3. wie werden allergien und asthma diagnostiziert? · 7.6 die behandlung von...

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1. Was ist eine Allergie? 1.1 Was bedeutet Allergie und Asthma? 1.2 Gibt es heute tatsächlich mehr Allergien als früher? 1.3 Kinder sind besonders empfänglich für Allergien 1.4 Wie können sich Allergien äußern? 1.5 Was kann Allergien auslösen? 1.6 Die Allergiker-Karriere 1.7 Zusammenfassung 2. Anlage oder Umwelt? 2.1 Warum gerät das Immunsystem außer Kontrolle? 2.2 Allergisch durch Veranlagung? 2.3 Was haben Umwelteinflüsse mit Allergien zu tun? 2.4 Mangelnde oder flansche Stimulation des Immunsystems? 2.5 Zusammenfassung 3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert? 3.1 Die Schritte einer Allergie- und Asthmauntersuchung 3.2 Die Krankengeschichte 3.3 Die körperliche Untersuchung 3.4 Wichtiges zur Allergietestung 3.5 Allergietestung auf der Haut 3.6 Allergietestung im Blut 3.7 Provokationstests 3.8 Lungenfunktionsuntersuchung 3.9 Weitere Zusatzuntersuchungen 3.10 Abschließende Beurteilung und Besprechung 3.11 Welcher Arzt ist richtig? 3.12 Zusammenfassung 4. Erkrankungen der oberen Atemwege 4.1 Aufbau der oberen Atemwege 4.2 Funktion der Nase 4.3 Übererregbarkeit der Nasenschleimhaut 4.4 Heuschnupfen 4.5 Dauerschnupfen

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Page 1: 3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert? · 7.6 Die Behandlung von Nahrungsmittelallergien 7.7 Zusammenfassung 7.8 Kuhmilchallergie ... Diese Frage wurde lange Zeit kontrovers

1. Was ist eine Allergie?

1.1 Was bedeutet Allergie und Asthma?

1.2 Gibt es heute tatsächlich mehr Allergien als früher?

1.3 Kinder sind besonders empfänglich für Allergien

1.4 Wie können sich Allergien äußern?

1.5 Was kann Allergien auslösen?

1.6 Die Allergiker-Karriere

1.7 Zusammenfassung

2. Anlage oder Umwelt? 2.1 Warum gerät das Immunsystem außer Kontrolle?

2.2 Allergisch durch Veranlagung?

2.3 Was haben Umwelteinflüsse mit Allergien zu tun?

2.4 Mangelnde oder flansche Stimulation des Immunsystems?

2.5 Zusammenfassung

3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert? 3.1 Die Schritte einer Allergie- und Asthmauntersuchung

3.2 Die Krankengeschichte

3.3 Die körperliche Untersuchung

3.4 Wichtiges zur Allergietestung

3.5 Allergietestung auf der Haut

3.6 Allergietestung im Blut

3.7 Provokationstests

3.8 Lungenfunktionsuntersuchung

3.9 Weitere Zusatzuntersuchungen

3.10 Abschließende Beurteilung und Besprechung

3.11 Welcher Arzt ist richtig?

3.12 Zusammenfassung

4. Erkrankungen der oberen Atemwege

4.1 Aufbau der oberen Atemwege

4.2 Funktion der Nase

4.3 Übererregbarkeit der Nasenschleimhaut

4.4 Heuschnupfen

4.5 Dauerschnupfen

Page 2: 3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert? · 7.6 Die Behandlung von Nahrungsmittelallergien 7.7 Zusammenfassung 7.8 Kuhmilchallergie ... Diese Frage wurde lange Zeit kontrovers

5. Erkrankungen der unteren Atemwege

5.1 Aufbau und Funktion der unteren Atemwege

5.2 Verengung der Atemwege

5.3 Obstruktive (spastische) Bronchitis

5.4 Asthma bronchiale

5.5 Entzündung der Lungenbläschen (Alveolitis)

5.6 Pseudokrupp

6. Erkrankungen der Haut 6.1 Aufbau und Funktion der Haut

6.2 Neurodermitis (atopische Dermatitis)

6.3 Allergisches Kontaktekzem

6.4 Nesselsuchtausschlag (Urtikaria)

6.5 Sonnenallergie

6.6 Berufswahl bei Allergien der Haut und Ekzem

7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7.1 Was ist eine Nahrungsmittelallergie?

7.2 Wie kann sich eine Nahrungsmittelallergie äußern?

7.3 Welches sind die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelallergien?

7.4 Wodurch wird die Auslösung einer Nahrungsmittelallergie beeinflusst?

7.5 Diagnose von Nahrungsmittelallergien

7.6 Die Behandlung von Nahrungsmittelallergien

7.7 Zusammenfassung

7.8 Kuhmilchallergie

7.9 Hühnereiweißallergie

7.10 Weitere häufige Nahrungsmittelallergien

7.11 Pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel und Zusatzstoffe

7.12 Lebensmittelkennzeichnung

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8. Allergische Erkrankungen der Augen

8.1 Allergische Bindehautentzündung

8.2 Andere Formen der Bindehautentzündung

8.3 Kontaktekzem der Lider

8.4 Urtikaria und Quincke-Ödem

8.5 Zusammenfassung

9. Insektengiftallergie 9.1 Welche Insekten lösen in unseren Breiten Allergien aus?

9.2 Welche Symptome können sich nach einem Insektenstich zeigen?

9.3 Welche Mechanismen spielen sich im Körper ab?

9.4 Wie wird die Diagnose einer Insektengiftallergie gestellt?

9.5 Was tun bei einer Insektengiftallergie?

9.6 Zusammenfassung

10. Arzneimittelallergien 10.1 Welche Formen der Arzneimittelunverträglichkeit gibt es?

10.2 Arzneimittelbedingte Hautausschläge

10.3 Pseudoallergische Überempfindlichkeiten

10.4 Wie diagnostiziert man Arzneimittelallergien?

10.5 Behandlung von Medikamentenallergien

10.6 Vorbeugung von Arzneimittelallergien

10.7 Zusammenfassung

11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen 11.1 Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom

11.2 Kopfschmerzen

11.3 Chronisches Müdigkeitssyndrom

11.4 Zusammenfassung

12. Allergieauslöser näher betrachtet 12.1 Pollen

12.2 Milben

12.3 Tiere

12.4 Schimmelpilze

12.5 Sonstige

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13. Hyposensibilisierung

13.1 Was bedeutet Hyposensibilisierung?

13.2 Voraussetzungen für eine Hyposensibilisierung

13.3 Warum Hyposensibilisierung schon bei Kindern?

13.4 Formen der Hyposensibilisierung

13.5 Wann wird eine Hyposensibilisierung durchgeführt und wie erfolgreich ist

sie?

13.6 Wie wird eine Hyposensibilisierung durchgeführt?

13.7 Welche unerwünschten Reaktionen können auftreten?

13.8 Gibt es Gegenanzeigen für eine Hyposensibilisierung

13.9 Was muss bei der Durchführung einer Hyposensibilisierung beachtet

werden?

13.10 Zusammenfassung

14. Allergie-Vorbeugung 14.1 Ziele der Allergie-Vorbeugung

14.2 Bei wem sollen vorbeugende Maßnahmen eingesetzt werden?

14.3 Wie kann man einer Allergie-Entstehung vorbeugen?

14.4 Zukünftige Strategien

14.5 Zusammenfassung

15. Impfungen bei Allergikern 15.1 Gibt es generelle Gegenanzeigen gegen Impfungen bei Allergikern?

15.2 Impfungen bei Hühnereiweißallergie

15.3 Gibt es Impfungen, die für Allergiker besonders nützlich sein können?

15.4 Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen

15.5 Zusammenfassung

16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab? 16.1 Grundbegriffe

16.2 Teilnehmer der allergischen Reaktion

16.3 Was läuft bei einer allergischen Sofortreaktion ab?

16.4 Weitere Typen der allergischen Reaktion

16.5 Zusammenfassung

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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden

17.1 Eltern wollen alles unternehmen, um ihrem Kind zu helfen

17.2 Anspruch und Wirklichkeit „alternativer“ Methoden

17.3 Auch „alternative“ Methoden müssen sich einem Wirksamkeits- und

Unbedenklichkeitsnachweis stellen

17.4 „Alternative“ Methoden bergen auch Gefahren in sich

17.5 Kritisch zu sehende „alternative“ Methoden

17.6 Sinnvolle ergänzende Verfahren

17.7 Zusammenfassung

18. Vorsogekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma

18.1 Was ist der Unterschied zwischen Vorsorge und Rehabilitation (=Reha)

18.2 Wann ist eine Vorsorge- oder Reha-Maßnahme sinnvoll?

18.3 Ambulant oder stationär

18.4 Unterschied Kind-Mutter-Reha und Mutter-Kind-Kur

18.5 Offene Badekur

18.6 Qualitätsmerkmale einer guten Vorgorge- oder Reha-Einrichtung für Kinder

und Jugendliche

18.7 Wer trägt die Kosten?

18.8 Antragsstellung

18.9 Wie lange dauert eine Kur/ Reha?

18.10 Wie oft kann eine Kur/ Reha beantragt werden?

18.11 Wie geht es nach der Vorsorge- oder Reha-Maßnahme weiter?

18.12 Zusammenfassung

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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das online-Buch

1. Was ist eine Allergie?

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 Seite 1-1

1. Was ist eine Allergie? 1.1 Was bedeutet Allergie und Asthma? 1.2 Gibt es heute tatsächlich mehr Allergien als früher? 1.3 Kinder sind besonders empfänglich für Allergien 1.4 Wie können sich Allergien äußern? 1.5 Was kann Allergien auslösen? 1.6 Die Allergiker-Karriere 1.7 Zusammenfassung Diesen Sommer bekommt der 6-jährige Paul bei schönem Wetter immer wieder rote Augen und eine juckende Nase. Die Mutter kennt das Problem: auch sie leidet an Heu-schnupfen.

Der 8-jährige Thomas hat seit 3 Monaten einen hartnäckigen nächtlichen Husten. Auch beim Schulsport kann in letzter Zeit nicht mehr so recht mithalten, bei körperlicher Anstrengung bekommt er pfeifende Ausatemgeräusche. Im Säuglings- und Kleinkindes-alter waren schon mehrere spastische Bronchitiden aufgetreten. Die Kinderärztin stellt die Diagnose Asthma. Seit er regelmäßig inhaliert, geht es ihm wieder gut.

Sabrina leidet seit dem Alter von 4 Monaten an einem juckenden Hautausschlag. Im Alter von 9 Monaten bekommt sie beim Essen eines Gemüsegläschens, das Hühnereiweiß enthält, geschwollene Lippen und einen stark juckenden Nesselausschlag: es hat sich zusätzlich zur Neurodermitis eine Hühnereiweißallergie entwickelt.

Allen diesen Kindern, denen Sie in den nächsten Kapiteln wieder begegnen werden, ist eines gemeinsam: sie haben eine Allergie oder ein Asthma entwickelt. Das erste Kapitel informiert darüber, was unter einer Allergie und einem Asthma zu verstehen ist. Es gibt einen Überblick, wie sich Allergien äußern und wodurch sie ausgelöst werden können.

1.1 Was bedeutet Allergie und Asthma? 1.1.1 Allergie Eine Allergie ist eine überschießende Reaktion des Körpers auf bestimmte allergie-auslösende Stoffe aus der Umwelt (= Allergene). Das eigentliche Ziel des Immunsystems ist es, den Körper vor Krankheitserregern und Fremdstoffen zu schützen. Im Falle einer Allergie schießt das Abwehrsystem über dieses Ziel hinaus und es entstehen zum Teil höchst unangenehme und krankmachende Symptome.

Ist der Organismus einmal auf einen Allergieauslöser empfindlich geworden, so wird dieser Allergieauslöser bei jedem erneuten Kontakt vom Immunsystem sofort wieder-erkannt und kann wieder Krankheitserscheinungen auslösen. Die Mengen des allergieaus-lösenden Stoffes müssen für diese Wiederholungsreaktionen oft nur verschwindend gering sein.

1.1.2 Pseudoallergie Pseudoallergien sind allergieähnliche Reaktionen, an denen das Immunsystem nicht beteiligt ist. Die Symptome ähneln jedoch denen einer allergischen Erkrankung. So sind z.B. viele Reaktionen auf Nahrungsmittel und Medikamente keine Allergien im engeren Sinne, sondern Pseudoallergien.

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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das online-Buch

1. Was ist eine Allergie?

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 Seite 1-2

1.1.3 Asthma bronchiale Unter einem Asthma bronchiale versteht man eine anfallsweise auftretende Verengung der Atemwege. Ursache ist eine chronische Entzündung in den Bronchien. Diese Ent-zündung wird bei Kindern häufig durch Allergien ausgelöst.

1.1.4 Atopie Da verschiedene allergische Erkrankungen in Kombination sowie familiär gehäuft auftreten können, wurde der Begriff Atopie geprägt. Man versteht darunter eine familiär auftretende Veranlagung zu Ekzemen, Asthma, Heuschnupfen und Nahrungsmittel-allergien.

1.1.5 Sensibilisierung Unter Sensibilisierung versteht man die Bildung von Allergieantikörpern (IgE), die jedoch beim Betroffenen (noch) keine Symptome auslösen. Man kann z.B. bei einer ganzen Reihe von Personen Allergieantikörper gegen Nahrungsmittel nachweisen, ohne dass jemals entsprechende Krankheitserscheinungen aufgetreten sind.

Die Mechanismen, die bei einer allergischen Reaktion im Immunsystem ablaufen, sind in Kapitel 17 beschrieben.

1.2 Gibt es heute tatsächlich mehr Allergien als früher? Diese Frage wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Sie ist inzwischen eindeutig mit ja zu beantworten. Wir haben heutzutage zwar bessere Diagnose- und Erfassungsmethoden, damit kann jedoch die deutliche Häufigkeitszunahme nicht erklärt werden.

1.2.1 Zahlen, die eine tatsächliche Zunahme von Allergien belegen • In der Schweiz ist die Zahl der an Heuschnupfen Erkrankten von 0,8% im Jahre

1926 auf 17,3% im Jahre 1999 gestiegen.

• In Dänemark hat sich das Risiko, im Laufe des Lebens an einem Ekzem zu er-kranken, von 3,2% bei den Geburtsjahrgängen 1960 - 1964 auf 10% bei den 10 Jahre später Geborenen erhöht.

• In Großbritannien zeigte sich ein Anstieg der Asthmahäufigkeit von 4% im Jahre 1973 auf 9% im Jahre 1988.

• In Westdeutschland nahm bei Jungen die Häufigkeit von Bronchialasthma zwischen 1985 und 1995 von 1,5% auf 4% zu, bei allen Kindern stieg die Häufig-keit von Ekzemen von 6% auf 12% an.

1.2.2 Sind wir bald alle allergisch? Etwa 30 bis 50% der Bevölkerung dürften die prinzipielle Veranlagung zu einer allergischen Reaktionsbereitschaft haben. Zwar werden wir nicht alle im Laufe der Zeit allergisch reagieren, eine weitere Zunahme allergischer Erkrankungen ist jedoch noch möglich.

1.3 Kinder sind besonders empfänglich für Allergien Die Säuglingszeit und frühe Kindheit sind eine besonders empfindliche Zeit. Dies gilt für alle Einflüsse, die von außen auf das Kind einwirken, sei es auf den Körper, sei es auf die Psyche.

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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das online-Buch

1. Was ist eine Allergie?

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 Seite 1-3

• Das Immunsystem ist noch im Aufbau. Der Säugling hat zwar von der Mutter einen "Nestschutz" mitbekommen und erhält auch über die Muttermilch Abwehr-stoffe. Dieser Nestschutz schützt jedoch nur gegen einige wenige Infektionen wie Windpocken und dies auch nur über einen begrenzten Zeitraum. Ansonsten muss sich das Immunsystem nach und nach mit einer Vielzahl von Krankheitserregern und möglichen Allergieauslösern auseinandersetzen.

• Je früher und je massiver Allergene auf das noch unreife Immunsystem treffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Allergie entsteht. So ist z.B. die Darmschleimhaut des Säuglings noch durchlässiger, so dass potentielle Allergie-auslöser wie Kuhmilch- oder Hühnereiweiß leichter passieren können.

• Der Säugling hat im Vergleich zum Erwachsenen bezogen auf das Körpergewicht eine wesentlich größere Körperoberfläche. Dies bedeutet eine große Kontaktfläche mit der Umwelt und deren Allergieauslösern. Die Flächen der Bronchialschleimhaut und der Lungenbläschen, welche mit der Außenluft Kontakt haben, sind ebenfalls sehr groß.

• Die Entgiftungsorgane Leber und Niere haben bei der Geburt noch nicht ihre volle Funktion erreicht, sondern müssen erst ausreifen. Bestimmte Giftstoffe werden daher noch nicht im vollen Umfang ausgeschieden, können sich im Körper ansammeln und möglicherweise das Immunsystem schwächen.

1.4 Wie können sich Allergien äußern? Allergien können sich an vielen Organen äußern. Das macht ihre Symptomatik so viel-fältig und ihr Erkennen oft schwierig. Folgende Symptome können Hinweise für eine Allergie sein:

1.4.1 Augen, Nase, Ohren und Mund rote, juckende, tränende Augen verquollene Augen juckende, laufende oder verstopfte Nase Niesen und Nasereiben Jucken im Gehörgang Jucken in Mund und Rachen

als Hinweise für eine allergische Bindehautentzündung oder einen allergischen Schnupfen.

1.4.2 Lunge trockener oder schleimiger Husten pfeifende Ausatemgeräusche (Giemen) Kurzatmigkeit und Atemnot geringe Ausdauer Engegefühl oder Stechen in der Brust

als Hinweise für ein Asthma bronchiale oder eine allergische Entzündung der Lungenbläschen.

1.4.3 Haut juckender, trockener oder nässender Hautausschlag juckende Rötung und Quaddeln

als Hinweise für ein Ekzem oder eine Neurodermitis.

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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das online-Buch

1. Was ist eine Allergie?

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 Seite 1-4

1.4.4 Magen und Darm Durchfall, seltener Verstopfung Übelkeit und Erbrechen Bauchkrämpfe Gewichtsabnahme

als Hinweis für eine Nahrungsmittelallergie.

1.4.5 Sonstiges Kopfschmerzen Unruhe oder Abgeschlagenheit Fieber nichteitrige Nierenentzündung Zerfall von roten und weißen Blutkörperchen sowie Blutplättchen.

1.4.6 Allergischer Schock Die schwerwiegendste allergische Reaktion ist der anaphylaktische Schock. Vorboten können ein juckender Nesselausschlag, Kribbelgefühl oder Atemnot sein. Es kommt zum Kreislaufversagen, weil das Blut in den peripheren Blutgefäßen versackt. Die Folge ist ein Blutdruckabfall. Lebenswichtige Organe werden nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, durch eine Mangeldurchblutung des Gehirns kommt es zur Benommenheit bis zur Bewusst-losigkeit. Eine kreislaufstabilisierende medikamentöse Behandlung muss möglichst rasch eingeleitet werden, evtl. sogar mit Herzmassage und künstlicher Beatmung. Ein anaphylaktischer Schock ist zum Glück selten, er kann jedoch lebensbedrohlich sein. Als Auslöser kommen z.B. eine Insektengiftallergie oder eine Nahrungsmittelallergie in Frage.

1.5 Was kann Allergien auslösen? Allergieauslöser treten mit dem Körper hauptsächlich über die Schleimhäute der Atem-wege, den Magendarmtrakt und die Haut in Kontakt. Die meisten Allergieauslöser sind natürliche Stoffe (z.B. Pollen, Hausstaubmilben).

1.5.1 Allergieauslösung über die Luft Die meisten Allergien werden durch Allergene hervorgerufen, welche über die Luft in die Schleimhäute der Atemwege oder der Augen gelangen:

• Pollen (Blütenstaub) von Bäumen, Gräsern und Kräutern können jahreszeitlich wechselnde Beschwerden wie Heuschnupfen, allergische Bindehautentzündungen, Asthma sowie Schübe einer Neurodermitis auslösen. Die Pollen dienen der Ver-mehrung dieser Pflanzen und befinden sich zur entsprechenden Blütezeit in großen Mengen in der Luft, vor allem während warmer und trockener Wetter-perioden. Pollenkalender und Pollenwarndienste geben Hinweise über die jeweils vorherrschende Pollenart.

• Hausstaubmilben sind das Hauptallergen des Hausstaubes. Man findet sie hauptsächlich im Schlafzimmer, in größter Menge im Bett in der Matratze und im Bettzeug. In der übrigen Wohnung sind Polstermöbel der Hauptaufenthaltsort. Eiweißbestandteile im Kot der Hausstaubmilbe stellen das eigentliche Allergen dar. Dauerschnupfen, Asthma bronchiale und die Verschlechterung einer Neurodermitis können die Folge einer Milbenallergie sein.

• Schuppen, Speichel, Urin, Haare und Blutserumbestandteile von Tieren sind weitere häufige Allergieauslöser bei Kindern, Auch sie können einen allergischen Schnupfen, eine allergische Bindehautentzündung oder ein Asthma bronchiale auslösen. Es ist nicht unbedingt ein direkter Kontakt mit dem Tier erforderlich.

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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das online-Buch

1. Was ist eine Allergie?

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 Seite 1-5

Verschiedene Gegenstände wie z.B. Kleidungsstücke, Decken oder Teppiche können Schuppen oder Speichel des Tieres enthalten und bei Kontakt zur Symptomauslösung führen. Tierallergene werden von Kindern, die zu Hause ein Haustier haben, mit der Kleidung in den Kindergarten oder die Schule mitgebracht und sind dort z.B. auf Stühlen und Bänken nachzuweisen.

• Schimmelpilze gibt es in großen Mengen in der freien Natur z.B. auf Blättern, in Pflanzenabfall und in der Erde. Schimmelpilze finden sich auch in feuchten Wohnungen, z.B. an feuchten Wänden. Sie können zu allergischem Schnupfen führen oder an der Entstehung eines Asthma bronchiale beteiligt sein.

• Chemische Stoffe können bei beruflichem Kontakt zu allergischem Asthma führen.

1.5.2 Allergieauslösung über Magen und Darm Andere Allergene gelangen über den Magendarmtrakt in den Körper:

• Verschiedene Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusätze können Ursache einer Nahrungsmittelallergie mit Hautausschlag, Durchfällen oder Atemnot sein. Die beim Säugling bekannteste Nahrungsmittelallergie ist die Kuhmilchallergie. Weitere häufige Auslöser von Nahrungsmittelallergien sind Eier, Nüsse, Soja und Weizen; bei Jugendlichen und Erwachsenen zudem Obst und Gewürze als Kreuzallergien bei Pollenallergie.

• Medikamente rufen in einigen Fällen allergisch bedingte Arzneimittelausschläge hervor, es können jedoch auch schwere Allgemeinreaktionen mit Schock auf-treten.

1.5.3 Allergieauslösung durch Kontakt mit der Haut Gewisse Allergene führen über einen Hautkontakt zu einer Sensibilisierung:

• Bestimmte Metalle in Schmuck, vor allem Nickel verursachen manchmal Kontakt-allergien an den Körperstellen, an denen der Schmuck getragen wird.

• Verschiedene Chemikalien, z.B. in Kosmetika oder bei beruflichem Kontakt können ebenfalls Kontaktallergien auslösen.

Weitere Informationen zu den oben genannten und weiteren Allergenen finden Sie in Kapitel 12 "Allergieauslöser" sowie in den Kapiteln, in denen die verschiedenen

allergischen Erkrankungen beschrieben sind.

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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das online-Buch

1. Was ist eine Allergie?

© Dr. P. J. Fischer – pina

1.6 Die Allergiker-Karriere Jedes Lebensalter hat seine typische Allergieform (siehe Abbildung 1-1). Im frühen Säuglingsalter stehen Nahrungsmittelallergien im Vordergrund, gefolgt von Ekzemen. Asthma beginnt häufig im Kleinkindesalter, der allergische Schnupfen im Schulalter. Die Bezeichnung "Allergiker-Karriere" will ausdrücken, dass eine Allergieform eine andere ablösen oder zu einer anderen hinzutreten kann.

1.7 ZusammenfEine Allergie ist eine auslösende Stoffe. EImmunsystems einhereiner allergischen ReakDer Begriff Asthma Atemwege, hervorgeruhaut.

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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das online-Buch

2. Anlage oder Umwelt?

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004 Seite 2-1

2. Anlage oder Umwelt? 2.1 Warum gerät das Immunsystem außer Kontrolle? 2.2 Allergisch durch Veranlagung? 2.3 Was haben Umwelteinflüsse mit Allergien zu tun? 2.4 Mangelnde oder falsche Stimulation des Immunsystems? 2.5 Zusammenfassung

Die Erforschung der Ursachen und Bedingungen für die Entstehung von Allergien hat ei-nen hohen Stellenwert, um wirkungsvolle Maßnahmen zur Bekämpfung der weiter stei-genden Allergiehäufigkeit ergreifen zu können. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Zusammenwirken von Anlage- und Umweltfaktoren bei der Entstehung einer Allergie.

2.1 Warum gerät das Immunsystem außer Kontrolle? Es drängt sich die Frage auf, warum der Körper sich mit einer überschießenden Reaktion auf Allergene selbst schadet und wodurch eine ausgewogene Regulation des Abwehr-systems aus den Fugen gerät. Immer mehr wird klar, dass nicht nur nach schädigenden Faktoren, sondern auch verstärkt nach Schutzfaktoren, die das Abwehrsystem im Gleich-gewicht halten, gefahndet werden muss.

Nach heutigem Kenntnisstand müssen für die Entstehung einer Allergie eine ganze Reihe von Ursachen verantwortlich gemacht werden. Neben der anlagebedingten Bereitschaft, allergisch zu reagieren, begünstigen verschiedene Faktoren in der Umwelt und der Le-bensweise des Menschen die Entstehung einer Allergie. Tabelle 2-1 zeigt für die Allergie-entstehung wichtige Faktoren im Überblick.

Tabelle 2-1: Faktoren, die an der Entstehung einer Allergie beteiligt sind

1) anlagebedingte allergische Reaktionsbereitschaft

2) Einflüsse während Schwangerschaft und Geburt

3) frühzeitiger Allergenkontakt

4) intensiver Allergenkontakt

5) westlicher Lebensstil

6) Umweltschadstoffe

7) mangelnde Schutzfaktoren

2.2 Allergisch durch Veranlagung? Allergische Erkrankungen treten familiär gehäuft auf. Das Risiko eines Neugeborenen, an einer Allergie zu erkranken, hängt stark von der Allergiebelastung in seiner Familie ab (siehe Abbildung 2-1). Die familiäre Allergiebelastung ist bisher der zuverlässigste pro-gnostische Faktor für das Allergierisiko des Kindes.

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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das online-Buch

2. Anlage oder Umwelt?

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004 Seite 2-2

2 allergische Eltern mit

selber Allergie:50-70%

2 allergische Eltern:

40-60% 1 allergischer

Elternteil: 20-40%

1 allergisches Geschwister: 25-35%

kein Allergiker in der Familie:

5-15%

Abbildung 2-1: Allergierisiko eines Neugeborenen Kennzeichen vieler allergischer Erkrankungen ist ein erhöhter Immunglobulin E (IgE)-Spiegel im Blut. Neugeborene mit einem erhöhten IgE-Spiegel im Nabelschnurblut haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine atopische Erkrankung zu entwickeln. Eine zuver-lässige Voraussage des Allergierisikos eines einzelnen Kindes ist damit jedoch nicht mög-lich. Für den IgE-Spiegel besteht bei Familienangehörigen eine gewisse Übereinstim-mung, besonders bei Zwillingen. Diese Übereinstimmung liegt jedoch auch bei eineiigen Zwillingen nicht über 50%. Es ist auch nicht vorstellbar, dass sich unser Erbgut in den letzten Jahrzehnten so stark verändert hat, dass damit allein die Zunahme der Allergie-häufigkeit zu erklären wäre. Neben der vererbten Veranlagung müssen also noch weitere Auslösefaktoren an der Entstehung einer Allergie beteiligt sein.

Die Forschung arbeitet mit Hochdruck daran, Veränderungen im Erbgut verschiedenen allergischen Erkrankungen zuzuordnen. Man könnte dann Risikokinder früh erkennen, bei diesen eine intensive Allergievorbeugung betreiben, möglicherweise den Ausbruch einer Allergie verhindern oder später vielleicht sogar gezielter behandeln. Für den medizini-schen Alltag verwendbare Ergebnisse liegen bisher allerdings noch nicht vor. Die meisten Allergien werden offenbar nicht nur durch ein Gen, sondern durch die Kombination von mehreren Genen vererbt.

2.3 Was haben Umwelteinflüsse mit Allergien zu tun? In den letzten Jahren wurde natürlich auch geforscht, ob unsere Lebensbedingungen in einer komplexen Industriegesellschaft etwas mit der Zunahme der Allergiehäufigkeit zu tun haben könnten. Tabelle 2-2 gibt eine Überblick über die diskutierten Faktoren. Stoffe aus der Umwelt können entweder als Allergene selbst allergieauslösend wirken (z.B. Tiere), als adjuvante Faktoren die Allergieauslösung fördern (z.B. Tabakrauch, Dieselruß) oder als Triggerfaktoren die Reaktion des Organismus auf einen Allergieauslöser ver-stärken (z.B. Infektion, Umweltschadstoffe).

Tabelle 2-2: Umweltfaktoren, welche die Allergiehäufigkeit beeinflussen können

1) höhere Allergenkonzentration

2) neuartige Allergieauslöser

3) Umweltschadstoffe

4) zu geringe Stimulation des kindlichen Immunsystems (Hygienehypothese)

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2.3.1 Höhere Allergenkonzentrationen Veränderte Bau- und Wohnverhältnisse erhöhen die Allergenkonzentration in unseren Häusern. Energiesparmaßnahmen haben zum Bau von dicht abgeschlossenen Gebäuden mit geringen Luftwechselraten geführt. Dadurch steigt zum einen die Luftfeuchtigkeit, was das Milben- und Schimmelpilzwachstum fördert, zum anderen auch die Luftschad-stoffkonzentration in Innenräumen an. Die Haustierhaltung hat deutlich zugenommen, Tiere werden nicht mehr draußen, sondern in der Wohnung gehalten. Dies erhöht die Konzentration von Tierallergenen sowohl im Haus als auch beispielsweise in Schulen und Kindergärten, denn die Kinder transportieren die Allergene auf ihrer Kleidung weiter. Momentan wird jedoch kontrovers diskutiert, inwieweit Haustiere und mit der Tierhaltung einhergehende Bakterien auch vor Allergien schützen könnten. Früh blühende Bäume blühen immer früher im Jahr und tendenziell steigen die Pollenmengen an. Die Beobach-tung, dass Allergien in sozial besser gestellten Familien besonders häufig sind, hängt wohl hauptsächlich mit diesen und anderen Faktoren des westlichen Lebensstils zusam-men.

2.3.2 neuartige Allergieauslöser Wir sind heute auch mehr und unterschiedlicheren Allergieauslösern ausgesetzt als die Menschen früher. Von der Industrie wird jedes Jahr eine große Zahl neuartiger chemi-scher Substanzen in Umlauf gebracht, mit denen der Mensch bisher nicht in Kontakt ge-treten ist. Mit neuen Kosmetika werden diese Stoffe auf die Haut aufgetragen oder im Falle von Nahrungsmittelzusatzstoffen dem Magendarmtrakt zugeführt. Auch das erwei-terte Nahrungsmittelangebot, beispielsweise mit unserer Vorliebe für exotische Früchte wie Kiwi oder Mango, hat das Allergenangebot vermehrt. Auch gentechnisch veränderte Nahrungsmittel können potentiell zu einem erhöhten Allergierisiko führen, vor allem wenn Gene von einer Pflanzenart auf eine andere übertragen werden. Auf jeden Fall ist hier eine strenge und vollständige Deklaration zu fordern.

2.3.3 Umweltschadstoffe Allergische Personen haben ein besonders hohes Risiko, auf viele Begleitprodukte unserer komplexen Industriegesellschaft zu reagieren. Es ist hier nicht möglich, alle potentiellen Schadstoffe zu besprechen, zumal von vielen Stoffen die Langzeitwirkungen überhaupt noch nicht erfasst sind. Exemplarisch soll jedoch auf einige Luftschadstoffe, welche Aus-wirkungen auf die Atemwege haben können, eingegangen werden. Unterschieden werden muss zwischen der Schadstoffbelastung im Haus, welche viel leichter von jedem Betrof-fenen reduziert werden kann und der Schadstoffbelastung in der Außenluft, welche vom Einzelnen kaum oder nur schwer zu beeinflussen ist. Wahrscheinlich wirken eine Vielzahl von Umweltschadstoffen synergistisch. Dies bedeutet, dass ein Umweltgift allein keine fassbare Wirkung zeigt, jedoch die Einwirkung mehrerer unterschiedlicher Substanzen mit verschiedenen Schädigungsmechanismen zur Krankheit führt.

1) Schadstoffe im Haus Die hauptsächlichen Schadstoffe und Reizstoffe im Haus sind Tabakrauch (gleichgültig ob durch Aktiv- oder Passivrauchen eingeatmet), Formaldehyd und Emissionen aus der Ver-brennung in Holz- oder Gasöfen.

• Passivrauchen Akute Folgen des Passivrauchens sind Augenreizungen, Kopfschmerzen, Reizung der Schleimhaut der Atemwege mit Husten bei etwa einem Drittel aller Personen. Chronische Folgen sind eine deutlich erhöhte Rate von Erkrankungen der tiefen Atemwege (Bronchitis, Asthma, Lungenentzündung) vor allem in den ersten Le-bensjahren bei Kindern rauchender Eltern. Zudem steigt das Risiko für chronische Mittelohrergüsse und Allergien. Es gibt sogar Hinweise dafür, dass es zu einer Störung in der Entwicklung der Lungenfunktion kommen kann. Auch der plötzliche Kindstod ist bei Kindern rauchender Eltern häufiger.

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Das Einstellen des Rauchens zumindest in der Wohnung ist eine der effektiv-sten Maßnahmen, bei Erkrankungen der Atemwege - ob allergischer oder nicht-allergischer Natur - eine Besserung der Krankheitserscheinungen zu erzielen. Die positiven Auswirkungen des Einstellens des Rauchens auf die Luftwege können nicht überbetont werden!

• Formaldehyd Formaldehyd führt dosisabhängig zu Reizungen der Augen, der Nasenschleimhaut, Halsbeschwerden, erhöhter Reizbarkeit der Bronchien und Kopfschmerzen. Haupt-quelle des Formaldehyds sind Spanplatten, welche Formaldehyd über lange Zeit ausdünsten können. Inzwischen werden Spanplatten je nach Formaldehydgehalt in drei verschiedene Emissionsklassen eingeteilt. Vorsicht ist bei nicht klassifizier-ten Spanplatten, vor allem bei Billigimporten angebracht.

• Emissionen aus Gas- und Holzöfen In Zimmern, in denen ein Gasofen betrieben wird, treten vier- bis siebenfach er-höhte Konzentrationen von Stickstoffdioxid (NO2) auf. Eine vorübergehende Ver-minderung der Lungenfunktion kann die Folge sein. Abgase von Holzöfen können leichte bis mittelschwere Atemwegssymptome hervorrufen. Daher sind offene Feuer in der Wohnung für Patienten mit Luftwegserkrankungen potentiell schäd-lich.

2) Schadstoffe in der Außenluft Man war zunächst sehr erstaunt, als vergleichende Untersuchungen gezeigt hatten, dass die Allergiehäufigkeit in der ehemaligen DDR mit ihrem hohen Luftverschmutzungsgrad nicht größer sondern kleiner war im Vergleich zu den alten Bundesländern. Nachdem sich der Lebensstil zwischen Ost und West immer mehr annähert, steigt allerdings auch die Allergiehäufigkeit im Osten langsam auf das Westniveau an.

Eine Erklärungsmöglichkeit sind die unterschiedlichen Wohnbedingungen in Ost und West mit älteren Gebäuden im Osten. Das bedeutet höhere Luftwechselraten und in der Folge weniger Innenraumallergene im Osten. Weiterhin weiß man inzwischen, dass man zwi-schen verschiedenen Formen der Luftverschmutzung unterscheiden muss. Viele Men-schen zeigen bei Exposition überhaupt keine Symptome, manche werden krank.

• Typ I der Luftverschmutzung Der Typ I der Luftverschmutzung ist der klassische Smogtyp mit Schwefeldioxid (SO2), Staub und größeren Schmutzpartikeln als Kennzeichen, er war der klassi-sche Luftschadstofftyp in den Industriegebieten des Ruhrgebiets und der ehemali-gen DDR. Er führt zu einer Schleimhautreizung und vermehrten Atemwegsinfek-tionen. Bei Asthmatikern kann es zu einer Bronchialverkrampfung kommen. Ein Zusammenhang mit einer vermehrten Allergiehäufigkeit konnte nicht gefunden werden. Dieser Typ der Luftverschmutzung wurde in Ost und West deutlich redu-ziert.

• Typ II der Luftverschmutzung Der Typ II der Luftverschmutzung, der westliche Luftschadstofftyp, ist durch Stickstoffoxide (NOx), Feinstaub einschließlich ultrafeiner Partikel und Sekundär-produkte wie Ozon (O3) gekennzeichnet. Er ist der Schadstofftyp des automobilen Zeitalters. Auch er kann zu Schleimhautreizungen führen und zusätzlich die Aller-gieentstehung fördern. Zur Förderung der Allergieentstehung muss jedoch ein ho-her Verschmutzungsgrad (z.B. Hauptverkehrsstraße in einer Großstadt) vorliegen. Empfindliche Personen sollten bei hohen Ozonkonzentrationen körperliche An-strengungen und Sport auf den Morgen vor 11 Uhr oder den Abend nach 19 Uhr verlegen. Den ultrafeinen Schwebestäuben gilt zur Zeit das besondere Interesse der Umweltforscher. Die winzigen Partikel werden insbesondere auch von Diesel-motoren ausgestoßen, können ganz tief in die Atemwege eindringen und sind wahrscheinlich gefährlicher als die bisher als Indikatoren verwendeten Luftschad-stoffe.

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Zusammenfassend ist zu folgern, dass viele Luftschadstoffe eindeutig einen schädlichen Einfluss auf die Atemwege ausüben und die Allergieentstehung fördern können. Es muss daher alles getan werden, den Luftschadstoffgehalt in unserer Luft im Haus und außer-halb des Hauses weiter zu reduzieren. Als alleinige Erklärung für die steigende Allergie-rate reichen die Luftschadstoffe allerdings nicht aus.

2.3.4 Weitere Umweltfaktoren, welche die Entstehung von Allergien fördern können a) Schwangerschaft und Geburt Neugeborene, deren Mütter in der Schwangerschaft geraucht haben, haben höher IgE-Werte und ein höheres Risiko einer atopischen Erkrankung (insbesondere Neurodermitis). Komplikationen bei der Geburt, die Mutter oder das Kind betreffend, erhöhen die spätere Asthmahäufigkeit. Frühgeborene haben ebenfalls häufiger Asthma als zum normalen Termin geborene Kinder. Ein früher und intensiver Allergenkontakt beein-flusst das Atopierisiko. Daher kann auch die Jahreszeit, zu der das Kind geboren wird, einen Einfluss auf die Entstehung einer Allergie haben. In Skandinavien hatten Kinder, die zwischen Februar und April geboren wurden, ein höheres Risiko für eine Birkenpollen-allergie. In England hatten im Spätsommer geborene Kinder eine höhere Asthmarate. Die Bedeutung von Umgebungsfaktoren unterstreicht auch folgende Beobachtung: In Eng-land lebende afrikanische Kinder wiesen eine höhere Asthmarate auf, wenn sie in Groß-britannien geboren worden waren, im Vergleich zu afrikanischen Kindern, die erst später nach England kamen. Offenbar besteht im frühen Säuglingsalter eine besonders kritische Periode, in der Sensibilisierungen besonders leicht entstehen können.

b) Nachgeburtliche Faktoren Frühes Zufüttern von Kuhmilch und Beikost erhöht das Allergierisiko. Ausschließliches Stillen über vier bis sechs Monate hat einen schützenden Effekt. Die Auslösung einer Nahrungsmittelallergie über die Muttermilch ist jedoch in seltenen Fällen möglich, so dass ein übermäßiger Genuss von Kuhmilch und Hühnereiweiß durch die stillende Mutter bei allergiegefährdete Kindern nicht zu empfehlen ist. Kinder, die in jungem Alter in All-gemeinnarkose operiert oder aus anderen Gründen im Krankenhaus oder mit Anti-biotika behandelt werden mussten, hatten ebenfalls eine höhere Allergierate. Eine besonders hohe Konzentration von Allergenen in der Wohnung wie Hausstaubmilben, Schimmel-pilze begünstigen eine Sensibilisierung. Virusinfektionen sind ein häufiger Auslöser von Asthmaepisoden bei Menschen mit überempfindlichem Bronchialsystem. Obstruktive Bronchitiden im Säuglingsalter sind fast immer infektausgelöst. Möglicherweise können bestimmte Viren auch über eine Erhöhung der Durchlässigkeit der Schleimhäute der Atemwege die Entstehung von Allergien be-günstigen. Andrerseits haben Virusinfektionen in der frühen Kindheit auch einen vor Allergien schützenden Effekt (siehe unten). Einige Hobbies sind mit einer besonderen Allergenexposition verbunden, z.B. mit einem engen und intensiven Kontakt mit Tieren. Für Allergiker sind Hobbies und Berufe, die mit extremen Temperaturen, hoher Feuch-tigkeit, Kontakt mit Schimmelpilzen, Enzymen oder aggressiven Chemikalien oder Gerü-chen verbunden sind, ungeeignet.

2.4 Mangelnde oder falsche Stimulation des Immunsystems? 2.4.1 Mangelnde Stimulation durch zu wenig Infektionserreger? Die Hinweise verdichten sich, dass unser westlicher Lebensstil mit einer deutlich redu-zierten Auseinandersetzung mit verschiedensten Viren, Bakterien, Parasiten und Endoto-xinen (Giften aus der Zellwand von Bakterien), verminderter Familiengröße und Aufwach-sen außerhalb von Bauernhöfen die Hauptursache der ansteigenden Allergie- und Asthmahäufigkeit ist. Beispielsweise stieg die Allergie- und Asthmarate in den neuen Bundesländern mit den veränderten Lebensbedingungen nach der Wende auf Westniveau

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an. Ein Zusammenhang zwischen Impfungen und einer erhöhten Allergierate besteht nicht!

Gestützt wird die Hygienehypothese auch durch neue Untersuchungen an Bauernkindern aus Bayern und Österreich: Bauernkinder, deren Mütter schon in der Schwangerschaft regelmäßig im Stall gewesen waren und nach der Geburt von der Mutter regelmäßig mit in den Stall genommen wurden, hatten eine deutlich niedrigere Allergie- und Asthmarate. Eine gesicherte Erklärung gibt es für dieses Phänomen bisher nicht, der frühe Kontakt mit Tierallergenen allein ist es jedoch offenbar nicht, der diese schützende Wirkung hervor-ruft. Möglicherweise sind es Bakteriengifte aus dem Stall, welche das Immunsystem in eine positive, vor Allergien schützende Richtung bewegen. Auch Kinder aus anthroposo-phischen Familien haben weniger Allergien. Die Gründe hierfür sind unkklar.

2.4.2 Mangelnde schützende Stimulation durch ungünstige Darmflora? Ebenso aufregend sind die Ergebnisse erster Studien, bei denen in allergiebelasteten Familien den schwangeren Müttern sowie den Kindern nach der Geburt für 6 Monate be-stimmte Milchsäurebakterien (Lactobacillus GG) verabreicht wurden. In der so behan-delten Gruppe hatten die Kinder im Alter von 2 Jahren deutlich weniger atopische Er-krankungen. Der Ausgangspunkt dieser Untersuchungen war die Beobachtung, dass die Darmflora von Kindern aus einem hoch entwickelten Land (Schweden) sich deutlich von der Darmflora von Kindern aus einem weniger entwickelten Land (Estland) unterschied. Auch hatten nicht allergische Kinder aus Schweden und Estland im Alter von 2 Jahren mehr Lactobacillen und Bifidusbakterien im Darm als die allergischen, bei denen sich mehr Colibakterien fanden. Möglicherweise kann man durch sogenannte Probiotika (= Darmbakterien, welche die Darmflora günstig beeinflussen) über das Immunsystem des Darmes einen vor Allergien schützenden Effekt erreichen.

2.5 Zusammenfassung Anlage- und Umweltfaktoren wirken bei der Allergieentstehung zusammen.

Das Risiko eines Kindes, an einer Allergie zu erkranken, hängt stark von der Allergiebe-lastung in seiner Familie ab. Es wird fieberhaft nach Allergie- und Asthmagenen ge-forscht. Da Allergien und Asthma jedoch offenbar über die Kombination verschiedener Gene vererbt werden, stehen im medizinischen Alltag verwertbare Ergebnisse allerdings noch aus.

Folgende Umweltfaktoren (sogenannter westlicher Lebensstil) können das Allergierisiko erhöhen: Früher und intensiver Kontakt mit mehr und unterschiedlicheren Allergieaus-lösern als früher, frühes Zufüttern, Tabakrauchexposition, hohe Luftschadstoffkonzentra-tion des westlichen Typs und nach heutigem Wissen vor allem eine mangelnde Stimula-tion des Immunsystems durch Parasiten und andere Infektionserreger. Es gibt keine Hinweise dafür, dass Impfungen die Allergierate erhöhen!

Schützende Faktoren sind Stillen, bäuerlicher Lebensstil (mit Stallkontakt) sowie anthro-posophischer Lebensstil (Gründe unklar). Ein vielversprechender Ansatz zur Allergievor-beugung, der jedoch noch weiter abgesichert werden muss, ist die Veränderung der Darmflora durch probiotische Bakterien.

Das Wissen um eine allergische Veranlagung darf daher nicht zur Resignation führen ("Da kann ich ja doch nichts machen!"). Im Gegenteil, beeinflussbaren Faktoren in der häusli-chen Umgebung und übrigen Umwelt muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt wer-den, um durch sinnvolle vorbeugende Maßnahmen das Risiko einer Allergieentstehung oder Allergieausweitung zu senken.

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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?

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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?

3.1 Die Schritte einer Allergie- und Asthmauntersuchung 3.2 Die Krankengeschichte 3.3 Die körperliche Untersuchung 3.4 Wichtiges zur Allergietestung 3.5 Allergietestung auf der Haut 3.6 Allergietestung im Blut 3.7 Provokationstests 3.8 Lungenfunktionsuntersuchung 3.9 Weitere Zusatzuntersuchungen 3.10 Abschließende Beurteilung und Besprechung 3.11 Welcher Arzt ist der richtige? 3.12 Zusammenfassung Wenn Sie mit Ihrem Kind mit dem Verdacht auf eine Allergie zum Arzt gehen, wollen Sie natürlich wissen, was Sie erwartet. Das dritte Kapitel gibt Ihnen die notwendigen Infor-mationen. Sie können sich und Ihr Kind dann besser darauf vorbereiten. Frau Weber hat mit ihrem achtjährigen Sohn Thomas einen Termin beim Arzt zur Allergieuntersuchung. Seit drei Monaten hat Thomas in der Nacht Husten und Atemnot bei körperlicher Anstrengung. Daher soll jetzt eine eingehende Untersuchung erfolgen. Thomas ist es ziemlich mulmig im Bauch, auch Frau Weber ist gespannt, was sie er-wartet. Nach einer kurzen Wartezeit, in der sie auch einen Fragebogen zur Krankheits-vorgeschichte ausfüllte, ist Thomas an der Reihe und wird vom Arzt mit seiner Mutter freundlich begrüßt. Dieser stellt zunächst eine ganze Reihe von Fragen. Es folgt eine gründliche körperliche Untersuchung. Dann wird ein Hauttest angelegt. Es tut kaum weh, das an drei Stellen auftretende Hautjucken stört Thomas mehr. Nach fünfzehn Minuten wird abgelesen: es zeigt sich eine deutliche Reaktion gegen Hausstaubmilben. Zuletzt wird noch eine Lungenfunktionsuntersuchung vor und nach einem Dauerlauf durchgeführt, Thomas muss dazu in ein Mundstück blasen. Der Ausgangswert ist in Ordnung, nach Belastung zeigt sich jedoch eine Funktionseinschränkung. Zum Abschluss bespricht der Arzt alle Befunde mit Thomas und seiner Mutter: Thomas hat ein Asthma bronchiale, das durch eine Milbenallergie hervorgerufen wird und sich zudem bei körperlicher Belastung verschlechtert. Die Milbensanierung vor allem im Kinderzimmer-bereich wird besprochen. Der Arzt verordnet auch 2 Medikamente zum Inhalieren: eines zur regelmäßigen Anwendung, ein zweites zur Anwendung nur bei Atemproblemen. Die genaue Handhabung des kleinen Pulverinhalators wird von der Arzthelferin anschließend ausführlich erklärt. In vier Wochen wird ein Termin für eine Kontrolluntersuchung vereinbart, um den Erfolg der Behandlungsmaßnahmen zu überprüfen. Vor dem nächsten Termin hat Thomas keine Angst mehr.

3.1 Die Schritte einer Allergie- und Asthmauntersuchung Die Diagnose einer Allergie und eines Asthma bronchiale umfasst mehrere Schritte:

• Krankengeschichte (Anamnese) • körperliche Untersuchung • Allergietests auf der Haut oder im Blut • Lungenfunktionstest

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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?

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• Provokationstests • weitere Zusatzuntersuchungen • abschließende Bewertung und Besprechung.

3.2 Die Krankengeschichte Der erste und wichtigste Schritt ist die Krankengeschichte (Anamnese). Mit der Kranken-geschichte allein kann in vielen Fällen die Diagnose bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit gestellt oder ausgeschlossen werden. Auf jeden Fall ist sie für die Weichenstellung in Bezug auf weitere diagnostische Maßnahmen entscheidend. Die folgenden Fragen sind zur Abklärung einer Allergie besonders wichtig. Eventuell erhalten Sie auch einen Allergiefragebogen, den Sie zur Vorinformation des Arztes bereits im Wartezimmer ausfüllen. Eventuell wird Ihr Arzt Sie auch bitten, ein Symptomprotokoll z.B. in Form eines Symptom-Nahrungsmittel-Tagebuches zu führen.

Man unterscheidet allergische Frühreaktionen, die innerhalb von 2 Stunden eintreten (z.B. sofortige Lippenschwellung nach Eikontakt) von allergischen Spätreaktionen. Da letztere erst Stunden bis Tage nach dem Allergenkontakt auftreten, sind sie mitunter sehr schwer zu diagnostizieren.

3.2.1 Fragen zu den Beschwerden Wann und in welchem Zusammenhang sind die ersten Symptome aufgetreten? Welche Beschwerden haben bestanden und wie lange haben sie angehalten? Treten die Beschwerden immer zu einer bestimmten Jahres- oder Tageszeit auf (z.B.

immer im Frühjahr oder nur nachts)? Besteht eine Abhängigkeit vom Aufenthaltsort (z.B. drinnen oder draußen, bei den

Großeltern oder Freunden, in der Schule oder im Beruf)? Liegen persönliche Risikofaktoren vor (z.B. Frühgeborenes)?

3.2.2 Fragen zur Wohnsituation Liegt die Wohnung auf dem Land (Felder, Wiesen in direkter Nachbarschaft) oder in

der Stadt (Hauptverkehrsstraße, Industrieansiedlung)? Wie wird geheizt, gibt es Gas- oder Holzöfen in der Wohnung? Ist es in der Wohnung feucht oder schimmlig? Wie ist der Schlafbereich beschaffen (Material von Bettdecke, Kissen und Matratze,

Stockbett, viel Staub, Pflanzen)? Sind Haustiere vorhanden und wo halten sich diese Tiere auf? Wird in der Wohnung geraucht?

3.2.3 Fragen zum außerhäuslichen Bereich Besteht in der Schule, bei Freunden, im Beruf oder bedingt durch Hobbies Kontakt

mit bestimmten Allergieauslösern (z.B. Tiere, Chemikalien)?

3.2.4 Fragen zur Familie Gibt es allergische Erkrankungen oder Asthma in der Familie?

3.2.5 Fragen zur Ernährung Wie ernährt sich der Patient und die Familie? Bestehen erkennbare Zusammenhänge zwischen Nahrungsmitteln und Symptomen? Besonders bei Säuglingen wichtig: Art der Ernährung, Stilldauer, wie hat sich die

Mutter während der Stillzeit ernährt, wann wurde was zugefüttert?

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3.2.6 Fragen zu durchgeführten Behandlungen und Medikamenten Welche Behandlungsmaßnahmen sind bisher mit welchem Erfolg durchgeführt

worden? Wurden vor dem Auftreten der Symptome Medikamente eingenommen?

3.3 Die körperliche Untersuchung Ihr Kinder- und Jugendarzt wird insbesondere jene Organe gründlich untersuchen, welche von den Beschwerden betroffen sind. Bei chronisch verlaufenden Erkrankungen ist auch die Beurteilung von Wachstum und Entwicklung besonders wichtig.

3.4 Wichtiges zur Allergietestung Oft ist zu hören, bei Säuglingen und Kleinkindern sei noch keine Allergietestung möglich. Dies ist jedoch eindeutig falsch. Auch bei Säuglingen können schon aussagekräftige Testungen vorgenommen werden.

Wichtig!: Eine positive Reaktion beim Allergietest beweist nicht automatisch das Vorliegen einer allergischen Erkrankung. Sie zeigt lediglich, dass das Immunsystem Kontakt mit der entsprechenden Substanz gehabt und darauf reagiert hat (= Sensi-bilisierung). Der Allergietest kann jedoch nichts darüber aussagen, ob diese Sensibili-sierung auch wirklich Krankheitserscheinungen hervorruft (= Allergie). Diese Ein-schränkung gilt vor allem bei Nahrungsmitteln. Im Zweifelsfall muss ein Provokationstest durchgeführt werden.

Ein Allergietest kann jedoch auch negativ ausfallen: z.B. im Frühstadium einer allergischen Erkrankung oder wenn die Sensibilisierung nicht sehr stark ist, beispiels-weise wenn lediglich eine allergische Bindehautentzündung vorliegt.

Das Ergebnis eines Allergietests kann daher niemals für sich allein und isoliert bewertet werden, sondern muss immer im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und den Krankheitserscheinungen betrachtet und beurteilt werden! Dies setzt vor allem bei Kindern besondere Erfahrung voraus. Leider kommt es immer wieder vor, dass der Allergietest und nicht das allergiekranke Kind behandelt wird.

Ungeeignete Diagnosemethoden sind u.a. die Kinesiologie, Bioresonanz oder Elektro-akupunktur (siehe auch Kapitel 17).

3.5 Allergietestung auf der Haut Hauttests sind das am häufigsten angewendete Untersuchungsverfahren auf der Suche nach Allergieauslösern. Das Testmaterial kann in die Haut eingebracht (Pricktest, Intrakutantest) oder auf die Haut aufgebracht (Epikutantest = Patchtest) werden. Liegt eine Sensibilisierung gegen die entsprechende Substanz vor, so reagiert die Haut mit einer Hauterhebung (Quaddel) und Rötung bzw. einer Ekzemreaktion (Bläschen und Knötchen). Die Stärke auftretenden Hautreaktion gib auch einen Hinweis auf den Ausprägungsgrad der Sensibilisierung.

Wichtig!: Vor einem Hauttest müssen antiallergisch wirkende Medikamente aus der Gruppe der Antihistaminika (z.B. Aerius®, Fenistil®, Telfast®, Zyrtec®, Xusal®) abgesetzt werden, da sie die Reaktionsbereitschaft der Haut herabsetzen und damit das Testergebnis verfälschen können. Die Medikamentenpause muss zwischen drei und sieben Tagen betragen. Auch Kortison-haltige Salben und Cremes dürfen drei bis sieben Tage vor der Testung im Testareal nicht verwendet werden.

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3.5.1 Der Pricktest

3.5.2 Der Scratchtest Beim Scratchtest wird die Haut oberflächlich angeritzt und anschließend das Allergen auf-getragen. Der Test hat viele unspezifisch positive Reaktionen und wird daher nur noch selten angewendet.

3.5.3 Der Intrakutantest Beim Intrakutantest wird die Testlösung oberflächlich in die Haut gespritzt. Er dient z.B. zur Diagnostik von Insektengiftallergien.

3.5.4 Der Reibtest Bei besonders starker Sensibilisierung z.B. gegen Tierhaare genügt oft ein vorsichtiges Reiben über 60 Sekunden mit den Tierhaaren auf der Haut, um eine Hautreaktion hervor-zurufen. Für einen Reibtest wird ein kräftiges Büschel Haare benötigt, etwa so viel wie bei einem mittelgroßen Malpinsel.

3.5.5 Der Patch-Test (= Epikutantest) Der Patch-Test wird bei Kindern hauptsächlich als sogenannter Atopie-Patch-Test zur Überprüfung allergischer Auslösefaktoren bei Neurodermitis verwendet. Er erfasst die allergischen Spätreaktionen, die erst innerhalb von Stunden bis Tagen nach Allergen-kontakt auftreten, besser als der Pricktest oder RAST. Der Patchtest dient auch zur Ursachensuche bei Kontaktallergien der Haut (z.B. Hautausschlägen an Körperstellen, an denen Schmuck getragen wird). Die Testsubstanzen werden mit Hilfe eines hautfreundlichen Pflasters mit der Haut, meist am Rücken, in Kontakt gebracht. Sie verbleiben 24 bis 48 Stunden auf der Haut. Eine positive Reaktion äußert sich als Anhebung der Haut, Bildung kleiner Bläschen oder Knötchen.

3.5.6 Wann kann ein Hauttest nicht durchgeführt werden? Eine ganze Reihe von Faktoren können die Reaktionsbereitschaft der Haut verändern und die Aussagefähigkeit eines Hauttests beeinträchtigen. Hauttests sollen daher in folgenden Situationen nicht durchgeführt werden:

Beim Pricktest werden die Testsubstanzen auf zuvor markierten Stellen auf die Haut aufgetropft. Danach wird jeweils mit einer Einmallanzette oder einer speziellen Nadel durch die Allergenlösung hindurch oberflächlich in die Haut gestochen (siehe Abbildung 3-1). Durch diese kleine Verletzung wird der Kontakt des Allergens mit dem Immunsystem in der Haut hergestellt. Nach 15 Minuten wird der Test, der hauptsächlich allergische Sofortreak-tionen erfasst, abgelesen. Entscheidend ist eine Anhebung

Abbildung 3-1: Pricktest

(Quaddelbildung) der Haut. Parallel wird immer als Kon-trolle mit Kochsalzlösung (darf nicht reagieren) und His-

tamin (Vermittlersubstanz allergischer Reaktionen, 1:1000 verdünnt, soll reagieren) ge-testet. Die Reaktion auf das Allergen wird im Vergleich zur Reaktion der Kochsalzlösung (Negativkontrolle) und des Histamins (Positivkontrolle) beurteilt. Bei Säuglingen, Klein-kindern und älteren Menschen ist die Hautreaktion schwächer ausgeprägt als in den übrigen Altersstufen.

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• während akuter Infektionen • während akuter allergischer Reaktionen (mindestens eine Woche), da die

Antikörper durch die Reaktion verbraucht und unter Umständen nicht nachzuweisen sind

• Antihistaminika oder Kortison-Cremes wurden nicht abgesetzt • Testbezirk ist z.B. durch starke Verhornung oder Ekzem verändert • zu starke Angstreaktion bei kleinen Kindern (dann Bluttest).

3.5.7 Gibt es Nebenwirkungen durch Hauttests? Bei der bei weitem überwiegenden Anzahl von Hauttests sind außer einem Juckreiz und evtl. einer Schwellung an der Teststelle keine Reaktionen zu erwarten. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn der verdächtigte Allergieauslöser zuvor Allgemeinreaktionen (z.B. einen ausgedehnten Hautausschlag) oder Schockreaktionen hervorgerufen hat. Dies kann z.B. bei Insektengiftallergien oder Nahrungsmittelallergien der Fall sein. In solchen Situationen wird das Allergen in sehr hohen Verdünnungen zur Testung verwendet und Notfallmedikamente werden bereitgehalten. Wenn ein möglicherweise mit größeren Nebenwirkungen behafteter Test keine Konsequenzen für die Behandlung hat, sollte er ganz unterbleiben.

3.6 Allergietestung im Blut Unterschieden werden muss zwischen Untersuchungen, die lediglich einen Hinweis-charakter auf allergische Erkrankungen haben und Untersuchungen, welche spezifisch allergieauslösende Antikörper nachweisen können.

3.6.1 Untersuchungen mit Hinweischarakter auf eine allergische Erkrankung Die Anzahl der Eosinophilen im Blut, eine spezielle Sorte weißer Blutkörperchen, kann bei Allergien, jedoch auch bei Parasitenbefall (z.B. Würmer) erhöht sein. Auch die Bestimmung des Gesamt-IgE im Blut ist zum Beweis einer Allergie ungeeignet. Die Werte für Allergiker und Nichtallergiker überlappen stark, auch andere Erkrankungen können zu erhöhten Werten führen.

3.6.2 Nachweis spezifischer IgE-Antikörper (RAST) Allergische Sofortreaktionen werden durch spezifische Antikörper aus der IgE-Klasse vermittelt (siehe auch Kapitel 16). Diese allergenspezifischen IgE-Antikörper richten sich hochspezifisch gegen einzelne Allergene (z.B. Birkenpollen) und können mit verschiedenen Verfahren im Blutserum nachgewiesen werden. Meist wird der RAST (Radio-Allergo-Sorbent-Test) verwendet. Das Ergebnis wird in RAST-Klassen angegeben: Klasse 0 = negativ, Klasse 1 = zweifelhaft, Klasse 2 = schwach positiv, Klasse 3 = positiv, Klasse 4 = stark positiv. Ein anderes Laborsystem (CAP®) verwendet die Klassen 0 bis 6. Vorteile des RAST sind die Unabhängigkeit vom Hautzustand, vom Lebensalter sowie vorausgegangener Medikamentengabe. Er ist jedoch im Vergleich zum Pricktest etwas weniger empfindlich und teurer. Auch ist das Ergebnis nicht sofort verfügbar. Er wird bevorzugt bei kleinen Kindern, denen eine umfangreiche Hauttestung nicht zugemutet werden kann und bei Personen mit chronischen Hautveränderungen (z.B. Ekzemen) durchgeführt.

3.6.3 Nachweis spezifischer IgG-Antikörper Bei einer Entzündung der Lungenbläschen (allergische Alveolitis) wird nach spezifischen Antikörpern der IgG-Klasse gesucht. Zum Nachweis einer Nahrungsmittel-allergie sind IgG-Antikörper nicht geeignet, da sie eine normale Antwort des Organismus auf den Kontakt mit verschiedenen Nahrungsmitteln darstellen. Auch bei Insektengift-

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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?

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allergien können sich IgG-Antikörper bilden. Sie dürfen jedoch nicht als schützende Anti-körper interpretiert werden.

3.6.4 Histaminfreisetzungstest Weitere Laboruntersuchungen wie der Histaminfreisetzungstest sind wegen ihres Auf-wandes Spezialfällen vorbehalten. Beim Histaminfreisetzungstest werden weiße Blut-körperchen im Labor mit Allergieauslösern in Kontakt gebracht und beobachtet, ob Histamin freigesetzt wird.

3.7 Provokationstests Kann mit den oben angeführten Untersuchungen eine Allergie nicht zweifelsfrei diagnosti-ziert werden, wird ein Provokationstest erforderlich. Beim Provokationstest wird das zu untersuchende Organ direkt mit dem angeschuldigten Allergen in Kontakt gebracht und somit eine allergische Reaktion provoziert.

3.7.1 Provokation der Nasenschleimhaut: Nasale Provokation Die Lösung mit dem angeschuldigten Allergen wird in ein Nasenloch auf die untere Nasenmuschel aufgebracht. Eine positive Reaktion äußert sich als wässrige Absonderung und Schwellung der Nasenschleimhaut, als Vergleich dient die mit einer neutralen Lösung behandelte andere Nasenseite. Zusätzlich kann die Änderung des Luftwiderstandes in der Nase vor und nach Aufbringen des Allergens bestimmt werden (Rhinomanometrie). Dieses Verfahren ist jedoch sehr aufwändig und störanfällig, sodass es vor allem bei Kindern nicht routinemäßig angewendet wird.

3.7.2 Provokation der Bindehaut: Konjunktivale Provokation Die Allergenlösung wird in den unteren Bindehautsack eingetropft. Eine positive Reaktion zeigt sich in einer Anschwellung der Bindehautgefäße und einer Absonderung von Tränenflüssigkeit.

3.7.3 Provokation des Magendarmtraktes: Orale Provokation Nahrungsmittelallergien lassen sich in vielen Fällen durch Hauttests oder Laboruntersuchungen nicht ausreichend abklären, da viele Personen positive Allergietests haben, ohne dass dies mit Krankheitszeichen verknüpft ist. Zum Beweis einer Nahrungsmittelallergie werden daher in der Regel zunächst ein oder mehrere angeschuldigte Nahrungsmittel aus der Ernährung ausgeschlossen (Auslass- oder Eliminationsphase). Verschwinden oder bessern sich daraufhin die Beschwerden, spricht dies bereits für einen ursächlichen Zusammenhang. Den sicheren Beweis bringt jedoch nur die erneute Gabe des verdächtigten Nahrungsmittels, was dann zum erneuten Auftreten der Beschwerden führen muss (Provokationsphase). Die aussagekräftigste Methode der Provokation mit Nahrungsmitteln ist die sogenannte doppel-blind placebokontrollierte Provokation bei der weder Arzt noch Patient wissen, was verabreicht wird. Die Allergene werden dabei in Medikamentenkapseln oder einer Flüssigkeit versteckt verabreicht (siehe auch Kapitel 7 "Nahrungsmittelallergien").

Auch bei vermuteten Medikamentenallergien führt oft nur eine orale Provokation zum Ziel. Das angeschuldigte Medikament wird vorsichtig in ansteigenden Dosen verabreicht und die Reaktion des Patienten genau beobachtet.

Bei der Abklärung von Allgemeinreaktionen oder Schockzuständen darf die orale Provo-kation nur bei entsprechender Überwachungs- und Notfallbehandlungsmöglichkeit durch-geführt werden!

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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?

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3.8 Lungenfunktionsuntersuchung Zur Diagnose, Verlaufs- und Therapiekontrolle bei Asthma bronchiale und anderen chronischen Lungenerkrankungen werden Lungenfunktionsuntersuchungen eingesetzt (siehe auch Kapitel 5.4 "Asthma bronchiale"). Die Lungenfunktionsuntersuchungen setzen die Mitarbeit des Patienten voraus. Einfachere Lungenfunktionsprüfungen gelingen etwa ab einem Alter von vier bis fünf Jahren. In einigen Spezialkliniken kann bereits bei Säuglingen die Lungenfunktion gemessen werden. Verschiedene Methoden der Lungen-funktionsprüfung stehen zur Verfügung:

3.8.1 Peak-Flow-Meter

Die einfachste Möglichkeit ist die Messung des maximalen Luftflusses bei Ausatmung (Peak-Flow) mit einer relativ einfachen Vorrichtung, dem Peak-Flow-Meter. Damit können ohne großen Aufwand auch häusliche Kontrolluntersuchungen vorgenom-men werden. Das Peak-Flow-Meter erfasst jedoch nur gröbere Einschränkungen der Lungenfunktion und liefert bei Verengung der kleinen Atemwege trotzdem normale Werte!

3.8.2 Fluss-Volumen-Spirometrie Wesentlich aussagekräftiger ist die Aufzeichnung des Luftflusses bei Ein- und Ausatmung in einer Fluss-Volumen-Kurve. Hierdurch können bereits geringgradige Veränderungen der Lungenfunktion und auch Verengungen der kleinen Atemwege dokumentiert werden. Bei verengten Bronchien nimmt das Ausatmungsvolumen ab und die Fluss-Volumen-Kurve bekommt eine Delle ("hängende Wäscheleine").

3.8.3 Atemwiderstandsmessung Der Atemwiderstand zeigt an, welchen Widerstand die Atemluft in den Bronchien überwinden muss. Er kann mit verschiedenen Methoden gemessen werden. Bei einer Bronchialverengung steigt der Atemwiderstand an.

3.8.4 Bodyplethysmographie Die aufwändigste Methode ist die Untersuchung in der Lungenfunktionskammer (Body-plethysmographie). Neben der Fluss-Volumen-Kurve und dem Atemwiderstand liefert sie auch Aussagen über eine mögliche Lungenüberblähung.

3.8.5 Bronchospasmolysetest Beim Bronchospasmolysetest wird nach Inhalation eines bronchialerweiternden Medikaments eine zweite Lungenfunktionsprüfung durchgeführt. Dabei zeigt sich, wie weit sich die Bronchien öffnen können und ob eine Verengung rückbildungsfähig ist.

3.8.6 Bronchiale Provokationstests Die bronchialen Provokationstests können eine bronchiale Überempfindlichkeit unter Belastungsbedingungen nachweisen. Man kann damit unter anderem ein Asthma bronchiale von anderen Lungenerkrankungen zu unterscheiden. Folgende bronchiale Provokationstests können eingesetzt werden:

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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?

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• Laufbelastung Die Laufbelastung ist eine wichtige Untersuchung insbesondere wenn der Verdacht besteht, dass sich die Bronchien bei körperlicher Anstrengung verengen (Belastungsasthma). Vor und nach einem Lauf von sechs Minuten Dauer wird eine Lungenfunktionsuntersuchung durchgeführt. Bei einer belastungsabhängigen Bronchialverengung steigt der Atemwiderstand nach dem Lauf deutlich an, auch die Fluss-Volumen-Kurve zeigt die Einengung der Bronchien.

• Inhalation von Histamin, Methacholin oder kalter Luft Die Inhalation mit Histamin oder Methacholin führt bei einem über-empfindlichen Bronchialsystem zu einer Verengung der Bronchien mit Erhöhung des Atemwiderstandes und einer Veränderung der Fluss-Volumen-Kurve. Ähnlich wirkt die Inhalation von kalter Luft.

• Inhalation von Allergenen Bei der bronchialen Provokation mit Allergenen wird eine Lungen-funktionsdiagnostik vor und nach Inhalation einer fein vernebelten Allergenlösung durchgeführt. Während und nach einer Inhalationsbelastung muss der Patient gut überwacht werden, da unter Umständen schwere Asthmaanfälle und noch nach sechs bis zehn Stunden Spätreaktionen auftreten können. Aus diesen Gründen wird eine bronchiale Provokation mit Allergenen bei Kindern heute nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt.

3.9 Weitere Zusatzuntersuchungen 3.9.1 Röntgenuntersuchung Bei akuten Atemwegsproblemen zeigt eine Röntgenuntersuchung der Lunge, ob z.B. eine Lungenentzündung vorliegt. Bei chronischen Atemwegsproblemen muss nach angeborenen Fehlbildungen oder chronisch entzündlichen Veränderungen der Lunge gesucht werden. In bestimmen Fällen kann eine Computertomographie oder Kern-spintomographie notwendig werden. Bei Verdacht auf eine Vereiterung der Nasen-nebenhöhlen als Komplikation einer allergischen Erkrankung wird evtl. eine Röntgen-untersuchung der Nasennebenhöhlen erforderlich.

3.9.2 Tympanometrie und Hörtest Sind die Ohren in Form von Ergüssen im Mittelohr beteiligt, wird eine schmerzlose Messung der Trommelfellbeweglichkeit (Tympanometrie) vorgenommen. Bei einem ausgeprägten Paukenerguss bewegt sich das Trommelfell nicht mehr. Ein Hörtest zeigt eine mögliche Beeinträchtigung des Hörvermögens durch Mittelohrergüsse.

3.9.3 Schweißtest Eine Mukoviszidose (= Cystische Fibrose) kann ein Asthma bronchiale vortäuschen. Es handelt sich dabei um eine angeborene Stoffwechselstörung, die vor allem zu einer Beeinträchtigung der Funktion der Lunge und der Bauchspeicheldrüse führt. Beim Schweißtest wird der Salzgehalt im Schweiß gemessen, welcher bei der Mukoviszidose erhöht ist.

3.9.4 Bronchoskopie Bei der Bronchoskopie werden Luftröhre und Bronchien mit einer starren oder flexiblen Optik direkt beurteilt. Man kann Entzündungen, Fremdkörper oder Aussackungen in den Bronchien erkennen und auch Gewebsproben entnehmen.

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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?

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3.10 Abschließende Bewertung und Besprechung Die Zusammenschau und Bewertung aller erhobenen Befunde liefert zum Schluss die Diagnose und auch die Grundlage für die sich anschließende Therapie, die Ihr Kinder- und Jugendarzt mit Ihnen besprechen wird. Informationen zur Therapie der ver-schiedenen allergischen Erkrankung und des Asthma bronchiale finden Sie in den folgenden Kapiteln.

3.11 Welcher Arzt ist der richtige? Bei allen Problemen sollten Sie zunächst Ihren Kinder- und Jugendarzt ansprechen. Er kann in der Regel eine allergologische Grunddiagnostik durchführen und eine Behandlung einleiten. Für spezielle und schwierigere Fragestellungen ist für die meisten Probleme für Säuglinge, Kinder und Jugendliche der allergologisch qualifizierte Kinder- und Jugendarzt der richtige Ansprechpartner. Er kennt sich mit dem wachsenden Organis-mus von Kindern und Jugendlichen am besten aus und ist trotz seiner Spezialisierung nicht nur für ein Organ zuständig. So kann er die Diagnostik und Behandlung, die bei allergischen Erkrankungen meist mehrere Organsysteme betrifft (z.B. Nase und Augen; Lunge und Nasennebenhöhlen; Magendarmtrakt und Haut) am besten koordinieren und im Bedarfsfall weitere Fachkollegen oder eine Allergieambulanz an einer Kinder- und Jugendklinik einschalten. Sie erkennen allergologisch besonders weitergebildete Ärzte daran, dass sie hinter ihrem Facharzttitel die Zusatzbezeichnung "Allergologie" führen. Sie finden diese Ärzte über Verzeichnisse, welche die regionalen Krankenkassen herausgeben; ebenso können die Bezirksärztekammern Auskunft geben.

3.12 Zusammenfassung Die Diagnose einer Allergie verläuft in verschiedenen Schritten: Nach der Erhebung der Krankengeschichte erfolgt die körperliche Untersuchung. Mit einem Bluttest können allergieauslösenden Antikörper direkt nachgewiesen werden, mit Hauttests kann die Reaktion des Immunsystems auf den Allergieauslöser an der Haut beobachtet werden. Eine Allergietestung ist bereits ab dem Säuglingsalter möglich. In unklaren Fällen muss das betroffene Organ direkt mit dem vermuteten Allergieauslöser in Kontakt gebracht und die Reaktion beobachtet werden (Provokationstest). Bei Verdacht auf ein überempfindliches Bronchialsystem oder ein Asthma bronchiale ist eine Lungen-funktionsuntersuchung erforderlich. Eventuell werden auch weitere Zusatzunter-suchungen wie ein Röntgenbild der Lunge oder ein Schweißtest durchgeführt.

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4. Erkrankungen der oberen Atemwege

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4. Erkrankungen der oberen Atemwege 4.1 Aufbau der oberen Atemwege 4.2 Funktion der Nase 4.3 Übererregbarkeit der Nasenschleimhaut 4.4 Heuschnupfen 4.5 Dauerschnupfen Dieses Kapitel erläutert zunächst den Aufbau und die Funktion der oberen Atemwege. Anschließend werden der Heuschnupfen, der allergische Dauerschnupfen sowie andere Ursachen einer chronisch verstopften Nase besprochen.

4.1 Aufbau der oberen Atemwege Zu den oberen Atemwegen zählen die Nase und der Rachen. Mit der Nase in Verbindung stehen die Nasennebenhöhlen, die größten sind die Stirnbeinhöhle und die beiden Oberkieferhöhlen. Die Ohrtrompete zieht vom oberen Nasenrachenraum zur Pauken-höhle des Mittelohrs, sie ist für den Druckausgleich zwischen Mittelohr und Rachen zu-ständig. Die Schleimhaut des Nasenrachenraums setzt sich auch nach unten in die Schleimhaut der Luftröhre und der Bronchien fort. Der Begriff "united airways" = "vereinigte Atemwege" drückt diesen anatomischen und funktionellen Zusammenhang anschaulich aus. Diese Tatsache hat jedoch auch zu Konsequenz, dass bei Allergien im Nasenrachenraum auch die Nasennebenhöhlen, das Mittelohr und die Bronchien in Mitleidenschaft gezogen werden können (siehe Ab-bildung 4-1).

rechter H

rechter L

Abbildung 4

Nasenhöhle

ch

au

u

-1

Mundhöhle

Lungenbläschen

Luftröhre mit Knorpelspangen

feinster Bronchus

er – pina 8/2002

ptbronchus

ngenflügel

: Aufbau der oberen und unteren Atemwege

Kehlkopf

Zwerchfell

Seite 4-1

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4. Erkrankungen der oberen Atemwege

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 Seite 4-2

4.2 Funktion der Nase Die Nase hat die wichtigen Funktionen der Erwärmung, Befeuchtung und Reinigung der eingeatmeten Luft. Die Einatemluft wird in der Nase von Raumtemperatur auf etwa 30°C erwärmt und stark befeuchtet. Fast alle Teilchen über einer Größe von 10 µm (z.B. Pollen) werden in der Nase abgefangen und gelangen nicht in die tieferen Atemwege. Die meisten Teilchen unter 2 µm (z.B. Schimmelpilzsporen) passieren ungehindert. Die Nase hat auch die Funktion einer "Gasmaske", indem sie viele wasserlösliche Gase wie Form-aldehyd oder Ozon zum großen Teil zurückhält.

Wird durch den Mund geatmet, fallen die genannten Schutzmechanismen aus. Es kann dadurch zu einer Austrocknung und Reizung der Bronchialschleimhaut kommen und Allergieauslöser können direkt in die Lunge gelangen. Dies ist besonders für Personen mit überempfindlichem Bronchialsystem bedeutsam. Weiterhin fungiert die Nase als Riech-organ und Klangkörper beim Sprechen und Singen. Interessant ist, dass alle drei bis sechs Stunden die Schleimhaut einer Nasenseite anschwillt und auf der Gegenseite abschwillt, sodass es in regelmäßigen Abständen zu einer Umverteilung des Atemstroms zwischen rechts und links kommt.

Etwa 50% des Widerstandes, den die Luft überwinden muss, bis sie in die tiefsten Atemwege gelangt ist, wird durch die Nase hervorgerufen. Vor allem bei Säuglingen und kleinen Kindern wird die Atmung durch eine Verlegung der Nase deutlich beeinträchtigt.

4.3 Übererregbarkeit der Nasenschleimhaut Kennzeichen allergischer wie nichtallergischer Erkrankungen der Nase ist die Über-erregbarkeit der Nasenschleimhaut. Unterschiedliche Reize wie Kälte, Staub oder allergische Auslöser können zu einer Anschwellung der Nasenschleimhaut führen, was die Nasengänge einengt und die Atmung erschwert. Zusätzlich kann es zu einem wässrigen Ausfluss kommen.

Das Leitsymptom allergischer Erkrankungen der Nase ist der Schnupfen: entweder in Form einer laufenden Nase (Fließschnupfen) mit Absonderung von wässrigem Sekret oder einer verstopften Nase (Stockschnupfen) mit blockierter Nasenatmung. Man unterscheidet den saisonal zu einer bestimmten Jahreszeit auftretenden allergischen Schnupfen (z.B. Heuschnupfen bei Pollenallergie) vom allergischen Dauerschnupfen, der mehr oder weniger konstant das ganze Jahr über besteht.

4.4 Heuschnupfen Der sechsjährige Paul macht an einem der ersten schönen Tage im Mai mit seinen Eltern und Geschwistern einen Ausflug ins Grüne. Er tollt den ganzen Tag in Wald und in Wiesen herum. Nachmittags fängt Paul an, die Augen zu reiben, die Nase juckt. Als die Familie am Abend nach Hause kommt, hat Paul knallrote Augen, die Nase läuft. An den folgenden Tagen regnet es, Paul geht es gut. Beim nächsten Ausflug am folgenden Wochenende geht es wieder los: Pauls Nase juckt und läuft, die Augen tränen. Die Mutter ahnt jetzt, was los ist. Sie kennt die Symptome aus eigener Erfahrung: Heuschnupfen.

4.4.1 Was bedeutet Heuschnupfen? Unter Heuschnupfen versteht man einen saisonal auftretenden allergischen Schnupfen (= saisonale allergische Rhinitis), der durch Pollen hervorgerufen wird. Die Beschwerden werden jedoch nicht durch Heu, sondern durch die Pollen des blühenden Grases ausgelöst. Die Nase ist auch nicht das einzige befallene Organ: auch die Augen und die Nasennebenhöhlen können mitreagieren. Der Ausdruck Pollinose schließt alle durch Pollen hervorgerufenen Krankheitserscheinungen (beispielsweise auch ein durch Pollen ausgelöstes Asthma bronchiale) ein.

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4. Erkrankungen der oberen Atemwege

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4.4.2 Wie häufig ist Heuschnupfen? Durch ihre Eigenschaft als Filterorgan für die Einatemluft ist die Nase ständig mit potentiellen Allergieauslösern in Kontakt. Es verwundert daher nicht, dass der Heu-schnupfen die häufigste allergische Erkrankung überhaupt ist. Inzwischen leiden etwa 10% aller Kinder und bis zu 20% der Jugendlichen daran. Die Häufigkeit des Heu-schnupfens hat in den letzten Jahrzehnten etwa um das Zehnfache zugenommen. Der Heuschnupfen beginnt oft schon im vierten bis sechsten Lebensjahr und erreicht einen Häufigkeitsgipfel zwischen dem zehnten und zwanzigsten Lebensjahr. Der Erkrankungs-beginn verschiebt sich zunehmend in Richtung Kleinkindesalter.

4.4.3 Symptome bei Heuschnupfen Typisch ist ein streng saisonales Auftreten der Heuschnupfensymptome während der Blütezeit der auslösenden Pflanzen.

Zunächst tritt ein Nasenjucken mit heftigem Niesreiz auf. Die von Kindern häufig durchgeführte Handbewegung von der Oberlippe zur Nasenspitze wird als "allergischer Gruß" bezeichnet. Es folgt eine wässrige Absonderung aus der Nase. Bis zu 20 ml Sekret pro Stunde kann die Nase abgeben. Parallel dazu kommt es zu einer Schwellung der Nasenschleimhaut, die Nase verstopft, die Sprache klingt näselnd. Ein Jucken am Gaumen oder Rachen zeigt an, dass die Allergene bis in den Rachen gewandert sind. Ein Verschwellen der Nasennebenhöhlen führt zu Schmerzen im Bereich der Nasen-nebenhöhlen und zu einem dumpfen Druck im Kopf. Auch ein Jucken im Gehörgang (Gehörgang und Rachen werden vom selben sensiblen Nerven versorgt) und ein Druck in den Ohren (durch eine Blockierung der Mittelohrbelüftung über die Ohrtrompeten) können sich zeigen. Geruchs- und Geschmackssinn werden gestört. Im akuten Schub kann das Allgemeinbefinden, einem grippalen Infekt ähnlich, deutlich beeinträchtigt sein.

Oft ist beim Heuschnupfen auch die Bindehaut der Augen mitbeteiligt. Es kommt zu Augenjucken. Verstärkt durch ständiges Reiben werden die Augen rot, brennen und tränen. Die Beeinträchtigung kann enorm sein. Die Augensymptome können auch ohne Nasensymptome als alleinige Zeichen einer Pollenallergie auftreten.

Bei 30 bis 40% der Betroffenen reagieren im Laufe der Zeit auch die Bronchien überempfindlich auf Pollen, es kann zu einem Asthma bronchiale kommen (soge-nannter "Etagenwechsel").

4.4.4. Die Auslöser des Heuschnupfens: Pollen Auslöser des Heuschnupfens sind Pollen (= Blütenstaub). Pollen sind bei höheren Pflanzen die Träger des männlichen Erbguts. Sie werden durch den Wind aufgewirbelt und in großen Mengen unter Umständen kilometerweit durch die Luft getragen. Die in den Pollen vorhandenen Eiweißbestandteile lösen die allergischen Reaktionen aus.

Es können drei Hauptquellen von Pollen mit verschiedenen Flugzeiten unterschieden werden:

• Bäume, welche im Frühjahr blühen (sogenannte Frühblüher), • Gräser und Getreide mit Blütezeit im Sommer und • Kräuter mit Blütezeit im Frühherbst.

Weitere Informationen über Pollen siehe Kapitel 12.

4.4.5 Diagnose des Heuschnupfens Die Vorgeschichte mit dem saisonalen Auftreten der Symptome liefert bereits die entscheidenden Hinweise.

Bei der Untersuchung findet der Arzt neben einer laufenden oder blockierten Nase mit geschwollener Nasenschleimhaut und geröteten Augen bei Kindern oft weitere Zeichen:

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4. Erkrankungen der oberen Atemwege

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dunkle Ringe und eine Anschwellung unter den Augen, durch häufiges Reiben der Nase eine quere Falte im unteren Nasendrittel, bei Verlegung der Nase eine Mundatmung mit nächtlichem Schnarchen. Zusätzlich kann ein Erguss im Mittelohr vorliegen. Die Lunge wird zum Ausschluss einer Mitreaktion der Bronchien ebenfalls abgehört.

Ein Pricktest mit den verdächtigten Pollen identifiziert schließlich den oder die Auslöser. Alternativ kann bei kleinen Kindern oder bei Vorliegen von Ekzemen ein RAST durch-geführt werden (siehe Kapitel 3.5 und 3.6). Im Frühstadium eines Heuschnupfens oder wenn isoliert eine allergische Bindehautentzündung besteht können allerdings der Prick- und RAST-Test unauffällig sein.

In Zweifelsfällen kann ein Nasenabstrich mit Untersuchung der Eosinophilenzahl (mehr als 10% Eosinophile sprechen für einen allergischen Schnupfen) oder eine nasale Provokation weiterhelfen.

4.4.6 Therapie des Heuschnupfens Die Therapie des Heuschnupfens umfasst die Reduktion des Pollenkontakts, die Aus-schaltung weiterer Reizfaktoren wie Zigarettenrauch, die medikamentöse Therapie und eventuell die Hyposensibilisierung (siehe Tabelle 4-1). Tabelle 4-1: Therapie des Heuschnupfens

1) Kontakt mit Allergie-Auslöser und anderen Reizfaktoren reduzieren 2) Medikamentöse Behandlung - evtl. kurzzeitig abschwellendes Nasenspray - Antiallergikum örtlich - Antiallergikum zum Einnehmen 3) Hyposensibilisierung

1) Pollenkontakt reduzieren Da Pollen praktisch allgegenwärtig sind, ist eine vollständige Meidung des Pollenkontakts natürlich unmöglich. Wichtige Ratschläge für Pollenallergiker, wie man den Pollenkontakt einschränken kann, finden Sie in Kapitel 12.1.

2) Medikamentöse Therapie Falls trotz Einschränkung des Pollenkontakts weiterhin ausgeprägte Symptomen be-stehen, wird eine medikamentöse Behandlung erforderlich. Es gibt Medikamente, die eher vorbeugend wirken, und Medikamente, die akut auftretende Beschwerden lindern.

• Schleimhautabschwellende Mittel Im Akutfall bei starkem Ausfluss aus der Nase oder massiv verstopfter Nase helfen abschwellende Nasentropfen oder Nasensprays (z.B. Nasivin®, NasenSpray ratiopharm®, Olynth®, Otriven®). Der schnelle Wirkungseintritt dieser Mittel verleitet zum häufigen Gebrauch. Diese Präparate dürfen jedoch regelmäßig nur eine Woche angewendet werden, da sonst die Nasenschleimhaut austrocknet! Abschwellende Schnupfenmittel mit gefäßverengenden Inhaltsstoffen werden auch als Saft oder Tabletten angeboten. Ihre Wirkung ist deutlich schwächer als bei örtlicher Anwendung. Sie spielen daher bei der Behandlung des Heuschnupfens keine große Rolle.

• DNCG DNCG (= Dinatriumcromoglicinsäure, z.B. Cromo-ratiopharm®, DNCG Trom®, Fenistil®

Augentropfen Cromoglicin, Opticrom®, Vividrin®) kann als Augentropfen und Nasenspray angewendet werden. Es hemmt die Ausschüttung von Histamin und wirkt nur vorbeugend. Die Behandlung sollte daher bereits einige Tage vor dem erwarteten Pollenflug, spätestens bei den ersten Symptomen beginnen. Die Anwendung muss zumindest während der Zeiten mit starkem Pollenflug viermal täglich erfolgen. DNCG ist

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4. Erkrankungen der oberen Atemwege

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sinnvoll bei leichtem Heuschnupfen und ist auch bei Langzeitanwendung sehr gut ver-träglich. Lodoxamid (Alomide® Augentropfen) wirkt ähnlich wie DNCG.

• Nedocromil Nedocromil (Irtan® Augentropfen und Nasenspray) hat im Vergleich zu DNCG zusätzlich eine antientzündliche Wirkung und einen schnellen Wirkungseintritt.

• Antihistaminika Antihistaminika blockieren die Wirkung des Histamins und dämpfen so die allergische Reaktion. Verschiedene Antihistaminika stehen zur Anwendung als Augentropfen, Nasenspray sowie zum Einnehmen zur Verfügung. Die älteren Antihistaminika zur Ein-nahme haben als Nebeneffekt eine müdemachende Wirkung, die neueren Präparate nicht mehr. Die neuen Antihistaminika haben einen raschen Wirkungseintritt und sind heute die wichtigste Wirktoffgruppe in der Behandlung des Heuschnupfens. Man versucht zunächst eine örtliche Behandlung als Augentropfen und Nasenspray (z.B. Allergodil®, Fenistil® Nasal, Livocab®). Falls hiermit kein ausreichender Effekt zu erzielen ist oder wenn zusätzlich Zeichen einer Mitreaktion der Bronchien auftreten, kommen Antihistaminika der neuen Generation zum Einnehmen zur Anwendung (z.B. Aerius®, Lisino® und Generica, Telfast®, Zyrtec® und Generica, Xusal®).

• Kortikoide Liegen schwere, auch mit Antihistaminika nicht unter Kontrolle zu bringende Symptome vor, so müssen eventuell Kortikoide lokal als Nasenspray oder als Augentropfen eingesetzt werden. Hierzu zählt vor allem eine anhaltend verstopfte Nase, was zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wohlbefindens führen kann. In diesem Falle ist die Anwendung eines Kortikoid-haltigen Nasensprays (z.B. Flutide®, Nasonex®, Syntaris®) bedeutend harmloser als die ständige Anwendung von abschwellenden Nasentropfen. Die Indikation zur Anwendung sollte der allergologisch erfahrenen Arzt stellen. Auch der Einsatz von Kortikoid-haltigen Augentropfen oder Augensalben darf nur vom Arzt veranlasst werden! Bei länger dauernder Anwendung müssen regelmäßige augenärztliche Kontrollen durchgeführt werden.

Die innerliche Anwendung von Kortikoiden bei Heuschnupfen muss absoluten Aus-nahmen vorbehalten bleiben, da bei längerfristiger Anwendung unter anderem mit Wachstumsstörungen zu rechnen ist!

3) Hyposensibilisierung Die Pollenallergie ist das klassische Anwendungsgebiet der Hyposensibilisierungs-behandlung (siehe auch Kapitel 13). Bei der Hyposensibilisierung werden dem Körper in steigender Dosis die auslösenden Pollen verabreicht, bis das Immunsystem nicht mehr allergisch auf die Pollen reagiert. Goldstandard ist die subkutane Hyposensibilisierung, bei der die Allergene unter die Haut gespritzt werden. Eine Hyposensibilisierung ist unter folgenden Voraussetzungen sinnvoll:

Die Pollen, gegen die man hyposensibilisieren will, sind eindeutig als Auslöser nachge-wiesen.

Die Beschwerden sind gravierend, bestehen mindestens vier Wochen im Jahr und lassen sich durch eine medikamentöse Therapie nicht ausreichend kontrollieren.

Es bestehen Hinweise für eine Mitreaktion der Bronchien.

4.4.7 Verschwindet ein Heuschnupfen wieder? Der Heuschnupfen beginnt meist im Kindes- oder Jugendalter, kann jedoch prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten. Der Verlauf ist sehr variabel und die Verlaufsbeurteilung wird durch einen in verschiedenen Jahren unterschiedlich starken Pollenflug erschwert. Ein Heuschnupfen kann sich im Einzelfall nach einer Anzahl von Jahren abschwächen oder ganz verlieren. Bei 30 bis 40% der Heuschnupfenpatienten entwickeln sich jedoch Zeichen eines Pollenasthmas, sodass der Heuschnupfen auf keinen Fall als Bagatell-erkrankung eingestuft werden darf. Im höheren Lebensalter stellt der Heuschnupfen allerdings kaum noch ein größeres Problem dar (das Immunsystem wird träger).

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4.4.8 Hat ein Heuschnupfen noch andere Folgen? Folgende Faktoren können den Verlauf einer Heuschnupfenerkrankung komplizieren:

• Da die Schleimhaut der Nasennebenhöhlen mitreagiert und anschwillt, kann leichter eine eitrige oder chronische Nasennebenhöhlenentzündung entstehen. Bei Perso-nen mit allergischem Schnupfen finden sich häufiger Mittelohrergüsse, welche das Hörvermögen beeinträchtigen.

• Neue Allergien (z.B. gegen andere Pollenarten oder Hausstaubmilben) können hin-zukommen.

• Durch eine Kreuzallergie zwischen Pollen und Nahrungsmitteln können Reaktionen auf bestimmte Nahrungsmittel auftreten. Es zeigen sich dabei meist juckende und brennende Beschwerden im Mundbereich (orales Allergiesyndrom). Oft sind die Symptome der Kreuzallergie gegen Nahrungsmittel nur während der Pollenflugzeit vorhanden. Die wichtigsten Kreuzallergien sind: Birkenpollen: mit Äpfeln, Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen, Zwetschgen und Kartof-feln. Birken- und Haselpollen: mit Haselnüssen, Mandeln, roher Sellerie, rohen Karot-ten. Beifußpollen: mit Sellerie und anderen Gewürzen, Karotten und anderen Gemüsen. Gräser- und Getreidepollen: mit Hülsenfrüchten, Getreide und Tomaten.

• Es kann ein sogenannter Etagenwechsel stattfinden. Dies bedeutet, dass die Allergie "nach unten wandert" und die Bronchien in Form einer Verengung mitrea-gieren, also ein Asthma bronchiale entsteht. Dies ist bei 30 bis 40% der Heu-schnupfenpatienten der Fall! Bei Kindern kann dieser Weg jedoch auch andersherum verlaufen, das heißt zuerst tritt ein Asthma bronchiale auf, dann eventuell zusätzlich der Heuschnupfen.

Diese Punkte zeigen, dass ein Heuschnupfenpatient ärztlich gut überwacht werden muss, vor allem wenn eine anhaltende Verschlimmerung der Symptome auftritt oder neue Symptome hinzutreten.

4.4.9 Zusammenfassung Unter Heuschnupfen versteht man einen durch Pollen hervorgerufenen saisonalen allergischen Schnupfen mit Nasenjucken, Niesreiz, laufender oder verstopfter Nase. Die meisten Patienten erkranken im Kindes- und Jugendalter. Meist sind auch die Augen in Form einer Bindehautentzündung mit Augenjucken, -rötung, -brennen und -tränen mitbeteiligt. Eine Bindehautentzündung kann jedoch auch das alleinige Symptom einer Pollenallergie sein. Im Akutstadium kann das Allgemeinbefinden ähnlich wie bei einem grippalen Infekt deutlich beeinträchtigt sein. Als Komplikationen können Mittelohr-ergüsse, Nasennebenhöhlenentzündungen und Kreuzallergien zu Nahrungsmitteln auf-treten. Auch wegen der Gefahr der Entwicklung eines Pollenasthmas bei 30 bis 40% der Patienten ist der Heuschnupfen nicht als Bagatellerkrankung anzusehen!

Die Diagnose wird durch die Anamnese und den Nachweis einer Pollenallergie mit dem Pricktest oder RAST gestellt. Die Behandlung des Heuschnupfens umfasst die Reduktion des Pollenkontakts sowie die örtliche und/oder innerliche Anwendung von antiallergisch wirkenden Medikamenten. Bei Beschwerden, die medikamentös schlecht kontrollierbar sind oder wenn die Entwicklung eines Pollenasthmas droht, ist eine Hyposensibilisierung zu empfehlen.

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4. Erkrankungen der oberen Atemwege

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4.5 Dauerschnupfen Patrizia, vierzehn Jahre alt, hatte den ganzen Winter über eine verstopfte Nase, was sie auf wiederholte "Erkältungen" zurückführte. Als die Symptome aber auch noch im August anhalten, beginnt sie sich doch zu wundern und geht zur Ärztin. Diese findet eine geschwollene Nasenschleimhaut und führt einen Hauttest durch. Es zeigen sich positive Reaktionen gegen Hausstaubmilben und Gräserpollen. Die Diagnose lautet: Allergischer Dauerschnupfen, ausgelöst durch eine Milbenallergie und verstärkt durch eine Gräser-pollenallergie. Die von der Ärztin vorgeschlagene Milbensanierung im Schlafbereich lindert die Beschwerden bereits deutlich. Falls sich die Beschwerden im nächsten Jahr zur Gräserpollenzeit wieder verschlechtern, wird Patrizia zusätzlich ein antiallergisches Nasenspray erhalten.

4.5.1 Wie äußert sich ein Dauerschnupfen? Beim Dauerschnupfen bestehen die Symptome praktisch das ganze Jahr über, wenn auch die Schwere der Symptome wechseln kann. Auch hier können eine "laufende Nase" mit wässriger Absonderung und eine "verstopfte Nase" mit Atemproblemen und nächtlichem Schnarchen im Verlauf abwechseln. Die Augen sind weniger häufig als beim Heu-schnupfen mitbetroffen.

4.5.2 Was sind die Ursachen eines Dauerschnupfens? Es gibt eine allergische und eine nichtallergische Form des Dauerschnupfens:

1) Allergischer Dauerschnupfen

Auslöser eines allergischen Dauerschnupfens können sein:

• Hausstaubmilben (siehe Kapitel 12.2) • Tiere (siehe Kapitel 12.3) • Schimmelpilze (siehe Kapitel 12.4) • selten auch Nahrungsmittel • eine Kombination der oben genannten Allergene untereinander oder mit Pollen

(siehe Kapitel 12.1).

Hausstaubmilben, Tiere und Schimmelpilze können gemeinsam oder abwechselnd einen allergischen Dauerschnupfen verursachen. Außerdem kann eine Allergie gegen eine Vielzahl von Pollen unterschiedlicher Blütezeit Dauersymptome hervorrufen. Es kann mitunter schwierig sein, das hauptverantwortliche Allergen ausfindig zu machen.

2) Nichtallergischer Dauerschnupfen Beim nichtallergischen Dauerschnupfen besteht eine Überempfindlichkeit der Nasen-schleimhaut gegen eine ganze Reihe unterschiedlicher Reizfaktoren. Kälte, Wärme und verschiedene Reizstoffe in der Luft führen zu einer Anschwellung der Nasen-schleimhaut. Die Diagnose eines nichtallergischen Dauerschnupfens kann nur gestellt werden, wenn zuvor allergische Auslösefaktoren ausgeschlossen worden sind. Auch eine Kombination allergischer und nichtallergischer Mechanismen ist möglich. Bei Erwachsenen gibt es eine Verlaufsform, welche mit einer Polypenbildung in der Nase einhergeht.

3) Weitere Ursachen einer chronisch verstopften Nase

• Vor allem bei kleinen Kindern ist bei einer chronisch verstopften Nase an eine angeborene Verengung in der Nase zu denken. Ein Nasenloch kann zu eng angelegt sein oder die Nasenscheidewand ist verkrümmt und behindert den Luftstrom durch die Nase.

• Neugeborene und junge Säuglinge produzieren, durch die noch engen anatomischen Verhältnisse im Nasenrachenraum bedingt, häufig harmlose schnorchelnde Atemgeräusche.

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• Kleine Kinder stecken sich gerne alle möglichen Dinge in die Nase, z.B. Perlen. Daher muss man bei chronischem Schnupfen immer auch an Fremdkörper in der Nase denken.

• Ständiges Atmen durch den offenen Mund und nächtliches Schnarchen kann durch eine Vergrößerung der Rachenmandeln (Adenoide) verursacht sein.

• Die unkontrollierte Daueranwendung von schleimhautabschwellenden Nasentropfen führt unweigerlich zu einer Funktionsstörung der Nasenschleim-haut (Privinismus).

• Hormonell bedingte Funktionsstörungen der Nasenschleimhaut etwa durch eine Schilddrüsenunterfunktion spielen im Kindesalter keine große Rolle.

4.5.3 Diagnostische Abklärung des Dauerschnupfens Nach Erhebung der Anamnese erfolgt zunächst die genaue Untersuchung der Nase. Der Arzt sucht z.B. nach Einengungen in der Nase oder einer verkrümmten Nasenscheidewand, die Nasenschleimhaut und die Trommelfelle werden beurteilt und die Lunge abgehört. Mit einem Pricktest oder RAST wird nach auslösenden Allergenen gefahndet. Eventuell wird die Wirkung von Allergenen direkt an der Nasenschleimhaut getestet (nasale Provokation) oder ein Abstrich von der Nasenschleimhaut zur Be-stimmung der Eosinophilenzahl entnommen. Bei Verdacht auf eine schwerwiegende Beteiligung der Nasennebenhöhlen wird unter Umständen eine Röntgenuntersuchung der Nasennebenhöhlen durchgeführt.

4.5.4 Therapie des allergischen Dauerschnupfens An erster Stelle der Therapie steht, soweit möglich, die Vermeidung des Kontaktes mit dem auslösenden Allergen und anderer Reizfaktoren wie Zigarettenrauch. Beim nichtallergischen Dauerschnupfen müssen die im Einzelfall wichtigen provozierenden Reize wie Kälte minimiert werden. An zweiter Stelle steht die medikamentöse Therapie, bei allergischem Dauerschnupfen kommt auch eine Hyposensibilisierung in Betracht.

1) Allergenvermeidung Beim allergischen Dauerschnupfen ist die wichtigste Maßnahme die Allergenvermeidung.

• Ratschläge für Milbenallergiker siehe Kapitel 12.2 • Was ist zu tun bei Tierallergien? siehe Kapitel 12.3 • Ratschläge bei Schimmelpilzallergien siehe Kapitel 12.4 • Ratschläge für Pollenallergiker siehe Kapitel 12.1.

2) Medikamentöse Therapie des Dauerschnupfens Die medikamentöse Therapie des allergischen Dauerschnupfens erfolgt wie beim Heuschnupfen zunächst mit einem antiallergischen Nasenspray (z.B. Allergodil®, Fenistil® Nasal, Irtan®, Livocab®). Kurzzeitig können auch hier abschwellende Nasen-sprays (z.B. Nasivin®, NasenSpray ratiopharm®, Olynth®, Otriven®) für maximal eine Woche verabreicht werden, langdauernder Gebrauch trocknet die Nasenschleimhaut aus! Antihistaminika zum Einnehmen (z.B. Aerius®, Lisino® und Generica, Telfast®, Zyrtec® und Generica, Xusal®) wirken beim Dauerschnupfen weniger gut als beim saisonalen Heuschnupfen. Kortikoid-haltige Nasensprays (z.B. Flutide®, Nasonex®, Syntaris®) haben bei "blockierter Nase" den besten Erfolg, sollten jedoch bei Kindern nur über einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden.

3) Hyposensibilisierung Insbesondere bei Milben- und Tierallergien kann mit gutem Erfolg hyposensibilisiert werden, wenn die konsequente Meidung des Allergieauslösers nicht möglich ist (siehe

Kapitel 13).

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4) Weitere ergänzende Maßnahmen

• Andere unspezifische Reize wie Tabakrauch sind auszuschalten.

• Eine trockene Nasenschleimhaut ist besonders reizbar. Deshalb wird im Bedarfs-falle eine Nasensalbe aufgetragen oder die Schleimhaut mit Kochsalz-Nasen-tropfen angefeuchtet.

• Tritt eine Nasenblockade vor allem bei Nacht auf, so kann durch ein leichtes Anheben des Kopfes die Blutfülle in der Nasenschleimhaut reduziert und eine gewisse Schleimhautabschwellung erreicht werden.

• Allgemeine abhärtende Maßnahmen (z.B. regelmäßiges körperliches Training, Sauna, Kneipp-Therapie) können die Nasenschleimhaut zusätzlich stabilisieren.

4.5.5 Komplikationen des allergischen Dauerschnupfens und deren Behandlung Die Komplikationen des allergischen Dauerschnupfens sind wie beim Heuschnupfen Nasennebenhöhlenentzündungen, Mittelohrergüsse und die Entwicklung eines Asthma bronchiale. Nasennebenhöhlenentzündung und Mittelohrergüsse gehen in der Regel parallel mit dem Ausprägungsgrad des Dauerschnupfens. Wenn ein allergischer Auslöser ausgeschaltet werden kann und sich der Schnupfen bessert, gehen auch die anderen Begleiterscheinungen zurück.

Bei einer Nasennebenhöhlenentzündung muss zunächst ein guter Sekretabfluss aus den Nasennebenhöhlen in die Nase gewährleistet sein. Daher werden abschwellende Nasentropfen gegeben. Bei einer schweren eitrigen Nasennebenhöhlenentzündung muss antibiotisch behandelt werden.

Mittelohrergüsse sind häufig ein ausgesprochen hartnäckiges Problem. Die immer noch geübte Verwendung abschwellender Nasentropfen über Wochen mit dem Ziel, die Ohrtrompete zwecks einer besseren Belüftung des Mittelohres abzuschwellen, ist in ihrer Wirksamkeit nicht gesichert und kann die Nasenschleimhaut austrocknen. Kaugummi-kauen und die Verwendung eines Nasenballons können die Mittelohrbelüftung ver-bessern. Bei hartnäckigen Mittelohrergüssen mit Beeinträchtigung des Hörvermögens muss manchmal über einen Trommelfellschnitt (Parazentese) die Flüssigkeit aus dem Mittelohr abgelassen werden oder ein Paukenröhrchen als Drainage eingelegt werden. Meist werden dann auch gleichzeitig die Polypen entfernt.

4.5.6 Zusammenfassung Beim Dauerschnupfen bestehen im Gegensatz zum Heuschnupfen die Beschwerden mehr oder weniger stark ausgeprägt das ganze Jahr über. Das Symptom der blockierten Nase steht meist im Vordergrund.

Man muss den allergischen vom nichtallergischen Dauerschnupfen unterscheiden. Beim allergischen Dauerschnupfen sind ganzjährig vorkommende Allergene wie Hausstaub-milben, Schimmelpilze und Hausstiere die Hauptauslöser. Diese Allergien können auch untereinander oder mit einer Pollenallergie kombiniert auftreten. Beim nicht-allergischen Dauerschnupfen liegt eine unspezifische Überempfindlichkeit der Nasen-schleimhaut gegen unterschiedliche Reizfaktoren wie Kälte, Wärme und verschiedene Reizstoffe vor. Auch ist eine Kombination allergischer mit nichtallergischen Faktoren möglich.

Therapeutisch werden im Akutfalle begrenzt auf wenige Tage abschwellende Nasentropfen eingesetzt. Bei einer allergischen Ursache wird ein Antihistaminikum-haltiges Nasenspray verabreicht. Innerliche Antihistaminika wirken beim Dauerschnupfen nicht so gut wie beim Heuschnupfen. Kortikoide als Nasenspray haben bei blockierter Nase den besten Effekt, sollten jedoch bei Kindern nur über einen begrenzten Zeitraum verwendet werden.

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5. Erkrankungen der unteren Atemwege

5. Erkrankungen der unteren Atemwege 5.1 Aufbau und Funktion der unteren Atemwege 5.2 Verengung der Atemwege 5.3 Obstruktive (spastische) Bronchitis 5.4 Asthma bronchiale 5.5 Entzündung der Lungenbläschen (Alveolitis) 5.6 Pseudocroup Zunächst werden Sie etwas über den Aufbau und die Funktion der unteren Atemwege erfahren. Anschließend werden die obstruktive Bronchitis, das Asthma bronchiale, die Entzündung der Lungenbläschen (Alveolitis) und der Pseudocroup besprochen.

5.1 Aufbau und Funktion der unteren Atemwege Nachdem die Einatemluft Nase und Rachen passiert hat, gelangt sie durch den Kehlkopf und die Luftröhre in die großen und kleinen Bronchien. Die Bronchien zweigen sich immer weiter auf und enden in den Lungenbläschen (siehe Abbildung 5-1). Dort fin-det der eigentliche Gasaustausch statt: Sauerstoff (O2) wird ins Blut aufgenommen und Kohlendioxid (CO2) an die Ausatemluft abgegeben. Die Bronchien bestehen aus einem Anteil aus Knorpel, einer Muskelschicht und einer Schleimhautschicht mit Schleimdrüsen und Flimmerhärchen. Die kleinen Bronchien haben keine Knorpelspangen mehr, sodass sie leichter kollabieren können. Die Flimmerhärchen haben die Aufgabe, Fremdstoffe ab-zufangen und sie mit dem Schleim wieder nach oben zu transportieren.

Die Bronchialschleimhaut stellt mit der Schleimhaut des Nasenrachenraums eine Einheit dar. Der Begriff "united airways" = "vereinigte Atemwege" drückt diesen anatomischen und funktionellen Zusammenhang anschaulich aus. Diese Tatsache hat jedoch auch zu Konsequenz, dass bei Allergien im Nasenrachenraum auch die Bronchien in Mitleiden-schaft gezogen werden können.

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Nasenhöhl

Luftröhre mit Knorpelspangen

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Mundhöhl

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Abbildung 5-1: Anatomie der oberen u

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5. Erkrankungen der unteren Atemwege

© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004 Seite 5-2

5.2 Verengung der Atemwege Die Bronchien können auf verschiedene Reize (z.B. Infektionen, Allergien, Tabakrauch) mit einer Entzündung reagieren. Diese Entzündung kann zu einer Verengung (= Ob-struktion) führen: Die Bronchialschleimhaut schwillt an und produziert große Mengen an Schleim. Zusätzlich verkrampft sich die Bronchialmuskulatur. Es kommt zu Husten, pfei-fender Ausatmung, Kurzatmigkeit und Atemnot. Bei jungen Kindern sind die Atemwege altersbedingt noch besonders eng und die Bronchialschleimhaut noch besonders emp-findlich, daher sind Säuglinge und Kleinkinder von einer Verengung der Atemwege be-sonders stark betroffen.

Fast 50% aller Kinder haben bis zum 6. Lebensjahr eine Bronchitis mit pfeifender Ausat-mung durchgemacht. Nicht alle entwickeln glücklicherweise ein chronisches Asthma bronchiale. Bei der ersten obstruktiven Bronchitis ist es jedoch oft nicht einfach voraus-zusagen, ob es sich um eine harmlose virusausgelöste obstruktive Bronchitis ohne Lang-zeitprobleme oder um den Beginn eines chronischen Asthma bronchiale handelt.

5.3 Obstruktive (spastische) Bronchitis Der 18 Monate alte Jan hat seit zwei Tagen Schnupfen und Temperaturen um 38°C. Seit der Nacht hustet er, ist unruhig und will nicht schlafen. Die Atmung ist beschleunigt, beim Ausatmen hört man ein pfeifendes Geräusch. Ähnliche Symptome hatte der Junge bisher nicht gehabt. Der Kinderarzt hört Jan gründlich ab und diagnostiziert eine obstruktive Bronchitis. Er verordnet ein bronchialerweiterndes und schleimförderndes Medikament und eine reichliche Flüssigkeitszufuhr.

5.3.1 Was ist eine obstruktive Bronchitis? Die obstruktive Bronchitis (auch spastische Bronchitis genannt) ist eine typische Erkran-kung des Säuglings- und Kleinkindesalters. Eine Virusinfektion führt zu einer Entzündung mit Anschwellung der Bronchialschleimhaut, der Bildung zähen Schleims und (außer bei jungen Säuglingen) zu einer Verkrampfung (= Spastik) der Bronchialmus-kulatur (siehe Abbildung 5-3). Diese Verlegung (= Obstruktion) der Bronchien macht besonders Säuglingen Probleme, da bei ihnen die Atemwege noch besonders eng sind und bereits eine leichte Anschwellung der Bronchialschleimhaut zu einer erheblichen Ein-engung der Bronchien führt.

5.3.2 Wie äußert sich eine obstruktive Bronchitis? Die Folgen der Verengung der Atemwege sind Husten, Kurzatmigkeit sowie eine er-schwerte Ausatmung, die von einem pfeifenden Ausatemgeräusch (beim Abhören der Lunge als Giemen und Brummen bezeichnet) begleitet wird. Der Allgemeinzustand kann je nach Grad der Einengung kaum bis schwer beeinträchtigt sein. Bei einer Veren-gung der Bronchien muss eine erhebliche Atemarbeit geleistet werden, was die Kinder rasch erschöpfen kann.

5.3.3 Was sind die Ursachen einer obstruktiven Bronchitis? • Kleine, enge Atemwege

Kinder mit vorübergehenden obstruktiven Bronchitiden im Säuglings- und Klein-kindesalter haben besonders kleine Atemwege. Dadurch kommt es bei einem Virusinfekt (siehe unten) schnell zu einer Atemwegsverengung. Wenn die Kinder etwas älter und die Atemwege weiter geworden sind, verschwindet dieses Problem wieder.

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5. Erkrankungen der unteren Atemwege

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• Virusinfektionen Verschiedene Viren (insbesondere RS-, Parainfluenza-, Adeno- und Rhinoviren) können eine obstruktive Bronchitis auslösen. Auch nach einer Keuchhusten-erkrankung kann das Bronchialsystem über Monate überempfindlich reagieren.

• Andere Risikofaktoren Besonders von obstruktiven Bronchitiden betroffen sind Frühgeborene, Kinder mit älteren Geschwistern, Kinder in Tagheimen und Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft geraucht haben oder noch rauchen.

5.3.4 Wie diagnostiziert man eine obstruktive Bronchitis? Die Diagnose wird durch die Vorgeschichte, den Nachweis der pfeifenden Ausatmung und durch den Abhörbefund der Lungen mit Giemen und Brummen gestellt. Eventuell muss ein Röntgenbild zum Ausschluss einer Lungenentzündung oder Lungenfehlbildung ge-macht werden. Vor allem bei einseitigem Giemen muss an einen Fremdkörper, z.B. ein verschlucktes Erdnussstück, gedacht werden. Bei wiederholten obstruktiven Bronchitiden wird eine Allergietestung durchgeführt; insbesondere bei Kindern, die schlecht gedeihen, zum Ausschluss einer Mukoviszidose auch ein Schweißtest (siehe Kapitel 3).

5.3.5 Die Behandlung der obstruktiven Bronchitis Allgemeine Maßnahmen

Beruhigen Sie Ihr Kind, da Unruhe und Angst die Atemnot verstärken. Führen Sie aus-reichend Flüssigkeit zu, damit sich der Schleim verflüssigt und besser abgehustet werden kann. Bei behinderter Nasenatmung sollte die Nase mit abschwellenden Nasentropfen (z.B. Nasivin®, NasenSpray ratiopharm®, Olynth®, Otriven®) freigehalten werden, um die Atemarbeit zu reduzieren. Auch eine leichte Schräglagerung kann die Atmung erleichtern.

Medikamentöse Behandlung • Bronchialerweiternde Medikamente

Zur Erweiterung der Bronchien und Unterstützung des Schleimtransports werden sogenannte Beta-Mimetika entweder zur Inhalation (z.B. Salbutamol = Broncho® Inhalat, Sultanol®, Generica) oder zum Einnehmen (z.B. Bricanyl®, Loftan®, Spasmo-Mucosolvan®) verabreicht. Da bei kleinen Säuglingen die Verkrampfung der Bronchialmuskulatur als Ursache der Atemprobleme nicht im Vordergrund steht, ist in dieser Altersgruppe nicht immer eine deutliche bronchialerweiternde Wirkung zu beobachten. Zusätzlich kann auch mit Ipratropiumbromid (Atrovent®), einem Bronchialerweiterer mit anderem Wirkungsansatz, inhaliert werden. Die früher viel geübte Praxis, ätherische Öle auf die Kleidung aufzutropfen oder die Brust damit einzureiben, ist für viele Kinder nicht günstig: ätherische Öle können die Haut und die Schleimhäute der Atemwege erheblich reizen.

• In schweren Fällen: Kortikoide zur Schleimhautabschwellung In schweren Fällen wird Kortison (meist als Zäpfchen, z.B. Prectal®, Klismacort®, Rectodelt®, in der Klinik auch intravenös) verabreicht. Kortison ist der stärkste Schleimhautabschweller und verstärkt auch die Wirkung von Beta-Mimetika, wirkt jedoch erst nach 30 bis 60 Minuten. Bei einer kurzzeitigen Anwendung sind keine Nebenwirkungen zu erwarten. Ist der Zustand des Kindes nicht zu stabilisieren, ist insbesondere bei jungen Säuglingen eine stationäre Behandlung in der Kinder-klinik nicht zu umgehen. Dort wird neben der medikamentösen Therapie Flüssig-keit über eine Infusion und evtl. auch Sauerstoff verabreicht.

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5. Erkrankungen der unteren Atemwege

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5.3.6 Ist die obstruktive Bronchitis ein Vorbote eines Asthma bronchiale? Die meisten Säuglinge und Kleinkinder, die eine obstruktive Bronchitis durchgemacht haben, entwickeln glücklicherweise kein Asthma bronchiale. Dies gilt insbesondere für Kinder bis zum dritten Geburtstag, bei denen

• nur eine oder wenige obstruktive Bronchitiden im Rahmen von Virusinfekten aufgetreten sind,

• keine Risikofaktoren wie Asthma bronchiale oder andere allergische Erkrankungen in der Familie zu finden sind,

• keine Allergien oder Neurodermitis nachzuweisen sind.

Liegt jedoch einer der genannten Risikofaktoren vor, ist das Risiko, dass sich im weiteren Verlauf ein Asthma bronchiale entwickelt, deutlich höher.

5.3.7 Zusammenfassung Bei der obstruktiven (= spastischen) Bronchitis werden die Bronchien durch eine Anschwellung der Bronchialschleimhaut, eine vermehrte Bildung zähen Schleims und eine Verkrampfung der Bronchialmuskulatur verlegt. Die Folgen sind Husten und eine verlän-gerte und erschwerte Ausatmung mit einem pfeifenden Ausatemgeräusch. Die Ursache sind bis zum Alter von drei Jahren meist Virusinfektionen auf der Grundlage enger Atem-wege. Reizstoffe wie Zigarettenrauch können die Beschwerden verstärken. Die Behand-lung besteht in reichlicher Flüssigkeitszufuhr sowie der Gabe bronchial-erweiternder und schleimfördernder Medikamente. Liegen keine Risikofaktoren wie Allergien und Asthma in der Familie oder eigene allergische Erkrankungen beim Kind vor, ist die Prognose gut, dass sich die Situation bis zum dritten Geburtstag stabilisiert.

5.4 Asthma bronchiale Den achtjährigen Thomas kennen Sie bereits aus Kapitel 3 von seinem ersten Gang zur Allergieuntersuchung. Er hatte bis zum Alter von drei Jahren viermal eine obstruktive Bronchitis gehabt, welche jeweils durch Infekte ausgelöst worden war. Er hatte dann zu-nächst keine offensichtlichen Atemprobleme mehr. Beim Schulsport konnte er allerdings bei Dauerbelastung gelegentlich nicht ganz mithalten und musste husten. Jetzt hat er seit drei Monaten einen hartnäckigen nächtlichen Husten. Auch bei einem anstrengenden Fußballspiel bekommt er Husten und gelegentlich Atemnot. Wenn es besonders schlimm ist, kann man ihn richtig pfeifen hören.

5.4.1 Was bedeutet Asthma bronchiale? Unter einem Asthma bronchiale versteht man eine anfallsweise auftretende Ver-engung der Atemwege, deren Ursache eine Überempfindlichkeit (Hyperreagibili-tät) der Bronchien auf ganz unterschiedliche Reize ist. Grundlage dieser Überempfind-lichkeit ist eine chronische Entzündung in den Bronchien (siehe Abbildung 5-2). Es muss eine Veranlagung für diese chronische Entzündung vorliegen; sie wird bei Kindern häufig durch Allergien ausgelöst. Das Asthma bronchiale ist eine chronische Erkran-kung mit oft jahre- oder gar jahrzehntelangem Verlauf. Jedoch bestehen glücklicher-weise heute bessere Behandlungsmöglichkeiten als je zuvor.

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chronische Entzündung der Bronchialschleimhaut

Überempfindlichkeit der Bronchien

Verengung der Atemwege

Abbildung 5-2: Überempfindlichkeit der Bronchien bei Asthma bronchiale

5.4.2 Was spielt sich beim Asthma bronchiale in den Bronchien ab? Werden die entzündeten Bronchien gereizt, kommt es zu einer Schwellung der Bronchialschleimhaut, der vermehrten Bildung zähen Schleims und einer Ver-krampfung der Bronchialmuskulatur. Dadurch werden die Bronchien verengt (siehe

Abbildung 5-3). Beruhigt sich diese Entzündung nicht, ist ein Gewebeumbau mit Nar-benbildung die Folge. Daher ist eine konsequente Asthmatherapie so wichtig.

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Abbildung 5-3: normaler Bronchus (1) und verengte Bronchien (2,3,4)

5.4.3 Wie häufig ist das Asthma bronchiale? Das Asthma bronchiale ist eine der häufigsten chronischen ErkrankungKindesalters. Etwa 10% der Kinder sind davon betroffen, das heißt in jeder Schfinden sich durchschnittlich 2 bis 3 Kinder mit Asthma bronchiale. Die HäufigAsthma bronchiale hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen (Diskussion dlichen Ursachen in Kapitel 2).

5.4.4 Wie kann man ein Asthma bronchiale erkennen? Bei diesen Symptomen sollten Sie Ihr Kind bei Ihrem Kinder- und Jugendarzt vors

pfeifendes Ausatemgeräusch anhaltender Husten, besonders in der Nacht oder bei Anstrengung Engegefühl oder Stechen in der Brust Kurzatmigkeit.

Das typische Asthmasymptom ist die erschwerte Ausatmung mit einem pfeAusatemgeräusch. Häufig werden die Symptome durch körperliche Anstrengustärkt. Der Arzt stellt im Asthmaanfall beim Abhören Giemen, Pfeifen und Brüber der Lunge fest. Diese Geräusche kommen durch die Einengung der Broncstande.

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Diese Zeichen stellen jedoch nur die Spitze eines Eisberges dar. Auch bei (relativer) Symptomfreiheit besteht die Entzündung in den Bronchien weiter. Bei manchen Kindern können Husten, ein Engegefühl oder Stechen in der Brust, eine verminderte Ausdauer oder Kurzatmigkeit die einzigen Symptome sein.

Das Gefühl, das ein Asthmatiker während eines Asthmaanfalles hat, kann ein Lungen-gesunder folgendermaßen versuchen nachzuvollziehen: man versuche über längere Zeit durch einen im Mund steckenden Trinkhalm bei zugehaltener Nase zu atmen. Man merkt rasch, wie anstrengend das ist.

5.4.5 Was sind die Ursachen eines Asthma bronchiale? 1) Chronische Entzündung in den Bronchien Ursache eines Asthma bronchiale ist eine chronische Entzündung in der Bronchial-schleimhaut. Diese Entzündung verursacht wiederum eine Übererregbarkeit und Über-empfindlichkeit (Hyperreagibilität) der Bronchien. Diese Überempfindlichkeit führt im Zu-sammenwirken mit unterschiedlichen Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren zu den oben genannten Asthmasymptomen (siehe Abbildung 5-2). Die Bereitschaft für diese Entzündung wird vererbt.

Wird diese chronische Entzündung in den Bronchien nicht konsequent behandelt, kommt es zu Umbauvorgängen im Bronchialgewebe. Dies führt auf Dauer zu einer Narbenbildung in den Bronchien, dem sogenannten Remodelling. Dadurch werden die Bronchien starrer und noch enger. Ist eine Narbenbildung einmal eingetreten, ist diese nicht mehr rück-gängig zu machen. Daher ist eine konsequente Behandlung dieser Entzündung so wichtig.

2) Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren Allergien

70 – 80% aller Kinder und Jugendlichen mit Asthma reagieren auf allergische Auslöser wie Pollen (siehe Kapitel 12.1), Hausstaubmilben (siehe Kapitel 12.2), Tiere (siehe

Kapitel 12.3) oder Schimmelpilze (siehe Kapitel 12.4). Nahrungsmittelallergien sind eine sehr seltene Ursache eines allergischen Asthma bronchiale.

Infektionen Häufig sind vor allem bei kleinen Kindern Virusinfektionen Auslöser von Asthmaanfällen. Sind Infekte Hauptauslöser eines Asthma bronchiale, spricht man auch von einem Infektasthma.

Körperliche Anstrengung Bei den meisten Kindern mit Asthma führt starke körperliche Anstrengung durch eine Abkühlung und Austrocknung der Bronchialschleimhaut zu Beschwerden. Tritt ein Asthma bronchiale vorwiegend bei körperlicher Anstrengung auf, spricht man von einem Anstrengungs- oder Belastungsasthma.

Umweltschadstoffe Umweltschadstoffe wie Tabakrauch, Smog oder Ozon reizen die Bronchien zusätzlich.

Weitere Faktoren Kalte Luft oder ein Wetterumschwung verursacht bei vielen Asthmatikern Probleme. Übergewicht ist ein weiterer Risikofaktor für das Auftreten eines Asthma bronchiale. Jede Art von innerer Anspannung kann auch die Anspannung der Bronchialmuskulatur erhöhen. Bei nächtlichem Asthma kann ein Rückfluss von saurem Mageninhalt über die Speiseröhre in die Luftröhre (gastroösophagealer Reflux) ursächlich sein. Jede Ent-zündung der oberen Luftwege (Nasennebenhöhlen, Nase) auch nichtallergischen Ur-sprungs kann durch abfließendes Sekret oder Reflexmechanismen über die Nerven-bahnen die Reizbarkeit der Bronchien erhöhen. Bestimmte Medikamente wie Acetyl-salicylsäure (z.B. Aspirin®) führen bei entsprechend veranlagten Personen über pseudoallergische Mechanismen zu einem Asthmaanfall (siehe auch Kapitel 10.3).

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Hormonelle Faktoren wie bei Frauen in der Zeit kurz vor der Menstruation können ein Asthma bronchiale verschlechtern.

Meist spielen mehrere der genannten Faktoren gemeinsam eine Rolle. Man kann sich diese Vorgänge wie ein Fass vorstellen, das sich langsam (in unserem Fall mit Asthmaauslösern) füllt. Zum Schluss reicht eine Kleinigkeit aus, um das Fass zum Über-laufen zu bringen und damit einen Asthmaanfall auszulösen. Mitunter gleicht es einer Detektivarbeit, den hauptverantwortlichen Auslöser dingfest zu machen.

5.4.6 Formen des Asthma bronchiale Man kann das Asthma bronchiale je nachdem, welcher Auslöser im Vordergrund steht, in verschiedene Formen einteilen:

• allergisches (oder extrinsisches) Asthma bronchiale Das Asthma bronchiale ist nur allergisch bedingt.

• nicht allergisches (oder intrinsisches) Asthma bronchiale Es lassen sich keine allergischen Auslöser oder eine allergische Veranlagung nachweisen (z.B. Infektasthma, Anstrengungsasthma).

• gemischtes Asthma bronchiale Allergische und nichtallergische Auslöser wirken zusammen. Dies ist im Kindesalter die mit Abstand größte Gruppe.

5.4.7 Diagnose Die Diagnose eines Asthma bronchiale wird durch die Krankengeschichte, die körper-liche Untersuchung und den Nachweis einer rückbildungsfähigen Bronchial-verengung gestellt. Andere Ursachen von Bronchialeinengungen wie Mukoviszidose oder Fremdkörper müssen im Verdachtsfall ausgeschlossen sein.

1) Anamnese Neurodermitis, Allergien? Welche Symptome haben bestanden, z.B. Husten, pfeifende Atmung, Engegefühl in der Brust, Atemnot? Wann haben diese Beschwerden begonnen? Wie häufig und unter welchen Umständen treten sie auf? Können Auslösefaktoren einge-grenzt werden? In welcher häuslichen, schulischen oder beruflichen Umgebung lebt der Betroffene? Welche Diagnostik und Behandlungen wurden bisher durchgeführt?

2) Körperliche Untersuchung Bei der Untersuchung achtet der Arzt besonders auf die Form und Beweglichkeit des Brustkorbs. Das Abhören und Abklopfen der Lunge gibt Aufschluss über die Belüftung der Lungenflügel und das Vorliegen von Atemnebengeräuschen hervorgerufen durch eine Bronchialverengung oder Schleim (Giemen und Brummen). Auch Nase, Nasenneben-höhlen und Ohren werden auf eine entzündliche Mitreaktion hin überprüft. Wichtig ist auch, ob das Kind richtig gewachsen und gediehen ist.

3) Lungenfunktionsuntersuchung Einfachere Lungenfunktionsprüfungen gelingen etwa ab einem Alter von vier bis fünf Jahren. In einigen Spezialkliniken kann bereits bei Säuglingen die Lungenfunktion ge-messen werden. Entscheidend für die Diagnose Asthma bronchiale ist der Nachweis einer rückbildungsfähigen Einengung der Bronchien. Verschiedene Methoden der Lungen-funktionsprüfung stehen zur Verfügung:

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a) Peak-Flow-Meter

Die einfachste Möglichkeit ist die Messung des maximalen Luftflusses bei Ausatmung (Peak-Flow) mit einer relativ einfachen Vorrichtung, dem Peak-Flow-Meter. Damit können ohne großen Aufwand auch häusliche Kontrolluntersuchungen vorgenom-men werden. Das Peak-Flow-Meter erfasst jedoch nur gröbere Einschränkungen der Lungenfunktion und liefert bei Verengung der kleinen Atemwege trotzdem normale Werte!

Abbildung 5-4: Peak-Flow-Meter

Eine Peak-Flow-Messung wird folgendermaßen durchgeführt:

• hinstehen • Zeiger auf Null stellen • tief einatmen • Mundstück mit Lippen und Zähnen umschließen • so stark und schnell wie möglich in das Gerät hineinblasen • Messwert ablesen • gesamten Messvorgang insgesamt dreimal durchführen und den besten Wert

protokollieren.

b) Fluss-Volumen-Spirometrie Wesentlich aussagekräftiger ist die Aufzeichnung des Luftflusses bei Ein- und Ausatmung in einer Fluss-Volumen-Kurve. Hierdurch können bereits geringgradige Veränderungen der Lungenfunktion und auch Verengungen der kleinen Atemwege dokumentiert werden. Bei verengten Bronchien nimmt das Ausatmungsvolumen ab und die Fluss-Volumen-Kurve bekommt eine Delle ("hängende Wäscheleine", siehe Abbildung 5-5).

Abbildung 5-5: Fluss-Volumen-Kurve - normale Fluss-Volumen-Kurve (blau) - Fluss-Volumen-Kurve bei verengten Bronchien (rot)

c) Atemwiderstandsmessung Der Atemwiderstand zeigt an, welchen Widerstand die Atemluft in den Bronchien über-winden muss. Er kann mit verschiedenen Methoden gemessen werden. Bei einer Bron-chialverengung steigt der Atemwiderstand an.

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d) Bodyplethysmographie Die aufwändigste Methode ist die Untersuchung in der Lungenfunktionskammer (Bodyplethysmographie). Neben der Fluss-Volumen-Kurve und dem Atemwiderstand liefert sie auch Aussagen über eine mögliche Lungenüberblähung.

e) Bronchospasmolysetest Bronchospasmolysetest wird nach Inhalation eines bronchialerweiternden Medika-ments eine Beim zweite Lungenfunktionsprüfung durchgeführt. Dabei zeigt sich, wie weit sich die Bronchien öffnen können und ob eine Verengung rückbildungsfähig ist.

f) bronchiale Provokationstests Die bronchialen Provokationstests können eine bronchiale Überempfindlichkeit unter Belastungsbedingungen nachweisen. Man kann damit unter anderem ein Asthma bron-chiale von anderen Lungenerkrankungen unterscheiden. Folgende bronchiale Provoka-tionstests können eingesetzt werden:

• Laufbelastung Die Laufbelastung ist eine wichtige Untersuchung insbesondere wenn der Verdacht besteht, dass sich die Bronchien bei körperlicher Anstrengung verengen (Be-lastungsasthma). Vor und nach einem Lauf von sechs Minuten Dauer wird eine Lungenfunktionsuntersuchung durchgeführt. Bei einer belastungsabhängigen Bronchialverengung steigt der Atemwiderstand nach dem Lauf deutlich an, auch die Fluss-Volumen-Kurve zeigt die Einengung der Bronchien.

• Inhalation von Histamin, Methacholin oder kalter Luft Die Inhalation mit Histamin oder Methacholin führt bei einem überempfindlichen Bronchialsystem zu einer Verengung der Bronchien mit Erhöhung des Atemwider-standes und einer Veränderung der Fluss-Volumen-Kurve. Ähnlich wirkt die Inha-lation von kalter Luft.

• Inhalation von Allergenen Bei der bronchialen Provokation mit Allergenen wird eine Lungenfunktions-diagnostik vor und nach Inhalation einer fein vernebelten Allergenlösung durch-geführt. Während und nach einer Inhalationsbelastung muss der Patient gut überwacht werden, da unter Umständen schwere Asthmaanfälle und noch nach sechs bis zehn Stunden Spätreaktionen auftreten können. Aus diesen Gründen wird eine bronchiale Provokation mit Allergenen bei Kindern heute nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt.

4) Allergietestung Da bei den meisten Kindern mit Asthma bronchiale allergische Auslöser eine Rolle spie-len, wird im Pricktest oder RAST (siehe auch Kapitel 10.3 und 10.6) nach Allergieaus-lösern gefahndet.

5) Sonstige Untersuchungen Als Basisuntersuchung wird im Verlauf eines Asthma bronchiale zum Ausschluss von Lun-genfehlbildungen oder anderer Lungenveränderungen ein Röntgenbild der Lunge ange-fertigt und zum Ausschluss einer Mukoviszidose ein Schweißtest durchgeführt.

5.4.8 Schweregrade eines Asthma bronchiale Verlauf und Schweregrad des Asthma bronchiale können von Kind zu Kind und auch bei jedem einzelnen Kind im Laufe der Zeit stark schwanken. Daher wurde eine Einteilung in verschiedene Schweregrade vorgenommen (siehe Tabelle 5-1), wenn auch nicht jeder Patient ganz exakt in dieses Schema passt und die Grenzen zwischen wiederholten ob-struktiven Bronchitiden und einem Asthma bronchiale oft fließend sind. Glücklicherweise sind die meisten Kinder und Jugendlichen mit Asthma dem Schweregrad I bis III zu-zuordnen. Die Schweregradeinteilung ist auch eine Richtschnur für die erforderliche Therapie. Ab Schweregrad II reicht eine alleinige bronchialerweiternde Behandlung nicht mehr aus, es wird eine antientzündliche Dauertherapie erforderlich (siehe unten).

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Tabelle 5-1: Schweregrade des Asthma bronchiale

Schweregrad Symptome Lungenfunktion Lebensqualität

I intermittierendes Asthma / wieder- holte bronchiale Verengung

gelegentlich Husten, leichte Atemnot beschwerdefreies Intervall länger als 2 Monate

auch bei Symptomen oft noch normal

nicht beeinträchtigt

II leichtes persistierendes Asthma

beschwerdefreies Intervall kürzer als 2 Monate

bei Symptomen eingeschränkt

nicht beeinträchtigt bzw. teilweise eingeschränkt

III mittelschweres persistierendes Asthma

Symptome an mehreren Tagen pro Woche, auch in der Nacht

dauernd eingeschränkt

beeinträchtigt

IV schweres persistierendes Asthma

anhaltende tägliche Symptome, häufig auch in der Nacht

dauernd deutlich eingeschränkt

deutlich beeinträchtigt

5.4.9 Ziele und Voraussetzungen einer erfolgreichen Asthmatherapie Die Asthmatherapie hat die in Tabelle 5-2 aufgeführten Ziele:

Tabelle 5-2: Ziele der Asthmatherapie

• Beruhigung der Entzündung in den Bronchien • Symptomfreiheit mit normaler körperlicher Belastbarkeit • altersgerechte körperliche und psychische Entwicklung • Erhaltung einer bestmöglichen Lungenfunktion • Vermeidung von Langzeitschäden • einfach durchzuführende Therapie • möglichst keine Nebenwirkungen

Voraussetzung für eine optimale Asthmatherapie ist eine vertrauensvolle Zusammen-arbeit zwischen Arzt, Patient und dessen Familie. Die Behandlungsmaßnahmen müssen je nach Schweregrad sinnvoll gesteuert werden. Es stehen heute die therapeutischen Mög-lichkeiten zur Verfügung, oben genannte Ziele für fast alle Asthmatiker erreichbar zu machen. Dafür sind die Information und Schulung des Patienten, seiner Familie und wei-terer Bezugspersonen unbedingte Voraussetzung.

5.4.10 Bausteine der modernen Asthmatherapie Die moderne Asthmatherapie besteht aus einem ganzen Bündel unterschiedlicher Maß-nahmen (siehe Tabelle 5-3), welche in den folgenden Kapiteln besprochen werden. Die medikamentöse Behandlung erfolgt in Abhängigkeit vom Asthma-Schweregrad nach ei-nem Stufenplan (siehe Tabelle 5-5). Generell ist eine reichliche Flüssigkeitszufuhr zu empfehlen, um den Schleim zu verflüssigen, damit er besser abgehustet werden kann.

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Tabelle 5-3: Bausteine der modernen Asthmatherapie

• Information und Schulung • Vermeidung von Auslösern • medikamentöse Behandlung • weitere Maßnahmen: atemtherapeutische Techniken, Physiotherapie, Sport,

Entspannungstechniken u.a.

5.4.11 Information und Schulung Die Betroffenen und die Bezugspersonen benötigen ein umfassendes Wissen über die Art der Erkrankung, die Auslöse- und Belastungsfaktoren sowie die verschiedenen Behandlungsformen des Asthma bronchiale. Die Informationsmöglichkeiten reichen vom persönlichen Gespräch mit dem Arzt, Instruktionen z.B. über Inhalationstechniken durch Praxis- oder Klinikpersonal, schriftlichem Informationsmaterial, Internetseiten etc. bis zur kompletten Asthmaschulung. Die Arbeitsgemeinschaft Asthmaschulung im Kindes- und Jugendalter hat die entsprechenden Standards ausgearbeitet. Patienten und Eltern, die mit dem Arsenal der modernen Asthmatherapie umgehen können, haben weniger Angst und wissen, dass sie viele Probleme erfolgreich selbst meistern können. Und sie sind in der Lage zu erkennen, wann sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen.

5.4.12 Vermeidung von Auslösern a) Allergenvermeidung Beim allergischen Asthma steht an erster Stelle die Allergenvermeidung, die in Kapitel 12 "Allergieauslöser" für die einzelnen Allergene ausführlich beschrieben ist:

• Ratschläge für Pollenallergiker siehe Kapitel 12.1.5 • Ratschläge für Milbenallergiker siehe Kapitel 12.2.5 • Was ist zu tun bei einer Tierallergie? siehe Kapitel 12.3.3 • Ratschläge für Schimmelpilzallergiker siehe Kapitel 12.4.5.

Auch wenn bei einem Asthmakranken noch keine Allergie vorliegt, jedoch ein Allergie-risiko besteht, sind vorbeugende Maßnahmen sinnvoll: Luftfeuchtigkeit unter 50% zur Reduktion der Milben- und Schimmelpilzbelastung, Verzicht auf Fell und Federn tragende Haustiere, keine Grünpflanzen im Schlafbereich, keine Staubfänger.

b) Hyposensibilisierung Beim allergischen Asthma bronchiale kommt eine Hyposensibilisierung (auch spezifische Immuntherapie (= SIT) oder Allergieimpfung genannt) dann in Betracht, wenn der Aller-gieauslöser nicht oder nur unzureichend zu meiden ist. Dies trifft vor allem für Pollen, unter Umständen auch für Hausstaubmilben und Tiere zu. Bei der Hyposensibilisierung wird dem Körper wiederholt ein Allergen in ansteigender Dosierung zugeführt mit dem Ziel, dass der Körper eine Toleranz gegen das Allergen entwickelt. Sie setzt daher bei den Ursachen der Allergieentstehung an. Die wirksamste und von den allergologischen Fachgesellschaften empfohlene Form ist die subkutane Hyposensibilisierung, bei der die Behandlungslösung unter die Haut gespritzt wird. Weitere Einzelheiten zur Hyposensibili-sierung finden Sie in Kapitel 13.

c) Ausschaltung anderer Reizfaktoren Am leichtesten zu beeinflussen sind häusliche Reizfaktoren wie die aktive oder passive Inhalation von Tabakrauch. Die Reizwirkung von Tabakrauch muss unbedingt ausge-schaltet werden. Dies gilt für jede Asthmaform. Die Anstrengungen zur Reduktion der Schadstoffemissionen durch Kraftfahrzeuge, Industrie usw. müssen weiter verstärkt wer-den. Viele Asthmatiker reagieren besonders empfindlich auf das Einatmen von kalter Luft.

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5.4.13 Medikamentöse Therapie Fortschritte in der medikamentösen Therapie haben für Asthmakranke eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität bewirkt. Die Behandlung mit Medikamenten wird je nach Schweregrad des Asthma in verschiedenen Stufen durchgeführt (siehe Tabelle 5-5). Man unterscheidet Akutmedikamente ("Reliever"), welche bei akuten Beschwer-den zur Erweiterung der Bronchien eingesetzt werden von Dauermedikamenten ("Controller"), welche als Dauertherapie der Bekämpfung der Entzündung und der vor-beugenden Stabilisierung der Bronchien dienen (siehe Tabelle 5-4). Sobald Asthma-anfälle nicht nur vereinzelt auftreten, wird eine die Bronchien stabilisierende antientzünd-liche Langzeittherapie erforderlich. Nur so kann die Überempfindlichkeit der Bronchien wirksam behandelt und die nicht rückbildungsfähige Gewebsumwandlung mit Narbenbil-dung in den Bronchien verhindert werden. Die Akutmedikamente werden durch einen roten Kreis , die Dauermedikamente werden durch ein grünes Quadrat gekennzeich-net. Ihr Kinder- und Jugendarzt wird für Ihr Kind einen schriftlichen Behandlungs-plan erstellen, auf dem die täglichen Dauermedikamente und die Notfallmedikamente fest-gehalten sind.

Tabelle 5-4: Medikamente zur Asthma-Behandlung

1) Akutmedikamente (Bedarfsmedikamente):

kurz wirkende Beta-Mimetika (z.B. Salbutamol = Bronchospray®, Sultanol®, Generica)

Ipratropiumbromid (Atrovent®)

Theophyllin (z.B. Solosin® Tropfen)

Kortikoide oral (z.B. Prednisolon = Decortin® H, Generica)

2) Dauermedikamente:

DNCG (z.B. Diffusyl®, Pulbil®, Intal® und Generica), Nedocromil (Tilade®)

inhalative Kortikoide (z.B. Budecort®, Budiair®, Flutide®, Junik®, Pulmicort®, Ventolair®, Generica)

lang wirkende Beta-Mimetika (z.B. Foradil®, Serevent®)

Leukotrien-Antagonisten (Singulair®)

Theophyllin, lang wirkend (z.B. Bronchoretard®, Euphyllin® retard)

Kortikoide oral (z.B. Prednisolon = Decortin® H, Generica)

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Tabelle 5-5: Stufenplan der Asthma-Behandlung

Stufe Bedarfstherapie Dauertherapie

I

kurz wirkende Beta-Mimetika

keine

II wie Stufe I

niedrig dosiertes inhalatives Kortikoid evtl. Versuch mit DNCG, Nedocromil oder Leukotrien-Antagonisten1)

III

wie Stufe I

mittelhoch dosiertes inhalatives Kortikoid evtl. in Kombination mit: - lang wirkendem Beta-Mimetikum - Leukotrien-Antagonisten - Theophyllin

IV wie Stufe I hoch dosiertes inhalatives Kortikoid in Kombination mit: - lang wirkendem Beta-Mimetikum - Theophyllin - oralem Kortikoid

1) in Deutschland bisher in Monotherapie für das Belastungsasthma zugelassen

1) Akutmedikamente

a) kurz wirkende Beta-Mimetika Beta-Mimetika erweitern die Bronchien, regen die Flimmerhärchen in der Bronchial-schleimhaut zum Schleimtransport an und verhindern bei Verabreichung vor körper-licher Belastung, dass die Bronchien sich verkrampfen. Kurz wirkende Beta-Mimetika (z.B. Salbutamol = Bronchospray®, Sultanol® und Generica; Terbutalin = Bricanyl® u.a.) wirken 4 bis 6 Stunden. Sie können mit dem elektrischen Inhaliergerät, als Spray oder mit dem Pulverinhalator inhaliert werden. Es gibt Beta-Mimetika auch zum Ein-nehmen; die beste Wirkung wird jedoch durch Inhalation erzielt, sodass die Inhalation beim chronischen Asthma bronchiale wenn immer möglich vorzuziehen ist. Bei hohen Dosen kann es zu einer vorübergehenden Beschleunigung des Pulsschlages oder Zitt-rigkeit kommen, was durch eine Erniedrigung der Dosis bei der nächsten Inhalation vermieden werden kann. Werden kurz wirkende Beta-Mimetika regelmäßig öfter als zwei- bis dreimal pro Woche gebraucht, ist wahrscheinlich die antientzündliche Dauer-behandlung unzureichend.

b) Ipratropiumbromid Ipratropiumbromid (Atrovent®)kann zur Bronchialerweiterung an Stelle eines Beta-Mimetikums inhaliert werden, wenn dieses nicht vertragen wird oder beim schweren Asthmaanfall auch in Kombination mit einem Beta-Mimetikum (z.B. Berodual® oder frei kombiniert) eingesetzt werden. Es hat außer einer möglichen Mundtrockenheit praktisch keine Nebenwirkungen.

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c) Theophyllin Theophyllin wirkt bronchialerweiternd, unterstützt die Atemmuskulatur und regt die Tätigkeit der Flimmerhärchen an. Es wird im akuten Asthmaanfall in Tropfenform (z.B. Solosin® Tropfen) eingenommen oder intravenös gespritzt. Als Nebenwirkungen können Koffein-ähnliche Wirkungen wie Unruhe, Nervosität, Übelkeit und eine Beschleunigung des Pulsschlages auftreten.

d) orale Kortikoide Kortison zum Einnehmen als Tablette (z.B. Prednisolon = Decortin® H, Generica) wird beim schweren Asthmaanfall zur Abschwellung der Bronchialschleimhaut eingesetzt. Zusätzlich wird die Wirkung der Beta-Mimetika verstärkt. Bei jungen Kindern können die Kortikoide auch als Zäpfchen (z.B. Klismacort®, Prectal®, Rectodelt®)verabreicht werden.

2) Dauermedikamente

a) DNCG, Nedocromil DNCG (z.B. Diffusyl®, Intal®, Pädiacrom®, Pulbil® und Generica) bremst die Freisetzung von allergischen Mittlersubstanzen wie Histamin aus Mastzellen und hemmt dadurch die chronische Entzündung und die Überempfindlichkeit der Bronchien. Es wirkt nur vorbeugend und muss drei- bis viermal täglich inhaliert werden. Es kann auch bei Belastungsasthma vor Sport eingesetzt werden. DNCG hat nur eine milde Wirkung, ist dafür jedoch praktisch frei von Nebenwirkungen. Die feste Kombination von DNCG mit einem Beta-Mimetikum (z.B. in Aarane®, Allergospasmin®, Ditec®) kann in der Anfangsphase der Dauerbehandlung oder vor Sport sinnvoll sein.

b) inhalative Kortikoide Kortikoide (z.B. Kortisol) sind lebenswichtige Hormone und werden im menschlichen Körper in den Nebennieren gebildet. Beispielsweise könnten wir ohne sie schwere Stressreaktionen jeder Art nicht überleben. Kortikoide zur Inhalation werden so abge-wandelt, dass sie vor allem eine stark entzündungshemmende Wirkung bekommen, aber praktisch nicht in den Blutkreislauf gelangen. Damit wird die chronisch entzünd-liche Reaktion in der Bronchialschleimhaut, ein wesentlicher Faktor für die bronchiale Überempfindlichkeit, effektiv zurückgedrängt. Die Bronchien werden dadurch gegen-über verschiedensten Asthmaauslösern unempfindlicher, eine Narbenbildung in den Bronchien wird verhindert. Kortikoide zur Inhalation (wie Budesonid: z.B. Budiair®, Budecort®, Novopulmon®, Pulmicort®, Generica; Fluticason: Flutide®; Beclomethason: Junik®, Ventolair®; Mometason: Asmanex®) sind daher die wirkungsvollsten Medika-mente zur Behandlung des Asthma bronchiale der Stufe II bis IV. Die Inhalationen müssen regelmäßig durchgeführt werden, die Wirkung tritt frühestens nach einigen Tagen ein, eine Sofortwirkung beim akuten Asthmaanfall besteht nicht.

Die Furcht vor Nebenwirkungen bei einer innerlichen Behandlung mit Kortikoiden ab einer bestimmten Menge ist durchaus berechtigt. Kortikoide können ab einer gewissen Schwellendosis den inneren Rhythmus der körpereigenen Kortisonausschüttung stören, zu einer verminderten Knochendichte und zu Wachstumsstörungen führen. Bei der Inhalation von Kortikoiden ist jedoch im Gegensatz zur innerlichen Anwendung bei niedriger und mittlerer Dosierung nicht mit Auswirkungen auf den übrigen Organismus

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zu rechnen. In diesem Dosisbereich sind die Vorteile der Behandlung bei weitem größer als die möglichen Nachteile. Inhalative Kortikoide können mit einem elektrischen Inhaliergerät, einem Spray (mit Ausnahme des Autohaler® immer mit Vorschaltkammer!) oder einem Pulverinhalator angewendet werden. Nach der Inhalation sollte der Mund ausgespült, etwas gegessen/getrunken oder die Zähne geputzt werden, da es ansonsten zu Heiserkeit und einem Hefepilzbefall im Mund kommen kann. Es wird mit der niedrigst möglichen Dosis behandelt, welche zu einer vollständigen Beschwerdefreiheit führt. Jedoch ist eine Unterbehandlung für Ihr Kind auf Dauer weitaus gefährlicher als eine kurzzeitige Überbehandlung. Bei einer Unterbehandlung kann die Lebensqualität Ihres Kindes ganz entscheidend leiden, es kann zu Dauerschäden an der Lunge und zu unter lebensbedrohlichen Asthmakrisen kommen.

c) lang wirkende Beta-Mimetika Lang wirkende Beta-Mimetika zur Inhalation (z.B. Salmeterol = Aeromax®, Serevent®, Formoterol = Foradil®, Oxis®) haben eine bronchialerweiternde Wirkung von 8 bis 12 Stunden. Sie werden zur Dauertherapie in Stufe III und IV in Kombination mit inhalati-ven Kortikoiden eingesetzt. Sie stehen zur Vereinfachung der Behandlung auch in sinn-vollen festen Kombinationen zu Verfügung (z.B. Symbicort®, Viani®).

d) Leukotrien-Antagonisten Montelucast (Singulair®) blockiert die Wirkung von Leukotrienen, das sind wichtige Botenstoffe der Entzündung in den Bronchien. Eine Reihe von anderen Botenstoffen wird jedoch nicht beeinflusst. Es besteht auch eine leichte bronchialerweiternde Wir-kung. Die Substanz wurde in den letzten Jahren völlig neu entwickelt. Sie wird als Kautablette bzw. Granulat eingenommen und ist daher einfach anzuwenden. Nach den bisher vorliegenden Untersuchungen liegt die Wirkungsstärke zwischen der von DNCG und inhalativen Kortikoiden. Nennenswerte Nebenwirkungen sind bisher nicht be-obachtet worden. Singulair® ist in Deutschland bisher als Monotherapie zur Behand-lung des Belastungsasthma in Stufe II und als Zusatztherapie zu inhalativen Kortikoi-den in Stufe III zugelassen, um Kortikoide einzusparen.

e) Theophyllin in Retardform Theophyllin in Retardform mit langdauernder Wirkstofffreisetzung (z.B. Bronchore-tard®, Euphylong®, Solosin® retard und Generica) wird zur Dauerbehandlung beim kindlichen Asthma bronchiale nur noch selten eingesetzt. Zusätzlich zur bronchialer-weiternden Wirkung besteht auch ein leichter entzündungshemmender Effekt. Der Nachteil ist, dass der Theophyllinspiegel im Blut stark schwanken kann und daher mittels Blutspiegelkontrolle überwacht werden muss und dass bereits bei geringer Überdosierung Nebenwirkungen auftreten. Ein möglicher Grund für den Einsatz von Theophyllin können sonst nicht beherrschbare nächtliche Asthmaanfälle sein.

f) orale Kortikoide Kortikoide zum Einnehmen als Dauertherapie (z.B. Prednisolon = Decortin® H, Gene-rica) sind bei Kindern und Jugendlichen glücklicherweise nur äußerst selten erforder-lich. Ihr Einsatz kommt nur bei einem anders nicht zu beherrschenden Asthma bron-chiale in der Stufe IV in Betracht.

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g) Antihistaminika Antihistaminika (z.B. Aerius®, Lisino® und Generica, Telfast®, Zyrtec® und Generica, Xusal®) blockieren die Wirkung von Histamin, einem wichtigen Botenstoff der allergi-schen Reaktion. Die neueren Antihistaminika hemmen zusätzlich noch andere Boten-stoffe. Sie haben dadurch auch eine leichte antientzündliche Wirkung und können so beispielsweise bei einem Heuschnupfen auch die Überempfindlichkeit der Bronchien herabsetzen. Zur Behandlung eines manifesten Asthma bronchiale ist diese Wirkung allerdings nicht ausreichend. Für Ketotifen (z.B. Zaditen® und Generica) liegen Studien vor, die eine schützende vorbeugende Wirkung mit Herabsetzung der bronchialen Überempfindlichkeit zeigen, andere Studien konnten diesen Effekt nicht nachweisen.

5.4.14 Inhalationstherapie

Allgemeines Die Inhalationsbehandlung beim Asthma bronchiale kann mit einem elektrischen Inha-liergerät, einem Dosieraerosol oder einem Pulverinhalator durchgeführt werden. Ihr Kin-der- und Jugendarzt wird das für Ihr Kind am besten geeignete System vorschlagen. Die Inhalationen dienen zum einen der Verabreichung von Medikamenten. Durch Inhala-tion verabreichte Medikamente kommen direkt an den Wirkort in den Bronchien. Dadurch werden die erforderlichen Medikamentenmengen im Vergleich zur innerlichen Gabe deut-lich (auf höchstens 1/10) reduziert und Nebenwirkungen vermindert. Zudem wirken Bronchialerweiterer auf dem Inhalationsweg deutlich schneller. Die Inhalation mit dem Inhaliergerät, z.B. mit 0,9%iger Kochsalzlösung, führt zusätzlich zu einer Befeuchtung der Atemwege und unterstützt die Schleimlösung. Eine Inhalationsbehandlung ist bei Erkrankungen der Bronchien allerdings nur dann wirkungsvoll, wenn ausreichend kleine Teilchen inhaliert werden, die bis in die kleinen Bronchien gelangen. Große Teilchen (über 10 µm) bleiben in der Nase oder im Rachenraum hängen.

Inhalieren mit dem Inhaliergerät

Abbildung 5-6: Pari Boy®

Ein gutes Inhaliergerät muss ausreichend kleine Teilchen (meist 3 - 6µm) erzeugen können, robust, leicht bedienbar und gut zu reinigen sein. Am häufigsten werden soge-nannte Verneblergeräte (z.B. Pari Boy®) eingesetzt. Ein kleiner Kompressor produziert Pressluft, welche in einer Düse das Aerosol erzeugt. Auch moderne Ultraschallgeräte (z.B. multisonic®) können verwendet werden. Das Aerosol wird über eine Maske oder ein Mundstück an den Patienten abgegeben. Das Inhalieren mit einem Mundstück ist der Inhalation mit der Maske überlegen, da bei der Maskeninhalation viele Teilchen in der Nase hängen blei-ben. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann allerdings nur

mit der Maske inhaliert werden. Die Inhalation sollte in aufrechter Oberkörperhaltung vorgenommen werden. Eine regelmäßige Reinigung und trockene Aufbewahrung des Verneblers ist wichtig, damit es nicht zu einem Schimmelpilzwachstum kommt. Zur Rei-nigung genügt heißes Wasser, eine Desinfektion ist nicht notwendig. Die Verneblerteile müssen anschließend gut getrocknet werden (z.B. mit einem Föhn). Zur Aufbewahrung werden sie beispielsweise in ein sauberes Küchentuch eingeschlagen. Die Dauer einer einzelnen Inhalationen sollte mindestens fünf, jedoch höchstens zehn Minuten dauern, da ansonsten die Mitarbeit der Kinder deutlich nachlässt. Die Inhalation soll mit ruhigen und tiefen Atemzügen erfolgen, dabei soll nicht durch die Nase eingeatmet werden.

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Zur Befeuchtung der Atemwege und zur Schleimlösung dient die Inhalation von Koch-salzlösung (in der Regel 0,9%ig). Es sollten nur Fertigampullen mit 2 bis 5 ml Kochsalz-lösung verwendet werden. Größere Abfüllbehältnisse, die wiederholt geöffnet oder ange-stochen werden müssen, sind ungeeignet, da sehr schnell eine Besiedelung mit Bakterien oder Pilzen eintritt. Die Inhalation von 0,9%iger Kochsalzlösung ist völlig nebenwir-kungsfrei. Medikamente zur Inhalation werden entweder als Fertiginhalat in 2ml Am-pullen angeboten (Atrovent®, Beta-Mimetika, DNCG, Pulmicort®) oder in Tropfenform der Kochsalzlösung oder einem Fertiginhalat (Atrovent®, Beta-Mimetika, DNCG) zu-gesetzt.

Noch ein Hinweis: Nicht direkt vor dem Schlafengehen mit dem Inhaliergerät inhalieren. Durch die Inhalation löst sich Schleim, der abgehustet werden muss. Geht man direkt nach dem Inhalieren ins Bett, ist ein Abhusten kaum möglich. Daher besser eine halbe Stunde bis eine Stunde vor dem Zubettgehen inhalieren. Durch Spielen und Herumtoben löst sich noch Schleim und kann abgehustet werden.

Dosieraerosole ("Sprays") Die meisten Asthmamedikamente gibt es in dieser Form. Der Wirkstoffbehälter enthält neben dem Medikament ein Treibgas. Durch Drücken wird eine bestimmte Dosis (ein "Hub") in fein vernebelter Form freigesetzt. Die Anwendung geht schneller als mit dem Inhalier-gerät und kann auch unterwegs ohne großen Aufwand erfolgen. Bei Atemzug-gesteuerten Dosieraerosolen (z.B. Autohaler®) wird der Sprühstoß erst bei Ausübung eines bestimmten Sogs bei der Ein-atmung ausgelöst. Ältere Kinder, die einen Spraystoß zeitgleich mit dem Einatmen auslösen können, können Beta-Mimetika direkt aus dem Dosieraerosol inhalieren. Für jüngere Kinder und für die Inhalation von DNCG und Kortikoiden gibt es Inhalationshilfen, auch Vorschaltkammer oder Spacer genannt (siehe unten).

Abbildung 5-7: Dosieraerosol

Entscheidend für eine gute Wirkung der Medikamente ist die richtige Anwendung des Sprays in folgenden Schritten:

• Schutzkappe entfernen • Spray kräftig schütteln • Kopf gerade halten oder leicht nach hinten neigen, ruhig und tief ausatmen • Spray senkrecht mit Öffnung nach unten halten und Ansatzstück in den Mund

zwischen die Zähne nehmen • Spray drücken, dabei langsam und tief einatmen • Spray aus dem Mund nehmen • Atem anhalten und auf 5 bis 10 zählen • langsam durch die Nase ausatmen • Vorgang entsprechend der ärztlichen Verordnung wiederholen • Schutzkappe wieder aufsetzen.

Inhalationshilfen Kortikoid-haltige Dosieraerosole mit Ausnahme des Autohaler® werden grundsätzlich mit einer Vorschaltkammer (Spacer) angewendet, um eine Heiserkeit oder einen Pilzbefall im Mund zu verhindern. Zudem kommen Vorschaltkammern bei Säuglingen und kleinen Kin-dern zum Einsatz, die ein Dosieraerosol noch nicht koordiniert anwenden können. Mit der Kombination von Dosieraerosol und Vorschaltkammer (z.B. AeroChamber®, Babyhaler®, Nebulator®, Rondo®, Volumatic®, siehe Abbildung 5-8) ist die selbe Wirkstoffmenge in die Bronchien zu transportieren wie mit einem Inhaliergerät, die erforderliche Dosis ist bei Kortikoiden sogar deutlich geringer. Das Aerosol wird zunächst in die Vorschaltkam-mer gesprüht und verteilt sich dort fein. Größere, nicht lungengängige Teilchen schlagen sich an der Kammerwand nieder. Dann erst erfolgt die tiefe Einatmung in die Bronchien. Der Vorteil ist, dass eine geringere Menge des Medikaments im Rachenraum hängen

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bleibt und ein größerer Anteil die feinen Bronchien erreicht. Größere Kinder verwenden Vorschaltkammern mit Mundstück, Säuglinge und Kleinkinder mit Maske.

Mit der Vorschaltkammer wird wie folgt inhaliert: • sitzen oder stehen • Spray kräftig schütteln und mit der Öffnung nach unten in die Vorschaltkammer

stecken • Spray einmal drücken • Mundstück der Vorschaltkammer mit Zähnen und Lippen fest umschließen, bei

Säuglingen und Kleinkindern Maske fest ans Gesicht anlegen • fünfmal langsam und tief einatmen, Luft anhalten und durch die Nase ausatmen • Vorgang nach ärztlicher Verordnung wiederholen • Vorschaltkammer nach Vorschrift des Herstellers reinigen.

Abbildung 5-8: Volumatic®, Rondo®, Babyhaler®

Pulverinhalatoren Bei der Pulverinhalation gelangt das Medikament in Form eines feinen Pulvers in die Bronchien. Die Inhalation aus dem Pulverinhalator (z.B. Diskus®, Novolizer®, Turbo-haler®, Spinhaler®) erfolgt durch einen kräftigen Luftstrom bei der Einatmung. Die Pul-verinhalation ist vor allem bei älteren Kindern und Jugendlichen zur Inhalation des Dauermedikaments beliebt, da die Anwendung einer Vorschaltkammer entfällt. Auch bei der Pulverinhalation wird zunächst ruhig und tief ausgeatmet (nicht in den Inhalator hin-ein!), dann aber im Unterschied zur Spray-Inhalation schnell und kräftig eingeatmet. Anschließend wird der Atem angehalten, auf 5 bis 10 gezählt und durch die Nase wieder ausgeatmet. Der Vorgang wird evtl. nach ärztlicher Verordnung wiederholt.

Abbildung 5-9: Pulverinhalatoren (Diskus®, Novolizer®)

Welche Inhalationsform für welches Kind? Akut- und Dauermedikamente können bereits ab dem Säuglingsalter mit dem Dosier-aerosol und einer Vorschaltkammer effektiv inhaliert werden. Ältere Kinder brauchen bei Verwendung eines Akut-Medikaments als Spray bei guter Koordination keine Vorschalt-kammer mehr. Schulkinder und Jugendliche bevorzugen oft den Pulverinhalator. Vorteil von Dosieraerosol und Pulverinhalator ist eine kurze Inhalationszeit, was vor allem bei einer Dauerbehandlung ein wichtiger Faktor für die konsequente Mitarbeit des Patienten (Compliance) ist. Ein elektrisches Inhaliergerät ist von Vorteil, wenn zusätzlich eine Be-

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feuchtung der Atemwege zur Schleimlösung erwünscht ist oder beim schweren Asthma-anfall eine langsame und kontinuierliche Verabreichung eines Medikaments angestrebt wird. Der Erfolg einer Inhalationsbehandlung hängt weniger vom verwendeten System ab, sondern in viel stärkerem Maße von der regelmäßigen und korrekten Anwendung.

5.4.15 Atemtherapeutische Techniken Die Atemtherapie dient der Verbesserung der Atemtechnik und Verminderung der Atem-arbeit. Sie soll das Abhusten von Schleim fördern und die Lungenbelüftung verbessern. Auch die Beweglichkeit des Brustkorbes kann gefördert werden.

Konsequente Nasenatmung Einatmen durch die Nase schützt die Bronchien vor Austrocknung, Kälte, Luftschadstoffen und Allergenen, die in der Nase abgefangen werden und dadurch nicht in die Bronchien gelangen können.

Dosierte Lippenbremse Man lässt die Ausatemluft durch die fast geschlossenen, locker aufeinanderliegenden Lippen langsam und ohne Druck ausströmen. Dadurch wird der Luftstrom durch die Lippen gebremst und der Druck in den Bronchien erhöht. Die Bronchien fallen so bei der Ausatmung nicht so leicht zusammen und bleiben länger offen. Den gleichen Effekt erzielt man, wenn beim Schwimmen gegen den Druck ins Wasser ausgeatmet wird. Die folgen-den atemerleichternden Körperstellungen sollen immer zusammen mit der Lippenbremse angewendet werden.

Atemerleichternde Körperstellungen Jedes Kind mit Asthma bronchiale sollte mindestens eine atemerleichternde Körper-stellung in Zusammenhang mit der Lippenbremse beherrschen (siehe Abbildung 5-10, 11,12):

• Kutschersitz Das Kind setzt sich mit leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper auf einen Stuhl und stützt sich mit den Unterarmen auf den Oberschenkeln ab.

• Torwartstellung Die Hände werden im Stehen bei leicht gebeugten Knien auf den Oberschenkeln abgestützt.

• Stehen mit Abstützen an der Wand Das Kind stellt sich im rechten Winkel zu einer Wand und stützt sich mit dem Ellbogen an der Wand ab.

• Hängebauchlage Das Kind kniet sich hin, setzt den Po auf die Fersen und legt den Kopf nach vorn seitlich auf die auf dem Boden aufliegenden gebeugten Arme.

• Abstützen auf einem Tisch Das Kind setzt sich an einen Tisch, die Arme werden auf die Tischplatte, der Kopf auf die Arme gelegt.

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Abbildung 5-10,11,12: Hängebauchlage, Torwartstellung, Abstützen auf einem Tisch

GRÜNE Zone "Alles okay"

Du hast keine Asthmasymptome, keinen Husten, Du kannst allen sportlichen Betätigungen nachgehen, Dein Schlaf ist ungestört

und Peak-Flow 80-100% vom Bestwert

Medikamente weiter wie vom Arzt verordnet

GELBE Zone "Achtung"

Du hast eventuell Husten, bist kurzatmig oder hast ein Engegefühl in der Brust, diese Symptome hindern Dich beim Sport oder beim Schlafen

und/oder Peak-Flow 60-80% vom Bestwert

Notfallplan

ROTE Zone "Notfall"

Du hast dauernd Husten oder bist kurzatmig oder hast ein Engegefühl in der Brust, die Symptome hindern Dich am normalen Sprechen bei leichter Anstrengung

oder beim Schlafen und/oder

Peak-Flow unter 50% vom Bestwert

Notfallplan

Abbildung 5-13: Beispiel eines Asthmaselbstbehandlungsplans (Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie)

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5.4.16 Steuerung der Asthmatherapie und Notfallplan Die Festlegung der Asthmatherapie erfolgt zum einen durch die Beobachtung von Häufig-keit und Schwere von Asthmasymptomen wie Husten, Pfeifen, Kurzatmigkeit oder Enge-gefühl in der Brust. Bei jungen Kindern geschieht dies vor allem durch die Eltern, bei größeren Kindern auch durch Selbstwahrnehmung ("Lungendetektiv"). Sobald es das Alter des Kindes zulässt, wird die Asthmatherapie auch durch eine Lungenfunktionsprü-fung überwacht. Dies ist normalerweise ab dem Alter von vier bis fünf Jahren der Fall. Der Abhörbefund ist zwar eine wichtige, jedoch nicht allein ausreichende Therapiekon-trolle, da eine Verengung der Atemwege oft nicht mit einem auffälligen Abhörbefund ein-hergeht. Die Verwendung eines Peak-Flow-Meters ist eine sinnvolle Maßnahme zur Unter-stützung der Selbstkontrolle. Nach entsprechender Schulung kann mit einem Asthma-selbstbehandlungsplan die Behandlung vom Patienten bzw. seinen Eltern auch zwischen den Vorstellungsterminen beim Arzt bei Bedarf angepasst werden (siehe Abbildung 5-13 und 5-14).

GELBE Zone "Achtung" oder ROTE Zone "Notfall" 1. Stufe

Kutschersitz oder Torwartstellung mit Lippenbremse 2–3 Hübe Notfallspray weiter Kutschersitz/Torwartstellung mit Lippenbremse

wenn nach 10 Minuten keine Besserung

2. Stufe

2 – 3 Hübe Notfallspray Kutschersitz/Torwartstellung mit Lippenbremse Kortison-Notfalltablette einnehmen

wenn nach 10 Minuten keine Besserung

3. Stufe

Arzt und Eltern verständigen weiter Kutschersitz/Torwartstellung mit Lippenbremse

Abbildung 5-14: Beispiel eines Notfallplanes für Schulkinder (Luftiku(r)s Osnabrück)

5.4.17 Asthma und Sport Bei den meisten Kindern mit Asthma bronchiale führt starke körperliche Anstrengung durch eine Abkühlung und Austrocknung der Bronchialschleimhaut zu Beschwerden. Eine generelle Befreiung eines Asthma-kranken Kindes oder Jugendlichen vom Sport sollte allerdings der Vergangenheit angehören. Regelmäßiges körperliches Training fördert die motorische und psychische Entwicklung insgesamt. Die Teilnahme an sportlichen Aktivi-täten führt bei Asthmatikern zu einer eindeutigen Verbesserung der Lungenfunktion. Das Asthma-kranke Kind soll mit seinen Klassenkameraden mithalten können. Die individuelle Belastbarkeit kann durch einen Laufbelastungstest mit Lungenfunktionsmessung beim Arzt und durch Symptombeobachtung und Peak-Flow-Messung beim Sport bestimmt werden.

Die günstigste Sportart für Asthmatiker ist Schwimmen. Hier muss das eigene Körper-gewicht nicht getragen werden und die Einatemluft ist feucht. Es kann jedoch eventuell Probleme in stark gechlorten Bädern geben, da Chlor auf die Bronchien reizend wirkt. Als

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eher ungeeignet haben sich Kraftsport, Ringen und Boxen erwiesen. Prinzipiell gibt es jedoch keine Sportart, die Asthma-kranke Kinder nicht ausüben könnten, wenn die unten genannten Voraussetzungen stimmen. Der Spaß und die Freude an der gewählten Sportart sollten im Vordergrund stehen.

Ein plötzlicher Kaltstart birgt am ehesten die Gefahr, einen Asthmaanfall auszulösen und sollte daher vermieden werden. Eine ausreichend lange Aufwärmphase von mindestens zehn Minuten wirkt hingegen stabilisierend. Die körperliche Belastung sollte nicht bis ans Maximum gehen, da maximale Belastung leicht Asthmaanfälle auslöst. Ein asthma-krankes Kind muss bei Einsetzen von Beschwerden abbrechen dürfen. Individuelle Ein-schränkungen müssen natürlich beispielsweise bei Pollenallergikern bei starkem Pollen-flug bei Sport im Freien oder bei Hausstaubmilbenallergikern in einer verstaubten Turn-halle gemacht werden. An vielen Orten haben sich Asthmasportgruppen gebildet, wo asthmakranke Kinder unter Anleitung von speziell geschulten Lehrern Sport treiben kön-nen.

Voraussetzung ist allerdings, dass eine optimale Asthmabehandlung durchgeführt wird. Diese beinhaltet ab Asthma-Schweregrad II eine antientzündliche Dauerbehandlung. Zu-sätzlich kann bei Bedarf vor Sport mit einem Beta-Mimetikum oder DNCG inhaliert wer-den. Kinder und Jugendliche, die beim Sport leicht mit Asthmaanfällen reagieren, sollten bei körperlicher Betätigung immer ein bronchialerweiterndes Akut-Spray greifbar haben und anwenden können. Sie müssen geschult sein, ihre Leistungsfähigkeit durch Selbst-beobachtung und/oder Peak-Flow-Messung richtig einzuschätzen.

5.4.18 Klima und Urlaub Ein Klimawechsel führt unabhängig von einer Reha- oder Kurmaßnahme zu einer vor-übergehenden Verbesserung der Körpertemperaturregulation, einer verstärkten körper-eigenen Kortisonproduktion und einer psychischen Stabilisierung. Zusätzlich bestehen in bestimmten Klimazonen geringere Allergenkonzentrationen, was zu einer Verminderung der Entzündung in den Bronchien führen kann. Bei Pollenallergien kann der Pollenkontakt durch einen Aufenthalt in einem Gebiet mit anderer Vegetation, im Hochgebirge ab 1500 bis 2000 m oder am Meer reduziert werden. Viele Pollenallergiker nützen diesen Umstand bei der Urlaubsplanung. Informationen hierzu liefern spezielle Urlaubs-Pollenflugkalender. Ab 1000 m Höhe nimmt die Milbenzahl in unseren Breiten deutlich ab, ab 1500 m sind keine Hausstaubmilben mehr nachweisbar. Ein Klimawechsel kann also zu einer vorüber-gehenden Stabilisierung der bronchialen Situation führen. Er wird jedoch ohne länger-fristigen Effekt sein, wenn erforderliche Maßnahmen zur Allergenvermeidung und Inhala-tionsbehandlung zu Hause nicht konsequent fortgeführt werden. Allein durch eine Klima-veränderung kann ein Asthma bronchiale nicht geheilt werden!

5.4.19 Rehamaßnahmen Siehe Kapitel 18.

5.4.20 Asthma und Psyche Asthma und Psyche beeinflussen sich wechselseitig. Die früher oft zu hörende Meinung, dass das Asthma bronchiale rein psychisch ausgelöst sei, ist überholt. Jedoch spielen bei vielen Asthmatikern psychische Faktoren als Auslöse- oder Verschlechterungsfaktoren eine mehr oder weniger wichtige Rolle. Eine schlechte psychische Verfassung oder Angst machen den Körper empfänglicher für einen Asthmaanfall. Eine ausgeglichene psychische Verfassung und die Abwesenheit von Angst machen einen Asthmaanfall weniger wahr-scheinlich. Es gibt Asthmatiker, bei denen psychische Auslösefaktoren eine so große Rolle spielen, dass eine psychotherapeutische Behandlung notwendig wird. Und es gibt Asthmatiker, die mit einem echten oder angedrohten Asthmaanfall ihre Eltern oder die übrige Umwelt in Atem halten, sich damit die gewünschte Aufmerksamkeit verschaffen.

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Zwei Grundhaltungen können den Verlauf eines Asthma bronchiale erheblich beein-flussen. Die Verdrängung (Nichtwahrhabenwollen) körperlicher Symptome durch den Asthmakranken selbst oder durch die Eltern eines betroffenen Kindes führt unter Um-ständen zu einer erheblichen Verzögerung der Diagnose und des Behandlungsbeginns. Da jeder Asthmaanfall für einen weiteren Asthmaanfall empfindlicher macht, ist dies län-gerfristig gesehen ein ungünstiger Weg. Auch Jugendliche neigen in den schwierigen Zeiten der Entwicklung und Selbstfindung zu einer Verdrängung körperlicher Symptome oder haben nicht den Mut, mit den Eltern oder dem Arzt darüber zu sprechen. Oft ver-hindert die Vorstellung "mir kann so etwas nicht passieren" eine adäquate Therapie.

Ebenso nachteilig ist eine überbeschützende Haltung der Eltern, die ihr Kind ständig ängstlich beobachten und von allen nur denkbaren "Gefahren" schützen wollen. Das Kind kann dadurch kein gesundes Selbstvertrauen entwickeln und wird, wenn überhaupt, erst spät Mitverantwortung in der Therapie übernehmen.

Ein wichtiger Aspekt ist die Rückwirkung der körperlichen Situation auf die seeli-sche Verfassung: Die Angst vor einem unvorhersehbaren neuen Asthmaanfall; die Angst, in manchen Dingen, vor allem was die körperliche Leistungsfähigkeit anbelangt, hinter Gleichaltrigen zurückstehen zu müssen; die Angst, in Schule, Beruf und Privatle-ben benachteiligt zu werden und so weiter. All dies hat Rückwirkungen auf das Selbst-wertgefühl. Wenn dadurch das seelische Gleichgewicht gestört wird und erneut Angst entsteht, kann es tatsächlich zu einer Verschlechterung der körperlichen Situation mit vermehrten Asthmaanfällen kommen, der Teufelskreis ist geschlossen.

Zur besseren Bewältigung seelischer Anspannungen haben sich Entspannungstechniken wie das autogene Training und die progressive Muskelentspannung nach Jacobson be-währt. Besteht die Erfordernis einer Psychotherapie, ist zwischen einer Vielzahl therapeu-tischer Methoden auszuwählen (z.B. Einzeltherapie, Gruppentherapie, Familientherapie). Der in der Asthmatherapie erfahrene Arzt wird dies im Einzelfall mit dem Betroffenen und/oder den Eltern besprechen. Dabei ist auch das jeweils vor Ort vorhandene thera-peutische Angebot zu berücksichtigen.

5.4.21 Impfungen bei Asthma Siehe Kapitel 15.

5.4.22 Komplikationen Ein nicht oder unzureichend behandeltes Asthma bronchiale kann erhebliche Konsequen-zen für das soziale, schulische oder berufliche Leben haben: Atemprobleme, Sauerstoff-mangel und gestörter Schlaf führen zu chronischer Müdigkeit mit Gereiztheit und Lei-tungsabfall, Wachstums- und Entwicklungsstörungen und vermindertem Selbstbewusst-sein. Wird die chronische Entzündung in den Bronchien nicht ausreichend behandelt ist eine nicht mehr rückbildungsfähige Narbenbildung in den Bronchien die Folge. Bei einem schweren Asthma bronchiale mit chronischen Atemproblemen kann sich der Brustkorb verformen und eingezogen werden. Die Brustmuskeln verkürzen sich, was zu einem Rundrücken führt. Kann die Ausatemluft über einen längeren Zeitraum nicht mehr voll-ständig entweichen, kommt es zu einer andauernden Überblähung der Lungen mit einem fassförmigen Brustkorb. Eine starke chronische Überblähung kann vor allem bei Jugendli-chen mit mangelnder Selbstwahrnehmung in Verschlechterungsphasen leicht zu bedrohli-chen Asthmakrisen führen. Von einem Status asthmaticus spricht man, wenn länger als 12 Stunden Atemnot in Ruhe besteht und auf die Inhalation von Beta-Mimetika keine Besserung erfolgt. Ein bedrohlicher Warnhinweis ist eine Blauverfärbung der Lippen. In diesen Fällen ist eine sofortige Klinikbehandlung erforderlich.

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5.4.23 Verlauf und Prognose des Asthma bronchiale Das Asthma bronchiale ist eine chronische Erkrankung. Es ist heute zwar in den aller-meisten Fällen gut zu behandeln, jedoch nicht heilbar. Die Bereitschaft der Bronchien, überempfindlich zu reagieren, bleibt das ganze Leben mehr oder weniger stark bestehen. Grob vereinfacht kann man von folgenden Zahlen ausgehen:

• bei einem Drittel der Kinder verliert sich das Asthma bis auf geringe Rest-symptome,

• bei einem Drittel bessert sich das Asthma, • bei einem Drittel bleibt das Asthma unverändert oder es verschlechtert sich sogar.

Die beste Prognose haben Kinder mit einem nichtallergischen Asthma, das hauptsächlich durch Virusinfekte ausgelöst wird (Infektasthma). Schlechtere Chancen haben Kinder und Jugendliche, bei denen das Asthma bereits sehr früh begonnen hat, die in früher Kind-heit bereits ein sehr schweres Asthma hatten, bei denen Allergien oder eine Neurodermi-tis bestehen und die aktiv oder passiv Tabakrauch ausgesetzt sind. Jugendliche, die in der Pubertät nicht erscheinungsfrei sind, werden ihre Beschwerden im Erwachsenenalter wahrscheinlich nicht verlieren.

5.4.24 Berufswahl bei Allergien der Atemwege und Asthma Neben persönlichen Neigungen und Fähigkeiten spielt bei Jugendlichen mit Allergien der Atemwege und Asthma bei der Berufswahl die Belastung durch Allergieauslöser sowie andere Reizstoffe und Belastungsfaktoren am zukünftigen Arbeitsplatz eine besondere Rolle.

• Wo kann ich mich informieren? Die erste Anlaufstelle für medizinische Fragen ist zunächst der behandelnde Kin-der- und Jugendarzt bzw. Allergologe. Er kann aufgrund der medizinischen Be-funde darüber informieren, welche Allergieauslöser und weitere Belastungsfakto-ren je nach vorliegender Erkrankung unbedingt vermieden werden sollten und welche Berufsbilder am geeignetsten sind. Der Berufsberater beim Arbeitsamt kann dann auf diesen Informationen aufbauend je nach persönlichen Voraus-setzungen über mögliche Berufswege beraten, vorhandene Ausbildungsstellen vermitteln oder vor der Berufsausbildung eine Berufsfindung, eine Arbeitserpro-bung oder einen Förderlehrgang vorschlagen.

• Auf welche Belastungsfaktoren ist zu achten? Grundsätzlich gilt, dass Jugendliche mit allergischer Bindehautentzündung, allergi-schem Schnupfen und Asthma oder auch mit bekannter Allergiebereitschaft Ar-beitsplätze, an denen sie einer starken Belastung mit Inhalationsallergenen (= Allergieauslöser, die mit der Luft übertragen werden) ausgesetzt sind, meiden sollten. Dies betrifft natürlich zunächst einmal die bereits individuell bekannten Inhalationsallergene wie Tierhaare, Pollen oder Schimmelpilze. Zudem sind un-spezifische Reizfaktoren wie Zigarettenrauch, Stäube und andere atemwegs-reizende Stoffe, eine starke Kälte- oder Hitzeexposition sowie bei Belastungs-asthma auch schwere körperliche Anstrengung zu umgehen. In welchem Ausmaß dies geschehen muss, ist jedoch immer eine individuelle Entscheidung in Abspra-che mit dem behandelnden Arzt.

Liegen zusätzlich Nahrungsmittelallergien und Kontaktallergien (z.B. gegen Me-talle) vor, erschwert dies die Berufswahl zusätzlich. Zudem besteht die Neigung zur Allergieausweitung, das heißt, dass sich bei bereits bestehenden Allergien bei entsprechendem Kontakt weitere Allergien entwickeln können. Allerdings können sich auch bei bisher Gesunden im Laufe des Berufslebens noch Allergien entwi-ckeln.

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• Welche Berufe sind zu empfehlen bzw. zu meiden? Die Berufswahl beim Allergiker und Asthmatiker ist immer eine individuelle Ent-scheidung, die nach entsprechender eingehender Beratung mit dem Arzt und dem Berufsberater getroffen werden sollte. Sie hängt auch vom Schweregrad der Er-krankung ab und wie gut die Erkrankung behandelt ist. Die folgenden Tabellen zeigen Beispiele von Berufen mit geringem, tragbarem und hohem Risiko für Ju-gendliche mit Allergien der Atemwege und Asthma. Sie wurden unter anderem nach Empfehlungen des Asthmazentrums in Berchtesgaden zusammengestellt und sollen als Orientierung dienen. Es kann unter Umständen besser sein, einen Beruf mit tragbarem Risiko (siehe Tabelle 5-7), der jedoch den persönlichen Nei-gungen des Jugendlichen entspricht, zu wählen statt eines Berufes mit geringem Risiko (siehe Tabelle 5-8), welcher dem Auszubildenden überhaupt keinen Spaß macht. Oft kann auch durch entsprechende Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz der Kontakt mit Allergie- oder Reizstoffen deutlich eingeschränkt werden, die Be-rufsgenossenschaften haben dazu entsprechende Empfehlungen und Vorschriften herausgegeben.

Tabelle 5-6: Beispiele für Berufe mit hohem Risiko bei Allergien der Atemwege und Asthma

• mehlverarbeitende Berufe: Bäcker, Konditor, Lagerarbeiter in Mehlsilos, Koch • Gärtner, Florist • Landwirt • Tischler und andere holzverarbeitende Berufe • Berufe mit engem Tierkontakt (Tierarzt und Hilfspersonal, Tierpfleger, Zoohändler,

Arbeit mit Labortieren, Kürschner, Schlachthofarbeiter, Fisch- und Futtermittelverarbeiter)

• Lackierer • Friseur, Kosmetiker • Polsterer, Dekorateur • Schuhfabrikarbeiter • Zahntechniker • Desinfektor • Müllwerker, Kanalarbeiter • Tiefbauarbeiter, Berufe im Untertagebau • Industriearbeiter mit Umgang mit allergisierenden oder chemisch reizend

wirkenden Stoffen

Tabelle 5-7: Beispiele für Berufe mit tragbarem Risiko bei Allergien der Atemwege und Asthma

• Verkäufer im Einzelhandel • Lagerist (nicht in Getreide- und Düngemittellagern) • Berufe in der Bekleidungs- und Textilherstellung • Drucker, Druckereiarbeiter • Fotograf (ohne Dunkelkammerarbeiten) • Pflege- und Hilfspersonal in Krankenhaus und Arztpraxis • Apotheker und Hilfspersonal • Chemotechniker (ohne Umgang mit Labortieren) • Hauswirtschafts- und Hotelfachkraft • Fein-, Kfz- und Elektromechaniker • Fensterputzer

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• Industriearbeiter an emissionsfreien Arbeitsplätzen • Maschinenführer im Baugewerbe (ohne Straßenbau), in der Forstwirtschaft , im

Tagbau

Tabelle 5-8: Beispiele für Berufe mit geringem Risiko bei Allergien der Atemwege und Asthma

• Büroberufe • kaufmännische Berufe • Verwaltungsberufe (z.B. Verwaltungsangestellter) mit Hilfsberufen (z.B. Bote,

Pförtner) • technische und künstlerische Planungsberufe • pädagogische Berufe (z.B. Lehrer) • soziale Berufe (z.B. Sozialarbeiter) • therapeutische Berufe (z.B. Logopäde, Musiktherapeut) • wissenschaftliche Berufe im theoretischen Bereich • Informatikberufe (z.B. Programmierer) • journalistische, nachrichten- und medientechnische Berufe im Innendienst • industrielle Produktionsberufe an emissionsfreien Arbeitsplätzen

5.4.25 Mythen und Fakten zum Asthma bronchiale Tabelle 5-9 fasst einige Mythen und Fakten zum Thema Asthma zusammen.

Tabelle 5-9: Asthma bronchiale – Mythen und Fakten

Mythen Asthma kommt und geht. Asthma ist eine psychische Erkrankung. Asthmamedikamente sollten nur bei Beschwerden eingesetzt werden, sonst gewöhnt sich der Körper daran und sie verlieren sie ihre Wirksamkeit. Asthma bei Kindern verwächst sich.

Fakten

Asthma ist eine chronische Entzündung in den Bronchien, die immer da ist, auch wenn gerade keine Beschwerden vorhanden sind.

Asthma ist eine Erkrankung der Lunge und nicht der Psyche. Emotionaler Stress kann allerdings Asthmasymptome z.B. durch Aus-schüttung von Entzündungsstoffen verschlim-mern.

Nur die regelmäßige Anwendung von Medi-kamenten kann die ursächliche Entzündung in den Bronchien bekämpfen und Asthmaanfälle verhindern. Entzündungshemmende Asthmamedikamente verlieren ihre Wirkung nicht.

Die angeborene Überempfindlichkeit der Bronchien bleibt bestehen, auch wenn bei vielen Kinder die Asthmassymptome mit dem Alter weniger werden.

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Asthma verschwindet, wenn man ans Meer oder in die Berge zieht.

Ein Umzug ans Meer kann bei einer Milben-allergie ein Asthma sogar verschlechtern, wenn dort keine Milbensanierung durchgeführt wird. Wenn die individuellen Auslöser ver-mieden werden und eine regelmäßige Behand-lung durchgeführt wird, kann ein Asthma-kranker überall leben.

5.4.26 Zusammenfassung: Unter einem Asthma bronchiale versteht man eine anfallsweise auftretende Ver-engung der Atemwege, deren Ursache eine Überempfindlichkeit (Hyperreagibi-lität) der Bronchien auf unterschiedliche Reize ist. Grundlage dieser Überempfindlich-keit ist eine chronische Entzündung in den Bronchien. Werden die entzündeten Bron-chien gereizt, kommt es zu einer Schwellung der Bronchialschleimhaut, der ver-mehrten Bildung zähen Schleims und einer Verkrampfung der Bronchialmusku-latur. Das typische Asthmasymptom ist die erschwerte Ausatmung mit einem pfei-fenden Ausatemgeräusch.

Auslöser für Asthmaanfälle können Infekte, Allergien, körperliche Anstrengung, Luft-schadstoffe, emotionaler Stress, seltener auch Medikamente sein. Als allergische Auslöser kommen hauptsächlich Milben, Pollen, Haustiere und Schimmelpilze in Betracht. Die Diagnose eines Asthma bronchiale wird durch die Krankengeschichte, die körperliche Untersuchung und den Nachweis einer rückbildungsfähigen Bronchialverengung in der Lungenfunktion gestellt. Man unterscheidet 4 Schweregrade eines Asthma bron-chiale. Die Therapie besteht aus einem ganzen Bündel unter-schiedlicher Maßnahmen: der Vermeidung von bekannten Auslösern, der medikamentösen Behandlung sowie er-gänzenden Maßnahmen wie Sport, atemerleichternden Körperstellungen und Entspan-nungstechniken. Eine gründliche Information und Schulung des Betroffenen und seiner Bezugspersonen ist hierfür notwendig.

Man unterscheidet Akutmedikamente ("Reliever", Symbol roter Kreis ), welche als Bedarfstherapie bei akuten Beschwerden eingesetzt werden von Dauermedikamenten ("Controller", Symbol grünes Quadrat ), welche als Dauertherapie der Bekämpfung der Entzündung und der vorbeugenden Stabilisierung der Bronchien dienen. Inhalationen erfolgen entweder mit dem Inhaliergerät, Dosieraerosolen ("Sprays") mit Inhalations-hilfen oder Pulverinhalatoren. Die konsequente antientzündliche Behandlung ist enorm wichtig, da sonst durch die Entzündung in den Bronchien nicht mehr rückbildungsfähige Narben entstehen.

Mit den heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmaßnahmen können fast alle Kinder und Jugendliche mit Asthma bronchiale gut behandelt werden, obwohl wir Asthma nicht dauerhaft heilen können.

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5.5 Entzündung der Lungenbläschen (exogen allergische Alveolitis) Neben dem Asthma bronchiale gibt es noch eine andere zwar seltene, jedoch auch schon bei Kindern vorkommende allergische Erkrankung der Lunge: die exogen allergische Alveolitis.

Es handelt sich dabei um eine Entzündung der feinen Lungenbläschen (= Alveolen). Diese Form der Entzündung wird durch organische Feinstäube tierischen und pflanzlichen Ursprungs ausgelöst, die über die Bronchien eingeatmet werden. Bei Kindern kommen z.B. Schimmelpilze in verschimmeltem Heu (Farmerlunge) oder Vogelkot (Taubenzüch-terlunge) als Auslöser in Betracht. Bei Erwachsenen können auch Chemikalien und Medi-kamente ursächlich sein. Es werden IgG-Antikörper gegen die jeweils auslösenden Aller-gene gebildet. Es handelt sich um eine allergische Typ III-Reaktion (siehe Kapitel 16.4)

Es gibt eine akute und eine chronische Form der allergischen Alveolitis. Bei Kindern kommt meist die chronische Form vor. Es zeigen sich ein trockener Husten, allgemei-nes Krankheitsgefühl, Atemnot bei Anstrengung und Gewichtsabnahme. Mit einem Rönt-genbild der Lunge kann man meist schon die Verdachtsdiagnose stellen. Die Lungen-funktionsprüfung zeigt eine mangelnde Dehnbarkeit der Lunge (restriktive Ventilations-störung). Im Blut sind IgG-Antikörper gegen das auslösende Allergen nachweisbar. In Zweifelsfällen muss unter Umständen ein kleines Stück Lungengewebe entnommen und untersucht werden.

Die Behandlung besteht am Anfang in einer innerlichen Behandlung mit Kortikoiden, da nur diese in der Lage sind, die Entzündungsreaktion in der Lunge zu stoppen. Bei unzu-reichender Therapie können nicht mehr rückgängig zu machende Veränderungen in der Lunge entstehen. Außerdem muss der Auslöser strikt gemieden werden, da ansonsten ein Rückfall droht.

5.1.1 Zusammenfassung Die Entzündung der Lungenbläschen (exogen allergische Alveolitis) kommt durch die Bildung von IgG-Antikörpern gegen inhalierte organische Materialien wie Vogelkot (Tau-benzüchterlunge) oder Schimmelpilze in verschimmeltem Heu (Farmerlunge) zustande. Bei Kindern überwiegen chronische Verläufe mit Husten, Atemnot, allgemeinem Krank-heitsgefühl und Gewichtsabnahme.

5.6 Pseudocroup Sina, zwei Jahre alt, hat seit einem Tag Schnupfen und Temperaturen bis 38°C. Am Abend zeigt sich ein leichter bellender Husten. Gegen 22 Uhr wacht Sina mit einem lau-ten Bellhusten auf. Wenn sie weint, hört man ein ziehendes Geräusch beim Einatmen. Sinas Eltern kennen die Symptome von Christoph, Sinas fünfjährigem Bruder und wissen was los ist: Pseudocroup. Der Vater nimmt Sina auf den Arm und beruhigt sie. Die Be-schwerden lassen dadurch bereits deutlich nach. Die Temperatur beträgt 37,8°C, ist also nur leicht erhöht. Der Vater zieht Sina eine warme Jacke an und geht mit ihr auf den Bal-kon in die kühle Abendluft. Bereits nach einigen Minuten ist das ziehende Atemgeräusch verschwunden, gelegentlich hustet das Mädchen bellend. Die Mutter hat in der Zwischen-zeit etwas zum Trinken gebracht. Außerdem hängt sie feuchte Tücher im Kinderzimmer auf und öffnet die Fenster. Der Rest der Nacht verläuft dann relativ ruhig. Sina wacht noch zweimal kurz mit bellendem Husten auf, schläft aber bald wieder ein.

5.6.1 Was bedeutet Pseudocroup? Unter Pseudocroup versteht man eine Entzündung und Verengung der Luftröhre unter-halb der Stimmbänder. Hervorgerufen wird diese Entzündung meist durch Virusinfektio-

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nen. Betroffen sind vor allem Säuglinge und Kinder zwischen drei Monaten und drei Jah-ren.

5.6.2 Wie äußert sich ein Pseudocroup? Oft zeigt sich zunächst nur ein Schnupfen. Dann folgt meist abends oder in der Nacht ein typischer bellender Husten und ein pfeifendes Einatemgeräusch (Stridor). Die Symptome können sich jedoch auch ganz plötzlich ohne Vorboten zeigen (spasmodischer Croup) und halten normalerweise mehrere Tage an. Es werden vier Schweregrade unterschieden. In vielen Fällen ist das Kind kaum beeinträchtigt und zeigt nur bei Aufregung einen bellen-den Husten. Die Symptomatik kann sich jedoch bis zu schwerster Atemnot steigern. Eine künstliche Beatmung ist jedoch nur extrem selten erforderlich.

5.6.3 Wovon muss der Pseudocroup abgegrenzt werden? Abzugrenzen ist der Pseudocroup vor allem von der eitrigen Kehldeckelentzündung (Epiglottitis), hervorgerufen durch eine bakterielle Infektion mit Hämophilus influenzae Typ B (dieses Bakterium hat nichts mit dem Grippenvirus zu tun). Die eitrige Kehldeckel-entzündung ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild mit hohem Fieber, Beschwerden beim Einatmen, Schluckbeschwerden, kloßiger Sprache und Speichelfluss. Der für den Pseudocroup typische bellende Husten fehlt. Betroffen sind meist Kleinkinder von zwei bis fünf Jahren. Die Epiglottitis bedarf sofortiger stationärer Behandlung mit antbiotischer Therapie und Einführen eines Beatmungsschlauches (Tubus) in die Luftröhre, um ein Er-sticken zu verhindern. Die eitrige Kehldeckelentzündung ist glücklicherweise seit der Einführung der Impfung gegen Hämophilus influenzae sehr selten geworden.

5.6.4 Was sind die Ursachen des Pseudocroup? Die meisten Fälle von Pseudocroup sind durch eine Virusinfektion bedingt (Parainfluenza-, Influenza-, Adeno- und Rhinoviren). Eine großangelegte Studie konnte in Deutschland nur einen schwachen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Pseudo-crouphäufigkeit feststellen, wahrscheinlich weil der Schwefeldioxidausstoß in den letzten Jahrzehnten reduziert werden konnte. Es besteht jedoch ein Zusammenhang mit dem anlagebedingten überempfindlichen (hyperreagiblen) Bronchialsystem. Dies erklärt auch, warum nur eine bestimmte Gruppe von Kindern durch eine Infektion mit den oben ge-nannten Viren an einem Pseudocroup erkrankt und die meisten Kinder auf die selbe In-fektion nur mit Schnupfen oder Fieber reagieren.

5.6.5 Wie wird ein Pseudocroup behandelt? • Kind beruhigen

Der erste und wichtigste Schritt ist die Beruhigung des Kindes. In Ruhe haben viele Kinder nur noch geringe oder keine Beschwerden mehr.

• Kühl-feuchte Luft einatmen lassen Das Einatmen kalter und feuchter Luft bewirkt eine Abschwellung der Schleim-haut. Man kann z.B. feuchte Tücher im nicht beheizten Kinderzimmer aufhängen. Bei akuten Atembeschwerden geht man mit dem warm angezogenen Kind ans ge-öffnete Fenster oder auf den Balkon und lässt es dort die kühle Außenluft einat-men. Falls dies nicht möglich ist, kann auch im Bad mit einer heißen Dusche Was-serdampf erzeugt werden.

• Bei anhaltenden Beschwerden: Kortikoid-Zäpfchen Falls mit den oben genannten Maßnahmen keine Besserung zu erreichen ist, wird ein Kortikoid-Zäpfchen (z.B. Prectal®, Klismacort®, Rectodelt®) verabreicht. Korti-son ist der effektivste Schleimhautabschweller, die Wirkung tritt allerdings erst nach ca. 30 bis 60 Minuten ein. Vielen Kindern kann damit eine Krankenhausauf-nahme erspart werden. Mit ähnlicher Wirkung können Kortikoide auch mit einem elektrischen Inhaliergerät verabreicht werden.

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• Wann muss das Kind ins Krankenhaus? Haben diese Maßnahmen keinen Erfolg, das heißt wenn das Kind weiterhin eine deutliche Atemnot zeigt, sich nicht beruhigt, sich blau verfärbt, nicht mehr sprechen oder schlucken will oder apathisch wird, muss eine sofortige stationäre Aufnahme erfolgen. Im Krankenhaus werden neben den Kaltluftinhalationen auch Adrenalin-Inhalationen (z.B. Infectokrupp Inhal, Mikronephrin®, Suprarenin®) verabreicht, was zu einer zusätzlichen Schleimhautabschwellung führt. Eventuell werden auch Kortikoide intravenös gegeben.

• Kommt der Pseudocroup wieder? In der Regel ist ein Pseudocroupanfall nach einigen Tagen abgeklungen. Bei welchem Kind die erste auch die letzte Episode gewesen ist und bei welchem Kind weitere Pseudocroupanfälle auftreten werden, lässt sich im Einzelfall schwer voraussagen. Die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung ist jedoch bei einer Familienvorgeschichte mit einem hyperreagiblen Bronchialsystem erhöht. Etwa 50% der betroffenen Kinder haben mehrere Pseudocroupanfälle.

5.6.6 Zusammenfassung Bei einem Pseudocroupanfall treten ein bellender Husten sowie ein pfeifendes Einatemgeräusch (Stridor) auf. Betroffen sind meist Kinder von drei Monaten bis drei Jahren. Die Ursache ist eine Einengung der Luftröhre unterhalb des Kehlkopfes durch eine Entzündung der Schleimhaut. Die häufigsten Verursacher sind Virusinfektionen. Luftschadstoffe spielen in Gegenden mit geringer Luftverschmutzung normalerweise eine geringe Rolle. Besonders empfindlich reagieren Kinder mit einem überempfindlichen Bronchialsystem und Allergien.

Die Behandlung besteht zunächst in der Beruhigung des Kindes, Inhalationen von feuchter kalter Luft sowie reichlicher Flüssigkeitszufuhr. Bei anhaltender Symptomatik werden zur Schleimhautabschwellung Kortikoid-haltige Zäpfchen eingesetzt, bei deren kurzzeitiger Anwendung keine Nebenwirkungen zu erwarten sind. Bei mit diesen Maßnahmen nicht zu beherrschenden Atemnotszuständen muss eine Überwachung in der Kinderklinik erfolgen.

Wichtig ist die Abgrenzung von der eitrigen Kehldeckelentzündung (Epiglottitis). Hierbei bestehen hohes Fieber, Beschwerden beim Einatmen, Schluckbeschwerden, eine kloßige Sprache und Speichelfluss. Die Epiglottitis bedarf wegen Erstickungsgefahr sofortiger stationärer Behandlung.

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6. Erkrankungen der Haut

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6. Erkrankungen der Haut 6.1 Aufbau und Funktion der Haut 6.2 Neurodermitis (atopische Dermatitis) 6.3 Allergisches Kontaktekzem 6.4 Nesselausschlag (Urtikaria) 6.5 Sonnenallergie 6.6 Berufswahl bei Allergien der Haut und Ekzem

In diesem Kapitel werden nach kurzer Erläuterung von Aufbau und Funktion der Haut die Neurodermitis (atopische Dermatitis), Kontaktallergien der Haut, der Nesselausschlag (Urtikaria) und die sogenannte Sonnenallergie besprochen.

6.1 Aufbau und Funktion der Haut Die Haut ist aus mehreren Schichten aufgebaut: der Oberhaut, der Lederhaut und der Unterhaut. Sie hat mehrere wichtige Funktionen: sie schützt den Körper vor Austrock-nung, physikalischen (z.B. Sonnenstrahlen, Kälte) und chemischen Einflüssen sowie dem Eindringen von Krankheitserregern (Viren, Bakterien, Pilze). Die Haut ist ein wichtiger Bestandteil der Wärmeregulation des Körpers. Vorstufen des Vitamin D werden in der Haut gebildet. Daneben nehmen Nervenzellen Sinneseindrücke aus der Außenwelt wie Wärme, Kälte, Schmerz und Berührungsreize auf. Die Haut ist somit auch ein wichtiges Kommunikationsorgan. Weil zumindest Teile der Haut immer für jedermann sichtbar sind, haben viele Hauterkrankungen auch eine große soziale Komponente.

6.2 Neurodermitis (atopische Dermatitis) Im Alter von vier Monaten hatte bei Sabrina ein schuppender Ausschlag im Bereich des Gesichtes begonnen. Die entzündliche Hautrötung breitete sich innerhalb von zwei Mo-naten fast auf den ganzen Körper aus. Der Ausschlag juckte wahnsinnig. Sabrina kratzte sich, sobald sich die Gelegenheit dazu bot, z.B. wenn sie zum Wickeln ausgezogen wurde. Zeitweise schlief sie und infolgedessen auch die übrige Familie kaum. Die Diag-nose des Kinderarztes lautete unzweifelhaft "Neurodermitis". Der Hautzustand Sabrinas wechselte stark. Es gab gute Phasen und schlechte Phasen, wo Sabrina überall rot war und sich den ganzen Tag zu kratzen schien. Im Alter von neun Monaten erhielt Sabrina ein Gemüsegläschen, das Hühnereiweiß enthielt. Innerhalb von 15 Minuten verfärbte sich Sabrinas Haut rot und juckte fürchterlich. Ein Bluttest brachte die Bestätigung: Es hatte sich eine Hühnereiweißallergie entwickelt.

6.2.1 Die Neurodermitis hat viele Namen Die Neurodermitis hat viele Namen, die gängigsten sind: Neurodermitis, atopische Der-matitis, atopisches Ekzem und endogenes Ekzem. Neurodermitis ist die älteste und immer noch geläufigste Bezeichnung. Die Begriffe atopische Dermatitis und atopi-sches Ekzem haben sich in der wissenschaftlichen Literatur durchgesetzt und verdeut-lichen die familiäre Häufung und den Zusammenhang mit anderen atopischen Erkrankun-gen. Die Bezeichnung endogenes Ekzem zeigt auf, dass viele Erkrankungsschübe gleichsam "von innen" gesteuert werden, ohne von außen erkennbaren Auslöser.

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6.2.2 Was ist eine Neurodermitis? Die Neurodermitis ist eine stark juckende, in der Regel chronisch in Schüben ver-laufende entzündliche Hauterkrankung. Erscheinungsform und befallene Körperstel-len ändern sich in verschiedenen Altersstufen. Mit einem Auftreten von ca. 10 % ist sie die häufigste chronische Hauterkrankung bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Neuro-dermitis ist mit allergischen Vorgängen allein nicht zu erklären. Jedoch liegt sehr häufig eine familiäre Veranlagung zu Neurodermitis, Heuschnupfen, allergischem Asthma und Nahrungsmittelallergien (eine sogenannte Atopie) vor.

6.2.3 Erscheinungsformen der Neurodermitis in verschiedenen Altersstufen Die Neurodermitishaut ist trocken, schuppig oder mit Krusten bedeckt, im akuten Sta-dium gerötet, evtl. mit Bläschen und nässenden Stellen. Es besteht starker Juckreiz, der die Kinder sehr unruhig, missgelaunt und reizbar machen kann. Es gibt eine große Schwankungsbreite im Ausprägungsgrad: bei vielen Betroffene sind nur eine oder wenige Körperstellen, bei manchen praktisch die gesamte Haut beteiligt (siehe Abbildung 6-1 bis 6-5).

Säuglingsalter bis zweites Lebensjahr Die meisten Kinder entwickeln Symptome innerhalb der ersten ein bis zwei Lebensjahre, jedoch selten vor dem dritten Lebensmonat. Zunächst sind meist die Wangen in Form einer trockenen, schuppenden Rötung betroffen. Es bilden sich Bläschen, die Haut nässt und verkrustet infolge einer Infektion durch Bakterien. Diese Veränderungen können sich auf die Stirn, die Kopfhaut und den übrigen Körper ausbreiten. Der Windelbereich bleibt meist frei. Da Säuglinge vor dem Alter von 4 bis 6 Monaten nicht gezielt kratzen können, reiben sie sich das Gesicht gegen die Bettwäsche oder die Gitterstäbe des Bettes. Da-durch wird die Hautoberfläche zerstört, die Haut nässt, verkrustet, der Juckreiz verstärkt sich und die Haut kann sich leicht infizieren (Juckreiz-Kratz-Zirkel).

Der rote, schuppende, zum Teil verkrustete Ausschlag im Gesichts- und Kopfbereich wird auch Milchschorf genannt. Man kann daraus allerdings nicht automatisch auf eine Milch-unverträglichkeit schließen. Eine nur im behaarten Kopfbereich bestehende Schuppung wird als Gneis bezeichnet und hat keinen Zusammenhang mit einer Neurodermitis.

Neurodermitis im Gesicht Befall der Kniekehle Befall der Halsregion

Abbildung 6-1,2,3: Neurodermitis an verschiedenen Körperstellen

Zweites bis zwölftes Lebensjahr Die akut entzündlichen Erscheinungen wie Bläschenbildung und Nässen der Haut gehen zurück. Die Haut ist insgesamt trocken. Es bilden sich kleine Knötchen (Papeln), die sich durch Kratzen vergrößern und verkrusten. Eine weitere Folge von Kratzen und Infektio-nen ist eine Verdickung der Haut (Lichenifikation). Typische befallene Stellen sind jetzt die Ellbeugen und Kniekehlen, der Nacken und die seitlichen Teile des Rumpfes.

Bei Schulkindern können auch isoliert die Füße betroffen sein. Die Haut ist schuppend und rissig, zwischen den Zehen auch nässend und wird häufig mit einem Fußpilz ver-wechselt. Da die Erscheinungen an den Füßen durch das geschlossene Schuhwerk im

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Winter am ausgeprägtesten sind, spricht man auch von "atopischen Winterfüßen" (siehe Abbildung 6-4).

Abbildung 6-4:Atopische Winterfüße Abbildung 6-5:Superinfektion

Jugendlichen- und Erwachsenenalter Bei milden Verlaufsformen findet sich eventuell lediglich eine insgesamt trockene und empfindliche Haut sowie eine leichte Hautverdickung besonders in den Ellbeugen und Kniekehlen. Einige Patienten haben auch einzelne Ekzemherde an bestimmten Körper-stellen (z.B. Händen oder Füßen). Der Juckreiz wird insgesamt schwächer. Schwere Ver-laufsformen werden seltener.

6.2.4 Was sind die Ursachen der Neurodermitis? Die Ursachen der Neurodermitis sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt nicht "die" Ursache der Neurodermitis, sondern viele unterschiedliche Faktoren können als Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren eine Rolle spielen (siehe Abbildung 6-6). Seien Sie prinzipiell misstrauisch gegenüber jemandem der behauptet, er habe "die" Ur-sache der Neurodermitis gefunden und könne sie mit seiner Methode schnell und dauer-haft heilen.

Abbildung 6-6: Ursachen der Neurodermitis

• Veranlagung Die Voraussetzung für das Auftreten einer Neurodermitis ist eine vererbte über-mäßige Reaktionsbereitschaft des Immunsystems und eine spezielle Überempfind-lichkeit der Haut. Die Neigung, an Neurodermitis, Heuschnupfen, Asthma und Nahrungsmittelallergien zu erkranken, tritt familiär gehäuft auf. Auf dem Boden dieser Veranlagung werden dann die nachfolgend genannten Faktoren wirksam.

• Nahrungsmittelallergien z.B. gegen Kuhmilch oder Hühnerei spielen bei etwa einem Drittel der Neuroder-mitiskinder eine Rolle (siehe auch Kapitel 7).

• Nahrungsmittelunverträglichkeiten ("Pseudoallergien") Bei vielen Neurodermitikern bewirkt z.B. der übermäßige Genuss von Fruchtsäu-ren (z.B. Südfrüchte, frische Erdbeeren) eine nicht allergisch bedingte Ver-schlechterung der Haut.

Veranlagung

Nahrungsmittelallergien und -pseudoallergien

Psychische Anspannung

Hautreizung

Allergieauslöser aus der Luft

Klima und Wetter

Infekte

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• Allergieauslöser aus der Luft wie Hausstaubmilben, Tiere oder Pollen können durch direkten Hautkontakt zu einer Verschlechterung führen.

• Klima und Wetter Starke Hitze oder Kälte sowie ausgeprägte Temperaturschwankungen reizen die Haut.

• Hautreizung Mechanische Hautreizung durch Scheuern oder Kratzen, zu starkes Austrocknen der Haut (z.B. durch trockene Heizungsluft, zu häufige bzw. falsche Hautreini-gung), vermehrtes Schwitzen, zu enge oder kratzende Kleidung (z.B. Wolle), Ta-bakrauch und andere chemische Reizstoffe irritieren die Haut.

• Psychische Anspannung Übermüdung, Streit in der Familie und andere psychische Stressfaktoren können den Hautzustand verschlechtern.

• Andere Stressfaktoren Vielfach führen fieberhafte Infekte durch eine Aktivierung des Immunsystems zu einer Beeinflussung der Hauterscheinungen.

Wichtig ist, dass die individuellen Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren bei jedem Kind ganz unterschiedlich sein können. Dies bedeutet, dass bei dem einen Kind eine Nahrungsmittelallergie, bei einem anderen Kind unspezifische Provokationsfaktoren wie mechanische Hautreizung oder Schwitzen als Auslösefaktoren ganz im Vordergrund ste-hen können.

6.2.5 Merkmale der Neurodermitishaut Folgende Merkmale spielen für die Reaktionen der Neurodermitishaut eine Hauptrolle:

• Die Neurodermitishaut kann nicht genügend Wasser zurückhalten, was zu Haut-trockenheit führt (Störung der Barrierefunktion).

• In der Neurodermitishaut läuft eine chronische, durch das Immunsystem ausge-löste Entzündung ab.

• Es werden vermehrt allergische Mittlersubstanzen wie Histamin freigesetzt, was zu Juckreiz führt.

• Eine allgemein erhöhte Reizbarkeit lässt die Neurodermitishaut auf unterschied-lichste Reize überempfindlich reagieren (siehe oben).

Zudem ist die Neurodermitishaut vermehrt anfällig für Infektionen durch Eiterbakterien und Viren. Die Blutgefäße in der Haut haben eine starke Neigung, sich zusammenzuzie-hen. Dies zeigt sich an einer Blässe im Gesicht und dem weißen Dermographismus: wenn man z.B. mit dem Holzspatel über die Haut am Rücken streicht, wird die Haut an diesen Stellen nicht wie normalerweise der Fall rot, sondern weiß. Hände und Füße sind oft schlecht durchblutet und kühl.

6.2.6 Wie kann man eine Neurodermitis diagnostizieren? Die Diagnose einer Neurodermitis wird durch die charakteristischen Hauterscheinun-gen gestellt, gestützt durch das Vorkommen atopischer Erkrankungen in der Fami-lie. Es gibt keine Laboruntersuchung oder andere technische Untersuchung, welche be-weisend für eine Neurodermitis ist.

Auf der Suche nach allergischen und nichtallergischen Auslösern ist zuallererst die Beo-bachtung der Eltern und evtl. des Kindes wichtig. Je genauer Ihre Beobachtungen zu möglichen Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren sind, desto besser kann ein Auslöser eingegrenzt und ein Allergietest geplant werden.

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Folgende Testverfahren kommen zum Einsatz (siehe auch Kapitel 3):

a) Hauttests Beim Pricktest wird die Testsubstanz mit einer feinen Lanzette oberflächlich in die Haut eingebracht. Eine positive Reaktion zeigt sich als Rötung und Erhebung der Haut (Quad-del). Beim Atopie-Patch-Test wird die Testsubstanz mit einem speziellen Pflaster für 48 Stunden mit der Haut in Kontakt gebracht. Eine positive Reaktion zeigt sich als Rötung, Knötchen oder Bläschen.

b) Bluttests Auch im Blut kann nach allergieauslösenden Antikörpern gesucht werden, insbesondere wenn der Hautzustand keine Hauttests erlaubt. Das am häufigsten verwendete Verfahren ist der RAST (Radio-Allergo-Sorbent-Test) und dessen Varianten, bei denen die Immun-antwort in verschiedenen Stärkegraden (Klassen) angegeben wird.

Doch Achtung!: Eine positive Reaktion im Allergietest beweist nicht automatisch das Vorliegen einer Allergie! Sie zeigt lediglich an, dass das Immunsystem Kontakt mit der entsprechenden Substanz gehabt und Allergieantikörper gebildet hat (= Sensibilisierung). Ob eine Sensibilisierung auch wirklich Krankheitserscheinungen hervorruft (= Allergie), muss vor allem bei Nahrungsmitteln in der Regel durch einen Auslass- und Provokations-versuch überprüft werden. Das Weglassen eines verdächtigen Nahrungsmittels muss eine Symptombesserung, das Wiedereinführen eine Symptomverschlechterung zur Folge ha-ben. Sogenannte pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungs-mittel (z.B. auf Fruchtsäu-ren) können nur durch Elimination und Provokation diagnostiziert werden, da der Körper in diesem Falle keine Allergieantikörper bildet. Leider kommt es immer wieder vor, dass der Allergietest und nicht das allergiekranke Kind behandelt wird und dadurch dem Kind unsinnige Diäten zugemutet werden.

Ungeeignete Diagnosemethoden sind u.a. die Kinesiologie, Bioresonanz, Elektroaku-punktur, Haarmineralstoffanalyse oder die Bestimmung von IgG-Antikörpern auf Nahrungsmittel.

6.2.7 Erkrankungen, die von einer Neurodermitis abgegrenzt werden müssen Es gibt einige Erkrankungen, die von einer Neurodermitis unterschieden werden müssen:

• Die seborrhoische Dermatitis beginnt früher, meist im Alter zwischen vier und acht Wochen. Sie ist gekennzeichnet durch dicke, gelbliche, fettige Schuppen auf roter Haut. Betroffen sind meist der Kopf (Gneis) und die Körperfalten (Achsel-höhle, Leisten, Falten hinter dem Ohr). Die seborrhoische Dermatitis juckt nicht. Sie verschwindet innerhalb weniger Wochen wieder. In einigen Fällen kann sie je-doch in eine Neurodermitis übergehen.

• Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist die Neurodermitis bei Vorliegen einzelner begrenzter Ekzemherde von einem Kontaktekzem zu unterscheiden.

• Weiterhin können eine Krätze, eine Schuppenflechte und seltene Stoffwechsel- und Abwehrstörungen mit einer Neurodermitis verwechselt werden.

6.2.8 Verlauf der Neurodermitis Die Neurodermitis nimmt einen Verlauf in Schüben mit erscheinungsfreien oder erschei-nungsarmen Phasen und Verschlechterungsphasen (siehe Abbildung 6-7). Nicht immer kann für einen Verschlechterungsschub ein Auslöser festgemacht werden. Bei den meis-ten Kindern kommt es glücklicherweise bis zum Schulalter zu einer deutlichen Besserung des Hautzustandes. Die Neigung zu trockener Haut bleibt allerdings bestehen. Es besteht jedoch weiterhin eine erhöhte Allergiebereitschaft (z.B. auf Pollen, Tiere, Hausstaub-milben) und ein erhöhtes Asthmarisiko. Daher ist auch im weiteren Verlauf das Meiden potenter Allergieauslöser wichtig, ebenso sollte die Berufswahl sorgfältig geplant werden.

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Abbildung 6-7: Wellenförmiger Verlauf der Neurodermitis in Schüben

6.2.9 Komplikationen • Die Neurodermitis selbst ist nicht ansteckend. Die Neurodermitishaut ist jedoch

vermehrt anfällig für Infektionen durch Viren und Bakterien. Die häufig auf-tretenden Dellwarzen (Mollusken) sind zwar nicht gefährlich, jedoch äußerst hartnäckig. Bakterielle Infektionen, z.B. durch Staphylokokken können den Hautzustand immer wieder verschlechtern (siehe Abbildung 6-5). Besonders gefürchtet sind Herpesvirusinfektionen mit wässrigen Bläschen (Ekzema herpeticatum).

• Unausgewogene "Neurodermitisdiäten" können eine Mangelernährung mit Wachstums- und Gedeihstörungen bewirken.

• Im akut nässenden Stadium einer Neurodermitis kann es vor allem bei Säuglingen zu großen Eiweißverlusten über die Haut kommen.

• Eine schwere Neurodermitis kann durch ständigen Juckreiz und Schlaflosigkeit zu Reizbarkeit und Unausgeglichenheit oder durch das äußere Erscheinungsbild be-dingt zu Kontaktscheu und sozialem Rückzug führen. Diese psychischen Auffällig-keiten sind jedoch die Folge und nicht die Ursache einer Neurodermitis.

• Eine Entzündung von Binde- und Hornhaut (atopische Keratokonjunktivitis) kann ab dem Alter von 10 Jahren auftreten (siehe auch Kapitel 8.2).

6.2.10 Neurodermitis und Psyche Im Laufe der Zeit sind eine Vielzahl von Theorien entstanden, welche die Entstehung ei-ner Neurodermitis durch bestimmte Persönlichkeitsfaktoren beim Betroffenen sowie be-stimmte Konstellationen im familiären Umfeld erklären wollen. Inzwischen steht fest, dass es eine typische Neurodermitispersönlichkeit nicht gibt und dass psychische Fakto-ren nicht die Ursache der Neurodermitis darstellen. Unbestritten ist jedoch, dass psychi-sche Faktoren bei vielen Neurodermitikern einen unterschiedlich starken Einfluss auf den Hautzustand haben können.

Auswirkungen der Psyche auf die Neurodermitis Jede Art von psychischem "Stress" kann sich verschlechternd auf die Haut auswirken. Bei einem kleinen Kind kann dies die Trennung von der Mutter durch einen Krankenhausauf-enthalt sein, bei einem größeren Kind die Anspannung vor einer Klassenarbeit. Interes-sant ist die Beobachtung mancher Eltern, dass auch überströmende Freude den Hautbe-fund bei ihrem Kind verschlechtern kann. Diese Reaktionen sind über Einflüsse des Ner-vensystems auf das Immunsystems zu erklären, das eine verstärkten Entzündungsakti-vität in der Haut auslöst.

Zeit

Ausprägung der Hautsymptome

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Rückwirkungen der Neurodermitis auf die Psyche Die Rückwirkungen der Neurodermitis auf die Psyche sind nicht zu unterschätzen:

• Bei einem akuten Schub werden in der Haut Entzündungsstoffe (Mediatoren) freigesetzt, die über den Blutweg ins Zentralnervensystem gelangen. Kinder im Schub sind daher oft besonders gereizt, unleidig und unruhig.

• Die Unruhe und das Nichtschlafenkönnen bei starkem Juckreiz führt zum Schlafmangel beim Betroffenen selbst und meist auch bei den Eltern. Die ganze Familie wird leicht reizbar, bereits bei Kleinigkeiten entstehen so Spannungen, welche zusätzlich destabilisierend wirken. Häufen sich die Phasen mangelnden Schlafs, so fällt ein schulpflichtiges Kind in der Schule durch abfallende Leistungen auf, was wiederum neuen Konfliktstoff bietet.

• Besonders gravierend können sich Veränderungen an den sichtbaren Hautpartien, besonders im Gesicht, auswirken. Die neugierige, erstaunte oder mitleidige Reak-tion der Umwelt führen bei vielen Betroffenen zu einem sozialen Rückzug. Diese Kinder und Jugendlichen werden dann als introvertiert, zurückgezogen und wenig kontaktfreudig beschrieben. Diese psychischen Auffälligkeiten sind jedoch die Folge und nicht Ursache einer Neurodermitis.

6.2.11 Die Therapie der Neurodermitis 1) Allgemeines Für die Neurodermitisbehandlung ist viel Geduld nötig, eine rasche Heilung gibt es leider nicht. Wenn manche Behandler dies dennoch versprechen, sollten Sie diese Verspre-chungen sehr kritisch hinterfragen. Die Enttäuschung ist ansonsten hinterher meist groß und Sie haben für diese Versprechungen unter Umständen viel Geld ausgegeben. Glückli-cherweise können die meisten von Neurodermitis betroffenen Kinder und Jugendlichen mit den heutigen erprobten und anerkannten Therapiemöglichkeiten erfolgreich behan-delt werden und eine gute Lebensqualität erreichen. Man geht am besten nach einem Stufenschema vor (siehe Tabelle 6-1). Tabelle 6-1: Stufentherapie der Neurodermitis

1. Stufe: trockene Haut

- leichte Trockenheit der Haut, evtl. minimale Rötung

Basispflege, Meiden von Auslösern

2. Stufe: leichte Entzündung

- vermehrt Juckreiz mit Rötung, Knötchen, Kratzspuren weniger fette Grundlagen, Zusatz kortisonfreier Wirkstoffe wie Zink, Tannin, evtl.

Pimecrolimus, desinfizierende Mittel, Juckreiz-Stopp-Techniken

3. Stufe: starke Entzündung bzw. Komplikationen

- verstärkte Symptome, Infektionen fettarme Grundlagen, feuchte Umschläge, Infektionsbehandlung, kortisonhaltige

Cremes, Tacrolimus, innerlich Antihistaminika, in Ausnahmefällen innerlich Kortison oder andere Immuntherapeutika

Da an der Entstehung einer Neurodermitis viele Faktoren beteiligt sind, die bei jedem Betroffenen ein unterschiedliches Gewicht haben, kann es die für alle Patienten einzig richtige Therapie nicht geben. Es gibt jedoch allgemeine Regeln für die Hautpflege, Klei-dung und Vermeidung unspezifischer Reizfaktoren, die für alle Patienten mit Neurodermi-tis gelten. Andere Maßnahmen müssen auf jeden Einzelfall abgestimmt werden.

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Sicherheit und Geborgenheit im familiären Umfeld verschafft dem Kind die erforderliche psychische Stabilität, mit der Erkrankung besser umgehen zu können. Dazu gehört die Gewissheit, dass das Kind trotz seiner nach außen hin sichtbaren Erkrankung von den Eltern, Geschwistern und anderen Bezugspersonen so geliebt und gemocht wird, wie es ist. Achten Sie auf einen möglichst regelmäßigen Tagesablauf.

2) Auslösefaktoren meiden Bekannte Provokationsfaktoren und Allergieauslöser müssen natürlich gemieden werden. Dazu gehört auch, dass in der Wohnung nicht geraucht wird. Schon aus Gründen der Allergievorbeugung sollten keine fell- oder federntragende Haustiere angeschafft und vor allem im Schlafbereich ein für Milben und Schimmelpilze ungünstiges Klima geschaffen werden: wischbare Böden, sparsame Möblierung, regelmäßiges Stoßlüften zur Herab-setzung der relativen Luftfeuchtigkeit auf unter 55%, waschbares Bettzeug, evtl. milben-dichte Matratzenüberzüge, keine Felle ins Bett, Anzahl der Kuscheltiere begrenzen, keine Staubfänger wie schwere Vorhänge.

3) Hautreinigung Bei der Hautreinigung muss eine zu starke Reizung und Austrocknung der Haut unbe-dingt vermieden werden. Die Haut sollte möglichst mit klarem Wasser, bei stärkerer Verschmutzung zusätzlich am besten seifenfrei mit einem Waschsyndet mit einem pH-Wert zwischen 5 und 6 (leicht sauer) gereinigt werden. Generell ist Duschen für die Haut schonender als Baden. Daher sollte in der Regel nur 1-2 Mal pro Woche, nicht zu warm (bis 35 Grad) und maximal 15 Minuten gebadet werden. Zwischendurch ist bei Bedarf ein kurzes, nicht zu heißes Abduschen möglich. Dadurch wird die Haut von Schmutz, Schweiß und Salbenresten befreit und auch die Bakterienzahl auf der Haut reduziert. Kaltes Abduschen des Körpers fördert auch die körpereigene Kortisonproduktion und wirkt dadurch zusätzlich antientzündlich und juckreizstillend. Beim Abtrocknen die Haut nicht stark reiben, sondern sanft abtupfen.

4) Hautpflege Eine Grundpflege (= Basispflege) muss auch unabhängig von Baden oder Duschen täglich durchgeführt werden. Dies mildert auch den Juckreiz und die Anfälligkeit für Infektionen. Bei entzündeter oder infizierter Haut kommt eine antientzündliche, juckreizstillende und/oder antiinfektiöse Therapie hinzu (siehe Tabelle 6-1). Die Hautpflege sollte in möglichst angenehmer und entspannter Atmosphäre durchgeführt werden und für Eltern und Kind nicht zu einer lästigen Pflichtübung werden.

a) Grundpflege Die Neurodermitishaut braucht Feuchtigkeit und Fett. Rückfetten ist in der Regel zwei- bis dreimal täglich und vor allem nach dem Baden und Duschen erforderlich. Das Verhältnis von Feuchtigkeit zu Fett in der Pflegegrundlage muss je nach Hautzu-stand und Jahreszeit variiert werden. Grundsätzlich gilt, dass eine trockene Haut viel Fett, eine entzündete oder gar nässende Haut wenig Fett braucht. Im Sommer braucht die Haut vor allem Feuchtigkeit. Das Auftragen von zu viel Fett schließt die Haut nach außen ab, der Schweiß staut sich unter der Salbe, was den Juckreiz fördert und den Hautbefund verschlechtert. Im Sommer verwendet man daher als Grund-pflege eine Creme. Im Winter hingegen braucht die Haut mehr Fett. Daher wird im Winter zur Grundpflege eine Salbe genommen. Der Fettgehalt in den Pflegemitteln steigt in folgender Reihenfolge an: Lotio - Creme - Lipolotio - Salbe - Fettsalbe - Öl. Ölbäder können die Grundpflege ergänzen, jedoch nicht ersetzen. Falls ein Ölbad verwendet wird, sollte es erst gegen Ende des Badevorgangs zugefügt werden; die Haut kann dann vorher genügend Feuchtigkeit aufnehmen.

Der richtige Umgang mit den verschiedenen Cremes und Salben zur Grundpflege ist viel wichtiger als die ständige Suche nach einer neuen "Wundersalbe"! Die benötigten Basiscremes und -salben werden von verschiedenen Firmen hergestellt, wobei jeder Arzt die Cremes und Salben verwendet, mit denen er am meisten Erfahrung hat. Spe-zielle Rezepturen werden vom Apotheker selbst zubereitet. Im Zweifelsfall macht man

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einen Halbseitenversuch: die eine Körperhälfte wird mit der einen, die andere Kör-perhälfte mit einer anderen Creme oder Salbe behandelt. Nach ein paar Tagen kann man dann die Wirkung direkt vergleichen. Die Creme sollte am besten aus einer Tube oder, wenn dies nicht möglich ist, mit einem Löffel oder Holzspatel aus dem Creme-topf entnommen werden.

b) wirkstoffhaltige Zusätze Bei Bedarf werden der Pflegegrundlage wirkstoffhaltige Zusätze beigemischt: Harn-stoff, juckreizstillende, antiinfektiöse oder antientzündliche Wirkstoffe (siehe

Tabelle 6-2). Die beste nichtmedikamentöse juckreizstillende Maßnahme ist Küh-lung. Bei entzündeter Haut wird man zunächst versuchen, mit leicht antientzündlich wirkenden Cremes eine Besserung zu erzielen. Bei schweren Hauterscheinungen kann jedoch eine Kortisoncreme erforderlich werden. Werden Kortisonpräparate der Klasse I (schwach, z.B. Hydrocortison) und Klasse II (mittelstark, z.B. Alfason®, Dermatop®, Pandel®) über einen begrenzten Zeitraum angewendet, sind mit den modernen Zu-bereitungen keine Nebenwirkungen zu erwarten und die häufig anzutreffende Korti-sonangst ist unbegründet. Bei einer zu langen Anwendung starker Kortisoncremes kann es allerdings zu einer Hautverdünnung (Hautatrophie) kommen. Ein behutsames Vorgehen ist im Gesicht und Genitalbereich angebracht. Eine Kortisonbehandlung sollte immer schrittweise ausgeschlichen werden: z.B. in der 1. Woche Anwendung täglich, in der 2.Woche jeden 2.Tag und in der 3.Woche jeden 3.Tag.

Tabelle 6-2: Wirkstoffe in der Lokaltherapie der Neurodermitis

Harnstoff - schuppenlösend, wasserbindend und hautglättend - kann auf entzündeter Haut und dünner Säuglingshaut brennen

juckreizstillend

- Polidocanol, Menthol, die unten aufgeführten antientzündlichen Wirkstoffe antiinfektiös

- Jodlösung, Kaliumpermanganat (als Badezusatz) - Triclosan, Chlorhexidin u.a.: gegen Bakterien und Hefepilze - Farbstoffe (z.B. Eosin, Pyoktanin): zusätzlich austrocknend und gerbend, beson-

ders für nässende Stellen geeignet - Lokalantibiotika: gegen Bakterien - Aciclovir: gegen Herpesviren

leicht antientzündlich

- Zinkoxid: gerbend, entzündungshemmend und kühlend - Eichenrinde, Tannin, Schwarztee, essigsaure Tonerde: gerbend, gut für Um-

schläge geeignet - Bufexamac (kann selbst allergische Reaktionen hervorrufen!) - Schieferölzubereitungen

stark antientzündlich

- Kortison - Tacrolimus, Pimecrolimus

2002 wurden in Deutschland zwei neue antientzündliche Substanzen zur Lokal-behandlung ab dem Alter von zwei Jahren zugelassen (Tacrolimus = Protopic®, Pi-mecrolimus = Elidel®, Douglan®). Sie entsprechen der Wirkstärke einer schwachen bis mittelstarken Kortisoncreme. Es handelt sich um Produkte aus Schimmelpilzen, die bei der Erforschung von immunhemmenden Medikamenten für die Transplanta-

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tionsmedizin entdeckt wurden. Als Creme oder Salbe auf die Haut aufgetragen gelan-gen bei den meisten Kindern nur minimale Mengen ins Blut. Der große Vorteil dieser Medikamente ist, dass sie nicht zu einer Hautverdünnung führen, wie dies bei einer zu langen Anwendung starker Kortisoncremes möglich ist. Dies ist besonders im Gesicht und im Bereich anderer problematischer Hautstellen wichtig. Am Anfang der Behand-lung kann ein Brennen der Haut auftreten, das aber meist nach einigen Tagen wieder verschwindet. Auch sollte die Haut nicht direkt der Sonne ausgesetzt werden und ein guter Sonnenschutz am besten durch Textilien oder wo nicht anders möglich durch Sonnenschutzpräparate gewährleistet sein. Der Erfolg von Schutzimpfungen wird nicht beeinträchtigt. Insgesamt stellen Tacrolimus und Pimecrolimus einen großen Fortschritt in der Behandlung der Neurodermitis dar. Erfahrungen über eine Langzeit-behandlung über viele Jahre liegen allerdings noch nicht vor und der Preis für diese Präparate ist noch etwa doppelt so hoch wie der einer Kortisoncreme.

Benützen Sie keine nicht oder unvollständig deklarierten "Wundermittel", welche ganz schnell helfen sollen. Unter Umständen ist die wirksame Substanz ein darin enthalte-nes Kortikoid.

5) Behandlung der nässenden Haut Auf eine nässende Haut darf keine fettige Salbe aufgetragen werden, da unter einer Fettschicht sich das Wundsekret anstaut und nicht abtrocknen kann. Hier nimmt man im Akutstadium eine Creme. Bei stark nässender Haut verwendet man feuchte Umschläge z.B. in Form von physiologischer Kochsalzlösung, Schwarztee oder 10%-iger essigsaurer Tonerde, welche jeweils für zehn Minuten mehrmals täglich angewendet werden. Man kann in diesem Stadium auch ein- bis zweimal täglich eine Zinkschüttelmixtur mit einem Gerbstoffzusatz (z.B. Tannosynt® Lotio) benutzen; sobald sich eine Kruste bildet, wird die Behandlung mit einer Creme fortgeführt.

6) Behandlung einer Infektion Infektionen durch Bakterien (meist Staphylokokkus aureus) sind häufig an der Ver-schlechterung des Hautbefundes beteiligt. Es entwickeln sich dann gelbliche Krusten an den befallenen Stellen. Ohne Behandlung der Infektion kann die Haut nicht heilen. Im Anfangsstadium kann man desinfizierende Bäder oder Lokalantibiotika (z.B. Fucidine®

Creme) einsetzen. Ist die Infektion ausgedehnt, muss eine innerliche Behandlung mit einem Antibiotikum durchgeführt werden. Es ist erstaunlich, wie rasch sich die Haut oft beruhigt, wenn die Infektion unter Kontrolle ist.

Superinfektionen mit dem Herpesvirus (Ekzema herpeticatum) mit kleinen, gruppiert stehenden Bläschen waren früher sehr gefürchtet. Mit der Anwendung von Aciclovir (Zo-virax® und Generica) hat diese Komplikation heute gut behandelbar. Sind kleinere Areale betroffen, kann ein Versuch mit der örtlichen Anwendung gemacht werden. Bei ausge-dehntem Befall ist die Einnahme oder intravenöse Gabe von Aciclovir erforderlich.

7) innerliche Medikamente Zur Juckreizstillung können Antihistaminika eingesetzt werden. Die älteren Antihistami-nika (z.B. Fenistil®, Tavegil®) können müde machen (oft erwünscht), die neueren Anti-histaminika (z.B. Aerius®, Lisino® und Generica, Zyrtec® und Generica, Xusal®) haben auch eine antientzündliche Wirkung. Bei ausgeprägten Infektionen sind Antibiotika erfor-derlich. Bei ganz schwerer Neurodermitis muss in seltenen Fällen Kortison oder ein an-deres stark antientzündlich und immunhemmend wirkendes Medikament (z.B. Ciclospo-rin) eingenommen werden.

8) Sonstiges Die Einnahme von Nachtkerzensamenöl hat in den meisten Studien keinen zufrieden-stellenden Erfolg gezeigt. Zur Zeit wird geprüft, ob Probiotika (Bakterien, welche die Darmflora günstig beeinflussen) über einen Einfluss auf das Immunsystems im Darm zur Therapie und auch Vorbeugung der Neurodermitis eingesetzt werden können. Erste Stu-dien zeigten erfolgversprechende Resultate. Allerdings muss vor einer allgemeinen

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Empfehlung noch geklärt werden, welche Kinder von einer Behandlung profitieren und welche Bakterienstämme die beste Wirkung zeigen.

6.2.12 Juckreiz und Kratzen Kratzen führt zu noch stärkerem Juckreiz, Entzündung und offenen Stellen (Juckreiz-Kratz-Zirkel) und stellt bei vielen Neurodermitiskindern ein großes Problem dar. Daher Fingernägel kurz schneiden, Säuglingen Baumwollhandschuhe anziehen, Schlafanzug-ärmel zubinden, evtl. Neurodermitikeranzug verwenden, Schwitzen vermeiden. Juckreiz-stillende Mittel können örtlich aufgetragen (z.B. Eichenrinde, Polidocanol) oder müssen in schwereren Fällen eingenommen werden (Antihistaminika). Es ist ganz entscheidend, eine vom Kind akzeptierte Methode zur Juckreizstillung zu finden.

Folgende Juckreiz-Stopp-Techniken haben sich bewährt:

Eincremen Kühlen (Creme aus dem Kühlschrank, kühle Umschläge, Coldpack) Klopfen, Drücken, Zwicken der Haut (statt Kratzen) Ablenken, Spielen Bearbeiten von Kratzholz oder Kletterknete an Stelle der Haut Entspannungstechniken.

6.2.13 Kleidung Die Kleidung sollte nicht zu eng anliegen, das Material glatt, saugfähig, luftdurchlässig und alles, was direkt auf dem Körper getragen wird, nicht intensiv gefärbt sein (z.B. un-gefärbte Baumwolle, Leinen, Viskose, Seide). Wolle oder Felle verstärken den Juckreiz. Einnäher aus Synthetik entfernen, evtl. Nähte nach außen tragen. Insgesamt sollte die Kleidung vor allem im Sommer nicht zu warm sein, um das Schwitzen nicht zu fördern. Auch Mutter und Vater sollten bei der Pflege oder beim Spielen mit ihrem Kind nicht unbedingt einen Wollpullover tragen.

6.2.14 Ernährung bei Neurodermitis Unterschieden werden muss zwischen einer Ernährung, die einer Nahrungsmittelallergie vorbeugen soll und einer Ernährung bei einer nachgewiesenen Nahrungsmittelallergie. Bei einer vorbeugenden allergenarmen Kost werden bekanntermaßen aggressive Nah-rungsmittelallergene vermieden oder möglichst spät in den Speiseplan eingeführt. Bei einer nachgewiesenen Nahrungsmittelallergie wird eine gezielte Auslassdiät (Elimina-tionsdiät) unter Ausschluss eines oder mehrerer Nahrungsmittel durchgeführt.

a) Kinder ohne nachgewiesene Nahrungsmittelallergie Säuglinge sollten möglichst über 4 bis 6 Monate voll gestillt werden. Nach Absprache mit dem Kinderarzt kann ersatzweise eine hypoallergene Säuglingsnahrung (H.A.-Nahrung, z.B. Aptamil H.A.®, Beba H.A.®, Hipp H.A.® oder Humana H.A.®) bzw. eine starke Hydro-lysatnahrung (z.B. Alfaré®, Nutramigen®, Pregomin®) verwendet werden. Das Zufüttern von Kuhmilch- oder Sojapräparaten in den ersten Lebenstagen auf der Entbindungssta-tion sollte unterbleiben. Statt dessen kann, wenn unbedingt erforderlich, eine Traubenzu-ckerlösung gegeben werden bis ausreichend Muttermilch zur Verfügung steht. Mit Beikost erst nach 6 Monaten beginnen. Je später der Kontakt mit potentiell allergieauslösenden Nahrungsmitteln erfolgt, desto geringer ist das Risiko einer Sensibilisierung. Kuhmilch, Eier, Nüsse, Fisch und exotische Früchte im ersten Lebensjahr meiden, da diese beson-ders häufig Allergien auslösen. Auch Fruchtsäuren (z.B. in Zitrusfrüchten), zu viel Süßes, in seltenen Fällen auch Farb- und Konservierungsstoffe können den Hautzustand ver-schlechtern.

Ungezielte Eliminationsdiäten, bei denen eine Vielzahl wichtiger Nährstoffe ohne ge-zielte Beobachtungsphase und Auslassversuch aus der Nahrung entfernt werden, sind

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abzulehnen. Je jünger das Kind ist, um so gravierender können die Folgen einer Man-gelernährung sein. Gedeihstörungen, Wachstumsstörungen, Schilddrüsenunterfunktion sind mögliche Folgen. Werden wichtige Nahrungsmittel (z.B. Milch) nach einer Allergie-testung aus der Nahrung entfernt, muss für einen bedarfsgerechten Ersatz gesorgt wer-den. Dies erfordert eine gezielte Beratung und Überwachung durch den Arzt oder eine Ernährungsberaterin (siehe auch Kapitel 7 "Nahrungsmittelallergien"). Eine allgemeine "Neurodermitisdiät" gibt es nicht.

Leider kann in manchen Fällen auch über die Muttermilch eine Sensibilisierung des Kin-des, beispielsweise gegen Kuhmilcheiweiß oder Ei erfolgen. Ein übermäßiger Genuss von Kuhmilch und Ei durch die stillende Mutter ist daher nicht zu empfehlen. Ausreichend umfangreiche Studien über den Wert und die Risiken einer konsequent allergenarmen Ernährung der Mutter während der Stillzeit liegen noch nicht vor, sodass eine solche Maßnahme im Einzelfall entschieden werden muss. Auch eine evtl. Diät der stillenden Mutter muss ärztlich überwacht werden.

Rohkost hat eine größere allergieauslösende Potenz als erhitzte Speisen, da beim Er-hitzen manche allergene Bestandteile verändert und in ihrer Aggressivität herabgesetzt werden. Auch selbstgemahlenes frisches Korn hat eine höhere allergene Potenz als in Backwaren aus feiner gemahlenem Mehl, da besonders Hüllbestandteile Allergien auslö-sen. Daher sind z.B. selbst zubereitete Frischkornmüsli zumindest im frühen Säuglings-alter vom allergologischen Standpunkt aus als ungünstig anzusehen. Dies ändert natür-lich nichts an der Tatsache, dass Rohkost beim Nichtallergiker eine wertvolle Berei-cherung des Speiseplanes darstellt.

b) Kinder mit nachgewiesener Nahrungsmittelallergie Kinder mit einer nachgewiesenen Nahrungsmittelallergie bedürfen einer gezielten Elimi-nationsdiät, wobei ein oder mehrere Nahrungsmittel vom Speiseplan gestrichen werden. Müssen Grundnahrungsmittel weggelassen werden, ist ein ausreichender Ersatz dafür zu schaffen. Dies erfordert in der Regel, dass eine Ernährungsberaterin den genauen Nährstoffbedarf berechnet. Weitere Einzelheiten finden Sie im Kapitel 7 "Nahrungsmittelallergien".

6.2.15 Impfungen bei Neurodermitis Neurodermitiskinder sollten alle empfohlenen Routine-Impfungen einschließlich der Windpocken-Impfung erhalten, da Windpocken bei Neurodermitikern besonders schwer und unangenehm verlaufen können. Diese Schutzimpfungen werden von den meisten Neurodermitiskindern problemlos vertragen. Es kann bei einigen Kindern wie bei jedem Infekt, der das Abwehrsystem anregt, zu einer vorübergehenden Hautverschlechterung kommen. Man wird daher die empfohlenen Impfungen in einer möglichst stabilen Phase durchführen. Eine Impfung kann jedoch keine Neurodermitis verursachen. Grippeimpf-stoffe sowie insbesondere der Gelbfieberimpfstoff dürfen bei starken Hühnereiweißaller-gikern nur bei strenger Indikation und sorgfältiger Überwachung verwendet werden, da sie Hühnereiweiß enthalten (siehe auch Kapitel 15)

6.2.16 Urlaub und Klima Ein Urlaub am Meer oder im Hochgebirge wirkt sich meist positiv auf die Haut aus. Es gibt jedoch keine Urlaubsregion, die prinzipiell für alle Neurodermitiker gleichermaßen geeignet wäre. An erster Stelle sollten bei der Urlaubsplanung die Wünsche der Familie stehen. Es sind keine positiven Effekte zu erwarten, wenn die Familie beispielsweise we-gen des Reizklimas an die Nordsee fährt, die Mehrzahl der Familienmitglieder jedoch viel lieber ans Mittelmeer fahren würde. Konflikte sind hier vorprogrammiert. Wenn die an-deren regelmäßig wegen einem Familienmitglied "zurückstecken" müssen, entstehen Spannungen, welche die Heilung nicht fördern. In manchen Fällen kann die Bevorzugung einer bestimmten Urlaubsregion durchaus sinnvoll sein. Besprechen Sie dies am besten mit Ihrem Arzt.

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6.2.17 Sonstiges Sorgen Sie bei allem Stress für einen geregelten Tagesablauf mit ausreichend Schlaf. Suchen Sie Entlastung und lassen Sie auch Ihre Erholungsphasen nicht zu kurz kommen. Bei älteren Kindern können Entspannungsverfahren nützlich sein. Eine UV-Therapie wird bei Kindern nicht empfohlen. Bei schwerer Neurodermitis kann eine Rehabilitationsmaß-nahme (siehe auch Kapitel 18) erforderlich werden. Neurodermitis-Schulungspro-gramme für Eltern und Kinder der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung (AGNES) haben sich bewährt und ihre Effektivität nachgewiesen, jedoch ist die generelle Kosten-übernahme durch die Krankenkassen noch nicht endgültig geklärt . Empfehlungen zur Berufswahl siehe Kapitel 6.6.

6.2.18 Zusammenfassung Die Neurodermitis ist eine stark juckende, in der Regel chronisch in Schüben verlau-fende entzündliche Hauterkrankung. Sie wird auch als atopische Dermatitis, atopisches Ekzem oder endogenes Ekzem bezeichnet. Mit einem Auftreten von ca. 10 % ist sie die häufigste chronische Hauterkrankung bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Haut ist trocken, schuppig oder mit Krusten bedeckt, im akuten Stadium gerötet, evtl. mit Bläschen und nässenden Stellen. Es besteht starker Juckreiz, der die Kinder sehr unru-hig, missgelaunt und reizbar machen kann.

Auf der Grundlage einer vererbten Veranlagung kann eine Vielzahl von Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren eine Rolle spielen: Nahrungsmittelallergien und Nah-rungsmittelunverträglichkeiten, Allergieauslöser wie Hausstaubmilben, Tiere oder Pollen, starke Hitze oder Kälte, mechanische Hautreizungen, psychische Anspannung und Infekte als Stressfaktoren. Diese Faktoren können bei jedem Kind ganz unterschiedlich sein!

Als Komplikationen einer Neurodermitis können Infektionen der Haut durch Bakterien und Viren, Reizbarkeit durch Juckreiz und Schlaflosigkeit, eventuell auch ein sozialer Rückzug auftreten.

Unabdingbar für die Behandlung jeder Neurodermitis ist eine intensive und der jeweili-gen Hautsituation und Jahreszeit angepasste Hautpflege (Stufentherapie der Neuroder-mitis). Im Sommer braucht die Neurodermitishaut zur Grundpflege eher eine Creme, im Winter eine Salbe. Je nach Hautzustand werden Juckreiz stillende, antiinfektiöse oder antientzündliche Wirkstoffe beigemischt. Bei starkem Juckreiz müssen eventuell innerlich Juckreiz hemmende Medikamente gegeben werden, bei bakteriellen Infektionen Antibio-tika.

Die Kleidung darf nicht kratzen, muss Schweiß aufsaugen und soll luftdurchlässig sein.

Ein Säugling mit Neurodermitis sollte möglichst vier bis sechs Monate voll gestillt wer-den. Die Beikost sollte vorsichtig und nicht zu schnell eingeführt werden, insbesondere Kuhmilch, Eier, Nüsse, und Fisch müssen im ersten Lebensjahr gemieden werden. Eine Auslassdiät, insbesondere wenn sie kleine Kinder betrifft, darf nur bei spezieller Indika-tion unter Kontrolle des Arztes oder der Ernährungsberaterin durchgeführt werden, da ansonsten Mangelerscheinungen drohen.

Die Neurodermitis nimmt einen Verlauf in Schüben mit erscheinungsfreien oder erschei-nungsarmen Phasen und Verschlechterungsphasen. Bei den meisten Kindern kommt es glücklicherweise bis zum Schulalter zu einer deutlichen Besserung des Hautzustandes. Die Neigung zu trockener Haut bleibt allerdings bestehen. Es besteht jedoch weiterhin eine erhöhte Allergiebereitschaft (z.B. auf Pollen, Tiere, Hausstaubmilben) und ein er-höhtes Asthmarisiko.

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6.3 Allergisches Kontaktekzem Die fünfzehnjährige Tanja trägt gerne Modeschmuck. In den letzten Wochen macht ihr dies jedoch nur halb soviel Spaß wie zuvor. An den Ohrläppchen juckt es. Am Hals haben sich kleine juckende Bläschen gebildet. Auch am Bauch, wo der Jeansknopf an der Bauchhaut anliegt, hat sich ein Ausschlag gebildet.

Sie geht zu ihrer Ärztin, die eine allergische Reaktion auf die im Schmuck enthaltenen Metalle vermutet und Tanja zu einem Allergologen überweist. Beim Allergologen wird ein Pflastertest am Rücken angelegt, der nach drei Tagen abgelesen wird: Tanja reagiert allergisch auf Nickel. Tanja erfährt, dass sie keinen Schmuck, der Nickel enthält, mehr tragen darf. Auch Jeansknöpfe können Nickel enthalten. Sie muss darauf achten, dass diese Knöpfe nicht mehr direkt mit der Haut in Berührung kommen. Für Schmuck muss sie jetzt leider mehr Geld ausgeben: edlere Metalle machen allergologisch fast nie Prob-leme.

6.3.1 Was ist ein allergisches Kontaktekzem? Ein Kontaktekzem bzw. Kontaktdermatitis ist eine Entzündung der Haut, die durch Kon-takt mit einer allergieauslösenden Substanz hervorgerufen wird. Es handelt sich dabei um eine allergische Reaktion vom Spättyp (Typ IV-Reaktion, siehe Kapitel 16). Der Begriff Dermatitis wird eher für akute, der Begriff Ekzem eher für chronische Entzündun-gen verwendet.

6.3.2 Wie äußert sich ein Kontaktekzem? Ein allergisches Kontaktekzem äußert sich als juckende Hautrötung mit Bildung von Bläs-chen, Knötchen und Krusten. Bei längerem Verlauf wird die Haut auch verdickt (lichenifi-ziert).

6.3.3 Was sind die Ursachen eines allergischen Kontaktekzems? Beim allergischen Kontaktekzem läuft eine allergische Reaktion vom Spättyp (Typ IV) ab. Sie betrifft entsprechend veranlagte Personen nach Kontakt mit einer allergieauslösenden Substanz. Sie entwickelt sich in der Regel im Verlauf von Jahren und ist daher bei Kin-dern unter zehn Jahren nur selten anzutreffen. Eine Sensibilisierung ist jedoch in Aus-nahmefällen auch innerhalb von sieben bis zehn Tagen möglich.

Die häufigsten Allergieauslöser sind:

• Metalle: insbesondere Nickel, das häufig in Modeschmuck, Metallknöpfen, Gürtel-schnallen, Ösen u.a. enthalten ist, daneben Kobalt und Kaliumdichromat

• Hilfsstoffe, die bei der Gummiherstellung verwendet werden • Kosmetika (Duftstoffe, Hilfsstoffe) • Medikamente • Pflanzen, häufig in Kombination mit Sonnenlicht • Desinfektionsmittel, z.B. Formaldehyd • Epoxid-Harze (eingesetzt z.B. in der Kunststoff- und Elektroindustrie).

Hier können nur die häufigsten Allergene aufgeführt werden. Bei Erwachsenen spielen berufsbezogene Stoffe eine große Rolle. Bei Kindern werden zunehmend häufiger Kontaktallergien auf Henna-Tatoos zum Problem. Der Allergieauslöser ist hierbei nicht Henna selbst, sondern das zur Steigerung der Farbintensität und Haltbarkeit zugesetzte Paraphenylendiamin (PPD).

6.3.4 Wie diagnostiziert man ein allergisches Kontaktekzem? Die entscheidenden Hinweise liefert bereits die Anamnese. Es muss nach allergieauslö-senden Substanzen gefahndet werden, mit denen die Haut in Berührung gekommen ist. Ist die verdächtige Gruppe von möglichen Auslösern eingegrenzt, folgt ein Pflastertest

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(siehe Kapitel 3.5). Eine Rötung mit Bildung von Bläschen und Knötchen zeigt, dass die Haut allergisch auf die betreffende Substanz reagiert.

6.3.5 Therapie des allergischen Kontaktekzems Bei einer allergischen Kontaktdermatitis ist das oberste Prinzip die Allergenvermei-dung, das heißt der Kontakt mit der allergieauslösenden Substanz muss unbedingt aus-geschaltet werden. Ansonsten ist keine Heilung möglich. Dies ist bei einer Nickelallergie durch Modeschmuck noch relativ einfach zu bewerkstelligen. Schwieriger wird es bei be-ruflichen Allergenen. Wo kein Schutz z.B. mit Handschuhen möglich ist, muss unter Um-ständen sogar der Arbeitsplatz gewechselt werden.

Im Akutstadium der Kontaktdermatitis werden kühlende feuchte Umschläge z.B. mit Ei-chenrindezusatz mehrmals täglich für zehn bis fünfzehn Minuten verabreicht. Bei schwe-ren Fällen müssen unter Umständen kurzzeitig Kortikoid-haltige Cremes angewendet werden. Die weitere Behandlung erfolgt dann mit einer Pflegecreme oder -salbe.

6.3.6 Das irritativ-toxische Kontaktekzem Vom allergischen Kontaktekzem muss das irritativ-toxische Kontaktekzem unter-schieden werden. Das irritativ-toxische Kontaktekzem kommt durch eine Reizung der Haut durch verschiedene aggressive Substanzen zustande. Es tritt bei entsprechender Dosis und Einwirkungsdauer bei jeder Person auf. Allergische Reaktionen laufen nicht ab.

Die wichtigsten Auslöser eines irritativ-toxischen Kontaktekzems sind Wasser, Seifen, Reinigungsmittel, Säuren, Laugen, Lösungsmittel. Eine mechanische Hautreizung kann den Prozess der Hautschädigung verstärken. Der Windelausschlag beim Säugling ist ein Beispiel einer irritativ-toxischen Kontaktdermatitis. Er wird durch den Kontakt mit Urin, Stuhl und eventuellen Resten von Reinigungsmitteln hervorgerufen und kann durch eine zusätzliche Infektion mit Pilzen kompliziert werden. Aber auch häufiges und ausgedehn-tes Schaumbaden kann eine irritativ-toxische Kontaktdermatitis auslösen. Ansonsten sind vor allem Personen betroffen, die mit den genannten Substanzen regelmäßig umgehen, beispielsweise im Haushalt, im medizinischen Bereich durch häufiges Händewaschen oder bei Friseuren.

Diagnostisch müssen in Zweifelsfällen Kontaktallergien durch einen Pflastertest ausge-schlossen werden. Die Therapie besteht in der Einschränkung des Kontakts mit den rei-zenden Substanzen sowie einer sorgfältigen Hautpflege, eventuell können bei bestimm-ten Tätigkeiten Handschuhe getragen werden. Die Windeldermatitis wird mit einer Zink-paste behandelt.

6.3.7 Vorbeugung von Kontaktekzemen Die Vorbeugung allergischer Reaktionen an der Haut beginnt bereits im Säuglingsalter. Zur Hautreinigung genügt meist Wasser ohne Seife. Zum Baden ist ein Badezusatz nor-malerweise nicht erforderlich. Bei Bedarf kann zur Hautreinigung eine milde Babyseife oder ein Syndet verwendet werden. Ein guter Duft ist nicht unbedingt das beste Aus-wahlkriterium bei solchen Präparaten.

Auch nach dem Säuglings- und Kindesalter sollte bei Hautreinungs- und Pflegemitteln auf allergenarme Präparate geachtet werden. Viele Duft- und Konservierungsstoffe sind po-tentielle Allergieauslöser. Ein sorgfältiges Abtrocknen der Hände nach dem Händewa-schen verhindert feuchtigkeitsbedingte Hautreizungen. In gefährdeten Berufen (z.B. Fri-seur) sollte mit Hautschutz und Handschuhen gearbeitet werden.

6.3.8 Zusammenfassung Das allergische Kontaktekzem kommt durch den Kontakt allergieauslösender Substan-zen mit der Haut zustande. Es äußert sich als juckende Hautrötung mit Bildung von Bläs-chen, Knötchen und Krusten. Häufige Auslöser sind Metalle wie Nickel in Mode-schmuck

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oder Jeansknöpfen sowie Konservierungs- und Duftstoffe in Kosmetika. Die Diagnose erfolgt durch den Pflastertest.

Die irritativ-toxische Kontaktdermatitis wird durch die Haut reizende aggressive Substanzen wie Reinigungsmittel, Säuren und Laugen verursacht.

Die auslösenden Substanzen müssen streng gemieden werden.

6.4 Nesselausschlag (Urtikaria) Der dreijährige Paul hatte seit zwei Tagen Husten und Fieber. Die Kinderärztin hatte eine Bronchitis festgestellt. Die Mutter machte Wadenwickel und gab Paul viel zu trinken. Am dritten Tag traten plötzlich weiße erhabene Flecken mit einem roten Saum auf. Sie sahen so ähnlich aus, als Paul sei Paul in Brennnesseln gefallen. Die Flecken juckten stark und wechselten rasch ihren Ort, sie wanderten innerhalb von zwei Stunden von den Armen zu den Beinen und ins Gesicht.

Pauls Mutter war sehr beunruhigt und stellte Paul bei der Kinderärztin vor. Nach einer gründlichen Untersuchung konnte diese die Mutter beruhigen. Es handelte sich um einen Nesselausschlag, hervorgerufen durch den Virus, der auch die Bronchitis ausgelöst hatte. Paul erhielt juckreizstillende Tropfen. Nach vier Tagen waren die Bronchitis und der Nes-selausschlag abgeklungen.

6.4.1 Was ist ein Nesselausschlag? Ein Nesselausschlag (auch Nesselsucht oder Urtikaria genannt) kommt meistens plötzlich und unerwartet. Man versteht darunter flüchtige, juckende beetartige Erhebun-gen der Haut (= Quaddeln), die aussehen, als sei man in Brennnesseln gefallen. Die Quaddeln und die umgebende Rötung können stecknadelkopf- bis handtellergroß sein und den Ort rasch wechseln. Meist besteht ein ausgeprägter Juckreiz (siehe Abbildung 6-8).

Man unterscheidet einen akuten Nesselausschlag, der plötzlich auftritt und in der Regel nach einigen Tagen wieder verschwunden ist von einem chronischen Nesselausschlag, der über mehr als 6 Wochen immer wieder in Erscheinung tritt.

Abbildung 6-8: Nesselausschlag am Oberschenkel

6.4.2 Ist ein Nesselausschlag gefährlich? Ist der Nesselausschlag nur auf die Haut beschränkt, ist er zwar lästig, aber ungefährlich. Tritt er jedoch im Rahmen einer Allgemeinreaktion z.B. bei einer Insektengift- oder Nah-rungsmittelallergie gemeinsam mit Atemnot , Zungenschwellung, Kreislaufschwäche oder anderen bedrohlichen Symptomen auf, ist rasche ärztliche Hilfe und Abklärung der Ursa-che unbedingt erforderlich.

6.4.3 Was sind die Ursachen eines akuten Nesselausschlags? Unterschiedliche Auslöser führen durch Freisetzung von Histamin und anderen Boten-stoffen zu Ausschlag und Juckreiz. Diese Auslöser können durch direkten Kontakt mit der Haut oder aber von innen heraus wirksam werden. Es kommt auch vor, dass mehrere

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Faktoren zusammenwirken müssen, damit sich eine Urtikaria zeigt: z.B. Virusinfekt + Antibiotikum, körperliche Anstrengung + Nahrungsmittel. Die wichtigsten Ursachen für einen Nesselausschlag bei Kindern und Jugendlichen sind:

• Infektausgelöster Nesselausschlag Diese Form ist bei Kindern die mit Abstand häufigste Form. Sie tritt akut im Rahmen von ganz unterschiedlichen Infektionen wie grippalen Infekten, Mittelohr- oder Rachenent-zündungen auf und verschwindet mit Ausheilen des Infekts rasch wieder. Oft werden zu Unrecht Medikamente, die wegen des zugrundeliegenden Infektes gegeben werden, als Auslöser angeschuldigt. Ein Medikament (z.B. ein Antibiotikum) und ein Infektionserreger können jedoch ursächlich zusammenwirken, das Medikament wirkt dann als sogenannter Kofaktor. Wenn möglich, wird man in einem solchen Fall alle nicht unbedingt erforderli-chen Medikamente absetzen.

• Allergischer Nesselausschlag Eine Vielzahl von Allergieauslösern kann einen Nesselausschlags verursachen. In Frage kommen vor allem Nahrungsmittelallergien vom Soforttyp wie eine Kuhmilch- oder Hüh-nereiweißallergie, Insektengift-, Arzneimittel-, Inhalations-, und Tierallergene.

• Pseudoallergischer (allergieähnlicher) Nesselausschlag Pseudoallergische Reaktionen gibt es vor allem auf Medikamente (z.B. Fieber- und Schmerzmittel), Konservierungs- und Farbstoffe. Pseudoallergisch bedeutet, dass die Symptome zwar einer Allergie ähneln, jedoch keine Abwehrreaktion des Immunsystems vorliegt.

• Toxischer Nesselausschlag z.B. durch Hautkontakt mit Brennnesseln oder Quallen. Fast jeder hat einen Nesselaus-schlag schon bei sich nach einem Hautkontakt mit Brennnesseln erlebt. Bei Reaktionen auf Wiesengräser spielt oft noch die Sonneneinstrahlung eine Rolle (phototoxische Reak-tion). Schwellungen nach Insektenstichen, die nicht allergisch bedingt sind, sind über-wiegend auf eine direkte Histaminausschüttung durch das Insektengift zurückzuführen.

• Nesselausschlag durch physikalische Einflüsse Kratzen, Druck, Wärme, Kälte, Licht u.a. können eine meist chronisch verlaufende Nes-selsucht auslösen. Beispiele sind die Urtikaria faktitia (ausgelöst durch Kratzen oder Druck) und die Kälteurtikaria, wenn die Haut durch kaltes Wasser oder nach dem Baden im Freien durch den Wind abgekühlt wird.

• Würmer und andere Parasiten können einen hartnäckigen Nesselausschlag verursachen.

6.4.4 Diagnostische Maßnahmen bei Nesselsucht Tritt ein Nesselausschlag einmalig im Rahmen eines Infektes ohne sonstige Begleit-symptome auf und verschwindet nach einigen Tagen wieder, braucht das Kind nicht mit weiteren Untersuchungen belastet zu werden. Ist ein Nesselausschlag jedoch von Symp-tomen wie Atemnot, Zungenschwellung oder Kreislaufschwäche begleitet oder treten häufige Schübe auf, ist eine eingehende Ursachenabklärung einschließlich Allergietestung erforderlich.

6.4.5 Was kann bei einem Nesselausschlag getan werden? • Bei einem örtlich begrenzten Nesselausschlag genügt unter Umständen zur Linde-

rung das Auflegen eines kühlen, feuchten Tuches.

• Bei ausgedehnter Nesselsucht werden innerlich einzunehmende Antihistaminika (z.B. Aerius®, Fenistil®, Lisino® und Generica, Tavegil®, Zyrtec® und Generica, Xu-sal®) verabreicht.

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• Bei bekannten Insektengift- oder schweren Nahrungsmittelallergien wird die vom Arzt verordnete Notfallapotheke angewendet.

• Bei Allgemeinsymptomen (s.o.) muss unverzüglich ärztliche Hilfe in Anspruch ge-nommen werden.

• Bekannte Auslöser müssen natürlich möglichst streng gemieden werden.

• Die Therapie der chronischen Nesselsucht ist oft schwierig und hängt von der zugrundeliegenden Störung ab.

6.4.6 Zusammenfassung Ein akuter Nesselausschlag (akute Urtikaria) ist bei Kindern meist durch einen Infekt ausgelöst. Es zeigen sich flüchtige, juckende beetartige Erhebungen der Haut (= Quad-deln), die aussehen, als sei man in Brennnesseln gefallen. Ist der Nesselausschlag nur auf die Haut beschränkt, ist er zwar lästig, aber ungefährlich. Tritt er jedoch im Rahmen einer Allgemeinreaktion z.B. bei einer Insektengift- oder Nahrungsmittelallergie gemein-sam mit Atemnot , Zungenschwellung, Kreislaufschwäche oder anderen bedrohlichen Symptomen auf, ist rasche ärztliche Hilfe und Abklärung der Ursache unbedingt erforder-lich.

6.5 Sonnenallergie Die dreizehnjährige Jessika steht auf braune Haut. Bei den ersten kräftigen Sonnen-strahlen nimmt sie ausgedehnte Sonnenbäder. Sie weiß natürlich, dass zu viel ultravio-lette Strahlung ungesund ist und reibt sich kräftig mit ihrem wohlduftenden Sonnen-schutzmittel ein. Am Samstag geht noch alles gut. Am Sonntagabend aber sind ausge-dehnte Bezirke der Haut rot, es zeigen sich kleine Knötchen und es juckt furchtbar. Jessica hält das Ganze zunächst für einen Sonnenbrand.

Als sie trotz vorsichtiger Besonnung und Sonnenschutzmittel am nächsten Wochenende wieder den selben Hautausschlag bekommt, kommt ihr die Sache doch spanisch vor und sie geht zu ihrer Kinder- und Jugendärztin. Diese begutachtet Jessicas Haut und lässt sich als erstes das verwendete Sonnenschutzmittel zeigen. Das Verzeichnis der Inhalts-stoffe erhärtet ihre erste Vermutung: sie entdeckt einen verdächtigen Emulgator darauf. Sie empfiehlt Jessica ein Präparat mit weniger allergieauslösenden Substanzen und be-spricht mit ihr die schädlichen Auswirkungen von zu viel Sonnenlicht. Falls auch mit dem neuen Präparat Hautreaktionen auftreten sollten, müsse ein ausführlicher Allergietest gemacht werden. Dieser war jedoch nicht nötig, das neue Sonnenschutz-mittel ohne die-sen Emulgator machte keine Probleme.

6.5.1 Sonnenallergie Die sogenannte Sonnenallergie ist zum einen durch eine direkte Einwirkung des Sonnen-lichts verursacht, möglicherweise spielen zusätzlich auch noch allergische Reaktionen eine Rolle. Die Sonnenallergie wird im medizinischen Sprachgebrauch als polymorphe Lichtdermatose bezeichnet. Die Bezeichnung polymorph (vielgestaltig) weist schon dar-auf hin, dass das Erscheinungsbild sehr bunt sein kann. Durch die verstärkte Sonnenbe-strahlung während der Freizeit tritt die Sonnenallergie auch bei Kindern zunehmend häu-figer auf. Im Frühjahr und Sommer zeigen sich an den der Sonnenbestrahlung ausge-setzten Hautbezirken eine Rötung, Schwellung sowie kleine juckende Knötchen, selten auch Blasen.

6.5.2 Photoallergische Reaktionen Bei den photoallergischen Reaktionen kommt es durch das Zusammenwirken von Aller-gieauslösern mit Sonnenlicht zu einem Hautausschlag mit Hautrötung, Bildung von Bläs-chen oder Blasen. Am bekanntesten ist die Wiesengräserdermatitis, bei der es nach Kontakt mit Wiesengräsern und anschließender Sonnenbestrahlung zum Hautausschlag

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kommt. Furocumarine sind hier das Allergen. Furocumarine sind auch in ätherischen Ölen und als Duftstoffe in Kosmetika enthalten, sodass an den lichtzugängigen Stellen, an denen beispielsweise das Parfüm aufgetragen wurde, eine Hautreaktion entsteht. Auch Sonnenschutzmittel können photosensibiliserende Substanzen wie Paraaminobenzoe-säure oder Benzophenone enthalten, sodass bei einer Sonnenallergie auch an diese Aus-löser gedacht werden muss.

Zahlreiche Medikamente können auch bei innerlicher Anwendung als Photoallergen wir-ken, beispielsweise Antibiotika wie Sulfonamide, Tetrazykline, harntreibende Mittel oder Arzneimittel gegen Herzrhythmusstörungen. Viele dieser Medikamente werden jedoch bei Kindern nicht oder nur selten angewendet.

6.5.3 Diagnose Bei unklaren Hautausschlägen an lichtexponierten Hautpartien ist auch immer an eine photoallergische Reaktion zu denken. Verabreichte Medikamente, Hautkontakte mit Pflanzen sowie Kosmetika oder Sonnenschutzpräparaten müssen bekannt sein. In schwierigen Fällen ist die Testung in einer speziellen Einrichtung zur Diagnostik photo-allergischer Reaktionen (meist in einer Hautklinik) erforderlich, wo die Haut mit UV-Licht verschiedener Intensität und Wellenlänge bestrahlt werden kann (sogenannte Licht-treppe).

6.5.4 Therapie Bei dem Verdacht oder Nachweis von photoallergischen Reaktionen dürfen mögliche Auslöser nicht mehr mit der Haut in Kontakt gebracht werden. Verdächtige Medikamente müssen abgesetzt oder durch ähnlich wirkende Präparate aus einer anderen Substanz-gruppe ersetzt werden. Auch hier helfen ebenso wie bei der Sonnenallergie im Akut-stadium kühlende Umschläge oder Cremes. Bei einer ausgeprägten Sonnenallergie kann für einige Tage eine Kortison-haltige Creme erforderlich werden. Bei ausgedehntem Befall und starkem Juckreiz werden auch innerlich Antihistaminika (z.B. Aerius®, Fenistil®, Li-sino® und Generica, Telfast®, Zyrtec® und Generica, Xusal®) eingesetzt.

6.5.5 Vorbeugung Da es sich bei den meisten durch Sonnenlicht bedingten Hautveränderungen um ver-meidbare Erkrankungen handelt, ist hier die Vorbeugung besonders wichtig und erfolg-versprechend. Die Gewöhnung an das Sonnenlicht muss unbedingt langsam erfolgen unter Verwendung eines Sonnenschutzmittels, welches sowohl UVA- als auch UVB-Strahlen zurückhält. Eine lichtentwöhnte Haut sollte man ohne Sonnenschutz anfangs maximal zehn Minuten pro Tag der Sonne aussetzen. Bei der Auswahl von Kosmetika und Sonnenschutzmittel sollte man Präparate verwenden, die möglichst wenig allergieaus-lösende Emulgatoren, Stabilisatoren, Konservierungsstoffe und Parfüme enthalten.

6.5.6 Zusammenfassung Bei der Sonnenallergie (polymorphe Lichtdermatose) entstehen nach Sonnenbestrah-lung kleine juckende Knötchen an der Haut. Die Ursache ist eine direkt schädigende Wir-kung des Sonnenlichts, eventuell sind auch allergische Mechanismen mitbeteiligt. Durch das Zusammenwirken von Sonnenlicht und allergieauslösenden Substanzen (z.B. Wie-sengräser, Konservierungs- und Duftstoffe) kommt es zu photoallergischen Reaktio-nen. Eine wichtige vorbeugende Maßnahme bereits in jungen Jahren ist, die Haut lang-sam an die Sonnenstrahlen zu gewöhnen und keine zu langen Sonnenbäder zu nehmen. Dies wird mit Dünnerwerden der Ozonschicht immer wichtiger.

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6.6 Berufswahl bei Allergien der Haut und Ekzem Bei Jugendlichen mit Allergien der Haut und Ekzem spielt bei der Berufswahl die Belas-tung durch Allergieauslöser und andere Belastungsfaktoren am zukünftigen Arbeitsplatz eine besondere Rolle. Eine gründliche Vorbereitung und Planung der Berufswahl ist erfor-derlich.

6.6.1 Wer ist gefährdet? Die überwiegende Mehrzahl der beruflich bedingten Hauterkrankungen sind Handekzeme. Besonders gefährdet sind Personen, bei denen

1) ein Ekzem der Hände aufgrund einer Neurodermitis, einer Kontaktallergie oder anderer chronischer Reizeinflüsse besteht oder

2) Allergieauslöser bekannt sind, die bei der geplanten Tätigkeit nicht zu vermeiden sind.

6.6.2 Wo kann ich mich informieren? Die erste medizinische Anlaufstelle ist der behandelnde Kinder- und Jugendarzt bzw. Al-lergologe. Er kann aufgrund der vorliegenden Befunde darüber informieren, welche Risi-ken und Belastungsfaktoren vermieden werden sollten, welche Berufsbilder am geeig-netsten sind und welche vorbeugenden Maßnahmen getroffen werden können. Der Be-rufsberater beim Arbeitsamt kann dann auf diesen Informationen aufbauend über mögli-che Berufswege beraten, vorhandene Ausbildungsstellen vermitteln oder vor der Be-rufsausbildung eine Berufsfindung, eine Arbeitserprobung oder einen Förderlehrgang vor-schlagen.

6.6.3 Welche Belastungsfaktoren muss ich meiden? Die Ekzemhaut ist weniger belastbar und reguliert schlecht die Wärme. Jugendliche mit Hautallergien oder Ekzem (insbesondere im Bereich der Hände) oder mit besonderen Risikofaktoren für diese Erkrankungen sollten daher Berufe mit folgenden Belastungs-faktoren meiden:

• starke Hautverschmutzung (häufige und intensive Händereinigung erforderlich), • Feuchtigkeitsbelastung (regelmäßig mehr als 2 Stunden feuchter Hautkontakt

bzw. Tragen feuchtigkeitsdichter Handschuhe), • Kontakt mit bekannten oder aggressiven Allergieauslösern, • Kontakt mit hautreizenden Stoffen, • Hitzebelastung. • Aus ästhetischen Gründen wird zudem der ständige Kontakt mit unverpackten Le-

bensmitteln nicht empfohlen.

Liegen zusätzlich Inhalationsallergien (z.B. auf Tierhaare oder Schimmelpilze) oder Nah-rungsmittelallergien vor, erschwert dies die Berufswahl zusätzlich (siehe auch Kapitel 5.4.24 "Berufswahl bei Allergien der Atemwege und Asthma"). Zudem besteht die Nei-gung zur Allergieausweitung, das heißt, dass sich bei bereits bestehenden Allergien bei entsprechendem Kontakt weitere Allergien entwickeln können. Allerdings können sich auch bei bisher Gesunden im Laufe des Berufslebens noch Allergien entwickeln.

6.6.4 Welche Berufe sind zu empfehlen bzw. zu meiden? Die Berufswahl bei Jugendlichen mit Allergien der Haut und Ekzem ist immer eine indivi-duelle Entscheidung, die nach entsprechender eingehender Beratung mit dem Arzt und dem Berufsberater getroffen werden sollte. Unter Umständen müssen je nach Ursachen und Schweregrad der Erkrankung nicht immer alle oben genannten Einschränkungen eingehalten werden. Oft kann auch durch entsprechende Schutzmaßnahmen am Arbeits-platz der Kontakt mit Allergie- oder Reizstoffen deutlich reduziert werden, die Berufsge-

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nossenschaften haben dazu entsprechende Empfehlungen und Vorschriften herausgege-ben. Latexallergiker müssen Schutzhandschuhe aus Latex generell meiden.

Die folgenden Tabellen 6-3, 6-4 und 6-5 zeigen Beispiele von besonders hautbelasten-den, hautbelastenden und wenig hautbelastenden Berufen und sollen als Entscheidungs-hilfe dienen.

Vor allem die besonders hautbelastenden Berufe in Tabelle 6-3 sind für Jugendliche mit Handekzem sehr problematisch. Je nach Tätigkeitsgebiet können jedoch bestimmte Be-rufsfelder durchaus hautverträglich sein, z.B. bei Berufen in der Holzverarbeitung, Schlossern, Mechanikern und Montierern. Daher ist immer die Überprüfung des Einzelfal-les erforderlich.

Tabelle 6-3: Beispiele für besonders hautbelastende Berufe (Quelle: Prof. Diepgen) Die Hautbelastung nimmt von oben nach unten ab

• Friseur • Bäcker • Galvaniker • Florist • Konditor • Fliesen-, Estrichleger • Löter • Maschinist • Metalloberflächenbearbeiter • Zahntechniker • Koch • Berufe im Gesundheitswesen (z.B. Kranken- und Altenpfleger) • Mechaniker • Leder-, Fellverarbeiter • Metallerzeuger • Maler, Lackierer • Montierer

Tabelle 6-4: Beispiele für hautbelastende Berufe (Quelle: Prof. Diepgen) Die Hautbelastung nimmt von oben nach unten ab

Bauarbeiter Ernährungsberufe mit Feuchtbelastung (z.B. Fleischer, Gemüsezubereiter) chemische Berufe (z.B. Laborant) Berufe in Hauswirtschaft, Reinigungsdiensten, Gaststättengewerbe Kunststoffverarbeiter Drucker holzverarbeitende Berufe Schlosser

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Tabelle 6-5: Beispiele für wenig hautbelastende Berufe

Büro- und Verwaltungsberufe kaufmännische Berufe technische und künstlerische Planungsberufe pädagogische und soziale Berufe therapeutische Berufe (z.B. Logopäde, Musiktherapeut) Informatikberufe journalistische Berufe industrielle Produktionsberufe an belastungsfreien Arbeitsplätzen

6.6.5 Zusammenfassung Die Berufswahl muss bei Allergien der Haut und Ekzem sorgfältig geplant werden. Stark die Haut belastende Berufe sowie Berufe mit engem Kontakt zu potenten Allergieauslö-sern sind ungünstig.

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7 Nahrungsmittel-Allergien und andereNahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7.1 Was ist eine Nahrungsmittelallergie?7.2 Wie kann sich eine Nahrungsmittelallergie äußern?7.3 Welches sind die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelallergien?7.4 Wodurch wird die Auslösung einer Nahrungsmittelallergie beeinflusst?7.5 Diagnose von Nahrungsmittelallergien7.6 Die Behandlung von Nahrungsmittelallergien7.7 Zusammenfassung 7.8 Kuhmilchallergie7.9 Hühnereiweißallergie7.10 Weitere häufige Nahrungsmittelallergien7.11 Pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel und Zusatzstoffe7.12 Lebensmittelkennzeichnung

In diesem Kapitel erfahren Sie, wie Nahrungsmittelallergien und andere Formen derNahrungsmittelunverträglichkeit diagnostiziert und behandelt werden.

Frau Schanz hatte Tim vier Monate voll gestillt. Anschließend wollte sie langsam abstillen.Sie gab Tim die erste Flasche einer üblichen Säuglingsnahrung. Innerhalb weniger Minu-ten schwollen die Lippen und das Gesicht an, am Körper breitete sich ein Nesselaus-schlag aus, Tim bekam eine röchelnde Atmung. Zum Glück war eine Freundin von FrauSchanz gerade zu Besuch da. Diese rief den Notarztwagen, welcher innerhalb kurzer Zeitzur Stelle war. Der Notarzt legte eine Infusion und spritzte antiallergische und kreislauf-stabilisierende Medikamente. Tim wurde dann mit Blaulicht in die Kinderklinik gefahrenund auf die Intensivstation gebracht. Tim ging es dort zum Glück rasch wieder besser.Die Ärzte vermuteten eine Kuhmilchallergie, die sich in späteren Bluttests erhärtete.

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7.1 Was ist eine Nahrungsmittel-Allergie?Die Häufigkeit von Nahrungsmittelallergien dürfte bei Kindern zwischen 2 und 6% liegen.Bei Kindern mit Neurodermitis liegt diese Häufigkeit jedoch deutlich höher: in dieserGruppe zeigen etwa 1/3 der Kinder eine Nahrungsmittelallergie. Jedoch sind vieleSymptome, die landläufig einer Nahrungsmittelallergie zugeschrieben werden, nichtallergisch bedingt (siehe unten). Dennoch ist die Therapie die selbe, nämlich dasWeglassen des entsprechenden Nahrungsmittels. Der Überbegriff für alle unerwünschtenReaktionen auf Nahrungsmittel ist die Nahrungsmittelunverträglichkeit.

7.1.1 Nahrungsmittel-AllergieDie Nahrungsmittelallergie ist eine Unverträglichkeitsreaktion auf ein Nahrungsmittel,welche durch eine überschießende Abwehrreaktion des Immunsystems ausgelöst wird.Bereits kleine Allergenmengen können heftige Reaktionen auslösen. Ein Beispiel ist dieKuhmilchallergie vom Soforttyp.

Eine Sonderform stellt die Zöliakie, eine chronische immunologisch ausgelöste Ent-zündung der Darmschleimhaut, dar. Ursache der Zöliakie ist eine Unverträglichkeit vonKlebereiweiß (Gluten), das in Weizen-, Dinkel-, Grünkern-, Roggen-, Gersten- undHafermehl enthalten ist.

7.1.2 Nahrungsmittel-IntoleranzUnter einer Nahrungsmittelintoleranz versteht man die übrigen Nahrungsmittelun-verträglichkeiten, bei denen keine immunologischen Vorgänge ablaufen.

Pseudoallergische ReaktionenPseudoallergische Reaktionen werden durch Nahrungsmittel hervorgerufen, die entwe-der selbst einen erhöhten Gehalt an Histamin oder anderen gefäßaktiven Substanzen(z.B. Fische, Wein, Käse) aufweisen oder die durch nicht allergische Mechanismen Hista-min ausschütten können (z.B. Erdbeeren).

Angeborene EnzymdefekteDurch einen angeborenen Stoffwechseldefekt kann eine Substanz nicht normal verdautwerden. Beispiele sind die Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz), bei welcherdurch die verminderte oder fehlende Aktivität eines Verdauungsenzyms (Laktase) in derDarmschleimhaut Milchzucker im Darm nicht ausreichend weiterverarbeitet werden kannund die Fruchtzuckerunverträglichkeit (Fruktoseintoleranz).

NahrungsmittelvergiftungNahrungsmittelvergiftungen kommen durch natürlicherweise in Nahrungsmitteln vor-kommende Gifte (z.B. in Pilzen) oder Bakteriengifte (z.B. Staphylokokken) in verdor-benen Nahrungsmitteln zustande.

AversionEine Sonderform stellen nicht organisch bedingte Abneigungen gegen Nahrungsmitteldar, welche oft psychische Ursachen haben.

7.2 Wie kann sich eine Nahrungsmittel-Allergie äußern?Die möglichen Symptome von Nahrungsmittelallergien sind mannigfaltig und können sichan der Haut, dem Magendarmtrakt, dem Atmungstrakt und anderen Organen äußern.Auch der Schweregrad der Symptome ist äußerst variabel: von leichten örtlichen Sympto-men wie Kratzen im Hals bis zum allergischen Schock ist alles möglich.

Man unterscheidet Frühreaktionen, die innerhalb von 2 Stunden auftreten, von Spät-reaktionen, welche sich nach dieser Zeitspanne zeigen. Insbesondere bei einer Neuro-dermitis können beide Formen kombiniert auftreten.

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7.2.1 Symptome am MagendarmtraktAm Magendarmtrakt können Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Blähungen,jedoch auch Gewichtsabnahme oder Verstopfung auftreten. Als orales Allergiesyndromwerden juckende und brennende Beschwerden im Mundbereich bezeichnet, welche meistals Kreuzreaktion bei Pollenallergien auftreten.

7.2.2 HautsymptomeDie meisten Nahrungsmittelallergien vom Soforttyp äußern sich an der Haut durch roteFlecken, Nesselsucht, Gesichtsschwellung und Juckreiz. Zusätzlich kann bei einer Neuro-dermitis auch ein Ekzemschub durch eine verzögerte Reaktion ausgelöst werden.

7.2.3 Symptome an den AtemwegenEine Schwellung im Kehlkopfbereich oder eine Verengung der Bronchien kann zu akuterAtemnot führen. Daneben können sich Husten, eine Rötung der Bindehaut und einSchnupfen zeigen.

7.2.4 Sonstige SymptomeBei vielen anderen Symptomen wird die Zuordnung zu einer Nahrungsmittelallergieschwieriger. Migränekopfschmerzen, allgemeine Müdigkeit und Abgeschlagenheit sindmöglich. Unruhe, Reizbarkeit und Hyperaktivität werden Nahrungsmittelallergien zuge-schrieben (siehe auch Kapitel 11). Die schwerste und gefürchtetste Reaktion ist deranaphylaktische Schock mit Kreislaufzusammenbruch.

7.3 Welches sind die häufigsten Auslöser vonNahrungsmittel-Allergien?

Die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelallergien vom Soforttyp bei Kindern sindKuhmilch, Hühnerei, Soja, Nüsse, Fisch und Weizenmehl. Bei Säuglingen und Klein-kindern spielen Kuhmilch und Hühnerei die größte Rolle, bei Jugendlichen und Erwach-senen sind pflanzliche Allergene wie Obst und Gewürze als Kreuzallergien zu Pollen be-deutsamer. Die meisten Kinder reagieren glücklicherweise nur auf ein oder zwei Nah-rungsmittel allergisch.

7.4 Wodurch wird die Auslösung einer Nahrungsmittel-Allergie beeinflusst?

Die Nahrung stellt die größte Allergenmenge dar, mit der sich der Körper auseinander-setzen muss. Man schätzt, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens etwa 100 Tonnen anNahrung zu sich nimmt!

7.4.1 Anlagebedingte ReaktionsbereitschaftEine anlagebedingte Allergiebereitschaft ist wie bei jeder allergischen Erkrankung dieVoraussetzung für die Entstehung einer Allergie.

7.4.2 Ausbildung einer unzureichenden ImmuntoleranzJeder Mensch kommt im Laufe seines Lebens mit einer Vielzahl von Nahrungsmittel-bestandteilen in Kontakt. Das Immunsystem bildet vorübergehend spezifische IgE-Anti-körper, welche dann im weiteren Verlauf wieder abfallen oder ganz verschwinden. Dieshat zur Folge, dass das Nahrungsmittel vom Körper toleriert wird, eine sogenannteImmuntoleranz entsteht. Durch welche Faktoren dieses Gleichgewicht gestört wird istGegenstand intensiver Forschungsarbeiten.

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7.4.3 Eigenschaften der NahrungsmittelBei den meisten allergieauslösenden Nahrungsbestandteilen handelt es sich um Eiweiß-stoffe mit einem Molekulargewicht von 18000 bis 36000 Dalton. Meist haben Nahrungs-mittel in ihrer naturbelassenen Form die höchste Fähigkeit zur Allergieauslösung. RoheEier beispielsweise haben die höchste Allergenität, durch Kochen werden bereits einigeEiweißbestandteile so verändert, dass sie nicht mehr so stark sensibilisierend wirken. Dasselbe gilt für das Dünsten und Kochen vieler anderer Nahrungsmittel. Dies bedeutet, dasseine sogenannte "Vollwertkost" mit überwiegend naturbelassenen Nahrungsmitteln, sowertvoll sie zweifellos im Allgemeinen ist, vom allergologischen Gesichtspunkt gesehenfür allergiegefährdete Kinder nicht immer die günstigste Kostform darstellt.

Ein anderes Problem weisen industriell hergestellte Nahrungsmittel auf, deren Inhalts-stoffe oft unzureichend oder überhaupt nicht deklariert sind. Auch gentechnisch verän-derte Nahrungsmittel können potentiell zu einem erhöhten Allergierisiko führen, vorallem wenn Gene von einer Pflanzenart auf eine andere übertragen werden. Auf jeden Fallist hier eine strenge und vollständige Deklaration zu fordern.

7.4.4 Durchlässigkeit des MagendarmtraktsJe durchlässiger die Schleimhaut des Magendarmtrakts für Eiweißstoffe ist, umso eherkommt es zu einer Sensibilisierung. Die Unreife des Darmes bei Frühgeborenen undjungen Säuglingen oder Magendarminfektionen erhöhen die Durchlässigkeit, ebensoAlkohol und Gewürze.

7.4.5 Sonstige FaktorenDer Zeitpunkt der Zufuhr von Fremdeiweißen (z.B. Kuhmilch, Sojamilch) beeinflusstbei allergiegefährdeten Kindern die Auslösung von Nahrungsmittelallergien. Je später einFremdeiweiß zugeführt wird, um so geringer ist das Risiko einer Allergieentstehung. Un-terschiedliche Essgewohnheiten in verschiedenen Ländern beeinflussen das Vorherr-schen bestimmter Nahrungsmittelallergien. So werden beispielsweise Erdnussallergien inden USA häufig, in Schweden praktisch kaum gefunden. Häufig treten Nahrungsmittel-unverträglichkeiten nach Infektionen der oberen Luftwege und des Magendarmtraktsauf. Welche Einflüsse auf das Immunsystems neben einer erhöhten Durchlässigkeit desDarmes hier ablaufen, ist unklar.

7.5 Diagnose von NahrungsmittelallergienDie Diagnostik bei Nahrungsmittelallergien besteht aus verschiedenen Mosaiksteinen.Einen einzelnen einfachen beweisenden Test gibt es nicht (siehe auch Kapitel 3).

7.5.1 KrankengeschichteDer erste und wichtigste Punkt ist die Anamnese. Sie versucht, erste Verbindungen zwi-schen Nahrungsmittelzufuhr und Symptomen herzustellen. Wichtig ist die Art und Mengeder Nahrungsmittel, die genaue Beschreibung der Symptome und der Zeitpunkt des Auf-tretens der Symptome nach dem Essen. Oft sind die Zusammenhänge eindeutig, wennz.B. immer nach Genuss von Milch eine Lippenschwellung eintritt. In vielen Fällen sindjedoch die Zusammenhänge nicht so klar, vor allem bei Reaktionen vom verzögerten Typan der Haut bei der Neurodermitis.

7.5.2 Nahrungsmittel-Symptom-TagebuchSind aus der Erinnerung keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen Nahrungsmittel-zufuhr und Beschwerden herzustellen, führt oft ein Nahrungsmittel-Symptom-Tage-buch weiter. Hierin werden alle verzehrten Nahrungsmittel, beobachtete Symptome undweitere Besonderheiten wie Infekte oder Medikamente festgehalten. Das Tagebuch mussüber 2 bis 4 Wochen geführt werden, um zufällige Einflüsse möglichst auszuschalten.

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7.5.3 BluttestsIm RAST (Radio-Allergo-Sorbent-Test) können Allergieantikörper vom IgE-Typ gegenverschiedene Nahrungsmittel nachgewiesen werden.

Wichtig!: Eine positive Reaktion beim Allergietest beweist nicht automatisch das Vorlie-gen einer allergischen Erkrankung. Sie zeigt lediglich, dass das Immunsystem Kontaktmit der entsprechenden Substanz gehabt und Antikörper gebildet hat (= Sensibili-sierung). Der Allergietest kann jedoch nichts darüber aussagen, ob diese Sensibilisierungauch wirklich Krankheitserscheinungen hervorruft (= Allergie). Diese Einschränkung giltvor allem bei Nahrungsmitteln. Im Zweifelsfall muss ein Provokationstest durchgeführtwerden.

Das Ergebnis eines Allergietests kann daher niemals für sich allein und isoliert bewertetwerden, sondern muss immer im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und den Krank-heitserscheinungen betrachtet und beurteilt werden! Dies setzt vor allem bei Kindernbesondere Erfahrung voraus. Leider kommt es immer wieder vor, dass der Allergietestund nicht das allergiekranke Kind behandelt wird.

IgG-Antikörper gegen Nahrungsmittel im Blut sind für die Diagnose einer Nahrungsmit-telallergie nicht geeignet. Sie stellen eine normale Antwort des Immunsystems auf Nah-rungsmittel dar.

7.5.4 HauttestsBeim Pricktest werden die zu testenden Nahrungsmittel in flüssiger Form auf die Hautaufgetropft. Danach wird jeweils mit einer Einmallanzette oder einer speziellen Nadeldurch die Allergenlösung hindurch oberflächlich in die Haut gestochen. Bei festenNahrungsmitteln kann auch mit der Prick-Nadel zuerst ins Nahrungsmittel (z.B. Apfel)und anschließend in die Haut gestochen werden. Auch hier müssen positive Befunde imZweifelsfall durch einen Auslass- und Belastungstest überprüft werden. Hingegen schließtein negativer Pricktest eine IgE-vermittelte Soforttypallergie bei den meistenNahrungsmitteln zu 95% bis 100% aus.

Wird eine starke Reaktion erwartet, kann auch ein Reibtest auf der Haut mit dem ange-schuldigten Nahrungsmittel durchgeführt werden.

Der Patch-Test wird bei Kindern hauptsächlich als sogenannter Atopie-Patch-Test zurÜberprüfung allergischer Auslösefaktoren bei Neurodermitis verwendet. Er erfasst dieallergischen Spätreaktionen, die erst innerhalb von Stunden bis Tagen nach Allergen-kontakt auftreten, besser als der Pricktest oder RAST. Die Nahrungsmittel werden mitHilfe eines hautfreundlichen Pflasters mit der Haut, meist am Rücken, in Kontakt ge-bracht. Sie verbleiben 24 bis 48 Stunden auf der Haut. Eine positive Reaktion äußert sichals Anhebung der Haut, Bildung kleiner Bläschen oder Knötchen.

7.5.5 ProvokationstestsNahrungsmittelallergien lassen sich in vielen Fällen durch Hauttests oder Laborunter-suchungen nicht ausreichend abklären, da viele Personen positive Allergietests haben,ohne dass dies mit Krankheitszeichen verknüpft ist. Zum Beweis einer Nahrungsmittel-allergie werden daher in der Regel zunächst ein oder mehrere angeschuldigte Nahrungs-mittel aus der Ernährung ausgeschlossen (Auslass- oder Eliminationsphase). Ver-schwinden oder bessern sich daraufhin die Beschwerden, spricht dies bereits für einenursächlichen Zusammenhang. Den sicheren Beweis erbringt jedoch nur die erneute Gabedes verdächtigten Nahrungsmittels, was dann zum erneutenAuftreten der Beschwerden führen muss (Provokationsphase). Die aussagekräftigsteMethode der Provokation mit Nahrungsmitteln ist die sogenannte doppelblind placebo-kontrollierte Provokation bei der weder Arzt noch Patient wissen, was verabreichtwird. Die Allergene werden dabei in Medikamentenkapseln oder einer Flüssigkeit ver-steckt verabreicht.

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Bei Personen, bei denen schwere Schockreaktionen aufgetreten sind, werden Provokatio-nen nicht oder nur in Ausnahmefällen unter strenger Überwachung vorgenommen.

7.5.6 Methoden, die zu Forschungszwecken eingesetzt werdenDas Einbringen von Nahrungsmittelallergenen auf die Magen- oder Darmschleimhautwährend einer Magendarm-Spiegelung und das direkte Beobachten der Reaktion ander Schleimhaut spielt in der Routinediagnostik keine Rolle und ist für Kinder zu be-lastend.

Ebenfalls keine Routinemethoden sind der Histaminfreisetzungstest, bei dem im Laborweißen basophilen Blutkörperchen Nahrungsmittelallergene zugesetzt werden, und an-schließend beobachtet wird, ob diese Zellen Histamin freisetzen,

sowie der Lymphozytentransformationstest, bei dem Veränderungen an der Aktivitätvon Lymphozyten nach Zugabe von Nahrungsmittelallergenen beobachtet werden.

Ungeeignete Diagnosemethoden sind u.a. die Kinesiologie, Bioresonanz, Elektro-akupunktur oder der leukozytotoxische Test (siehe auch Kapitel 17).

7.6 Die Behandlung einer Nahrungsmittelallergie7.6.1 Allergieauslöser meidenWie bei jeder Allergieform ist auch bei Nahrungsmittelallergien die wichtigste Therapie,das allergieauslösende Nahrungsmittel streng zu meiden. Vor allem wenn schwereAllgemeinreaktionen mit Schockzuständen aufgetreten sind, reichen oft kleinsteNahrungsmittelmengen aus, um erneute Symptome auszulösen. Müssen wichtige Grund-nahrungsmittel wie Milch weggelassen werden, muss bei Kindern immer eine Beratungdurch den Arzt am besten in Zusammenarbeit mit einer Diätassistentin erfolgen, damitkeine Mangelernährung entsteht. Bei Fertigprodukten unbedingt auf die Zutatenlisteachten.

Nach Absprache mit dem Arzt kann auch ausprobiert werden, ob das Nahrungsmittelnach Abschwächen der allergenen Potenz doch vertragen wird. Bei Eiern beispielsweisekann dies durch Erhitzen geschehen, Ei in gebackener oder gekochter Form wird unterUmständen vertragen. Dies gilt auch für Obst, Gemüse und Getreide. Auch durch Schälenund Entkernen kann ein Teil der Allergene entfernt werden.

7.6.2 Medikamentöse BehandlungEine vorbeugende stabilisierende medikamentöse Behandlung am Darm mit Dinatrium-cromoglicinsäure (DNCG) ist meist nicht sehr wirksam. Bei leichten Symptomen könnenAntihistaminika (z.B. Fenistil®, Zyrtec® und Generica) die Beschwerden lindern. Sindschwere Allgemeinreaktionen wie Atemnot oder Kreislaufprobleme aufgetreten, muss eineNotfallapotheke mit schriftlicher Dosierungsanweisung für den Fall eines verse-hentlichen Genusses des verbotenen Nahrungsmittels bereitgehalten werden. Diese ent-hält ein Antihistaminikum (z.B. Zyrtec®), ein Kortisonpräparat (je nach Alter alsTablette, Saft oder Zäpfchen) und Adrenalin (ein die Bronchien erweiterndes und kreis-laufstützendes Medikament in Spray- oder Spritzenform). Bei schweren Reaktionen denNotarzt rufen. Nach einer Allgemeinreaktion muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht wer-den.

Verschiedentlich wurden Versuche mit der oralen Hyposensibilisierung gemacht, dasheißt das Nahrungsmittel wurde in langsam ansteigenden Dosen zum Essen bzw. Trinkenverabreicht, bis der Körper nicht mehr darauf reagierte. Dies ist nicht ungefährlich undsollte daher nur in ganz speziellen Ausnahmefällen durchgeführt werden. Ebenso sindBehandlungsansätze mit einer subkutanen Hyposensibilisierung, bei der die Nahrungs-mittel unter die Haut gespritzt werden, noch im Experimentierstadium. Einen Sonderfallstellen Nahrungsmittelallergien als Kreuzallergien im Rahmen von Pollenallergien dar. In

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

diesem Fall wird bei einer Hyposensibilisierung gegen die Pollen in der Regel auch dieNahrungsmittelallergie besser.

7.6.3 PrognoseDie Prognose von Nahrungsmittelallergien ist bei Säuglingen und Kleinkindern im allge-meinen gut. In der Mehrzahl der Fälle verschwindet die Allergie bei konsequenter Mei-dung des Allergens innerhalb weniger Jahre. Erdnussallergien haben jedoch eine geringeBesserungstendenz.

7.7 ZusammenfassungDie Nahrungsmittelallergie ist eine spezielle Form der Nahrungsmittelunverträglichkeit,bei der es durch eine überschießende Reaktion des Immunsystems zu Symptomen amMagendarmtrakt, der Haut, den Atemwegen und anderen Organen kommt. Die häu-figsten Auslöser von Nahrungsmittelallergien bei Kindern sind Kuhmilch, Hühnerei, Soja,Nüsse, Fisch und Weizenmehl. Verschiedene Faktoren wie die anlage-bedingte Reaktions-bereitschaft, die Eigenschaften des Nahrungsmittels, die Durchlässigkeit des Magen-darmtrakts und der Zeitpunkt der ersten Allergenzufuhr spielen bei der Auslösung eineRolle.

Diagnostisch liefern die Anamnese und evtl. ein Nahrungsmittel-Symptom-Tagebuchentscheidende Hinweise. Hauttests und Laboruntersuchungen können für sich allein eineNahrungsmittelallergie nicht beweisen. Der einzig sichere Nachweis einer Nahrungs-mittelallergie ist mit einem Auslass- und Belastungsversuch mit dem angeschuldigtenNahrungsmittel zu führen. Therapeutisch kommt in der Regel nur ein Weglassen desallergieauslösenden Nahrungsmittels in Frage. Die Prognose von Nahrungsmittelallergienist bei Säuglingen und Kleinkindern im Allgemeinen gut.

7.8 Kuhmilchallergie7.8.1 Was ist eine Kuhmilchallergie?Eine Kuhmilchallergie ist eine erworbene allergische Reaktion auf Kuhmilcheiweiß, welchemeist im Säuglingsalter entsteht. Die Häufigkeit der Kuhmilchallergie bei Kindern liegt beietwa 2%.

7.8.2 Was in der Kuhmilch löst die Allergien aus?Die Kuhmilch besteht aus verschiedenen Eiweißen. 80% des Kuhmilcheiweißes macht dasKasein aus, 20% das Molkeneiweiß. Die Molke ist das nach Kasein- und Fettabscheidungverbleibende "Milchserum". Die Hauptallergene der Milch sind das Beta-Laktoglobulin, dasAlpha-Laktalbumin und das Kasein. Beta-Laktoglobulin und Kasein sind sehr hitze-stabil,sodass auch ein Abkochen der Milch eine allergische Reaktion auf diese Milchbestandteilenicht verhindern kann. Andere Kuhmilchbestandteile werden durch Erhitzen starkverändert und spielen nur in der Rohmilch als Allergieauslöser eine Rolle.

7.8.3 Wie entsteht eine Kuhmilchallergie?Die Sensibilisierung findet im frühen Säuglingsalter entweder durch die Gabe einer Säug-lingsmilch, Kuhmilch oder über die Muttermilch statt. Wenn Kuhmilcheiweiß die Darm-schleimhaut passiert, werden eine Antikörperproduktion und andere Immunreaktionen inGang gesetzt. Kinder mit einer allergischen Familienvorgeschichte, die nicht oder nurteilweise gestillt wurden, haben ein höheres Erkrankungsrisiko. Je früher Kuhmilcheiweißzugeführt wird, um so größer ist das Risiko einer Allergieentstehung.

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7.8.4 Wie äußert sich eine Kuhmilchallergie?Die klassische Kuhmilchallergie vom Soforttyp äußert sich meist sehr dramatisch nochwährend oder kurze Zeit nach der Nahrungsaufnahme mit dünnen, wässrigen Stühlenund Erbrechen. Durch den direkten Milchkontakt kann eine Lippenschwellung auftreten.Weitere Symptome an der Haut sind ein Nesselausschlag und eine Gesichtsschwellung.Eine Schwellung im Kehlkopfbereich oder eine Verengung der Bronchien kann zu Atemnotführen. Die schwerwiegendste Reaktion ist der anaphylaktische Schock mit Kreislauf-zusammenbruch.

Bei anderen Formen können sich weniger dramatische Reaktionen in Form von Durchfalloder auch Verstopfung, Erbrechen, Nahrungsverweigerung, Gedeihstörungen, Bauch-schmerzen und blutigen Stühlen zeigen. Auch hier handelt es sich um immunologischeReaktionen an der Darmschleimhaut, jedoch lassen sich oft keine IgE-Antikörper nach-weisen.

Durch eine allergische Spätreaktion kann ein Ekzemschub bei einer Neurodermitis durcheine Kuhmilchallergie ausgelöst werden.

Häufig werden auch Blähungen und Bauchkrämpfe bei kleinen Säuglingen (Dreimonats-koliken) mit einer Kuhmilchallergie in Zusammenhang gebracht. In der überwiegendenAnzahl der Fälle können diese Bauchkoliken jedoch nicht auf eine Kuhmilchallergie zu-rückgeführt werden, sodass nur in Einzelfällen das Umstellen auf eine kuhmilchfreieNahrung sinnvoll ist. Das selbe gilt für das Colon irritabile, den reizbaren Dickdarm, beidem Krämpfe des Dickdarms auftreten und schleimige Stühle abgesetzt werden.

7.8.5 Diagnose der KuhmilchallergieBei der allergischen Reaktion vom Soforttyp ist der beobachtbare Zusammenhang zwi-schen Kuhmilchgenuss und Symptomen meist eindeutig. Der Nachweis von IgE-Anti-körpern gegen Kuhmilcheiweiß stützt die Diagnose. Im Zweifelsfall muss ein Auslass- undProvokationstest gemacht werden. Die Symptome müssen nach Weglassen der Kuhmilchverschwinden. Beweisend ist das Wiederauftreten der Symptome nach erneuter Kuh-milchzufuhr. Auf eine Kuhmilchbelastung wird man jedoch in solchen Fällen verzichten,wo schwere Allgemeinreaktionen aufgetreten waren.

Positive IgE-Antikörper im RAST oder ein positiver Pricktest allein sind für eine Kuhmilch-allergie nicht beweisend. Diese Testbefunde sind häufig auch positiv, ohne dass irgend-welche Symptome vorliegen (= Sensibilisierung). Die Bestimmung von IgG-Antikörperngegen Kuhmilcheiweiß ist wertlos, da diese eine normale Immunantwort des Organismusauf Kuhmilchzufuhr darstellen. Zum Nachweis einer Kuhmilchallergie vom Spättyp beieiner Neurodermitis hat sich der Atopie-Patch-Test bewährt. Bei unklaren Befunden mussunter Umständen auch eine kleine Gewebsprobe aus dem Darm entnommen werden.

7.8.6 Wovon muss eine Kuhmilchallergie abgegrenzt werden?Es ist wichtig, eine Allergie gegen Kuhmilcheiweiß von einer Milchzuckerun-verträglichkeit (Laktoseintoleranz) abzugrenzen. Bei der Milchzuckerunverträglichkeitkann der in der Milch und in Milchprodukten enthaltene Milchzucker nicht verdaut wer-den. Sie ist am häufigsten zwischen drei und fünfzehn Jahren. Ursache ist die vermin-derte Aktivität eines Enzymes im Darm (Laktase), das für die Spaltung dieses Zuckersim Darm verantwortlich ist. Eine Milchzuckerunverträglichkeit kann angeboren oder vor-über-gehende Folge einer Magendarminfektion sein. Die Milchzuckerunverträglichkeitäußert sich in Blähungen, Bauchkrämpfen und dünneren Stühlen nach Zufuhr von Kuh-milch oder Kuhmilchprodukten.

Die Diagnose kann relativ einfach mit einer Milchzuckerbelastung gestellt werden. DasKind bekommt eine Milchzuckerlösung zu trinken. Kann der Milchzucker nicht verdautwerden, wird in der Ausatemluft vermehrt H2 (Wasserstoff) gemessen. Bei der Milch-zuckerunverträglichkeit müssen im Gegensatz zur Kuhmilchallergie Kuhmilchproduktenicht komplett gemieden, sondern nur eingeschränkt werden.© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 - 11/2005 Seite 7-8

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7.8.7 Was ist bei einer Kuhmilchallergie zu tun?Kuhmilch und Kuhmilchprodukte meidenBei einer Kuhmilchallergie müssen Kuhmilch und Kuhmilchprodukte streng gemiedenwerden. Bereits der Kontakt mit kleinsten Mengen von Kuhmilcheiweiß können Schock-reaktionen auslösen. Schon bei Kontakt mit der Haut kann ein Nesselausschlag ent-stehen. Die stärkste allergieauslösende Wirkung zeigt normalerweise Rohmilch. Pasteuri-sierte oder abgekochte Milch ist jedoch für Kuhmilchallergiker weiterhin stark allergen, dadurch Hitzebehandlung nur ein Teil des Kuhmilcheiweißes verändert wird.

Verboten sind:• Alle Säuglingsmilchen und Säuglingsbreie auf Kuhmilchbasis• Kuhmilch jeder Art (Vollmilch, fettarme Milch, H-Milch, Buttermilch, Kondensmilch,

Dickmilch, Sauermilch, Milchpulver) • Kuhmilchprodukte jeder Art wie Joghurt, Kefir, Sahne, Crème fraîche, Käse, Frisch-

käse, Quark, Butter, Ovomaltine®, Milchspeiseeis u.a..

Auf verstecktes Milcheiweiß achten!In vielen Nahrungsmitteln ist verstecktes Milcheiweiß enthalten, z.B. in:

• Backwaren wie Milchbrötchen, Kuchen, Weißbrot • Fertiggerichte wie Menüs in Dosen oder Kartoffelpüree• Gläschenmenüs für Säuglinge • Soßen, Margarine, Mayonnaise • Fleisch-, Fisch- und Wurstwaren, insbesondere in Dosen oder paniert • Süßigkeiten wie Bonbons oder Schokolade, Speiseeis u.a..

Lesen Sie besonders bei Fertigprodukten, Soßen etc. immer die Zutatenliste durch. Kuh-milcheiweiß kann sich z.B. hinter folgenden Bezeichnungen verbergen:

• Milcheiweiß, Milchprotein• Molkeeiweiß, Molkeprotein• Kasein (Casein), Kaseinate (Caseinate)• Lakto..., Laktalbumin, Laktoglobulin• Laktose (Milchzucker).

Die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung hat jedoch ihre Lücken. Nicht deklariertwerden muss, wenn eine zusammengesetzte Zutat zu einem geringeren Anteil als 25%im Endprodukt enthalten ist (z.B. milchhaltige Würstchen im Konserveneintopf).

Auch in Nichtlebensmitteln kann Kuhmilcheiweiß enthalten sein! Beispiele sind Medika-mente oder Babypuder, der heute sowieso keinen Platz mehr in der Säuglingspflegehaben sollte, da er bei versehentlicher Inhalation schwere entzündliche Reaktionen an derLunge hervorrufen kann.

Bei einer sehr starken Kuhmilcheiweißallergie kann in seltenen Fällen eine Kreuzallergiezu Rind- und Kalbfleisch bestehen. Normalerweise wird aber Rindfleisch von Kuhmilch-allergikern vertragen.

Was kann an Stelle von Kuhmilch gegeben werden?Milch und Milchprodukte dürfen nicht ersatzlos vom Speiseplan gestrichen werden, da sieunter anderem eine wichtige Kalziumquelle darstellen. Als Kuhmilchersatz für Säuglingekommen in erster Linie starke Hydrolysatnahrungen in Betracht, bei denen die Ei-weißbestandteile des Kuhmilcheiweißes in so kleine Bausteine aufgespalten sind, dass siekeine allergische Reaktion mehr auslösen. Beispiele hierfür sind Alfaré®, Nutramigen®,Pregestimil® und Pregomin®.

Sogenannte hypoallergene Nahrungen wie Aptamil H.A.®, Beba H.A.®, Hipp H.A.® oderHumana H.A.® sind zur Therapie einer Kuhmilchallergie nicht geeignet, da sie noch inkleinen Mengen intaktes Kuhmilcheiweiß enthalten! Wenn keine begleitende Sojasensibi-lisierung besteht, können als Alternative unter Umständen Sojanahrungen wie Humana© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 - 11/2005 Seite 7-9

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

SL® oder Milupa SOM® verwendet werden. Sojadrinks aus dem Reformhaus sind alsKuhmilchersatz für Säuglinge und Kleinkinder nicht geeignet, da sie in der Zusammen-setzung nicht den Erfordernissen dieser Altersstufe entsprechen.

Das Ausweichen auf Stuten-, Ziegen- oder Schafsmilch ist aufwändig und teuer. Die Zu-sammensetzung dieser Milchen ist für den Säugling nicht optimal. Zum Teil könnenKreuzallergien zu Kuhmilch auftreten, bei Ziegenmilch in bis zu 50%. Schafskäse ist oftmit Kuhmilch versetzt. Bei Kleinkindern und Schulkindern kann durch andere Eiweiß-quellen wie Hühnerei und Fleisch leichter ein Ersatz für das Kuhmilcheiweiß geschaffenwerden. Auf jeden Fall ist auf eine ausreichende Kalziumzufuhr ist zu achten.

Eine kuhmilchfreie Ernährung muss immer genau mit dem Kinder- und Jugendarzt ambesten in Zusammenarbeit mit einer Diätassistentin abgesprochen werden, um eineMangelernährung zu vermeiden!

Was tun im Notfall?Für den Fall, dass Ihr Kind ungewollt doch einmal einen Schluck Milch oder Milcheiweiß inversteckter Form erwischt, ist es sinnvoll, dass Sie ein schnell wirksames Antihistami-nikum in Tropfen- oder Saftform (z.B. Fenistil®, Zyrtec®) greifbar haben. Sind schwereAllgemeinreaktionen wie Atemnot oder Kreislaufprobleme aufgetreten, muss eine kom-plette Notfallapotheke mit schriftlicher Dosierungsanweisung für den Fall eines verse-hentlichen Genusses des verbotenen Nahrungsmittels bereitgehalten werden. Diese ent-hält ein Antihistaminikum (z.B. Zyrtec®), ein Kortisonpräparat (je nach Alter alsTablette, Saft oder Zäpfchen) und Adrenalin (ein die Bronchien erweiterndes und kreis-laufstützendes Medikament in Spray- oder Spritzenform). Bei schweren Reaktionen denNotarzt rufen. Nach einer Allgemeinreaktion muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht wer-den.

7.8.8 Verschwindet eine Kuhmilchallergie wieder?Die im Säuglingsalter auftretende Kuhmilchallergie hat eine gute Prognose. Bis zum drit-ten oder vierten Lebensjahr ist diese Allergie in den meisten Fällen verschwunden. Nachein bis zwei Jahren kuhmilchfreier Ernährung wird ein vorsichtiger Kuhmilchbelastungs-test, bei einer Soforttypallergie meist im Krankenhaus, durchgeführt. Zuvor kann einPricktest oder RAST-Test mit Kuhmilch gemacht werden, wobei eine negative Reaktiondafür spricht, dass keine schwerwiegenden Reaktionen zu erwarten sind.

7.8.9 ZusammenfassungEine Kuhmilchallergie kann sich mit Lippenschwellung, Nesselausschlag, Durchfall,Erbrechen, Bauchschmerzen, Gedeihstörung und Atemnot bis zum allergischen Schockäußern. Außerdem kann ein Ekzemschub bei einer Neurodermitis ausgelöst werden. Beieiner Sofortreaktion können IgE-Antikörper und ein positiver Pricktest nachgewiesenwerden. Letztlich beweisend ist nur ein Auslass- und Provokationsversuch. Die Therapiebesteht in der vollständigen Meidung von Kuhmilch und Kuhmilchprodukten. Die Prog-nose der Kuhmilchallergie ist bei Säuglingen und Kleinkindern gut.

7.9 HühnereiweißallergieDie Hühnereiweißallergie ist nach der Kuhmilchallergie die zweithäufigste Nahrungsmit-telallergie bei Kindern.

7.9.1 Wie entsteht eine Hühnereiweißallergie und wie äußert sie sich?Hühnereier enthalten mehrere Eiweißbestandteile, das mengenmäßig wichtigste undallergologisch bedeutendste ist das Ovalbumin. Durch Erhitzen wird die Allergenität desHühnereies abgeschwächt. Eine Sensibilisierung mit Hühnereiweiß ist wie bei der Kuh-milch bereits über die Muttermilch möglich, sodass schon beim ersten Eikontakt heftigeReaktionen auftreten können. Die Symptome entsprechen der Sofortreaktion bei einer© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 - 11/2005 Seite 7-10

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Kuhmilchallergie. Ebenso kann bei einer Neurodermitis ein Ekzemschub ausgelöst wer-den. Allergische Reaktionen auf Eidotter kommen normalerweise durch Verunreinigungenmit Eiweiß zustande.

7.9.2 Worin ist überall Hühnereiweiß enthalten?Jede Form von Hühnereiern, ob als weichgekochtes Ei, Spiegelei, Rührei usw. muss beieiner Hühnereiweißallergie vermieden werden.

In vielen Nahrungsmitteln findet sich verstecktes Hühnereiweiß:

• Backwaren wie Brot, Brötchen, Kuchen, Kleingebäck • Teigwaren• Fleisch- und Wurstwaren wie Maultaschen und Fleischküchle • Suppen, Soßen, Mayonnaise • Fertiggerichte• Gläschenmenüs für Säuglinge• in weiteren Gerichten als Verfeinerungs- und Bindemittel• Milchspeiseeis• Süßigkeiten wie Bonbons, Pralinen, Zuckerwatte• Margarine u.a..

Achten Sie beim Einkauf stets auf die Zutatenliste! Folgende Begriffe können auf dieVerwendung von Ei hinweisen: Protein, Fremdprotein, tierisches Eiweiß, Lecithin, E 322,Stabilisatoren und Emulgatoren. Auch auf Ei in Nichtlebensmitteln achten (z.B. Haar-shampoo).

Bei einigen Impfstoffen wie Grippe- und Gelbfieberimpfstoffen können Hühnereiweiß-bestandteile enthalten sein (siehe auch Kapitel 15).

7.9.3 Was kann an Stelle von Ei gegeben werden?Bei einer gering ausgeprägten Hühnereiweißallergie wird möglicherweise erhitztes Hüh-nereiweiß beispielsweise in Backwaren vertragen. Prinzipiell besteht die Ausweichmög-lichkeit auf Eier anderer Tierarten, dies muss jedoch zuvor ausgetestet werden. Wennselbst gekocht und gebacken wird, können Eier durch den Eiersatz der Firma Hammer-mühle oder durch Sojamehl (1 Esslöffel Sojamehl + 1 Esslöffel Wasser entspricht einem Ei) ersetzt werden. Hartweizenteigwaren ohne Ei sind im Handel erhältlich. Beson-ders bei Fertiggerichten Zutatenliste beachten! Bei einer starken Hühnereiweißallergiebesteht auch die Möglichkeit einer Kreuzreaktion mit Hühnerfleisch. Meist wird jedochHühnerfleisch von Eiallergikern vertragen. Auch bei der Hühnereiweißallergie erfolgt ambesten eine Beratung durch eine Diätassistentin.

7.9.4 Prognose der HühnereiweißallergieDie im Säuglings- oder Kleinkindesalter auftretende Eiallergie hat eine gute Prognose. Esbestehen gute Chancen, dass sie im Laufe von wenigen Jahren verschwindet. Nach einbis zwei Jahren wird man daher normalerweise nach einem Prick- oder RAST-Test einenProvokationsversuch machen.

7.9.5 Zusammenfassung:Die Hühnereiweißallergie tritt in der Regel als allergische Sofortreaktion mitSymptomen wie bei einer Kuhmilchallergie auf, daneben können bei einer NeurodermitisEkzemschübe provoziert werden. Auch hier hilft nur das konsequente Meiden von Hüh-nereiweiß. Die Prognose ist wie bei der Kuhmilchallergie bei Säuglingen und Kleinkinderngut.

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7.10 Weitere häufige Nahrungsmittelallergien7.10.1 SojaallergieSojamilch wird aus Sojabohnen unter Zusatz von Wasser hergestellt wird, sie ist daherkeine Milch im eigentlichen Sinne. Soja wird als Fleisch- und Eiersatz benützt und kannunter anderem in Soßen und Fertigprodukten, Backwaren, Süßwaren, Margarine, Ölenund diätetischen Lebensmitteln enthalten sein. Soja lässt sich durch andere Eiweißliefe-ranten ersetzen, wobei das Vermeiden nicht immer ganz leicht ist, wie die oben ange-führten Nahrungsmittel zeigen.

7.10.2 ErdnussallergieErdnüsse sind in vielen Nahrungsmitteln enthalten. Dazu gehören vor allem Süßigkeitenin Form von Schokoriegeln, Kuchen und anderes Gebäck sowie Erdnussbutter. Die Erd-nüsse gehören zu den Hülsenfrüchten (Leguminosen), es bestehen daher eventuellKreuzallergien zu Bohnen, Linsen, Erbsen usw.. Die Erdnussallergie kann schwereSchockreaktionen hervorrufen und bleibt oft lebenslang bestehen.

7.10.3 Weitere NussallergienWeitere Nüsse wie Haselnuss, Walnuss, Paranuss und Mandel gehören ganz unter-schiedlichen Pflanzenfamilien an, es bestehen daher nicht von vorneherein Kreuzaller-gien. Man findet Nüsse in vielen Back- und Süßwaren, Käse und anderen Nahrungs-mitteln. Haselnussmasse ist oft nicht deklariert in vielen Schokoladesorten enthalten. DieHaselnussallergie tritt häufig zusammen mit einer Allergie gegen Äpfel, Kirschen undMandeln auf. Bei Hasel- und Walnuss bestehen auch Kreuzallergien zu den entsprechen-den Pollen. Nussallergien äußern sich häufig durch ein Jucken im Hals, eventuell begleitetvon tränenden Augen und Niesreiz. Schwere Allgemeinreaktionen können jedoch folgen.

7.10.4 HülsenfrüchteallergieZu den Hülsenfrüchten (Leguminosen) zählen Erbsen, Bohnen, Linsen, Erdnüsse, Soja-bohne, Bockshornklee und andere. Sie sind starke Allergene. Häufig bestehen Kreuz-allergien untereinander und zu Erdnüssen.

7.10.5 GetreideallergieAllergien gegen Getreide betreffen bei uns hauptsächlich Weizen und Roggen. Allergie-auslösend wirkt das Korn vor allem im Rohzustand z.B. als Frischkornmüsli und in Voll-kornprodukten. Backwaren mit den Mehlen der Typenzahl 405 oder 550 werden oft ver-tragen. Durch das Mahlen und Erhitzen wird die Allergenität vermindert. Zwischen Wei-zen, Roggen und Gerste sind Kreuzallergien häufig. Inhalationsallergien wie das Bäcker-asthma, das durch Einatmen von feinem Mehlstaub entsteht, kommen bei Kindern kaumvor.

7.10.6 ZöliakieDie Zöliakie ist eine chronische Darmerkrankung, die mit einer Störung der Nährstoff-aufnahme im Darm einhergeht. Die Symptome sind Durchfälle, fettige Stühle, aufgetrie-bener Leib Gedeihstörung und Gereiztheit. Ursache der Zöliakie ist eine Unverträglichkeitvon Gluten (Gliadin), das in Weizen-, Dinkel-, Grünkern-, Roggen-, Gersten- und Ha-fermehl enthalten ist. Es kommt zu einer immunologisch ausgelösten Entzündung an derDarmschleimhaut. Die Diagnose wird durch den Nachweis von Antikörpern gegen Gliadin,Endomysium oder Gewebe-Transglutaminase sowie durch eine Untersuchung der Dünn-darmschleimhaut mit dem Nachweis flacher Darmzotten gestellt. Die Therapie besteht imlebenslangen Weglassen von Gluten.

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7.10.7 Allergien gegen Fische sowie Schalen- und KrustentiereAllergien gegen Salzwasserfische sind häufiger als Allergien gegen Süßwasserfische.Fischbestandteile können in verschiedenen Nahrungsmitteln wie Sardellenbutter undLebertran enthalten sein. Da Fischmehl als Futter bei der Mast von Schweinen und Geflü-gel eingesetzt wird, kann deren Fleisch und auch die Eier Fischeiweiß enthalten. Fisch-allergene sind sehr hitzestabil. Bereits durch das Einatmen von Dampf beim Fischkochenkönnen asthmatische Beschwerden ausgelöst werden. Schalen- und Krustentiere wieHummer, Langusten, Krebse und Muscheln sind starke Allergene, spielen im Kindesalterjedoch noch keine große Rolle.

Echte allergische Reaktionen gegen Fisch sind von pseudoallergischen Reaktionenabzugrenzen, welche durch einen hohen Histamingehalt beispielsweise in Thunfisch ver-ursacht werden.

7.10.8 GewürzallergienSellerie ist bei uns das Hauptallergen unter den Gewürzen und in verschiedenen Würz-mischungen enthalten. Oft besteht eine Kreuzallergie zu anderen Gewürzen und auch zuPollen (Sellerie-Beifuß-Gewürzsyndrom). Weitere Beispiele für Gewürzallergene sind Anis,Fenchel, Dill, Koriander, Kümmel. Allergien gegen Pfeffer und Senf sind selten. Bei einerGewürzallergie sind neben dem eigentlich allergieauslösenden Gewürz vor allem Misch-gewürze und eventuell fertig gewürzte Speisen zu meiden.

7.10.9 Kreuzallergien mit PollenZwischen Pollen und Nahrungsmitteln kann eine Vielzahl von Kreuzallergien bestehen.Die wichtigsten sind:Birkenpollen: mit Äpfeln, Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen, Zwetschgen und Kartoffeln.Birken- und Haselpollen: mit Haselnüssen, Mandeln, roher Sellerie, rohen Karotten.Beifußpollen: mit Sellerie und anderen Gewürzen, Karotten und anderen Gemüsen.Gräser- und Getreidepollen: mit Hülsenfrüchten, Getreide und Tomaten.

7.10.10ZusammenfassungWeitere wichtige Nahrungsmittelallergien sind die Allergien gegen Soja, Nüsse, Hülsen-früchte, Getreide, Fische und Gewürze. Bei bestimmten Nahrungsmitteln sind Kreuzaller-gien mit Pollen zu beachten. Eine Sonderform stellt die Zöliakie dar, die auf einer Unver-träglichkeit von Gliadin beruht.

7.11 Pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel undZusatzstoffe

7.11.1 Was sind pseudoallergische Reaktionen?Bei den pseudoallergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel lassen sich keine immunologi-schen Vorgänge nachweisen. Die Symptome einer pseudoallergischen Nahrungsmittelun-verträglichkeit sind von den Symptomen einer echten Nahrungsmittelallergie oft nicht zuunterscheiden. Pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzu-satzstoffe sind selten (Schätzungen liegen bei 0,1 – 0,2% in der Gesamtbevölkerung).

7.11.2 Wodurch werden pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittelausgelöst?

a) Biogene AmineBiogene Amine (z.B. Histamin, Tyramin, Serotonin) sind Abbauprodukte von Aminosäu-ren, den kleinsten Eiweißbestandteilen. Sie werden nicht von außen zugefügt, sondernkommen in fast allen Lebensmitteln in kleineren Mengen vor. Beträchtliche Mengen kön-nen jedoch durch mikrobiellen Verderb, bei mikrobiell hergestellten Lebensmitteln und

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

bei Lebensmitteln, denen Enzympräparate zugesetzt werden, entstehen. In kleinen Men-gen sind sie harmlos, in größeren Mengen können sie insbesondere bei dafür empfind-lichen Personen folgende Symptome auslösen: Kopfschmerzen, Herzklopfen, Nesselaus-schlag, Bauchschmerzen, Blutdruckabfall und Atemnot.

- Nahrungsmittel, die von Natur aus einen hohen Anteil an biogenen Aminen enthalten:

• Walnüsse, Bananen, Ananas, Tomaten, Avokado, Pflaumen, Himbeeren.

- Nahrungsmittel, die durch mikrobielle Prozesse viel biogene Amine enthalten:• Fischprodukte aus Makrele, Hering, Thunfisch (Histamin entsteht hier vor allem

durch mikrobiellen Verderb, frische bzw. tiefgefrorene Fische sind aminarm)• Fleischwaren, Wurst (Koch- und Brühwürste sind aminärmer als Rohwürste)• Käse (besonders Emmentaler, Tilsiter, Chester, Cheddar, Roquefort, Camembert)• Hefeextrakt, Sauerkraut, Schokolade, Kakao, Wein, Bier.

- Nahrungsmittel, die direkt Histamin ausschütten können:• Andere Nahrungsmittel enthalten Lektine, welche direkt ohne Beteiligung allergi-

scher Mechanismen Histamin aus den Mastzellen freisetzen können. Dazu zählenbestimmte Früchte wie Erdbeeren, Gemüse- und Getreidearten.

b) Nahrungsmittel, die Salicylsäure enthaltenPersonen mit einer Überempfindlichkeitsreaktion auf Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin®),einer Acetylsalicylsäureintoleranz (siehe Kapitel 10) leiden, können auch auf Nahrungs-mittel reagieren, die einen hohen Salicylsäuregehalt haben. Hierzu gehören bestimmteObstsorten (z.B. Apfel, Banane, Orangen, Wassermelone), Gemüse (z.B. Bohnen, Blu-menkohl, Kartoffeln), Mandeln und Getränke (z.B. Fruchtsäfte). Diese Mengen liegen je-doch in der Regel nur bei einigen µg pro 100 g Lebensmittel. Gewürze (z.B. Anis, Dill,Salbeiblätter, Senf, Zimt) haben zum Teil auch hohe Salicylsäuregehalte bis zu mehrerenGramm pro 100 g, wobei jedoch die zugeführten Gewürzmengen gering sind. Bei aus-ländischen Produkten kann Salicylsäure auch als Konservierungsstoff enthalten sein, wasin Deutschland verboten ist.

c) Zusatzstoffe in LebensmittelnNach dem Gesetz müssen Zusatzstoffe in Lebensmitteln technisch notwendig sein, dürfennicht zur Täuschung des Verbrauchers führen und müssen gesundheitlich unbedenklichsein. Bei einer ganzen Reihe von Lebensmittelzusatzstoffen muss man sich allerdingsfragen, ob diese genannten Punkte wirklich erfüllt sind. Seien Sie daher als Verbraucherkritisch und wählen Sie Ihre Lebensmittel gezielt auch nach diesen Kriterien aus.Tabelle 7-1 zeigt identifizierte Auslöser pseudoallergischer Reaktionen.

Tabelle 7-1: Zusatzstoffe in Lebensmitteln, die pseudoallergische Reaktionen auslösenkönnen (Quelle: Weißbuch Allergie in Deutschland 2000)

StoffgruppeName E-Nummer

Farbstoffe

AzofarbstoffeGelborange SAzorubinAmaranthPonceau 4 RBrilliantschwarz BNTartrazin

E 110E 122E 123E 124E 151E 102

Andere synthetische Farb-stoffe

ChinolingelbErythrosinPatentblauIndigokarmin

E 104E 127E 131E 132

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

NaturfarbstoffeEisen-III-oxid, rotCochenille/Karmin

E 172E 120

KonservierungsstoffeSorbinsäureNatriumbenzoatp-Hydroxybenzoesäure, -esterNatriummetabisulfitNatriumnitrat

E 200E 211E 214-219

E 223E 251

AntioxidanzienTocopherolPropylgallateButylhydroxyanisol (BHA)Butylhydroxytoluol (BHT)

E 306-309E 310E 320E 321

GeschmacksverstärkerNatriumglutamat E 621

Süßstoffe Aspartam E 951

7.11.3 Wie werden pseudoallergische Nahrungsmittelunverträglichkeitendiagnostiziert?

Prinzipiell gilt das bei den Nahrungsmittelallergien im engeren Sinn genannte Vorgehen.Allerdings können bei pseudoallergischen Reaktionen weder in Bluttests noch in Hauttestsallergieauslösende Antikörper nachgewiesen werden. Ist die Diagnose durch die Anam-nese und das Führen eines Symptomtagebuchs nicht eindeutig zu stellen, muss ein Pro-vokationstest durchgeführt werden.

7.11.4 Wie werden pseudoallergische Nahrungsmittelunverträglichkeiten behandelt?Auch hier bleibt wie bei den echten Nahrungsmittelallergien nur das Meiden der auslö-senden Nahrungsmittel. Wenn es sich um Reaktionen auf Nahrungsmittelzusatzstoffe inindustriell hergestellten Nahrungsmitteln handelt, kann diesen oft durch Selbstzuberei-tung ausgewichen werden.

7.11.5 ZusammenfassungBei den pseudoallergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel können keine allergie-auslösenden Antikörper nachgewiesen werden. Ursächlich für die Symptome sind hierHistamin und andere Mittlersubstanzen, die entweder in den Nahrungsmitteln selbst ent-halten sind oder deren Freisetzung im Körper durch diese Nahrungsmittel verursachtwird. Wichtige Beispiele hierfür sind Fische, bestimmte Käsesorten und Wein. Auch eineReihe von Nahrungsmittelzusatzstoffen kann pseudoallergische Reaktionen auslösen.

7.12 Lebensmittelkennzeichnung - steht drauf, was drinist?

Allergiker- und Ärzte-Verbände haben seit langem offensichtliche Mängel bei derNahrungsmittelkennzeichnung kritisiert. Die Europäische Union hat nun eine verbesserteKennzeichnungspflicht für Lebensmittel in Kraft gesetzt, die bis spätestens November2005 in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden musste.

7.12.1 (Fast) alles muss jetzt draufstehenDie neue Regelung ist ein Fortschritt, wenn sie auch nicht alle Probleme optimal löst. Bisauf die später genannten Ausnahmen müssen jetzt alle Zutaten eines Lebensmittels auf

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

der Zutatenliste genannt werden. Es müssen nun auch die Bestandteile zusammenge-setzter Zutaten (z.B. die Zutaten von Wurststücken in einem Doseneintopf oder Hühnereiin den Nudeln einer Nudelsuppe) angegeben werden, was bisher bei einem Gewichtsan-teil von unter 25% nicht erforderlich war. Die Klassennamen "kandierte Früchte" und"Gemüse" wurden abgeschafft.

7.12.2 Das muss immer draufstehenDie in Tabelle 7-1 aufgelisteten Substanzen und daraus hergestellte Erzeugnisse sindfür die meisten Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten verant-wortlich. Sie müssen daher immer auf der Zutatenliste stehen, jetzt auch bei alkoholi-schen Getränken, selbst wenn sie nur in kleinen Mengen enthalten sind oder lediglich alsHilfsstoff oder Trägersubstanz im Herstellungsverfahren verwendet werden (z.B. Hühner-eiweiß in der Weinproduktion, Laktose als Trägersubstanz für Aromen). Früher verwen-dete Klassennamen (z.B. pflanzliches Öl für Erdnussöl) sind für diese Substanzen nichtmehr zulässig.

Tabelle 7-1: Immer kennzeichnungspflichtige Zutaten

• glutenhaltiges Getreide (d.h. Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Kamut oderKreuzungen davon) sowie daraus hergestellte Erzeugnisse

• Krebstiere und Krebstiererzeugnisse • Eier und Eierzeugnisse• Fisch und Fischerzeugnisse• Erdnüsse und Erdnusserzeugnisse• Soja und Sojaerzeugnisse• Milch und Milcherzeugnisse (einschließlich Milchzucker = Laktose)• Schalenfrüchte (d.h. Mandel, Haselnuss, Walnuss, Cashewnuss, Pekanuss,

Paranuss, Pistazie, Macadamianuss / Queenslandnuss) und daraus hergestellteErzeugnisse

• Sellerie und Sellerieerzeugnisse• Senf und Senferzeugnisse• Sesamsamen und Sesamsamenerzeugnisse• Schwefeldioxid und Sulfite in Konzentrationen mehr als 10 mg/kg oder 10 mg/l,

als SO2 angegeben

7.12.3 Das muss nicht draufstehenWie nicht anders zu erwarten gibt es Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht. Wasnicht auf dem Etikett stehen muss ist in Tabelle 7-2 aufgelistet.

Tabelle 7-2: Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht

• ist die Zutat schon in der Verkehrsbezeichnung genannt (z.B. Erdnüsse inErdnussbutter), muss sie in Zutatenverzeichnis nicht noch einmal aufgeführtwerden

• für Gewürz- und / oder Kräutermischungen (z.B. "Curry" oder "Kräuter derProvence") sowie für im EU-Recht geregelte Zutaten wie Schokolade oderKonfitüre gilt eine 2% Regelung: nur Inhaltsstoffe, die mehr als 2% Gewichtsanteilam Endprodukt haben müssen angegeben werden. Ausnahmen: die in Tabelle 1genannten Substanzen

• für einige verpackte Lebensmittel wie z.B. Honig ist kein Zutatenverzeichniserforderlich

• die Zutaten unverpackt angebotener Nahrungsmittel müssen nicht deklariertwerden

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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

7.12.4 Vorbeugende WarnhinweiseEin Problem stellen Substanzen dar, die nicht absichtlich in das Nahrungsmittel gelangen:z.B. durch die Produktion verschiedener Lebensmittel in einer Fabrikationshalle oderdurch die Verwendung der selben Produktionsanlage bei der Herstellung verschiedenerSchokoladesorten. Schwierig ist die Kontrolle auch bei Zutaten, die von verschiedenenZulieferern kommen. Viele Hersteller sichern sich daher ab und geben vorbeugendeWarnhinweise, wie "kann Spuren von Erdnusseiweiß enthalten". Allerdings ist eine über-hand nehmende übervorsichtige Deklaration für den Allergiker nicht unbedingt eine Hilfeund kann ihn unnötig beim Einkauf einschränken. Die Lösung dieses Problems wären re-gelmäßige Kontrollen der Inhaltsstoffe im Endprodukt mit hochempfindlichen Nachweis-methoden, was jedoch aus technischen und finanziellen Gründen momentan nichtdurchführbar ist.

7.12.5 ZusammenfassungDie seit November 2005 in Kraft getretene neue Kennzeichnungspflicht der EU für Le-bensmittel ist ein Fortschritt, wenn sie auch noch nicht alle Probleme optimal löst. Diewichtigsten Allergieauslöser müssen jetzt auch bei Zugabe kleiner Mengen deklariertwerden.

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8. Allergische Erkrankungen der Augen

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8. Allergische Erkrankungen der Augen 8.1 Allergische Bindehautentzündung 8.2 Andere Formen der Bindehautentzündung 8.3 Kontaktekzem der Lider 8.4 Urtikaria und Quincke-Ödem 8.5 Zusammenfassung Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der allergischen Bindehautentzündung und anderen Augenerkrankungen, die davon abgegrenzt werden müssen.

Tobias, acht Jahre alt, hat seit einigen Tagen gerötete Augen. Es ist Sommer und schönster Sonnenschein. Immer wenn er längere Zeit im Freien gespielt hat, fangen die Augen an zu jucken und zu tränen. Tobias reibt dann kräftig die Augen, dadurch werden sie noch röter. Sehen kann der Junge ganz normal, Fieber hat er auch nicht. Bereits letztes Jahr war die Bindehaut während der Sommerzeit immer wieder einmal gerötet gewesen. So schlimm wie dieses Jahr war es jedoch nicht.

Die Mutter geht mit Tobias zur Kinderärztin. Diese vermutet eine allergische Bindehaut-entzündung und führt einen Hauttest durch. Dieser bestätigt die Verdachtsdiagnose: Es handelt sich um eine allergische Bindehautentzündung, hervorgerufen durch eine Gräserpollenallergie. Die Kinderärztin spricht ausführlich mit Tobias und seinen Eltern. Die Gräserpollen sind in der Sommerzeit schwer zu meiden, da sie mit dem Wind über weite Strecken durch die Luft getragen werden. Mit einigen Vorsichtsmaßregeln kann er jedoch versuchen, den Pollenkontakt etwas zu reduzieren. Tobias erhält antiallergische Augentropfen. Innerhalb einiger Tage sind die Beschwerden deutlich gebessert.

8.1 Allergische Bindehautentzündung (allergische Konjunktivitis) Die Bindehaut (Konjunktiva) ist der Teil des Auges, der am häufigsten von allergischen Erscheinungen betroffen ist, da sie im unmittelbarem Kontakt mit der Außenwelt steht und sehr gut durchblutet ist.

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8. Allergische Erkrankungen der Augen

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8.1.1 Wie äußert sich eine allergische Bindehautentzündung? Juckreiz, Augentränen, Brennen, Rötung und Schwellung der Bindehaut sind die Haupt-symptome einer allergischen Bindehautentzündung. Zusätzlich kann ein milchiger Aus-fluss aus dem Auge sowie Lichtscheu vorhanden sein. Das Sehvermögen ist normaler-weise nicht beeinträchtigt. Bei einer allergischen Konjunktivitis treten die Symptome fast immer an beiden Augen auf. Die Symptome können sich isoliert nur am Auge oder aber meist in Kombination mit einem allergischen Schnupfen im Rahmen eines Heuschnupfens zeigen.

Eine allergische Bindehautentzündung kann saisonal zu einer bestimmten Jahreszeit oder mehr oder weniger ganzjährig auftreten. 8.1.2 Was sind die Ursachen einer allergischen Bindehautentzündung ?

• Pollen Am häufigsten tritt eine allergische Bindehautentzündung im Rahmen eines Heu-schnupfens bei einer Pollenallergie auf (siehe auch Kapitel 4.4). Beim klassisch-en Heuschnupfen besteht neben der Bindehautentzündung ein Schnupfen mit laufender oder verstopfter Nase.

• Ganzjährig vorkommende Allergieauslöser Als ganzjährig vorkommende Allergieauslöser kommen hauptsächlich Hausstaub-milben (siehe Kapitel 12.2) sowie Haustiere (siehe Kapitel 12.3) in Frage.

• Sonstige Auslöser Prinzipiell kann jede Substanz, welche in die Bindehaut gelangt, eine allergische Bindehautentzündung auslösen. Verantwortlich sind vor allem Medikamente z.B. in Antibiotika in Augentropfen sowie Konservierungsmittel und Kosmetika. Neben allergischen Sofortreaktionen können hierbei auch Reaktionen vom ver-zögerten Typ eine Rolle spielen. Oft sind dann auch die Augenlider mit einem Lidekzem betroffen.

8.1.3 Wie wird eine allergische Bindehautentzündung diagnostiziert?

Die Anamnese ist oft schon hinweisend. Bei einem saisonalen Auftreten, begleitet von Schnupfen, ist eine Pollenallergie sehr wahrscheinlich. Auch die Auslösung durch Haus-tiere ergibt sich meist schon aus der Vorgeschichte. Wichtig ist auch die Information, ob örtlich am Auge Medikamente verabreicht wurden. Der Zusammenhang mit Hausstaub-milben bei ganzjährigem Auftreten ist oft nicht ohne weiteres herzustellen.

Mit dem Pricktest oder RAST wird bei Reaktionen vom Soforttyp nach Allergieauslösern gefahndet. Vor allem Frühstadium der Erkrankung können diese allerdings unauffällig sein, wenn nämlich zwar Allergieantikörper in der Bindehaut, jedoch nicht im Blut oder der Haut vorhanden sind. Im Zweifelsfall wird eine konjunktivale Provokation durchge-führt: der vermutete Allergieauslöser wird auf die Bindehaut getropft, im positiven Falle tritt eine Rötung und Tränenabsonderung ein. Bei Verdacht auf eine Reaktion vom verzögerten Typ, beispielsweise wenn gleichzeitig ein Lidekzem vorliegt, wird ein Patch-Test angelegt (siehe auch Kapitel 3).

8.1.4 Wie behandelt man eine allergische Bindehautentzündung? 1) Meidung des Allergieauslösers An erster Stelle steht die Vermeidung der allergieauslösenden Stoffe. Dies ist bei einer Tierallergie meist noch relativ einfach, wenn auch häufig sehr schmerzlich. Bei einer durch Pollen ausgelösten Bindehautentzündung ist die Allergenvermeidung schon wesent-lich schwieriger zu bewerkstelligen. Hinweise für die einzelnen Allergieauslöser finden Sie in folgenden Kapiteln:

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8. Allergische Erkrankungen der Augen

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- Ratschläge für Pollenallergiker siehe Kapitel 12.1 - Ratschläge für Milbenallergiker siehe Kapitel 12.2 - Was ist zu tun bei Tierallergien? siehe Kapitel 12.3.

2) Augenspülung Nach intensivem Kontakt mit Pollen oder anderen von außen ins Auge gelangten Allergie-auslösern kann durch Ausspülen des Auges mit klarem Wasser ein Teil der Allergene entfernt werden. Zudem bringt die Kühlung Linderung.

3) Medikamentöse Behandlung • DNCG-Augentropfen DNCG (= Dinatriumcromoglicinsäure, z.B. Cromo-ratiopharm®, DNCG Trom®, Fenistil®

Augentropfen Cromoglicin, Opticrom®, Vividrin®) hemmt die Ausschüttung von Histamin und wirkt nur vorbeugend. Die Behandlung sollte daher bereits einige Tage vor dem erwarteten Pollenflug, spätestens bei den ersten Symptomen beginnen. Die Anwendung muss zumindest während der Zeiten mit starkem Pollenflug viermal täglich erfolgen. DNCG ist sinnvoll bei leichter Bindehautentzündung ist auch bei Langzeitanwendung sehr gut verträglich. Lodoxamid (Alomide® Augentropfen) wirkt ähnlich wie DNCG.

• Nedocromil Nedocromil (Irtan® Augentropen) hat im Vergleich zu DNCG zusätzlich eine antientzünd-liche Wirkung und einen schnellen Wirkungseintritt.

• Antihistaminika Antihistaminika blockieren die Wirkung des Histamins und dämpfen so die allergische Reaktion. Zur örtlichen Anwendung als Augentropen stehen z.B. Allergodil® , Emadine® und Livocab® zur Verfügung. Sie haben in der medikamentösen Therapie der allergischen Bindehautentzündung die größte Bedeutung.

• Kortikoide In ganz schweren und hartnäckigen Fällen muss manchmal auf Kortikoide zurückge-griffen werden. Sie haben bei allen Formen der allergischen Bindehautentzündung eine sehr gute Wirkung. Sie sollten jedoch möglichst nur örtlich als Augentropfen oder Augen-salbe, kurzzeitig und möglichst unter Überwachung eines Augenarztes eingesetzt werden. Die Gefahren bei längerdauernder Anwendung sind eine vermehrte Anfälligkeit des Auges für Infektionen, Trübungen der Linse und Erhöhung des Augeninnendrucks. Die innerliche Behandlung mit Kortikoiden muss absoluten Ausnahmefällen vorbehalten bleiben.

• Schleimhaut abschwellende Mittel Bei heftigen Reaktionen können zur Akutbehandlung für kurze Zeit auch schleimhaut-abschwellende Augentropfen verwendet werden (z.B. Berberil®, Ophtalmin®, Yxin®). Sie führen über eine Verengung der Blutgefäße zu einer Linderung des Juckreizes und einem Nachlassen der Rötung. Eine Dauerbehandlung mit diesen Stoffen ist nicht sinnvoll, da es dann nach einer kurzen Drosselung der Durchblutung zu einer überschießenden Durch-blutung der Bindehaut kommt. Da die schleimhautabschwellenden Augentropfen nicht in das eigentliche allergische Geschehen eingreifen, wurde die Anwendung dieser Sub-stanzen auch als "Bindehautkosmetik" bezeichnet.

Problematisch ist auch die häufig geübte Anwendung von Kamillebädern am Auge. Bestimmte Kamillearten wie die Hundskamille können nämlich Kontaktallergien auslösen.

4) Hyposensibilisierung Die Pollenallergie ist das klassische Anwendungsgebiet der Hyposensibilisierungsbe-handlung (siehe auch Kapitel 13). Bei der Hyposensibilisierung wird dem Körper in steigender Dosis der Allergieauslöser verabreicht, bis das Immunsystem nicht mehr allergisch auf ihn reagiert. Goldstandard ist die subkutane Hyposensibilisierung, bei der die Allergene unter die Haut gespritzt werden. Auch bei Milben- und Tierallergien kommt eine Hyposensibilisierung in Frage, wenn der Allergieauslöser nicht ausreichend zu meiden ist.

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8. Allergische Erkrankungen der Augen

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 Seite 8-4

8.1.5 Wovon muss eine allergische Bindehautentzündung abgegrenzt werden? Die allergische Bindehautentzündung muss vor allem von der infektiösen Bindehaut-entzündung abgegrenzt werden. Meist sind Viren oder Bakterien die Ursache. In beiden Fällen besteht eine Rötung der Bindehaut. Bei durch Viren hervorgerufenen Ent-zündungen ist die Absonderung meist klar, bei bakteriell bedingten Entzündungen meist eitrig-trüb. In unklaren Fällen muss der Augenarzt klären, ob nur die Bindehaut oder auch innere Strukturen des Auges oder die Hornhaut mitbetroffen sind. Vor allem bei einer einseitig auftretenden Augenrötung muss an nichtallergische Ursachen gedacht werden! Die eitrige Bindehautentzündung wird mit antibiotischen Augentropen behandelt.

8.2 Weitere Formen der Bindehautentzündung 8.2.1 Frühjahrskonjunktivitis (vernale Keratokonjunktivitis) Die Frühjahrskonjunktivitis kommt bei uns sehr selten, in trockenen, warmen, südlichen Ländern häufiger vor. Die meisten Patienten sind zwischen fünf und fünfzehn Jahre alt. Es besteht ein außerordentlicher Juckreiz (die Patienten möchten sich "die Augen aus-kratzen"), außerdem neben einer Augenrötung und Tränenfluss ein Fremdkörpergefühl und Lichtscheu. Charakteristisch bei der Untersuchung ist ein "pflastersteinähnliches" Aussehen der Bindehaut im Bereich des Oberlides. Zwei Drittel der Patienten weisen eine atopische Veranlagung auf. Die Therapie entspricht der Behandlung der allergischen Konjunktivitis.

8.2.2 Riesenpapillenkonjunktivitis bei Kontaktlinsenträgern Diese Form der Konjunktivitis kommt vor allem bei Trägern harter und weicher Kontakt-linsen vor. Als Auslöser angeschuldigt werden Eiweißablagerungen auf der Kontaktlinse, die zu einer allergischen Reaktion führen. Die Symptomatik entspricht der Frühjahrs-konjunktivitis. Sobald keine Kontaktlinsen mehr getragen werden, verschwindet diese Form der Bindehautentzündung wieder von selbst.

8.2.3 Atopische Keratokonjunktivitis Die atopische Keratokonjunktivitis (= Entzündung von Binde- und Hornhaut) kommt bei Neurodermitikern ab dem Alter von etwa 10 Jahren vor. Es bestehen Schmerzen, ein Fremdkörpergefühl, Jucken, Brennen sowie eine wässrige bis schleimige Absonderung. Die atopische Keratokonjunktivitis tritt beidseitig und ganzjährig auf. Wegen der oft bestehenden Hornhautbeteiligung bedarf sie regelmäßiger augenärztlichen Kontrollen. Behandelt wird mit antiallergischen Augentropfen, häufig ist die örtliche Anwendung von Kortikoiden erforderlich.

8.3 Kontaktekzem der Lider Kontaktallergien an den Augenlidern können sich in leichten Fällen lediglich als eine Rötung und Schuppung äußern. In ausgeprägteren Fällen besteht eine Rötung, Bläschen-bildung, Nässen der Haut und Schwellung der Augenlider, evtl. auch des umgebenden Gewebes. Auch die Bindehaut kann mitbetroffen sein. Es handelt sich um eine Typ IV-Allergie vom verzögerten Typ.

Als Ursache kommen hauptsächlich in Kosmetika enthaltene Farbstoffe, Duftstoffe und Konservierungsstoffe sowie Medikamente in Betracht. Die Diagnostik beinhaltet nach genauer Erhebung der Anamnese eine Austestung der in Frage kommenden Substanzen mit dem Patch-Test. Die Therapie besteht in der konsequenten Meidung der auslösenden Substanz(en).

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8. Allergische Erkrankungen der Augen

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8.4 Urtikaria und Quincke-Ödem Im Rahmen allergischer Sofortreaktionen kann ein Nesselausschlag (= Urtikaria) im Bereich der Augenlider vorkommen. Wenn tiefere Gewebsschichten im Bereich des Gesichts von der Schwellung betroffen sind spricht man von einem Quincke-Ödem. Beispiele für Auslöser sind eine Insektengiftallergie oder eine Nahrungsmittelallergie. Die Behandlung richtet sich nach den im Vordergrund stehenden Organsymptomen (z.B. Asthmaanfall, Kreislaufprobleme) sowie nach dem zugrundeliegenden Auslöser.

8.5 Zusammenfassung Eine allergische Bindehautentzündung äußert sich mit Juckreiz, Augenrötung, Augen-tränen und Augenbrennen, eventuell verbunden mit einem milchigen Ausfluss. Am häufigsten tritt sie bei einer Pollenallergie im Rahmen eines Heuschnupfens auf.

Kontaktallergien vor allem durch Kosmetika und Medikamente können sich im Bereich der Augenlider mit eventueller Beteiligung der Bindehaut abspielen.

Die bei uns sehr seltene Frühjahrskonjunktivitis tritt meist bei Jugendlichen vor der Pubertät in trockenen, warmen, südlichen Ländern auf. Es zeigt sich vor allem ein quälender Juckreiz.

Die Riesenpapillenkonjunktivitis findet sich vor allem bei Trägern von Kontaktlinsen. Sie bildet sich nach Entfernung der Kontaktlinsen zurück.

Die atopische Keratokonjunktivitis ist eine mögliche Komplikation einer Neurodermitis ab dem Alter von etwa 10 Jahren.

Im Rahmen allergischer Allgemeinreaktionen beispielsweise bei Insektengift- oder Nahrungsmittelallergien können eine Schwellung der Augenlider oder sogar des ganzen Gesichtes (Quincke-Ödem) auftreten.

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9. Insektengiftallergien

© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004 Seite 9-1

9. Insektengiftallergien 9.1 Welche Insekten lösen in unseren Breiten Allergien aus? 9.2 Welche Symptome können sich nach einem Insektenstich zeigen? 9.3 Welche Mechanismen spielen sich im Körper ab? 9.4 Wie wird die Diagnose einer Insektengiftallergie gestellt? 9.5 Was tun bei einer Insektengiftallergie? 9.6 Zusammenfassung

Glücklicherweise sind die meisten Insektenstiche zwar schmerzhaft, aber nicht bedroh-lich. Es können jedoch auch gefährliche allergische Reaktionen auftreten. Dieses Kapitel informiert über Symptome, Diagnose und Therapie von Insektengiftallergien.

Die fünfjährige Elvira spielt bei herrlichem Wetter draußen im Garten auf der Wiese. Sie ist durstig und holt sich von der Mutter ein Glas Apfelsaft. Nach kurzer Zeit hört Elviras Mutter ein lautes Schreien im Garten. Elvira kommt ins Haus gerannt. Sie hat eine dicke Unterlippe. Die Mutter kann von Elvira noch erfahren, dass ein Insekt herumgeflogen sei und sich auf das Apfelsaftglas gesetzt habe. Plötzlich habe die Unterlippe heftig ge-schmerzt. Dann fängt Elvira an, sich überall zu kratzen und die Mutter entdeckt am gan-zen Körper rote Flecken.

Die Mutter ruft bei der Kinderärztin an und diese gibt die Anweisung, sofort in die nahe-gelegene Praxis zu kommen. Dort erhält Elvira ein Antihistaminikum und ein Kortison-präparat. Elvira wird mit dem Krankenwagen in die Kinderklinik gebracht. Die Symptome bilden sich zum Glück innerhalb der nächsten Stunden zurück. Elvira muss jedoch zur Sicherheit noch bis zum nächsten Tag bleiben.

9.1 Welche Insekten lösen in unseren Breiten Allergien aus? In Mitteleuropa kommen hauptsächlich die Honigbiene (Apis mellifica) und die Wespe (Gattung Vespula) als Auslöser von bedrohlichen Insektengiftallergien in Betracht. Aller-gieauslöser ist das jeweilige Insektengift. Zwischen Wespengift und Hornissengift können Kreuzallergien bestehen. Ebenso zwischen dem Gift der Bienen und Hummeln, wobei Hummelstiche sehr selten sind. Die Honigbiene hat einen behaarten Körper und braunen Hinterleib, der Körper der Wespe weist eine schwarzgelbe Bänderung auf. Die Zusam-mensetzung des Bienengifts ist auf der ganzen Erde dieselbe, das Wespengift kann auf verschiedenen Kontinenten unterschiedlich sein. In fremden Ländern kann es jedoch zu Kreuzreaktionen z.B. mit Ameisengift kommen.

Insektengifte bestehen aus unterschiedlichen Bestandteilen. Einige Substanzen setzen direkt Histamin frei und bewirken auch bei Nichtallergikern örtliche Reaktionen. Eiweiß-bestandteile sind für die eigentlichen allergischen Reaktionen verantwortlich.

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9. Insektengiftallergien

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Die Häufigkeit von Insektengiftallergien mit Allgemeinreaktionen (= Reaktionen, die von der Stichstelle entfernt auftreten) liegt zwischen 0,8% und 5%, und dürfte bei Kindern bei ca. 1% liegen. Verstärkte Lokalreaktionen (= örtliche Reaktionen im Bereich der Ein-stichstelle) sind mit 10 bis 20% wesentlich häufiger.

Andere Insekten wie Mücken, Bremsen und Schnaken können zwar auch starke, zum Teil über Tage anhaltende Schwellungen an der Einstichstelle verursachen. Dabei handelt es sich jedoch um eine von Person zu Person sehr unterschiedliche toxische Reaktion des Giftes, zum Teil sind auch immunologische Mechanismen beteiligt. Allergische Allgemein-reaktionen gegen diese Insekten sind extrem selten.

9.2 Welche Symptome können sich nach einem Insekten- stich zeigen? Die Reaktionen auf einen Insektenstich werden je nach Schweregrad eingeteilt in:

• Lokalreaktion An der Einstichstelle tritt eine Rötung oder Schwellung auf. Dies ist nach den meisten Insektenstichen der Fall und völlig normal.

• Verstärkte Lokalreaktion An der Einstichstelle entsteht eine erhebliche Rötung und Schwellung mit einem Durchmesser von mehr als 10 cm, die mehr als 24 Stunden anhält. Sie kann sich auf das ganze betroffene Körperglied ausdehnen und mit einer Infektion verwech-selt werden.

• Leichte bis mittelschwere Allgemeinreaktion Bei der leichten Allgemeinreaktion zeigen sich von der Einstichstelle entfernt Nes-selausschlag (Urtikaria), Gesichtsschwellung (Quincke-Ödem), Juckreiz, bei der mittelschweren Allgemeinreaktion zusätzlich Übelkeit oder leichte Atemnot. Kreis-laufprobleme bestehen jedoch nicht.

• Schwere Allgemeinreaktion Zusätzlich treten starke Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, Kreislaufkollaps bis zum Schock auf. Diese Zustände können lebensbedrohlich werden, Todesfälle sind bei Kindern jedoch extrem selten.

9.3 Welche Mechanismen spielen sich im Körper ab? Die überwiegende Anzahl der Allgemeinreaktionen sind echte allergische Reaktionen, das heißt es werden Allergieantikörpern gebildet, welche zur Freisetzung von körperei-genem Histamin und anderen Mittlersubstanzen der allergischen Reaktion mit zum Teil lebensbedrohlichen Reaktionen führen. Es lassen sich im Haut- oder Bluttest Allergieanti-körper gegen das jeweilige Insektengift nachweisen.

Toxische Reaktionen entstehen durch eine direkte Wirkung großer Mengen des Insek-tengiftes. Es wird geschätzt, dass bei einem Erwachsenen wohl mehr als 50 Stiche not-wendig sind, um eine toxische Allgemeinreaktion auszulösen. Ein Kleinkind kann jedoch schon bei einer erheblich geringen Anzahl reagieren. Gefährliche toxische Reaktionen sind selten. Bei toxischen Reaktionen lassen sich keine Allergieantikörper nachweisen.

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9. Insektengiftallergien

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9.4 Wie wird die Diagnose einer Insektengiftallergie ge- stellt? 1) Anamnese Für die Diagnosestellung sind für den Arzt folgende Angaben wichtig: In welchen Kör-perteil hat das Insekt gestochen? Bei Stichen im Kopf- oder Halsbereich ist das Risiko schwerer Reaktionen größer. In welchem zeitlichen Ablauf haben sich welche Symptome gezeigt? Wie hat das Insekt ausgesehen? Ist ein Stachel zurückgeblieben? Nach einem Bienenstich bleibt der Stachel meist in der Haut stecken, was jedoch kein absolut siche-res Unterscheidungsmerkmal zwischen Bienen- und Wespenstichen ist. Bienenstiche kommen besonders häufig im Frühjahr und Frühsommer vor, Wespenstiche im Sommer und Herbst.

2) Allergietestung Nach jeder leichten und schweren Allgemeinreaktion nach einem Bienen- oder Wespen-stich muss eine Allergietestung erfolgen. Durch eine allergische Reaktion werden die allergieauslösenden IgE-Antikörper verbraucht und können unmittelbar nach dem Ereig-nis unter Umständen nicht mehr nachgewiesen werden. Daher wird die Testung etwa vier Wochen nach dem letzten Stich durchgeführt. In der Zwischenzeit wird eine Notfallapo-theke (siehe unten) verordnet, um bei eventuellen erneut auftretenden Stichen sofort Gegenmaßnahmen treffen zu können. Mit Bluttests (RAST) und Hauttests (Pricktest, In-trakutantest) wird nach Allergieantikörpern gefahndet. Es muss geklärt werden, ob Aller-gieantikörper vorhanden und gegen welches Insekt sie gerichtet sind. Zusammen mit der Vorgeschichte wird dann das Risiko schwerer Reaktionen auf weitere Stiche abgeschätzt und die Therapie festgelegt. In besonderen Fällen führen manche Kliniken zur Risikoab-schätzung auch Provokationsstiche mit lebenden Insekten durch.

9.5 Was tun bei einer Insektengiftallergie? 1) Insektenstichen vorbeugen Folgende Maßnahmen sollten zur Vermeidung von Insektenstichen ergriffen werden:

Keine süßen Getränke und Speisen im Freien verzehren. Vor allem nicht aus einer Büchse trinken, in die leicht eine Biene oder Wespe unbemerkt hineinkriechen kann.

Im Freien nicht barfuss laufen (Bienen halten sich vor allem in Kleewiesen auf). Im Freien keine bunte Kleidung tragen (gelb ist besonders anziehend für Bienen). Körper möglichst bedeckt halten (langärmelige Bekleidung, geschlossene Schuhe). Sollte ein Insekt auftauchen, Ruhe bewahren. Das Schlagen nach dem Insekt fördert

seine Bereitschaft zum Stich, vor allem bei Wespen. Die Nähe von Abfalleimern und Bäumen mit Fallobst meiden (häufiger Aufenthaltsort

von Wespen). Auch Duftstoffe in Parfüms und anderen Kosmetika können Insekten anlocken. Schlafzimmerfenster tagsüber geschlossen halten oder Insektengitter anbringen.

2) Maßnahmen nach einem Insektenstich Allgemein: Eventuell verbliebenen Stachel mit einer Kratzbewegung entfernen. So-

fortige Kühlung kann eine Schwellung abmildern. Verstärkte Lokalreaktion: zusätzlich ein Antihistaminikum, evtl. ein Kortisonpräparat

einnehmen. Allgemeinreaktion: Kinder, die eine Allgemeinreaktion erlitten haben und keinen

bzw. noch keinen ausreichenden Schutz durch eine Hyposensibilisierung aufweisen, müs-sen während der Bienen- und Wespenzeit immer eine Notfallapotheke mit schriftlicher Dosierungsanweisung mit sich führen. Diese enthält ein Antihistaminikum (z.B. Zyrtec®), ein Kortisonpräparat (je nach Alter als Tablette, Saft oder Rectiole) und Adrenalin (ein die Bronchien erweiterndes und kreislaufstützendes Medikament in Spray- oder Spritzenform). Bei schweren Allgemeinreaktionen muss Adrenalin als Spritze verabreicht werden. Die Anwendung des Adrenalins muss geübt werden. Bei schweren

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9. Insektengiftallergien

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Symptomen den Notarzt rufen. Nach einer Allgemeinreaktion muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden. Anwendung der Notfallapotheke: • Besteht kein Schutz durch eine Hyposensibilisierung, wird die Notfallapotheke sofort nach einem erneuten Stich angewendet: zunächst das Antihistaminikum und das Korti-sonpräparat, bei schweren Allgemeinreaktionen zusätzlich Adrenalin als Spritze. • Besteht ein stabiler Schutz durch eine Hyposensibilisierung muss in der Regel keine Notfallapotheke mitgeführt werden.

3) Hyposensibilisierung Bei einer Hyposensibilisierung (siehe auch Kapitel 13) wird mit einer Erfolgsquote von über 90% das allergieauslösende Gift in steigender Dosis unter die Haut gespritzt, bis der Körper nach einer gewissen Zeit nicht mehr auf das Insektengift reagiert. Bei schweren Allgemeinreaktionen mit Nachweis von Allergieantikörpern ist dies die Therapiemethode der Wahl. Bei leichten bis mittelschweren Allgemeinreaktionen wird hyposensibilisiert, wenn zusätzliche Risikofaktoren wie eine Imkerei in der Umgebung vorliegen oder Prob-leme bei der Anwendung der Notfallapotheke bestehen. Die Dauer der Hyposensibilisie-rung beträgt 3 bis 5 Jahre. Bei Behandlungsbeginn während der Bienen- oder Wespensai-son wird die Hyposensibilisierung als Schnellhyposensibilisierung unter stationären Be-dingungen begonnen, um möglichst rasch eine schützende Wirkung zu erzielen. Danach wird die Behandlung ambulant weitergeführt. Je jünger ein Kind ist, desto besser ist je-doch die Chance, dass sich die Allergie wieder verflüchtigt. Bei Kindern mit leichten All-gemeinreaktionen wird daher in der Regel unter dem Schutz einer Notfallapotheke und jährlichen Kontrollen des Allergietests zunächst der weitere Verlauf abgewartet.

9.6 Zusammenfassung In Deutschland sind hauptsächlich Bienen und Wespen, nur selten Hummeln und Hornis-sen Auslöser von Insektengiftallergien. Eine Rötung und Schwellung im Bereich der Einstichstelle (Lokalreaktion) ist harmlos. Ist diese größer als 10 cm, liegt eine verstärkte Lokalreaktion vor. Gefährlich sind Allgemeinreaktionen in Form von Nesselausschlag, Gesichtsschwellungen, Atemnot und Kreislaufproblemen. Hier muss auf jeden Fall eine Allergiediagnostik erfolgen. Ist aufgrund der Vorgeschichte und der Allergietestung mit weiteren Allgemeinreaktionen zu rechnen, wird eine Notfallapotheke verordnet, um im Bedarfsfalle rasch handeln und Schockreaktionen abfangen zu können. Die Hyposensibili-sierung ist nach schweren Allgemeinreaktionen die Therapiemethode der Wahl. Je jünger ein Kind ist, desto besser ist jedoch die Chance, dass sich die Allergie wieder abschwächt. Bei Kindern mit leichten Allgemeinreaktionen wird daher in der Regel unter dem Schutz einer Notfallapotheke und jährlichen Kontrollen des Allergietests zunächst der weitere Verlauf abgewartet.

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10. Arzneimittelallergien

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10. Arzneimittelallergien 10.1 Welche Formen der Arzneimittelunverträglichkeit gibt es? 10.2 Arzneimittelbedingte Hautausschläge 10.3 Pseudoallergische Überempfindlichkeitsreaktionen 10.4 Wie diagnostiziert man Arzneimittelallergien? 10.5 Behandlung von Medikamentenallergien 10.6 Vorbeugung von Arzneimittelallergien 10.7 Zusammenfassung Dieses Kapitel informiert Sie über im Kindesalter wichtige Arzneimittelallergien und Arzneimittelunverträglichkeiten. Der dreijährige Michael muss wegen einer heftigen Mittelohrentzündung einen Amoxicillin-Saft einnehmen. Nach zwei Tagen geht es ihm bereits deutlich besser. Nach 1 Woche bemerkt Michaels Mutter einen Hautausschlag zunächst im Brustbereich, der sich innerhalb eines Tages auf den ganzen Körper ausbreitet. Michael kratzt sich gelegentlich, ansonsten geht es ihm gut. Die Mutter bringt Michael wieder zum Kinderarzt und ist besorgt, ob der Junge nicht eine Penicillinallergie entwickelt haben könnte. Michael wird gründlich untersucht. Der Kinderarzt kann die Mutter beruhigen. Es handle sich um einen sogenannten Amoxicillinausschlag, der sich in etwa 5 bis 10% aller Behandlungen mit diesem ansonsten sehr gut verträglichen Präparat entwickle. Der Ausschlag sei harmlos und habe mit einer ernstzunehmenden Penicillinallergie nichts zu tun.

10.1 Welche Formen der Arzneimittelunverträglichkeit gibt es? Der Überbegriff für sämtliche unerwünschte Reaktionen auf Arzneimittel ist die Arznei-mittelunverträglichkeit. Dahinter verbergen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Re-aktionen auf Medikamente mit verschiedenen klinischen Symptomen und unterschiedlich-en Ursachen und Mechanismen:

10.1.1 Arzneimittelallergie Eine Arzneimittelallergie ist eine Medikamentenüberempfindlichkeit, die durch eine überschießende Abwehrreaktion des Immunsystems verursacht wird. Ein klassisches Bei-spiel ist die Penicillinallergie vom Soforttyp mit Hautausschlag, Atemnot und Kreislauf-kollaps, welche aber bei Kindern zum Glück extrem selten ist. Voraussetzung für das Entstehen einer Medikamentenallergie ist eine allergische Reaktionsbereitschaft des Körpers.

10.1.2 Toxische Arzneimittelreaktion Unter einer toxischen Arzneimittelreaktion versteht man Nebenwirkungen, die bei einer Überdosierung eines Medikaments auftreten. Eine toxische Medikamentenreaktion ist bei entsprechender Dosierung praktisch bei jeder Person auszulösen. Ein Beispiel ist die Reizung der Magenschleimhaut durch Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin®).

10.1.3 Pseudoallergische Arzneimittelreaktion Unter dem Begriff pseudoallergische Arzneimittelreaktion werden die übrigen, nicht allergischen Überempfindlichkeitsreaktionen auf Medikamente zusammengefasst. Sie können in ihren Auswirkungen allergischen Reaktionen ähneln. Ein Beispiel ist die Über-

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10. Arzneimittelallergien

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empfindlichkeitsreaktion auf Acetylsalicylsäure mit Hautausschlag und Atemnot (Acetyl-salicylsäureintoleranz).

10.1.4 An welchen Organen kann sich eine Arzneimittelallergie und Arzneimittel- pseudoallergie abspielen? Eine Medikamentenüberempfindlichkeit in Form einer Allergie oder Pseudoallergie kann sich unabhängig vom auslösenden Mechanismus prinzipiell an allen Organen abspielen. Besonders häufig betroffen ist die Haut, bei schweren Allgemeinreaktionen reagieren meist die Bronchien und das Kreislaufsystem in Form von Atemnot und Kreislaufkollaps mit. Selten kommt zu einem Abbau von roten Blutkörperchen oder Blutplättchen oder zu anhaltendem Fieber, das erst abfällt, wenn das Medikament abgesetzt wird (Medi-kamentenfieber). Daneben können spezielle Überempfindlichkeitsreaktionen an Lunge, Leber und Niere ablaufen.

Im Folgenden werden einige im Kindes- und Jugendalter wichtige Medikamenten-Überempfindlichkeiten besprochen.

10.2 Arzneimittelbedingte Hautausschläge Die häufigste Ursache medikamentenbedingter Hautausschläge bei Kindern und Jugend-lichen sind Antibiotika.

10.2.1 Der Amoxicillinausschlag Was ist ein Amoxicillinausschlag? Der Amoxicillinausschlag ist einer der häufigsten medikamentenbedingten Hautaus-schläge im Kindesalter. Er tritt bei etwa 5 bis 10% der Personen auf, welche dieses Breitspektrumpenicillin einnehmen müssen. Bei Patienten mit Pfeifferschem Drüsenfieber, die Amoxicillin bekommen, zeigt er sich sogar in einer Häufigkeit von bis zu 90%. Er äußert sich meist in roten Flecken und kleinen roten Knötchen. Der Amoxicillinausschlag kann zwar eindrucksvoll aussehen und jucken, ist aber nicht gefährlich. Er entsteht durch das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Infektionserregern und dem Medikament. Amoxicillin ist z.B. in Amoxypen®, Amoxi-Wolff® u.a. enthalten. Die Diagnose wird durch die Anamnese, den Befund und den Verlauf gestellt. Einen zuverlässigen Haut- oder Bluttest gibt es hierfür nicht.

Darf man nach einem Amoxicillinausschlag kein Penicillin mehr einnehmen? Der Amoxicillinausschlag hat mit einer Penicillinallergie vom Soforttyp, welche lebens-bedrohliche Erscheinungen verursachen kann, nichts zu tun. Falls notwendig, kann die antibiotische Behandlung sogar fortgeführt werden. Bei starkem Juckreiz kann ein Antihistaminikum (z.B. Aerius®, Fenistil®, Telfast®, Xusal®) verabreicht werden. Wenn später einmal eine erneute Behandlung mit Amoxicillin erforderlich werden sollte, kann dieses Medikament wieder eingesetzt werden mit einem erneuten fünf- bis zehn-prozentigen Risiko eines Arzneimittelausschlags.

10.2.2 Arzneimittelausschläge anderer Ursache Weitere Auslöser von Arzneimittelausschlägen Neben dem häufigen Amoxicillinausschlag gibt es noch eine ganze Reihe anderer Medikamentenausschläge allergischer und nicht allergischer Art. Weitere Antibiotika wie Cotrimoxazol (z.B. Bactrim®, Cotrim-ratiopharm®, Eusaprim®) können die Ursache sein, ebenso Medikamente gegen Krampfanfälle wie Phenytoin (z.B. Phenhydan®, Zentropil®) oder Carbamazepin (z.B. Sirtal®, Tegretal®, Timonil®), außerdem noch viele andere innerlich einzunehmende Medikamente. Es können sich rote Flecken, Nesselausschlag, Knötchen oder Bläschen zeigen. Es gibt Ausschläge, die bei Einnahme des Medikaments immer an der selben Stelle auftreten (fixes Arzneimittelexanthem).

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10. Arzneimittelallergien

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Durch örtlich verabreichte Medikamente kann ein allergisches Kontaktekzem entstehen (siehe Kapitel 6.3). Wird eine allergische Reaktion an der Haut in Zusammenspiel mit Sonnenlicht ausgelöst, spricht man von einer photoallergischen Reaktion (siehe Kapitel 6.5.2).

Welche Arzneimittelausschläge sind gefährlich? Bei Kindern treten immer wieder Hautausschläge auf, wenn z.B. wegen einer Mittelohr-entzündung oder einer Lungenentzündung Antibiotika verabreicht werden. Die meisten dieser Hautreaktionen sind nicht gefährlich und werden entweder durch eine der Erkrankung zugrunde liegende Virusinfektion oder das Zusammenwirken von Virus-infektion und Antibiotikum hervorgerufen. Hautausschläge durch Medikamente gegen Krampfanfälle müssen ernster genommen werden. Immer wenn neben Hauter-scheinungen auch Symptome an anderen Organen wie Atemnot oder Kreislaufschwäche oder eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes auftauchen, sollten Sie rasch ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ebenso wenn sich an der Haut große Blasen bilden (Lyell-Syndrom).

10.3 Pseudoallergische Überempfindlichkeitsreaktionen Bei pseudoallergischen Überempfindlichkeitsreaktionen sind keine allergieauslösenden Antikörper nachweisbar. Sie können jedoch genauso bedrohlich werden wie echte allergische Reaktionen auf Medikamente.

10.3.1 Acetylsalicylsäureintoleranz Die siebenjährige Tina wacht am Morgen mit einem stark geschwollenen Gesicht auf. Am Abend zuvor hatte sie wegen Kopfschmerzen eine halbe Tablette Aspirin® eingenommen. Tinas Eltern erschrecken und bringen Tina, da es Wochenende ist, in die nahegelegene Kinderklinik. Dort wird Tina einen Tag stationär überwacht. Die Gesichtsschwellung bildet sich innerhalb einiger Stunden zurück, weitere Symptome treten nicht auf. Es wird die Verdachtsdiagnose einer Acetylsalicylsäureintoleranz gestellt. In 3 Wochen ist ein stationärer Belastungstest geplant.

Was ist eine Acetylsalicylsäureintoleranz? Die Acetylsalicylsäureintoleranz ist eine Form der pseudoallergischen Arzneimittelüber-empfindlichkeit ohne Beteiligung von allergieauslösenden Antikörpern. Weitere Beispiele sind Reaktionen auf Röntgenkontrastmittel oder Mittel zur örtlichen Betäubung. Die Acetylsalicylsäure ist eines der bekanntesten Schmerz Fieber- und Rheumamittel (z.B. Aspirin®, ASS-ratiopharm®, daneben in vielen Kombinationspräparaten enthalten).

Typischerweise kommt es zu einem Nesselausschlag, einer Gesichtsschwellung (Quincke-Ödem) und Atemnot. Besonders gefährdet sind Personen mit Asthma bronchiale, diese sollten daher grundsätzlich keine Acetylsalicylsäure einnehmen. Die Diagnose kann nur durch einen Belastungstest geklärt werden, Hauttests oder Bluttests sind hier nicht aussagekräftig. Die Symptome einer Acetylsalicylsäureintoleranz müssen mit Kortikoiden abgefangen werden, Antihistaminika sind bei dieser Form der Medikamentenüber-empfindlichkeit nicht sehr wirksam. Die Acetylsalicylsäure muss streng gemieden werden. Zu achten ist auch auf Kreuzreaktionen mit anderen Schmerz- und Rheumamitteln (den sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika).

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10.4 Wie diagnostiziert man Arzneimittelallergien? Entscheidend ist die sorgfältige Medikamentenanamnese. Welche Medikamente wurden verabreicht? Wann sind welche Symptome aufgetreten? Welche anderen Begleit-umstände haben vorgelegen?

Bei allergischen Sofortreaktionen ist der Nachweis von IgE-Allergieantikörpern im Bluttest (RAST) zur Zeit nur für Penicilline zuverlässig durchführbar. Ein Problem ist, nach dem richtigen Antikörper zu suchen. Oft ist nämlich nicht die Ursprungssubstanz für die Unverträglichkeitsreaktion verantwortlich, sondern Ab- und Umbauprodukte des Medikaments, die erst im Körper entstehen. Bei speziellen Fragestellungen können auch weiße Blutkörperchen im Labor mit dem Medikament in Kontakt gebracht und die Freisetzung von Histamin und anderer Mittlersubstanzen der allergischen Reaktion untersucht werden (Histamin-Freisetzungstest).

Hauttests in Form von Prick- und Intrakutantest zur Abklärung von Soforttypallergien sind bisher nur für Penicillin und örtliche Betäubungsmittel standardisiert. Ein negativer Hauttest schließt in diesen Fällen eine schwere Reaktion auf das Arzneimittel mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Ein positiver Test bedeutet jedoch nicht in jedem Fall, dass bei erneuter Medikamenteneinnahme eine schwere Reaktion eintritt. Medikamente, die Kontaktallergien auslösen, können mit dem Patch-Test ausgetestet werden. Bei einem klassischen Amoxicillinausschlag erübrigt sich eine weitere Testung.

In den meisten Fällen bleibt zur Klärung nur ein Provokationstest mit dem ange-schuldigten Medikament. Pseudoallergische Reaktionen können nur durch eine Provokation abgeklärt werden, da bei dieser Reaktionsform keine Antikörper im Blut gebildet werden, die nachgewiesen werden könnten. Der Einsatz von Provokationstests ist jedoch bei schweren Reaktionen in der Vorgeschichte gut zu überlegen und darf dann nur unter optimaler Überwachung geschehen.

10.5 Behandlung von Medikamentenallergien Das auslösende Medikament sowie eventuell chemisch verwandte Substanzen dürfen nicht mehr angewendet werden. Der Betroffene erhält einen Allergiepass, den er bei jeder Behandlung bei einem fremden Arzt vorlegen muss. Bei einem Medikamenten-ausschlag kann in leichten Fällen ein Antihistaminikum gegeben werden, bei schwereren Fällen ist eine Kortisongabe notwendig. Bei schweren Allgemeinreaktionen wie Asthma-anfall oder Kreislaufschock ist eine Notfalltherapie mit bronchialerweiternden und kreis-laufstabilisierenden Medikamenten erforderlich.

10.6 Vorbeugung von Arzneimittelallergien Medikamente sind in vielen Situationen lebensrettend und lebenserhaltend. Manche Medikamente können jedoch auch ernste Nebenwirkungen verursachen. Man muss sich daher immer auch fragen, ob bei leichteren Störungen unbedingt ein Medikament einge-setzt werden muss, z.B. bei Fieber, welches das Kind nicht oder nur wenig beeinträchtigt.

Auf der anderen Seite darf durch eine übertriebene Ablehnung von Medikamenten eine notwendige Behandlung nicht versäumt werden, beispielsweise die Behandlung von Krampfanfällen oder einer Lungenentzündung. Der kompromisslose Verweis auf Natur-heilmittel hilft auch nicht unbedingt weiter: auch Naturheilmittel können starke Allergie-auslöser sein wie beispielsweise bestimmte Kamillearten.

Wichtig zu wissen ist auch, dass das Allergierisiko in Abhängigkeit von der Verab-reichungsform eines Medikaments unterschiedlich ist. Das geringste Risiko besteht bei der innerlichen Einnahme als Tablette, Saft oder Tropfen. Es steigt über die Verab-reichung in die Vene (intravenös), in die Muskulatur (intramuskulär), in und unter die Haut (intrakutan und subkutan) bis zur örtlichen Anwendung stetig an. Bei der örtlichen

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10. Arzneimittelallergien

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Anwendung muss daher besonders kritisch darauf geachtet werden, ob ein Medikament ein hohes Sensibilisierungsrisiko beinhaltet; bestimmte Penicilline und Sulfonamide sollen beispielsweise aus diesem Grund nicht örtlich eingesetzt werden. Man weicht daher bei Hautinfektionen entweder auf andere desinfizierende oder keimabtötende Substanzen aus oder führt eine innerliche Behandlung durch.

10.7 Zusammenfassung Bei Kindern und Jugendlichen kommen die meisten Überempfindlichkeitsreaktionen auf Medikamente in Form von Hautausschlägen während einer antibiotischen Behand-lung vor. Der häufigste Auslöser ist das Amoxicillin. Diese Hautausschläge sind jedoch meist harmlos und zwingen nicht unbedingt zum Absetzen des Medikaments. Treten jedoch Allgemeinsymptome wie Atemnot, Kreislaufschwäche, eine deutliche Verschlech-terung des Allgemeinzustandes oder eine Blasenbildung an der Haut auf, muss rasch ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Besonders für Asthmatiker bedeutsam ist die Acetylsalicylsäureintoleranz. Nach Einnahme von Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin®) kommt es hierbei zu Nesselausschlag, Gesichtsschwellung und Atemnot. Asthmatiker sollten daher generell keine Acetylsalicylsäure einnehmen. Für die meisten Medikamente gibt es leider keine zuverlässigen Blut- oder Hauttests zur Allergietestung, sodass im Zweifelsfall ein Provokationstest durchgeführt werden muss.

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11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen

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11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen

11.1 Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom 11.2 Kopfschmerzen 11.3 Chronisches Müdigkeitssyndrom 11.4 Zusammenfassung Es gibt einige Erkrankungen, als deren Ursache auch allergische Auslöser vermutet werden. Oft handelt es sich dabei um Erkrankungen, für welche eine Vielzahl unter-schiedlicher Ursachen in Frage kommen. Daher ist es oft sehr schwierig, dem eigentlich-en Auslöser auf die Spur zu kommen.

11.1 Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS)

11.1.1 Wie äußert sich ein ADHS? Beim Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, auch hyperkinetisches Syndrom genannt, bestehen folgende Leitsymptome:

• Aufmerksamkeitsstörung (Unkonzentriertheit, leichte Ablenkbarkeit) • Impulsivität (platzt leicht heraus, kann nicht warten) • mit oder ohne Hyperaktivität (motorische Unruhe).

11.1.2 Was sind die Ursachen des ADHS? Nach heutiger Ansicht besteht die Hauptursache in einer anlagebedingten Störung im Stoffwechsel von Botenstoffen (Neurotransmittern) im Frontalhirn, was eine Störung der Selbstregulation und motorische Hyperaktivität zur Folge hat.

11.1.3 Versuche zur Beeinflussung des ADHS über die Nahrung Feingold-Diät In den 70-iger Jahren wurden in den USA von Feingold Farb- und Konservierungsstoffe in der Nahrung als Ursache des hyperkinetischen Syndroms angeschuldigt. Die zur Therapie eingesetzte Feingold-Diät ohne Farb- und Konservierungsstoffe fand weite Verbreitung, obwohl von Feingold selbst keine kontrollierten Studien zum Beweis seiner Theorie durch-geführt worden sind. Später veranlasste kontrollierte Studien konnten den von Feingold vermuteten Zusammenhang nicht bestätigen. Nur einige wenige Patienten zeigten eine Besserung.

Phosphatarme Diät Ein weiterer Versuch, hyperkinetisches Verhalten über eine Diät zu beeinflussen, war die Propagierung der sogenannten phosphatarmen Diät. Dahinter steckte der Gedanke, dass hyperkinetisches Verhalten durch einen zu hohen Phosphatgehalt in der Nahrung ausgelöst würde. Auch diese Theorie konnte in kontrollierten Studien (z.B. der Mainzer Studie) nicht bestätigt werden. Eine extrem phosphatarme Diät führt zu Mangelerscheinungen. Die Regulationsfähigkeit des Darmes ist jedoch enorm. Bei einer eingeschränkt phosphatarmen Diät kann der Darm die Phosphataufnahme beträchtlich steigern, sodass die effektive Phosphataufnahme gleich bleibt.

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11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen

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"Zuckerallergie" Ähnliche Symptome wie beim hyperkinetischen Syndrom wurden einer "Zuckerallergie" zugeschrieben. Auch diese Vermutung konnte in kontrollierten Studien nicht bestätigt werden. Unterzuckerungszustände können Schweißausbrüche, Zittrigkeit und Schläfrig-keit bis zum Koma auslösen. Sie können im Rahmen von verschiedenen Stoffwechsel-erkrankungen auftreten, haben aber mit einer Zuckerallergie nichts zu tun.

Oligoantigene Diät Eine oligoantigene Diät ist eine in ihrem Allergengehalt reduzierte Diät, bei der im Einzelfall ganz unterschiedliche Nahrungsmittel aus der Nahrung entfernt werden. Sie hat in einzelnen Untersuchungen bei einer gewissen Anzahl von Kindern zu einer Besserung hyperkinetischer Symptome sowie Kopfschmerzen geführt.

Es werden dabei entweder nach Symptomtagebuch und/oder Allergietestungen als symptomauslösend vermutete Nahrungsmittel wie Milch, Ei und andere aus der Nahrung weggelassen. Ohne gezielte Hinweise auf einen bestimmten Auslöser wird mit einer oligo-antigenen Basisdiät begonnen und vorsichtig Schritt für Schritt ein Nahrungsmittel nach dem anderen wieder eingeführt, bis Symptome auftreten.

Die hauptsächlichen Nahrungsmittel, auf welche die Kinder in einer dieser Unter-suchungen reagiert haben, waren (in absteigender Häufigkeit aufgeführt): Farb- und Konservierungsstoffe, Kuhmilch, Schokolade, Trauben, Weizen, Zitrusfrüchte, Käse, Ei, Erdnüsse, Mais, Fisch, Hafer, Melonen und Tomaten.

Die Mechanismen, wie diese Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusätze sich auf das Verhalten auswirken sollen, sind weitgehend ungeklärt. Neben allergischen Mechanismen mit einer Beteiligung des Immunsystems können eine ganze Reihe anderer Ursachen eine Rolle spielen: pseudoallergische Reaktionen, Enzymdefekte mit einer gestörten Weiter-verarbeitung bestimmter Nahrungsmittel, Einflüsse auf den Stoffwechsel der Boten-substanzen der Gehirnzellen und andere. Daneben sind auch psychologische Faktoren z.B. über eine vermehrte Zuwendung zum Kind bei der Durchführung der Diät zu disku-tieren.

Die Behandlung mit einer oligoantigenen Diät ist äußerst aufwendig, kostspielig und sozial einschneidend. Am Anfang kann ein Krankenhausaufenthalt erforderlich sein und je nach Diätform kann unter Umständen praktisch keine normale Nahrung mehr gegessen werden. Hier besteht bei einer extrem einseitigen Diät natürlich auch die Gefahr einer Mangelernährung. Zusammenfassend lässt nach den vorliegenden Forschungsergebnissen sagen, dass nur ein ganz geringer Teil von Kindern mit ADHS auf eine oligoantigene Diät ange-sprochen hat und nicht klar ist, ob die Diät oder die strukturierte Zuwendung die Verhaltensbesserung hervorgerufen hat. Für die allermeisten Kinder mit ADHS ist daher von einer Diät keine Besserung zu erwarten.

11.2 Kopfschmerzen Kopfschmerzen sind bei Kindern und Erwachsenen ein häufiges Symptom. Sie treten am häufigsten als Spannungskopfschmerzen oder als Migräne auf. Die Migräne zeigt sich typischerweise als einseitiger Kopfschmerz, verbunden mit Übelkeit, Erbrechen und Licht-scheu.

Allergien der oberen Atemwege können über eine Anschwellung der Schleimhäute der Nasennebenhöhlen (z.B. bei einem Dauerschnupfen bei einer Hausstaubmilbenallergie oder einem Heuschnupfen) Kopfschmerzen verursachen. Jedoch auch bei der Asthma-behandlung eingesetzte Medikamente wie Theophyllin oder Beta-Mimetika sind in der Lage, Kopfschmerzen auszulösen.

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11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen

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Bei der Migräne ist gesichert, dass über pseudoallergische Mechanismen auch biogene Amine (u.a. Histamin, Serotonin und Tyramin) z.B. in Thunfisch, Wein, Schokolade oder Käse als Auslöser eine Rolle spielen können (siehe auch Kapitel 7.11).

11.3 Chronisches Müdigkeitssyndrom Auch chronische Müdigkeit und Abgeschlagenheit wurde allergischen Auslösern zuge-schrieben. Ohne Zweifel kann bei verschiedenen allergischen Erkrankungen das Allgemeinbefinden reduziert sein oder durch eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus eine Erschöpfung eintreten. Ebenso können zur Behandlung allergischer Erkrankungen verwendete Medikamente (z.B. Antihistaminika der älteren Generation) Müdigkeit verursachen. Es liegen jedoch keine Hinweise dafür vor, dass diese Symptome primär allergisch bedingt sind, exakte Studien sind hierzu nicht durchgeführt worden. Gesichert sind hingegen Zusammenhänge mit bestimmten Virusinfektionen wie dem EBV-Virus und HSV6-Virus.

11.4 Zusammenfassung Zur Behandlung des Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS) wurden verschiedene Diätformen propagiert (Feingold-Diät ohne Farb- und Konser-vierungsstoffe, phosphatarme Diät, zuckerfreie Diät), die in kontrollierten Studien bei der überwiegenden Anzahl der betroffenen Kinder ihre Wirksamkeit nicht unter Beweis stellen konnten. Auch auf die sogenannte oligoantigene Diät reagiert nur ein sehr kleiner Prozentsatz von Kindern mit ADHS, wobei umstritten ist, wie diese Therapieeffekte zustande kommen.

Bei Migräne-Kopfschmerzen können biogene Amine (z.B. in Käse) über pseudoaller-gische Mechanismen als Auslöser beteiligt sein.

Es gibt keine Hinweise dafür, dass das chronische Müdigkeitssyndrom primär aller-gisch ausgelöst wird.

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12. Allergieauslöser näher betrachtet

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12. Allergieauslöser näher betrachtet 12.1 Pollen 12.2 Milben 12.3 Tiere 12.4 Schimmelpilze 12.5 Sonstige In Kapitel 1 haben Sie einen Überblick über die häufigsten Allergieauslöser (= Allergene) bekommen, in Kapitel 7 konnten Sie sich über Nahrungsmittelallergene informieren. In diesem Kapitel sollen Pollen, Milben, Tiere, Schimmelpilze, Ficus und Latex näher be-sprochen werden. Sie werden erfahren, wo diese Allergene häufig anzutreffen sind, welche Eigenschaften sie haben und wie man sich vor ihnen schützen kann.

12.1 Pollen 12.1.1 Was sind Pollen? Pollen (= Blütenstaub) sind bei höheren Pflanzen die Träger des männlichen Erbguts. Sie können jahreszeitlich wechselnde Beschwerden wie Heuschnupfen (siehe Kapitel 4.4), allergische Bindehautentzündung (siehe Kapitel 8.1), Asthma bronchiale (siehe

Kapitel 5.4) sowie Schübe einer Neurodermitis (siehe Kapitel 6.2) auslösen. Der Blütenstaub wird nicht nur von den Bienen transportiert, sondern auch durch den Wind aufgewirbelt und unter Umständen kilometerweit durch die Luft getragen. Windbestäubte Pflanzen müssen zur optimalen Pflanzenvermehrung große Pollenmengen produzieren, welche sich gleichmäßig in der Luft verteilen und möglichst lange schweben können müssen. Die Pollenzahlen sind enorm: Eine Roggenähre enthält etwa 4,2 Millionen Pollen-körner, ein Haselnussstrauch ungefähr 600 Millionen. Bis zu einer Höhe von 1000 Metern sind Pollen regelmäßig anzutreffen, in 5000 Metern Höhe praktisch nicht mehr.

Abbildung 12-1: Verschiedene Pollenkörner unter dem Elektronenmikroskop (Wegerichpolle, Birkenpolle, Roggenpolle)

Die Pollenkörner haben meist rundliche oder ovale Formen (siehe Abbildung 12-1) und besitzen zum Schutz des Erbguts zwei Hüllen. Allergieauslösend sind Eiweißbestandteile im Inneren der Pollenkörner, welche nach einem Kontakt mit den Schleimhäuten von Nase oder Auge freigesetzt werden. Umweltschadstoffe wie Dieselruß können Pollen "klebriger" machen und die Freisetzung des allergenen Materials aus dem Inneren der Pollen fördern. Die meisten Pollen haben eine Größe zwischen 8 und 100µm. Ab einer Größe von über 10 µm werden sie (bei Nasenatmung!) zum größten Teil in der Nase abgefangen und gelangen nicht mehr in die Bronchien.

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12.1.2 Wann ist der Pollenflug am stärksten? • Jahreszeitliche Schwankungen Der Pollenflug zeigt von Pflanze zu Pflanze unterschiedliche jahreszeitliche Schwankung-en, welche Pollenflugkalendern (siehe Abbildung 12-2) entnommen werden können. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es von Jahr zu Jahr gewisse Verschiebungen in der Blütezeit geben kann. Davon sind vor allem frühblühende Bäume wie die Erle betroffen. Hingegen ist die Blütezeit der Wiesengräser recht konstant. Ebenso sind regionale Unterschiede durch das Vorherrschen unterschiedlicher Pflanzenarten in ver-schiedenen geographischen Regionen zu beachten. Ein aktuellerer Zustandsbericht als aus dem Pollenflugkalender kann über die Pollenwarndienste erhalten werden: per Telefon, Radio, Fernsehen, Internet oder in Tageszeitungen abgedruckte Meldungen. Die Pollen werden für diese Pollenflugberichte in sogenannten Pollenfallen gesammelt und ge-zählt.

Starker Pollenflug ist bei warmem, trockenem Wetter mit leichten bis mäßigen Winden sowie kurz vor einem Regen zu erwarten. Pollenarm ist die Luft bei Windstille, kaltem und regnerischem Wetter.

• Tageszeitliche Schwankungen Bei den tageszeitlichen Schwankungen gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. In Großstadtgebieten bestehen meist hohe Pollenkonzentrationen tagsüber mit Spitzen am Abend und in der ersten Nachthälfte sowie einem Tiefpunkt in den frühen Morgen-stunden. Auf dem Land sind vor allem in Wiesengebieten die höchsten Pollenkonzentrat-ionen tagsüber und nachts mit einem Abfall am Abend zu erwarten.

Abbildung 12-2: Pollenflugkalender

Starke Allergenbelastung Mässige Allergenbelastung

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12.1.3 Welche allergologische Bedeutung haben die verschiedenen Pollenarten? Die allergologische Bedeutung der einzelnen Pollenarten ist sehr unterschiedlich. Durch ähnliche Strukturen im allergieauslösenden Eiweißmaterial kann es zu Kreuzallergien zwischen verschiedenen Pollen kommen. Kreuzallergie bedeutet, dass man nicht nur auf das Allergen, das zur Sensibilisierung geführt hat, allergisch reagiert, sondern auch auf andere Allergene mit ähnlichem Aufbau. Dies gilt sowohl innerhalb einer Pflanzenfamilie, z.B. verschiedenen Gräsern, als auch zwischen unterschiedlichen Pflanzenfamilien, z.B. zwischen Kräuterpollen und Gewürzen oder Pollen und Obst. Es können drei Hauptquellen von Pollen mit verschiedenen Flugzeiten unterschieden werden:

• Bäume, welche hauptsächlich im Frühjahr blühen (sogenannte Frühblüher) • Gräser und Getreide mit Blütezeit im Sommer (Mittelblüher) und • Kräuter mit Blütezeit im Sommer und Frühherbst (Spätblüher).

Bäume Die allergologisch bedeutungsvollsten Bäume in Mitteleuropa sind:

• Birke: Hauptblütezeit April und Mai, wichtigstes Baumpollenallergien von großer Aggressivität, häufig Kreuzallergie mit Erle und Hasel.

• Erle (Schwarzerle, Grauerle): Hauptblütezeit Februar und März mit starken Schwankungen, aggressives Allergen, meist Kreuzallergie mit Birke und Hasel.

• Haselnuss: Hauptblütezeit Februar und März, aggressives Allergen, häufig Kreuzallergie mit Birke und Hasel, verwandt mit der Hainbuche, deren Pollen jedoch eine geringe Aggressivität be-sitzen.

Nadelbäume lösen trotz großer Pollenmengen nur selten allergische Reaktionen aus, da ihre Pollen sehr groß sind und nicht inhaliert werden.

Gräser- und Getreidepollen Gräser- und Getreidepollen haben eine hohe Kreuzallergierate durch ähnliche Antigen-strukturen und werden daher gemeinsam besprochen. Die wichtigsten Arten sind:

• Roggenpollen: Hauptblütezeit Mai und Juni, sehr aggressives Allergen, werden in großen Mengen über weite Entfernungen verbreitet, Kreuzallergien mit allen anderen Gräsern.

• Wiesengräser: In Mitteleuropa am wichtigsten: Wiesenlieschgras, Knäuelgras, Wiesenrispengras, Glatthafer, Wiesenschwingel und Wiesenfuchsschwanzgras, Hauptblütezeit Mai bis August, sehr große allergene Bedeutung, hohe Kreuzallergierate zwischen den einzelnen Gräsern.

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Kräuter Die allergologisch wichtigsten Kräuter sind:

• Beifuß: Hauptblütezeit August und September, viermal aggressiver als Gräserpollen, häufig Kreuzallergien mit Nahrungsmitteln (Sellerie und Gewürze)! Kreuzallergie mit dem Traubenkraut (= Ragweed), einem sehr aggressiven Aller-gen, das z.B. in den USA große Probleme macht.

• Wegerich: Blütezeit von Mai bis Oktober, nicht sehr aggressives Allergen, verursacht jedoch Beschwerden über den ganzen Sommer.

12.1.4 Kreuzallergien mit Nahrungsmitteln Zwischen Pollen und Nahrungsmitteln kann eine Vielzahl von Kreuzallergien bestehen. Die wichtigsten sind:

Birkenpollen: mit Äpfeln, Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen, Zwetschgen und Kartoffeln. Birken- und Haselpollen: mit Haselnüssen, Mandeln, roher Sellerie, rohen Karotten. Beifußpollen: mit Sellerie und anderen Gewürzen, Karotten und anderen Gemüsen. Gräser- und Getreidepollen: mit Hülsenfrüchten, Getreide und Tomaten.

12.1.5 Ratschläge für Pollenallergiker Eine vollständige Vermeidung des Pollenkontaktes ist für den Pollenallergiker natürlich unmöglich, da Pollen kilometerweit durch die Luft getragen werden und somit praktisch allgegenwärtig sind. Da sich etwa ein Drittel der außerhäuslichen Pollenkonzentration auch im Haus findet und auch einmal gelüftet werden muss, nützt es auch nichts, nur den ganzen Tag zu Hause zu sitzen. Dies gilt vor allem auch für Kinder mit ihrem enormen Bewegungsdrang. Es gibt jedoch einige wichtige Regeln, die den Pollenkontakt einzuschränken imstande sind:

Maßnahmen zur Reduktion des Pollenkontaktes

Informieren Sie sich über den zu erwartenden Pollenflug durch Pollenflug-Kalender, Pollenflug-Vorhersage per Telefon (Generalansage Tel. 0190/115480), Zeitung, Rundfunk, Fernsehen oder Internet.

Starker Pollenflug ist bei warmem, trockenem Wetter mit leichten bis mäßigen Win-den sowie kurz vor einem Regen zu erwarten. Pollenarm ist die Luft bei Windstille, kaltem und regnerischem Wetter.

Wohnung bei starkem Pollenflug nur kurz lüften. Schlafzimmerfenster nachts ge-schlossen halten. In der Regel empfiehlt es sich, ausgedehntes Lüften in der Stadt in die frühen Morgenstunden, auf dem Land in die Abendstunden zu verlegen (siehe oben).

Je nach individuellem Auslöser z.B. blühende Wiesen oder Birkenwälder meiden.

Eine Sonnenbrille kann einen Teil der Pollen von den Augen fernhalten.

Nach Aufenthalt im Freien am Abend Haare waschen. Pollen, die sich in den Haaren festgesetzt haben, werden sonst an das Kopfkissen abgegeben und während des Schlafens eingeatmet. Bei allergischer Bindehautentzündung Augen mit klarem Was-ser ausspülen.

Kleidung, die im Freien getragen wurde, nicht im Schlafbereich lagern.

Wäsche nicht im Freien trocknen.

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Andere Reizfaktoren wie Rauchen (auch Passivrauchen!) ausschalten.

Beim Autofahren Autofenster geschlossen halten. Gute Pollenfilter sind effektiv, müs-sen aber regelmäßig gewartet werden.

Im Urlaub kann der Pollenkontakt durch einen Aufenthalt in einem Gebiet mit ander-er Vegetation, im Hochgebirge ab 1500 bis 2000 m oder am Meer reduziert werden. Informationen hierzu liefern spezielle Urlaubs-Pollenflugkalender.

Bestehen Kreuzallergien zu Nahrungsmitteln wie Obst, Nüssen oder Gewürzen sollte der Verzehr dieser Nahrungsmittel während der Pollenzeit eingeschränkt werden.

Weitere Behandlungsmaßnahmen bei Pollenallergien

• Die medikamentöse Behandlung des Heuschnupfens erfolgt zunächst über die örtliche Verabreichung von antiallergischen Augentropfen und Nasenspray. Bei stärkeren Beschwerden werden Antihistaminika eingenommen (siehe Kapitel 4.4). Bei Pollen-Asthma muss die Inhalations-Behandlung in der Pollenzeit meist intensiviert werden.

• Bei ausgeprägten und anhaltenden Symptomen sollte eine Hyposensibilisierung durchgeführt werden. Sie ist die derzeit längerfristig wirksamste Therapieform (siehe Kapitel 13).

12.1.6 Zusammenfassung Pollen (=Blütenstaub) sind bei höheren Pflanzen die Träger des männlichen Erbguts und werden vom Wind kilometerweit durch die Luft getragen. Sie haben eine Größe von 8 bis 100 µm und meist eine rundliche oder ovale Form. Das allergieauslösende Material befindet sich im Inneren der Pollen. Pollen können vor allem Heuschnupfen und ein allergisches Asthma bronchiale auslösen, daneben auch zu einer Ekzemverschlechterung bei Neurodermitis führen. Die wichtigsten Pollenquellen sind Bäume, Gräser und Getreide sowie Kräuter. Es können Kreuzallergien zu Obst und Gewürzen bestehen. Der Pollenflug unterliegt tages- und jahreszeitlichen Schwankungen. Die Hauptpollenflugzeiten können Pollenflugkalendern oder den Pollenwarndiensten entnommen werden. Durch ent-sprechende Vorsichtsmaßnahmen kann man den Pollenkontakt zwar nicht ganz aus-schalten, jedoch zumindest reduzieren.

12.2 Milben 12.2.1 Was sind Milben? Milben sind mikroskopisch kleine Lebewesen von 0,1 bis 0,5 mm Größe, welche weltweit verbreitet sind (siehe Abbildung 12-3). Milben gibt es in mehr oder weniger großer Anzahl weltweit in jedem Haushalt außer im Hochgebirge, im arktischen Raum und in Wüsten. Nicht die Milben selbst lösen Allergien aus, sondern Eiweißbestandteile im Milbenkot, der mit dem Hausstaub verbreitet wird. Die allergologisch wichtigsten Milben-arten sind die Hausstaubmilben (Dermatophagoides pteronyssinus und Dermato-phagoides farinae), in geringerer Zahl kommen auch Vorratsmilben und Raubmilben vor. Die Milben ernähren sich von organischem Material wie menschlichen Hautschuppen, daneben auch von tierischen Hautschuppen, Schimmelpilzen oder Mehlprodukten. Milben können Dauerschnupfen (siehe Kapitel 4.5) und Asthma (siehe Kapitel 5.4) auslösen sowie eine Neurodermitis (siehe Kapitel 6.2) verschlechtern.

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Abbildung 12-3: Milbe unter dem Elektronenmikroskop

12.2.2 Wo fühlen sich Milben wohl? Da sich die Milben hauptsächlich von Hautschuppen ernähren, finden sich die meisten Milben daher im Bett in der Matratze. Außerhalb der Schlafräume sind Polstermöbel der Hauptaufenthaltsort. Tierhaltung in der Wohnung fördert das Milbenwachstum.

Eine unabdingbare Voraussetzung für ihr Gedeihen ist eine Luftfeuchtigkeit von über 60%. Milben lieben Temperaturen zwischen 20 und 30° Celsius. Daher ist das Vorkom-men der Milben örtlichen und saisonalen Schwankungen unterworfen. Die Hauptver-mehrungszeit der Milben ist der Sommer. Dennoch erreichen die durch eine Milben-allergie hervorgerufenen Beschwerden im Herbst den Höhepunkt, weil sich zu dieser Zeit viel Milbenkot angesammelt hat.

Da beim Beheizen der Räume der Luft Feuchtigkeit entzogen wird, die relative Luft-feuchtigkeit also sinkt, nimmt die Milbenzahl bei kalten Außentemperaturen in beheizten Räumen ab. Kurzfristige Trockenperioden können überlebt werden, jedoch nicht eine Luftfeuchtigkeit unter 45%. Bei Außentemperaturen unter 2° Celsius wird dieser Wert unterschritten. Das ist auch der Grund dafür, dass die Zahl der Hausstaubmilben ab einer Höhe über 1000 Metern deutlich abnimmt; ab 1500 Metern sind keine Milben mehr in Wohntextilien nachweisbar, sie überleben die strengen und langen Winter nicht.

12.2.3 Haben Energiesparmaßnahmen und die Heizung einen Einfluss auf das Milbenwachstum? Energiesparmaßnahmen in Wohnhäusern haben in den letzten Jahren zu einem Anstieg der Luftfeuchtigkeit in den Wohnbereichen geführt. Luftdicht abschließende Fenster lassen in geschlossenem Zustand keinen Luftwechsel mit der Außenluft zu. Das führt bei unzureichender Lüftungshäufigkeit neben einer höheren Luftschadstoffbelastung auch zu einem Anstieg der Luftfeuchtigkeit im Innenbereich. Auch die Heizungsart beeinflusst das Gedeihen der Milben. Je gleichmäßiger die Temperaturverteilung im Raum, desto weniger wird die relative Luftfeuchtigkeit von 60% überschritten. Dies ist beispielsweise bei Fuß-bodenheizungen der Fall, vor allem Teppichböden sind bei dieser Heizungsart praktisch milbenfrei.

12.2.4 Kann man die "persönliche" Milbenbelastung in der eigenen Wohnung fest- stellen? Inzwischen wurden relativ einfach zu handhabende Testverfahren entwickelt, mit welchen die Milbenbelastung in der eigenen Wohnung ermittelt werden kann. Beim Acarex®-Test wird der gesammelte Hausstaub mit einer Testlösung vermischt und anschließend ein Teststreifen eingetaucht. Bei Milbenbefall reagiert der Teststreifen mit den Eiweißbe-

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standteilen im Milbenkot und antwortet mit einer Farbreaktion. Beim Bio-Check Allergen Control®-Test werden die Allergene im Milbenkot ebenfalls durch eine Farbreaktion ange-zeigt.

12.2.5 Ratschläge für Hausstaubmilben-Allergiker Maßnahmen zur Reduktion der Milbenbelastung

Die wirksamsten Ansätze zur Milbenbekämpfung sind die Herabsetzung der Luft-feuchtigkeit und die Unterbindung der Nahrungszufuhr für die Milben. Es muss nicht sofort die ganze Wohnung saniert werden. Am wichtigsten sind die Sanierung des Bettes und des Schlaf- bzw. Kinderzimmers. Gehen Sie daher in folgender Reihenfolge vor:

1) Bett • Die möglichst neue Matratze sollte einen milbenallergendichten Überzug (En-

casing) erhalten. Diese Überzüge verhindern, dass Hautschuppen als Nahrung für die Milben in die Matratze gelangen und Milben sowie Milbenkot aus der Matratze austreten können. Es gibt bei diesen Überzügen deutliche Qualitätsunterschiede, lassen Sie sich diesbezüglich von Ihrem Arzt beraten. Das Material einer derart eingehüllten Matratze spielt eine untergeordnete Rolle, Tierhaare sollte sie allerdings nicht enthalten.

• Zur besseren Durchlüftung Bettgestell mit Füßen ohne Bettkasten unter der Matratze verwenden. Stockbetten sind ungünstig.

• Bettdecke und Kopfkissen sollten voll waschbar sein und zumindest alle 3 Monate bei mindestens 60°C gewaschen werden, der Bettbezug aus Baumwolle wöchentlich. Noch besser sind auch hier milbenallergendichte Überzüge, die ebenfalls zwei- bis dreimal im Jahr gewaschen werden müssen.

• Morgens das Bettzeug gut auslüften, damit die nachts aufgenommene Feuchtig-keit wieder abgegeben werden kann.

• Alle Betten in einem Raum, in dem ein Milbenallergiker schläft, müssen saniert werden.

• Auch Kuscheltiere, deren Anzahl möglichst gering zu halten ist, müssen regelmäßig bei mindestens 60°C gewaschen werden. Falls dies nicht möglich ist, können sie vorher für 1-2 Tage zur Milbenabtötung in die Tiefkühltruhe gelegt und anschließend mit niedrigerer Temperatur gewaschen werden.

2) Schlaf- bzw. Kinderzimmer • Die Räume müssen gut durchlüftet werden, vor allem in neueren, gut isolierten

Häusern: am besten 3-4mal täglich für 5-10 Minuten stoßlüften. Die Luftfeuchtig-keit sollte bei 45-55% liegen.

• Teppichböden sind ungünstig, da sie nicht dauerhaft milbenfrei zu halten sind. Besser sind wischbare Böden (z.B. Parkett, Linoleum, Steinböden).

• Bei der Zimmerreinigung möglichst wenig Staub aufwirbeln: mit leicht feuchtem Tuch Staub wischen, Fußböden feucht wischen bzw. Staubsauger mit hoher Saug-leistung und Feinporenfilter verwenden.

• Staubfänger wie offene Regale oder schwere Vorhänge meiden.

• Keine Pflanzen im Schlafzimmer aufstellen (erhöhen Luftfeuchtigkeit und Schim-melpilzbelastung).

• Keine Haustiere halten (liefern zusätzliche Nahrung für Milben, wirbeln Staub auf und können allergieauslösend wirken).

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3) Übrige Wohnung • Bei hochgradiger Allergie Ausdehnung der o.g. Maßnahmen auf die ganze

Wohnung.

• Polstermöbel mit abwischbaren Bezügen verwenden. Ledermöbel enthalten praktisch keine Milben.

• Rauchen sollte in der Wohnung unterbleiben.

4) Sonstiges • Urlaubsreisen: Ab 1000 m Höhe nimmt die Milbenzahl in unseren Breiten deutlich

ab. In feuchten Gebieten (z.B. Nord- oder Ostsee) auf ganzjährig bewirtschaftete bzw. milbensanierte Objekte zurückgreifen oder die eigenen milbenallergendichten Überzüge mitnehmen.

• Milbenabtötende Mittel erreichen nur die Oberflächen von Matratzen, Polster-möbeln oder Teppichen. Sie werden von den meisten Kinderallergologen nicht em-pfohlen.

• In Zweifelsfällen kann die individuelle Milbenallergenbelastung in der Wohnung orientierend mit einfachen Tests (z.B. dem Acarex®-Test oder Bio-Check Allergen Control®-Test) bestimmt werden.

Weitere Behandlungsmaßnahmen bei Milbenallergien Weitere Behandlungsmaßnahmen sind von der jeweiligen Erkrankung abhängig und werden in den Kapiteln 4,5 und 6 besprochen.

12.2.6 Zusammenfassung Milben sind mikroskopisch kleine Lebewesen und weltweit verbreitet. Allergieauslösend ist der Milbenkot. Milben können ein allergisches Asthma bronchiale und einen allergisch-en Dauerschnupfen auslösen sowie zu einer Ekzemverschlechterung bei Neurodermitis führen. Milben leben von Hautschuppen und sind daher in besonders großer Zahl im Schlafbereich zu finden. Mit einfachen Tests kann die "persönliche" Milbenbelastung in der eigenen Wohnung ermittelt werden. Maßnahmen zur Milbenreduktion müssen sich zunächst auf den Schlafbereich konzentrieren, indem milbenallergendichte Umhüllungen für Matratze und Bettzeug (Encasing) angeschafft werden.

12.3 Tiere Haustiere, die von den Eltern in bester Absicht für ihre Kinder als Spielgefährten ange-schafft werden, stellen wichtige Allergieauslöser dar. Schuppen, Speichel, Haare, Urin und Blutserumbestandteile wirken als Allergene. Tierallergene können eine allergische Bindehautentzündung (siehe Kapitel 8.1), einen allergischen Schnupfen (siehe

Kapitel 4.4), ein allergisches Asthma bronchiale (siehe Kapitel 5.4), eine allergische Entzündung der Lungenbläschen (siehe Kapitel 5.5) und allergische Hautreaktionen (siehe Kapitel 6)auslösen. Bei etwa 5% aller Schulkinder ist mit einer Haustierallergie zu rechnen.

12.3.1 Warum werden Tierallergien häufiger? Zu einem Anstieg der Tierallergien hat entscheidend die veränderte Form der Tierhaltung beigetragen. Solange die Tiere wie auf dem Bauernhof außerhalb der Wohnung gehalten werden, machen sie allergologisch kaum Probleme. Dies ändert sich jedoch schlagartig, wenn der Tierkontakt viel enger wird, die Tiere das Kinderzimmer bewohnen und mit ins Bett genommen werden. Beispielsweise steigt das Risiko einer Sensibilisierung gegen Katzen um den Faktor 2,6 an, wenn Katzen als Haustiere gehalten werden.

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12.3.2 Welche Tiere lösen am häufigsten Allergien aus? Die häufigsten Auslöser von Tierallergien sind Haustiere (Katzen, Hunde, Meerschwein-chen, Kaninchen und Vögel).

Katzen Katzen sind der häufigste und aggressivste Allergieauslöser unter den Haustieren. Es besteht eine Kreuzallergie gegen fast alle einheimischen Katzenarten, Siamkatzen bilden eine gewisse Ausnahme. Das Hauptallergen (Fel d 1) findet sich vor allem im Speichel, Hautschuppen und Haaren. Es ist im Staub größtenteils an sehr kleine Teilchen gebun-den. Dadurch kann es sehr gut in der Luft schweben und ist nicht nur auf dem Boden, sondern auch an Wänden und auf Möbeln zu finden. Nach Entfernung einer Katze aus der Wohnung kann es trotz intensiver Reinigungsmaßnahmen mehr als 5 Jahre dauern, bis die Allergenmenge auf das Niveau einer Wohnung ohne Katzenhaltung abgefallen ist.

Durch die oben genannten Eigenschaften sind Katzenallergene nicht nur in Wohnungen von Katzenbesitzern, sondern auch in Polstern und im Staub von Schulen, Kinos, Bussen und Wohnungen ohne Tierhaltung nachweisbar. Auch über die Kleidung der Tierbesitzer werden die Tierallergene weiterverbreitet. So hatten in einer Studie die Hälfte der Katzenallergiker nie eine eigene Katze zu Hause.

Hunde Bei Hunden ist die Sensibilisierungshäufigkeit von der Rasse abhängig, z.B. wirken Boxer stärker allergieauslösend als Pudel. Auch bedeutet eine Allergie auf eine Hunderasse nicht zwangsläufig, dass man auf alle Hunderassen allergisch reagiert.

Pferde Auch Pferde stellen ein sehr aggressives Allergen dar, allerdings ist eine Sensibilisierung wegen der geringeren Kontaktmöglichkeiten nicht so häufig wie bei anderen Haustieren. Allergische Symptome können bereits aus großer Entfernung zum Pferd auftreten, oft genügt nur der Geruch beim Vorbeigehen an einem Pferdestall. Auch das Sitzen in den hinteren Reihen in einem Zirkus macht dann meist schon Probleme.

Kleintiere Unter den Kleintieren zählen Meerschweinchen, Hamster und Kaninchen zu den häufig-sten Allergieauslösern. Eine Sensibilisierung gegen Mäuse, Ratten und andere ist bei entsprechender Tierhaltung möglich.

Vögel Wellensittiche und Kleinpapageien haben unter den Ziervögeln die größte Bedeutung. Sie können nicht nur die bereits beschriebenen Allergien vom Soforttyp auslösen, sondern auch eine allergische Entzündung der Lungenbläschen (allergische Alveolitis, Vogel-züchterkrankheit). Die Hauptallergene sind Kot und Bluteiweißbestandteile.

Sonstige Tiere Kühe, Schweine, Ziegen und Schafe machen bei Haltung auf dem Bauernhof außerhalb des Wohnbereiches üblicherweise keine Probleme.

Produkte, die tierische Materialien enthalten Zu achten ist auch auf Produkte, die Materialien tierischer Herkunft enthalten. Beispiele sind Pferdehaare in Rosshaarmatratzen, Ziegenhaare in Teppichen, Felle und Pelze in Jacken.

Indirekte Auswirkungen von Haustieren Neben der direkten Wirkung als Allergen haben Haustiere noch eine Reihe anderer indirekter Auswirkungen für den Allergiker. Zum einen dienen Tierschuppen und Vogel-federn als Nahrung für Hausstaubmilben, zum anderen wirbeln die Tiere regelmäßig Staub auf. Ein Aquarium erhöht die Luftfeuchtigkeit und lässt dadurch Milben und Schim-melpilze besser gedeihen. Fischfutter in Form von getrockneten Zuckmückenlarven ist

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zudem ein aggressives Allergen. Auch Heu als Futter für einen Hasen kann über eine Schimmelpilzbelastung zur Allergisierung führen.

12.3.3 Was ist zu tun bei einer Tierallergie? Es ist oft ein Drama für die ganze Familie, wenn es sich herausstellt, dass ein Kind aller-gisch auf ein Tier reagiert und sich das Kind von dem liebgewonnen Tier nicht trennen will. Oder wenn es sich um ein Tier handelt, das einem Geschwister gehört, das nicht von einer Allergie betroffen ist.

Optimale Lösung Wenn eindeutige allergische Symptome auf ein Haustier vorliegen gibt es leider nur einen Rat: das Tier muss aus der Wohnung entfernt werden. Dies gilt besonders, wenn es sich um einen aggressiven Allergieauslöser wie eine Katze handelt und/oder um ein Tier, das frei in der Wohnung herumläuft. Auch durch regelmäßiges Waschen des Tieres, ständiges Staubsaugen oder sogenannte Luftreinigungsgeräte ist keine ausreichende Allergen-reduktion zu erreichen. Wenn der Kontakt mit dem Allergieauslöser weiter fortgesetzt wird, muss mit einer Verschlechterung der Allergie gerechnet werden. Dies ist vor allem beim Asthma bronchiale fatal, da bei weiter bestehender Allergenzufuhr der narbige Umbau in der Bronchialschleimhaut fortschreitet, welcher später nicht mehr rückgängig zu machen ist. Auch ist zu beachten, dass von einem Tier, das über längere Zeit in einer Wohnung gelebt hat, noch über Monate allergenes Material wie Hautschuppen oder Haare im Teppich usw. vorhanden ist, obwohl gründlich gereinigt wurde. Eine endgültige Symptombesserung kann also nicht sofort erwartet werden. Dies gilt insbesondere für Katzen. Auch entsprechende Tierkontakte bei Freunden, Verwandten oder in der Schule müssen natürlich vermieden werden. Unter Umständen muss ein Sitznachbar gewählt werden, der kein Haustier besitzt. Sollte trotz aller Versuche der Allergenvermeidung keine zufriedenstellende Symptombesserung zu erreichen sein, ist eine Hypo-sensibilisierungsbehandlung zu erwägen.

Kompromisslösung in leichten Fällen Wenn sich die Familie zunächst absolut von dem Tier nicht trennen will und nur leichte allergische Symptome vorliegen (z.B. nur Bindehautentzündung, kein Hinweis für Asthma) kann vor allem bei Kleintieren unter Umständen folgender befristeter Versuch gemacht werden: Das Tier wird zumindest aus dem Zimmer des Betroffenen heraus-genommen und in einem Käfig gehalten, möglichst im Freien. Es darf vom Allergiker selbst nicht betreut werden. Auch hierbei können natürlich von dem Familienmitglied, der das Tier versorgt, auf der Kleidung Allergene weiterverschleppt werden, daher sollte dann immer konsequent Schutzkleidung übergezogen werden. Tiere, die außerhalb der Wohn-ung gehalten werden, wie zum Beispiel auf einem Bauernhof, machen in der Regel wenig Probleme. Eine Ausnahme können Pferde machen, bei denen oft schon der Geruch aus größerer Entfernung ohne unmittelbaren nahen Kontakt allergische Symptome auslösen kann. In diesem Fall kann auch die Kleidung, die ein Familienmitglied beim Reiten trägt, so viel allergenes Material enthalten, dass heftige Beschwerden entstehen können. Die betreffenden Personen sollten sich daher außerhalb der Wohnung umziehen. Besuche bei Freunden oder Großeltern, welche entsprechende Tiere halten, müssen individuell abge-sprochen werden. Unter Umständen kann ein antiallergisches Medikament, unmittelbar vor dem anstehenden Besuch verabreicht, weiterhelfen.

Vorbeugung Aufgrund der vorliegenden Studienergebnissen gilt weiterhin die Empfehlung, dass in allergiebelasteten Familien keine Fell oder Federn tragende Haustiere angeschafft werden sollten. Falls in eine noch nicht an Tierallergien leidenden, jedoch mit anderen Allergien belasteten Familie dennoch ein Haustier aufgenommen werden soll, sollte man zumindest eine Risikoreduzierung anstreben: kaufen Sie ein möglichst kleines, weibliches, nicht allzu langlebiges Tier, das in einem Käfig gehalten werden kann. Kleine Tiere sind in ihrem Aktionsradius leichter zu beschränken und produzieren aufgrund ihrer kleineren

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Körperoberfläche weniger Allergene; weibliche, noch nicht geschlechtsreife Tiere sind allergenärmer als männliche. Oft wird alternativ die Anschaffung einer Schildkröte oder von Reptilien empfohlen, aber auch mit diesen Tieren steigt z.B. die Milbenbelastung in der Wohnung an. Ein Aquarium mit Fischen erhöht die Luftfeuchtigkeit und kann so das Wachstum von Milben und Schimmelpilzen fördern, daneben kann Fischfutter allergie-auslösende Zuckmückenlarven enthalten.

Man muss immer wieder auch bedenken, dass Tierallergien erst zu einem eigentlichen Problem wurden, seit viele Tiere nicht mehr draußen sondern drinnen in einer für sie nicht natürlichen Umgebung gehalten werden.

12.3.4 Zusammenfassung Seit Tiere zunehmend in Wohnungen gehalten werden, nehmen auch die Tierallergien zu. Tiere lösen vor allem Symptome an den Schleimhäuten der Augen und Atemwege aus. Am häufigsten sind Allergien gegen Katzen, Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen, Vögel, Hunde und Pferde. Die Trennung vom allergieauslösenden Tier fällt oft sehr schwer, ist jedoch bei heftigen Reaktionen wie Asthmaanfällen unbedingt erforderlich.

12.4 Schimmelpilze 12.4.1 Was sind Schimmelpilze und Schimmelpilzsporen? Schimmelpilze sind allgemein verbreitete Pilze, die besonders gut bei feuchter Wärme gedeihen. Schimmelpilzsporen sind einzellige Fortpflanzungsformen der Schimmelpilze.

12.4.2 Welche allergologische Bedeutung haben Schimmelpilze? Inhalierte Schimmelpilzallergene spielen häufig beim Asthma bronchiale (siehe

Kapitel 5.4) und beim allergischen Dauerschnupfen (siehe Kapitel 4.5) eine Rolle, sie können jedoch auch eine allergische Entzündung der Lungenbläschen (allergische Alveo-litis, siehe Kapitel 5.5) auslösen. Meist tritt eine Sensibilisierung gegen Schimmelpilze gemeinsam mit einer Allergie gegen Pollen oder Hausstaubmilben auf. Die Schimmelpilze und deren Stoffwechselprodukte (Enzyme) in Nahrungsmitteln haben vor allem Bedeu-tung bei den Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, weniger als Auslöser von Atemwegs-symptomen.

12.4.3 Wo kommen Schimmelpilze vor? Im folgenden werden die Schimmelpilze nach ihrem Auftreten im Freien, im Haus, in Nahrungsmitteln und sonstigen Einsatzgebieten besprochen.

Schimmelpilze im Freien Die beiden wichtigsten Schimmelpilze, die hauptsächlich im Freien vorkommen, sind Alternaria alternata und Cladosporium herbarum. Sie wachsen auf Blattoberflächen, jeglichem Pflanzenabfall und in der Erde. Hohe Konzentrationen werden auf Gräsern und Getreide erreicht. Die höchste Schimmelpilzsporenbelastung tritt im Juli und August auf, geringere Belastungen bestehen jedoch das ganze Jahr über. Schimmelpilzallergiker re-agieren gewöhnlich nach Kontakt mit Heu, Silofutter, Rindenmulch, trockener Erde, Torf, Kompost, Blattabfällen und beim Korndreschen.

Schimmelpilze im Haus Die Schimmelpilzbelastung im Haus resultiert aus mehreren Quellen:

• Wenn die im Freien vorkommenden Schimmelpilze hohe Konzentrationen außer Haus aufweisen, gelangen diese natürlich beim Lüften auch ins Haus.

• Andere Schimmelpilzarten wie Penicillium und Aspergillus können sich im Haus vermehren, vor allem bei hoher Luftfeuchtigkeit ab ca. 80-85% relativer Luftfeuchte. Diese entsteht z.B., wenn im Winter wenig gelüftet wird. Nassräume

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wie Bad und Dusche sind besonders gefährdet. Auch Klimaanlagen und Luft-befeuchtungsgeräte sind häufig mit Schimmelpilzen verunreinigt. Oft verbirgt sich ein Schimmelpilzbefall auch hinter Holzverkleidungen, alten Bodenbelägen oder Tapeten. Auch Aquarien erhöhen die Luftfeuchtigkeit. Eine Sensibilisierung gegen den Schimmelpilz Penicillium hat jedoch nichts mit einer Allergie gegen das Antibiotikum Penicillin zu tun!

• Herumliegende Nahrungsmittelreste dienen als Nahrungsquelle für Schimmelpilze. Haustiere bringen verunreinigten Straßenstaub in die Wohnung.

• Pflanzen in der Wohnung können eine Schimmelpilzquelle sein (auf den Blättern, in der Blumenerde). An Schimmelpilzsporen aus dem Wintergarten denken!

• Ein beruflicher Kontakt mit Pflanzen oder Tierprodukten kann zu einer hohen Schimmelpilzbelastung führen.

Schimmelpilze in Nahrungsmitteln Nahrungsmittel sind eine reichhaltige Quelle für Schimmelpilze und deren Stoffwechsel-produkte (Enzyme): An Obst und Gemüse, Käse und anderen Nahrungsmitteln haften besonders nach langer Lagerzeit Schimmelpilze, bei Obst kann der Befall durch gründliches Waschen deutlich reduziert werden.

Schimmelpilze und ihre Produkte werden gezielt bei der Produktion von Nahrungs-mitteln eingesetzt: Backwaren, Bier, Wein, anderen Spirituosen, Essig und Essig-produkten, bestimmten Käsesorten wie Camembert oder Roquefort, Soja- und Steak-soßen, Schokolade. Enzyme als Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen zerkleinern auch Kartoffeln bei der Herstellung von Kartoffelpüree oder Obst bei der Fruchtsaft-herstellung. Eine Deklarationspflicht besteht nicht, sodass der Verbraucher sich nur schwer informieren kann.

Die Bedeutung von Schimmelpilzen und deren Produkte, die über den Magendarmtrakt aufgenommen werden, ist schwer zu erfassen. Der Verzehr großer Schimmelpilzmengen z.B. durch Wein oder Käse kann jedoch neben Unverträglichkeiten am Magendarmtrakt auch akute Atemwegsprobleme machen. Schimmelpilzgifte wie die Aflatoxine, die z.B. an der Leber krebsentstehend wirken, sollen hier nur am Rande erwähnt werden.

12.4.4 Sonstige Einsatzgebiete von Schimmelpilzen Enzyme sind ein wichtiger Bestandteil von Wasch- und Reinigungsmitteln, finden sich in Zahnreinigungsmitteln und Hautcremes, werden bei der Medikamentenherstellung verwendet, Jeans werden in Schimmelpilzenzymen gebadet. Schimmelpilzenzyme in Waschmitteln können bei Beschäftigten in der Waschmittelherstellung bei Inhalation größerer Mengen Symptome an den Atemwegen verursachen, was bei der üblichen Verwendung durch den Verbraucher praktisch keine Rolle spielt. Durch einem normalen Waschgang in der Waschmaschine mit ausreichender Spülung werden diese Stoffe soweit ausgespült, dass durch Kontakt mit der Haut keine Reaktionen auftreten.

12.4.5 Ratschläge für Schimmelpilzallergiker In der freien Natur Eine völlige Vermeidung in der freien Natur vorkommender Schimmelpilze ist wie bei den Pollen nicht möglich.

• Bei starkem Sporenflug, was besonders bei trockenem und windigem Wetter von Mai bis Oktober der Fall ist, sollte der Aufenthalt im Freien eingeschränkt werden.

• Gartenarbeiten und landwirtschaftliche Arbeiten sollte ein Schimmelpilzallergiker nicht durchführen.

• Kinder sollten nicht auf Rindenmulch oder verrottendem Laub spielen, Kompost-häufen und Mähdrescher bei der Arbeit meiden.

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In der Wohnung • Die wichtigste Maßnahme ist wie bei der Hausstaubmilbensanierung die Reduktion

der Luftfeuchtigkeit und ausreichende Lüftung. Die Luftfeuchtigkeit sollte 45-55% betragen. Am besten 3-4mal täglich für 5-10 Minuten stoßlüften. Insbesondere Nassräume müssen optimal gelüftet werden.

• Es sollte eine gute Luftzirkulation zwischen Möbeln und Boden, Decke und Wand bestehen. Geschlossene Bettkästen sind für die Matratzenbelüftung ungünstig.

• Zumindest im Schlafzimmer sollten keine Topfblumen aufgestellt werden. Eventuell müssen Grünpflanzen auf bestimmte Zimmer und in ihrer Anzahl beschränkt werden. Auch in Wintergärten befindet sich eine hohe Anzahl von Schimmelpilzsporen! Die Tür zum Wintergarten muss daher geschlossen bleiben.

• Eine Luftbefeuchtung durch Klimaanlagen oder Luftbefeuchtungsgeräte sollte unterbleiben, Filter in Klimaanlagen müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Auch ein Aquarium erhöht die Luftfeuchtigkeit und ist daher für Schimmelpilz-allergiker nicht zu empfehlen.

• Besondere Hygiene ist in der Küche erforderlich. Nahrungsmittel müssen sorgfältig und trocken gelagert werden. Obst gut waschen, faulige Stellen herausschneiden. Nahrungsmittelreste entsorgen.

• Schlecht isolierte Häuser mit feuchten Wänden und Schimmelpilzbefall müssen vom Fachmann saniert werden. Das nicht fachgerechte Aufbringen einer Isolier-schicht auf eine feuchte Wand erhöht nur den Schimmelpilzbefall dahinter!

12.4.6 Zusammenfassung Schimmelpilze spielen vor allem als Inhalationsallergene eine Rolle. Alternaria alternata und Cladosporium herbarum kommen im Freien auf organischem Material wie Blättern, Getreide, Kompost und Erde, jedoch auch im Haus auf Zimmerpflanzen und in Blumen-erde vor. Andere Schimmelpilze im Haus wachsen auf feuchten Wänden oder Speise-resten. Die wichtigsten Maßnahmen zur Reduktion von Schimmelpilzbefall im Haus sind eine Reduktion der Luftfeuchtigkeit auf 45-55% und regelmäßiges Stoßlüften. Daneben werden Schimmelpilze und ihre Produkte (Enzyme) unter anderem bei der Nahrungs-mittelproduktion eingesetzt.

12.5 Sonstige 12.5.1 Nahrungsmittel und Lebensmittelzusatzstoffe siehe Kapitel 7.

12.5.2 Insektengifte siehe Kapitel 9.

12.5.3 Ficus benjamini Die Birkenfeige kann einen allergischen Schnupfen, eine allergische Bindehautent-zündung, Asthma bronchiale und einen Nesselausschlag auslösen. An eine Ficus-Allergie ist vor allem bei ganzjährigen Beschwerden zu denken, bei denen der Allergietest kein anderes Ergebnis gezeigt hat. Es gibt eine Kreuzallergie zu Feigen. Die Therapie besteht in der Meidung des Kontaktes mit Ficus benjamini.

12.5.4 Latex Naturlatex ist das Ausgangsmaterial für die Gummiherstellung. Es findet sich in einer Vielzahl von Produkten wie medizinischen Handschuhen, Bällen, Luftballons, Schnullern, Reifen, Kondomen, Blasenkathetern und vielen anderen. Die Latexallergie ist vor allem

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für medizinisches Personal durch die Verwendung von Latexhandschuhen zum Problem geworden, jedoch auch für Patienten, die häufigen medizinischen Eingriffen und Operationen ausgesetzt sind wie Kinder mit Spina bifida (= offener Rücken). Die Symptome reichen von einem Juckreiz und Rötung im Kontaktbereich der Handschuhe über einen Nesselausschlag am ganzen Körper, Bindehautentzündung, Niesreiz und Atemnot bis zum allergischen Schock. Kreuzallergien zu Nahrungsmitteln wie Kiwi, Avokado, Banane, Esskastanie oder Papaya können bestehen. Die einzige mögliche Therapie ist das absolute Meiden von Naturlatex in jeder Form vor allem bei medizinisch-en Eingriffen. Gegebenfalls muss eine Notfallapotheke wie bei einer Insektengiftallergie verordnet werden.

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13. Hyposensibilisierung

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13. Hyposensibilisierung 13.1 Was bedeutet Hyposensibilisierung? 13.2 Voraussetzungen für eine Hyposensibilisierung 13.3 Warum eine Hyposensibilisierung schon bei Kindern? 13.4 Formen der Hyposensibilisierung 13.5 Wann wird eine Hyposensibilisierung durchgeführt und wie erfolgreich ist sie? 13.6 Wie wird die Hyposensibilisierung durchgeführt? 13.7 Welche unerwünschten Reaktionen können auftreten? 13.8 Gibt es Gegenanzeigen für eine Hyposensibilisierung? 13.9 Was muss bei der Durchführung einer Hyposensibilisierung beachtet werden? 13.10 Zusammenfassung

13.1 Was bedeutet Hyposensibilisierung? Die Hyposensibilisierung (auch spezifische Immuntherapie (= SIT) oder Allergieimpfung genannt) ist eine der wirksamsten Behandlungsmethoden in der Allergologie. Bei einer Allergie reagiert das Abwehrsystem überschießend auf bestimmte Allergieauslöser (= Allergene). Mit der Hyposensibilisierung wird dem Körper wiederholt ein Allergieauslöser in steigender Dosierung zugeführt, bis diese überschießende Immunreaktion nicht mehr eintritt und das Abwehrsystem den Allergieauslöser toleriert. Die Hyposensibilisierung setzt so bei den Ursachen der Allergieentstehung an.

13.2 Voraussetzungen für eine Hyposensibilisierung Die Voraussetzungen für eine Hyposensibilisierung sind, dass es sich um eine IgE-ver-mittelte Allergie vom Soforttyp (also z.B. Heuschnupfen, allergisches Asthma bronchiale, Insektengiftallergie) handelt, der Auslöser eindeutig identifiziert ist, eine Meidung des Allergieauslösers nicht oder nicht ausreichend möglich ist und eine nachgewiesen wirk-same Behandlungslösung zur Verfügung steht. Der Patient muss ausreichend motiviert sein, die Behandlung über mehrere Jahre konsequent durchzuführen und Kinder sollten mindestens 5-6 Jahre alt sein (Ausnahme: bedrohliche Insektengiftallergien).

13.3 Warum eine Hyposensibilisierung schon bei Kindern? Die Hyposensibilisierungsbehandlung ist im Kindes- und Jugendalter aus folgenden Grün-den besonders erfolgversprechend:

• Im Frühstadium einer allergischen Erkrankung sind noch keine chronischen Verän-derungen eingetreten, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.

• Das Abwehrsystem ist bei Kindern noch besonders lern-, also auch veränderungs-fähig.

• Die Wirksamkeit der Hyposensibilisierung ist am besten, wenn man nur auf einen und nicht bereits auf eine Vielzahl von Allergieauslösern allergisch reagiert.

• Nach einer Hyposensibilisierung entstehen weniger neue Allergien, ein Heu-schnupfen geht seltener in ein Asthma bronchiale über.

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13. Hyposensibilisierung

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13.4 Formen der Hyposensibilisierung Die am häufigsten angewendete und wirksamste Form der Hyposensibilisierung ist die sogenannte subkutane Hyposensibilisierung. Hierbei wird das Allergen, in der Regel monatlich über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, am Oberarm unter die Haut ge-spritzt.

Bei der sublingualen Hyposensibilisierung wird das Allergen in Tropfenform oder als Tablette unter die Zunge gebracht. Diese Behandlungsform ist bei Erwachsenen mit Pollenallergien in aktuellen Studien etwa halb so wirksam wie die subkutane Behandlung. Wenig bekannt ist auch, wie lange die Wirkung einer sublingualen Therapie anhält. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Datenlage noch unzureichend, sodass die sublinguale Hyposensibilisierung von den drei allergologischen Fachgesellschaften nach dem heutigen Stand (Leitlinie vom Januar 2006) für Kinder nicht empfohlen wird. Allerdings kann man feststellen, dass derzeit besonders viele Studien zur Wirksamkeit der sublingualen Immuntherapie auch bei Kindern unternommen werden. Eine Teilnahme an solchen Stu-dien ist sinnvoll, da sie der Verbesserung der allergologischen Behandlungsmöglichkeiten dient.

13.5 Wann wird eine Hyposensibilisierung durchgeführt und wie erfolgreich ist sie?

• Ab dem Alter von etwa 5-6 Jahren wird die Allergieimpfung bei allergischem Schnupfen, bei allergischer Bindehautentzündung und bei allergischem Asthma bronchiale eingesetzt, bei Insektengiftallergien auch schon früher.

• Am häufigsten wird bei Pollenallergie hyposensibilisiert, eine Symptombesserung ist in bis über 80% der Fälle zu erwarten.

• Auch bei Insektengiftallergien mit bedrohlichen Symptomen wird diese Behand-lung mit einer Erfolgsrate von über 90% angewendet.

• Bei Milbenallergien kann die Allergieimpfung durchgeführt werden, wenn die Milbensanierungsmaßnahmen keinen ausreichenden Erfolg gezeigt haben.

• In besonderen Fällen, wenn der betreffende Auslöser überhaupt nicht zu meiden ist (z.B. Pferdestall direkt neben dem Wohnhaus), wird auch bei Tierhaarallergien hyposensibilisiert.

13.6 Wie wird die Hyposensibilisierung durchgeführt? Die Allergenlösung wird anfangs meist wöchentlich, später in der Regel monatlich unter die Haut gespritzt. Bei Pollenallergien kann die spezifische Immuntherapie entweder das ganze Jahr hindurch oder auch nur außerhalb der Pollensaison durchgeführt werden. Bei Milben-, Tierhaar- und Insektengiftallergien wird grundsätzlich ganzjährig behandelt. Die Therapiedauer beträgt mindestens drei Jahre. Entscheidend für den Erfolg der Behand-lung ist die Gesamtmenge des verabreichten Allergens. Der Langzeiteffekt der SIT gegen Pollen ist bisher über einen Zeitraum von 12 Jahren belegt.

Die Hyposensibilisierung bei Insektengiftallergie wird meist als Schnellhyposensibilisie-rung mit rascher Dosissteigerung innerhalb weniger Tage bis zur Erhaltungsdosis begon-nen. Dies muss allerdings unter stationären Bedingungen im Krankenhaus geschehen. Die Fortführung der Injektionsbehandlung kann dann ambulant erfolgen.

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13. Hyposensibilisierung

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13.7 Welche unerwünschten Reaktionen können auftreten? Wie bei jeder anderen Behandlung können auch bei einer Hyposensibilisierung uner-wünschte Reaktionen auftreten. Ein allergologisch erfahrener Arzt kann durch die richtige Auswahl und Dosierung des Allergens aber die Nebenwirkungsrate minimieren.

• Leichte örtliche Reaktionen wie geringe Schwellungen an der Einstichstelle sind relativ häufig, jedoch harmlos.

• Bei starken örtlichen Schwellungen wird die Nachbeobachtungszeit in der Praxis verlängert, eine örtliche Kühlung durchgeführt und ein Antihistaminikum oder evtl. einer Kortisonpräparat verabreicht.

• In seltenen Fällen (bei weniger als jeder 1000sten Spritze) können Allgemein-reaktionen wie Juckreiz, Hautausschlag, Unwohlsein oder Husten, manchmal auch Atemnot, Herzklopfen oder Schwindel auftreten. Ein ernstzunehmender Kreislauf-schock wird noch weitaus seltener und fast ausschließlich im Erwachsenenalter beobachtet; oft handelt es sich dabei um Patienten, die neben ihrer Allergie noch an weiteren Krankheiten leiden. In jedem Fall wird der allergologisch erfahrene und in Notfällen geschulte Arzt sofort die richtige Behandlung einleiten.

13.8 Gibt es Gegenanzeigen für eine Hyposensibilisierung? Eine Hyposensibilisierung sollte nicht durchgeführt werden bei ganz schwerem Asthma (wenn bereits nicht mehr rückbildungsfähige Lungenveränderungen eingetreten sind), Neurodermitis als einziger allergischer Erkrankung, schweren Allgemeinerkrankungen wie chronischen Infektionen, Immundefekten (= Störungen der Abwehrfunktion), bösartigen Erkrankungen, Einnahme von Medikamenten die das Immunsystem schwächen, Ein-nahme von sogenannten Betablockern, Vorliegen einer Schwangerschaft sowie aus-ge-prägten psychologischen oder psychiatrischen Auffälligkeiten. Nur mit Einschränkung empfohlen werden kann eine Hyposensibilisierung, wenn viele unterschiedliche Allergie-auslöser für die Erkrankung verantwortlich sind oder wenn die Erkrankung bereits sehr lange andauert.

13.9 Was muss bei der Durchführung einer Hyposensibili- sierung beachtet werden?

• Die Abstände zwischen den einzelnen Spritzen müssen genau eingehalten werden.

• Nach der Injektion muss der Patient noch mindestens 30 Minuten zur Nach-beobachtung in der Praxis bleiben. Sollten hierbei oder danach starke Schwellungen oder Allgemeinreaktionen (s.o.) auftreten, wenden Sie sich sofort an Ihren Arzt.

• Vor jeder Spritze müssen alle Auffälligkeiten (z.B. starke Armschwellung, Allge-meinreaktion, Infekte, Medikamentenänderungen) dem Arzt mitgeteilt werden, da eventuell die Dosis geändert werden muss.

• Am Tage der Hyposensibilisierung, insbesondere nach der Injektion, sollten starke körperliche Belastungen vermieden werden.

• Während der Behandlung sollen die ursächlichen Allergieauslöser soweit als mög-lich gemieden werden.

• Die empfohlenen Schutzimpfungen können und sollen auch während der Erhaltungsphase der 3-jährigen Hyposensibilisierungsbehandlung durchgeführt werden. In der Regel genügt ein Abstand von 1 bis 2 Wochen zwischen Schutz-impfung und Hyposensibilisierungsspritze.

Und denken Sie daran: Eine gute Mitarbeit garantiert den besten Erfolg!

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13. Hyposensibilisierung

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13.10 Zusammenfassung Bei der Hyposensibilisierung wird dem Körper wiederholt ein Allergen in ansteigender Dosierung zugeführt mit dem Ziel, dass der Körper eine Toleranz gegen das Allergen entwickelt. Sie setzt daher bei den Ursachen der Allergieentstehung an. Die Haupt-einsatzgebiete der Hyposensibilisierung sind die Allergien vom Soforttyp der Atemwege (Heuschnupfen und Asthma bronchiale) sowie die Bienen- und Wespengiftallergie. Die Hyposensibilisierung wird in Form subkutaner Injektionen (unter die Haut) durchgeführt. Die sublinguale Hyposensibilisierung (das Allergen wird unter die Zunge gebracht) ist weniger wirksam und wird daher bei Kindern derzeit nicht empfohlen.

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14. Allergie-Vorbeugung

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14. Allergie-Vorbeugung 14.1 Ziele der Allergie-Vorbeugung 14.2 Bei wem sollen vorbeugende Maßnahmen eingesetzt werden? 14.3 Wie kann man einer Allergie-Entstehung vorbeugen? 14.4 Zukünftige Strategien 14.5 Zusammenfassung

Allergien und Asthma haben in den letzten Jahrzehnten rasant und Besorgnis erregend zugenommen und stellen eine große medizinische und gesundheitspolitische Herausfor-derung dar. Eine ungeheuer wichtige Aufgabe ist es daher, wirksame vorbeugende Stra-tegien zur Vermeidung von Allergien und Asthma zu entwickeln. Dazu sind auch in Zu-kunft noch gewaltige Forschungsanstrengungen nötig in Bezug auf Faktoren, die das Allergierisiko erhöhen oder vor Allergien schützen können (siehe auch Kapitel 2).

14.1 Ziele der Allergie-Vorbeugung Maßnahmen zur Allergie-Vorbeugung (= Allergie-Prävention) können auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Sie haben folgende Ziele:

Primäre Allergie-Prävention Der Entstehung von Allergien und Asthma bronchiale soll von Anfang an entgegengewirkt werden. Dies ist natürlich das Hauptziel aller vorbeugenden Maßnahmen. Dieses Kapitel befasst sich hauptsächlich mit der primären Allergie-Prävention.

Sekundäre Allergie-Prävention Bei Kindern, bei denen bereits eine Sensibilisierung (= Bildung von Allergieantikörpern) stattgefunden hat, soll der Ausbruch einer manifesten allergischen Erkrankung oder eines Asthma bronchiale verhindert werden.

Tertiäre Allergie-Prävention Bei Kindern, bei denen bereits eine allergische Erkrankung oder ein allergisches Asthma bronchiale vorliegt, sollen die Beschwerden reduziert und damit auch der Medikamenten-verbrauch vermindert werden.

14.2 Bei wem sollen vorbeugende Maßnahmen eingesetzt werden? Ziel der primären Allergie-Vorbeugung ist es, Kinder von Anfang an vor der Entwicklung einer Allergie oder eines Asthma bronchiale zu schützen. Am wirkungsvollsten ist es, vor-beugende Maßnahmen gezielt bei der Gruppe mit dem höchsten Allergie- und Asthma-risiko einzusetzen (Hochrisikokinder). Die beste Voraussage des Risikos, an einer Allergie zu erkranken, liefert nach wie vor die Allergiebelastung in der Familie (siehe Tabelle 14.1). Im medizinischen Alltag durchführbare Tests (z.B. Gentests), welche die indivi-duelle Risikoabschätzung verbessern könnten, stehen bisher nicht zur Verfügung.

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14. Allergie-Vorbeugung

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Tabelle 14-1: Allergierisiko eines Neugeborenen

familiäre Belastung Allergierisiko

kein Allergiker in der Familie 5-15%

1 allergisches Geschwister 25-35%

1 allergischer Elternteil 20-40%

2 allergische Eltern 40-60%

2 allergische Eltern mit selber Allergie 50-70%

Zielgruppe der primären Allergie-Prävention sind daher vor allem Kinder, deren Eltern oder Geschwister an allergischen Erkrankungen leiden.

14.3 Wie kann man einer Allergie-Entstehung vorbeugen? Generell gibt es zwei Ansätze, in das Geschehen der Allergieentstehung einzugreifen:

1) Vermeidung von Umweltfaktoren, welche Allergien fördern (z.B. Tabakrauch, Allergieauslöser).

2) Förderung von schützenden Faktoren, welche Allergien entgegenwirken (z.B. Stillen).

Folgende Maßnahmen zur Allergie-Vorbeugung sind nach dem heutigen Kenntnisstand sinnvoll:

14.3.1 Allergie-Vorbeugung in der Schwangerschaft a) Ernährung Die Mutter sollte sich in der Schwangerschaft vollwertig ernähren. Für den Nutzen einer allergenarmen Ernährung (z.B. Kuhmilch- und Hühnereiweiß-freie Kost) der Mutter in der Schwangerschaft gibt es keine Hinweise. Da eine Mangelernährung bei der Mutter und dem ungeborenen Kind entstehen kann, muss eindeutig davor abgeraten werden, die Ernährung in der Schwangerschaft einseitig einzuschränken. Ausgenommen sind lediglich Mütter, die aufgrund ihrer eigenen allergischen Erkrankung eine Diät einhalten müssen.

b) Umweltfaktoren Das Kind darf schon während der Schwangerschaft nicht Tabakrauch ausgesetzt werden, insbesondere soll die schwangere Mutter nicht rauchen. Die vorbeugende Meidung von Allergieauslösern wie Hausstaubmilben oder Tieren in der Schwangerschaft durch die Mutter ist nicht notwendig.

14.3.2 Allergie-Vorbeugung nach der Geburt a) Ernährung Bei einer vorbeugenden allergenarmen Kost werden bekanntermaßen aggressive Nah-rungsmittelallergene gemieden oder möglichst spät in den Speiseplan eingeführt:

• Stillen: Kinder aus allergiebelasteten Familien sollten 4 bis 6 Monate voll ge-stillt werden. Wichtig ist eine gute Stillanleitung bereits in der Geburtsklinik. Das Neugeborene sollte möglichst früh (gleich nach der Geburt) und später häufig (so-bald es hungrig ist) angelegt werden. Zunächst wird das Kind nur für einige Minu-ten angelegt, dann die Stilldauer langsam gesteigert. Von Anfang an sollte man das Kind an beiden Brüsten trinken lassen. Sollte die Milch in den ersten Tagen nicht richtig fließen, soll nur eine Traubenzuckerlösung, und kein Kuhmilch- oder Sojapräparat zugefüttert werden! Eine spezielle Diät der stillenden Mutter wird nur in Ausnahmefällen empfohlen und sollte mit dem Kinder- und Jugendarzt abge-sprochen werden.

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14. Allergie-Vorbeugung

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• Hydrolysatnahrung: Falls trotz aller Anstrengung ein ausschließliches Stillen nicht möglich ist, sollte in den ersten 6 Monaten eine sogenannte Hydrolysatnah-rung zugefüttert werden. In diesen Nahrungen sind die Eiweißbestandteile in klei-nere Bausteine gespalten, sodass die nicht mehr so stark sensibilisierend wirken wie unbehandelte Kuhmilch. Am stärksten gespalten sind die starken Hydrolysat-nahrungen (z.B. Alfaré®, Nutramigen®, Pregomin®). Die hypoallergenen Säug-lingsnahrungen (H.A.-Nahrungen wie Aptamil H.A.®, Beba H.A.®, Hipp H.A.®, Hu-mana H.A.®) enthalten noch etwas größere Eiweißbestandteile. Welche Hydroly-satnahrung den besten Effekt hat, wird noch kontrovers diskutiert und ist auch Gegenstand der laufenden GINI-Studie. Bei Vorliegen einer Neurodermitis in der Familie zeigte in den bisherigen Ergebnissen dieser Studie ein starkes Hydrolysat (Nutramigen®) den besten vorbeugenden Effekt bezüglich der Verhinderung eines Ekzems. Nachteil der starken Hydrolysate ist ihr hoher Preis. Besprechen Sie die Auswahl der Hydrolysatnahrung mit Ihrem Kinder- und Jugendarzt. Ab dem 7. Monat können bei Kindern mit geringem Allergierisiko teiladaptierte Säuglings-nahrungen und Breie auf Kuhmilchbasis verwendet werden. Bei Hochrisikokindern (Mutter Neurodermitis, beide Eltern oder 2 Familienmitglieder 1. Grades betroffen) kann die Gabe einer Hydrolysatnahrung über die ersten 6 Monate hinaus sinnvoll sein.

• Beikost: Je später der Kontakt mit potentiell allergieauslösenden Nahrungsmit-teln erfolgt, desto geringer ist das Risiko einer Sensibilisierung. Mit Beikost daher erst nach 4 bis 6 Monaten beginnen. Eier, Nüsse, Fisch und exotische Früchte im ersten Lebensjahr meiden, da diese besonders häufig Allergien auslösen. Schritt-weise ein neues Nahrungsmittel pro Woche einführen (z.B. Beginn mit Karot-ten Kartoffeln Brokkoli). Karotten-Allergien sind entgegen der landläufigen Mei-nung bei Kindern sehr selten. Insbesondere Nüsse und Ei können in vielen Nah-rungsmitteln versteckt sein! Viele Hersteller von Säuglingsnahrungen haben ge-eignete Gläschenkost besonders gekennzeichnet.

b) Umweltfaktoren

• Raumluft/Tabakrauch: In Wohnungen und Räumen, in denen sich Kinder aufhalten, darf nicht geraucht werden! Tabakrauch führt zu gehäuften Erkran-kungen der Atemwege, erhöht das Allergierisiko und das Risiko des plötzlichen Kindstodes. Auch anderen Luftschadstoffen wie Formaldehyd oder Lösungsmittel-dämpfen sollten Kinder nicht ausgesetzt werden.

• Haustiere: Der Einfluss von Haustieren auf die Entstehung von Allergien wird zur Zeit kontrovers diskutiert. Nach heutigem Kenntnisstand haben Haustiere in der Wohnung für Hochrisikokinder mehr Nachteile als Vorteile. Schaffen Sie daher keine neuen felltragenden Haustiere wie Katzen, Kaninchen oder Meerschwein-chen an. Das Verbleiben eines bereits vorhandenen Haustieres in der Wohnung ist in Abhängigkeit vom familiären Risiko unter Umständen zu vertreten. Hunde erhöhen nach neueren Daten das Allergierisiko nicht.

• Hausstaubmilben und Schimmelpilze: Vor allem im Schlafbereich sollte ein für Milben und Schimmelpilze ungünstiges Klima geschaffen werden: wischbare Bö-den, sparsame Möblierung, regelmäßiges Stoßlüften zur Herabsetzung der relati-ven Luftfeuchtigkeit auf unter 55%, keine Luftbefeuchter verwenden, waschbares Bettzeug, bei hohem Allergierisiko evtl. milbendichte Matratzenüberzüge, keine Felle ins Bett, Anzahl der Kuscheltiere begrenzen, keine Staubfänger wie schwere Vorhänge.

• Hautpflege, Kosmetik und Schmuck: Auch über die Haut ist das Kind einer Vielzahl von Allergenen ausgesetzt. Für viele Hautreinigungsvorgänge reicht klares Wasser. Nur bei gröberen Verschmutzungen eine milde Babyseife oder ein Syndet verwenden. Beurteilen Sie den Wert einer Seife oder einer Creme nicht danach,

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wie stark sie duftet. Jeder zugesetzte Duftstoff erhöht das Allergierisiko. Auch frü-hes Ohrlochstechen oder das Tragen von Modeschmuck erhöht das Risiko für eine Kontakt-Allergie z.B. gegen Nickel.

• Schutzimpfungen: Auch bei Allergie-gefährdeten Kindern sollten die von der STIKO (= Ständige Impfkommission) empfohlenen Impfungen durchgeführt wer-den (siehe Kapitel 15). Mehrere große Untersuchungen haben gezeigt, dass Schutzimpfungen die Allergie-Rate nicht erhöhen.

• Schadstoffe in der Außenluft: Auf gesellschaftlicher Ebene muss weiterhin alles getan werden, um die Schadstoffbelastung in der Außenluft weiter zu reduzieren.

14.4 Zukünftige Strategien Bessere Identifizierung von Risikokindern Durch eine bessere Identifizierung von Risikokindern könnten vorbeugende Maßnahmen gezielter eingesetzt und in ihrer Intensität besser abgestuft werden.

Einsatz von Probiotika? Möglicherweise kann man durch sogenannte Probiotika (= Darmbakterien, welche die Darmflora günstig beeinflussen) über das Immunsystem des Darmes einen vor Allergien schützenden Effekt erreichen (siehe auch Kapitel 2.4.2). Für die Empfehlung eines all-gemeinen Einsatzes sind die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse jedoch noch nicht ausreichend.

Weitere Erforschung schützender Faktoren Es wird fieberhaft daran gearbeitet, die schützenden Faktoren, die eine geringere Aller-giehäufigkeit bei Bauernkindern und Kindern aus anthroposophischen Familien bewirken, herauszufinden. Die gezielte Förderung schützender Faktoren könnte dann eine Senkung der Allergie- und Asthmahäufigkeit bewirken.

14.5 Zusammenfassung Empfehlungen zur Allergie-Vorbeugung bei Risikokindern

keine Tabakrauch-Belastung in und nach der Schwangerschaft mütterliche Diät zur Allergie-Vorbeugung in der Schwangerschaft nicht sinnvoll 4 bis 6 Monate voll stillen mütterliche Diät zur Allergie-Vorbeugung während der Stillzeit nicht empfohlen falls Stillen nicht möglich: Hydrolysatnahrung in den ersten 6 Monaten Beikost spät und schrittweise einführen Eier, Nüsse und Fisch im 1. Lebensjahr meiden keine felltragenden Haustiere anschaffen ungünstige Bedingungen für Hausstaubmilben und Schimmelpilze schaffen Luftschadstoffe im Kinderzimmer vermeiden schonende Hautpflege keine allergisierenden Substanzen auf die Haut bringen empfohlene Schutzimpfungen durchführen.

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15. Impfungen bei Allergikern

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15. Impfungen bei Allergikern 15.1 Gibt es generelle Gegenanzeigen gegen Impfungen bei Allergikern? 15.2 Impfungen bei Hühnereiweißallergie 15.3 Gibt es Impfungen, die für Allergiker besonders nützlich sein können? 15.4 Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen 15.5 Zusammenfassung

Impfungen sind ein wichtiger Bestandteil der vorbeugenden Medizin. In der Kinder- und Jugendmedizin kommt ihnen ein besonders hoher Stellenwert zu. Sie haben die Ausbrei-tung vieler komplikationsreicher, zum Teil lebensbedrohlicher Erkrankungen wie Wund-starrkrampf (Tetanus), Diphtherie und Kinderlähmung bei geimpften Personen auf nahe-zu Null reduziert. Grundsätzlich haben Allergiker denselben Impfschutz nötig wie Nichtallergiker. Jedoch tauchen immer wieder besorgte Fragen von Eltern allergischer Kinder bezüglich der Ver-träglichkeit von Impfungen bei Allergikern auf.

15.1 Gibt es generelle Gegenanzeigen gegen Impfungen bei Allergikern? Eine generelle Gegenanzeige gegen eine Impfung bei einem Allergiker besteht nur, wenn eine bekannte Allergie gegen eine im Impfstoff enthaltene Substanz vorliegt. Impfstoffe enthalten neben der für die Immunisierung benötigten Substanz in geringen Mengen auch sogenannte Hilfsstoffe und eventuell Verunreinigungen aus dem Herstellungspro-zess. Hilfsstoffe wie Antibiotika, Gelatine oder Formaldehyd dienen der Stabilisierung und Haltbarmachung des Impfstoffes. Gegen die in modernen Impfstoffen verwendeten Hilfs-stoffe sind Allergien extrem selten, sodass diese keine generelle Gegenanzeige zur Ver-wendung bei Allergikern darstellen. Außerdem kommen immer mehr Impfstoffe ohne Konservierungsmittel auf den Markt. Ein Problem für Hühnereiweißallergiker kann jedoch Hühnereiweiß werden, welches vom Produktionsprozess übrig geblieben ist.

Es gibt auch keine begründeten Hinweise dafür, dass die empfohlenen Schutzimpfungen die Allergiebereitschaft fördern!

15.2 Impfungen bei Hühnereiweißallergie Die Hühnereiweißallergie stellt bei Impfstoffen, die noch Hühnereiweißbestandteilen ent-halten, eine mögliche Gegenanzeige dar. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang ledig-lich die Hühnereiweißallergie vom Soforttyp, das heißt, wenn nach Genuss von Hühnerei-weiß innerhalb kurzer Zeit Symptome wie Hautausschlag, Gesichtsschwellung, Erbrechen, Atemnot und Kreislaufkollaps auftreten. Nur von geringer Bedeutung ist, wenn lediglich im RAST oder Pricktest eine Hühnereiweißsensibilisierung ohne klinische Symptome fest-gestellt wurde oder nach Hühnereiweißgenuss Tage später eine Ekzemreaktion an der Haut auftritt.

Eine ganze Reihe von Impfviren wurde früher auf Hühnereiern gezüchtet. Derart herge-stellte Impfstoffe enthalten noch Hühnereiweißbestandteile. Inzwischen wurde wo mög-lich auf die Virusvermehrung auf Zellkulturen entweder mit Hühnerfibroblastenkulturen oder menschlichen Zellkulturen umgestellt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass beim Her-stellungsverfahren mit Hühnerfibroblastenkulturen so gut wie keine Probleme mehr bei der Impfung von Hühnereiweißallergikern entstehen.

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15. Impfungen bei Allergikern

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Es gelten folgende Empfehlungen:

• Masern-Mumps-Röteln-Impfung: Diese Impfung gilt inzwischen als unproblematisch. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass mit den heu-tigen Masern-Mumps-Röteln-Impfstoffen bei Hühnereiweißallergikern kein höheres Impfrisiko besteht als bei Nicht-Allergikern. Für schwere Hühnereiweißallergiker mit Sofortreaktionen (siehe oben) wird von einigen Autoren sicherheitshalber eine Nachbeobachtungszeit in der Praxis von 30-90 Minuten empfohlen, vor allem wenn gleichzeitig ein Asthma bronchiale besteht.

• Grippe-Impfung: Grippeimpfstoffe enthalten noch geringe Restmengen an Hühnereiweiß, sodass bei Hühnereiweißallergikern vom Soforttyp die Indikation streng zu stellen ist. Soll dennoch geimpft werden, muss dies unter sorgfältiger Überwachung geschehen.

• Gelbfieber-Impfung: Vor allem im Gelbfieberimpfstoff sind noch größere Men-gen an Hühnereiweiß enthalten. Die Indikation ist bei dieser Impfung daher be-sonders streng zu stellen. Ist bei starken Hühnereiweißallergikern eine Impfung dringend erforderlich, muss diese unter sorgfältiger Überwachung in der Regel im Krankenhaus erfolgen.

• Die übrigen Regelimpfungen im Impfplan der STIKO (= Ständige Impfkommis-sion) stellen auch für Hühnereiweißallergiker kein erhöhtes Risiko dar.

15.3 Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen • Während einer Verschlechterungsphase einer jeglichen allergischen Erkrankung

wird man nicht impfen, um das Immunsystem nicht zusätzlich zu beanspruchen.

• Bei einer Hyposensibilisierungsbehandlung müssen je nach Impfstoff in der Regel 1-2 Wochen Abstand zur Hyposensibilisierungsspritze eingehalten werden.

• Bei der Neurodermitis kann es nach einer Impfung wie nach jedem Infekt zu ei-ner vorübergehenden Verschlechterung des Hautbefundes kommen. Dies ist je-doch kein Grund, auf die Routineimpfungen zu verzichten.

15.4 Gibt es Impfungen, die für Allergiker besonders nützlich sein können? Für Kinder mit überempfindlichem Bronchialsystem und Asthma bronchiale ist die Keuch-husten- und Grippeimpfung besonders wichtig, da eine Keuchhusten- oder Grippeerkran-kung die Bronchien und Lunge empfindlich schädigen können. Da Asthmatiker auch ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen durch Pneumokokken (Bakterien, die unter an-derem Lungen- und Hirnhautentzündungen verursachen) haben, hat die STIKO für Asthmatiker auch die Pneumokokkenimpfung empfohlen. Ob die Pneumokokkenimpfung die Rate schwerer Pneumokokkenerkrankungen in dieser Gruppe tatsächlich vermindern kann, ist allerdings bisher nicht endgültig geklärt. Bei Kindern mit schwerer Neurodermi-tis sollte auf einen Windpockenimpfschutz geachtet werden, da Windpocken bei Neuro-dermitis besonders schwer verlaufen können.

15.5 Zusammenfassung Kinder mit Allergien benötigen denselben Impfschutz wie Kinder ohne Allergien. Aller-gien gegen Hilfsstoffe wie Antibiotika oder Formaldehyd in Impfstoffen sind extrem sel-ten. Probleme können bei einer schweren Hühnereiweißallergie vom Soforttyp auftau-chen, wenn Impfstoffe verwendet werden, die noch Hühnereiweiß enthalten. Dies trifft im Moment noch für Impfstoffe gegen Grippe und Gelbfieber zu.

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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?

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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?

16.1 Grundbegriffe 16.2 Teilnehmer der allergischen Reaktion 16.3 Was läuft bei der allergischen Sofortreaktion ab? 16.4 Weitere Typen der allergischen Reaktion 16.5 Zusammenfassung

Nach Erläuterung einiger wichtiger Grundbegriffe erfahren Sie in diesem Kapitel das Wichtigste über den Aufbau des menschlichen Immunsystems und den Ablauf einer allergischen Reaktion.

16.1 Grundbegriffe 16.1.1 Allergie Eine Allergie ist eine überschießende Reaktion des Körpers auf bestimmte allergieaus-lösende Stoffe aus der Umwelt (= Allergene). Das eigentliche Ziel des Immunsystems ist es, den Körper vor Krankheitserregern und Fremdstoffen zu schützen. Im Falle einer Allergie schießt das Abwehrsystem über dieses Ziel hinaus und es entstehen zum Teil höchst unangenehme und krankmachende Symptome.

Ist der Organismus einmal auf einen Allergieauslöser empfindlich geworden, so wird dieser Allergieauslöser bei jedem erneuten Kontakt vom Immunsystem sofort wiederer-kannt und kann wieder Krankheitserscheinungen auslösen. Die Mengen des allergieaus-lösenden Stoffes müssen für diese Wiederholungsreaktionen oft nur verschwindend gering sein.

16.1.2 Sensibilisierung Unter Sensibilisierung versteht man die Bildung von Allergieantikörpern (IgE), die je-doch beim Betroffenen (noch) keine Symptome auslösen. Man kann z.B. bei einer ganzen Reihe von Personen Allergieantikörper gegen Nahrungsmittel nachweisen, ohne dass je-mals entsprechende Krankheitserscheinungen aufgetreten sind.

16.1.3 Pseudoallergie Bei einer echten Allergie reagiert das Immunsystem gegen den allergieauslösenden Stoff. Pseudoallergien sind allergieähnliche Reaktionen, an denen das Immunsystem nicht beteiligt ist. Die Symptome ähneln jedoch denen einer allergischen Erkrankung. So sind z.B. viele Reaktionen auf Nahrungsmittel und Medikamente keine Allergien im engeren Sinne, sondern Pseudoallergien.

16.1.4 Asthma bronchiale Unter einem Asthma bronchiale versteht man eine anfallsweise auftretende Verengung der Atemwege. Ursache ist eine chronische Entzündung in den Bronchien. Diese Entzünd-ung wird bei Kindern häufig durch Allergien ausgelöst.

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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?

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16.1.5 Atopie Da verschiedene allergische Erkrankungen in Kombination sowie familiär gehäuft auftret-en können, wurde der Begriff Atopie geprägt. Man versteht darunter eine familiär auf-tretende Veranlagung zu Ekzemen, Asthma, Heuschnupfen und Nahrungsmittelallergien.

16.2 Teilnehmer der allergischen Reaktion Unser Immunsystem ist ein Teil des Abwehrsystems des Körpers und hat die eigent-liche Aufgabe, den Körper vor Infektionserregern und anderen Fremdstoffen zu schützen. Es besteht aus mehreren Organen und ist im ganzen Körper verteilt. Dazu gehören das Knochenmark, die Thymusdrüse (hinter dem Brustbein), ein über den ganzen Körper verstreutes Netzwerk von Lymphknoten und Lymphgewebe einschließlich Milz, Rachen- und Gaumenmandeln. Zum Immunsystem gehören verschiede Zellen aber auch gelöste Stoffe wie Komplementfaktoren oder Immunglobuline.

Das Knochenmark ist Produzent und Speicher von verschiedenen Blutzellen. Einige Typen unreifer Blutzellen, die Stammzellen, gelangen in andere Teile des Immunsystems und entwickeln sich zu Zellen mit Spezialaufgaben weiter, beispielsweise in Lymphozyten und Mastzellen.

Lymphozyten Lymphozyten spezialisieren sich im Thymus und im Knochenmark zu T- und B-Lympho-zyten:

• T-Lymphozyten (T für Thymus) gehören zum zellgebundenen Abwehrsys-tem. Sie können eindringende Krankheitserreger direkt attackieren.

• B-Lymphozyten (Merkhilfe: B für engl. Bone marrow, Knochenmark) sind für die Produktion von Antikörpern (Immunglobulinen) zuständig. Darunter befindet sich auch das IgE, der Antikörper der allergischen Sofortreaktion.

Mastzellen Mastzellen sind weitere wichtige Zellen der allergischen Reaktion. Sie enthalten Histamin und andere Mittlersubstanzen allergischer Reaktionen. Sie finden sich als Gewebsmast-zellen im Bindegewebe beispielsweise um Blutgefäße herum sowie im Blut als basophile Granulozyten.

Histamin und andere Mediatoren allergischer Reaktionen Das Histamin ist einer der wichtigsten gelösten Stoffe bei der allergischen Reaktion. Es ist hauptsächlich in Gewebsmastzellen und basophilen weißen Blutkörperchen enthalten. Histamin führt z.B. zu einer Erweiterung der Blutgefäße mit erhöhter Durchlässigkeit für Blutserum sowie zu einer Verkrampfung der Bronchialmuskulatur. Auch Leukotriene be-wirken eine Verkrampfung der Bronchialmuskulatur und beeinflussen die Entzündungs-reaktion in der Bronchialschleimhaut. Andere Mediatoren locken weitere Entzündungs-zellen an und verstärken dadurch die allergische Entzündung.

16.3 Was läuft bei der allergischen Sofortreaktion ab? Die allergische Sofortreaktion ist der Prototyp der allergischen Reaktion. Sie tritt Sekunden bis Minuten nach dem Allergenkontakt auf. Typische Beispiele sind der Heuschnupfen, das allergische Asthma bronchiale, anaphylaktische Reaktionen nach Insektenstich oder bei der Nahrungsmittelallergie vom Soforttyp. Es laufen (stark vereinfacht) folgende Prozesse ab (siehe auch Abbildung 16-1):

1. Der Allergieauslöser kommt mit dem Körper in Kontakt über die Haut, Schleim-häute oder den Magendarmtrakt.

2. Das Immunsystem erkennt die Substanz als "fremd" und produziert ganz spezielle IgE-Antikörper. Diese Antikörper können den Allergieauslöser wiedererkennen und mit ihm reagieren.

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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?

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3. Die IgE-Antikörper setzen sich auf Mastzellen. Mastzellen enthalten in kleinen Bläschen Histamin und andere Mittlersubstanzen der allergischen Reaktion und finden sich großer Zahl in Haut, den Atemwegen sowie im Magendarmtrakt.

4. Der Allergieauslöser gelangt erneut in den Körper und kommt mit dem IgE auf den Mastzellen in Kontakt. Die Bindung des Allergens an das IgE bewirkt eine explosionsartige Freisetzung von Histamin und anderen Entzündungsstoffen aus der Mastzelle, was die allergische Sofortreaktion auslöst. Man unterscheidet eine Frühphase, welche innerhalb der ersten 2 Stunden abläuft von einer Spätphase, die nach diesem Zeitraum weiterläuft. In der Spätphase werden durch die allergischen Botenstoffe weitere Entzündungszellen angelockt, welche den Ent-zündungsprozess nicht zur Ruhe kommen lassen. Diese Spätphasenreaktion spielt z.B. für das Asthma bronchiale eine wichtige Rolle.

Abbildung 16-1: Die allergische Sofortreaktion

16.4 Weitere Typen der allergischen Reaktion Neben der allergischen Sofortreaktion gibt es 3 weitere Haupttypen:

Typ I: Die allergische Sofortreaktion Siehe oben.

Typ II: Zytotoxische Reaktion Bei der zytotoxischen Reaktion reagieren Antigen und Antikörper (aus der IgG- oder IgM-Klasse) an Oberflächen von Zellen, z.B. Blutzellen miteinander. Die Anti-gen-Antikörperreaktion führt letztlich zu einer Zerstörung der betreffenden Zelle. Beispiele sind die Zerstörung von roten Blutkörperchen (= Erythrozyten) nach einer Transfusion von Blut einer nicht passenden Blutgruppe oder die Zerstörung von Blutplättchen (= Thrombozyten) bei einer Medikamentenallergie.

Typ III: Immunkomplexreaktion Bei der Immunkomplexreaktion kommt es zu einer Schädigung von Geweben durch sogenannte Immunkomplexe. Die Immunkomplexe entstehen durch die An-einanderlagerung von Antigen und Antikörper. Beispiele sind die Glomerulone-phritis (= nichteitrige Entzündung der Nierenkörperchen) und die exogen aller-

Allergieauslöser kommt mit Körper in

Kontakt

Bildung von IgE-Antikörpern

IgE-Antikörper setzen sich auf Mastzellen

erneuter Kontakt mit Allergieauslöser

Allergieauslöser bindet sich an das IgE auf der Mastzelle

Freisetzung von Botenstoffen (z.B. Histamin)

allergische Symptome

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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?

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gische Alveolitis (z.B. Farmer- oder Taubenzüchterlunge). Die Typ III-Reaktion äußert sich im Verlauf von Stunden nach Antigenkontakt.

Typ IV: Zellvermittelte verzögerte Reaktion Die Typ IV-Allergien sind zellvermittelte Reaktionen, die durch spezifisch sensibilisierte T-Lymphozyten vermittelt werden. Sie sind die Ursache für Kontaktallergien der Haut (z.B. gegen Nickel, Kosmetika), bestimmte Unverträglichkeitsreaktionen von Medikamenten und die Organabstoßung nach Transplantation. Die Typ IV-Allergie hat eine Anlaufszeit von Stunden bis Tagen.

Die genannten Reaktionen können isoliert in Reinform oder aber auch miteinander kom-biniert auftreten.

16.5 Zusammenfassung Das menschliche Abwehrsystem muss zwischen körpereigen und körperfremd unter-scheiden. Es funktioniert durch eine enge Zusammenarbeit von Abwehrzellen mit ge-lösten Abwehrstoffen im Blut. Bei einer Allergie kommt es zu einer unangemessenen überschießenden Antwort des Immunsystems auf im Prinzip harmlose Substanzen. Es werden vier Haupttypen allergischer Reaktionen unterschieden.

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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden

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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden

17.1 Eltern wollen alles unternehmen, um ihrem Kind zu helfen 17.2 Anspruch und Wirklichkeit "alternativer" Methoden 17.3 Auch "alternative" Methoden müssen sich einem Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweis stellen 17.4 "Alternative" Methoden bergen auch Gefahren in sich 17.5 Kritisch zu sehende "alternative" Methoden 17.6 Sinnvolle ergänzende Verfahren 17.7 Zusammenfassung Für Sie als Eltern ist es meist schwierig, "alternative" Methoden zu beurteilen. Dieses Kapitel will Ihnen daher einige Denkanstöße und Informationen zu diesem Thema liefern.

17.1 Eltern wollen alles unternehmen, um ihrem Kind zu helfen Allergische Erkrankungen und Asthma sind oft belastende und chronisch verlaufende Er-krankungen, die nicht schnell geheilt werden können. Es ist verständlich, dass Eltern alles unternehmen wollen, ihrem Kind zu helfen. Besonders wenn der Krankheitsverlauf schwer und hartnäckig ist, greifen viele Eltern auf sogenannte "alternative" Methoden zu-rück. Der Markt "alternativer" Methoden ist inzwischen schwer zu überblicken. Man muss klar unterscheiden zwischen Methoden, die aufgrund eines Wirksamkeitsnachweises den Eingang in die wissenschaftliche Medizin gefunden haben (siehe Kapitel 17.6) und Methoden, deren Anwendung wegen eines fehlenden Wirksamkeitsnachweises nicht sinn-voll oder sogar abzulehnen ist (siehe Kapitel 17.5). Wenn Sie eine "alternative" Methode anwenden wollen, besprechen Sie dies mit Ihrem Kinder- und Jugendarzt. Er kann Ihnen sagen, ob Sie die geplante Behandlung gefahrlos neben der bisherigen Therapie einsetzen können, ob unerwünschte Wirkungen auftreten können oder ob die einzige Wirkung nur ein leerer Geldbeutel ist. Grundsätzlich wird Ihr Kinder- und Jugend-arzt versuchen, eine allergische Erkrankung oder ein Asthma mit einem möglichst milden Mittel zu behandeln, wenn es das Krankheitsstadium erlaubt.

17.2 Anspruch und Wirklichkeit "alternativer" Methoden Die Anbieter "alternativer" Methoden liefern oft eine einfache Erklärung für viele Erkrankungen und versprechen eine schnelle und endgültige Heilung. Im Gegensatz dazu deckt die wissenschaftliche Medizin beispielsweise beim Asthma bronchiale immer komplexere Ursachengefüge auf. Die Versuchung, sich mit einfacheren Erklärungen zufriedenzugeben, liegt nahe. Nicht alles, was das Etikett "natürlich" trägt, ist auch gesund. Man bedenke nur, dass die meisten Allergieauslöser wie Pollen oder Nahrungsmittel natürliche und keine künstlichen Stoffe sind.

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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden

© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003 Seite 17-2

17.3 Auch "alternative" Methoden müssen sich einem Wirk- samkeits- und Unbedenklichkeitsnachweis stellen Eine neue Diagnosemethode muss sich an bewährten diagnostischen Verfahren messen lassen. Eine neue Behandlungsmethode muss in vergleichenden Untersuchungen wirk-samer sein als ein Placebo (= Medikament, das keinen Wirkstoff enthält). Auch ihre mög-lichen Nebenwirkungen müssen festgehalten werden.

Viele "alternative" Methoden wurden in den letzten Jahren gründlich überprüft. Für manche dieser Methoden fehlen Vergleichsuntersuchungen. Eine Reihe dieser Methoden hat sich in kontrollierten Studien als nicht sinnvoll erwiesen. Sie werden jedoch weiterhin angewendet und kosten mitunter viel Geld.

Die alleinige subjektive Verlaufsbeobachtung ist kein ausreichender Wirksamkeitsnach-weis. Dies gilt insbesondere für Erkrankungen wie beispielsweise den Heuschnupfen oder die Neurodermitis. Der Heuschnupfen kann bei jedem Einzelnen von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich stark verlaufen, da die Pollendichte in jedem Jahr unterschiedlich ist. Auch die Neurodermitis hat natürlicherweise deutliche Schwankungen und hat zudem die Neigung, sich im Laufe der Zeit abzuschwächen. Diese natürlichen Verläufe einer Er-krankung dürfen nicht von vorne herein mit der Wirksamkeit einer Behandlungsmethode gleichgesetzt werden.

17.4 "Alternative" Methoden bergen auch Gefahren in sich Man hört oft das Argument, die "alternativen" Methoden könnten ja zumindest nicht schaden. Auch dies gilt nur mit Einschränkungen:

• Der eigenmächtige Abbruch einer Therapie ohne Rücksprache mit dem bisher behandelnden Arzt zugunsten einer "alternativen" Therapie kann zum Beispiel bei einem Kind mit Asthma bronchiale bedrohliche Konsequenzen haben. Sprechen Sie aus diesem Grunde offen mit Ihrem Kinder- und Jugendarzt, bevor Sie eine von ihm verordnete Therapie beenden, damit Sie Ihr Kind nicht gefährden.

• Alternative Methoden zur Allergiediagnostik neigen dazu, zu viele und gar nicht vorhandene Allergien zu diagnostizieren. Diese werden dann angeblich rasch und natürlich wieder geheilt. Oder das Kind wird beispielsweise bei angeblichen Nah-rungsmittelallergien gewaltigen Ernährungseinschränkungen bis hin zur Mangeler-nährung unterworfen.

• Auch "alternative" Medikamente sind nicht immer ganz harmlos. Viele homöo-pathische Medikamente enthalten beispielsweise 40%igen Alkohol, der zur Gewin-nung von Pflanzenauszügen verwendet wird. Eine Verabreichung von Alkohol an Säuglinge und Kinder auch in kleinen Mengen ist grundsätzlich problematisch. Bei manchen "alternativen" Medikamenten sind die Inhaltsstoffe nicht deklariert.

• Bestimmte Methoden können unkontrollierte Immunreaktionen im Körper aus-lösen. Dies ist bei allergischen Erkrankungen, bei denen das Immunsystem so-wieso bereits überschießend reagiert, besonders bedenklich. Beispiele sind die Therapie mit Frischzellen oder die Injektion von Eigenurin.

Im folgenden sollen einige "alternative" Methoden kurz beleuchtet werden. Zunächst ist jeweils der theoretische Anspruch der Methode, dann kontrollierte Untersuchungen auf-geführt.

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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden

© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003 Seite 17-3

17.5 Kritisch zu sehende "alternative" Methoden 17.5.1 Zur Diagnostik eingesetzte Methoden Kinesiologie Die kinesiologische Diagnostik wurde in den sechziger Jahren von dem Amerikaner Goodheart eingeführt. Der Behandler überprüft beim Erkrankten die Anspannung von be-stimmten Muskeln und zieht daraus Rückschlüsse auf erkrankte Organe, Nahrungsmittel-unverträglichkeiten oder fehlende Spurenelemente. Auch die Wirkung verabreichter Medikamente wird auf diese Art und Weise ausgetestet. Kontrollierte Studien konnten die von den Anhängern dieser Methode gemachten Behauptungen nicht nachvollziehen.

Leukozytotoxischer Test Der leukozytotoxische Test soll vor allem der Diagnostik von Nahrungsmittelallergien dienen. Leukozyten (weiße Blutkörperchen) aus dem Blut des Patienten werden mit dem vermuteten Allergen in Kontakt gebracht. Unter dem Mikroskop wird beobachtet, ob Ver-änderungen an den Leukozyten (vor allem eine Auflösung der Zellen) auftreten und daraus auf eine mögliche Allergie geschlossen. Überprüfungen dieser Methode haben gezeigt, dass sehr häufig eine Auflösung der Leukozyten auftritt, ohne dass eine Allergie vorliegt. Auch können die Ergebnisse beim selben Patienten von Tag zu Tag unter-schiedlich ausfallen. Die Anwendung des leukozytotoxischen Tests ist also unzuverlässig und kann nicht empfohlen werden.

Andere abzulehnende Diagnosemethoden Das Wünschelrutengehen, Pendeln und die Irisdiagnostik haben objektiven Überprü-fungen nicht standgehalten.

17.5.2 Zu Diagnose und Therapie eingesetzte Methoden Bioresonanz Die Bioresonanz geht von der Theorie aus, dass der Mensch ein ultrafeines elektro-magnetisches Schwingungsmuster abstrahle, das auch Allergien anzeige und mit einem speziellen Gerät gemessen werden könne. Das Gerät wandle dann schlechte Schwingungen ins exakte Spiegelbild um und gebe sie dem Körper wieder zurück, die Allergie werde dadurch "gelöscht". Studien an den Universitäten Innsbruck und Wien sowie eine Studie in Davos an Neurodermitispatienten konnten die behaupteten Wirkungen in keiner Weise nachvollziehen.

Elektroakupunktur nach Voll (EAV) Bei der EAV wird der elektrische Hautwiderstand an verschiedenen Punkten des Körpers gemessen. Aus den gemessenen Hautwiderständen werden Rückschlüsse auf "veränderte Energieflüsse" im Körper und damit verschiedene Erkrankungen gezogen. Auch Medika-mente, die oft nur in die Hand genommen werden, werden mit dieser Methode ausge-testet. Die Elektroakupunktur nach Voll hielt konkreten Überprüfungen nicht stand.

Symbioselenkung Eine veränderte Bakterienflora im Darm soll ganz unterschiedliche Krankheiten verur-sachen und unterhalten. Durch eine Stuhluntersuchung sollen diese Störungen in der Darmflora (Dysbiose) diagnostiziert werden. Als Behandlung werden dann Bakterien, welche eine normale Darmflora wiederherstellen sollen, in Tropfen- oder Tablettenform eingenommen. Zuverlässige Untersuchungen über die Wirksamkeit dieser Therapie liegen nicht vor. Wie viele eingenommene Bakterien bereits im Magen durch die Magensäure abgetötet werden und wie viele letztlich im Darm ankommen, ist unklar.

Provokations- und Neutralisationstest Diese Methode wurde vor allem für zur Diagnostik und Therapie von Nahrungsmittel-allergien propagiert. Zunächst wird durch Injektion oder Verabreichung des ange-schuldigten Allergens unter die Zunge diejenige Dosis herausgefunden, welche beim Betroffenen Symptome auslöst. Danach wird versucht, mit einer niedrigeren Dosis des Allergens die Symptome wieder zu "neutralisieren". Diese "neutralisierende Dosis" wird

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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden

© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003 Seite 17-4

dann zweimal wöchentlich in die Haut (intrakutan) gespritzt bzw. unter die Zunge gege-ben. Kontrollierte Studien konnten diese Methode nicht als zuverlässig beurteilen.

17.5.3 Zur Therapie eingesetzte Methoden Eigenbluttherapie Eigenes Blut wird aus einer Vene entnommen und anschließend wieder in eine Vene oder unter die Haut gespritzt. Das dem Körper wieder zugeführte Blut soll das Immunsystem des Körpers "umstimmen" und die Abwehrreaktionen steigern. Manchmal werden noch Pflanzenextrakte zugesetzt oder das Blut homöopathisch verdünnt (potenziert). Bei Kindern wird das Eigenblut oft nicht gespritzt, sondern eingenommen. Ein überzeugender Wirksamkeitsnachweis wurde bisher nicht geliefert. Andere Methoden sind als Reiz-therapie harmloser.

Eigenurinbehandlung Ähnlich wie bei der Eigenblutbehandlung wird eigener Urin entweder gespritzt oder ein-genommen. Da der Urin Zellen und Eiweißstoffe aus der Niere enthalten kann, können bei einer Injektionsbehandlung mit Urin Antikörper gegen das eigene Nierengewebe gebildet werden, was zu schweren Krankheitssymptomen führen kann. Diese Art der Be-handlung ist daher abzulehnen.

Homöopathie Die Homöopathie ist eine zwar beliebte, jedoch weiterhin umstrittene Behandlungs-methode. Sie wurde von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann Anfang des neunzehn-ten Jahrhunderts initiiert. Die Homöopathie geht davon aus, dass "Ähnliches" mit "Ähnlichem" geheilt werden kann. Dies bedeutet, dass eine Substanz, die in einer be-stimmten Menge Krankheitssymptome hervorruft, die Krankheitserscheinungen in einer anderen Verdünnung (oder Potenzierung) zum Verschwinden bringen kann. Die Ursub-stanzen werden zu diesem Zwecke verdünnt (in der Sprache der Homöopathie poten-ziert). Ab einer Verdünnung von 1:24 Millionen (D 24) kann allerdings kein einziges Molekül des ursprünglichen Stoffes mehr enthalten sein. Die Homöopathie nimmt nun an, dass durch das Potenzieren "Energie" auf die Trägersubstanz (z.B. Alkohol, Milchzucker) übergehe und so die Wirkung homöopathischer Medikamente zu erklären sei.

Kritiker der Homöopathie führen an, dass nach schulmedizinischen Kriterien ein Wirksam-keitsnachweis nicht geliefert wurde und dass die Wirkung homöopathischer Medikamente die Wirkung eines Placebos nicht überschreite, das heißt der Glaube an die Wirksamkeit des Medikaments die ausschlaggebende Rolle spiele. Beispielsweise wurde eine von der Karl und Veronika Carstens-Stiftung initiierte Studie zur homöopathischen Behandlung der Neurodermitis nach 4 Jahren vorzeitig abgebrochen, da sich kein Behandlungserfolg gezeigt hatte. Anhänger der Homöopathie wenden ein, die homöopathische Behandlung müsse so individuell auf jeden einzelnen Patienten abgestimmt werden, sodass eine Überprüfung mit schulmedizinischen Methoden überhaupt nicht möglich sei – auch ein Weg, sich einer kritischen Überprüfung zu entziehen.

Manche meinen, die Homöopathie könne zumindest nicht schaden. Wenn Sie eine homöopathische Behandlung durchführen lassen, sollten Sie jedoch folgendes beachten:

• Eine wirksamere Behandlung darf nicht versäumt oder abgesetzt werden. Dies gilt vor allem für schwere und akute Erkrankungen.

• Vorsicht ist geboten bei der Verabreichung von alkoholhaltigen Medikamenten an Kinder.

• Bei wenig verdünnten Schwermetallen oder Giftpflanzen (sogenannten Niedrig-potenzen) können durchaus Vergiftungen oder allergische Reaktionen auftreten.

Homöopathische Mischpräparate ("Komplexmittel") haben mit der Lehre Hahnemanns, der immer individuelle Einzelmittel verordnete, nicht mehr viel zu tun. Einen homöo-pathischen Cocktail, der allen hilft, kann es nach der Theorie der klassischen Homöo-pathie nicht geben.

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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden

© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003 Seite 17-5

Akupunktur Auch zur Wirksamkeit der traditionellen Akupunktur bei allergischen Erkrankungen liegen keine gesicherten Wirksamkeitsnachweise vor, die über eine Placebowirkung hinaus-gehen. Die vorliegenden Studien bei Asthma bronchiale zeigen entweder keine oder nur minimale Verbesserungen, die an Wirkung der etablierten Asthmamedikamente auch nicht annähernd heranreichen. Der Einsatz der Akupunktur in der Schmerzbehandlung ist von dieser Wertung unberührt.

Mittel zur Abwehrsteigerung Häufig wird auch bei allergischen Erkrankungen der Wunsch geäußert, doch ein Mittel zur Abwehrsteigerung anzuwenden. Diese Vorstellung trifft jedoch nicht den Kern der meisten allergischen Erkrankungen. Bei einer Allergie liegt ja eine überschießende Re-aktion des Immunsystems vor, sodass das Immunsystem nicht stimuliert, sondern ge-bremst werden müsste.

17.6 Sinnvolle ergänzende Verfahren Entspannungstechniken wie das autogene Training und die progressive Muskelent-spannung nach Jacobson sind in ihrer Wirksamkeit erprobt und können sowohl bei der Neurodermitis als auch beim Asthma bronchiale sinnvoll eingesetzt werden. Auch die krankengymnastische Atemtherapie ist fester Bestandteil der wissenschaftlichen Medizin geworden wird bei der Asthmabehandlung erfolgreich angewendet.

Eine ganze Reihe naturheilkundlicher Methoden wie die Wasseranwendungen der Kneipp-Therapie, regelmäßiges körperliches Training, die Klimatherapie oder Saunabe-suche können als natürliche Reiztherapie die körpereigene Abwehr stabilisieren. Auch die Ordnungstherapie im Sinne einer gesunden Lebensführung ist eine sinnvolle natürliche Maßnahme.

Die Phytotherapie (nicht zu verwechseln mit der Homöopathie) behandelt mit pflanz-lichen Wirkstoffen. Eine ganze Reihe wertvoller Medikamente wurde ursprünglich aus Pflanzen gewonnen und entweder direkt als Pflanzenextrakt verwendet oder durch chemische Abwandlungen in der Wirksamkeit gesteigert. Viele von der Volksmedizin überlieferte Wirkungen konnten bestätigt, jedoch wurden leider auch ernsthafte Neben-wirkungen entdeckt. Für die Allergologie ist beispielsweise die allergieauslösende Wirkung bestimmter Kamillenarten (insbesondere der Hundskamille) von Bedeutung. Bestätigt werden konnte z.B. eine leichte schleimlösende Wirkung von Efeuextrakten, eine deutliche bronchialerweiternde Wirkung tritt jedoch in der üblichen Dosierung noch nicht ein. Pflanzliche Medikamente können bei verschiedenen vor allem leichteren Er-krankungen durchaus sinnvoll eingesetzt werden, jedoch nicht alle Krankheiten lassen sich ausschließlich mit pflanzlichen Medikamenten behandeln.

17.7 Zusammenfassung Der oft chronische Verlauf allergischer Erkrankungen weckt in vielen Eltern den Wunsch nach "alternativen" Diagnose- und Behandlungsmethoden. Jedoch auch für diese Methoden gilt, dass sie ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit unter Beweis stellen müssen. Viele "alternative" Verfahren sind in der Zwischenzeit gründlich untersucht worden, für viele konnte ein überzeugender Wirksamkeitsnachweis nicht geliefert werden.

Sinnvoll eingesetzt werden können Entspannungstechniken, die krankengymnastische Atemtherapie, die Klimatherapie, und bei leichteren Erkrankungen die Phytotherapie (Therapie mit Pflanzeninhaltsstoffen). Vorbeugend und stabilisierend wirken auch regel-mäßiges körperliches Training, Wasseranwendungen und die Sauna.

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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma

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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma

18.1 18.2 18.3 18.4 18.5 18.6 18.7 18.8 18.9 18.10 18.11 18.12

Was ist der Unterschied zwischen Vorsorge und Rehabilitation (= Reha)? Wann ist eine Vorsorge- oder Reha-Maßnahme sinnvoll ? Ambulant oder stationär? Unterschied Kind-Mutter-Reha und Mutter-Kind-Kur Offene Badekur Qualitätsmerkmale einer guten Vorsorge- oder Reha-Einrichtung für Kinder und Jugendliche Wer trägt die Kosten? Antragstellung Wie lange dauert eine Kur/Reha? Wie oft kann eine Kur/Reha beantragt werden? Wie geht es nach der Vorsorge- oder Reha-Maßnahme weiter? Zusammenfassung

Viele Erkrankungen aus dem allergischen Formenkreis wie Neurodermitis oder Asthma bronchiale nehmen einen chronischen und oft schweren Verlauf. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit diese Leiden durch Reha- oder Kur-Maßnahmen positiv beeinflusst wer-den können.

18.1 Was ist der Unterschied zwischen Vorsorge und Reha- bilitation (= Reha)? Vorsorge- und Reha-Maßnahmen haben unterschiedliche Voraussetzungen und Ziele:

18.1.1 Vorsorgekur Bei einer Vorsorgekur liegt (noch) keine Erkrankung vor. Mit einer Vorsorgekur soll

• eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit zu einer Krankheit führen kann, beseitigt oder

• einer bestehenden Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung entgegengewirkt werden.

18.1.2 Reha-Maßnahme Bei einer Reha-Maßnahme liegt bereits eine Erkrankung vor. Es soll

• eine Krankheit geheilt, • eine Verschlimmerung verhütet, • Krankheitsbeschwerden gelindert, • einer drohenden Behinderung vorgebeugt werden.

18.2 Wann ist eine Vorsorge- oder Reha-Maßnahme sinnvoll? 18.2.1 Wohnortnahe Maßnahmen Grundsätzliches Ziel ist auch bei chronischen Erkrankungen aus dem allergischen For-menkreis eine fachgerechte und kompetente kinder- und jugendärztliche Versorgung am Wohnort bzw. wohnortnah. Hier verbringt der Betroffene den größten Teil seines Lebens,

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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma

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hier müssen die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen wie z.B. Inhalations-behandlungen, Hausstaubmilbensanierung oder Eliminationsdiäten in den Alltag umge-setzt werden.

Auch Vorsorgemaßnahmen werden als Mittel zur Krankheitsvorbeugung nur dann einen längerfristigen Effekt haben, wenn sie konsequent ins alltägliche Leben umgesetzt wer-den. Aus diesen Gründen werden zunächst wohnortnahe Vorsorge- und Reha- Maßnah-men angestrebt. In zunehmendem Maße werden beispielsweise wohnortnahe ambulante Asthmaschulungskurse angeboten.

18.2.2 Wohnortferne Maßnahmen Unter folgenden Voraussetzungen kann jedoch eine vom Wohnort entfernte Maßnahme notwendig werden:

• Wohnortnahe ambulante oder stationäre Vorsorge- und Reha- Einrichtungen sind nicht verfügbar.

• Es sind bestimmte sehr personal- und zeitaufwendige diagnostische oder therapeutische Maßnahmen (z.B. Nahrungsmittelauslasstests und –provokations-tests bei schweren Neurodermitikern) erforderlich, die in den meisten Akutkliniken nicht durchgeführt werden.

• Schwerwiegende psychosoziale Probleme (z.B. schwierige familiäre Situation) oder Verhaltensprobleme im Zusammenhang mit einer Erkrankung erfordern ein viel-schichtiges Behandlungsangebot oder machen eine vorübergehende Herausnahme aus der Familie sinnvoll.

• Komplexe Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung sind erforderlich (z.B. bei schwerem Asthma bronchiale mit Selbstwertproblematik).

• Ein Aufenthalt in heilklimatischer oder allergenarmer Umgebung verspricht eine Stabilisierung und kann die übrigen therapeutischen Maßnahmen unterstützen.

Kritik gegen wohnortferne Kurmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen richtet sich vor allem gegen reine Klimakuren zur Abwehrstärkung, deren Langzeiteffekte unsicher sind. Einen herausragenden Stellenwert haben jedoch qualifizierte Schulungsmaßen zur Vor-beugung, Heilung bzw. Linderung sowie Bewältigung chronischer Erkrankungen erlangt.

18.3 Ambulant oder stationär? Grundsätzlich gilt das Prinzip "ambulant vor stationär". Stationäre Maßnahmen kommen in Betracht, wenn ambulante Maßnahmen am Wohnort bzw. am Kurort nicht ausreichen oder bereits erfolglos durchgeführt worden sind. Bei schwer verlaufenden chronischen Erkrankungen, bei denen aufwendige diagnostische oder therapeutische Maßnahmen bzw. intensive Schulungsmaßnahmen erforderlich sind, wird bei Kindern und Jugendli-chen in der Regel eine stationäre Reha durchgeführt.

18.4 Unterschied Kind-Mutter-Reha und Mutter-Kind-Kur 18.4.1 Kind-Mutter-Reha Bei der Kind-Mutter-Reha bzw. Kind-Vater-Reha steht das erkrankte Kind im Vorder-grund. Je nach Alter der Patienten werden bei stationären Reha-Maßnahmen auch Eltern mit aufgenommen, da diese ja auch zu Hause für die Durchführung der Behandlung ent-scheidend mitverantwortlich sind. Bei diesen sog. Kind-Mutter-Reha-Maßnahmen ist die Begleitperson in die Betreuung des Kindes mit eingebunden und der Aufenthalt hat in der Regel für die Mutter oder den Vater keinen Erholungswert.

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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma

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18.4.2 Mutter-Kind-Kur Die Mütterkuren und Mutter-Kind-Kuren des Müttergenesungswerkes sind stationäre Vor-sorgekuren oder Reha-Maßnahmen. Hierbei steht zunächst einmal im Gegensatz zu Kind-Mutter-Reha-Maßnahmen die Gesundheit der Mütter im Vordergrund. Kinder können je-doch mit aufgenommen werden, wenn diese in ihrer Gesundheit gefährdet oder ebenfalls krank sind oder die Trennung von der Mutter nicht vertretbar ist.

18.5 Offene Badekur Bei der offenen Badekur handelt es sich um eine ambulante Kurmaßnahme. Hier geht es vor allem um die Ausnützung des heilklimatischen Effekts (z.B. Reizklima oder Pollenar-mut) an einem anerkannten Kurort zur Stärkung der Gesundheit. Unterkunft und Zeit-punkt können selbst bestimmt werden. Hierfür erhalten gesetzlich Versicherte einen Zu-schuss zu den Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Fahrtkosten.

18.6 Qualitätsmerkmale einer guten Vorsorge- oder Reha- Einrichtung für Kinder und Jugendliche Hat ihr Kinder- und Jugendarzt die Notwendigkeit einer Vorsorge- oder Reha- Maßnahme festgestellt, stellt sich natürlich die Frage nach der am besten geeigneten Einrichtung. Hierbei sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wobei die höchsten Anforderun-gen an stationäre Reha-Einrichtungen zu stellen sind:

• Werden die Kinder und Jugendlichen qualifiziert kinder- und jugendärztlich be-treut? Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Voraussetzung für eine optimale Betreuung von Kindern und Jugendlichen ist die Präsenz von kinder- und jugend-ärztlichen Spezialisten.

• Stehen kompetente Mitarbeiter anderer Berufsgruppen (z.B. Atemtherapeuten, Er-nährungsberater, Psychologen, Pädagogen) in einem multidisziplinären Team zur Verfügung?

• Ist die Einrichtung mit den erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten (z.B. Allergietestung, Allergielabor, Lungenfunktionslabor) aus-gestattet?

• Werden anerkannte Patientenschulungsprogramme zur Verbesserung der Krank-heitskompetenz (z.B. Asthmaschulungsprogramme nach den Richtlinien der Ar-beitsgemeinschaft Asthmaschulung oder Neurodermitisschulung nach den Richtli-nien der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung) durchgeführt?

• Werden gesicherte und wissenschaftlich erprobte Diagnose- und Therapiemetho-den angewendet? Kinder sind kein Experimentierfeld für fragwürdige Diagnose- und Therapiemethoden.

• Liegen falls erforderlich geeignete heilklimatische Bedingungen (z.B. Allergenar-mut, Reinluftgebiet, Reizklima) vor?

18.7 Wer trägt die Kosten? • Vorsorgekuren: Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt ambulante und

stationäre Vorsorgekuren, auch Mutter-Kind-Kuren. Bei der privaten Krankenver-sicherung hängt die Übernahme der Kosten vom gewählten Versicherungstarif ab.

• Reha-Maßnahmen: Für die ambulante Reha ist die Krankenversicherung zu-ständig, für stationäre Reha-Maßnahmen in der Regel die Rentenversicherung (z.B. BfA, LVA), bei Beamten die Beihilfe.

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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma

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18.8 Antragstellung Wurde mit dem Kinder- und Jugendarzt die Notwendigkeit einer Kur- oder Reha-Maß-nahme besprochen sowie eine geeignete Einrichtung ins Auge gefasst, muss ein Antrag gestellt werden:

• Für Mutter-Kind-Kuren des Müttergenesungswerkes erhalten Sie Antragsformulare und Beratung bei den Wohlfahrtsverbänden: der Arbeiterwohlfahrt, dem paritäti-schen Wohlfahrtsverband, dem Deutschen Roten Kreuz, der Caritas oder dem Diakonischen Werk. Der Kurantrag wird von diesen Stellen an die Krankenkasse weitergeleitet.

• Gesetzlich Versicherte erhalten die Antragsformulare für die übrigen ambulanten und stationären Kuren oder Reha-Maßnahmen bei ihrer Krankenkasse. Die Kran-kenkasse koordiniert auch die Leistungspflicht mit dem Rentenversicherungsträ-ger. Der Kurantrag wird vom medizinischen Dienst der Krankenkasse geprüft. So-bald eine Kostenübernahmeerklärung vorliegt, kann mit der vorgesehenen Ein-richtung eine Terminabsprache getroffen werden.

• Bei Privatversicherten hängt die Kostenübernahme vom gewählten Versicherungs-tarif ab. Besteht Versicherungsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung (z.B. BfA), so werden stationäre Rehamaßnahmen über den Rentenversicherungs-träger beantragt, bei Beamten über die Beihilfe. Antragsformulare der gesetzli-chen Rentenversicherung sind dort oder bei den örtlichen gesetzlichen Kranken-kassen erhältlich. Beihilfeberechtigte benötigen in der Regel einen Befundbericht des behandelnden Arztes für die Beihilfestelle sowie eine amtsärztliche Beurtei-lung.

• Informationen und Hilfestellung geben auch die Einrichtungen, in denen die Vor-sorge- oder Rehamaßnahme geplant ist.

18.9 Wie lange dauert eine Kur/Reha? Ambulante Kurmaßnahmen haben bei Kindern und Jugendlichen zur Zeit eine Regeldauer von 3, stationäre Vorsorge- und Reha- Maßnahmen von 4 bis 6 Wochen. Bei Erfordernis kann von der Reha-Klinik während des Aufenthalts eine Verlängerung beantragt werden. In einzelnen Einrichtungen besteht die Möglichkeit eines längerfristigen Aufenthalts mit Schulbesuch oder Berufsausbildung.

18.10 Wie oft kann eine Kur/Reha beantragt werden? In der Regel besteht ein Anspruch, getrennt nach Vorsorge- und Reha- Maßnahmen, alle 4 Jahre. In besonderen Fällen kann bei medizinischer Notwendigkeit auch früher ein neuer Antrag gestellt werden.

18.11 Wie geht es nach der Vorsorge- oder Reha-Maß- nahme weiter? Durch einen Kur- oder Reha- Aufenthalt allein kann eine allergische Erkrankung oder ein Asthma bronchiale nicht geheilt werden. Ziel ist es, mit Hilfe der neu erlernten Wissens- und Verhaltensstrategien die Gesundheit in der häuslichen Umgebung weiter zu stabili-sieren. Die Vorsorge- oder Rehaeinrichtung wird Ihrem betreuenden Kinder- und Jugend-arzt am Wohnort einen Therapievorschlag machen, den Sie gemeinsam mit ihm zu Hause umsetzen müssen.

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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma

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18.12 Zusammenfassung Eine Vorsorgekur soll einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung entgegenwir-ken (d.h. das Kind ist (noch) nicht krank). Eine Reha-Maßnahme soll eine bereits be-stehende Krankheit heilen, eine Verschlimmerung verhüten, Krankheitsbeschwerden lin-dern oder einer drohenden Behinderung vorbeugen. Vorsorge- und Reha-Maßnahmen können ambulant oder stationär durchgeführt werden. Kritik gegen wohnortferne Kur-maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen richtet sich vor allem gegen reine Klimakuren zur Abwehrstärkung, deren Langzeiteffekte unsicher sind. Einen herausragenden Stellen-wert haben jedoch qualifizierte Schulungsmaßen zur Vorbeugung, Heilung bzw. Linde-rung sowie Bewältigung chronischer Erkrankungen erlangt.