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Rationale Antibiotikatherapie

Dr. Christina DörbeckerMVZ für Laboratoriumsmedizin Koblenz-Mittelrhein

Grundlagen der rationalen Antibiotikatherapie

• Korrekte Diagnosestellung• Kritische Indikation zum Antibiotika-Einsatz

– z.B. obere Atemwegsinfektionen sind vorwiegend durch Viren verursacht

• Wahl des geeigneten Antibiotikums– Welches sind die häufigsten Erreger und deren Resistenz?– Wirkspektrum / Pharmakokinektik u. -dynamik / Verträglichkeit

des Antibiotikums– Schonung von Reservesubstanzen bzw. von Substanzen, die die

Resistenzentwicklung fördern– Risikoprofil des Patienten (Alter, Impfstatus, Allergien,

Grunderkrankungen)

• Festlegung der Behandlungsdauer, ggf. Verlaufskontrolle

Grundlagen der rationalen Antibiotikatherapie

• Patienten-Gespräch

– Information über den natürlichen Verlauf des Krankheitbildes

– Erwartungshaltung des Patienten? Sind Antibiotika erwünscht?

– Falls ja (aber nicht indiziert): Aufklärung!• Antibiotika sind wirkungslos bei viralen Infekten

• Einnahme von Antibiotika führt zur Veränderung der normalen bakteriellen Flora von Haut und Schleimhäuten mit Nebenwirkungen wie z.B. Diarrhoe

• Häufiger Gebrauch von Antibiotika führt zu höherem Risiko antibiotika-resistenter Infektionen

Grundlagen der rationalen Antibiotikatherapie

Studien zeigen, dass die Zufriedenheit der Patienten mehr von einer guten Beratung als von der Verschreibung von Antibiotika abhängt!

„Bitten Patienten mit Halsschmerzen, die auf ein Antibiotikum hoffen, in Wirklichkeit um

Schmerzlinderung?“

„Unsere Studie legt nahe, dass

Patienten mit Halsschmerzen, die

Antibiotika erhoffen, eigentlich eine

Behandlung ihrer Schmerzen

wünschen.“

Akute Tonsillopharyngitis

Rationale Antibiotikatherapie

Akute Tonsillopharyngitis: Erreger

• Viren (50-80%)– Rhinoviren (ca. 20%), Coronaviren, Adenoviren,

Parainfluenza-Viren, EBV

• Bakterien– Streptococcus pyogenes (GAS) (15-30%)

– ß-häm. Streptokokken der Gruppe C u. G (5%)

• Kein Erregernachweis (bis zu 30%)

Akute Tonsillopharyngitis: Diagnose

• Virale und bakterielle Pharyngitiden sind nicht sicher unterscheidbar

• GAS-Nachweis im Rachen: keine sichere Unterscheidung zwischen Erreger- u. Trägerstatus

• GAS-Schnelltests im Rachenabstrich: Spezifität 95%, Sensitivität 70-90%

• Centor-Score und McIsaac-Score: Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, ob eine Infektion mit A-Streptokokken vorliegt:

– Centor-Score 4 (50-60%)

– McIsaac-Score 4-5 (50%)

Akute Tonsillopharyngitis: Antibiotika-Therapie

• Antibiotikatherapie nur bei Nachweis / hochgradigem Verdacht bakterieller Genese und schwerer Erkrankung

• Erste Wahl:

– Penicillin V für 7 (-10) Tage

Alternativen:

– Cephalosporine Gr. 1 (z.B. Cefaclor) für 5 Tage

– Makrolid (ca. 6% der GAS sind resistent) oder Clindamycin

Akute Tonsillopharyngitis: Verlauf und Risiken

• Halsschmerzen dauern im Mittel 3,5-5 Tage Krankheitsverkürzung um 1-1,5 (-2,5) Tage bei klinischen Zeichen einer GAS-Pharyngitis (und GAS-positivem Rachenabstrich)

• Eitrige Komplikationen wie Peritonsillarabszess, Otitis media und Sinusitis sind sehr selten: Prävention durch Antibiotika nicht gesichert

• Akutes Rheumatisches Fieber und Akute Poststreptokokkenglomerulonephritis sind extrem selten: Prävention durch orale Antibiotika nicht gesichert

Akute Tonsillopharyngitis: Fazit

Das extrem niedrige Risiko einer Folgekrankheit rechtfertigt nicht die routinemäßige Antibiotikatherapie bei akuter Tonsillopharyngitis

Akute Otitis media

Rationale Antibiotikatherapie

Akute Otitis media: Erreger

• meist Viren

– RS-, Rhino-, Influenza-, Parainfluenza-, Adenoviren

• Bakterien

– Streptococcus pneumoniae

– Haemophilus influenzae

– Seltener: Moraxella catarrhalis, A-Streptokokken

Akute Otitis media: Verlauf

• In der Regel selbstlimitierend:

80% der Fälle heilen innerhalb von 7 Tagen

• Symptomatische Therapie (Schonung, Trinken, Analgesie, abschwellende Nasentropfen)

• Antibiotika-Therapie ist in den meisten Fällen NICHT indiziert

Akute Otitis media: Verlauf

Indikationen für Antibiotikatherapie

– Kindern < 6 Monate

– Kindern mit starken Allgemeinsymptomen (hohes Fieber, starke Schmerzen, Erbrechen) oder mit perforierter oder beidseitiger Otitis

– Vorliegen einer schweren Grundkrankheit

– Bei Kindern 6-24 Monaten kann eine abwartende Verordnung eines Antibiotikums erwogen werden

Akute Otitis media: Komplikationen

In erster Linie:

• Mastoiditis, Mastoidabszess

Seltener:

• Meningitis

• Thrombose

• Fazialisparese

• Rezidivierende Otitis media

• Länger anhaltende Hörminderung und dadurch Sprachentwicklungsverzögerung

Akute Otitis media: Komplikationen

• Frage: Verhindert die antibiotische Therapie bei akuter Otitis media das Auftreten von Mastoiditis und Mastoidabszess?

• Antwort: Nein!

– Mastoiditis als Komplikation ist extrem selten

– Antibiotika schützen nicht vor dieser Komplikation

– Hinweise, dass Antibiotika eine Mastoiditis verschleiern kann

Akute Otitis media: Antibiotika

Erste Wahl

• Amoxicillin– > 90% der Hämophilus-Stämme in Deutschland sind empfindlich

(Labor Koblenz 2011: 94% empfindlich)

– Moraxella catarrhalis ist meist resistent

Alternativen

• Amoxicillin + ß-Laktamase-Inhibitor

• Cephalosporin Gr. 2

• Makrolide

(weniger wirksam bei Hämophilus influenzae, Resistenzen bei

Pneumokokken und Moraxella catarrhalis möglich)

Therapiedauer 5-7 Tage

Akute Rhinosinusitis

Rationale Antibiotikatherapie

Akute Rhinosinusitis

• Eine der 10 häufigsten Erkrankungen in der hausärztlichen Praxis

• Fünfhäufigster Anlass für die Verschreibung von Antibiotika

• Auch bakterielle Sinusitiden haben eine gute Spontanheilungsrate

Quelle: DEGAM-Leitlinie „Rhinosinusitis“ 2008

Akute Rhinosinusitis: Erreger

• meist Viren:

– Rhino-, Influenza-, Parainfluenzaviren

• Bakterien:

– Streptococcus pneumoniae

– Haemophilus influenzae

– Moraxella catarrhalis

– Staphylococcus aureus

– A-Streptokokken

Akute Rhinosinusitis: Verlauf

• Spontanheilungsraten (bakteriell/viral)

– > 50% nach einer Woche

– 60-80% nach 2 Wochen

– > 90% nach 4 Wochen

• Antibiotika-Therapie ist in den meisten Fällen NICHTindiziert

• Antibiotika haben keinen günstigen Effekt auf Rezidivquote oder Auftreten von Komplikationen

• Symptomatische Therapie:

– NSAR, Wärmeanwendungen/Inhalationen, Sekretolytika, abschwellende Nasentropfen können lindern

Akute Rhinosinusitis: Verlauf

Antibiotikatherapie indiziert:

• Eitriges Nasensekret und Schmerzen über 10 Tage ohne Besserung oder deutliche Verschlechterung nach 5-7 Tagen

• Schwere Krankheitszeichen wie hohes Fieber, starke Kopfschmerzen bzw. Schmerzen über dem erkrankten Sinus, Rötung und Schwellung über den NNH und sichtbare Eiterstraße an der Rachenhinterwand

• Quelle: Wirkstoff aktuell 01/2012

Akute Rhinosinusitis: Verlauf

„Erfolgversprechende Indikationen“ für Antibiotika

• Sekretspiegel oder totale Sinusverschattung im NNH-CT

• Starke Schmerzen plus erhöhtes CRP oder BSG

• Keimnachweis von Pneumokokken, Haemophilus influenzae od. Moraxella catarrhalis im Nasenabstrich

Verkürzung der durchschnittlichen Krankheitsdauer um mindestens 3 Tage

Quelle: DEGAM-Leitlinie „Rhinosinusitis“ 2008

Akute Rhinosinusitis: Antibiotika

Erste Wahl

• Amoxicillin

Alternativen

• Doxycyclin (nicht < 8 Jahre)

• Amoxicillin + ß-Laktamase-Inhibitor

• Cephalosporin Gr. 2

• Makrolide (bei Betalaktam-Allergie)

Therapiedauer 5-7 Tage

Nichtspezifische Infektion der oberen Atemwege (common

cold, grippaler Infekt)

Rationale Antibiotikatherapie

Nichtspezifische Infektion der oberen Atemwege (common cold, grippaler Infekt)

Erreger:

• Viral (90-95%)

– Ca. 200 versch. respiratorische Viren

– Häufig: Rhino-, RS-, Parainfluenza, Adeno-, Corona-, Enteroviren

• Bakteriell (<10%)

– Bordetella pertussis, Chlamydophila pneumoniae, Mycoplasma pneumoniae

Nichtspezifische Infektion der oberen Atemwege: Symptome

• Kein oder geringes Fieber

• Mäßige Halsschmerzen/Husten

• Schnupfen (anfangs wässrig, nach 3-4 Tagen purulent)

• Kopf-/Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit

• Nachlassen der Beschwerden nach 2-3 Tagen

Nichtspezifische Infektion der oberen Atemwege: Therapie

Keine Antibiotikatherapie indiziert:

• Halsschmerzen, Niesen, milder Husten, Fieber über weniger als drei Tage, Temperatur <39°C, Schnupfen, selbstlimitierender nasaler Sekretstau (5–14 Tage)

Quelle: KBV: Wirkstoff aktuell 1/2012: Rationale Therapie bei Infektionen der oberen Atemwege

Nichtspezifische Infektion der oberen Atemwege: Therapie

Antibiotikatherapie indiziert:

• Nur bei Nachweis / hochgradigem Verdacht primär bakterieller Genese: Pertussis oder Infektionen mit Chlamydophila pneumoniae und Mycoplasma pneumoniae

• In Ausnahmen bei sekundärer bakterieller Superinfektion (z. B. Haemophilus influenzae oder Staphylokokken)

Nichtspezifische Infektion der oberen Atemwege: Antibiotika

• V.a. primär bakterielle Genese

– Makrolide

– Doxycyclin (nicht unter 8 Jahren)

• In Ausnahmen bei sekundärer bakterieller Superinfektion

– Amoxicillin

Alternativ:

– Amoxicillin + ß-Laktamase-Inhibitor

Akute unkomplizierte Harnwegsinfektion

Rationale Antibiotikatherapie

Akute unkomplizierte Harnwegsinfektion

• Typische Symptome: Dysurie, Pollakisurie, imperativer Harndrang, fehlender vaginaler Ausfluss

• Keine komplizierenden Faktoren wie z.B.– Kinder, Männer, Schwangere

– Funktionelle/anatomische Besonderheiten

– Immunsuppression

– Fieber, Flankenschmerz

– Urologische/renale Erkrankung

– In den letzten 2 Wochen: Urinkatheter, Krankenhaus-/Pflegeheim-Aufenthalt, Antibiotika

aus DEGAM-S3-Leitlinie „Brennen beim Wasserlassen“ 2009

Akute unkomplizierte Harnwegsinfektion: Ist eine antibiotische Therapie erforderlich?

• Antibiotika führen zu einer signifikanten Verkürzung der Beschwerdedauer

JEDOCH

• Beim akuten unkomplizierten Harnwegsinfekt sind abwendbar gefährliche Verläufe nicht zu befürchten

• Hohe Spontanheilungsrate unter symptomatischer Therapie (nach einer Woche 30-50%)

• Unkritische Verschreibung insbesondere von Reserve-Antibiotika fördert die Entstehung von Resistenzen

Akute unkomplizierte Harnwegsinfektion: Ist eine antibiotische Therapie erforderlich?

• S3-Leitlinie „Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten, unkomplizierte bakterielle ambulant erworbene: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management“ (Fachgesellschaft DGU):

„Bei der akuten unkomplizierten Zystitis sollte eine antibiotische Therapie empfohlen werden.“

• Minderheitenvotum der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin:

„Bei der akuten unkomplizierten Zystitis stellt die alleinige symptomatische Therapie eine vertretbare Alternative zur sofortigen antibiotischen Behandlung dar.“

ARESC-Studie: ErregerPatientinnen 18-65J. in 9 europäischen Ländern u. Brasilien 2003-2006 mit

unkomplizierter Harnwegsinfektion (meist Zystitis)

ARESC-Studie: EmpfindlichkeitPatientinnen 18-65J. in 9 europäischen Ländern u. Brasilien 2003-2006 mit

unkomplizierter Harnwegsinfektion (meist Zystitis)

AntibiotikatherapieEmpfehlungen der S3-Leitlinie „Harnwegsinfektionen bei erwachsenen

Patienten, unkomplizierte bakterielle ambulant erworbene: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management“

AntibiotikatherapieUnkomplizierte Harnwegsinfektionen

Empfehlungen der DEGAM S3-Leitlinie „Brennen beim Wasserlassen“

• Antibiotische Therapie anbieten

• Trimethoprim 2 x 100-200mg für 3 Tage

• Nitrofurantoin ret 2 x 100mg für 3 (-5) Tage (off-label)

• Alternativ auch Fosfomycin 1 x 3000 mg

Antibiotikatherapie bei der unkomplizierten Harnwegsinfektionen: Fazit

• Mittel erster Wahl

– Trimethoprim, Cotrimoxazol, Fosfomycin, Nitrofurantoin

• Nicht Mittel erster Wahl

– Fluorchinolone, Cephalosporine Gruppe 3

Literatur-Quellen

• KBV: Wirkstoff aktuell 1/2012: Rationale Therapie bei Infektionen der oberen Atemwege (www.kbv.de - Mediathek)

• DEGAM-Leitlinien (www.degam.de – Leitlinien)

• AWMF-Leitlinien (www.awmf.org – Leitlinien)

• PEG-Empfehlungen (Paul-Ehrlich-Gesellschaft)

(www.p-e-g.org – Leitlinien/Empfehlungen

und Resistenzdaten)

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