets den
Anspruch auf die legitime Überlegenheit denen gegenüber, die – da unfähig, in zweckfreiem Luxus
und zur Schau gestellter Verschwendung ihre Verachtung der Kontingenzen geltend zu machen –
von den Interessen und Nöten des Alltags beherrscht bleiben.“
Während sich die ästhetische Einstellung mit ihrer Distanziertheit und (materiellen) Ungebundheit
eine gewisse Selbstsicherheit erlauben kann, zeichnet sich der kleinbürgerliche Geschmack und seine
Realisationen durch Unsicherheit und Furcht sich zu verraten aus. Die Unterschichten sind praktisch
aus den Distinktionsspielen ausgeschlossen und dienen fast nur als Kontrastfolie. „Absicht zur
Distinktion taucht erst auf mit dem kleinbürgerlichen Ästhetizismus. Dessen Definition richtet sich
gegen die ‚Ästhetik‘ der unteren Klassen“
Abgrenzungen finden aber nicht nur zwischen den Klassen statt, sondern am explizitesten oft
zwischen sozial nahestehenden Gruppen, mit denen man sich unmittelbar in Konkurrenz befindet.
Im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels („Legitimitätsnachweis“) geht es zunächst um die
Unterschiede bezüglich sozialer Herkunft bei Kontrolle auf Bildung. Wie unterscheiden sich die
kulturellen Präferenzen zwischen Gleichgebildeten mit unterschiedlicher sozialer Herkunft (d. h.
unterschiedlichem Elternhaus)? In den freien, weniger verschulten Bereichen ist die soziale Herkunft
wichtiger als in den verschulten und gleiches gilt für entsprechende berufliche Bereiche (?). Je mehr
man sich von der klassischen – und damit von der Schule stärker vermittelten – Kunst hin zu den
avantgardistischen Strömungen bewegt, desto stärker spielt die soziale Herkunft mit hinein. Auf
gleichem Schulniveau spielt das Elternhaus kaum eine Rolle bei den klassischen Inhalten, während es
bei den moderneren Formen differenziert. Wie Tabelle 4 auf den Seiten 118 und 119 zeigt, spielt die
Herkunft auf der höchsten Bildungsstufe keine Rolle für die Zahl gekannter Komponisten, für die Zahl
der erkannten Werke dagegen schon. Je tiefere Bildungsniveaus man erreicht, desto stärker fällt der
Unterschied in der Kenntnis der Werke und Komponisten nach sozialer Herkunft aus. Kurz, die soziale
Herkunft differenziert bei den Tiefgebildeten stärker als bei den Hochgebildeten. Die grösste Varianz
der Kenntnisse in Bezug auf soziale Herkunft ist also bei den Tiefgebildeten und bei Fragen zu den
„riskanten“ (neuen, nicht klassischen) Regionen festzustellen. Werke differenzieren tendenziell
stärker als Komponisten.
Welche Mechanismen sind für diese Herkunftseffekte verantwortlich? Wie lassen sich die
Unterschiede bei Kontrolle auf Bildung erklären? Bourdieu sprich das früh in der Kindheit begonnene
Lernen im Schoss der Familie an (frühzeitiges Eingebundensein, Primärsozialisation). Dieses ist durch
Tiefe und Dauerhaftigkeit der Wirkungen (und nicht wie das schulisch vermittelte Wissen durch
Oberflächlichkeit) geprägt. „Es verleiht mit der Gewissheit, im Besitz der kulturellen Legitimität zu
sein, Selbstsicherheit und jene Ungezwungenheit an der man die herausragende Persönlichkeit zu
erkennen meint.“ Die Aneignung geschieht mehrheitlich unbewusst und ist nicht durch
Rationalisierung, sondern durch Inkorporierung geprägt.
Die Verhaltensweisen und das jeweilige Verhältnis zur legitimen Kultur sind Gegenstand
permanenter Auseinandersetzungen. Bourdieu zeichnet den Gegensatz zwischen „Schulmeister (oder
Pedanten) und Weltmann“. Personen aus der herrschenden Klasse, die mit viel kulturellem Kapital
ausgestattet werden, weisen deshalb einen Vorsprung auf, wenn sie in die Schule kommen – und
auch wenn sie nicht in der Schule sind. „Aufgabe vielfältiger gesellschaftlicher Mechanismen aber ist
es, den Zeitabstand zu einem unüberwindlichen Hindernis werden zu lassen.“ Bourdieu zitiert Elias,
der demonstriert hatte, dass die Intellektuellen in Frankreich früher und stärker in die Welt des Hofes
integriert waren als in Deutschland. In Frankreich firmierte sich die Intelligentsia mit dem Hof, in
Deutschland dagegen in Abgrenzung von ihm. Der deutsche Begriff der Kultur steht dabei dem
französischen (und von den Deutschen als seicht bezeichneten) Konzept der Zivilsation gegenüber.
Während das frühzeitige Eingebundensein in der Primärsozialisation eher durch praktisch-affektives
Lernen gekennzeichnet ist und somit den Genuss der legitimen Kultur zu etwas völlig Natürlichem, zu
einer Herzenssache macht, sorgt die Schule mit ihren Regeln für einen verstandesbotenten und
kritischen Zugang, der den Gelehrten hervorbringt. Die erste Form des Zugangs zur legitimen Kultur
wird sodann im nächsten Abschnitt „Die angestammte Welt“ behandelt. „Kein materielles Erbe, das
nicht auch gleichzeitig kulturelles Erbe ist.“ Der ständige Kontakt mit den schönen Dingen, mit
Antiquitätenläden und Galerien sorgt für die Vertrautheit, die so charakteristisch für den gebildeten
Umgang mit Kultur ist. „Was sich derart einstellt, ist ein unmittelbares Verhaftetsein bis hinein in die
Tiefen des Habitus.“ In den alleralltäglichsten Erscheinungen und Entscheidungen manifestiert sich
der Erwerbsmodus am stärksten (Kleidung, Essen...). „Die Umstände etwa eines Möbelkaufs richten
sich nach der sozialen Herkunft wie nach Bildungsgrad.“
Wie schon erwähnt verringert sich der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Geschmack je höher
man in der Bildungshierarchie hinaufsteigt, denn dort wird das explizite Wissen stärker gewichtet als
das implizite. Eine tiefgreifende Analyse der Vererbung kulturellen Kapitals sollte das eigene
kulturelle Kapital mit dem der Eltern in Verbindung bringen und die verschiedenen Ausprägungen,
die das Verhältnis annehmen kann, berücksichtigen (Diagramm 3, Seite 144). Auch die Generation
der Schulabsolventen spielt eine Rolle für die Präferenzen. Bourdieu zeigt dies an zwei
unterschiedlichen Technikergenerationen. „Was den Autodidakten alten Stils im tiefsten
kennzeichnete, war seine Ehrfurcht gegenüber Bildung.“ Die neuen Autodidakten dagegen haben
durch den Schulbesuch ein distanzierteres, ernüchtertes, fast blasiertes Verhältnis zur legitimen
Kultur ausgebildet. Diese neue Schicht lässt sich mit dem Etikett „Gegenkultur“ umschreiben.
Bourdieu versteht sowohl die Schule als auch die Familie als Märkte, die Leistungen aufgrund von
Sanktionen kontrollieren. „Der Erwerb der kulturellen Kompetenz ist mit anderen Worten nicht zu
trennen vom unmerklichen Erwerb eines Gespürs für das richtige Anlegen kultureller Investitionen,
eines Anlage-Sinns, der als Produkt der Anpassung an die objektiven Chancen der Verwertung der
Kompetenz zugleich die vorweggenommene Anpassung an dieses Chancen begünstigt...“ Bourdieu
rekurriert auf die Labeling-Theorie, die auch für die Kultur Gültigkeit habe. Auch der Rang von
Künsten, Werken, Schulen etc. hängt vom Stempel ab, der ihnen aufgedrückt wird (z. B. Verlag,
Publikationsort, Herausgeber, Kritik). „Faktisch entzieht man sich nie ganz der Hierarchie des
Legitimen.“
Im letzten Abschnitt des Kapitels unterscheidet Bourdieu zwei Fraktionen der Bildungsklassen: „Als
Exponenten dieser Kämpfe finden wir auf der einen Seite die Verfechter der schulmässigen Definition
und Erwerbsweise von Bildung, auf der anderen die Verteidiger einer freieren, weniger strikt
schulischem Lernen und schulischer Kontrolle unterworfenen Bildung und eines entsprechend
freieren Verhältnisses zu ihr.“ Analog dazu lassen sich zwei Zugangsweisen zu den Posten des
Spitzenmanagements unterscheiden: einen klassischen (über Ecole de Roche oder Jesuitenkollegs
und renommierte bürgerliche Gymnasien zur juristischen Fakultät oder Sciences Po) und eine neuen
(vom gewöhnlichen Pariser Gymnasium oder Provinzgymnasium zur Ecole Polytechnique). „An dem
einen Pol befinden sich die ENS und die Ecole Polytechnique, an dem anderen Sciences Po und ENA.“
Je nach Feld entfalten Herkunft und Bildung unterschiedliche Wirkungen und Interaktionen. Es wäre
naiv und falsch anzunehmen, überall fiele ihr Effekt gleich aus. „Die Dispositionen des kultivierten
Habitus gewinnen Gestalt, Funktion und Geltung ausschliesslich in einem spezifischen Feld, in der
Beziehung zu einem Feld... Weil die kulturellen Kompetenzen innerhalb von sozialen Feldern
erworben werden, die zugleich als Märkte fungieren und ihnen einen Preis zuteilen, bleiben sie
abhängig von diesem Markt.“
Der Sozialraum und seine Transformationen
In der Weiterführung der vorher gemachten Analysen soll nun eine weitere Abstraktion erreicht
werden. Dies geschieht durch die Einführung wichtiger Begriffe wie Laufbahn, Feld und Habitus.
Bedeutsam ist dabei, dass die den Objekten innewohnenden (symbolischen) Bedeutungen erst im
sozialen Kontext, in der konkreten Verwendung wirksam werden. Erst die Wahrnehmungs-,
Bewertungs- und Handlungsschemata konstitutieren die objektive Nützlichkeit der Objekte im
praktischen Gebrauch.
Mit der Klassenlage gehen spezifische Konditionierungen einher, die sich den Akteuren einschreiben
und als inkorporierte Strukturen ihrerseits strukturierend wirken. Die objektiven Klassen stellen
Ensembles von Akteuren dar, die homogenen Lebensbedingungen unterworfen sind. Wie in „Sozialer
Sinn“ ebenfalls ersichtlich wird ist der Habitus auf zwei Arten strukturiert: einerseits durch
Inkorporierung, andererseits durch Objektivierung und Institutionalisierung (d. h. teilweise juridische
Festsetzung) .
In den feinen Unterschieden werden die sozialen Klassen als Berufsgruppen aufgefasst. Dadurch will
Bourdieu klar machen, dass „die praktischen Handlungen durch ihre Stellung innerhalb der
Produktionsverältnisse determiniert sind“. Neben den offensichtlichen primären Merkmalen, die in
die Klassifizierung eingehen (ÖK, KK...), sollen aber auch sekundäre Kriterien nicht ausser Acht
gelassen werden (z. B. Geschlecht, geographische Verteilung...). Diese bilden einen Komplex von
Nebenmerkmalen. „Noch die unabhängigsten der unabhängigen Variablen verbirgt ein umfassendes
Netz statistischer Relationen, die in der Beziehung zu dieser oder jener Meinung und Praktik
unterschwellig präsent sind.“ Die Klassen lassen sich nicht anhand einiger weniger Merkmale
definieren. Vielmehr sind sie durch Struktur der Beziehungen der einzelnen Variablen charakterisiert:
„Eine soziale Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen
relevanten Merkmalen, die jeder derselben wie den Wirkungen, welche sie auf die Praxisformen
ausübt, ihren spezifischen Wert verleiht.“
Eine solche Konstruktion, die auch die sekundären Merkmale berücksichtigt, erfordert den Bruch mit
der „linearen Denkweise“, denn hinzu kommt auch die Zeitdimension, die sich im Begriff der
„Laufbahnklasse“ (187 ff.) ausdrückt. So sorgt z. B. de Hysteresiseffekt dafür, dass die
Erwerbsbedingungen durch die Dispositionen in Form des Habitus überdauern. Auch das ererbte und
das erworbene Kapital sind in Bezug auf die Zeitdimension zu berücksichtigen. „Einem bestimmten
Umfang ererbten Kapitals entspricht ein Bündel ungefähr gleich wahrscheinlicher, zu ungefähr
gleichwertigen Positionen führender Lebensläufe – das einem Individuum objektiv gegebene
Möglichkeitsfeld.“ Typische Laufbahnen sind dabei konstitutiv für die einzelnen Klassen.
Als „Effekt der sozialen Laufbahn“ wird die Erfahrung gesellschaftlichen Aufstiegs oder Abstiegs
verstanden. Hierbei sind biographische Episoden wie berufliche Umstellung und Anpassung
erklärungsrelevant. Kategorien wie „Aufsteiger“ und „Absteiger“ erlauben eine Einordnung in den
Kontext dieses Begriffs. Es gibt Effekte der individuellen Laufbahn (Karrieren) und Effekte der
kollektiven Laufbahn. Letzterer bleibt eher unbemerkt und betrifft Klassen oder Klassenfraktionen
insgesamt.
„Die spezifische Logik des Feldes – die Logik dessen, was darin im Spiel ist wie die der jeweils
erforderlichen Kapitalsorte – bestimmt diejenigen Merkmale, vermittels deren sich die Beziehung
zwischen Klasse und Praxis herstellt.“
Folglich sind je nach Feld unterschiedliche Kapitalsorten relevant oder „haben Kurs“, wie es Bourdieu
formuliert. Es lassen sich allerdings drei Grunddimensionen des Kapitals festmachen, die die
Gliederung des sozialen Raums zu einem beträchtlichen Teil erklären: Kapitalvolumen,
Kapitalstruktur und zeitliche Entwicklung dieser beiden Grössen (d. h. die vergangene und potentielle
Laufbahn). Im Folgenden schlüsselt Bourdieu diese drei Dimensionen genauer auf. Micht
Kapitalvolumen ist die Gesamtmenge der verfügbaren Ressourcen gemeint, konkret: das
ökonomische, kulturelle und soziale Kapital. Innerhalb der Klassen sorgt die Struktur der Kapitalien
für die Herausschälung von Klassenfraktionen. Aber auch andere Variablen, wie die Zeit-, Geschlechts
oder räumliche Betrachtung sorgen für Spaltungen innerhalb der Klassen. Die herrschende Klasse ist
z. B. ihrerseits in eine herrschende, mit viel ökonomischem aber weniger kulturellem Kapital
ausgestatte Fraktion und eine beherrschte Fraktion, die über viel kulturelles, aber weniger
ökonomisches Kapital verfügt, unterteilen. Die „Frage nach der Rangfolge der
Hierarchierungsprinzipien, d. h. der Wert der Kapitalsorten, stellt einen Gegenstand von Kämpfen
dar.“
Das soziale Kapital wird nur kurz abgehandelt und kommt allenfalls am Rande der Analysen vor. Es
wird definiert als „Kapital an mondänen Beziehungen, die bei Bedarf einen nützlichen Rückhalt
bieten, Kapital an Ehrbarkeit und Ansehen, das in der Regel von allergrösstem Nutzen ist, um das
Vertrauen der guten Gesellschaft und damit der eigenen Kundschaft zu gewinnen und zu erhalten
[...]“.
Die chiastische Struktur, die bei der herrschenden Klasse angetönt wurde, findet sich auch bei der
Mittelklasse. Auf der linken Seite finden sich viele Angehörige der medizinisch-sozialen Berufe und
Kunsthandwerker und Kunsthändler, in der Mitte die mittleren Angestellten, Techniker und
Büroangestellten und auf der rechten Seite mittlere Unternehmer in Industrie und Handel.
Das Kapital ist tendenziell ineinander überführbar und kann nach bestimmten Regeln gewechselt
werden („Postulat von der Konvertierbarkeit der verschiedenen Kapitalsorten“). Somit gestaltet sich
der soziale Raum nicht eindimensional und statisch, sondern vieldimensional und dynamisch.
Ein zentrales grafisches Schema, das den Raum der Lebensstile über den sozialen Raum legt, findet
sich auf Seite 212, 213 (in vereinfachter Form siehe nächste Seite).
Nach der Darlegung dieser Räume folgen empirische Kommentare, die sich auf die Daten der
Umfrage stützen und die Strukturiertheit des sozialen Raums erläutern. Eine zentrale These daraus
lautet, dass auch die ökonomisch dominanten Klassenfraktionen vermehrt auf ihre Bildung achten
müssen und ihr Kapital durch Bildung legitimieren.
Der Habitus und der Raum der Lebensstile
In diesem Kapitel wird das Habituskonzept nochmals erläutert. „Der Habitus ist Erzeugungsprinzip
objektiv klassifizierbarer Formen von Praxis und Klassifikationsprinzip (principium divisionis) dieser
Formen.“ Er umfasst also den Geschmack als Beurteilungsraster (Klassifikationsprinzip) und
gleichzeitig auch die Handlungen, die hervorgebracht werden (klassifizierbare Praxisformen). Diese
beiden Ebenen verschmelzen zu einem System distinktiver Zeichen.
„Der Habitus ist nicht nur strukturierende, die Praxis wie deren Wahrnehmung organisierende
Struktur, sondern auch strukturierte Struktur“
Dabei spielt der Differenzgedanke eine wesentliche Rolle. Durch Abgrenzung, von dem, was man
nicht ist, gewinnt die eigene Position und Identität Kontur. Generiert wird der Habitus über die
Existenzbedingungen, in die die Menschen hineingeboren werden. Eine weitere wichtige Grafik stellt
Diagramm 8 auf Seite 280 dar. Hier wird das Konzept des Habitus anschaulich erklärt. „In den
Eigenschaften, mit denen sich die Einzelnen wir die Gruppen umgeben – Häuser, Möbel, Gemälde,
Bücher, Autos, Spirituosen, Zigaretten, Parfumes, Kleidung – und in den Praktiken, mit denen sie ihr
Anderssein dokumentieren – in sportlichen Bestätigungen, den Spielen, den kulturellen Ablenkungen
– ist Systematik nur, weil sie in der ursprünglichen synthetischen Einheit des Habitus vorliegt, dem
einheitsstiftenden Erzeugungsprinzip aller Formen von Praxis.“
Je höher man sich auf der sozialen Stufenleiter bewegt, desto ausgeprägter fällt die „Stilisierung des
Lebens“ aus. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Geschmack zu: Er „bildet mithin den
praktischen Operator für die Umwandlung der Dinge in distinkte und distinktive Zeichen, der
kontinuierlichen Verteilungen in diskontinuierliche Gegensätze: durch ihn geraten die Unterschiede
aus der physischen Ordnung der Dinge in die symbolische Ordnung signifikanter Unterscheidungen.“
„Der Geschmack bewirkt, dass man hat, was man mag, weil man mag, was man hat, nämlich die
Eigenschaften und Merkmale, die einem de facto zugeteilt und durch Klassifikation de jure
zuegewiesen werden.“
Empirisch lassen sich grob drei Geschmacksformen trennen: der distinguierte Konsum der
ökonomisch und kulturelle Wohlhabenden, der gewöhnliche und vulgäre Konsum der Mittellosen.
Dazwischen liegen die prätentiösen Formen. Auch in der Sprache finden sich diese Unterschiede. So
unterscheidet sich das Drauflos-Reden der breiten Schichten der Bevölkerung eindeutig von der
„hochgradig zensierten Sprache der bourgeoisen Kreise.“ Anschliessend werden am
Nahrungsmittelkonsum die zentralen Geschmacksunterschiede verdeutlicht. Diese Analysen werden
als bekannt vorausgesetzt. Eine schlichte ökonomische Erklärung, die lediglich das Einkommen
berücksichtigt, kann Wandlungsprozesse und Differenzen innerhalb der Klassen nur unzureichend
erklären. Sie vermag zum Beispiel dort, wo gleiches Einkommen mit jeweils vollkommen
andersartigem Konsum einhergeht (Aufstieg eines Vorarbeiters ins Kleinbürgertum, der aber seine
Praktiken beibehält). Erst unter der Berücksichtung der Gesamtheit der sozialen Lage können solche
Phänomene erklärt werden. „Der Geschmack ist amor fati [...], freilich eine unfreiwillige Wahl, durch
Lebensumstände geschaffen, die alles ausser der Entscheidung für den Notwendigkeitsgeschmack als
pure Träumerei ausschliessen.“ Beim Essen vollzieht sich der Bruch zwischen den Gewohnheiten
zwischen der beherrschten Klasse und dem Kleinbürgertum. Bei letzterem ist Masshalten und
Nüchternheit, nicht Nahrhaftigkeit und Bequemlichkeit, angesagt.
Drei Konsumbereiche oder Hauptposten lassen bei der herrschenden Klasse ausmachen:
- Nahrung
- Kultur
- Selbstdarstellung und Repräsentation (Nahrung, Kosmetika, Dienstpersonal...)
Die herrschende (Industrielle, Grosskaufleute) und beherrschte Fraktion unterscheiden sich nach den
Ausgaben für diese Dinge: Erstere geben viel Geld für Nahrung und Speisen sowie für
Selbstdarstellung aus, letztere viel für Kultur. „Der Geschmack für bestimmte Speisen und Getränke
hängt im weiteren sowohl ab vom Körperbild, das innerhalb einer sozialen Klasse herrscht, und von
der Vorstellung über die Folgen einer bestimmten Nahrung für den Körper [...] als auch von den
jeweiligen Kategorien zur Beurteilung dieser Wirkungen.“ Der Körper stellt die unwiderlegbarste
Objektivierung des Klassengeschmacks dar.
Im Gegensatz zur herrschenden Klasse zeichnet sich die beherrschte Klasse in ihren Essgewohnheiten
durch Formlosigkeit und Ungezwungenheit auf. Als Wurzel dieser Handlungsweisen sieht Bourdieu
die Not und Zwänge des alltäglichen Daseins, denen man ohnehin auf Gedeih und Verderb
ausgeliefert ist, so dass man sich in den eigenen vier Wänden nicht auch noch eingrenzen lassen will.
Ähnliche Unterschiede wie bei den Essgewohnheiten finden sich auch bei der Kleidung. Bei der
beherrschten Klasse steht das Zweckmässige und Funktionale im Vordergrund, bei den herrschenden
dagegen die repräsentative formal-schmuckliche Dimension. Die herrschende Klasse zeichnet sich
überdies durch mehr Selbstsicherheit in Bezug auf ihren Körper und ihre Kleidung aus (-> Das
widerspräche eigentlich Duning-Kruger... Hier gäbe es eventuell Anknüpfungspunkte für Recherche
und Lektüre bzw. empirische Literatur).
In einem letzten Teil wird der Sport als Bereich des Raums der Lebensstile analysiert. (Siehe dazu
mehr im Buch selbst: Die Gesamtbereiche der stilistischen Möglichkeiten).
Die Dynamik der Felder
Zunächst werden die Ergebnisse aus dem vorherigen Kapitel zusammengefasst. Es existiert eine
Vielzahl unterschiedlicher Bereiche, in denen Distinktion wirksam wird (Autos, Zeitungen, Urlaub,
Hauseinrichtung, Gartengestaltung...). „Es liegt auf der Hand, welche nahezu unerschöpfliche Fülle an
Möglichkeiten die Gesamtheit dieser Einzelbereiche dem Streben nach Unterscheidung in die Hand
gibt.“
Im Folgenden wird wieder auf die Kunst und Ästhetik eingegangen. Die Aneignung von Kunstwerken
erlaubt symbolischen Gewinn, der sich nach dem Distinktionswert bemisst. Im Abschnitt „Das
Zusammenspiel von Güterproduktion und Geschmacksproduktion“ reflektiert Bourdieu, wie sich
Angebot und Nachfrage im Kunstfeld treffen. Dies geschieht nicht über eine geschickte Antizipation
der Produzenten, sondern über Harmonisierung. „Kurz, die Logik, nach der, wie es heisst, für jeden
Geschmack etwas da ist [...] ergibt sich aus der Übereinstimmung zweier Systeme, die beide auf die
Manifestierung von Unterschieden angelegt sind.“ Das grundlegende Prinzip bildet dabei das Prinzip
funktioneller und struktureller Homologie.
„Der Geschmack paart die Dinge und Menschen, die zueinander passen, die aufeinander
abgestimmt sind, und macht sie einander verwandt.“
Deshalb ist es auch verständlich, dass sich Personen mit ähnlichem Geschmack finden und sich über
die Zeit hinweg angleichen (Stichwort „Akkulturation“ -> siehe die Bilder auf Seite 376). „Liebe ist
auch eine Weise, im anderen das eigene Schicksal zu lieben, sich in seinem eigenen Schicksal geliebt
zu fühlen.“
Im weiteren Verlauf des Kapitels geht es u. a. um die Wohnungseinrichtung. Hier gelten ähnliche
Prinzipien wie für die anderen genannten Bereiche. Die oberen Klassen verfügen dabei über ein
„Gespür für Distinktion“. Sie brauchen sich um ihr Anderssein keine Sorgen zu machen und können
es dementsprechend unbeschwert leben. Auch die Rolle des Kleinbürgers wird angesprochen. Er
fühlt sich unsicher und ständig beobachtet, Widersprüchen ausgesetzt etc. Bourdieu nennt ihn einen
„Mensch des Scheins“. „Dies alles prädisponiert den Kleinbürger zu einem Weltbild in Kategorien von
Wirklichkeit und Schein, und er ist um so geneigter, den Manipulationen und Betrugsmanövern den
geschärften Argwohn seines Ressentiments entgegenzubringen, je stärker er selbst in seinem Ehrgeiz
zurückstecken muss.“
Der Sinn für Distinktion
Im „Sinn für Distinktion“ wird die herrschende Klasse und ihre Fraktionen (empirisch) behandelt. Sie
spaltet sich in zwei Fraktionen: eine herrschende am ökonomischen Pol und eine beherrschte am
kulturellen Pol. Erstere rekrutiert sich aus Unternehmern (bellatores), letztere dagegen aus
Intellektuellen (oratores). Die Position eines Individuums in dieser Klasse hängt wesentlich von
seinem Besitz oder Kapital einerseits und seiner sozialen Herkunft andererseits (Achse 2) ab. Die
Zeitdimension oder der Laufbahneffekt wirkt sich insbesondere über die soziale Herkunft aus. „Dieser
Faktor teilt die Fraktionen sichtlich danach auf, ob ihre Angehörigen aus der Bourgeoisie oder einer
anderen Klasse stammen.“ Hier stehen sich freiberuflich Tätige + Hochschullehrer (häufig aus der
Bourgeioisie) und Ingenieure, staatliche Führungskräfte und Sekundarstufenlehrer (selen aus der
Bourgeoisie) gegenüber. In der Mitte bzgl. Herkunft befinden sich die Lehrer.
Die Fraktionen unterscheiden sich u. a. nach ihrer Aneignungsweise von Kunst. Die herrschende
Fraktion wählt sichere, nicht allzu experimentelle Werte und Klassiker sowie repräsentative Werke
(u. a. höhere Ausgaben fürs Theater), ist aber auch Blockbustern nicht abgeneigt, die beherrschte
dagegen konzentriert sich beim Film auf Klassiker (Bunuel). Ein Grund, warum die herrschende
Fraktion teure und repräsentative Theaterstücke wählt: „Für sie ist der Theterbesuch sowohl Anlass
zu aufwendigen Ausgaben wie zur Demonstration dieser Ausgaben.“ Die Intellektuellen und Künstler
eignen sich dagegen häufig riskante Gegenstände oder Werke an: „Gegenstände, die bereits in
anderen Weise, von anderen Klassen oder Klassenfraktionen als Kunst behandelt worden sind (wie
der Kitsch).“ Ihnen haftet ein asketischer Zug, denn sie geben z. B. relativ wenig Geld für die
grundlegenden Bedürfnisse aus (Nahrung, Essen). Die Unterschiede sind ziemlich einschneidend und
erinnern an zwei Kulturen im ethnologischen Sinn. Er nennt die beiden Geschmacksarten, die sich
gegenüberstehen „Sinn für Luxus“ und „asketischen Aristokratismus“. „Wenn der Geschmack der
ersteren [in diesem Fall zweiteren] nicht immer so weit reicht wie ihre Mittel, so reichen die Mittel
der zweiten fast nie so weit wie ihr Geschmack.“ Auch in ihrer Grundauffassung unterscheiden sich
die beiden Fraktionen: „rosa Brille und Schwarzmalerei, Boulevardtheater und Avantgardebühne,
optimistisches Gesellschaftsbild derer, die keine Probleme haben, und antibürgerlicher Pessimismus
derer, die Probleme haben, materieller Komfort und intellektueller...“ Der linke Pol verlangt von der
Kunst eher Kritik und Entlarvung, der rechte dagegen Eskapismus und Weltabgewandheit. „Die
Bourgeoisie erwartet von der Kunst eine Bestätigung ihrer Selbstgewissheit.“
Neben diesen Differenzen in der Kapitalstruktur ergeben sich auch Altersunterschiede. Bei den
Ingenieuren unterscheiden sich die älteren von den jungen im Geschmack. Erstere verfügen über
einen kleinbürgerlichen, letztere über einen bürgerlichen. Auch bei den Cadres sind interne
Heterogenitäten zu vermerken. „Kurzum, obwohl sich Cadres des privaten und öffentlichen Sektors
hinsichtlich ihrer kulturellen Kompetenz im strengen Sinn (Kenntnis der Komponisten) kaum
unterscheiden, stehen sie in allen Bereichen klar in Gegensatz zueinander, die zu den ethischen
Dispositionen zählen.“ In der Sprache und Körperhaltung zeichnet sich die bürgerliche Distinktion
durch Gelassenheit und Entspanntheit aus, gleichzeitig aber auch durch Gespanntheit: „eine eigene,
nahezu unwahrscheinliche Verbindung völlig entgegengesetzter Verhaltensmuster.“
Bildungsbeflissenheit
In „Bildungsbeflissenheit“ beschreibt Bourdieu die mittlere Klasse. Er teilt sie in verschiedene
Subklassen ein, die er ausführlich beschreibt: das absteigende Kleinbürgertum, das exekutive
Kleinbürgertum, das neue Kleinbürgertum. Auch das etablierte Kleinbürgertum wird erwähnt. Es ist
wohl deckungsgleich mit dem exekutiven Kleinbürgertum. Die drei Formen unterscheiden sich nach
ihrer Lage im sozialen Raum. Das neue Kleinbürgertum („Hedonisten“) liegt am weitesten links, das
exekutive Kleinbürgertum in der Mitte (diese Klassenfraktion entspräche wohl dem, was Otte als
„Aufstiegsorientierte“ bezeichnet) und das absteigende Kleinbürgertum liegt rechts
(„Konventionalisten“).
Das Kleinbürgertum akzeptiert die Bildungsinhalte und die legitime Kultur zwar, kennt sich aber nicht
so gut damit aus. „Das gesamte Verhältnis des Kleinbürgertums zur Kultur lässt sich in gewisser
Weise aus diesem Abstand zwischen wirklicher Kenntnis und spontaner Anerkennung ableiten.“
Bildungseifer oder Bildungsbeflissenheit sind Stichwörter, die diese Gruppe gut umschreiben. Der
kulturelle Konsum dieser Klasse orientiert sich an den leichten Werken der legitimen Kultur.
Insgesamt fällt Bourdieus Beschreibung der Klasse zynisch und schon fast abweisend aus (siehe dazu
den Artikel von Kieserling). „Eine mittlere Kultur gibt es ebenso wenig wie eine mittlere Sprache.
Mittlere Kultur, das ist nicht als die kleinbürgerliche Beziehung zur Kultur: falsche Objektwahl,
Missdeutung, fehlinvestierter Glaube, Allodoxia... gierig-bemühte wie naiv-ernsthafte Fixierung.“
Dann bespricht Bourdieu den „Autodiakt und die Schule“. Der Autodidakt „läuft stets Gefahr,
entweder zuviel oder zu wenig zu wissen.“ Er kennt das Recht Nicht-Bescheid-zu-wissen nicht. Das
Kleinbürgertum zeichnet sich durch Sammellust und Fleiss aus sowie in seiner übertriebenen
Ernsthaftigkeit. „Bildung mit Wissen gleichsetzend, meinen sie, ein Gebildeter sei, wer einen
unermesslichen Schatz an Wissen besässe.“ Ferner sind folgende Attribute charakteristisch für diese
Gruppe: Tendenz zur Überkorrektheit und Rigorismus, Konformismus, strenge Disziplin, Hunger nach
Verhaltensmassstäben und –techniken, Bildungseifer, Sparsamkeit, Verzicht, Eifer, Dankbarkeit,
Fleiss und Ernst. „Der Kleinbürger ist ein Proletarier, der sich klein macht, um Bürger zu werden.“
Zur Gruppe des absteigenden Bürgertums1 gehören Handwerker und kleine Kaufleute. Ihre Zahl ist
am sinken. Diese Leute sind im Durchschnitt relativ alt und ungebildet und zeigen in ihren
Einstellungen regressive Tendenzen. „Neigungen zum modernen Lebensstil oder zu Bequemlichkeit
scheinen ihnen lasche Selbstaufgabe.“ Ihre Lebensläufe sind relativ stabil und häufig übernehmen sie
den Beruf ihres Vaters. Modernismus und künstlerischen Ausdruck weisen sie zurück. „Vor allem
aber stellt sich jene Ästhetik in Gegensatz zum ungezwungenen Geschmack der neuen Kleinbürger
mit ihren auffälligen Modeneuheiten aus avantgardistischen Boutiquen und Unisex-Haarstudios.“
1 Bei Otte (2004) wäre das die Gruppe der Konventionalisten.
Das exekutive Kleinbürgertum entspricht der Mitte der Gesellschaft oder den „Aufstiegsorientierten“
bei Otte (2004). Es stellt die perfekteste Verwirklichung des Kleinbürgers dar: „Kult autodidaktischer
Strebsamkeit und den Geschmack an allen Tätigkeiten, die (wie Sammlungen zum Beispiel) ein
bedeutendes Mass an Zeit und Bildung beanspruchen.“ In dieser Klassenfraktion sind die
Altersunterschiede besonders bemerkenswert. Die älteren zeichnen sich durch regressiven
Konservatismus aus, die jüngeren dagegen durch Fortschrittsglauben. Typische Berufssparten für das
Kleinbürgertum sind mittlere Führungskräfte und Büroangestellte. Ihre Präferenzen gehen auf
typisch durchschnittliche Werke wie Säbeltanz oder Utrillo. Ihr Imperativ ist derjenige des
Aufsteigens. „Auf Strategien verwiesen, die mehrere Generationen umspannen, weil der Abstand
zwischen Start und Ziel ein Menschenleben übergreift, verschiebt dieser Kleinbürger Freude und
Gegenwart auf später, wenn wir Zeit haben, wenn wir nicht mehr abzuzahlen brauchen, wenn wir
fertig sind mit dem Studium, wenn die Kinder grösser sind, oder wenn wir in Pension gegangen sind.
Und das heisst oft genug: wenn es zu spät sein wird, wenn man sein Leben als Kredit verwirtschaftet
und keine Zeit mehr haben wird, den Ertrag einzustreichen, und wenn es dann, wie es heisst, gilt,
seine Ansprüche zurückzuschrauben, oder, besser noch, sie aufzugeben.“
Das neue Kleinbürgertum schliesslich rekrutiert sich v. a. aus den neuen Dienstleistungsberufen. Es
handelt sich um Positionen, „die keine Garantie geben, aber auch keine verlangen.“ Von den drei
Klassenfraktionen des Kleinbürgertums ist diese am besten mit kulturellem Kapital ausgestattet. Oft
stammen die Angehörigen der Gruppe herkunftsmässig aus der herrschenden Klasse und verfügen
deswegen über bedeutendes soziales Kapital. „Das neue Kleinbürgertum findet seinen vollendetsten
Ausdruck in den Verkaufs- und Vertreterberufen (Handels- und Werbeagenten, Spezialisten für Public
Relations, für Mode und Inneneinrichtung usw.). In den letzten Jahren (also während der Verfassung
des Buches in den 1970er Jahren) hat die Fraktion ein starkes Wachstum erlebt. Weil die neuen
Berufe in ihrem Charakter un(ter)bestimmt sind, kommt es zu Heterogenitäten in den Laufbahnen
der Angehörigen des neuen Kleinbürgertums. Die Fraktion ist mehrheitlich weiblich geprägt und
kulturell eher in Richtung Avantgarde und neue Kunstformen orientiert. „Oft aber importieren sie in
diese von der Schulinstitution vernachlässigten Regionen eine gebildete, ja gelehrte Einstellung, die
der Schule selbst nicht fremd ist, und die sich offenkundig von der Absicht nährt, sich zu
rehabilitieren – ganz analog den Restaurationsstrategien, die ihr berufliches Projekt konstitutieren.“
Sie zeichnen sich durch ein spezielles Interesse für psychologische Fragestellungen, Kurse,
Workshops etc. aus und sind mehrheitlich auf die Stadt (Paris) angewiesen um ihren Lebensstil
entfalten zu können. Typisch für diese Gruppe ist der kulturelle Bluff, womit sie den repressiven
Einstellungen des absteigenden Kleinbürgertums gegenüberstehen.
Die Entscheidung für das Notwendige
Dieses Kapitel behandelt die beherrschte Klasse, die sich durch ihren Notwendigkeitsgeschmack
auszeichnet. In ihr fehlt es am Notwendigen, so dass sie kaum einen eigenständigen Geschmack
ausbilden können, höchstens einen Notgeschmack. „Die Grundthese, wonach der Habitus eine aus
Not entstandene Tugend ist, lässt sich nirgends so deutlich nachvollziehen wie am Beispiel der
unteren Klassen, stellt Not für sie doch alles dar, was sich üblicherweise mit diesem Wort verbindet,
nämlich dass es unvermeidlicherweise am Notwendigen fehlt.“ Den Angehörigen dieser Klasse fehlt
es an einer realistischen Einschätzung des Bedürfnissystems der privilegierten Klasse. Die Haltung der
unteren Klassen ist eine des Pragmatismus und der Ablehnung formaler und stilistischer
Experimente, die es als sinnlos und läppisch zurückweist. In der Wahl der Kleider oder in der
Einrichtung der Wohnung manifestiert sich der Notgeschmack durch Fehlen von Schmuck und
(Vorhandensein von) Funktionalität. „Doppelte Vorsicht bei der Wahl der Kleidung, die zugleich
schlicht, d. h. so wenig ausgefallen wie möglich und günstig, d. h. ebenso preiswert wie haltbar sein
soll, drängt sich als vernünftigste Strategie auf.“ Damit ist die beherrschte Klasse aus sozialem Zwang
heraus zu einem einfachen und bescheidenen Geschmack verurteilt. Hieraus erklärt sich die häufige
Vorliebe für kitischigen und bunten Ramsch, der mit möglichst wenig Einsatz (=Geld) möglichst viel
Wirkung erzielen soll. „Der ausserordentliche Realismus der unteren Klassen findet seine wohl beste
Begründung in dem unerbittlichen Gebot, das die Homogenität dieses unmittelbar erfahrenen
sozialen Universums durch seine Geschlossenheit verhängt: nur die bestehende Sprache, nur der
bestehende Lebensstil, nur die bestehenden Affinitäten sind zulässig.“ Bei den Essgewohnheiten
bevorzugen die Angehörigen dieser Klasse herzhafte und deftige Speisen. Physische Kraft und
Körperlichkeit werden hoch bewertet.
„Die Anpassung an eine Stellung, in der man unterdrückt ist, impliziert ein Akzeptieren dieser
Unterdrückung.“ Hier geht Bourdieu auf den Aspekt der symbolischen Gewalt ein (Abschnitt
„Herrschaftseffekte“). Durch die Produkte der Massenkultur (Sport, Bücher, CDs, Fernsehen) wird
diese Fügung gefördert oder gar erzeugt. Die beherrschte Klasse zeichnet sich ferner durch einen
„realistischen (und nicht resignierten) Hedonismus und einen skeptischen (aber nicht zynischen)
Materialismus“ aus.
Politik und Bildung
Dieses letzte Kapitel werde ich nicht en Detail besprechen, schliesslich habe ich es (bis jetzt noch)
nicht gelesen.
Schluss: Klassen und Klassifizierungen
Im Schlussteil geht Bourdieu auf die Klassifikationsakte der Akteure ein, also auf die vorwiegend
symbolische Dimension sozialer Ungleichheit. Der Geschmack lenkt die Individuen mit der jeweiligen
Position zu den für sie passenden Handlungen, Aktivitäten und Güter. „Die vom Soziologen
klassifizierten sozialen Akteure sind mithin Produzenten nicht nur von klassifizierbaren, sondern auch
von klassifizierenden Akten, die ihrerseits klassifiziert sind.“ Zwischen die soziale Lage und die
Praxisformen schiebt sich die strukturierende Tätigkeit der Akteure (Habitus). Es handelt sich dabei
um inkorporierte Schemata, „die im Verlauf der kollektiven Geschichte ausgebildet und vom
Individuum in seiner je eigenen Geschichte erworben, sowohl in praxi wie für die Praxis
funktionieren.“
Die Sozialwissenschaft sollte stets bedenken, dass die Individuen ihrerseits konstruierende Akte
vornehmen, also als Konstrukteure der sozialen Welt fungieren. Obwohl gewisse Ansätze in der
Soziologie dies tun (d. h. das gerade Beschrieben nicht vergessen), wirft Bourdieu ihnen – d. h.
insbesondere der Ethnomethodologie und dem symbolischen Interaktionismus – vor, dass sie
kognitivistisch seien. Sie vergessen oder vernachlässigen die sozialen Bedingungen, die die
Konstruktionen ermöglichen oder zumindest beeinflussen. „Die von den sozialen Akteuren im
praktischen Erkennen der sozialen Welt eingesetzten kognitiven Strukturen sind inkorporierte soziale
Strukturen.“ Anhand von gesellschaftlich konnotierten Gegensatzpaaren (hoch – tief, fein – grob,
leicht – schwer, besonders aber: Elite - Masse) veranschaulicht Bourdieu, dass Akteure der gleichen
Gesellschaft über einen „gemeinsamen Stamm von grundlegenden Wahrnehmungsmustern“
verfügen. „Dass diese scheinbar formalen Gegensätze der sozialen Mythologie eine derartige
ideologische Wirksamkeit entfalten können, verdanken sie stets noch der Tatsache, dass sie mehr
oder weniger diskret auf die fundamentalsten Gegensätze der sozialen Ordnung bezogen sind.“ Nicht
vergessen werde sollte bei diesen Gegensatzpaaren der Zusammenhang (univers de discours), in dem
sie auftauchen oder vorkommen.
Durch die Verinnerlichung über Sozialisation werden die angedeuteten symbolischen Muster Teil des
(Alltags)Handelns der Individuen. Es entsteht ein Sinn für Grenzen oder sense of one’s place, „der
ausschliessen lässt, was einen selbst ausschliesst. Dem Sinn für Grenzen eignet das Vergessen der
Grenzen.“ Somit lehnt man das ab, wozu man ohnehin keinen Zugang hat („das ist nichts für uns“),
gibt sich mit dem Aufgezwungenen zufrieden etc., kurz: Man verhält sich standesgemäss. „Die
praktische Zuschreibung, kraft deren man eine Person dadurch einer Klasse zuweist, dass man sich
ihr in bestimmter Weise zuwendet, hat nichts mit einem intellektuellen Verfahren zu tun.“ Allerdings
hängt die Auffassung des Klassifikationssystems seinerseits von der Stellung ab, die man in diesem
System innehat. Laut Leibniz sind wir in 3 Viertel unserer Handlungen Automaten.
Anschliessend behandelt Bourdieu den Begriff des Interesses und vergleicht die
Klassifikationssysteme des Sozialwissenschaftlers mit denjenigen des Grammatikers. Beide legen
ihren Fokus auf analytische und formalisierte Aspekte, während in der Praxis (im Sprechen bzw. im
alltäglichen Klassifizieren der Menschen) eine andere Logik – die Logik der Praxis – zum Tragen
kommt. „...dass noch die scheinbar formalsten Grenzziehungen – wie die zwischen Altersklassen –
einen bestimmten Stand der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen fixieren.“
Andauernd finden symbolische Kämpfe statt, um die Macht und Deutungshoheit über die
Klassifkations- und Ordnungssysteme zu erlangen. „Inwieweit eine Gruppe im offiziellen Rangsystem
vertreten oder nicht vertreten ist, hängt weitgehend von ihrer Fähigkeit ab, sich bemerkbar zu
machen, sich anerkennen zu lassen, mithin sich, zumeist nach hartem Kampf, einen Platz in der
Sozialordnung zu erstreiten und so der Bastardexistenz der namenlosen Berufe zu entgehen.“ Zum
Schluss klagt Bourdieu den Objektivismus und den Subjektivismus in den Sozialwissenschaften an:
ersteren nennt er „soziale Physik“, letzteren dagegen „soziale Semiologie“. Die Sozialphysik, die
durch Durkheim verköpert wird, vergisst die symbolische Komponente der sozialen Wirklichkeit, die
soziale Semiologie vergisst die objektiven Bedingungen. Erst in der Kombination und Synthese der
beiden Richtungen könne fruchtbare Sozialwissenschaft entstehen.