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  • Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form

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    Das komplette Material finden Sie hier:

    Erzhlende Prosatexte analysieren: Grundbegriffe undMethoden, Beispiele und bungen

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  • 5Vorwort

    Eine der hufigsten Aufgaben im Deutschunterricht der Sekundarstufe IIbesteht darin, erzhlende Prosatexte (Parabeln, Kurzgeschichten, Roman-ausschnitte usw.) zu analysieren. Dies geschieht im Unterrichtsgesprch,in Hausaufgaben, Gruppenarbeiten, Klausuren und Abiturprfungen.

    Wer solche Textanalysen durchfhren will, braucht einige fachspezifischeGrundbegriffe und Verfahrensweisen. Und er muss sie richtig und sicheranwenden knnen. Nicht nur fr die Bewertung von Klausuren spielt eseine entscheidende Rolle, ob man solche Kentnisse und Fhigkeiten un-ter Beweis stellt und damit zeigt, dass man mit Texten umgehen kann.

    Dieses Buch ist daher so konzipiert, dass es in zweierlei Weise genutzt werdenkann:Zum Nachschlagen und Wiederholen, denn hier werden die wichtigs-ten Grundbegriffe und Fragestellungen, die bei der Erschlieung er-zhlender Texte bentigt werden, in konzentrierter und systematischerForm zusammengestellt. Im Text- und Lsungsteil finden sich dazu vieleAnwendungsbeispiele.Als ausfhrlicher Lehrgang fr denjenigen, der sich selbststndig in dasFachgebiet einarbeiten will. Deshalb wird das Basiswissen in einzelnen,berschaubaren Schritten so entwickelt, dass es unmittelbar angewendetwerden kann. Zu jedem Aspekt werden bungsaufgaben angeboten. Soknnen die dargestellten Begriffe und Verfahren bei der Analyse der bei-gefgten Beispieltexte erlernt und gebt werden. Anhand der ausfhrli-chen Lsungsvorschlge knnen die eigenen Arbeitsergebnisse berprftwerden.

    Das Buch ist in neuer Rechtschreibung verfasst. Farbig hinterlegte Quel-lentexte, also Originaltexte, werden in alter Rechtschreibung wiederge-geben. Das gilt auch fr die Zitate in den Lsungsvorschlgen.

    Der vorliegende Band besteht aus fnf Kapiteln, die aufeinander auf-bauen:Im 1. Kapitel wird gezeigt, wie man einen Text aufgrund seiner Erzhlweiseund seiner Zeitstruktur in einzelne Teile gliedern kann.Im 2. Kapitel wird erklrt, worauf bei der Analyse des Inhalts bzw. desStoffs zu achten ist.Im 3. Kapitel geht es um die verschiedenen Mglichkeiten des Erzhler-verhaltens und der Perspektive.

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  • 6Vorwort

    Im 4. Kapitel wird nach den Bau- und Stilelementen gefragt, die einenText zu einem geschlossenen Ganzen werden lassen.Im 5. Kapitel wird gezeigt, wie man unter Klausurbedingungen eineTextanalyse schreiben kann.

    Jedes Kapitel bietet: die begrifflichen Grundlagen in einfachen, trennscharfen

    Definitionen, Leitfragen und Arbeitsschritte, in denen das Verfahren am Ende des

    Kapitels zusammengefasst wird, gezielte Arbeitsaufgaben, die zur selbststndigen Auseinander-

    setzung mit diesen Sachverhalten an geeigneten Beispieltexten auffordern,

    detaillierte Lsungsvorschlge, um die eigenen Analysen berprfen zu knnen.

    Das Buch ist in neuer Rechtschreibung verfasst. Farbig hinterlegte Quel-lentexte, also Originaltexte, werden in alter Rechtschreibung wiederge-geben. Das gilt auch fr Zitate in den Lsungsvorschlgen.

    Der besseren Orientierung dienen Vignetten:

    Aufgaben

    Lsungen

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    Autor und RedaktionMannheim, im Januar 2002

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  • 7Inhaltsverzeichnis

    Kapitel

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

    Die Gliederung1.1 Formen der Erzhlerrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    1.2 Zeitstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

    1.3 Formen der Figurenrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

    1.4 Analyse der Textgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

    1.5 Lsungsvorschlge zu den Arbeitsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

    Der Stoff2.1 Die Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

    2.2 Die Figuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

    2.3 Der Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

    2.4 Die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

    2.5 Analyse des Stoffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

    2.6 Lsungsvorschlge zu den Arbeitsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

    Der Erzhler3.1 Erzhler und Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

    3.2 Er-Erzhlung und Ich-Erzhlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

    3.3 Erzhlerverhalten in der Er-Erzhlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

    3.4 Erzhlerverhalten in der Ich-Erzhlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

    3.5 Analyse des Erzhlerverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

    3.6 Lsungsvorschlge zu den Arbeitsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

    Komposition und Stil4.1 Die Anordnung der Erzhlsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

    4.2 Die Verknpfung der Erzhlsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

    4.3 Der Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

    4.4 Analyse von Komposition und Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

    4.5 Lsungsvorschlge zu den Arbeitsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

    Klausur5.1 Das Analyseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

    5.2 Von den Vorarbeiten zur Niederschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

    5.3 Die richtige Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

    5.4 Lsungsvorschlge zu den Aufgaben Klausur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

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  • Die GliederungWer ein Drama wie Schillers Maria Stuart liest, sieht deutlich, dass derDramentext aus vielen einzelnen Teilen besteht. Es gibt fnf Akte, die wie-derum bis zu 15 voneinander getrennte Szenen enthalten; und innerhalbder Szenen wechseln Sprechtext und kursiv gedruckte Regieanweisungen.Ebenso stt jemand, der ein Gedicht liest, gewhnlich auf eine Eintei-lung in Strophen, die wiederum in Verse gegliedert sind.Auch ein erzhlender Text setzt sich aus verschiedenen Teilen zusammen,allerdings ist diese Gliederung nicht so leicht zu erkennen. Selbst eine gro-be Einteilung in Kapitel fehlt hufig. Die einzelnen Bausteine, aus de-nen sich der Text zusammensetzt und die als Erzhleinheiten, Episoden,Erzhlphasen oder Sequenzen bezeichnet werden, mssen bei einer Ana-lyse erst identifiziert werden. Dazu ist es erforderlich, die verschiedenenErzhlweisen in einem Text und seine Zeitstruktur zu untersuchen.

    1.1 Formen der Erzhlerrede

    Im Jahre 1807 bekam Johann Peter Hebel, ein Theologe und Lehrer amKarlsruher Gymnasium, den Auftrag, einen Kalender fr die Landbevl-kerung herauszugeben. In diesem Kalender mit dem Titel Der Rhein-lndische Hausfreund verffentlichte Hebel eine Flle von Anekdotenund kleinen Erzhlungen, darunter auch eine kleine Geschichte aus demvon franzsischen Truppen besetzten Schlesien.

    Text 1Johann Peter Hebel: Untreue schlgt den eigenen Herrn (1811)

    Kapitel 1

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    Als in dem Krieg zwischen Frankreich undPreuen ein Teil der franzsischen Armeenach Schlesien einrckte, waren auch Trup-pen vom rheinischen Bundesheer dabei, undein bayerischer oder wrttembergischer Of-fizier wurde zu einem Edelmann einquar-tiert, und bekam eine Stube zur Wohnung,wo viele sehr schne und kostbare Gemldehingen. Der Offizier schien recht groe Freu-de daran zu haben, und als er etliche Tagebei diesem Mann gewesen und freundlichbehandelt worden war, verlangte er einmalvon seinem Hauswirt, da er ihm eins vondiesen Gemlden zum Andenken schenkenmchte. Der Hauswirt sagte, da er das mit

    Vergngen tun wollte, und stellte seinemGaste frei, dasjenige selber zu whlen, wel-ches ihm die grte Freude machen knnte.Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber einGeschenk von jemand auszusuchen, so er-fordern Verstand und Artigkeit, da mannicht gerade das Vornehmste und Kostbars-te wegnehme, und so ist es auch nicht ge-meint. Daran schien dieser Mann auch zudenken, denn er whlte unter allen Geml-den fast das schlechteste. Aber das war un-serem schlesischen Edelmann nichtsdestolie-ber, und er htte ihm gern das kostbarstedafr gelassen. Mein Herr Obrist, so spracher mit sichtbarer Unruhe, warum wollen Sie

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    gerade das geringste whlen, das mir nochdazu wegen einer andern Ursache wert ist?Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder je-nes dort. Der Offizier gab aber darauf keinGehr, schien auch nicht zu merken, dasein Hauswirt immer mehr und mehr inAngst geriet, sondern nahm geradezu dasgewhlte Gemlde herunter. Jetzt erschienan der Mauer, wo dasselbe gewesen war, eingroer feuchter Fleck. Was soll das sein?sprach der Offizier, wie entzrnt, zu seinemtotblassen Wirt, tat einen Sto, und auf ein-mal fielen ein paar frisch gemauerte undbertnchte Backsteine zusammen, hinterwelchen alles Geld und Gold und Silber desEdelmanns eingemauert war. Der guteMann hielt nun sein Eigentum fr verloren,wenigstens erwartete er, da der feindlicheKriegsmann eine namhafte Teilung ohne In-ventarium und ohne Commissarius vorneh-men werde, ergab sich geduldig darein, undverlangte nur von ihm zu erfahren, woher erhabe wissen knnen, da hinter diesemGemlde sein Geld in der Mauer verborgenwar. Der Offizier erwiderte: Ich werde denEntdecker sogleich holen lassen, dem ich oh-nehin eine Belohnung schuldig bin; und inkurzer Zeit brachte sein Bedienter sollte

    mans glauben den Maurermeister selber,den nmlichen, der die Vertiefung in derMauer zugemauert und die Bezahlung dafrerhalten hatte.Das ist nun einer von den grten Spitzbu-benstreichen, die der Satan auf ein Snden-register setzen kann. Denn ein Handwerks-mann ist seinen Kunden die grte Treue,und in Geheimnissen, wenn es nichts Un-rechtes ist, so viel Verschwiegenheit schul-dig, als wenn er einen Eid darauf htte.Aber was tut man nicht um des Geldes wil-len! Oft gerade das nmliche, was man umder Schlge, oder um des Zuchthauses wil-len tut, oder fr den Galgen, obgleich eingroer Unterschied dazwischen ist. So etwaserfuhr unser Meister Spitzbub. Denn derbrave Offizier lie ihn jetzt hinaus vor dieStube fhren, und ihm von frischer Hand100, sage hundert Prgel bar ausbezahlen,lauter gute Valuta, und war kein einzigerfalsch darunter. Dem Edelmann aber gab erunbetastet sein Eigentum zurck. Das wollen wir beides gutheien, undwnschen, da jedem, der Einquartierunghaben mu, ein so rechtschaffener Gast, undjedem Verrter eine solche Belohnung zuteilwerden mge.

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    Aufgabe 1Geben Sie den Inhalt der Geschichte wieder. (Beachten Sie, dass Inhalts-angaben und Textanalysen in der Gegenwartsform geschrieben werden.)berlegen Sie, welche Abschnitte Sie bei der Inhaltsangabe bercksichti-gen und welche nicht. Welche Teile der Handlung knnen Sie strker ver-krzen, welche weniger? f

    Es ist deutlich, dass Hebel manche Abschnitte der Handlung ausfhrlichererzhlt als andere. Auerdem berichtet er nicht ausschlielich von derHandlung, sondern unterbricht diese stellenweise, um dem Leser etwasmitzuteilen. Er bedient sich unterschiedlicher Erzhlweisen. Der Begriff Er-zhlweisen dient als Sammelbegriff fr die unterschiedlichen Formen derErzhlerrede und der Figurenrede (vgl. hierzu Abschnitt 1.3). Zunchst sol-len die Formen der Erzhlerrede erlutert werden:Wenn jemand eine Geschichte erzhlt, kann dies in unterschiedlicher Artgeschehen. Man unterscheidet zwei Erzhlweisen, in denen man von den

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    Formen der Erzhlerrede 1

    zeitlichen Ablufen (also dem Geschehen bzw. der Handlung) berichtenkann, und zwei weitere Erzhlweisen, in denen sich der Erzhler vom zeit-lichen Ablauf der Handlung lst. Es gibt also insgesamt vier Formen derErzhlerrede.

    Berichtet der Erzhler vom Geschehen, zu dem neben den ueren Hand-lungsablufen auch die innere Handlung (Gedanken, Gefhle, vgl. Ab-schnitt 2.1) zu rechnen ist, kann er dies tun in Form eines

    raffenden Berichts, d. h., die Handlung wird straff und in starker Zeitraffung wiedergegeben, das Geschehen wird nur in Umrissen dargestellt, oder einer

    szenischen Darstellung, d. h., das Geschehen wird ausfhrlich, detailliert, zeitdeckend oder nur in geringer Zeitraffung wieder-gegeben, hufig enthalten ist Figurenrede.

    Ein Erzhler muss aber nicht stndig vom Ablauf des Geschehens er-zhlen, sondern er kann die Handlung auch fr eine gewisse Zeit ruhenlassen. In diesen Handlungspausen kann seine Redeweise dann gestaltetsein als

    Kommentar (Errterung), d. h., der Erzhler nutzt die Handlungs-unterbrechung fr ausfhrlichere uerungen allgemeiner Art, mitdenen er zu dem, was er erzhlt, Stellung nimmt, oder als

    Beschreibung, d. h., der Zustand einer Person oder einer Sache wirdausfhrlich dargestellt, whrend die Handlung stillsteht.

    Beschreibende oder wertende uerungen finden sich allerdings auch ingroer Zahl innerhalb der raffenden Berichte und szenischen Darstel-lungen, ohne dass beim Leser der Eindruck entsteht, dass die Handlungunterbrochen wrde. Solche kurzen Aussagen werden vom Erzhler mit-tels Adjektiven, Relativstzen usw. in die Darstellung des Geschehens in-tegriert. Von Handlungspausen sollte man erst sprechen, wenn Kom-mentare oder Beschreibungen sich verselbststndigen, also mindestenseinen Satz ausmachen.

    Aufgabe 2Markieren Sie in Text 1 die Textteile, in denen der Erzhler den Hand-lungsablauf anhlt und sich in diesen Handlungspausen an den Leserwendet. f

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  • Aufgabe 3Vergleichen Sie in Text 1 die Z. 2457 und 7481 hinsichtlich der Aus-fhrlichkeit der Darstellung. f

    Im Januar 1808 erschien in einer Nrnberger Zeitung ein kleiner Berichtber ein Ereignis im franzsisch besetzten Berlin. Dieser Artikel wurdedann unabhngig voneinander sowohl von Johann Peter Hebel fr sei-nen Kalender Der Rheinlndische Hausfreund (Jahrgang 1809) als auchvon Heinrich von Kleist fr seine Zeitung Berliner Abendbltter (3. 10.1809) bearbeitet. Die beiden Fassungen zeigen auffllige Unterschiede inder Erzhlweise.

    Text 2Johann Peter Hebel: Schlechter Lohn (1809)

    Text 3Heinrich von Kleist: Franzosen-Billigkeit(wert in Erz gegraben zu werden) (1809)

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    1 Die Gliederung

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    Zu dem franzsischen General Hulin kam,whrend des Kriegs, ein Brger, und gab,behufs einer kriegsrechtlichen Beschlag-nehmung, zu des Feindes Besten, eine An-zahl, im Pontonhof liegender, Stmme an.Der General, der sich eben anzog, sagte:Nein, mein Freund; diese Stmme knnen

    wir nicht nehmen. Warum nicht? frag-te der Brger. Es ist knigliches Eigentum. Eben darum, sprach der General, indemer ihn flchtig ansah. Der Knig vonPreuen braucht dergleichen Stmme, umsolche Schurken daran hngen zu lassen,wie er.

    Als im letzten preuischen Krieg der Franzosnach Berlin kam, in die Residenzstadt desKnigs von Preuen, da wurde unter an-derm viel knigliches Eigentum wegge-nommen, und fortgefhrt oder verkauft.Denn der Krieg bringt nichts, er holt. Wasnoch so gut verborgen war, wurde entdecktund manches davon zu Beute gemacht,doch nicht alles. Ein groer Vorrat von k-niglichem Bauholz blieb lange unverratenund unversehrt. Doch kam zuletzt noch einSpitzbube von des Knigs eigenen Unterta-nen, dachte, da ist ein gutes Trinkgeld zuverdienen, und zeigte dem franzsischenKommandanten mit schmunzlicher Mieneund spitzbbischen Augen an, was fr ein

    schnes Quantum von eichenen und tan-nenen Baustmmen noch da und da bei-sammenliege, woraus manch tausend Gul-den zu lsen wre. Aber der brave Kom-mandant gab schlechten Dank fr die Ver-rterei, und sagte: Lat Ihr die schnenBaustmme nur liegen, wo sie sind. Manmu dem Feind nicht sein Notwendigstesnehmen. Denn wenn Euer Knig wieder insLand kommt, so braucht er Holz zu neuenGalgen fr so ehrliche Untertanen, wie Ihreiner seid.Das mu der rheinlndische Hausfreund lo-ben, und wollte gern aus seinem eigenenWald ein paar Stmmlein auch hergeben,wenns fehlen sollte.

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  • Aufgabe 4Stellen Sie fest, welche Formen der Erzhlerrede Hebel und Kleist jeweilsverwenden. f

    Aufgabe 5berlegen Sie, wie die Bevorzugung bestimmter Erzhlweisen mit demBild zusammenhngt, das sich der jeweilige Autor von seinem Publikummacht. f

    Wichtige Teile des Geschehens werden gewhnlich szenisch, also weniggerafft und ausfhrlich, erzhlt. Episoden, die dem Erzhler wenigerwichtig sind, werden demgegenber in raffenden Berichten zusammen-gefasst. In dem folgenden bungstext wechselt der Erzhler zwischen raf-fendem Bericht und szenischer Darstellung; auerdem finden sich darinein Kommentar und eine Beschreibung.

    Text 4 Begegnung um Mitternacht (erste Fassung)

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    Formen der Erzhlerrede 1

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    Nach der Tagesschau verabschiedete sichOliver von seinen Eltern und fuhr zu seinerStammkneipe an der Herner Strae. SeineFreunde warteten schon auf ihn und be-grten ihn mit einem groen Hallo. BeimKnobeln hatte er heute kein Glck, so da esein teurer Abend fr ihn wurde. Als er gegen Mitternacht wieder auf derStrae stand, hatte sich das Wetter vern-dert. Es war unangenehm kalt, und leichterNieselregen wehte ihm ins Gesicht, als erbeim Mbelmarkt in das Gewerbegebiet ein-bog.Trotzdem war er ganz froh, da er den Vor-schlag des Wirts, ein Taxi zu rufen, abgelehnthatte und den Heimweg zu Fu zurcklegte. Es ist natrlich ein Zeichen von Vernunft, daes ihm erst gar nicht in den Sinn gekommenwar, sich in seinen nagelneuen Wagen zu set-zen. Andererseits ist es auch nicht klug,nachts allein durch diese Gegend zu gehen,wenn man Gesundheit und Brieftasche be-halten will. Oliver war dies Risiko aber einge-gangen, und dies sollte ihm in den nchstenTagen noch oft leid tun.Er hatte sich seiner Wohnung in der Schll-

    mannstrae bis auf einige hundert Metergenhert, als die Kirchenglocken ansetzten,zwlfmal zu schlagen. Unwillkrlich hatte Oli-ver seinen Schritt beschleunigt. Kurz vor derHaustr griff er in die Jackentasche, um seinenSchlssel zu suchen. Dabei bersah er ganz,wie sich langsam ein schattenhafter Umriaus der Einfahrt neben dem Haus lste.Diese Einfahrt war vor vierzig Jahren fr denVerkaufswagen des Metzgers angelegt wor-den, als dieser noch seine Wurstkche imErdgescho hatte. Seit dem Tod des Metz-gers standen diese Rume aber leer, wegendes unauslschlichen Geruchs hatte sich nieein Mieter finden lassen. Der einzige Zu-gang, eine rostige Stahltr am Ende der Ein-fahrt, war seit Jahren nicht mehr geffnetworden. Vor ihr hatten nun die Mlltonnenihren Platz gefunden. Umgeben von aller-lei Unrat waren sie ein Treffpunkt fr dieKatzen der Umgebung.Nun trat eine dunkel gekleidete, groe Ge-stalt aus der Einfahrt, war mit zwei Schrittenhinter Oliver und schlug ihm einen Schrau-benschlssel ber den Kopf. Oliver versank inwatteweicher Dunkelheit. ( )

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    f Aufgabe 6Unterscheiden Sie die verschiedenen Formen der Erzhlerrede in diesemText. f

    1.2 Zeitstruktur

    Thomas Mann erzhlt in seinem Roman Buddenbrooks von Aufstieg undFall einer Lbecker Familie im 19. Jahrhundert. Die Reitergeschichte vonHugo von Hofmannsthal hat einen Vorfall aus den kriegerischen Ausei-nandersetzungen zwischen sterreich und Italien zum Thema. Vergleichtman die beiden Textanfnge, fallen Unterschiede beim Ablauf der Zeit auf. Da beide Ausschnitte etwa gleich lang sind, kann man davon ausgehen,dass der Leser etwa die gleiche Zeit braucht, um sie zu lesen. Die Zeitdau-er, die die Handlung in den beiden Textstcken umfasst, ist hingegen rechtunterschiedlich.

    Text 5Hugo von Hofmannsthal: Reitergeschichte (1899)In: H.v.H.: Erzhlungen. (c) S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, 1986.

    Den 22. Juli 1848, vor 6 Uhr morgens, verlieein Streifkommando, die zweite Eskadronvon Wallmodenkrassieren, Rittmeister Ba-ron Rofrano mit einhundertsieben Reitern,das Kasino San Alessandro und ritt gegenMailand. ber der freien, glnzenden Land-schaft lag eine unbeschreibliche Stille; vonden Gipfeln der fernen Berge stiegen Mor-genwolken wie stille Rauchwolken gegenden leuchtenden Himmel; der Mais stand re-gungslos, und zwischen Baumgruppen, dieaussahen wie gewaschen, glnzten Land-huser und Kirchen her. Kaum hatte dasStreifkommando die uerste Vorpos-tenlinie der eigenen Armee etwa um eineMeile hinter sich gelassen, als zwischen denMaisfeldern Waffen aufblitzten und dieAvantgarde feindliche Futruppen melde-te. Die Schwadron formierte sich neben derLandstrae zur Attacke, wurde von ei-gentmlich lauten, fast miauenden Kugelnberschwirrt, attackierte querfeldein undtrieb einen Trupp ungleichmig bewaffne-ter Menschen wie die Wachteln vor sich her.

    Es waren Leute der Legion Manaras, mitsonderbaren Kopfbedeckungen. Die Gefan-genen wurden einem Korporal und acht Ge-meinen bergeben und nach rckwrts ge-schickt. Vor einer schnen Villa, deren Zu-fahrt uralte Zypressen flankierten, meldetedie Avantgarde verdchtige Gestalten. DerWachtmeister Anton Lerch sa ab, nahmzwlf mit Karabinern bewaffnete Leute, um-stellte die Fenster und nahm achtzehn Stu-denten der Pisaner Legion gefangen, wohl-erzogene und hbsche junge Leute mitweien Hnden und halblangem Haar. Einehalbe Stunde spter hob die Schwadron ei-nen Mann auf, der in der Tracht eines Ber-gamasken vorberging und durch sein allzuharmloses und unscheinbares Auftreten ver-dchtig wurde. Der Mann trug im Rockfut-ter eingenht die wichtigsten Detailplne,die Errichtung von Freikorps in den Guidika-rien und deren Kooperation mit der pie-montesischen Armee betreffend. Gegen 10Uhr vormittags fiel dem Streifkommando ei-ne Herde Vieh in die Hnde.

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    Zeitstruktur 1

    Was ist das. Was ist das Je, den Dwel ook, cest la question, ma trschre demoiselle!Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrerSchwiegermutter auf dem geradlinigen,weilackierten und mit einem goldenenLwenkopf verzierten Sofa, dessen Polsterhellgelb berzogen waren, warf einen Blickauf ihren Gatten, der in einem Armsessel beiihr sa, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hil-fe, die der Grovater am Fenster auf denKnien hielt.Tony! sagte sie, ich glaube, da mich Gott Und die kleine Antonie, achtjhrig und zart-gebaut, in einem Kleidchen aus ganz leich-ter changierender Seide, den hbschenBlondkopf ein wenig vom Gesichte desGrovaters abgewandt, blickte aus ihrengraublauen Augen angestrengt nachden-kend und ohne etwas zu sehen ins Zimmerhinein, wiederholte noch einmal Was istdas, sprach darauf langsam: Ich glaube,da mich Gott, fgte, whrend ihr Gesichtsich aufklrte, rasch hinzu: geschaffen

    hat samt allen Kreaturen, war pltzlich aufglatte Bahn geraten und schnurrte nun,glckstrahlend und unaufhaltsam, denganzen Artikel daher, getreu nach dem Ka-techismus, wie er soeben, Anno 1835, unterGenehmigung eines hohen und wohlweisenSenates, neu revidiert herausgegeben war.Wenn man im Gange war, dachte sie, war esein Gefhl, wie wenn man im Winter aufdem kleinen Handschlitten mit den Brdernden Jerusalemsberg hinunterfuhr: es vergin-gen einem geradezu die Gedanken dabei,und man konnte nicht einhalten, wenn manauch wollte.Dazu Kleider und Schuhe, sprach sie, Es-sen und Trinken, Haus und Hof, Weib undKind, Acker und Vieh Bei diesen Wortenaber brach der alte Monsieur Johann Bud-denbrook einfach in Gelchter aus, in seinhelles, verkniffenes Kichern, das er heimlichin Bereitschaft gehalten hatte. Er lachte vorVergngen, sich ber den Katechismusmokieren zu knnen, und hatte wahrschein-lich nur zu diesem Zwecke das kleine Exa-men vorgenommen.

    Text 6Thomas Mann: Buddenbrooks (1901)(c) S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, 1960, S. 9 f.

    f Aufgabe 7Bestimmen Sie fr beide Textstcke, welchen Zeitraum das Geschehenumfasst und welche Form der Erzhlerrede der jeweilige Erzhler gewhlthat. f

    Um einen Mastab dafr zu gewinnen, wann man eine Erzhlweise alsausfhrlich zu bezeichnen hat und wann man von einem raffenden Be-richt sprechen kann, unterscheidet man bei der Analyse erzhlender Tex-te zwei Zeitebenen:

    1. die Erzhlzeit (oder Lesezeit), also die Zeit, die der Leser braucht, um den Text zu lesen (leicht messbar in Seiten- und Zeilenangaben,z.B. ca. 750 Seiten bei Buddenbrooks und ca. 15 Seiten bei der Reitergeschichte), und

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    Prosa 1 28.11.2001 9:39 Uhr Seite 15

  • erzhlte Zeit

    Lesezeit /Erzhlzeit

    Zeitraffung Zeitsprung Zeitdeckung Zeitdehnung Zeitpause

    16

    1 Die Gliederung

    Zeitstruktur

    Zeitraffung: Die erzhlte Zeit ist deutlich lnger als die Erzhlzeit; das istsozusagen der Normalfall des Erzhlens. Zu unterscheiden ist zwi-schen leichter Raffung, bei der die Lesezeit nur um Minuten krzer ist alsdie erzhlte Zeit, und starker Raffung, bei der die erzhlte Zeit die Lese-zeit um Tage oder Wochen bertrifft. In extremer Raffung kann das Ge-schehen von Jahren und Jahrzehnten auf wenige Zeilen oder Seiten zu-sammengedrngt werden.

    Zeitsprung: Der Erzhler berspringt einen Zeitabschnitt der Handlung.Von diesem Teil der erzhlten Zeit wird gar nicht berichtet, die Lesezeitbzw. Erzhlzeit betrgt also null. Diese extremste Form der Zeitraffungspielt in den meisten lngeren Texten eine sehr groe Rolle.

    Zeitdeckung: Die erzhlte Zeit und die Erzhlzeit (Lesezeit) sindannhernd gleich. In der Geschichte luft die Zeit etwa im gleichen Tem-po ab wie beim Leser. Das ist z.B. der Fall, wenn Gesprche wrtlich wie-dergegeben werden.

    2. die erzhlte Zeit, also die Zeitdauer, die das erzhlte Geschehen in Wirklichkeit beanspruchen wrde (z.B. in Buddenbrooks 42 Jahre und in der Reitergeschichte ein Tag von 6 Uhr morgens bis zum Sonnenuntergang).

    Vergleicht man die Erzhlzeit oder Lesezeit mit der erzhlten Zeit, erhltman wichtige Informationen ber die Gestaltung des Textes. Man erfasstseine Zeitstruktur.Es gibt grundstzlich fnf Mglichkeiten der Zeitgestaltung:

    Prosa 1 28.11.2001 9:39 Uhr Seite 16

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    Erzhlende Prosatexte analysieren: Grundbegriffe undMethoden, Beispiele und bungen

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