christina burbaum: vom nutzen der poesie . zur biografischen und kommunikativen aneignung von...

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KURZBESPRECHUNGEN Jörg Broszeit: IPTV und Interaktives Fernsehen. Grundlagen, Marktübersicht, Nutzerakzep- tanz. – Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller 2007, 80 Seiten, Eur 42,–. Die Studie von Jörg Broszeit nimmt sich einer recht neuen technischen Entwicklung des Rund- funks an: IPTV. Kernanliegen der Arbeit ist die Darstellung der derzeitigen Situation von IPTV in Deutschland sowie die Frage, ob und inwie- weit die Zuschauer überhaupt interaktives Fern- sehen wünschen. Seinem theoretischen Abriss und einer Befragung stellt Broszeit schlichte Hy- pothesen voraus wie: »Der IPTV-Markt ist zwar dynamisch, aber bei näherer Betrachtung noch überschaubar.« (S. 4) Es werden Mobilfunk- und weitere Telekommunikationsunternehmen vor- gestellt und nicht mehr ganz so neue Fachbegrif- fe wie »Video on Demand« oder »Persönlicher Videorecorder« umfangreich erläutert. Trotz al- ler Mühen – aber vielleicht auch dem Aktuali- tätsgrad des Untersuchungsgegenstandes ge- schuldet – kommt die Studie nicht über 60 groß- zügig bemessene Seiten hinaus. Broszeit be- schließt seinen Text mit der Erkenntnis, dass IPTV das »Fernsehen der Zukunft« (S. 62) sei. Zum kurz gehaltenen Literaturverzeichnis bleibt zu bemerken, dass etwa ein Drittel der Literaturangaben auf einen Anonymus beim Wissenschaftslexikon der Zukunft »Wikipedia« verweist. jaro Christina Burbaum: Vom Nutzen der Poesie. Zur biografischen und kommunikativen Aneignung von Gedichten. Eine empirische Studie. – Biele- feld: Transcript Verlag 2007 (= Reihe: Lettre), 371 Seiten, Eur 35,80. Christina Burbaum untersucht in ihrer Freibur- ger Dissertation, welche alltagsweltliche Bedeu- tung Gedichte für ihre Leser haben. Für die im Kontext des DFG-Schwerpunktprogramms »Le- sesozialisation in der Mediengesellschaft« ange- siedelte Studie hat die Autorin mit zwölf Ge- dichtlesern autobiografische narrative Interviews geführt. Die Arbeit zeigt, dass der Umgang mit Gedichten sehr facettenreich ist. Mal wird das Genre als intellektuelle Herausforderung aufge- fasst, mal dient es der Selbsterkenntnis, der Er- bauung, der Krisen- und Krankheitsbewälti- gung, mal wird die Lektüre schlicht als Zeitver- trieb verstanden. Obwohl Burbaum keine expli- zite pädagogische Fragestellung verfolgt, formu- liert sie in ihrer Schlussdiskussion u. a. einige Empfehlungen, die dabei helfen sollen, die Kom- plexität und die vielfältigen Bedeutungshorizon- te der Aneignung von Gedichten bereits im Schulalltag erfahrbar zu machen. tse Johannes Etmanski: Das Deutschlandbild in der polnischen Wochenschau und die deutsch-polni- schen Beziehungen 1945-1956. – Berlin etc.: LIT- Verlag 2007 (= Reihe: Kommunikationsge- schichte; Bd. 24), 296 Seiten, Eur 29,90. Polen, das seine von Stalin durchgesetzte territo- riale Westverschiebung mit 40 Jahren Kommu- nismus bezahlte, musste auf sowjetischen Druck hin die durch den Zweiten Weltkrieg verständli- che Abneigung den Deutschen gegenüber relati- vieren: Die DDR beherbergte nun plötzlich die »guten Deutschen«, während das Böse in der Bundesrepublik verortet wurde. Wie diese ideo- logische Wende filmisch umgesetzt wurde, legt Johannes Etmanski anhand der staatlichen Wo- chenschauen dar. Die Deutschlandfeindlichkeit war nicht nur legitimer Ausdruck des polnischen Leides während des Nationalsozialismus, son- dern diente sowohl der Integration der »wieder- gewonnenen Gebiete« (Schlesien, Hinterpom- mern, Ostbrandenburg, südliches Ostpreußen) als auch der Werbung für das von der Bevölke- rung abgelehnte totalitäre Regime. Die Münste- raner Dissertation hat nicht nur historische Be- deutung, sondern ist wegen des derzeitigen deutsch-polnischen Verhältnisses hochaktuell. hb 586 Buchbesprechungen

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Page 1: Christina Burbaum:   Vom Nutzen der Poesie  . Zur biografischen und kommunikativen Aneignung von Gedichten. Eine empirische Studie

KURZBESPRECHUNGEN

Jörg Broszeit: IPTV und Interaktives Fernsehen.Grundlagen, Marktübersicht, Nutzerakzep-tanz. – Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller2007, 80 Seiten, Eur 42,–.

Die Studie von Jörg Broszeit nimmt sich einerrecht neuen technischen Entwicklung des Rund-funks an: IPTV. Kernanliegen der Arbeit ist dieDarstellung der derzeitigen Situation von IPTVin Deutschland sowie die Frage, ob und inwie-weit die Zuschauer überhaupt interaktives Fern-sehen wünschen. Seinem theoretischen Abrissund einer Befragung stellt Broszeit schlichte Hy-pothesen voraus wie: »Der IPTV-Markt ist zwardynamisch, aber bei näherer Betrachtung nochüberschaubar.« (S. 4) Es werden Mobilfunk- undweitere Telekommunikationsunternehmen vor-gestellt und nicht mehr ganz so neue Fachbegrif-fe wie »Video on Demand« oder »PersönlicherVideorecorder« umfangreich erläutert. Trotz al-ler Mühen – aber vielleicht auch dem Aktuali-tätsgrad des Untersuchungsgegenstandes ge-schuldet – kommt die Studie nicht über 60 groß-zügig bemessene Seiten hinaus. Broszeit be-schließt seinen Text mit der Erkenntnis, dassIPTV das »Fernsehen der Zukunft« (S. 62) sei.Zum kurz gehaltenen Literaturverzeichnis bleibtzu bemerken, dass etwa ein Drittel derLiteraturangaben auf einen Anonymus beimWissenschaftslexikon der Zukunft »Wikipedia«verweist. jaro

Christina Burbaum: Vom Nutzen der Poesie. Zurbiografischen und kommunikativen Aneignungvon Gedichten. Eine empirische Studie. – Biele-feld: Transcript Verlag 2007 (= Reihe: Lettre),371 Seiten, Eur 35,80.

Christina Burbaum untersucht in ihrer Freibur-ger Dissertation, welche alltagsweltliche Bedeu-tung Gedichte für ihre Leser haben. Für die imKontext des DFG-Schwerpunktprogramms »Le-sesozialisation in der Mediengesellschaft« ange-siedelte Studie hat die Autorin mit zwölf Ge-

dichtlesern autobiografische narrative Interviewsgeführt. Die Arbeit zeigt, dass der Umgang mitGedichten sehr facettenreich ist. Mal wird dasGenre als intellektuelle Herausforderung aufge-fasst, mal dient es der Selbsterkenntnis, der Er-bauung, der Krisen- und Krankheitsbewälti-gung, mal wird die Lektüre schlicht als Zeitver-trieb verstanden. Obwohl Burbaum keine expli-zite pädagogische Fragestellung verfolgt, formu-liert sie in ihrer Schlussdiskussion u. a. einigeEmpfehlungen, die dabei helfen sollen, die Kom-plexität und die vielfältigen Bedeutungshorizon-te der Aneignung von Gedichten bereits imSchulalltag erfahrbar zu machen. tse

Johannes Etmanski: Das Deutschlandbild in derpolnischen Wochenschau und die deutsch-polni-schen Beziehungen 1945-1956. – Berlin etc.: LIT-Verlag 2007 (= Reihe: Kommunikationsge-schichte; Bd. 24), 296 Seiten, Eur 29,90.

Polen, das seine von Stalin durchgesetzte territo-riale Westverschiebung mit 40 Jahren Kommu-nismus bezahlte, musste auf sowjetischen Druckhin die durch den Zweiten Weltkrieg verständli-che Abneigung den Deutschen gegenüber relati-vieren: Die DDR beherbergte nun plötzlich die»guten Deutschen«, während das Böse in derBundesrepublik verortet wurde. Wie diese ideo-logische Wende filmisch umgesetzt wurde, legtJohannes Etmanski anhand der staatlichen Wo-chenschauen dar. Die Deutschlandfeindlichkeitwar nicht nur legitimer Ausdruck des polnischenLeides während des Nationalsozialismus, son-dern diente sowohl der Integration der »wieder-gewonnenen Gebiete« (Schlesien, Hinterpom-mern, Ostbrandenburg, südliches Ostpreußen)als auch der Werbung für das von der Bevölke-rung abgelehnte totalitäre Regime. Die Münste-raner Dissertation hat nicht nur historische Be-deutung, sondern ist wegen des derzeitigendeutsch-polnischen Verhältnisses hochaktuell.

hb

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