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40.4.5 Rheumatische Koxitis Synonyme Koxarthritis. Definition Synovitis des Hüftgelenks bei rheumatischen Erkrankun- gen führt zur sekundären Koxarthrose. Ätiopathogenese Im Rahmen der rheumatoiden Arthritis, Psoriasisarthritis, Spondylitis ankylosans, Psoriasisarthritis, enteropathi- schen Arthritiden, Reiter-Syndrom und der juvenilen idiopathischen Arthritis kann es zur Hüftgelenksynovitis kommen. Das entzündliche Pannusgewebe führt zur De- struktion an der Knorpel-Knochen-Grenze von Hüftkopf- und Pfanne mit Gelenkdestruktion und Entwicklung einer sekundären Koxarthrose (s. a. Kap. 18). Epidemiologie Die Hüftbeteiligung bei der rheumatoiden Arthritis wird im Frühstadium mit weniger als 20 %, im Spätstadium auf über 50 % angegeben ohne Bevorzugung einer Altersstufe. Bei der Spondylitis ankylosans erkranken deutlich häufi- ger Männer. Diagnostik Klinische Diagnostik Ruhe- und Bewegungsschmerzen der Hüfte mit schmerz- bedingter Gehstreckenreduktion sind vordergründig. Bei der Spondylitis ankylosans besteht ein Mischbild (ilio- sakrale und pseudoradikuläre Beschwerden), was die Di- agnosestellung anfangs erschweren kann. Die Hüftbeweglichkeit ist schmerzhaft eingeschränkt bei oft bestehender Außenrotationsbeugekontraktur. Die Mituntersuchung der angrenzenden Gelenke deckt den polyartikulären Befall und die typischen Deformitäten auf. Laborchemisch ist der Rheumafaktor bei ca. 85 % der rheumatoiden Arthritispatienten positiv, das HLA-B-27 ist bei etwa 90 % der Erkrankten mit Spondylitis ankylo- sans nachweisbar. Bildgebende Diagnostik Sonografisch kann ein Hüftgelenkserguss mit Kapselver- dickung bestehen. Nativradiologisch sind verschiedene Formen zu unterschieden (Abb. 40.28): Der dysplasti- sche Typ ähnelt der Coxa valga subluxans mit Pfannen- dysplasie. Der Protrusionstyp geht mit einer Pfannenver- tiefung einher. Die senile Form zeigt eine ausgeprägte Os- teoporose. Dem Destruktionstyp liegt radiologisch eine Hüftkopfnekrose, meist als Folge der Kortisontherapie, zu- grunde. Der Degenerationstyp ähnelt einer Koxarthrose. Die Spondylitis ankylosans zeigt der Coxitis tuberculosa ähnelnde stark destruierende (ankylosierende) Verände- rungen. Ein MRT erfolgt bei dierenzialdiagnostischen Schwierigkeiten (z.B. Hüftkopfnekrose). Die Ganzkörper- szintigrafie deckt den polyartikulären Gelenkbefall auf. Dierenzialdiagnose Koxarthrose, kristallassoziierte Arthritiden, reaktive Koxarthritiden, transiente Osteoporose, Hüftkopfnekrose, bakterielle Koxitis, villonoduläre Synovitis, Tumoren. Therapie Die Behandlung ist zunächst konservativ durch den inter- nistischen Rheumatologen (s. Kap. 18). Die operative Versorgung erfolgt bei Zunahme der ra- diologischen Destruktion mit entsprechender Beschwer- desymptomatik. Eine Synovektomie des Hüftgelenks soll- te nur arthroskopisch und bis zum frühen Erwachsenen- alter durchgeführt werden. Die oene Synovektomie birgt das Risiko zur sekundären Femurkopfnekrose (operations- technisch bedingte Luxation des Hüftkopfes). Andernfalls ist die Versorgung mittels Hüft-TEP nötig. Eine Arthro- dese bleibt aufgrund eingeschränkter Kompensations- mechanismen im Rahmen des polyartikulären Befalls spe- ziellen Ausnahmefällen vorbehalten. Prognose Nach endoprothetischer Versorgung besteht eine gute Prognose, ggf. ist mit einer Wechseloperation bei jungen Patienten zu rechnen. Die postoperative Bildung heterot- oper Ossifikationen nach Hüft-TEP-Versorgung zeigt sich häufiger bei der Spondylitis ankylosans. Frakturen im Rahmen der Implantation als auch spätere periprotheti- sche Frakturen treten bei nicht ausreichend behandelter Begleitosteoporose häufiger als bei arthrosebedingter Hüft-TEP auf. Die Mobilität wird durch den Mitbefall wei- terer Gelenke bestimmt. Abb. 40.28 Röntgendarstellung einer rheumatischen Koxitis. Hüftgelenk und Oberschenkel 40 694 aus: Wirth, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406439) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

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40.4.5 Rheumatische KoxitisSynonymeKoxarthritis.

DefinitionSynovitis des Hüftgelenks bei rheumatischen Erkrankun-gen führt zur sekundären Koxarthrose.

ÄtiopathogeneseIm Rahmen der rheumatoiden Arthritis, Psoriasisarthritis,Spondylitis ankylosans, Psoriasisarthritis, enteropathi-schen Arthritiden, Reiter-Syndrom und der juvenilenidiopathischen Arthritis kann es zur Hüftgelenksynovitiskommen. Das entzündliche Pannusgewebe führt zur De-struktion an der Knorpel-Knochen-Grenze von Hüftkopf-und Pfanne mit Gelenkdestruktion und Entwicklungeiner sekundären Koxarthrose (s. a. Kap. 18).

EpidemiologieDie Hüftbeteiligung bei der rheumatoiden Arthritis wirdim Frühstadium mit weniger als 20%, im Spätstadium aufüber 50% angegeben ohne Bevorzugung einer Altersstufe.Bei der Spondylitis ankylosans erkranken deutlich häufi-ger Männer.

Diagnostik

Klinische DiagnostikRuhe- und Bewegungsschmerzen der Hüfte mit schmerz-bedingter Gehstreckenreduktion sind vordergründig. Beider Spondylitis ankylosans besteht ein Mischbild (ilio-sakrale und pseudoradikuläre Beschwerden), was die Di-agnosestellung anfangs erschweren kann.

Die Hüftbeweglichkeit ist schmerzhaft eingeschränktbei oft bestehender Außenrotationsbeugekontraktur. DieMituntersuchung der angrenzenden Gelenke deckt denpolyartikulären Befall und die typischen Deformitäten auf.

Laborchemisch ist der Rheumafaktor bei ca. 85 % derrheumatoiden Arthritispatienten positiv, das HLA-B-27ist bei etwa 90% der Erkrankten mit Spondylitis ankylo-sans nachweisbar.

Bildgebende DiagnostikSonografisch kann ein Hüftgelenkserguss mit Kapselver-dickung bestehen. Nativradiologisch sind verschiedeneFormen zu unterschieden (▶Abb. 40.28): Der dysplasti-sche Typ ähnelt der Coxa valga subluxans mit Pfannen-dysplasie. Der Protrusionstyp geht mit einer Pfannenver-tiefung einher. Die senile Form zeigt eine ausgeprägte Os-teoporose. Dem Destruktionstyp liegt radiologisch eineHüftkopfnekrose, meist als Folge der Kortisontherapie, zu-grunde. Der Degenerationstyp ähnelt einer Koxarthrose.Die Spondylitis ankylosans zeigt der Coxitis tuberculosa

ähnelnde stark destruierende (ankylosierende) Verände-rungen. Ein MRT erfolgt bei differenzialdiagnostischenSchwierigkeiten (z. B. Hüftkopfnekrose). Die Ganzkörper-szintigrafie deckt den polyartikulären Gelenkbefall auf.

DifferenzialdiagnoseKoxarthrose, kristallassoziierte Arthritiden, reaktiveKoxarthritiden, transiente Osteoporose, Hüftkopfnekrose,bakterielle Koxitis, villonoduläre Synovitis, Tumoren.

TherapieDie Behandlung ist zunächst konservativ durch den inter-nistischen Rheumatologen (s. Kap. 18).

Die operative Versorgung erfolgt bei Zunahme der ra-diologischen Destruktion mit entsprechender Beschwer-desymptomatik. Eine Synovektomie des Hüftgelenks soll-te nur arthroskopisch und bis zum frühen Erwachsenen-alter durchgeführt werden. Die offene Synovektomie birgtdas Risiko zur sekundären Femurkopfnekrose (operations-technisch bedingte Luxation des Hüftkopfes). Andernfallsist die Versorgung mittels Hüft-TEP nötig. Eine Arthro-dese bleibt aufgrund eingeschränkter Kompensations-mechanismen im Rahmen des polyartikulären Befalls spe-ziellen Ausnahmefällen vorbehalten.

PrognoseNach endoprothetischer Versorgung besteht eine gutePrognose, ggf. ist mit einer Wechseloperation bei jungenPatienten zu rechnen. Die postoperative Bildung heterot-oper Ossifikationen nach Hüft-TEP-Versorgung zeigt sichhäufiger bei der Spondylitis ankylosans. Frakturen imRahmen der Implantation als auch spätere periprotheti-sche Frakturen treten bei nicht ausreichend behandelterBegleitosteoporose häufiger als bei arthrosebedingterHüft-TEP auf. Die Mobilität wird durch den Mitbefall wei-terer Gelenke bestimmt.

Abb. 40.28 Röntgendarstellung einer rheumatischen Koxitis.

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40.4.6 Stoffwechselbedingte KoxitisSynonymeChondrokalzinose, Pseudogicht, Kristallarthropathie.

DefinitionKristallinduzierte Synovitis, die durch Ablagerung vonKalziumpyrophosphatkristallen im Faserknorpel zu reak-tiv-arthrotischen Veränderungen führt.

ÄtiopathogeneseEin Enzymdefekt im Pyrophosphatstoffwechsel wird dis-kutiert. Die primäre (idiopathische) Chondrokalzinosekommt lokalisiert oder systemisch polyartikulär vor. Diesekundäre Chondrokalzinose tritt im Rahmen einerGrunderkrankung, am häufigsten beim Hyperparathy-reoidismus (primär oder sekundär) auf, bei der Hämo-chromatose, dem Morbus Wilson, bei der Gicht und beider Hypothyreose (s. a. Kap. 17).

EpidemiologieSeltener als die Gicht. Bevorzugung des mittleren und hö-heren Lebensalters. Selten Hüftgelenkbefall.

Diagnostik

Klinische DiagnostikDie asymptomatische Form verläuft meist klinisch stummals radiologischer Zufallsbefund („Meniskusverkalkung“am Knie). Die chronische Arthropathie ähnelt der Koxar-throse. Die akute Form geht mit starken Schmerzen ein-her. Laborchemisch besteht bei der akuten Form eine Er-höhung der Entzündungsparameter. Im Rahmen einerHüftgelenkpunktion sollte bei differenzialdiagnostischenProblemen neben der Bakteriologie eine Synoviaanalysezum Nachweis von Kalziumpyrophosphatkristallendurchgeführt werden.

Bildgebende DiagnostikSonografisch besteht bei der akuten Form ein Hüftgelen-kerguss. Nativradiologisch zeigt sich eine streifen- oderpunktförmige Verkalkung im hyalinen Knorpel parallelzur Gelenkkontur.

DifferenzialdiagnoseArthritis urica, akute und chronische Gelenkinfekte, Ko-xarthrose, Hüftkopfnekrose, reaktive Arthritiden.

TherapieEine kausale Behandlung ist nicht möglich. Die akuteForm zeigt wie die Gicht ein gutes Ansprechen auf Colchi-

cin und NSAR. Die chronische Arthropathie wird wie dieKoxarthrose behandelt. Die Chondrokalzinose gilt als prä-arthrotische Deformität.

40.4.7 Hämophile KoxitisSynonymeArthropathia haemophilica, Blutergelenk.

DefinitionProgrediente Knorpel-Knochen-Destruktion aufgrund re-zidivierender Gelenkblutungen mit Begleitsynovitis.

ÄtiopathogeneseDie Hämophilie A und B werden X-chromosomal-rezessivvererbt (Mangel von Faktor VIII bzw. IX). Sie können ohneadäquates Trauma oder nach nur geringfügigem Traumazu spontan auftretenden Gelenkblutungen führen. Spon-tane Gelenkblutungen sind bei einer Restaktivität des Fak-tors VIII oder IX von weniger als 3% zu erwarten. Bei derHämophilie A und B werden verschiedene Schweregradeunterschieden: schwere (<1%), mittelschwere (1–5%),leichte (5–15%) und eine subhämophile (15–50%). DieBlutbestandteile und deren Abbauprodukte (insbesonderedie Akkumulation des intrazellulären Eisens) führen zurchronisch villös-hypertrophen Synovitis mit nachfolgen-der Knorpelschädigung, sekundärer Arthrose und Kapsel-fibrose. Parallel entwickelt sich eine Atrophie der gelenk-übergreifenden Muskulatur (s. a. Kap. 17).

EpidemiologieDie Hämophilie A und B zeigen eine Häufigkeit von1:10.000. Das Hüftgelenk ist seltener als Knie-, Ellenbo-gen- und Sprunggelenk betroffen.

Diagnostik

Klinische DiagnostikZunehmende Schmerzen und Bewegungseinschränkungtreten ohne adäquates Trauma bei positiver Anamneseeiner hämorrhagischen Diathese auf. Eine schmerzhafteBewegungseinschränkung mit Schonung kann bestehen.

Laborchemisch zeigt sich eine Verlängerung der PTTbei normaler Blutungszeit (Hämophilie A und B) mit ent-sprechendem Faktorenmangel.

Bildgebende DiagnostikSonografisch stellt sich ein Hüftgelenkserguss dar. Nativ-radiologisch besteht eine Abhebung des Kapselschattensmit Erweiterung des Gelenkspalts. Als Folge rezidivieren-der Einblutungen können sekundäre Gelenkveränderun-gen mit perthesähnlichen Kopfnekrosen und eine Coxa

40.4 Entzündliche Erkrankungen

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valga bei Kindern sowie eine Gelenkspaltverschmälerung,subchondrale Zysten und eine gelenknahe Osteoporoseauffallen.

DifferenzialdiagnoseMarcumar-Blutung (Anamnese). Das autosomal-domi-nant vererbte Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom führtaufgrund einer Fehlbildung des Faktor-VIII-Moleküls zupetechialen oder flächenhaften Nachblutungen, ins-besondere postoperativ. Es findet sich eine verlängerteBlutungszeit.

TherapieAm wichtigsten ist die Prophylaxe der Einblutungendurch Substitution des Faktorenmangels mit Faktor VIII(Haemate HS) bzw. Faktor IX (Beriplex HS). Bei akutenGelenkblutungen lokale Kühlung und sofortige Substitu-tion von 20–30 E/kg des Faktorenkonzentrats. Bei milderHämophilie und Subhämophilie kann durch Desmopres-sin (Minirin 0,4 g/kg i. v. 2 × tgl.) der Faktor-VIII-Spiegelvorübergehend um das 4fache gesteigert werden. EineErgusspunktion erfolgt nur bei Ausbleiben der Erguss-resorption nach Substitutionstherapie. Zur Kontraktur-prophylaxe wird schon im Kindesalter Krankengymnastikdurchgeführt. Die Indikation zur operativen Therapie er-gibt sich bei fortgeschrittener Arthropathie mittels Hüft-TEP unter entsprechender Kontrolle der Gerinnungs-situation.

PrognoseBei ausreichender Faktorensubstitution treten Hämatomenicht gehäuft auf. Die Substitution mit Gerinnungsfak-toren birgt das Risiko einer Infektion an HIV, Hepatitisund Anaphylaxie in sich.

LiteraturHackenbroch MH. Entzündliche Hüftgelenkerkrankungen. In: Wirth CJ,

Hrsg. Praxis der Orthopädie. Bd. II. Stuttgart: Thieme; 2001: 482–489Hackenbroch MH. Rheumatische Erkrankungen und Kristallarthropathien

des Hüftgelenkes. In: Wirth CJ, Hrsg. Praxis der Orthopädie. Bd. II. Stutt-gart: Thieme; 2001: 493–494

Hettenkofer HJ. Rheumatologie. Stuttgart: Thieme; 1989: 289–291JägerM, Wirth CJ. Praxis der Orthopädie. Stuttgart: Thieme; 1986: 613–617Müller-Faßbender HR, Bach GL. Bakterielle Arthritiden. Arthritis und Rheu-

ma 2005: 25: 63–70Neidel J, Krenn V. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Hüftgelenks.

In: Wirth CJ, Zichner L, Hrsg. Orthopädie und Orthopädische Chirurgie.Band: Becken, Hüfte. Stuttgart: Thieme; 2004: 444–458

Niethard FU. Osteomyelitis und eitrige Arthritis – sofortige und konsequenteBehandlung bessert die Prognose. In: Kinderorthopädie. Stuttgart; Thie-me; 1997: 331–338

Parsch K. Die septische Arthritis des Hüftgelenkes (Coxitis septica). In:Wirth CJ, Zichner L, Hrsg. Orthopädie und Orthopädische Chirurgie.Band: Becken, Hüfte. Stuttgart: Thieme; 2004: 230–234

Strobl W, Ganger R, Grill FM. Perthes. In: Wirth CJ, Zichner L. Orthopädieund Orthopädische Chirurgie. Band: Becken, Hüfte. Stuttgart: Thieme;2004: 219

40.5 VerletzungenN. P. Haas, H. J. Bail

40.5.1 VerletzungsmechanikZur Verletzung von Hüftgelenk und Oberschenkelkno-chen ist beim jungen Patienten in der Regel eine starke,von außen einwirkende Kraft nötig. Am häufigsten trittdiese bei Verkehrsunfällen oder Stürzen aus großer Höheauf, es handelt sich dabei um ein sog. „high-energy trau-ma“.

Eine differente Verletzungsmechanik liegt beim altenund zumeist osteoporotischen Patienten vor. Im Alter istder häufigste Unfallmechanismus der Sturz auf die Hüfte,welcher zur hüftnahen, proximalen Femurfraktur führt.Es handelt sich somit um ein sog. „low-energy trauma“.Die Stelle des Anpralls ist in der Regel der Trochanter ma-jor. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Osteoporose resul-tiert am häufigsten eine Fraktur des Trochanterbereichsoder des Schenkelhalses.

Bei den Verletzungen von Hüftgelenk und Femur beimalten Patienten handelt es sich meist um ein Monotrau-ma, während beim jungen Patienten in einem großen An-teil der Fälle mehrere Verletzungen vorliegen. Das ist beider weiteren Diagnostik und Versorgung zu berücksichti-gen.

40.5.2 Akutdiagnostik undAkutbehandlungZur Akutdiagnostik gehört die Erfassung der typischenklinischen Zeichen der jeweiligen Verletzungsform, wiesie im Weiteren in den Unterkapiteln beschrieben sind.Immer sind die Durchblutung, Motorik und Sensibilitätdistal der Verletzung zu überprüfen und zu dokumentie-ren, ebenso vor und nach Repositionsmanövern. Radio-logisch werden für Hüftverletzungen die Beckenübersichta.–p., für hüftnahe Frakturen die tiefe Beckenaufnahmea.–p. und für Verletzungen des Femurschafts die Aufnah-me des Femurs in 2 Ebenen mit angrenzenden Gelenkendurchgeführt. Vor jeder weiterführenden Diagnostik sol-len Luxationen und grobe Frakturdislokationen nachMöglichkeit behoben sein.

40.5.3 HüftgelenkluxationenDie traumatische Hüftgelenkluxation ohne radiologischnachweisbare Frakturen des Azetabulums oder des Fe-murkopfs ist selten und kommt meist durch ein indirek-tes Trauma zustande. Der Häufigkeitsgipfel der Verletztenliegt in der Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen. In 80%der Fälle ist das männliche Geschlecht betroffen.

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Anatomie und VerletzungsmechanismusDas Hüftgelenk wird aus Azetabulum und Femurkopf ge-bildet. Diese lassen sich bei der klinischen Untersuchungdurch die Dicke des umgebenden Muskelmantels nichtpalpieren. Die Stabilität des Hüftgelenks ist in erster Liniedurch die Form (Tiefe) der Pfanne sowie durch das La-brum acetabulare begründet. Sie wird erhöht durch einekräftig ausgebildete Gelenkkapsel einschließlich der inte-grierten Ligg. iliofemorale, ischiofemorale und pubofemo-rale sowie die umgebende Muskulatur. Die Gefäßversor-gung des Hüftkopfs ist durch die Aa. circumflexa femorislateralis et medialis und A. lig. capitis femoris gewährleis-tet. Die Bewegungsmaße liegen im Normalfall in etwa bei130/0/20° für Flexion/Extension, 40/0/30° für Ab-/Adduk-tion und 40/0/50° für Außen-/Innenrotation nach derNeutral-Null-Methode.

Um eine Luxation in diesem ausgesprochen stabilenGelenk herbeizuführen, bedarf es einer starken Gewalt-einwirkung meist mit Stauchung oder hebelnden Bewe-gung am Femur. Die häufigste Verletzungsursache ist diesog. „dash-board injury“, das Knieanpralltrauma am Ar-maturenbrett bei Verkehrsunfällen. Hierbei wirkt eine er-hebliche Kraft über das gebeugte Kniegelenk und die Fe-murlängsachse indirekt auf das gebeugte Hüftgelenk ein.Der Oberschenkel befindet sich dabei in einer neutralenbis leichten Abduktionsstellung. Durch den Aufprallschlägt der Femurkopf einem Hammer gleich gegen dendorsalen kranialen Pfeiler. Daraus resultiert die hintereobere Luxation wie auch die Abscherfraktur des Fem-urkopfs. Zusätzliche Knorpelläsionen an Azetabulum undFemurkopf sind häufig und führen zur posttraumatischenArthrose. Häufige Begleitverletzungen sind Läsionen desN. ischiadicus, Fuß- und Knieverletzungen.

Diagnostik

Klinische DiagnostikAbhängig von der Position des luxierten Femurkopfs wer-den 4 Typen der Hüftluxationen unterschieden: hintereobere, hintere untere sowie vordere obere und vordereuntere Luxation. Diese sind bereits klinisch an einer fürden Luxationstyp typischen Beinfehlstellung erkennbar(▶Abb. 40.29). Die Hüftgelenkluxationen sind meist äu-ßerst schmerzhaft. Neurovaskuläre Schädigungen fallenhäufig schon durch die obligate Kontrolle der peripherenDurchblutung, Motorik und Sensibilität auf. Die aktive Be-wegung ist im Hüftgelenk nicht möglich. Der Versuch, diePosition des Beines aus o. g. Stellung passiv zu lösen, istvon Schmerzen begleitet, dabei ist das typische Symptomdes federnden Widerstandes zu beobachten.

Die hintere obere Verrenkung oder Luxatio posterioriliaca, meist mit einer zusätzlichen Fraktur des dorsalenPfannenrandes, ist mit ca. 60% aller Hüftluxationen diehäufigste Luxationsrichtung des Femurkopfs. Hierbei istdas betroffene Bein um etwa 5–7 cm verkürzt und befin-det sich in leichter Flexion, Innenrotation und Adduktion(Kniegelenke liegen eng nebeneinander).

Bei der hinteren unteren Verrenkung oder Luxatioposterior ischiadica ist das Bein stark flektiert und addu-ziert in Innenrotation.

Bei der seltenen vorderen oberen Verrenkung oderLuxatio anterior pubica ist das Bein gestreckt, leicht ab-duziert und außenrotiert. Der unter dem Lig. inguinalemeist gut palpable luxierte Femurkopf drückt häufig dieFemoralgefäße ab, sodass die peripheren Pulse der be-troffenen Extremität entweder stark abgeschwächt odernicht tastbar sind.

Abb. 40.29 a–d Schematische Darstellungder Einteilung von Hüftgelenkluxationen(nach Wiedeman, Braun, Rüter) (aus: JostenC, Korner J. Verletzungen des Hüftgelenksund des proximalen Femurs. In: MutschlerW, Haas N. Praxis der Unfallchirurgie.Stuttgart: Thieme; 2004).a Luxatio posterior iliaca.b Luxatio posterior ischiadica.c Luxatio anterior pubica.d Luxatio anterior obturatoria.

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Die vordere untere Verrenkung oder Luxatio anteriorobturatoria ist die häufigste vordere Luxation im Hüftge-lenk. Es kommt zur Luxation des Femurkopfs vor das Fo-ramen obturatorium. Das Bein steht in der Hüfte meistum ca. 40° flektiert in einer Außenrotation und Abdukti-onsstellung.

Bildgebende DiagnostikEine zentrale Rolle in der Diagnostik und Differenzierungder Hüftluxationen nehmen radiologische Untersuchun-gen ein, mit deren Hilfe der Luxationstyp exakt bestimmtwerden kann. Die ossären, chondralen und ligamentärenVerletzungen des Hüftgelenks werden mit konventionel-len Röntgenaufnahmen, der Computertomografie (CT)oder der Kernspintomografie (MRT) erkennbar gemacht.

Röntgen: Bei einem Verdacht auf eine Hüftgelenkver-letzung wird routinemäßig eine Hüftgelenkaufnahme inmindestens 2 Ebenen angefertigt, wobei die a.–p. Aufnah-me meist als Beckenübersichtsaufnahme angefertigtwird. Als Zusatzprojektionen dienen besonders beim Ver-dacht auf eine Azetabulumfraktur die Schrägaufnahmennach Urist (Ala- und Obturatoraufnahme).

Computertomografie: Die CT des Hüftgelenks spieltbei der Initialdiagnostik der Hüftgelenkluxation eine un-tergeordnete Rolle. Lediglich bei der geschlossenen nicht-reponierbaren Luxation kann eine CT zur präoperativenPlanung nützlich sein, wenn diese den Zeitpunkt der offe-nen Reposition nicht wesentlich verzögert.

Magnetresonanztomografie: Bei Verdacht auf La-brumabriss, kartilaginäre Abscherfragmente und unkla-rer Gelenkspaltverbreiterung ist eine MRT indiziert. Einebesondere Bedeutung besitzt die MRT außerdem bei derFrüherkennung der avaskulären Kopfnekrose.

Therapie

Allgemeine GrundsätzeDas wichtigste therapeutische Ziel bei der Behandlungder Hüftluxationen ist die frühzeitige Reposition. Je früh-zeitiger die Reposition durchgeführt wird, desto geringerist die Gefahr von Folgeschäden. Um die notwendige Re-laxation für die Reposition zu erreichen, muss meist eineleichte Analgosedierung in Intubationsbereitschaft oderin Vollnarkose mit Muskelrelaxanzien erfolgen. Aus-gedehnte geschlossene Repositionsversuche sollten nichtdurchgeführt werden, da sie zu iatrogenen Knorpelschä-den führen.

Geschlossene Reposition: Es hat sich bei allen Luxati-onsrichtungen die Reposition in Rückenlage nach Allisbewährt. Hierfür wird der Patient auf den Tisch mit einergeraden, harten Unterlage oder auf den Fußboden gelegt.Ein Assistent fixiert das Becken des Patienten mit beidenHänden, die von vorn auf die Beckenschaufeln aufgelegtsind. Der reponierende Arzt beugt die betroffene Extre-mität des Patienten rechtwinklig im Hüft- und Kniege-

lenk und führt einen Längszug senkrecht nach oben inRichtung der Oberschenkellängsachse aus. Obligat nachjeder geschlossenen Reposition sind Kontrollröntgenauf-nahmen des Hüftgelenks in 2 Ebenen und die Überprü-fung des neurovaskulären Status. Lässt sich in der kli-nischen Stabilitätsprüfung des Hüftgelenks eine Subluxa-tion oder Luxation provozieren, sichern wir das Repositi-onsergebnis durch Anlage einer Tibiakopfextension.

Offene Reposition: Bei allen geschlossenen, nichtrepo-nierbaren Luxationen oder bei operationspflichtigen Be-gleitverletzungen muss ein offen-chirurgisches Vorgehengewählt werden. Zu den gegebenenfalls operationspflich-tigen Verletzungen zählen die zentrale Hüftluxation, einInterponat im Gelenk, dislozierte Azetabulumfrakturen,Kopfkalottenfrakturen, dislozierte Schenkelhalsfrakturen,ein instabiles Hüftgelenk sowie die primäre Ischiadikuslä-sion bei großem dorsalem, disloziertem Pfannenrandfrag-ment.

Die Wahl des Zugangs wird vom Luxationstyp und vonder Lokalisation begleitender Frakturen und dislozierterFragmente bestimmt.

KomplikationenDie Hüftluxation kann in bis zu 15% der Fälle zu avasku-lären Femurkopfnekrosen führen. Periartikuläre Verkal-kungen und posttraumatische Koxarthrosen treten in biszu 20% der Fälle auf. Eine verbleibende Instabilität nachder Luxation ist selten. Ischiadikusläsionen werden in biszu 20% der Fälle beobachtet, insbesondere bei den hinte-ren Luxationen. Über die Hälfte der primären Nerven-schäden bildet sich jedoch nach Reposition zurück.

In bis zu 16% der Luxationsfrakturen der Hüfte führengeschlossene Repositionsmanöver nicht zum gewünsch-ten Erfolg und bedürfen der offenen Reposition. In denmeisten Fällen ist die Reposition prinzipiell möglich, dieGelenkkonturen sind jedoch nach Reposition häufig alsFolge von Knochen- oder Weichteilinterposition in denGelenkspalt nicht konzentrisch und befinden sich in Sub-luxationsstellung.

40.5.4 SchenkelhalsfrakturenAnatomie und BiomechanikDie mechanische Kraftübertragung im proximalen Femurwird hauptsächlich durch die entsprechend der Zug- undDrucktrajektoren ausgerichtete Spongiosastruktur reali-siert. Außerdem spielt die mediale proximale Kortikalisfür die Kraftweiterleitung eine entscheidende Rolle. Diesekompakte Knochenlamelle der Metaphyse (Calcar femo-ris) besitzt eine ausgesprochen hohe Druckfestigkeit undverstärkt insbesondere dorsomedial den Schenkelhals.Collum und Femurschaft bilden beim Erwachsenen einenWinkel von 120–130 zueinander (Collum-Diaphysen-Winkel). Da im proximalen Femur die entlang der Femur-längsachse verlaufenden axialen Belastungen in Scher-

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kräfte umgewandelt werden, sind Frakturen aus bio-mechanischer Sicht in diesem Bereich problematisch. Zu-sätzlich steigt die Biegebeanspruchung der proximalenFemurregion im Alter an, da sich altersbedingt der Col-lum-Diaphysen-Winkel auf Werte von ca. 115° vermin-dert.

Neben biomechanischen Aspekten ist für die Prognoseder proximalen Femurfrakturen die Blutversorgung die-ser Region entscheidend (▶Abb. 40.30). Femurkopf und-hals erfahren aufgrund ihrer intraartikulären Lage keineBlutversorgung aus den umgebenden Weichteilgeweben.Sie erfolgt vielmehr über entlang der Kapselstrukturenverlaufende arterielle Geflechte, welche aus den Aa. cir-cumflexae femoris medialis et lateralis von distal nachproximal ziehen. Dabei übernimmt die A. circumflexa fe-moris lateralis nahezu 60%, die A. circumflexa femorismedialis ca. 25 %, die A. lig. capitis femoris weniger als20% der Blutversorgung des Kopfbereichs. Die Kenntnisder Gefäßversorgung lässt bei Frakturen prognostischeSchlussfolgerungen auf die Wahrscheinlichkeit der Ent-stehung von Femurkopfnekrosen zu. Die lateralen arte-riellen Gefäße sind insbesondere bei intrakapsulärenFrakturen, pathologischen intraartikulären Drucksteige-rungen, Epiphyseolysen beim Kind sowie bei weichteil-schädigenden Operationstechniken gefährdet.

KlassifikationSchenkelhalsfrakturen lassen sich nach verschiedenenKriterien wie Frakturlokalisation und -verlauf sowie nachstatisch-funktionellen Gesichtspunkten einteilen. Nachdem Entstehungsmechanismus und der Lage des pro-ximalen Fragments zur Sagittalebene unterscheidet manzwischen Abduktions- und Adduktionsfrakturen.

Unterscheidung zwischen intra- und extra-kapsulären FrakturenAus der Lage der Fraktur zum Ansatz der Gelenkkapselerfolgt die Einteilung in intra- und extrakapsuläre Fraktu-ren. Dies hat klinische Relevanz für prognostischeSchlussfolgerungen zur Wahrscheinlichkeit von Fem-urkopfnekrosen. Frakturen, die extrakapsulär, also im la-teralen Halsbereich verlaufen, haben eine gute Prognose,da die Blutversorgung des Femurkopfs wenig beeinträch-tigt ist. Intrakapsulär gelegene, medial verlaufende Frak-turen lassen aufgrund der verminderten Blutversorgungdurch die von distal kommenden Arterien häufiger eineFemurkopfnekrose erwarten. Die Ursache für die Beein-trächtigung der Blutversorgung bei medialen Schenkel-halsfrakturen liegt zum einen in einer Traumatisierungdes kopfernährenden, arteriellen Gefäßnetzes, zum ande-ren ist die frakturbedingte, intrakapsuläre Drucksteige-rung mit einer Kompression und Elongation der Arterienverbunden.

Einteilung nach PauwelsIn dieser klinisch relevanten Klassifizierung werden dieFrakturen entsprechend des Neigungswinkels der Frak-turebene zur Horizontalebene (▶Abb. 40.31) in 3 Grup-pen eingeteilt:● Pauwels l: Der Winkel zwischen Bruch- und Horizon-talebene ist kleiner als 30°. An der Fraktur wirkendeKräfte verlaufen nahezu senkrecht auf die Frakturflä-chen und wirken in erster Linie als Druckkräfte, welchedie Fraktur komprimieren (▶Abb. 40.31▶Abb. 40.31a).

● Pauwels II: Bei diesen Brüchen liegt die Neigung derFrakturebene zur Horizontalebene zwischen 30 und50°. Die auf die Fraktur wirkenden Druckkräfte werdenin Scherkräfte umgewandelt und lassen eine Dislokati-on des Femurschafts nach proximal zu (▶Abb. 40.31b).

● Pauwels III: Die Frakturebene bildet mit der Horizontal-ebene einen Winkel von über 50°. Nahezu alle auf dieFraktur wirkenden axialen Kräfte sind Scherkräfte undbegünstigen somit das Abgleiten der Fragmente auf-einander. Durch den Zug der am Trochanter major an-setzenden Muskelgruppen kommt es zur Dislokationdes Schaftes nach proximal sowie zur Außenrotation(▶Abb. 40.31c).

Tendenziell nimmt die Gefahr der Dislokation der Frag-mente sowie die Hüftkopfnekrose- und Pseudarthrosen-rate zu, je steiler der Frakturverlauf ist.

Klassifikation nach GardenDiese Klassifikation nach dem Grad der Dislokation ima.–p. Röntgenbild mit 4 Frakturtypen hat in der Trauma-tologie weltweite Verbreitung gefunden, da sie eine Prog-nose für die Gefahr der avaskulären Nekrose erlaubt:

Gefäße derA. circumflexaposterior

A. lig. capitisfemoris

A. circumflexaanterior

Abb. 40.30 Blutversorgung des Femurkopfs beim Erwachsenen(aus: Josten C, Korner J. Verletzungen des Hüftgelenks und desproximalen Femurs. In: Mutschler W, Haas N. Praxis derUnfallchirurgie. Stuttgart: Thieme; 2004).

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699aus: Wirth, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406439) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

● Garden l: Die Fraktur vom Typ Garden I entspricht imWesentlichen der Pauwels-I-Fraktur. Es handelt sichum einen eingestauchten, valgisierten Abduktionsbruchmit nahezu horizontalem Frakturverlauf. Beachtens-

wert ist, dass die mediale Halskortikalis am sog. Adam-Bogen unverschoben ist (▶Abb. 40.32). Die Valgus-abknickung der Fraktur lässt sich anhand der Trabekel-struktur gut nachvollziehen (▶Abb. 40.33a).

● Garden II: In dieser Gruppe werden Schenkelhalsfrak-turen ohne Dislokation der Fragmente in der a.–p. Ebe-ne eingeschlossen. Der Verlauf der Trabekelstrukturvom Trochanter zur Kopfregion zeigt hierbei keine Ab-knickung im Valgus- oder Varussinne. Ebenso wie beiGarden I erscheint die hintere Halskortikalis nicht zer-stört, die Gefäßversorgung ist kaum beeinträchtigt undsomit die posttraumatische Kopfnekroserate gering.

● Garden III: Bei diesem Frakturtyp zeigt sich im a.–p.Bild eine teilweise Fragmentdislokation des distalenFragments nach proximal. Da die Frakturflächen nochpartiell Kontakt zueinander haben, kommt es durchaxialen Muskelzug zur Varusabknickung der Fraktur.

● Garden IV: Es zeigt sich im a.–p. Bild eine kompletteFragmentdislokation des distalen Fragments, wodurchsich der Kopf wieder in seine ursprüngliche Positionausrichtet. Die Unterscheidung zwischen Garden III undIV bei dislozierten Frakturen ist in der Praxis häufigschwierig.

Das Risiko der Femurkopfnekrose steigt mit zunehmen-dem Grad der Dislokation.

Alignment-lndex nach GardenEine Beurteilung der axialen Dislokation der Fraktur istfür die Therapiewahl unerlässlich. Daher wird für die the-rapeutische Entscheidung die Kombination aus Garden-Klassifikation und axialem Alignment-lndex nach Garden(▶Abb. 40.33) gebildet.

AO-KlassifikationDie AO-Klassifikation wird für die Klassifikation derSchenkelhalsfrakturen kaum verwendet.

Diagnostik

Anamnese und UnfallmechanismusFrakturen des Schenkelhalses sind typische Verletzungendes alten Menschen. Mehr als 75% der Patienten sindüber 65 Jahre alt. Ursache dafür ist die mit dem steigen-den Alter der Patienten verbundene Abnahme der Kno-chendichte bei Verminderung des Mineralsalzgehalts.Aufgrund der mit der Knochendichteminderung verbun-denen herabgesetzten mechanischen Belastbarkeitkommt es bei diesen Patienten schon bei vergleichsweisegeringen Traumata zu Frakturen. Bei jüngeren Patientenmit guter Knochenmineralisation ist eine starke Gewalt-einwirkung für die Frakturentstehung erforderlich. Diesetreten häufig im Rahmen eines Polytraumas auf.

Ein pathologisch verkleinerter Collum-Diaphysen-Win-kel bei ausgeprägter Coxa vara kann im Rahmen stau-

Abb. 40.31 a–c Klassifikation nach Pauwels (aus: Josten C,Korner J. Verletzungen des Hüftgelenks und des proximalenFemurs. In: Mutschler W, Haas N. Praxis der Unfallchirurgie.Stuttgart: Thieme; 2004).a Pauwels I: Die Frakturlinie verläuft < 30° zur Horizontalen und

endet weit distal von der Gefäßeintrittsstelle.b Pauwels II: Der Winkel zwischen Frakturlinie und der

Horizontalen beträgt 30–50°. Die Fraktur endet kranial naheder Gefäßeintrittsstelle.

c Pauwels III: Winkel > 70°. Die Fraktur endet kranial proximalder Gefäßeintrittsstelle.

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chender Ausdauerbelastungen zu Ermüdungsfrakturen(Stressfrakturen) führen. Diese sind immer die Folgeeines Missverhältnisses zwischen Belastbarkeit der Trabe-kelstruktur und Belastungsintensität. Ein adäquates Trau-ma fehlt in diesen Fällen. Bei Patienten mit inadäquatemTrauma oder bereits länger bestehenden Schmerzen undInstabilität, soll immer an eine pathologische Fraktur ge-dacht werden.

Klinische DiagnostikDie vom Patienten beschriebene Schmerzlokalisation imbetroffenen Hüftgelenk mit Ausstrahlung in die Leisten-region sowie das ipsilateral außenrotierte und verkürzteBein lassen die Diagnose klinisch stellen. Ein sichtbares

Hämatom fehlt in den meisten Fällen. Der Patient ist un-fähig, das verletzte Bein von einer Unterlage anzuheben.Es besteht eine Druckschmerzhaftigkeit über dem Tro-chanter major. Palpatorisch findet sich häufig ein Tro-chanterhochstand im Vergleich zur unverletzten Seite.

Bildgebende DiagnostikDie Nativröntgendiagnostik ist das bildgebende Verfahrender Wahl. Entscheidend für die radiologische Diagnostiksind die Beckenübersichtsaufnahme in a.–p. Projektionsowie die Aufnahme des Hüftgelenks in a.–p. und axialerProjektion. Bei begründetem Verdacht auf eine Fraktur improximalen Femurbereich soll die a.–p. Aufnahme des Be-ckens als sog. tiefe Einstellung erfolgen, welche beide

a b

Abb. 40.32 a u. b SchenkelhalsfrakturTyp I nach Garden.a A.–p. Projektion.b Axiale Aufnahme.

Abb. 40.33 a–c Alignment-Indexnach Garden. Die Ausrichtung derzentralen Trabekelstruktur wird er-mittelt (aus: Josten C, Korner J. Ver-letzungen des Hüftgelenks und desproximalen Femurs. In: Mutschler W,Haas N. Praxis der Unfallchirurgie.Stuttgart: Thieme; 2004).a In der a.–p. Aufnahme bildet sie

einen Winkel von 160° mit dermedialen Kortikalis des Femur-schafts.

b In der axialen Aufnahme ist derWinkel der Trabekelstruktur medialund lateral genau 180°.

c Deutliche Dislokation der Trabekelin der axialen Aufnahme. Ein gutesRepositionsergebnis ist erreicht,wenn die Winkel in beiden Ebenenzwischen 160 und 180° messen.

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Hüftgelenke sowie die proximalen Femuranteile im ante-rior-posterioren Strahlengang darstellt. Dies gestattet fürden Fall der operativen Versorgung einer medialenSchenkelhalsfraktur eine exakte Operationsplanung. Dieaxialen Aufnahmen sollen nach Möglichkeit im rechtenWinkel zur sagittalen Achse erfolgen.

Therapie

Allgemeine GrundsätzeDie Schenkelhalsfrakturen stellen nach wie vor ein thera-peutisches Problem dar. Kopferhaltende Operationen zei-gen eine relativ hohe Komplikationsrate und nicht opti-male, funktionelle Ergebnisse. Entscheidend für die Prog-nose sind Alter, Allgemeinzustand, die Mobilität des Pa-tienten vor dem Trauma, der Frakturtyp sowie die Dauerzwischen Unfallereignis und definitiver Versorgung.Ebenso spielen bestehende Grunderkrankungen des Pa-tienten wie Stoffwechselkrankheiten, Demenz, Koxarth-rose und Osteoporose sowie die Art der Versorgung eineentscheidende Rolle für das zu erwartende funktionelleEndergebnis.

Ein konservatives Vorgehen ist aufgrund der langenImmobilisationszeiten und einer damit verbundenenMortalitätsrate von bis zu 60% nur in wenigen Ausnah-mefällen indiziert (Garden-I-Frakturen). Die rasche Wie-derherstellung der Mobilität ist insbesondere für die älte-re Patientengruppe lebensrettend und daher vorrangigesZiel der operativen Versorgung. Die Hospitalletalität kanndadurch auf unter 10% gesenkt werden.

OperationszeitpunktKopferhaltend: Die mit der Dislokation einer Schenkel-halsfraktur und intrakapsulärer Einblutung verbundeneZunahme der Kapselspannung und damit der Elongationder ernährenden Gefäße gefährdet die Blutversorgungdes Kopfes. Deshalb ist bei kopferhaltender Therapie dieOperation in jedem Lebensalter dringlich, wenn möglichinnerhalb der ersten 6 Stunden nach dem Trauma alsNotfalloperation durchzuführen.

Prothetischer Ersatz: Beim Entschluss zum endopro-thetischen Ersatz des Hüftgelenks kann der Operations-zeitpunkt so gewählt werden, dass der Patient ausrei-chend konditioniert werden kann (z. B. Optimierung desHydratationszustands, des kardiorespiratorischen Statusund der Blutgerinnung). Dieser sollte nach Möglichkeitinnerhalb der ersten 48 Stunden nach Trauma erfolgen.

Klassifikationsbezogenes Vorgehen

Indikation zur Osteosynthese

Die Indikation zur kopferhaltenden Osteosynthese ist beiPatienten mit einer Lebenserwartung von über 15 Jahrengegeben, sowie bei Frakturtypen, die ein geringes Risikoder Entwicklung von Pseudarthrose und Femurkopf-nekrose aufweisen. Hierzu zählen insbesondere die Gar-

den-I- und -II-Frakturen mit einer axialen Abkippung vonweniger als 20°.

Indikation zur Endoprothese

Indikationen zur prothetischen Versorgung sind Fraktu-ren mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung vonFemurkopfnekrose und Pseudarthrosenbildung. Dies sindFrakturen vom Typ Garden I und II mit starker Abkippungim axialen Strahlengang, Pauwels-II- und -III-Frakturensowie Garden-III- und -IV-Frakturen. Bei Patienten im Al-ter von über 65 Jahren erfolgt die Indikation zum endo-prothetischen Ersatz großzügiger. Als Zugänge werdenam häufigsten der posterolaterale Zugang, der direkte la-terale Zugang und der anteriore Zugang (Smith-Peterson)analog den Zugangswegen für die TEP bei Koxarthroseverwendet.

Vorgehen bei Garden-l-Frakturen

Ein nichtoperatives und frühfunktionelles Vorgehen ist beispät diagnostizierten Frakturen und geringer klinischer Be-schwerdesymptomatik gerechtfertigt. Engmaschige kli-nische und radiologische Verlaufskontrollen sind hierbeiobligat, um eine sekundäre Dislokation frühzeitig erken-nen und operativ stabilisieren zu können. Da selbst die sta-bilen, eingestauchten Adduktionsfrakturen mit optimalemaxialen Alignment in 10–30% der Fälle sekundär dislozie-ren, ist es gerechtfertigt, auch solche Frakturen prophylak-tisch osteosynthetisch zu versorgen. Dies kann durch diekanülierte Spongiosazugschraubenosteosynthese (Drei-oder Vierfachverschraubung) (▶Abb. 40.34) oder durch diedynamische Hüftschraube (DHS) (▶Abb. 40.35) erfolgen.

Vorgehen bei Garden-II-Frakturen

Bei nichtdislozierten Frakturen kommt besonders für jün-gere Patienten primär die Osteosynthese mittels Zug-schrauben oder dynamischer Hüftschraube in Betracht.Vor der Osteosynthese kann eine Reposition in leichterÜberkorrektur (Valgisierung) vorgenommen werden. Dieskann durch Abduktion, Innenrotation und vorsichtige Ex-tension erfolgen.

Vorgehen bei Garden-III- und -IV-Frakturen

Da diese Frakturen beim alten Menschen mit einer Kopf-nekroserate von 50–80% vergesellschaftet sind, wird eineosteosynthetische Versorgung nur bei jungen Patientendurchgeführt. Der alte Patient erhält eine Endoprothese.● Femurkopfendoprothese (FEP): Der Abrieb an derKopfprothesenoberfläche führt mit hoher Wahrschein-lichkeit zur Arrosion des Azetabulums und damit zurProgredienz der Arthrose im Azetabulum und zur Pro-trusion des Kopfes ins kleine Becken. Aus diesem Grundist die Indikation für die FEP limitiert. Sie sollte haupt-sächlich bei Patienten mit intaktem Azetabulum undeiner Lebenserwartung von weniger als 5 Jahren sowiebei bettlägerigen Patienten zum Einsatz kommen.

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a

b

Abb. 40.35 a u. b Versorgung einerSchenkelhalsfraktur durch dynamischeHüftschrauben (DHS) mit Antirota-tionsschraube.a Präoperativ.b Intraoperative Kontrollen mit dem

Bildverstärker im a.–p. und axialenStrahlengang.

a b

Abb. 40.34 a u. b Schraubenosteo-synthese einer Schenkelhalsfrakturdurch 3 Schrauben.a A.–p. Projektion.b Axialer Strahlengang.

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● Bipolare Endoprothese: Bei diesem System artikulierendie Kopfprothese im Azetabulum sowie der kleinereKopf der Schaftkomponente in der Kopfprothese(▶Abb. 40.36). Eine Protrusion ins kleine Becken wirdnur noch selten beobachtet. Bei vergleichbaren Ergeb-nissen bezüglich der Standzeiten (Verweildauer des Im-plantats ohne revisionspflichtige Komplikationen) istdie bipolare Endoprothese weniger belastend als die To-talendoprothese.

● Totalendoprothese (TEP): Sie umfasst den Pfannen-ersatz und die zementierte oder unzementierte Schaft-prothese. Nachteile gegenüber der bipolaren Endopro-these sind das Auffräsen des Azetabulums, ein größererBlutverlust und die längere Operationszeit. Folglich istauch das Kontaminationsrisiko bei totalendoprotheti-schem Ersatz erhöht.

Komplikationen

PseudarthroseZeigt die radiologische Verlaufskontrolle nach Ablauf von6–8 Monaten keine sicheren Anzeichen des knöchernenDurchbaus, liegt eine Pseudarthrose vor. Als mechanischeUrsachen kommen ungenügende Stabilität, zu großer Ab-stand der Fragmente oder inadäquate Belastungen derFraktur in Betracht. Biologische Gründe sind eine unge-nügende Vaskularisierung sowie – selten – eine metabo-lisch oder medikamentös bedingte Verminderung der Os-teogenese (Steroide, NSAR, Zytostatika u. a.). Therapeu-tisch kommt beim jungen Menschen die intertrochantäreValgisationsosteotomie in Betracht, welche die am Frak-turspalt wirkenden Scherkräfte in Druckkräfte umwan-delt.

FemurkopfnekroseDas Auftreten einer Femurkopfnekrose hängt unter ande-rem vom Grad der Dislokation ab. Das Ausmaß der

Femurkopfnekrose wird durch die ARCO-Stadien be-schrieben, ist in 5 Stadien untergliedert und beschreibtZustände der Femurkopfnekrose, beginnend vom Hüft-schmerz ohne radiologische Nekrosezeichen bis hin zurvölligen Gelenkdestruktion. Die Diagnose erfolgt mittelsNativröntgendiagnostik sowie MRT, welche eine beson-ders hohe Sensitivität bei der Früherkennung der Fem-urkopfnekrose hat. Therapeutisch kommen die Implanta-tion eines gefäßgestielten kortikospongiösen Spanes vomBeckenkamm oder häufiger die intraossäre Druckentlas-tung durch Anbohrung oder Entnahme eines Knochen-zylinders zur Anwendung. Auch die Transplantation einesvaskularisierten Knochensegments des Beckenkamms istgünstig für die knöcherne Konsolidierung nach Pseud-arthrosen des Schenkelhalses. Ist im Stadium III wenigerals die Hälfte des Kopfes destruiert, kann eine Umstel-lungsosteotomie mit Flexion und Valgisierung erwogenwerden. Im Stadium IV sollte man dem Patienten die en-doprothetische Versorgung vorschlagen.

Komplikationen der Osteosynthese

Lokale Komplikationen

Die häufigste lokale Komplikation der Osteosynthese istdas Weichteilhämatom, das durch Sonografie diagnosti-ziert werden kann und in Abhängigkeit von Lokalisationund Ausdehnung ausgeräumt wird. Rotationsfehlstellun-gen des Beines sowie sekundäre Dislokationen der Im-plantate bei fehlerhafter Osteosynthese (ungenügendeValgisation) werden in bis zu 40% der Fälle beschrieben.

Allgemeine Komplikationen

Hierzu zählen Lungenembolien, trotz Durchführung einerThrombembolieprophylaxe, tiefe Beinvenenthrombosen(in 3% symptomatisch), Pneumonien oder Harnwegs-infekte (20%) sowie oberflächliche und tiefe Infekte.

a b

Abb. 40.36 a u. b SchenkelhalsfrakturTyp Garden III.a Präoperativ in axialer Projektion.b Postoperativ nach Versorgung mit

Duokopfprothese (Schaft zemen-tiert).

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Komplikationen des endoprothetischenVorgehens

Lokale Komplikationen

Besondere Bedeutung besitzt die aseptische Prothesenlo-ckerung, die mit einer Häufigkeit von ca. 4 % auftritt undin der Regel einen Revisionseingriff einschließlich Prothe-senwechsel erfordert.

Allgemeine Komplikationen

Diese treten in etwa wie bei der Osteosynthese auf.

40.5.5 Pipkin-FrakturenBei dieser Form von Femurkopffrakturen handelt es sichum eine relativ seltene Verletzung, die meist als Begleit-verletzung einer Hüftluxation (4–17% der Hüftluxa-tionen) auftritt. Die Prognose dieser Verletzungen ist be-stimmt vom Auftreten einer posttraumatischen Hüftkopf-nekrose in bis zu 66% der Fälle und Hüftgelenkarthrose.

VerletzungsmechanismusDer Unfallmechanismus ist analog zum Unfallmechanis-mus der traumatischen Hüftgelenkluxation. Zusätzliche

Knorpelläsionen an Azetabulum und Femurkopf sindhäufig und führen zur posttraumatischen Arthrose.

KlassifikationDie Klassifikation erfolgt in Abhängigkeit vom Fraktur-verlauf in Bezug auf das Lig. capitis femoris nach Pipkin in4 Typen (▶Abb. 40.37, ▶Abb. 40.38).

Diagnostik

Klinische DiagnostikKlinisch bestehen ähnlich wie bei der Hüftluxation starkeSchmerzen mit evtl. begleitender N.-ischiadicus-Läsionund möglicher Fehlstellung des betroffenen Beines. Die Be-weglichkeit ist erheblich eingeschränkt oder aufgehoben.

Bildgebende DiagnostikNativröntgen: Die radiologische Diagnostik der Pipkin-Frakturen entspricht der der Hüftluxation. Vor der Repo-sition muss der Schenkelhals kritisch auf Frakturzeichenkontrolliert werden, um nicht eine evtl. nichtdislozierteSchenkelhalsfraktur (Pipkin-III-Verletzung) durch das ge-schlossene Repositionsmanöver zu dislozieren.

Abb. 40.37 Hüftkopffrakturen(Pipkin). Typ I: Kalottenfraktur kaudalder Fovea. Typ II: Kalottenfrakturkranial der Fovea. Typ III: Typ I oderTyp II in Kombination mit einerSchenkelhalsfraktur. Typ IV: Typ I oderTyp II in Kombination mit einerAzetabulumfraktur (aus: Josten C,Korner J. Verletzungen des Hüftge-lenks und des proximalen Femurs.In: Mutschler W, Haas N. Praxis derUnfallchirurgie. Stuttgart: Thieme;2004).

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Computertomografie (▶Abb. 40.39): Eine CT erleich-tert die Identifizierung und anatomische Zuordnung dereinzelnen Fragmente. Sie soll grundsätzlich bei jeder ge-schlossen nichtreponierbaren Pipkin-Verletzung durch-geführt werden, um Repositionshindernisse darzustellen(freie Knochenfragmente, Weichteilinterponate).

Magnetresonanztomografie (MRT): Diese Untersuchungist im Rahmen der Akutdiagnostik selten angezeigt. EineMRT wird bei nicht erklärbarer Erweiterung des Gelenk-spalts und zur genaueren Beurteilbarkeit von Knorpel-Kno-chen-Kontusionen, osteochondralen Frakturen, Kontusio-nen des N. ischiadicus sowie zur Erfassung der Frakturendes Azetabulumrands mit Labrumabriss eingesetzt.

Therapie

Allgemeine GrundsätzeDie Behandlungsprinzipien umfassen eine möglichstfrühzeitige Reposition des dislozierten Fragments, die

anatomische Rekonstruktion und Stabilisierung der Frak-tur sowie die anschließende funktionelle Nachbehand-lung. In Einzelfällen kann eine operative Fragmententfer-nung ausreichend sein. Das primäre operative Vorgehenist immer dann indiziert, wenn eine geschlossene Reposi-tion nicht gelingt oder ein großes Kopffragment im Ge-lenkspalt eingeklemmt ist. Die Mehrzahl der Verletzun-gen lässt sich über einen ventralen Zugang adäquat ver-sorgen.

Klassifikationsbezogenes Vorgehen

Vorgehen bei Pipkin-l- und -II-Verletzungen

Eine konservative Behandlung dieser Verletzungen ist nurgerechtfertigt, wenn sich nach Reposition das Kopffrag-ment gut anlegt oder lediglich eine kleine knöcherne Stu-fe (weniger als 1mm) außerhalb der Druckbelastungs-zone verbleibt. Die offene Reposition und interne Fixie-rung mittels Schraubenosteosynthese wird bei Gelenk-stufen von mehr als einem Millimeter und bei größerenKopfkalottenfragmenten vorgenommen (▶Abb. 40.40).

Vorgehen bei Pipkin-III-Verletzungen

Pipkin-lll-Frakturen werden offen reponiert und internstabilisiert z. B. mittels Schraubenosteosynthese derSchenkelhalsfraktur und der Kopfkalottenfragmente. Dieprimäre endoprothetische Versorgung bei Pipkin-III-Ver-letzungen ist bei Patienten etwa ab dem 60. Lebensjahrindiziert. Beim jungen Patienten ist primär ein kopferhal-tendes Vorgehen angezeigt.

Vorgehen bei Pipkin-IV-Verletzungen

Die Indikation zur offenen Reposition und internen Fixie-rung ist bei Dislokationstendenz nach Reposition undgroßen dislozierten Pfannenfragmenten gegeben. Verlet-

a b

Abb. 40.38 a u. b Hüftgelenkluxationmit Femurkopffraktur Typ I nachPipkin vor (a) und nach (b) Repositi-on.

Abb. 40.39 CT einer Femurkopffraktur Typ I nach Pipkin.

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zungen vom Typ IV nach Pipkin werden in einer Sitzungmit der Fraktur des Azetabulums versorgt.

NachbehandlungUnabhängig davon, ob die Reposition offen oder geschlos-sen mit nachfolgender Osteosynthese erfolgt, werdenPipkin-Frakturen postoperativ nicht immobilisiert undfrühzeitig physiotherapeutisch beübt. Hilfreich sind CPM-(continuous passive motion) Schienen sowie zur Prophy-laxe heterotoper Ossifikationen die orale Medikation mitnichtsteroidalen Antirheumatika.

Begleitverletzungen und Komplikationen

Läsion des N. ischiadicusIn ca. 15% der Fälle kommt es durch das Trauma zu einerprimären Schädigung des N. ischiadicus. Diese kann auf-grund einer Einklemmung durch ein Fragment bzw.durch Einklemmung zwischen Hüftkopf und Becken so-wie eine Überdehnung des Nervs hervorgerufen werden.Die Fragmenteinklemmung erfordert ein sofortiges ope-ratives Vorgehen, während die durch Luxation ausgelösteSchädigung meist durch Reposition behoben werdenkann. Eine Restitutio ad integrum ist in über 60% der Fäl-le zu erwarten.

KnieverletzungenDurch die direkte Gewalteinwirkung am Kniegelenk bei„dash-board injuries“ sind begleitende Knieverletzungenhäufig. Die Inzidenz hierfür wird mit bis zu 25% angegeben.

Heterotope OssifikationenBei ausgedehnteren operativen Zugängen kommt es häu-fig zu heterotopen Ossifikationen. Sie werden gehäuftbeim begleitenden Schädel-Hirn-Trauma, bei einem grö-ßeren therapiefreien Intervall und bei Cholestase beob-achtet. Die Möglichkeit einer postoperativen regionalenBestrahlung kann bei bekannter Veranlagung zu hetero-topen Ossifikationen in Betracht gezogen werden, dieGabe von Prostaglandinsyntheseinhibitoren wird emp-fohlen.

Posttraumatische ArthrosePosttraumatische Arthrosen sind durch die traumatischeKnorpelschädigung sowie Gelenkstufen bei nicht exakterReposition bedingt. Die Häufigkeit wird für Pipkin-II- und-IV-Verletzungen mit bis zu 50% angegeben und wird beinahezu allen Verletzungen vom Typ Pipkin III beobachtet.

Chronische InstabilitätDie Gefahr des Auftretens einer chronischen Instabilitätnach Pipkin-Verletzungen ist besonders dann gegeben,wenn im Rahmen der operativen Versorgung ossäre Frag-mente des hinteren Azetabulumrands exzidiert wurden.

Avaskuläre HüftkopfnekroseDie Luxation führt über eine Schädigung der Gefäße zurHüftkopfnekrose. Da jedoch die meisten Gefäße nurdurch Kompression, Spasmus oder Zug in ihrer Funktionbeeinträchtigt sind, kann eine frühzeitige Reposition zurReperfusion und damit zur Verhinderung einer Femur-kopfnekrose führen. Diese Komplikation kann bis zu5 Jahre nach Unfall auftreten und wird durchschnittlichnach 2 Jahren beobachtet.

40.5.6 Frakturen desTrochanterbereichsVerletzungsmechanismusHäufigste Unfallursache ist der Sturz auf die Hüfte beigleichzeitiger Drehung des Körpers zur gesunden oderverletzten Seite. Durch das Wegdrehen des Körpers gegendas meist fixierte Bein kommt es zu starken Rotations-kräften im Trochanterbereich.

EpidemiologiePertrochantäre Frakturen machen ca. 40–45% der pro-ximalen Femurfrakturen aus und haben damit eine glei-che Häufigkeit wie die Schenkelhalsfrakturen. Mit fort-schreitender Osteoporose der trochantären Trabekel-struktur erhöht sich die Inzidenz. Der Altersdurchschnittfür das Auftreten pertrochantärer Frakturen liegt beiFrauen um 70 Jahre, bei den Männern um 80 Jahre. Frau-

Abb. 40.40 Schraubenosteosynthese einer Pipkin-I-Fraktur beigleichzeitiger Schraubenosteosynthese einer Azetabulumfraktur.

40.5 Verletzungen

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en sind fast doppelt so häufig betroffen als Männer. Per-trochantäre Frakturen beim jungen Menschen setzenstärkere Traumen voraus.

KlassifikationEine Einteilung in stabile und instabile Frakturen ist hilf-reich. Stabil ist eine Fraktur, wenn nach annähernd ana-tomischer Reposition und osteosynthetischer Versorgungein guter Fragmentkontakt ohne Verkürzungs- oder Me-dialisierungstendenz des Schaftes besteht. Instabil sindFrakturen, die ausgeprägte kortikale Defekte im Bereichdes Calcar femorale (Adam-Bogen) und/oder eine Mehr-fragmentfraktur des Trochantermassivs aufweisen. Imdeutschsprachigen Raum ist die AO-Klassifikation ge-bräuchlich (▶Tab. 40.6, ▶Abb. 40.41).

DiagnostikDie klinische und radiologische Diagnostik der pertro-chantären Frakturen entspricht der von Schenkelhalsfrak-turen. Die Verkürzung und Außenrotation des betroffe-nen Beines sind in der Regel stärker ausgeprägt.

Therapie

Allgemeine GrundsätzePertrochantäre Frakturen müssen aufgrund der ansons-ten mit einer langen Immobilisierungszeit verbundenenKomplikationen prinzipiell frühzeitig operativ versorgtwerden. Heute kommen für die operative Versorgunghauptsächlich die dynamische Hüftschraube (DHS) undMarknägel mit Schenkelhalskomponente, z. B. Gammana-gel oder proximaler Femurnagel (PFN) zur Anwendung.

A1.1

A2.1

A3.1 A3.2 A3.3

A2.2 A2.3

A1.2 A1.3

Abb. 40.41 AO-Klassifikation per-trochantärer Femurfrakturen(aus: Josten C, Korner J. Verlet-zungen des Hüftgelenks und desproximalen Femurs. In: MutschlerW, Haas N. Praxis der Unfallchi-rurgie. Stuttgart: Thieme; 2004).

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Seltenere Implantate sind die dynamische Kondylen-schraube (DCS) und Winkelplatten. Elastische Rund- oderFedernägel (Ender, Simon-Weidner) werden heute nichtmehr verwendet. Bei stabilen Frakturen sind mit nahezuallen Implantaten gute Ergebnisse zu erzielen, währendinstabile Frakturen nach wie vor Problemfrakturen dar-stellen.

Dynamische Hüftschraube (DHS)Das für die Versorgung von Frakturen der Trochanterregi-on mit am häufigsten verwendete Implantat ist die dyna-mische Hüftschraube. Dieses Implantat kombiniert in sichdas Prinzip der inneren Schienung mit dem der Zuggur-tung. Bei korrekter Schraubenlage ist ein Zusammens-intern der Fraktur möglich, ohne dass die Hüftschraubeden Kopf dadurch perforiert. Ein Problem der dyna-mischen Hüftschraube ist die Möglichkeit des sog. „cut-

ting-out“ vor allem bei zu kranial gewählter Schraubenla-ge. Hierbei kommt es zur Perforation des Implantats indas Hüftgelenk. Bei fehlender medialer Abstützung wirdzusätzlich die Cerclage des Trochanter minor empfohlen.Der im Rahmen einer pertrochantären Fraktur avulsierteTrochanter major kann durch Implantation einer DHS mitsog. Trochanter-Abstützplatte oder durch eine zusätzlicheZuggurtungsosteosynthese versorgt werden. Bei fehlen-der Rotationsstabilität im Frakturbereich kann parallelzur Hüftschraube eine Schenkelhalsschraube (Antirotati-onsschraube) eingebracht werden (▶Abb. 40.42). Dis-kutiert wird, bei fehlender medialer Abstützung und aus-gedehnter Trümmerzone auf einen Marknagel mit Hüft-komponente zurückzugreifen (s. u.), da zum einen dasAuflaufen des Schenkelhalses auf den Nagel einer zu star-ken Medialisierung des Schaftes entgegenwirkt und zumanderen die Verklemmung des Nagels im Schaft die feh-lende mediale Abstützung besser kompensieren kann.

Tab. 40.6 AO-Klassifikation von Frakturen im Trochanterbereich.

A1 pertrochantäreinfach

mediale Kortikalis einfach frak-turiert, laterale Kortikalis intakt

1: Zweifragmentbruch (ober- und unterhalb des Trochanter minor)2: Adduktionsbruch (eingestaucht)3: Zusatzfragment dorsal

A2 pertrochantärmehrfragmentär

mediale Kortikalis mehrfachfrakturiert, laterale Kortikalisintakt

1: ohne dorsales Zusatzfragment2: Zusatzfragment dorsokranial3: Trümmer dorsomediokranial

A3 intertrochantär mediale und laterale Kortikalisfrakturiert

1: Bruchverlauf umgekehrt (d. h. von proximal medial nach distal lateral)2: Bruchverlauf horizontal3: Bruchverlauf umgekehrt mit Zusatzfragment medial

a b

Abb. 40.42 a u. b Operative Versor-gung pertrochantärer Frakturen durchDHS (a) und Antirotationsschraube (b)(aus: Josten C, Korner J. Verletzungendes Hüftgelenks und des proximalenFemurs. In: Mutschler W, Haas N.Praxis der Unfallchirurgie. Stuttgart:Thieme; 2004).

40.5 Verletzungen

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709aus: Wirth, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406439) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

Nicht angewendet werden sollte die DHS bei den „rever-sed fractures“ und subtrochantären Frakturen, da hier diebiomechanischen Voraussetzungen für dieses Implantatungünstig sind.

Marknägel mit HüftgleitschraubeDer Gammanagel (▶Abb. 40.43) ist eine Kombination ausHüftschraube und Femurmarknagel. Dieses intramedullä-re Implantat besitzt eine sehr hohe Stabilität und ist ausbiomechanischen Überlegungen bei der Versorgung vonpertrochantären Frakturen mit Trümmerzone der DHS

überlegen. Hauptindikationen sind instabile pertrochan-täre Frakturen mit fehlender medialer Abstützung sowiehohe subtrochantäre Frakturen. Bei technisch korrektausgeführter Implantation ist eine primäre sofortige Be-lastbarkeit der Extremität möglich. Nachteilig ist die zu-sätzliche Zerstörung der Trochanterregion bei Implanta-tion des Nagels. Technisch anspruchsvoll ist das korrekteEinbringen der Hüftschraube in das Kopffragment nachInsertion des Nagels (▶Abb. 40.43).

Beim proximalen Femurnagel (PFN) bewirkt eine zwei-te Schenkelhalsschraube eine Rotationssicherung desKopf-Hals-Fragments. Eine Erweiterung des Indikations-gebietes auf subtrochantäre Frakturen ist durch die lan-gen Versionen dieser Implantate möglich. Eine neue Formdes proximalen Femurnagels ist der) PFNA (▶Abb. 40.44).Durch die Form der in den Femurkopf implantierten Spi-ralklinge soll eine bessere Fixation im osteoporotischenKnochen und bessere Rotationskontrolle des Kopf-Hals-Fragments trotz Verzicht auf eine Antirotationsschraubeerreicht werden. Beim Einbringen der Spiralklinge wirdder Knochen des Schenkelhalses nicht wie bisher durchAufbohren entfernt, sondern kompaktiert.

EndoprothesenDie Indikationen zur Implantation von Endoprothesen beider Versorgung von pertrochantären Frakturen sind einebereits bestehende hochgradige Arthrose des Hüftge-lenks, instabile Trümmerbrüche und intraoperative Kom-plikationen, z. B. neu aufgetretene Schaftfrakturen. Hierzueignen sich insbesondere Langschaftprothesen, an denender Trochanterbereich aufgebaut werden kann. Der Anteilder primären Hüftendoprothesen bei pertrochantärenFrakturen liegt um die 5%.

Bei schwerwiegenden Komplikationen ist ein Verfah-renswechsel von DHS oder Marknagel auf die Endopro-these indiziert.

Abb. 40.43 Operative Versorgung einer pertrochantären Frak-tur mit einem Gammanagel.

a b c

Abb. 40.44 a–c Versorgung einerpertrochantären )Fraktur mit pro-ximalem Femurnagel A (PFNA).a Präoperativ.b u. c Postoperativ in a.–p. Projektion(b) und axialem Strahlengang (c).

Hüftgelenk und Oberschenkel

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710aus: Wirth, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406439) © 2014 Georg Thieme Verlag KG