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AKTION & REFLEXION Texte zur transdisziplinären Entwicklungsforschung und dialogischen Bildung | Heft 11 1 11 Globales Lernen Potenziale und Perspektiven Ökonomische Krisen & zukunftsfähige Bildung Dokumentation der Bundes-Fachtagung Wien • 14. November 2013 ISBN: 978-3-9503620-4-6 Ein Produkt von www.komment.at Salzburg, Mai 2014

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AKTION & REFLEXIONTexte zur transdisziplinären Entwicklungsforschung

und dialogischen Bildung | Heft 11

111Globales Lernen Potenziale und PerspektivenÖkonomische Krisen & zukunftsfähige BildungDokumentation der Bundes-Fachtagung Wien • 14. November 2013

ISBN: 978-3-9503620-4-6 Ein Produkt von www.komment.atSalzburg, Mai 2014

I N H A L T

Hanspeter HuberVorwort 3

Heidi GrobbauerÖkonomische Krisen und zukunftsfähige Bildung – 4Auf dem Weg zur Tagung 2013

Helmuth HartmeyerGlobales Lernen – Potenziale und Perspektiven 6Begrüßungsansprache

Gerd SteffensDie Krise als Lerngelegenheit? 10Politisch-ökonomische Bildung in einer Zeit der Umbrüche

Berichte aus den Arbeitsgruppen 18

Tagungsprogramm 30

Feedback 32

I M P R E S S U M

Globales Lernen. Potenziale und PerspektivenÖkonomische Krisen und zukunftsfähige BildungHerausgeberin der Ausgabe: Dr.in Heidi GrobbauerGraphische Konzeption: Eric PratterLayout: Simone Grosser

Wien, Salzburg 2014ISBN 978-3-9503620-4-6

online unter: www.komment.at und www.pfz.at

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AKTION & REFLEXION _11_ VORWORT

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V O R W O R T

Mit der Fachtagung zu Globalem Lernen 2013 wurdeauf die notwendige enge Verknüpfung von GlobalemLernen mit politischer und ökonomischer Bildunghingewiesen. Globales Lernen ist mit seiner inhaltli-chen Fokussierung auf Prozesse der Globalisierungund auf globale Entwicklungen, vor allem aber auchmit seiner Perspektive auf globale Gerechtigkeit undeine weltweit sozial und ökologisch verträgliche Entwicklung immer auch ein Lernen über ökonomi-sche Zusammenhänge. Globales Lernen und politischeBildung verbindet die Zielsetzung, Menschen zu poli-tischer Partizipation zu befähigen und sie in ihrerEntwicklung hin zu mündigen (Welt-) BürgerInnen zuunterstützen. Dies beinhaltet heute neben politischerauch ökonomische Analyse- und Urteilsfähigkeit.

Mit der Tagung 2013 haben wir uns sowohl eine in-haltliche Vertiefung als auch eine Erweiterung vonGlobalem Lernen zum Ziel gesetzt. So konnten ge-meinsam mit den TeilnehmerInnen Perspektiven fürein kritisches Lehren und Lernen im Kontext der„Weltgesellschaft“ entwickelt werden. Die Vorträgeund Kurzberichte aus den Workshops können Sie nunin der Tagungsdokumentation nachlesen.

Ich danke allen für die engagierte und konstruktiveTeilnahme an der Tagung sowie für die langjährigenBemühungen um das Globale Lernen in Österreich.

Ich darf Ihnen viel Vergnügen beim Lesen der Tagungsdokumentation wünschen!

Sektionschef Mag. Hanspeter Huber

Leiter der Sektion Internationale Angelegenheiten im Bundesministerium für

Bildung und Frauen

Bildung im 21. Jahrhundert kommt nicht umhin, sichmit globalen Entwicklungen und damit auch globalenKrisenphänomenen zu beschäftigen sowie Ideen und Leitlinien einer zukunftsfähigen Entwicklung zu diskutieren. Ökologische Grenzen des Wachstums-modells stehen dabei ebenso im Fokus wie die Heraus-forderungen für die Gestaltung von Politik und Gesell-schaft angesichts zunehmender sozioökonomischerUngleichheiten und kultureller Heterogenität. WelcheRolle und welche Aufgaben kommen Bildung und Bildungssystem zu, wenn wir eine Gesellschaft des sozialen Zusammenhalts und der Gerechtigkeit – global und im Blick auf zukünftige Generationen – anstreben? Kann Bildung einen Beitrag zur Suchenach alternativen Wegen, nach tragfähigen Verände-rungen hin zu einer global zukunftsfähigen Entwick-lung leisten?

Diese Themen stehen auch auf der Agenda internatio-naler Schwerpunkte und Vorhaben, in die das Bun-desministerium für Bildung und Frauen eingebundenist. Die UNO bereitet sich in der neuen Dekade ab 2015auf eine stärkere Koppelung der Millennium Develop-ment Goals mit den Zielen einer sozialökologischnachhaltigen Entwicklung vor. Die UNESCO setzt der-zeit Initiativen zur Fortführung der Dekade „Bildungfür nachhaltige Entwicklung“ über 2014 hinaus. ImNovember 2013 hat die UNESCO-Generalkonferenz inParis den Vorschlag für ein neues Weltaktionspro-gramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung" ange-nommen. Dieses Aktionsprogramm legt fest, dass Bil-dung „Menschen dazu befähigt, zu einer nachhaltigenEntwicklung beizutragen und informierte Entschei-dungen zu treffen sowie zu verantwortlichen Hand-lungen zu gelangen, die zu ökologischer Integrität,ökonomischer Lebensfähigkeit sowie einer gerechtenGesellschaft für gegenwärtige und zukünftige Gesell-schaften beitragen“.

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Ökonomische Krisen & zukunftsfähige Bildung Auf dem Weg zur Tagung 2013

Globales Lernen bietet hierfür in mehrfacher Hinsichtrelevante Kriterien:

3 Es reflektiert Entwicklungsprozesse aus einertransnationalen, kosmopolitischen oder weltbür-gerlichen Perspektive heraus und3 rückt dabei das Thema globale Gerechtigkeit in den

Fokus. Es fragt nach den Konsequenzen von über-bordendem Ressourcenverbrauch und ökologi-scher Schädigung, die im Namen von Wohlstandund Wirtschaftswachstum geschehen. 3 Globales Lernen versucht einer Verabsolutierung

des Ökonomischen gegenzusteuern und Konzeptewie Gerechtigkeit, Solidarität, sozialer Zusammen-halt, Gemeinwohl zur Diskussion zu stellen. 3 Ökonomie wird nicht als abgegrenzter Bereich

angesehen, sondern die Interdependenz von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft (und Ökologie)wird anerkannt. 3 Im Wissen darum, dass sich Katastrophenszenarien

wenig als Bildungsanlässe eignen und die Gefahrvon Politikverdrossenheit und Resignation bergen,sucht Globales Lernen auch die Auseinanderset-zung mit alternativen Entwicklungswegen. In denMittelpunkt rückt die Frage, wie wir zukünftigleben wollen und eine Orientierung an Visionen füreine globale zukunftsfähige Entwicklung. In diesemKontext ist es eine wichtige Aufgabe von Bildungund Unterricht, zukünftige Entwicklungsprozesseals gestaltbar darzustellen und das gesellschaftlicheSuchen nach Alternativen abzubilden.

Mit Prof. Gerd Steffens konnte ein Vortragender ge-wonnen werden, der sich intensiv mit der „Krise alsLerngelegenheit“ beschäftigt und dabei v. a. Aufgabenund Ausrichtung politischer Bildung untersucht hat.Er plädiert für eine „an der Welt interessierte“ politi-sche Bildung, die sich mit Globalisierungsprozessenkritisch auseinandersetzt und auch die Denkansätzeder Ökonomie kritisch beleuchtet.

Globales Lernen und politisch-ökonomische Bildung

Zukunftsfähige Entwicklung braucht zeitgemäße undzukunftsweisende Bildung. Globales Lernen und politi-sche Bildung verbindet neben wichtigen

Das hohe Interesse und das positive Feedback zurFachtagung „Globales Lernen in Österreich – Potenziale und Perspektiven“ im Jahr 2012 war für uns als veranstaltende Organisationen Auftrag undMotivation, auch 2013 eine Fachtagung zu Globalem Lernen durchzuführen.

2012 stand die „Schule in der Weltgesellschaft“ im Mittelpunkt: Vor allem die Potenziale von GlobalemLernen für eine zeitgemäße LehrerInnenbildung, für kompetenzorientierten Unterricht sowie für denUmgang mit Heterogenität und Mehrsprachigkeit inder Schule konnten sichtbar gemacht und zur Diskus-sion gestellt werden.

Mit der Fachtagung 2013 sollte die inhaltliche Dimen-sion Globalen Lernens erweitert und vertieft werden.Globales Lernen spannt dabei den Bogen von den„Schlüsselfragen unserer Zeit“ – globalen Entwick-lungsprozessen und -problemen – hin zu den Erfor-dernissen für einen Übergang in eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung, die von sozialemZusammenhalt, globaler Gerechtigkeit und Solidarität getragen ist.

(Ökonomische) Krisen – eine Zeit der Umbrüche

Eine profunde Analyse globaler Entwicklungenkommt nicht umhin, die gegenwärtigen Krisenphäno-mene aufzugreifen. Den Blick dabei nur auf die anhal-tende Wirtschafts- und Finanzkrise zu richten, wäreverfehlt. Vielmehr stehen die planetarische Tragfähig-keit und die Grenzen – ökonomische, soziale und ökologische – eines wachstumsorientierten Wirt-schaftsmodells auf dem Prüfstand. Wir leben in einerZeit bedeutender gesellschaftlicher Umbrüche, dietiefergehendes Umdenken und Wandel erfordern –darüber besteht kaum mehr Zweifel. Ziel ist eine global zukunftsfähige, d. h. sozial und ökologisch tragfähige Entwicklung. Die Wege dorthin zeichnensich erst langsam ab, brauchen Erkundungen und Erprobungen. Innehalten und diese Krisen auch alseine Phase des Umbruchs, der Neuorientierung unddes Prüfens von Denk- und Handlungsmustern, diegesellschaftlicher Entwicklung zugrunde liegen, verstehen – das war eine der zentralen Intentionenfür die Tagung.

Heidi Grobbauer

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AKTION & REFLEXION _11_ GLOBALES LERNEN IN ÖSTERREICH

Bildungsinhalten vor allem das Ziel, Menschen zu poli-tischer Partizipation zu befähigen und sie in ihrer Ent-wicklung hin zu mündigen (Welt-) BürgerInnen zu unterstützen. In einer Gegenwart, die von der Verab-solutierung des Ökonomischen geprägt ist, bedeutetpolitische Mündigkeit und Partizipation auch die Ent-wicklung von ökonomischer Analyse-, Urteils- undHandlungskompetenz und erfordert daher eine Ver-knüpfung von politischer und kritischer ökonomischer Bildung.

Die Bedeutung von ökonomischem Strukturwissen undökonomischer Urteils- und Handlungskompetenz spie-gelt sich im Schulsystem noch zu wenig. Zwar wurdenauch im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise Kon-zepte wie Financial Education (EU-Ebene), Verbrauche-rInnen- bzw. KonsumentInnenbildung oder Entrepre-neurship Education forciert, im Sinne der o. a. Analysesind diese Aufgaben eher als Teilbereiche ökonomischerBildung anzusehen. Gerade die umfassende Perspektiveauf das Verhältnis von Politik und Wirtschaft und aufdie notwendige Einbettung ökonomischer Entwicklun-gen in die Gestaltung von Gesellschaft kommt dabei zukurz. Einen wichtigen Beitrag zur Debatte um die Aus-formung ökonomischer Bildung leistet die „Initiative füreine bessere ökonomische Bildung“ 1 , die folgende Qualitätskriterien für ökonomische Bildung definiert:

3 Ökonomische Fragen sind in gesellschaftliche, poli-tische und kulturelle Zusammenhänge einzubetten; 3 Ökonomische Bildung folgt einer Problemorientie-

rung: ökonomisch geprägte gesellschaftliche Problemlagen und individuelle Lebenssituationenstehen im Mittelpunkt von Bildungsprozessen und 3 sind nachdrücklich auf die Lebenswelt der

SchülerInnen zu beziehen; 3 Ökonomische Bildung steht für wissenschaftlichen,

politischen und weltanschaulichen Pluralismus, istmultiperspektivisch und interdisziplinär, 3 sie ist ein kritischer wissenschaftlicher Diskurs

statt Interessenspolitik.

Die Arbeitsgruppen der Tagung wurden u. a. in diesemSinn zusammengestellt. Die AG 1 hatte sich vor allemdie kritische Reflexion der vorherrschenden Denkan-sätze der Ökonomie und deren Wirkungen auf Bil-dungstheorie und Didaktik zum Ziel gesetzt. Was

bedeutet ein mehrperspektivischer und differenzier-ter Zugang zu Ökonomie und wie können ausgeblen-dete Bereiche, wie z. B. die Rolle von Frauen als ökonomische Akteurinnen berücksichtigt werden,war Thema der AG 2.

Globales Lernen und politisch-ökonomische Bildungsind nicht erst als Bildungsaufgabe in der Oberstufezu sehen, sondern können in behutsamer Form undunter Einbeziehung der Lebenswelt der Kinder schonin der Volksschule gelingen. Eine Möglichkeit dazubietet das Philosophieren mit Kindern, das in zwei Arbeitsgruppen für unterschiedliche Altersstufen vor-gestellt wurde.

Politisch-ökonomische Bildung nicht nur auf die Lebenswelt der SchülerInnen beziehen, sondern auchim Kontext von Bildungsvoraussetzungen zu themati-sieren, war Anliegen der AG 5. Soziale Ungleichheitensind Teil des Schulalltags, werden z. T. durch das Bil-dungssystem noch verstärkt. Wie kann Schule den-noch zu einem Lernfeld für sozialen Zusammenhaltwerden und Kindern die Erfahrung von Anerkennungund Empowerment ermöglichen?

Viele Themenfelder Globalen Lernens tangieren zen-trale ökonomische Zusammenhänge, z. B. in den Lern-bereichen Konsum und Lebensstil, Nachhaltige Entwicklung, Arbeitswelt(en) sowie Weltwirtschaftund Welthandel. SchülerInnen sollte es dabei mög-lich sein, ökonomische Fragen in ihren politischen,sozialen und ökologischen Dimensionen beurteilen zukönnen. Die Arbeitsgruppe zu „Dilemmata Diskutie-ren – Werturteile bilden“ hat ein praktisches Modellfür den Unterricht präsentiert, das solche Lernpro-zesse mit Werturteilskompetenz kombiniert.

Die Dokumentation ruft die Tagungsthemen in Erin-nerung und ermöglicht das Nachlesen der Vorträge,Kurzberichte geben Einblicke in die Themen der Ar-beitsgruppen. Wir wünschen eine spannende Lektüre!

1 Die Initiative ist ein lockerer Zusammenschluss von Personen aus Wissen-schaft, unterschiedlichen Institutionen und Arbeitsfeldern. Sie hat sich ange-sichts sehr kontroverser Debatten um die Involvierung von Interessensver-bänden in der Ausgestaltung von Bildungsinhalten für ökonomische Bildungin Deutschland entwickelt. (www.iboeb.at)

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Herzlich willkommen zur heutigen Tagung! Vor einem Jahr fand eine erste gesamtösterreichischeTagung zu Globalem Lernen statt, zu der das BMUKK,die Pädagogische Hochschule Wien, die ADA (Aus-trian Development Agency) und die StrategiegruppeGlobales Lernen eingeladen hatten. Sie stieß auf sehrreges Interesse und als Mitarbeiter der ADA, wo ichfür die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft zu-ständig bin ebenso wie als Vorsitzender der Strategie-gruppe Globales Lernen freue ich mich sehr über dasanhaltend große Interesse heuer. Es wird uns ermuti-gen, auch nächstes Jahr eine Folgetagung ins Auge zufassen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Kooperati-onspartnerInnen für die gute Zusammenarbeit be-danken und ein besonderes Dankeschön gegenüberHeidi Grobbauer, eine der KoordinatorInnen der Stra-tegiegruppe und Geschäftsführerin von KommEnt,und ihrem Team für die inhaltliche und organisatori-sche Vorbereitung der Tagung aussprechen.

Wir möchten Sie heute zur vertiefenden Auseinan-dersetzung mit Globalem Lernen vor dem Hintergrund einer wachsenden Vormachtstellung desÖkonomischen einladen. Die Tagung will – wie wir esim Folder geschrieben haben – „zur Diskussion überpolitisch-ökonomische Bildung als Querschnittsauf-gabe von Unterricht beitragen, Fragen nach sozialemZusammenhalt, globaler Gerechtigkeit, Solidarität undGemeinwohl in den Blick bringen und gemeinsamPerspektiven für Lehren und Lernen im Kontext derWeltgesellschaft entfalten.“

Ökonomie und Bildung sind in der Praxis zu nahezusiamesischen Zwillingen geworden. Wesentlich dazubeigetragen hat, dass Bildung als Ressource für den

Helmuth Hartmeyer

Globales Lernen –Potenziale und PerspektivenBegrüßungsansprache

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AKTION & REFLEXION _11_ GLOBALES LERNEN IN ÖSTERREICH

ökonomischen Wettbewerb gesehen wird. Die Lissa-bon Strategie der EU aus dem Jahr 2000 wollte die EUbis zum Jahr 2010 zum „wettbewerbsfähigsten unddynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraumder Welt machen“. Über Studien wie PISA oder TIMMS(Trends in International Mathematics and ScienceStudy) wird Druck ausgeübt, Bildungssysteme an dievom Arbeitsmarkt definierten Erfordernisse anzupassen. Doch die Reduktion des Lebens auf dasÖkonomische führt auch zu einer Reduktion von Pä-dagogik auf die In-Wert-Setzung der Lernenden fürden Arbeitsmarkt. Wirtschaftlich konkurrenzfähig zusein, ist das treibende Motiv, das jedoch aus dieserLogik heraus immer Gewinner und vor allem auchVerlierer produzieren wird.

Ist Bildung noch ein öffentliches Gut oder ist es eineWare, deren Erwerb Wettbewerbsvorteile verspricht?Will oder soll auch Globales Lernen dazu dienen, unsauf die Weltwirtschaftsgesellschaft vorzubereiten; dieneuen Generationen fit machen für den Kampf aufdem globalen/ globalisierten Markt?

Schließlich kommt hinzu, dass die durch weltweiteEntwicklungen bedingte Angleichung der verschiede-nen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kultu-rellen Systeme auch im Bereich der Bildung zu immerdeutlicheren Prozessen der Anpassung an diese Sys-teme und zu standardisierter Normierung führt. Derdeutsche Erziehungswissenschaftler Karl Ernst Nip-kow plädiert dafür, dass sich die Pädagogik diesenTendenzen widersetzen sollte. In Bildungsprozessen

sollte vielmehr eine Lernumwelt geschaffen werden,die an die konkreten Erfahrungen der Menschen an-schließt, Differenzierung fördert und dem Bewusst-sein eine Chance gibt, seine eigenen Wege zu suchen.

Sollen die globalen Probleme durch die Vorbereitungauf einen bedingungslosen Wettbewerb um nochmehr Wachstum noch verschärft werden? Oder gehtes nicht eher um die Ermächtigung zu einer nachhal-tigen Lebens- und Wirtschaftsweise, die ein gutesLeben für alle im Auge hat? Sollte Globales Lernen des-halb nicht vielmehr zu internationaler Verständigungund Zusammenarbeit, zur weltweiten Achtung derMenschenrechte beitragen?

Globales Lernen ist eine solidarische Erzählung

In zahlreichen Bildungsprogrammen besteht die Ten-denz, dass vor allem das Lernen des Individuums inden Mittelpunkt gerückt wird (vgl. EU-Bildungspro-gramme Lebenslanges Lernen). Der oder die Einzelnesoll auf eine Zukunft vorbereitet werden, in der eroder sie sich behaupten kann. Die moderne Gesell-schaft zerfällt in individuelle Anstrengungen. Es liegt,so weithin die Überzeugung, am Einzelmenschen,sich in der Schule durchzusetzen, sich am Arbeitsplatzzu behaupten, jenen Teil des Glücks zu erwerben, derihm oder ihr vermeintlich zusteht. Alle gelten als ihreseigenen Glückes Schmied. Im Wettkampf um die bes-ten Lebenschancen ist jedes Mittel recht, auch dieschamlose Ausbeutung gemeinschaftlichen Wohls.Wer es nicht schafft, ist selbst schuld und glaubt

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schlussendlich auch an sein oder ihr Versagen.Solidarität zerfällt. Sie wird zu einer Leerformel.Auch der Egoismus, der Geiz geil findet und demSpruch frönt, dass wir nichts zu verschenken haben,überwindet ungehemmt Werte wie Zusammenhaltund Fortdauer. Nur der schnelle persönliche Erfolgzählt – im Beruf wie im Privaten, in der Wirtschaftwie in der Politik. Die Förderung eines übertriebenenWohlstands- und Konkurrenzdenkens verunmöglichtden Aufbau von Solidarität. Scham und Anstandgehen verloren, Idealismus wird verlacht. Wenn Im-moralität vorgelebt wird, wundern uns Plünderungendurch sozial exkludierte Jugendliche, wenn sich dieGelegenheit bietet? Alles ist erlaubt, so treibt es derNeoliberalismus auf die Spitze. Ungezügelte Gier, „weilich es mir wert bin“, droht die Bildung und damit dasLeben in eine Schräglage zu bringen.

Wenn Bildung Erfolgsgeschichten begründen soll, besteht die Gefahr, dass dabei auch Globales Lernen alsTeil eines Lebenshilfekonzepts verstanden wird. Wiemache ich mich fit für den globalen Arbeitsmarkt?Wie werde ich glücklich in einer immer schnelleren,lauteren, bedrängenderen Welt?

Bildung soll das Individuum stärken, aber auch ge-meinschaftlichen Zusammenhalt fördern. Das Zielwären Bildungsprozesse, die den Menschen Vertrauen, Stabilität, Selbstbewusstsein und Lebens-freude gewähren. Sie sollten unsere Identität imSpannungsfeld zwischen Individuum und Gemein-schaft zum Thema machen. Im Globalen Lernen ist das eine große Herausforderung, denn dem Individuum steht eine Welt- und Konkurrenzgesell-schaft gegenüber, welche das Einüben von Gemein-samkeit schon rein räumlich erschwert. Dieuniverselle Betroffenheit ist eine Fiktion. Wir sindnicht unbegrenzt zu Gemeinschaft fähig. Aber durchZusammenarbeit und Zusammenleben können Solidarität und soziale Tugenden gefördert und die

Fähigkeit zu einem kooperativen Verständnis undVorgehen auch im Alltag gestärkt werden.

Die gegenwärtige Entwicklung verlangt Beschleuni-gung und Rationalisierung. Sie produziert immerschneller durch das Leben hetzende Menschen, diesich diesem ständig rascher werdenden Rhythmusanpassen müssen. Sie verdrängt eine wünschens-werte und notwendige Langsamkeit und Reflexion. Warum hecheln wir aber so emsig der Zukunft hinterher? Soll sie uns verheißen, was die Gegenwartnicht bieten kann? Der Fortschrittsglaube scheint zubedeuten, dass alles imperfekt ist, alles stets verbes-sert werden muss. Versäumnisangst herrscht vor. DasLeben hat ein Ablaufdatum und möglichst alles sollbis dahin erfahren werden. Dies verunmöglicht, gegenwärtig zu sein.

Die Gegenwart kommt dem Wirklichen am nächsten.Appelle und Informationen über das Dort und Dannverhallen, wenn sie nicht in die Realitäten des Hierund Jetzt eingebunden werden. Globales Lernen kannWesentliches dazu beitragen.

Globales Lernen ist ein Konzept der Ermöglichung und Ermächtigung

In den Zielbeschreibungen von Globalem Lernenfinden sich häufig Wörter wie „finden, entwickeln, erfassen, beitragen, reflektieren, befähigen, hinter-fragen“. Sie bringen zum Ausdruck, dass der Erwerbvon Kompetenzen im Globalem Lernen eine bedeutende Rolle spielt:3 Das Erfassen, Verstehen und Hinterfragen

globaler Zusammenhänge3 Die Einsicht in die eigenen alltäglichen Bezüge

zur Globalität3 Das Erkennen und Reflektieren von Werten

und Haltungen3 Die Entwicklung von Perspektiven und Visionen

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AKTION & REFLEXION _11_ GLOBALES LERNEN IN ÖSTERREICH

3 Die Entfaltung und Reflexion von Handlungsoptio-nen in einem globalen Kontext3 Die selbstständige, aber auch vernetzte Beteiligung

an Kommunikations- und Entscheidungsprozessen.

Globales Lernen fördert eine über das unmittelbareBildungsmoment hinausgehende Einsicht in die eigene Verstricktheit mit globalen Fragen. Es trägtdazu bei, dass Menschen sich selbst und ihre Interes-sen im Lichte komplexer Zusammenhänge leichter er-fassen und globale politische Prozesse durchschauenlernen. Sie erkennen die weltweiten Verflechtungenund Abhängigkeiten und können sie kritisch in Fragestellen. Es erlaubt ihnen das Benennen von Wünschenund Bedürfnissen, lädt sie ein zur Entwicklung von Visionen und Perspektiven. So ermöglicht es schließ-lich die Entdeckung von Denk- und Handlungsweisen,manchmal aber auch – und ebenso wertvoll – dieWiederentdeckung bekannter Handlungsformen.

Darum geht es im Globales Lernen. Es ist ein Konzept,das dazu beiträgt, die Wichtigkeit von globalen Pro-blemen zu erfassen, dialogisch Kompetenzen zur Bearbeitung komplexer Fragestellungen zu erwerben,Unsicherheit und die Ungewissheit über „Weltent-wicklung“ auszuhalten und damit umgehen zu lernen.Durch den Bezug der globalen Gegebenheiten auf dieLebenswirklichkeiten in der eigenen Gesellschaft, d.h.durch die Verbindung der globalen Perspektive mitdem eigenen Nahbereich bzw. dessen Reflexion werden die Voraussetzungen für selbstbestimmte, solidarische und verantwortungsvolle gesellschaftli-che Teilhabe vor dem Hintergrund relevanter globalerEntwicklungen geschaffen.

Globales Lernen ist ein Menschenrecht. Alle sollten Zugang zu qualitätsvollem Globales Lernen haben. Dies erfordert eine entsprechende staatliche Politikebenso wie zivilgesellschaftliches Engagement.

In zahlreichen europäischen Ländern sind in den letzten Jahren Strategien zur Etablierung von GlobalemLernen im formalen und auch non-formalen Bildungs-wesen entstanden. Im Global Education NetworkEurope haben sich inzwischen 45 Bildungs- und Entwicklungsministerien, Agenturen und NRO-Fach-stellen zusammengefunden, um Wissen und Erfah-rungen in diesem Arbeitsfeld auszutauschen undweiterzuentwickeln. Österreich bringt sich aktiv einund profitiert seinerseits von den Veränderungen anderswo. So wird Finnland „Global Citizenship“ zueinem Kernbereich seines neuen Gesamtlehrplans fürdie Sekundarstufe I machen.

Inhaltlich führt das traditionelle Entwicklungspara-digma von Wachstum und Fortschritt nicht weiter.Die Ressourcen des Planeten sind endlich. Der Mut zuneuen Wegen ist gefordert. Und pädagogisch reichtdie Ansammlung neuen Fachwissens nicht aus. Siemuss integriert werden in eine kritische Reflexionvon neuen Einsichten und gemachten Erfahrungen.

Globales Lernen ist ein spannender, spannungsreicherund lohnender Weg. Es liegt an uns ihn zu gehen.

Der Tagung und damit uns allen wünsche ich einenproduktiven und diskussionsreichen Verlauf.

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Die Überschrift, die dieser Vortrag trägt, steckt vollerVoraussetzungen. Das ist bei Vortragstiteln ja keines-wegs unüblich, und es gehört zu den Aufgaben einesVortrags, diese Voraussetzungen im Lauf der Darle-gung argumentativ einzulösen. So möchte ich auchverfahren, freilich mit der Ausnahme einer Prämisse:Das Verständnis von politischer Bildung, von dem ausich argumentiere und zu dem ich meine Argumenta-tion zurückführe, lege ich vorweg als ein „Plädoyer“dar, in einer Form also, der ein gewisser Nachdruckeigen ist (1). Welche Gründe es dafür gibt, von einer„Zeit der Umbrüche“ zu sprechen, erörtere ich anschließend (2). Im nächsten Schritt greife ich gesellschaftstheoretische Anregungen auf, Krisen-situationen unter dem Aspekt gesellschaftlichen Lernens zu betrachten (3) und frage dann, ob die Weltfinanzkrise seit 2008 die Selbstgewissheiten des vorherrschenden ökonomischen Denkens erschüttern und Lernprozesse auslösen konnte (4). Abschließend frage ich nach didaktischen Poten -zialen von Krisen und lege einige Folgerungen für politisch-ökonomische Bildung dar (5).

1. Plädoyer für eine an der Weltinteressierte politische Bildung

Politische Bildung lebt davon, dass sie mit den Lernen-den und Heranwachsenden das Interesse an der Ge-staltung der Welt teilt, in der sie agieren oder in die siehineinwachsen. Für Gesellschaften, die sich durch de-mokratische Formen von Politik selbst steuern, mithin auf diese Weise ihre Zukunft gestalten, ist dies,wie mir scheint, nach wie vor unbestreitbares undnotwendiges Schlüsselargument der Begründung vonpolitischer Bildung. Deshalb lassen sich die Fächer politischer Bildung auch in der Schule gerade nichtüber den Nachweis einer mit allen Schulfächern geteilten Rasterfähigkeit in Kompetenzen, Standardsetc. rechtfertigen, sondern – umgekehrt – aus ihrerBesonderheit: Die Heranwachsenden sind hier nichtnur Lernende im Sinne aller Schulfächer, sondern siesind dies als künftige AkteurInnen der Volkssouverä-

Gerd Steffens

Die Krise als Lerngelegenheit? Politisch-ökonomische Bildung in einer Zeit der Umbrüche

Vorbemerkungen

Mein Vortrag gliedert sich in fünf Bereiche:

3 Plädoyer für eine an der Welt interessierte politische Bildung

3 Zeit der Umbrüche: In welcher Gegenwart leben wir? Ist es gerechtfertigt, von einer Zeitder Umbrüche zu sprechen?

3 Transformationskrisen & gesellschaftliche Lernprozesse

3 Nach dem Blick in den Abgrund: Die Krise als Lerngelegenheit?

3 Krise und politisch-ökonomische Bildung

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AKTION & REFLEXION _11_ WELTGESELLSCHAFT ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE SCHULE

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nität, als AutorInnen demokratischer Selbstgesetz-gebung und gesellschaftlicher Zukunftsgestaltung.

An diesem Ziel bemisst sich – in der außerschulischenund der schulischen politischen Bildung – der Bil-dungsanspruch der Lernenden ebenso wie die Aufgabepolitischer Bildung.Will politische Bildung sich überihre je gegenwärtige Aufgabe verständigen, kommtsie daher nicht umhin, den Blick auf das Feld zu richten, in welchem die künftigen AutorInnen gesell-schaftlicher Selbststeuerung agieren werden: die politische und gesellschaftliche Welt, ihre zentralenKonflikte und Krisen und deren mutmaßliche Entwicklungstendenzen. Weil diese gesellschaftlicheWelt nicht in Form von schürfbaren Rohstoffen odereinsammelbaren Fertigprodukten von Fakten und Positionen vor uns liegt, sondern als sich verändern-des, verschlungenes Produkt zahlloser Diskurse undHandlungen, müsste politische Bildung zu allererst anklärenden Analysen dieser sich gesellschaftlich produzierenden Welt interessiert sein.

Teilt die politische Bildung mit den Heranwachsen-den und Lernenden das Interesse an der Welt, in dersie leben und agieren möchten? Findet sie Wege, aufdenen die Lernenden sich eine Welt in krisenhaftenUmbrüchen erschließen können? Wie geht sie mitTiefe und Tempo der Veränderungen um, wie mit dendamit einhergehenden Dezentrierungen der Perspek-tiven, dem Aufbrechen der vertrauten Selbstverstän-digungshorizonte? So könnten m.E. Fragen lauten, andenen politische Bildung heute ihr Selbstverständnisprüfen und restrukturieren könnte.

2. In welcher Gegenwart leben wir? Ist es gerechtfertigt, von einer Zeit der Umbrüche zu sprechen?

In welcher Gegenwart also leben wir? Ein Mittel derGeschichtswissenschaft, diese Frage zu beantworten,ist die Epochalisierung. Epochalisierung will bekannt-lich überzeugende Grenzen zwischen jeweils Altem

und Neuem finden und für die jeweilige Gegenwart istnatürlich die letzte Grenzziehung zwischen Altemund Neuem, Vergangenem und Gegenwärtigem besonders interessant. Dafür gibt es derzeit zwei Vorschläge und die mit ihnen verbundenen Perspek-tivierungen sind für unser Thema so aufschlussreich,dass ich sie Ihnen kurz vorstellen möchte.

Der eine ist so naheliegend und bekannt, dass ichmich kurz fassen kann: Die Jahre 1989/91 gelten des-halb als eine markante Epochenscheide, weil sich hierdie Superstruktur des Ost-Westkonfliktes, seit übervier Jahrzehnten Bezugsrahmen nahezu aller globalerVerhältnisse, auflöste, der Kalte Krieg zu Ende warund die Systemkonkurrenz zwischen Sozialismus undKapitalismus mit dem Sieg des letzteren endete. Manche Deuter der Zeitläufe sahen, wie der US-ame-rikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama,mit dieser Zäsur gar das Ende der Geschichte überhaupt gekommen, weil alle Verheißungen des Liberalismus sich mit dem weltweiten Sieg von Kapi-talismus und Demokratie erfüllt hätten. Andere betonten die Bedeutung dieses Umbruchs für die jetztanhebende Entwicklung der Globalisierung, weil esjetzt eben die eineWelt war, die als Kommunikations-und Handlungsfeld zur Verfügung stand.

So unstrittig die Tragweite dieser historischen Zäsurauch ist, so aufschlussreich ist es doch, den anderenKandidaten für eine Epochalisierung als Grenze vonGegenwärtigem und Vergangenem anzuschauen. Erbetrifft die Jahre 1973/1980 und macht geltend, dass eshier anhebende Entwicklungen sind, die den Gang derGeschichte in vielen Bereichen verändert und in Bahnen gelenkt haben, die weit über 1989 hinauswirksam bleiben. An Ereignissen mit epochaler Dyna-mik lassen sich anführen:

1973 – das Ende des Bretton-Woods-Systems: Wäh-rungen, mithin das Geldsystem überhaupt, koppelnsich von materiellen, stofflichen Verbürgungen (wieGold oder real produzierte Warenwerte) zunehmend

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ab und werden selbstreferentiell, d.h. sie verlagern ihren Geltungsgrund in die als gewiss angenommenezukünftige Geltung von Geldwertversprechungen, indas Vertrauen auf den ungestörten Fortgang der Fi-nanzmarktgeschäfte (weshalb der deutsche Finanz-minister Steinbrück 2008 „in den Abgrund“ blickteund Banken für „systemrelevant“ erklärt wurden).

1973 – der „Ölpreisschock“ bringt Grenzen und Anfäl-ligkeit des Wachstums einer auf fossiler Energie beruhenden industriellen Kultur zu Bewusstsein; seitdem ein Megathema von Ökonomie, Ökologie(eine damals neuaufkommende Sichtweise!), der Kli-mawissenschaften – kurz, aller Zukunftsszenarien.Nach und nach enden auch in den Wahrnehmungender Bevölkerungen Europas „les trentes glorieuses“,die drei Jahrzehnte des wirtschaftlichen Wachstums,der fühlbaren Wohlstandsvermehrung und des sozial-staatlichen Ausbaus.

1979:3 die islamischen Volksaufstände stürzten im Iran

den Schah und zwangen in Afghanistan die Sow-jetunion zum Eingreifen;

3 die Volksrepublik China öffnete sich unter DengZiao Ping zur Weltpolitik und zum Weltmarkt und begann ihren rasanten Aufstieg;

3 in Europa startete das Europäische Währungssys-tem EWS, das schließlich zur Eurozone führte und die Vorherrschaft der Dollarökonomie ein-schränkt;

3 Margret Thatcher zog in die Downing Street 10 ein.

1980: Ronald Reagan wird zum US-Präsidenten ge-wählt: Beginn der neoliberalen Revolution, in der dieangloamerikanische Politik die formellen und infor-mellen Zäune und Hemmnisse der ökonomischen Be-reicherung einriss, die Profitgier und ihre Förderungzur wichtigsten politischen und gesellschaftlichenAufgabe machte, alle in eine gnadenlose Produktivi-tätskonkurrenz („Standortwettbewerb“) und eine vonder Realwirtschaft gelöste Renditekonkurrenz triebund die Welt schließlich in die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise stürzte.

Gerade im Blick auf die Gegenwart, so meine ich, zeigtsich die Stärke dieser Epochenperspektive, denn aus

ihr werden die weiter treibenden Kräfte sehr vieldeutlicher als aus dem auf 1989/91 zentrierten Blick,aus dem sich doch eher ‚das Ende von etwas’ zeigt. Vorallem öffnet diese Perspektive den Blick auf das, wasder deutsche Literaturwissenschaftler und PhilosophJoseph Vogl, einer der luzidesten und originellsten gesellschaftstheoretischen Köpfe der Gegenwart, die„neoliberale Oikodizee“, genannt hat, „einen weltwei-ten sozialen Großversuch“ (Vogl 2010:114) zur Unter-stellung aller Weltverhältnisse unter die Effizienz -kriterien der Finanzmärkte. Und eben in diesenZusammen hang einer – gewollten, wirklich pro-grammatisch betriebenen – Unterstellung aller sozialer und kultureller Verhältnisse unter die Zentralregel der Marktförmigkeit (oft auch als „Kommodifizierung“ bezeichnet) gehört die Fragenach politischer und ökonomischer Bildung heute.

3. Transformationskrisen und gesellschaftliche Lernprozesse

Will politische Bildung sich den Herausforderungendurch eine Gegenwart stellen, die durch tiefe Transformationskrisen gekennzeichnet ist, so sindzeitdiagnostische Deutungsangebote aus dem Bereichder Sozialwissenschaften hilfreich. Aus ihnen möchteich hier nur ein Angebot exemplarisch vorstellen. Eshat den für unsere Zwecke sehr schätzenswerten Vor-zug, dass es Transformationen explizit unter der Fragestellung betrachtet, wie sich Transformation undgesellschaftliches Lernen zueinander verhalten.

Jürgen Habermas hat diesen Vorschlag in einer kleinen Schrift von 1998 skizziert (Habermas 1998). Er greift dabei auf eine Analyse eines anderen epochalen Transformationsprozesses zurück, dielange verschüttet war.

Karl Polanyi, emigrierter österreichischer Sozialwis-senschaftler, hatte in „The Great Transformation“(1944/1978) den historischen Prozess untersucht, der von der Herausbildung der Marktwirtschaft im 19. Jahrhundert zum Zusammenbruch der Weltwirt-schaft in der Weltwirtschaftskrise seit 1929 und zumdramatischen Entgleisen des Modernisierungsprozes-ses in die Barbarei des Nationalsozialismus führte. Er entwickelte dabei die These, „dass die Ursprünge

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AKTION & REFLEXION _11_ WELTGESELLSCHAFT ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE SCHULE

der Katastrophe in dem utopischen Bemühen des Wirtschaftsliberalismus zur Errichtung eines selbst-regulierenden Marktsystems lagen“ (Polanyi 1978: 54).Die „Idee eines selbstregulierenden Marktes“, eine„krasse Utopie“, könne „über längere Zeiträume nichtbestehen, ohne die menschliche und natürliche Sub-stanz der Gesellschaft zu vernichten“ (ebd.: 20).

Es liegt in Zeiten einer Weltfinanzkrise nahe, dass deranalytische Ansatz Polanyis wieder auf besonderesInteresse stößt. Elmar Altvater z.B. greift im Begriff dergesellschaftlichen „Entbettung“ der Märkte (2005: 17)vor allem den Befund einer durch die Gesellschaft nichtmehr beherrschbaren, durch das Theorem der Selbst-regulierung abgedichteten Verselbständigung derMärkte und ihrer zerstörerischen Mechanismen auf.

Jürgen Habermas war 1998 hingegen im Zeichen starker Globalisierungs- und Europäisierungsschübevor allem daran interessiert, wie Gesellschaften mittiefgehenden Transformationsprozessen auf histo-risch lange Sicht umgegangen sind. Er entdeckt in den Analysen Polanyis so etwas wie ein Modell für Reaktionsweisen, die zu beobachten sind, wenn die Wirklichkeiten, in denen Gesellschaften leben, nichtmehr damit übereinstimmen, wie sie sich selbst unddie Welt sehen. Polanyi hat ja – und das interessiertHabermas besonders – den Nationalsozialismus alseine Transformations-Katastrophe gedeutet, die dadurch verursacht worden ist, dass die gesellschaftli-chen Selbstverständnis-Horizonte, die durch Indus-

trialisierung und Marktwirtschaft aufgesprengt wor-den waren, nicht durch produktives und kritischesgesellschaftliches Lernen erweitert, sondern regressivund gewaltförmig geschlossen wurden. Habermasfragt sich, ob diese Interpretationsidee, Transforma-tionen – und ihr Gelingen oder Misslingen – alsKämpfe um gesellschaftliche Selbstverständnis-Horizonte zu verstehen – und damit die Bedeutunggesellschaftlicher Lernprozesse in ihnen zu akzentu-ieren – als ein Modell für das Verständnis von epocha-len Transformationen überhaupt genutzt werdenkann. Blickt man aus dieser Deutungsperspektive aufdie europäische Geschichte, so findet Habermas, lässtsie sich als eine charakteristische Folge konflikthafterÖffnung und Schließung von Horizonten gesellschaft-licher Selbstverständnisse lesen: „Die europäischeEntwicklung ist seit dem ausgehenden Mittelalterstärker als andere Kulturen durch Spaltungen, Differenzen und Spannungen charakterisiert (...)Diese scharfen, oft tödlich zugespitzten Konflikte sind – in den glücklicheren Momenten – auch ein Stachel zur Dezentrierung der jeweils eigenen Per-spektiven gewesen, ein Antrieb zur Reflexion auf und zur Distanzierung von Voreingenommenheiten,ein Motiv zur Überwindung des Partikularismus, zum Erlernen toleranter Umgangsformen und zur Institutionalisierung von Auseinandersetzungen.Diese Erfahrungen mit gelungenen Formen der sozialen Integration haben das normative Selbstver-ständnis der europäischen Moderne geprägt, einenegalitären Universalismus, der uns – den Söhnen,

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Töchtern und Enkeln eines barbarischen Nationalismus– den Übergang zu den anspruchsvollen Anerken-nungs-verhältnissen einer postnationalen Demokratieerleichtern kann“ (Habermas 1998: 155f.).

Die Auflösung herkömmlicher Horizonte – z.B. derchristlichen Weltdeutung als Schöpfung – über eine –wenn auch konfliktreich und schmerzhaft erlittene –Dezentrierung der Perspektive führt dabei jeweilszum Aufbau eines neuen und um neue Formen sozialer Verständigung erweiterten Horizonts. DasGelingen von Transformationen, so lässt sich darausfolgern, hängt von einer eigentümlichen gesellschaft-lichen Lernleistung ab. Nur wenn die mächtigen Dezentrierungen der Perspektive, die die herkömm -lichen Selbstverständigungshorizonte aufsprengen,zum Aufbau eines neuen und um neue Formen sozialer Verständigung erweiterten Horizonts führen,lassen sich historische Übergänge bewältigen, ohne in Katastrophen wie die des Faschismus zu münden.Die Leistungen der Interpretationsidee „Öffnung/Schließung gesellschaftlicher Horizonte in Transfor-mationsperioden“, wie Habermas sie von Polanyiübernommen und auf die europäische Geschichte angewendet hat, lässt sich – damit möchte ich den Gedankengang abschließen – schematisch so verdeut-lichen:

4. Nach dem Blick in den Abgrund: Die Krise als Lerngelegenheit?

Jeder Blick auf das gegenwärtige Europa zeigt, dassregressive Schließungen als Antwort auf die Transfor-mationskrisen hohe Attraktivität haben. Auf diesesgefahrvolle Feld, auf dem sich besondere Herausfor-derungen der politischen Bildung zeigen, will ich hiernur hinweisen – darüber angemessen zu reden,würde einen eigenen Vortrag erfordern. Es sind abernicht nur jene völkisch-identitären Angebote vonrechts außen, durch die das normative Gefüge der Demokratie, die Legitimität gesellschaftlicher Selbst-steuerung, erschüttert werden. Die Legitimität gesell-schaftlicher Selbststeuerung wird – in der Tiefen-wirkung womöglich noch stärker – auch durch dienormativ gewendeten und dadurch radikalisiertenAxiome neoklassischer Ökonomie in Frage gestellt Es gebe keine Gesellschaft, sondern nur Individuen,pflegte M. Thatcher bekanntlich zu sagen, und derÖkonomie-Nobelpreisträger Gary S. Becker propa-gierte allen Ernstes einen „ökonomischen Imperialis-mus“ (Pies/Leschke 1998), der nun berufen sei, die Leitung aller Dinge in die Hand zu nehmen. Was einem soziologisch aufgeklärten Bewusstsein als Naivität oder maßlose Selbstüberschätzung erscheinen musste, setzte sich, frei von jedem selbst-

Horizont der Lebenswelt

Heraus-forderung

Erweiterung des Horizonts

Feudal-agrarisch dörflich Stadt neue Bürger- und Berufsrollen

christliche Glaubenseinheit Reformation öffentliche religiöse Kontroversen, Toleranz

Weltdeutung durch Glauben Naturwissenschaften Weltdeutung durch Wissen/Denken

kleinräumige Einheiten Nationalstaat Akzeptanz unterschiedlicher Herkünfte

paternalistische Sozialbeziehungen soziale Konflikte, Klassenkämpfe Akzeptanz/Austragung von Interessen- undNormkonflikten

nationalstaatliche Zugehörigkeit EU-Binnen(arbeits-)markt; EU-Zugehörigkeit, Globalisierung

soziale Solidarität & demokratische Willens- bildung als übernationale Erfahrung egalitärer Universalismus

Lern-/Erweiterungsleistung im Prozeß der Öffnung und Schließung von Lebenswelten

Dezentrierung der jeweiligen Perspektiven

Die Dezentrierung der Perspektiven und gesellschaftliches Lernen in der europäischen Geschichte

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kritischen Zweifel, durch und leitete die Unterord-nung aller gesellschaftlichen Tätigkeiten unter ökonomische Messzahlen an. Wie fiktiv, zurecht-gebogen oder an den Haaren herbeigezogen solcheMesszahlen auch sein mochten, so war ihre Wirkungdoch durchschlagend: Nur was in marktförmiger Vergleichbarkeit, in wie auch immer fiktiver Wert-form, ausgedrückt werden kann, hat Anspruch aufWahrnehmung und Geltung. Diese Zugangskontrollemodelliert die soziale Welt nach den trivialen Axiomen des methodologischen Individualismus, der sich für die einzig überhaupt mögliche Form von Rationalität hält und alles andere selbstgewiss undkopfschüttelnd als defizient und irrig ausschließt.

Solche Selbstgewissheit ist nach dem „Blick in den Abgrund“ der Krise (so der deutsche FinanzministerSteinbrück 2008) zunächst zusammengebrochen.Nach einigen Monaten der sprachlosen Schockstarreunter den ÖkonomInnen durften 2009 selbst die heiligsten Lehrsätze der neoliberalen Religion auf denPrüfstand, und die Krise schien selbst von hartgesot-tenen NeoklassikerInnen als eine Lerngelegenheit betrachtet zu werden. Der Markt und seine „Selbsthei-lungskräfte“, seine unübertreffliche Effizienz als perfektes System der Informationsverarbeitung im ständigen Spiel von Angebot und Nachfrage, die damitbegründete Freiheit des Marktes von politischer Regulierung, die Modellierung einer auf individuelleNutzenmaximierung fokussierten Rationalität der Markt-teilnehmerInnen und der Glaube an eine „unsichtbareHand“, die die individuelle Nutzenverfolgung hinterdem Rücken der AkteurInnen zum Gemeinwohl fügt:all diese Elemente der kapitalistischen Meistererzäh-lung seit fast drei Jahrhunderten durften hinterfragtwerden. Wenn vom „Elend der Ökonomen“ (Frankfur-ter Allgemeine Sonntagszeitung, 4.10. 09) und ihrerWissenschaft die Rede war, wenn Joseph Stiglitz vom„großen Irrtum des Adam Smith“ und der Legendevon der „unsichtbaren Hand“ schrieb (SüddeutscheZeitung, 31.12.09), wenn der „Spiegel“ titelte: „Warumder Kapitalismus nicht aus seinen Fehlern lernenkann“ (11.5.09), wenn Hans Werner Sinn unter dem Titel „Das System war faul“ mit Sarah Wagenknechtüber „die richtige Antwort auf die Krise“ debattierte(Die Zeit, 25.6.09), so belegen schon diese wenigenBeispiele, dass Krisenerklärungen auch aus der Per-spektive des ökonomischen „Mainstreams“ an einer

kritischen Revision grundlegender Denkansätze derÖkonomie nicht vorbei gehen konnten.

Die Erschütterung durch die Krise schien den Blickfür die Einsicht geöffnet zu haben, die Douglas C.North, Nobelpreisträger der Ökonomie, einst aus derkritischen Analyse der Wirtschaftsgeschichte gewon-nen hatte: „Eine neoklassische Welt wäre wahrhafteine Art Freistilringen; keine Gesellschaft könnte inihr überleben“ (North, 1988, S.12). In der Tat: Aus demneoklassischen Denkansatz der Ökonomie ist die gesellschaftliche Welt weder normativ zu konstruie-ren noch zu erklären. Dazu bedarf es eines Denkens, welches sich der Heiligsprechung individueller Nutzenmaximierung als Basisregel der Vergesell-schaftung widersetzt und Gesellschaft stattdessen aufdie soziale Produktivität wechselseitiger Anerken-nung gründen will. Das spektakuläre Scheitern derÖkonomie als Leittheorie der modernen, globalisier-ten Welt gab daher wieder den Blick frei für die Leistungen jener Gesellschaftstheorien, die Gesell-schaftlichkeit aus von vornherein kommunikativ ge-meinten, sozial gerichteten individuellen Handlungenhervorgehen lassen, weil Individuation und Vergesell-schaftung eben gleichursprünglich, d.h. ohne einandergar nicht zu haben sind. Es ist der von diesen Gesell-schaftstheorien ausgehende bildungstheoretische Impuls einer Mündigkeit, die zugleich die aller ande-ren ist, der eine politische Bildung begründet, die zurTeilhabe an der Selbststeuerung der Gesellschaft inder Demokratie führen will (näher Steffens 2007).An dieser durch die Krise bewirkten Öffnung des Horizonts festzuhalten, ist für die politische Bildungumso wichtiger, als die selbstkritischen Impulse derÖkonomie mittlerweile neutralisiert erscheinen.Denn die interessierte Verwandlung der Weltfinanz-krise in eine Staatsschuldenkrise der Eurozone hatseit 2010 nach und nach die alte Deutungshoheit undHerrschaftsordnung wieder hergestellt. Drei Jahrelang wurde die Krise von Staatsfinanzen und Währun-gen als ein öffentliches Lehrstück aufgeführt, welchesdem Grundsatz wieder unumstrittene Geltung ver-schaffen soll, dass die Finanzmärkte die letzte Instanzder Bewertung allerDinge bilden, auch des staatlichenHandelns und der politischen Gestaltung. In Europahat – unter dem Druck insbesondere der deutschenBundesregierung – die politische Bearbeitung dermarktradikal herbeigeführten Krise gerade zur

AKTION & REFLEXION _11_ WELTGESELLSCHAFT ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE SCHULE

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Verschärfung des marktradikalen Szenarios geführt(näher dazu nun Steffens 2014). Die durchgesetztenMaßnahmen liegen – für jedermann sichtbar – alle inder Linie eines demokratieentlasteten „Durchregie-rens“ von den ohnehin bestehenden demokratiefreienDurchgriffsrechten der Kommission über Fiskalpaktund Schuldenbremse, von Schäubles Plan eines europäischen Finanzministers mit Weisungsrechtengegenüber den Nationalstaaten noch zu schweigen.

5. Krise und politisch-ökonomische Bildung

Wer gesellschaftliche Verhältnisse analysiert, öffnetund beschreibt damit immer auch Lernwege – sei esdiskursiven gesellschaftlichen Lernens oder in Formvon Unterricht. In Zeiten der Krise springt das mehrnoch als sonst ins Auge – nicht nur, weil es um mehrgeht als sonst, sondern auch, weil das, was als Kriseerlebt wird, besondere, blicköffnende Lernanstößebietet. Der Begriff der Krise hat schon von den eingespielten Konnotationen – auch seines alltags-sprachlichen Gebrauchs – her eine ganze Reihe vonBedeutungsdimensionen, die auf geradezu existen-zielle Formen gesellschaftlichen, politischen Lernensverweisen und Übertragungen in die didaktische Reflexion nahe legen: so den Zusammenstoß von Objektivem und Subjektivem, die Erfahrung von derMacht der hergebrachten Verhältnisse und Regelnund der Möglichkeit ihres langsamen, aber unaufhalt-samen oder ihres plötzlichen Zusammenbruchs, desAusgeliefertseins und des doch Durchschauen- undBeherrschen -Wollens, also die Erfahrung, dass esnichts als das kritische Vermögen ihrer Vernunft ist,worauf Menschen sich zur Regelung ihrer Verhält-nisse letztlich verlassen können. Oder – etwas patheti-scher – die Erfahrung, dass der Mensch sich gegenüberwältigende Verhältnisse stellen und sie zum Besseren wenden könne. Krise bringt Zukunft als dieeigentliche Dimension gesellschaftlicher Entschei-dungen ganz deutlich zum Vorschein. In ihr gewinntdie allgemeine Frage nach der gesellschaftlichen Zu-kunft aktuelle, persönliche, konkrete und alltäglicheDimensionen. Was wird? Wie geht es weiter? Das sinddie drängendsten Fragen. Daher erzwingt die Krise,weil Ursachenforschung zu ihrer Bewältigung uner-lässlich ist, die Reflexion über den Zusammenhangvon Vergangenheit und Zukunft. Sie erweist

historisches Bewusstsein als unerlässlich für dieDurchdringung menschlicher Verhältnisse.

Ob eine so allgemeine, tiefgehende Krise, wie sie gegenwärtig zu konstatieren ist, solche Lernwirkun-gen entfalten kann, ist freilich offen. Dies hängt nicht nur von der kritischen Reichweite diskursiverStrukturen der Öffentlichkeit ab, ihrer Fähigkeit, Verhältnisse transparent zu machen und Triftiges zuerörtern, sondern auch davon, dass die professionellLehrenden ihre Aufgabe zu verstehen und reflektierengelernt haben. Für diese Herausforderung politischerund ökonomischer Bildung lassen sich abschließendund zusammenfassend einige Folgerungen aus derhier vorgetragenen Argumentation herleiten:

3 Unverzichtbar ist eine Idee unverkürzter Mündigkeit, die individuelle und gesellschaftlicheAutonomie meint sowie

3 eine darin gründende politikökonomische Urteils-fähigkeit, die Ökonomie als Feld gesellschaftlicher,mithin politischer Gestaltung begreifen kann.

3 Kenntnisse ökonomischer Funktionsweisen sindwichtig, aber kein Selbstzweck.

3 Selbstzwecksetzungen, Behauptungen von Alternativlosigkeiten und Sachzwängen könnenGegenstand von Kritik sein, aber nicht Leitlinienvon Bildung.

3 Die Basisannahmen der neoklassischen Ökonomie können aus sich heraus keine Bildungs-ziele, allenfalls instrumentelle Wissensziele hervorbringen.

3 Politische Bildung kann nur eine an der Welt, am Gegenstandsfeld der Politik interessierte Bildung sein.

3 Politische Bildung muss ihre Aufgaben an und in einer Welt globaler Krisen und Umbrüchebestimmen und

3 den Gefahren regressiver, auf ethnozentrische Gesellschaftsbilder gerichteter Krisendeutungenentgegen arbeiten.

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L I T E R A T U R

Altvater, Elmar (2005): Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihnkennen. Münster.

Habermas, Jürgen (1998): Die postnationale Konstellation. Frankfurt.

Ingo Pies /Martin Leschke (Hrsg.) (1998): Gary Beckers ökonomi-scher Imperialismus. Tübingen.

Polanyi, Karl (1978): The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssyste-men. (1944). Frankfurt.

Steffens, Gerd (2007): Ist der homo oeconomicus gesellschaftsfä-hig? Denkansätze der Ökonomie und politische Bildung. In: GerdSteffens (Hrsg.): Politische und ökonomische Bildung in Zeiten derGlobalisierung. Münster . S. 258-274.

Steffens, Gerd (2014): „Mutti passt auf unser Geld auf“ – AngelaMerkel, die Eurokrise und die Deutschen. In: Jahrbuch für Pädago-gik 2013: Krisendiskurse. Frankfurt 2014. S. 279-291.

Streeck, Wolfgang (2013): Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des de-mokratischen Kapitalismus. Frankfurt.

Vogl, Joseph (2010): Das Gespenst des Kapitals. Zürich.

AKTION & REFLEXION _11_ WELTGESELLSCHAFT ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE SCHULE

Prof. Dr. Gerd Steffenslehrte bis 2007 politische Bildung und ihre Didaktik an der Universität Kassel. Arbeitsschwerpunkte: Gesellschaftswissen-schaftliche Voraussetzungen politischer Bildung; Politische Ökonomie und politische Bildung.

Er ist Mitherausgeber des „Jahrbuchs für Pädagogik“ (Peter-Lang-Verlag); Zahlreiche Veröffentlichungen zu politischer Bildung und Didaktik politischer Bildung, u. a. „Politische und ökonomische Bildung in Zeiten der Globalisierung“ (Hrsg), Münster 2007; „Weltbürgertum und Kosmopolitisierung. Interdisziplinäre Perspektiven für die Politische Bildung (Hrsg mit Benedikt Widmaier)“, Schwalbach 2010.

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Welche bildungstheoretische und didaktische Botschaftvermittelt die Vormachtstellung des Ökonomischen? Wie prägen die vorherrschenden Denkansätze der Ökonomie Welt- und Selbstwahrnehmung, welche Alternativen könnte es geben? Warum ist die Frage nach den Denkansätzen so fundamental für Grund-muster sozialer Beziehung und Bildung?(Auszug aus dem Tagungsprogramm)

I N P U T SDr. Gerd Steffens (Univ. Kassel, em. Prof. f. politische Bildung)

Dr. Georg Tafner (Religionswissenschafter; Wirtschaftspädagoge an der Univ. Graz)

Moderation: Dr.Helmuth Hartmeyer (Austrian Development Agency)

Die Frage nach der Gesellschaftsfähigkeit des HomoOeconomicus ist eine rhetorische. Mit diesem Eingangs-statement machte Georg Tafner von der UniversitätGraz gleich zu Beginn seines Impulsvortrages jeglicheHoffnung zunichte, die Ökonomisierung aller Lebens-bereiche sei sozial verträglich gestaltbar. Stattdessenversuchte er, aus einer wirtschaftspädagogischen Per-spektive den grundlegenden Kategorienfehler hinterderlei irrigen Annahmen aufzuzeigen.

Ökonomik versus Ökonomie

Dazu stellte er die Ökonomik als Modell einer reinenökonomischen Vernunft der Ökonomie als wirtschaft-liches Tun gegenüber, das in konkrete Lebenswelteneingebettet sei. Die Gleichsetzung beider beförderedie Vormachtstellung des Ökonomischen in der Ge-sellschaft. Wenn Modell und Wirklichkeit verschwim-men, erscheint ersteres als „natürliche“ Grundlage desDenkens und Handelns und wird so alternativlos undunangreifbar für jegliche Kritik. Daher gelte es, dieseunterschiedlichen Ebenen zu entwirren, um die Öko-nomik und ihren Geltungsanspruch wieder dahin zuverweisen, wo sie hingehören: in die Welt der wissen-schaftlichen Theorien.

Der Homo Oeconomicus stellt einen Idealtypus des reinvon Selbstinteresse geleiteten Handelns dar. Demwirtschaftlichen Tun „in der Welt“ werde solch einModell nicht gerecht, da menschliches Handeln im-mer von Variablen auf unterschiedlichen Ebenen bestimmt sei: Handlungsentscheidungen seien auchim ökonomischen Feld von Gefühls- und Willensim-pulsen beeinflusst und vom lebensweltlichen Gefügeder Menschen geprägt. Werde das Modell nicht alssolches gekennzeichnet, werde seine angenommeneNaturhaftigkeit jedoch alsbald Realität: Die Verkür-zung von Rationalität auf Zweckrationalität erlangedann Wirkmächtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs.So gelte die Rationalität einer Handlung heute nurmehr dann als glaubhaft begründet, wenn der darausgezogene Eigenvorteil plausibel gezeigt werden kann.

Ist eine ökonomistische Gesellschaft möglich?

Tafner plädierte stattdessen für einen erweiterten Be-griff des Selbstinteresses, der die eigene Abhängigkeitvom sozialen Funktionieren mitberücksichtigt. DerHomo Oeconomicus sei in einer Gesellschaft voller Homines Oeconomici nicht überlebensfähig, er könnenur in einem Sozialzusammenhang existieren, in demandere nicht zweckrational geleitete Spielregeln einhalten. Menschliche Praxis folgt auch in einerfunktional differenzierten Gesellschaft bestimmtenWerten. Emotionen, Traditionen oder Normen spielendaher auch für das scheinbar rein zweckrationaleökonomische Handeln eine Rolle.

Gerd Steffens von der Universität Kassel schloss sichTafners Befund an: Die neoklassische Handlungslogik,die ohne Berücksichtigung sozialer Strukturen nur Ei-geninteressen als handlungsleitenden Rahmen für dieindividuellen AkteurInnen gelten lässt, könne nichtuniversal werden, andernfalls würden die gesellschaft-lichen Kosten der Regeldurchsetzung unendlich hoch.

Steffens betonte, dass die neoliberale Revolution be-reits eine neue Denkungsart hervorgebracht habe.

Berichte aus den Arbeitsgruppen

AG 1 | Ist der Homo Oeconomicus gesellschaftsfähig?

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AKTION & REFLEXION _11_ BERICHTE AUS DEN ARBEITSGRUPPEN

Die Rede vom Homo Oeconomicus als bloßes Modellkönne auch als Beschwichtigungsstrategie dienen.Dagegen bezeichnete er den Vorrang der aus neo -klassischen Perspektiven abgeleiteten Handlungsan-weisungen als „ökonomischen Imperialismus“, der diesoziale Welt nach Grundsätzen des methodologischenIndividualismus modelliere.

Warum geben wir Trinkgeld?

Das Modell Homo Oeconomicus ist tatsächlich Wirk-lichkeit geworden. Anschaulich machte dies das kuriose Beispiel einer „Studie“, die die Frankfurter Allgemeine in der Reihe „Denkfehler, die Geld kosten“veröffentlichte: Ein Forscherteam hatte die Praxis desTrinkgeld-Gebens in Fällen untersucht, in denen einwiederholter Kontakt mit derselben Bedienung aus-geschlossen werden konnte. Da das Kalkül auf die zukünftige Freundlichkeit ebendieser Bedienung alsBegründung wegfiel, lautete die wissenschaftliche Begründung, es handle sich um eine quasi genetisch gewordene Fehlsteuerung aus Zeiten, in denen Men-schen noch in sozialen Nahverhältnissen gelebt hätten. So werden anthropologische Konstanten konstruiert, die Begründungen wie Freundlichkeitoder Anerkennung nicht gelten lassen.

Ein Plädoyer wider die Alternativlosigkeit

Globales Lernen als Bildungsprogramm könne dieneoklassische Deutungsmacht nur durch die Sichtbarmachung gesellschaftstheoretischer Gegen-entwürfe brechen, so die Referenten. Beispielsweise

müssten Grundannahmen der neoklassischen Hand-lungslogik auf ihren historischen Ursprung geprüftund hinterfragt werden. Neben dem vom PhilosophenThomas Hobbes formulierten Menschenbild „homohomini lupus“ (der Mensch ist dem Menschen einWolf) gebe es schließlich auch andere Vorstellungenvon Gesellschaftlichkeit.

Die angeregten bis hitzigen Diskussionen in derGruppe sorgten für Dynamisierung und Abrundungder Inputs beider Referenten. Vom Problem der „gesellschaftlichen Schwarzfahrer“ bis hin zur Privati-sierung von Normativität im Konzept der CorporateSocial Responsibility wurden vielfältige soziale Realitä-ten unter die Lupe genommen und kritisiert. Dabeizeigte sich die Schwierigkeit, die erfolgreiche Durch-setzung einer primär ökonomistischen Denkungsartim gesellschaftlichen Diskurs wieder „abzuschütteln“.Denn, so der resignative Tenor, ein Aussteigen aus derDiktatur der Zweckrationalität sei schwer vorstellbarin einer Gesellschaft, in der nach wie vor denen Erfolgbeschieden sei, die „andere übers Ohr hauen“. Dochein Handeln als erfolgreich zu bezeichnen, das auf derSchädigung anderer beruht, beweist im Grunde, wietief das ökonomistische Denken in soziokulturellenWertmustern verankert ist. Gleichzeitig bestätigte gerade das die Notwendigkeit, „anders denken zu lernen“, um aus einer neuen Position heraus Alterna-tiven zu entwickeln, die nicht sichtbar werden kön-nen, solange das Denken noch vom Grauschleier derökonomistisch-zweckrationalen Verwertungslogikverhängt ist.

Bericht von Bernadette Goldberger

Foto: AG1

AG 2 | Ökonomie unterrichtenMultiperspektivisch und differenziert

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Welches Verständnis von Ökonomie prägt den Unter-richt? Qualitätsvolle ökonomische Bildung soll auf wis-senschaftlichem und weltanschaulichem Pluralismusbasieren, unterschiedliche Denkmodelle darstellen undKontroversen reflektieren sowie alternative Entwick-lungswege diskutieren. Die AG fragt nach Möglichkeitenfür mehrperspektivischen Ökonomie-Unterricht undverweist dabei auch auf ein erweitertes Verständnis vonÖkonomie, das meist ausgeblendete Bereiche (z. B. dieCare-Ökonomie) sichtbar macht und die Rolle vonFrauen als ökonomische Akteurinnen berücksichtigt.

I N P U T S Dr. Johannes Jäger (Fachhochschule des BFI Wien, Lektor ander Universität Wien)

Mag.a Barbara Schöllenberger (Verein Joan Robinson zurFörderung frauengerechter Verteilung ökonomischen Wissens)

Ein breiter und komplexer Ökonomiebegriff

Die inhaltliche Auseinandersetzung der AG 2 begannmit einer ersten Diskussionsrunde in Kleingruppen.Die Leitfrage bezog sich auf das Verständnis von Öko-nomie, das den Unterricht dominiere. Nach einemkurzen Austausch in den Kleingruppen stellten dieTeilnehmerInnen kurz sich selbst sowie die Ergeb-nisse ihrer Diskussionen vor. Diese waren zum Teilsehr spezifisch, individuell und von unterschiedlichenPerspektiven aber auch Verständnissen geprägt. Dasbrachte Johannes Jäger dazu, sein Konzept kurzfristigzu ändern. Sein wichtigstes Anliegen wurde folglichdie Definition des Wirtschaftsbegriffs. Er wollte die-sen klar vom individuellen Verständnis abgrenzen.Nach Jäger existiere ein breiter Ökonomiebegriff, derstark durch die Komplexität und die Zusammenhängeunserer Welt beeinflusst sei. Diese Komplexität führedazu, dass es unterschiedliche Blickwinkel und Zugänge zur Wirtschaftsthematik gibt. Drei Zugängenannte Jäger: die Neoklassik, den Keynesianismus unddie (kritische) Politische Ökonomie.

Ökonomie und Bildung

Die Neoklassik (Neoliberalismus) geht davon aus, dassMarktwirtschaft natürlich sei und die Verfolgung desEigeninteresses in einer Gesellschaft für alle zum Bes-ten führe. Staatliche Steuerung sei kaum notwendig.Damit unterscheidet sich dieser Zugang vom Keyne-sianismus der meint, dass der Staat eine wichtigeRolle spiele, insbesondere um etwa Krisen oder Ar-beitslosigkeit zu bekämpfen. Die (kritische) PolitischeÖkonomie rückte in den Vordergrund von Jägers Erklärungen, da sie in ökonomischen Diskursen bisjetzt weniger Einzug gefunden habe. Sie sehe dieWirtschaft als eine gesellschaftliche Art und Weise,die Natur zu transformieren und dabei materielle Waren und Dienstleistungen zu produzieren. Dabeischaue sie auf gesellschaftliche Klassen(-verhältnisse).Die Politische Ökonomie unterteile unsere Gesell-schaft grob in zwei Klassen: KapitalistInnen, die imBesitz der Produktionsmittel stehen und ArbeiterIn-nen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen.

Welche Interessen stehen nun hinter dem dominan-ten neoklassischen (neoliberalen) Wirtschafts-verständnis und wie prägen sie Bildung? Ziel einesBildungssystems im Kapitalismus sei es, eine mög-lichst verwertbare Ausbildung zu schaffen. Vereinfacht gesagt, werde in die Bildung investiert,um später wieder Gewinne erzielen zu können undnicht um gesellschaftliche Positionen zu hinterfragen.Die Frage nach Hierarchie und Macht sowie nach denMöglichkeiten beispielsweise durch Umverteilungmehr Gleichheit unter den Menschen zu erzielen, sindhingegen zentrale Aspekte der Politischen Ökonomie.Eine Möglichkeit für die Arbeiterklasse ungleicheMachtstrukturen zu verändern, sieht Jäger in der Or-ganisation und Vernetzung. Dadurch könne auchetwas auf der Makroebene bewegt werden. Um Ver-änderungen zu fördern, müssen auch immer politische Prozesse mit einbezogen und somit aktivvorangetrieben werden.

Berichte aus den Arbeitsgruppen

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AKTION & REFLEXION _11_ BERICHTE AUS DEN ARBEITSGRUPPEN

Das 5-Sektoren ModellNach der Kaffeepause übernahm Barbara Schöllen-berger das Wort und stellte das von Luise Gubitzerentwickelte 5-Sektoren Modell der Gesamtwirtschaftaus der feministischen Theorie vor. Dabei handle essich um ein künstliches Raster, das auf die Wirtschaftaufgelegt werden kann, um diese zu analysieren. DieÖkonomin Luise Gubitzer plädiere für einen erweiter-ten Wirtschaftsbegriff, der auch die Leistungen vonFrauen sowie die ökonomische Bedeutung von Haus-halt und Versorgungsarbeit (Care-Ökonomie) sichtbarmacht. Die Gesamtwirtschaft wird in fünf Sektoreneingeteilt: For-Profit-Sektor, Öffentlicher Sektor, Non-Profit-Sektor, Haushaltssektor und Illegaler Sektor. Der For-Profit-Sektor ist der auf Gewinn und Gewinn-maximierung ausgerichtete Wirtschaftsbereich, indem den Märkten absolute Macht zugeschriebenwird. Der Öffentliche Sektor – der Staat – hat die Auf-gabe, für Verteilung und Zugang zu öffentlichen Gütern zu sorgen und damit zur Stabilisierung der Gesellschaft beizutragen. Der Non-Profit-Sektor stelltGüter und Dienstleistungen zur Verfügung, Gewinnewerden wieder in den jeweiligen Organisationszweckinvestiert. Dieser Sektor basiere auf politisch-ethischen Wertrationalitäten. Der Haushaltssektorsoll nach dem 5-Sektoren Modell verstärkt in das Zen-trum wirtschaftlicher Analysen rücken. Im Haushalts-sektor gehe es nicht um Gewinnmaximierung,sondern darum, alle bestmöglich zu versorgen, soSchöllenberger. Unüblich ist die Einbeziehung des

Illegalen-kriminellen Sektors, die übliche Bezeich-nung „informelle Wirtschaft“ sei laut Gubitzer analy-tisch unscharf. Illegal und kriminell sind juristischeBegriffe und verweisen auf Gesetzesübertretungen.Der Sektor umfasst Erwerbsformen, für die gesetzli-che Vorschriften bestehen, die nicht eingehalten werden sowie verbotene Wirtschaftstätigkeiten undErwerbsformen (z. B. Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Geldwäsche u.a.)

Herausforderungen an die Wirtschaft

Zum Schluss wurde in Kleingruppen diskutiert, inwelchen Sektoren die Teilnehmenden selbst tätigsind. Es zeigte sich, dass eine Herausforderung, diedieses Modell mit sich bringt, die Änderung der Wer-tigkeit von unterschiedlichen Tätigkeiten sei. Einigwaren sich die TeilnehmerInnen, dass alternative Modelle der Ökonomie stärker in Diskussion kommenund ökonomische Kontroversen reflektiert werdenmüssen, um bisher ausgeblendete ökonomische Be-reiche und AkteurInnen berücksichtigen zu können.

Bericht von Katharina Prüfert

Foto: AG2

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Die Entwicklung von Urteils- und Handlungskompetenzder SchülerInnen erfordert Sachwissen und Möglichkei-ten zur multiperspektivischen und kritischen inhaltlichenAuseinandersetzung. Das innovative UnterrichtsmodellVaKE (Values and Knowledge Education) stellt die Diskus-sion von Dilemmata in den Mittelpunkt von Lernprozes-sen und unterstützt so die Entwicklung von Werturteils-kompetenz. Die AG bietet einen praxisorientiertenEinblick und zeigt Möglichkeiten für politisch-ökonomische Bildung und Globales Lernen.(Auszug aus dem Tagungsprogramm)

I N P U T S Mag.a Barbara Mayerhofer (Univ. Salzburg, Fachdidaktik für

Geographie- und Wirtschaftskunde; Lehrerin am BORG Nonntal)

Moderation: Dr. Franz Halbartschlager(Südwind Agentur, Strategiegruppe Globales Lernen)

Werte als Basis Globalen Lernens

Politisches und ökonomisches Lernen will Urteils-fähigkeit über politisch-ökonomische Prozesse undderen Auswirkungen auf die Gesellschaft fördern. ImAnschluss an den Hauptvortrag, der Krisen als eineGelegenheit zum Lernen und Hinterfragen des Sys-tems darstellte, wurden in der Arbeitsgruppe prakti-sche Zugänge zu solchen Lernprozessen diskutiert.Die Infragestellung eigener Moralvorstellungen spieleeine wichtige Rolle im Beurteilen politischökonomi-scher Prozesse, so Barbara Mayerhofer. Die FähigkeitWerturteile zu argumentieren, vor allem aber kritischzu hinterfragen, stand deshalb im Mittelpunkt der Arbeitsgruppe, die sich mit der Methode Values andKnowledge Education (VaKE) befasste. Das Unter-richtsmodell VaKE setzt sich zum Ziel sowohl Wissenals auch eine Steigerung der Werturteilskompetenz zuvermitteln und kann damit das facettenreiche metho-dische Spektrum Globalen Lernens bereichern.

Werturteile argumentieren, Wissen erwerben

Mit VaKE stellte Barbara Mayerhofer, Fachdidaktikerinfür Geographie und Wirtschaftskunde an der Univer-sität Salzburg, ein innovatives Unterrichtsmodell vor,bei dem eine Moral- und Dilemmadiskussion die Basisfür einen konstruktivistischen Lernprozess darstellt.Eine Dilemmageschichte, in der zwei moralischePrinzipien miteinander in Konflikt geraten, bietet den Ausgangspunkt sowohl für die Vermittlung von Wissen als auch für das Bilden und Begründen eigener Werturteile sowie den Austausch darüber. Inverschiedenen Phasen üben SchülerInnen zuerst einzeln und anschließend in Gruppen den Prozess der Werturteilsbildung. Eine zentrale Stellung nehmedabei die Argumentation ein, erklärte Mayerhofer.Priorität habe nicht, wie die SchülerInnen entscheiden,sondern auf welcher Wissens- und Argumentations-basis sie dies tun. Fehlendes Wissen könne durch Phasen der Informationssuche ergänzt werden undauch Perspektivenwechsel seien Teil der Aufgabe. Die Auseinandersetzung mit dem Dilemma an sichund den Meinungen anderer biete die Gelegenheit zur Reflexion und Meinungsbildung in einem spezifi-schen Bereich, vermittle aber gleichzeitig, wie derProzess auf andere Lebensbereiche übertragen werden kann. Wichtig sei: „JedeR darf meinen waser/sie will, aber er/sie muss es begründen können.“Daher bestehe der Abschluss auch nicht in einem gemeinsamen Votum, sondern in der Darstellung dergesammelten Informationen und aller Begründungenvon Werturteilen.

Lebensnahe Inhalte und globale Zusammenhänge

Ziel des Unterrichtsmodells sei es, Lernen mit einemZuwachs an moralischer Urteilsfähigkeit zu verbinden.Somit schaffe das Modell Freiraum und Anstoß für die Konstruktion von Wissen, wobei SchülerInnen

AG 3 | Dilemmata diskutieren – Werturteile bilden

Berichte aus den Arbeitsgruppen

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gleichzeitig die ständige Reflexion eigener Wertur-teile erlernen: „Passen meine Werte zu meinem Lebensstil?“ Der Wissenserwerb der SchülerInnen sei eine individuelle Konsequenz der jeweiligen Werturteilsbegründungen, kein standardisiertes Wissen, betonte Mayerhofer. Verdeutlicht wurden die vielfältigen Möglichkeiten der VaKE-Methode, als sich die TeilnehmerInnen der AG selbst an einemDilemma versuchten.

Globales Lernen soll einerseits Interesse an der Weltwecken, andererseits ist es wichtig, Situationen oderDilemmata mit den SchülerInnen anhand von be-kannten und lebensnahen Inhalten zu gestalten. VaKE berücksichtigt dies: Die Entscheidung über das Dilemma wird auf individueller Ebene getroffen undappelliert damit an die Empathie der einzelnen Person.Die darauf folgende Generalisierung der Werturteileund Argumente in der letzten Phase platziert das Dilemma wieder im globalen Kontext und strebt danach, gesamtgesellschaftliche Lösungsansätze zuerarbeiten.

Über den eigenen Tellerrand hinaus

Für das Erfassen von globalen Zusammenhängenfehlt uns oft das Wissen, um gut informierte Entschei-dungen treffen zu können. Das wirkt sich auch auf dieBildung von individuellen Werturteilen aus. Die von

Gerd Steffens im Hauptvortrag angesprochene Sys-temkrise, in der eine kritische Reflexion des Systemszulässig ist und die zum Lernen einlädt, bedarf Metho-den, die uns bei der Entscheidungsfindung behilflichsind. In einer Welt in der zunehmend Begriffe aus derWirtschaft wie Effizienz und Messbarkeit auf dieSchule übertragen werden, verspüren LehrerInnenund SchülerInnen vermehrten Druck und verringerteFreiheit zur individuellen Entfaltung. VaKE biete zumeinen die Möglichkeit für Freiheit und Entfaltung imLernprozess, zum anderen sei es ein Modell für Globales Lernen, das die Ebene der Selbstreflexionaufgreife und mit globalen Zusammenhängen verbinde, so Mayerhofer abschließend. ScheinbarSelbstverständliches zu hinterfragen, sei für politischePartizipation und besonders während einer Krise unabdingbar; eigene Werturteile zu reflektieren eben-falls. Der Lernprozess, der mit VaKE durchlaufen wird,biete hierfür ein Werkzeug, das uns ermöglicht, derÖkonomisierung unserer (Gedanken)Welt kritisch gegenüberzutreten, ist Mayerhofer überzeugt.

Bericht von Katharina Steinhart

AKTION & REFLEXION _11_ BERICHTE AUS DEN ARBEITSGRUPPEN

Foto: AG3

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Wie wollen wir leben? Was brauche ich zum Leben?Wie viel ist genug? Wem gehört die Natur? Kinder können zum gemeinsamen Nachdenken über solcheFragen angeregt werden – über Mensch und Natur, über Verteilung, Ressourcen(knappheit), Konsum oderauch darüber, wie sie gerne leben wollen und welcheZukunft sie sich wünschen.Mit Kindern über die Zukunftsfähigkeit unserer Entwicklung philosophieren und dabei auch Fragen politisch-ökonomischer Bildung ansprechen, gelingtschon in der Volksschule. Der Workshop gibt eine Einführung in das Philosophieren mit Kindern. (Volksschule) (Auszug aus dem Tagungsprogramm)

I N P U T S

Sinan von Stietencron, M.A. (Akademie Kinder philosophieren, München)

In unserer momentanen Weltgesellschaft muss Wissenverwertbar sein. Dass in dem Wort „verwertbar“ dasWerten, also auch das Urteilen und Einteilen in „richtig“und „falsch“ enthalten ist, daran denken die meistenMenschen im ersten Moment nicht. Bildung wird heutzu-tage oft als einseitiger Prozess verstanden: SchülerInnenwerden dabei nicht selten in eine eher passive Rolle ge-drängt: zuhören, aufnehmen, lernen. Und schließlichLeistung erbringen. Einen ganz anderen Zugang bietetlaut Sinan von Stietencron das Philosophieren: „Dabeigeht es nicht um Wissensaustausch, sondern um Gedan-kenaustausch zwischen uns Menschen.“ Philosophierensei eine gute Methode, um Kinder zum Nachdenken überbestimmte Themen anzuregen und Ideen zu fördern. Einen genau definierten, erwünschten „Endzustand“gebe es dabei nicht. Das Essentielle an der Sache sei derProzess – des Fragenstellens, des Überlegens, des Aus-tausches. „Wenn man schließlich mehr Fragen aus dem Raum hinausträgt, als man mitgebracht hat, dannkann man sagen: Das war ein gutes philosophisches Gespräch!“, ist von Stietencron überzeugt.

Die Relevanz von Entschleunigung

Doch um überhaupt zu einem derartigen Fazit zu gelangen, muss das Philosophieren erst einmal begin-nen. Die Einstiegsmöglichkeiten seien vielfältig. Sokönne man ein Gespräch mit Kindern mit Bildern, Gedichten oder Büchern beginnen; je nach Themen-bereich und Fragestellung seien unterschiedliche Medien mehr oder weniger gut geeignet. Prinzipiellsei der Fantasie derjenigen, die die Methode anwen-den möchten, keine Grenzen gesetzt. Beachtet werdensollte jedoch, dass vor allem jüngere Kinder am bestenauf etwas ansprechen, das die Sinne stark stimuliert.Sonst gebe es für das Philosophieren eigentlich nureine einzige Regel: „Wer den ‚Redestab‘ hat, spricht.Und alle anderen hören zu.“ Dabei können verschie-denste kleine Gegenstände als „Redestab“ fungieren;besonders beliebt seien Bälle. Ein solcher Redestabhabe vor allem zwei Funktionen. Einerseits diene erzur Strukturierung des Gespräches – zu einem Zeit-punkt spricht nur eine Person, und zwar diejenige, dieden Stab hat. Andererseits trage er wesentlich zurEntschleunigung des Gedankenaustausches bei, denndas Hin- und Herreichen (beziehungsweise -werfen)biete mehr Zeit zur Informationsaufnahme und -ver-arbeitung. Neben all der Hektik, der wir in unseremAlltag ständig ausgesetzt sind, sei es wichtig, sichRäume der Entschleunigung zu schaffen. Wie span-nend und zugleich entspannend so etwas sein kann,verdeutlichte von Stietencron den Workshopteilneh-merInnen mit einem recht einfachen Vorgehen, dasim Folgenden näher beschrieben werden soll.

Einfach „nur“ wahrnehmen

Außer Bereitschaft braucht es zur Entschleunigungoffenbar nicht viel: zum Beispiel einen Beutel undzwei (zunächst „unbekannte“) Gegenstände. Die Auf-gabe bestand darin, in den Beutel zu greifen, die sichdarin befindlichen Dinge ohne Herausnehmen – alsoim Beutel – zu befühlen und mit zwei Worten zu be-schreiben – nicht zu benennen.

AG 4 | Wem gehört die Natur? Philosophieren mit Kindern

Berichte aus den Arbeitsgruppen

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Mut zur Lösungsabstinenz

Selbstverständlich bedarf es eines bestimmten„Grund“- oder „Basiswissens“, um überhaupt ein philosophisches Gespräch führen zu können. Dochwenn die Erfahrung von Stietencrons etwas gezeigthat, dann vor allem, dass Kinder selbst auf „gute“ Ant-worten kommen können, wenn man ihnen den Raum,den sie dazu brauchen, gibt. Man müsse Vertrauen indie Kinder haben, ihre Ideen fördern und ihnen dieMöglichkeit geben, diese Ideen weiterzuentwickelnund weiterzutragen. „Eigenmotivation ist immerwertvoller als Fremdmotivation!“ Als Pädagoge oderPädagogin müsse man sich trauen, zu akzeptieren,dass es etwas Anderes als klare Antworten gibt: „Es gibt einfach nicht für alles die eine Lösung.“ Was braucht es nun also zum Philosophieren? Nichtbesonders viel. Doch das Wenige, das es braucht, istunverzichtbar: Respekt vor den Menschen, deren Meinungen, Gefühlen und Gedanken. Offenheit. Bereitschaft.

Mit sehr schönen Worten beschloss von Stietencronden gelungenen Workshop: „Die Welt ist ein Prozess;sie ist nicht statisch. Dinge müssen wachsen. AuchMenschen sind Organismen, die wachsen müssen.“Geben wir ihnen doch den Raum dazu.

Bericht von Raphaela Bruckdorfer

AKTION & REFLEXION _11_ BERICHTE AUS DEN ARBEITSGRUPPEN

Foto: AG4

Wieso? In unserer Gesellschaft habe sich von Stietencron zufolge der Habitus entwickelt, alles, wasuns unterkommt, sofort zu definieren. Das schnelleBetiteln des „Was“ passiere jedoch häufig auf Kostendes „Wie“, indem es uns daran hindere, genauer hin-zusehen und nachzuspüren. So würden wir uns meis-tens nicht fragen, wie etwas aussehe, wie es riecheoder schmecke, wie es sich anfühle oder anhöre. Statt-dessen würden wir unmittelbar einen Namen dafürfinden wollen („Das ist…“ und nicht „Das schmecktnach, klingt wie…“ etc.) und uns danach gleich etwasAnderem zuwenden, ohne innezuhalten und bewusstwahrzunehmen. Dabei gehe allerdings eine Qualitätverloren, die nicht nur für Kinder sondern auch fürErwachsene sehr bedeutsam sei.

Diese Übung zeigte dreierlei. Erstens stellte sie sich alsgar nicht so einfach heraus und offenbarte, dass derVersuch, Dinge immer sofort „beim Namen zu nen-nen“ fast automatisch passiert. Zweitens zeigte dieseAufgabe etwas sehr Relevantes: Beim Wahrnehmen(und auch beim Philosophieren) gibt es keine „allge-meine Wahrheit“. Alles, was wir als Mitglieder dieserGruppe sagten, hatte seine Berechtigung und seinenStellenwert; keine und keiner war im Recht oder Unrecht. Und direkt daraus lässt sich auch drittensableiten: Philosophieren hat mit Respekt und Wert-schätzung zu tun.

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Vieles trennt SchülerInnen einer Klasse: Bildungsvo-raussetzungen und Lernchancen, Migration und Diskri-minierungserfahrungen, Beschäftigungsverhältnisseund Einkommen der Eltern, Geschlecht und geschlechts-bedingte Rollenzuschreibungen. Anerkennung undSelbstwert von Kindern und Jugendlichen hängen an alldiesen Faktoren. Soziale Ungleichheiten betreffen indi-viduelle Lebenschancen, gleichzeitig resultieren sie ausstrukturellen Beschränkungen und stellen gesellschaftli-che Probleme dar. Wie gehen LehrerInnen und Schüle-rInnen mit spürbaren ungleichen Lebenschancen um,die durch Bildung kaum aufgehoben werden? KannSchule zum Lernfeld für gesellschaftlichen Zusammen-halt werden und können SchülerInnen im Umgang mitsozialen Differenzen Empowerment erfahren? (Auszug aus dem Tagungsprogramm)

I N P U T S

Mag.a Erika Tiefenbacher (Direktorin der NMS 18)

MMag. Sebastian Howorka (Projekt Ungleiche Vielfalt)

Moderation: Dr. Gerald Faschingeder (Paulo Freire Zentrum)

Die Auswirkungen von sozioökonomischen Un-gleichheiten manifestieren sich für die Direktorin derNeuen Mittelschule 18 (früher eine Kooperative Mit-telschule) Erika Tiefenbacher und ihr Kollegium vorallem an den Zukunftschancen ihrer SchülerInnen.Thematisiert haben sie das auch in einem transdiszip-linären Forschungsprojekt unter dem Titel „Vielfaltder Kulturen – ungleiche Stadt“, kurz „Ungleiche Vielfalt“. Sebastian Howorka hat als ehemaliger Mitar-beiter im Projekt Ungleiche Vielfalt die Frage, wieSchülerInnen der NMS und eines Wiener Gymnasi-ums mit sozialen Ungleichheiten umgehen, wissenschaftlich aufbereitet.

Wo verorten Sie sich?

Provokant stieg Howorka in seinen Vortrag ein, indem er die Teilnehmenden bat, sich selbst zu verorten.Konkret sollten sie ihren Sitz-NachbarInnen mitteilen,wo im gesellschaftlichen Gefüge sie sich selbst sehen.„Und, wie geht es ihnen dabei?“ fragte Howorka eineeher verdutzte Gruppe nach zwei Minuten des Aus-tauschs. Für die meisten sei diese Frage unangenehm,meinte der Sozialwissenschaftler. Um ihr aus demWeg zu gehen, würden wir dazu neigen, uns in sozialhomogenen Gruppen zu bewegen. Auch bei den SchülerInnen, die im Projekt Ungleiche Vielfalt mit-gearbeitet haben, sei dies der Fall gewesen. So zeigtensich Unterschiede von SchülerInnen des Gymnasiumsund der NMS vor allem in der Freizeitgestaltung,wobei die Aktivitäten letzterer durchwegs weniger finanzielle, kulturelle, künstlerische oder kognitiveVoraussetzungen erfordern.

Aber auch Gemeinsamkeiten seien offensichtlich:SchülerInnen beider Schultypen tendieren zu einerrelativ kleinen Auswahl an Aktivitäten und Ortenihrer Freizeitgestaltung. Dabei nehmen sie Normenund Verhaltensmuster der jeweils eigenen sozialenGruppe als selbstverständlich an. Abweichungen begegnen sie mit Skepsis. Diese unbewussten Hand-lungsweisen, die zu einer Abschottung gegenüber anderen sozialen Gruppen führen, bezeichnet derfranzösische Soziologe Pierre Bourdieu als Reproduk-tionsstrategien. In dieser Situation der wechselseiti-gen Abgrenzung können ungezwungene Begegnungenund positive Erfahrungen zu einem Austausch ver-schiedener sozialer Gruppen beitragen und dadurchden Abbau von Vorurteilen fördern. „Die Schule hatals wesentliche sekundäre Sozialisationsinstanz eineeinzigartige Möglichkeit, die familiären Reprodukti-ons- und Abschottungstendenzen zu relativieren: Siekann ganz selbstverständlich – und das ist wohl einwesentlicher Erfolgsfaktor – Menschen verschiedens-ter Herkunft zusammen bringen“, so Howorka.

AG 5 | Soziale Ungleichheiten – ein Thema im Unterricht?

Berichte aus den Arbeitsgruppen

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Diese positiven Aspekte unterstrich Erika Tiefen -bacher, die die öffentlichen Diskussionen zum ThemaSchule als sehr negativ empfindet: „Hören wir dochbitte auf von Defiziten zu sprechen, also darüber, wasunsere Kinder alles nicht können, sondern schauenwir uns einmal an, was sie können und fördern wirdiese Stärken.“ Dies gelinge in ihrer Schule zum Bei-spiel durch Mentoring-Projekte, in denen SchülerIn-nen, die eine andere Erstsprache als Deutsch vor-weisen, von Studierenden individuell begleitet undunterstützt werden. Die Mehrsprachigkeit, die Schüle-rInnen mitbringen, sei ein Wert, der genutzt werdenmüsse und könne. Deshalb fördere sie die Teilnahmean multi-lingualen Sprachwettbewerben, an denenihre Schule mittlerweile regelmäßig gute Plätze be-lege. Nicht zuletzt werde dadurch das Selbstbewusst-sein der SchülerInnen gestärkt.

Darüber hinaus versucht die NMS 18 aktiv, Netzwerkemit außerschulischen Institutionen zu bilden, indembeispielsweise Berufstage organisiert werden, andenen Menschen aus der Arbeitspraxis in die Schulekommen oder indem die Schule eben an Projektenwie „Ungleiche Vielfalt“ teilnimmt.

Die NMS 18 hat auch Globales Lernen zu einem zen-tralen Baustein des Schulprofils gemacht. Anhand desGlobalen Würfels, eines Grundbausteins des GlobalenLernens, stellte Tiefenbacher vor, wie sie diese Struk-turierungsmethode zur Stärkung und Umsetzung vonGlobalem Lernen im Schulalltag nutzbar macht.

Individuelle Chancen versus strukturelle Ungleichheiten

Kann Schule zu einer Stütze des gesellschaftlichen Zusammenhalts werden? Wie können SchülerInnendurch Bildung Empowerment erfahren? Nach denbeiden Inputs wurden diese Fragen mit Hilfe der di-daktischen Methode des Weltcafés in Kleingruppenreflektiert. Dabei wurden zahlreiche Ideen und Vor-schläge, wie in der Schule konstruktiv mit sozialerUngleichheit umgegangen werden kann, auf Kärtchengesammelt.

Die abschließende Diskussion zeigte unterschiedlichePositionen bei den TeilnehmerInnen, auf der einenSeite wurde die individuelle Leistung hervorgehoben.„JedeR kann es schaffen, wenn er/sie sich nur bemüht.Das vermittle ich auch meinen SchülerInnen,“ meinteeine Lehrerin. Auf der anderen Seite wurde auf dieChancen-Ungleichheit in der Gesellschaft verwiesen,die nicht allein mit individueller Leistung auszugleichensei. Die statistisch sehr deutliche strukturelle Chancen-Ungleichheit zum Beispiel auf Grund der ungleichenmateriellen Verteilung können wir nicht ignorieren,betonte Howorka. LehrerInnen müssen sich bewusstsein, dass sie auf die strukturellen Rahmenbedingun-gen nur bedingt Einfluss nehmen können. Auf derEbene der Schulen sowie auf einer persönlichen Ebenekönne allerdings gegengesteuert werden. Konstrukti-ves Handeln im Sinne des Globalen Lernens ist imschulischen Kontext möglich, auch wenn die struktu-rellen Rahmenbedingungen oft hinderlich sind.

Bericht von Paul Haller

AKTION & REFLEXION _11_ BERICHTE AUS DEN ARBEITSGRUPPEN

Foto: AG5

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Was ist wertvoll? Was ist ein gutes Leben? Was braucheich dazu? Wie viel ist genug? Wem gehört die Natur? „ImMittelpunkt des gemeinsamen Philosophierens steht derUmgang mit Fragen, die Kinder und Jugendliche bewegenund mit Ansichten, die sie äußern.“ Im gemeinsamen Philosophieren können auch wichtige Fragen einer zu-kunftsfähigen Entwicklung angesprochen werden unddamit die Methode auch im Rahmen von politisch-ökonomischer Bildung genutzt werden. Die Akademie„Wir philosophieren“ bringt auch Erfahrung aus dem Jugendbildungsbereich und mit jungen MigrantInnen ein.Der Workshop gibt eine Einführung in das Philosophierenmit Kindern und Jugendlichen.(Auszug aus dem Tagungsprogramm)

I N P U T S Mag. Thomas Stölner (Trainer für den Hauptschulbereich;

Akademie „Wir philosophieren“, Wien)

Senad Lacevic, DSA (Programm-Manager VHS Brigittenau)

Moderation: Mag.a Magdalena Emprechtinger (Baobab)

Die AG bot den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, die Methode des Philosophierens am Anfang desWorkshops praktisch auszuprobieren. Wir führtenein philosophisches Gespräch zur Frage: „Was ist ein gelungenes Leben?“

Was ist Philosophieren?

Bei einem philosophischen Gespräch in der Gruppekönnen Kinder, Jugendliche oder Erwachsene zu philosophischen Fragen (z.B. Was ist Gerechtigkeit?Was ist Glück? Was ist ein gelungenes Leben? ...) ihreeigene Meinung äußern und in den Dialog mit Gleich-altrigen treten. Es werden dabei sprachliche, sozialeund kognitive Kompetenzen (Ausdrucksfähigkeit, Argumentation, Diskussion in der Gruppe, Zuhören ...)angesprochen und selbst bei Kindern/Jugendlichenmit geringen Deutschkenntnissen weiterentwickelt.Die hier vermittelte Methode zur philosophischen Gesprächsführung kann in allen Altersgruppen einge-setzt werden, Schwerpunkt liegt aber bei Kindern undJugendlichen.

Was ist eine philosophische Frage?

Am Anfang des Philosophierens stehen oft das Stau-nen, Zweifeln und das daraus hervorgehende sichWundern und Fragen. Doch nicht jedes Staunen odergar jede Frage kann philosophisch genannt werden.Wenn ich darüber staune, wie schnell die Zeit einerUnterrichtsstunde heute wieder vergangen ist, ist dasalleine noch kein philosophisches Staunen. Ein Themafür die Philosophie kann es dann werden, wenn eseine gewisse Allgemeinheit gewinnt, das heißt, wennes uns Menschen prinzipiell etwas angeht. Das Verge-hen der Zeit nun ist ein philosophisches Thema, dawir alle sterblich sind und nur für eine begrenzte Zeit-dauer als uns selbst bewusste Lebewesen auf diesemPlaneten zubringen. Aber erst dann, wenn nicht nurmeine Wahrnehmung in Frage steht, sondern dieWahrnehmung, dass Zeit für uns alle vergeht und daher – uns alle betreffend – thematisiert wird, ist dasThema Zeit ein philosophisches. Es werden nicht nureinzelne Fakten in Betracht gezogen, sondern es wirdnach Sinn und Bedeutung gefragt.

Wie funktioniert ein philosophisches Gespräch?

Sehr wichtig ist der Einstieg in das Thema. In unseremWorkshop haben wir unsere TeilnehmerInnen in dreiGruppen geteilt und jede Gruppe bekam ein anderesZitat, das sich mit der Fragestellung nach einem gelungenen Leben beschäftigte. Die Kleingruppen diskutierten die Zitate und notierten ihre Diskussionstichwortartig auf Flipcharts. Nach einigen Minutenwechselten wir und die Gruppen gingen zum nächs-ten Zitat (wo sie auch die Notizen der Vorgänger-gruppe ansehen konnten). Der Einstieg sollte generellInteresse für das Thema wecken und idealerweisemehrere Blickwinkel auf das Thema bieten. Dazu geeignet sind ein Film, ein Bilderbuch, eine Geschichteoder eine andere kreative Möglichkeit, die zum Themahinführt. Bei unserem Workshop waren es folgendeZitate:„Als ich klein war, glaubte ich, Geld sei das wichtigsteim Leben. Heute, da ich alt bin, weiß ich: Es stimmt.“„Alle Lebewesen außer den Menschen wissen, dass derHauptzweck des Lebens darin besteht, es zu genießen.“

AG 6 | Was ist wertvoll? Philosophieren mit Kindern

Berichte aus den Arbeitsgruppen

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„Mit dem Leben ist es wie mit einem Theaterstück; es kommt nicht darauf an, wie lange es ist, sondernwie bunt.“

Nachdem alle Gruppen über alle Zitate in der Klein-gruppe diskutiert hatten, wurde im Plenum über dieFrage nach einem gelungenen Leben reflektiert. DieAufgabe der Gesprächsleitung ist es, durch Impulsfra-gen einerseits das Gespräch am Laufen zu halten undandererseits neue Blickwinkel auf die Fragestellungeinzubringen. Bei einer Gruppe von PädagogInnenmuss das Gespräch nicht so stark strukturiert werden,wie z.B. mit einer Gruppe Jugendlicher, die zum erstenMal philosophiert. Zur Veranschaulichung, wie einesolche Strukturierung erfolgen kann, haben wir auchim Workshop ein strukturierendes Element einge-baut: Wer sich zu Wort gemeldet hatte, bekam einenkleinen Ball, dieser wurde nach der Wortmeldung zurGesprächsleitung zurückgeworfen, die dann weitereFragen und Perspektiven einbringen konnte. Im Ideal-fall ist eine Gruppe irgendwann soweit, dass eine Gesprächsmoderation überflüssig wird und der Ge-sprächsleiter/ die Gesprächsleiterin sich als GesprächsteilnehmerIn einbringen kann.

Nach dem Gespräch gibt es dann eine Reflexion, diewir in Form einer Daumenreflexion (Daumen hochbedeutet gut, Daumen mittig bedeutet naja, Daumenrunter bedeutet schlecht) durchgeführt haben. Wich-tig ist es, sich bei solchen Gesprächen mit Kindernund Jugendlichen klare Regeln auszumachen und fürdie Einhaltung dieser zu garantieren.

Was sind die Ziele beim Philosophieren?

3 Verständnis anderer3 allgemeine Aussagen von eigenen Erfahrungen

unterscheiden3 eine Sachlage auf eine andere Situation übertragen3 eigenständiges Suchen nach Antworten und

kreativen Lösungen für ein logisches oder moralisches Problem3 Lust am Philosophieren wecken und fördern3 Erwerb von Deutsch als Zweitsprache3 eigene Gefühle und Gedanken sprachlich

ausdrücken3 aktiv zuhören3 aufeinander Bezug nehmen3 die eigene Meinung äußern und nachvollziehbar

begründen3 Fragestellungen von verschiedenen Blickwinkeln

aus betrachten (Perspektivwechsel)

Die Methode des Philosophierens mit Kindern und Jugendlichen lässt sich sehr gut in den unterschied-lichsten Feldern der pädagogischen Arbeit einsetzen.Da auch hier keinE MeisterIn vom Himmel gefallenist, braucht auch das Philosophieren viel Übung. Eine gewisse Regelmäßigkeit, ausreichend Zeit sowie eineleistungsfreie Atmosphäre (z.B. keine Bewertungdurch Noten) sind zentrale Faktoren für positive Er-fahrungen beim Philosophieren.

Bericht von Senad Lacevic, DSA

AKTION & REFLEXION _11_ BERICHTE AUS DEN ARBEITSGRUPPEN

Foto: AG6

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10.00 Uhr | Begrüßung und EinführungMag.a MinR Sylvia Schrittwieser-Tschach(BMUKK, Abt. Internationale multilaterale Angelegenheiten)Dr. Helmuth Hartmeyer (Austrian Development Agency (ADA) undGlobal Education Network Europe)

10.30 – 12.30 Uhr | Vortrag

Dr. Gerd Steffens (Univ. Kassel, em. Prof. f. politische Bildung)

Die Krise als Lerngelegenheit? Politisch-ökonomische Bildung in einer Zeit der Umbrüche

Eine an der Welt interessierte politische Bildung – welchen Heraus-forderungen steht sie gegenüber, welche Inhalte braucht sie, welche Fragen stellt sie? Ist die Krise eine Lerngelegenheit und welche gesellschaftlichen Lernprozesse sind erforderlich?

Der Vortrag setzt sich mit aktuellen Krisenphänomenen auseinan-der, fragt nach den notwendigen Systemveränderungen und denHerausforderungen für eine zukunftsfähige Bildung.

Gerd Steffens lehrte bis 2007 politische Bildung und ihre Didaktikan der Universität Kassel. Arbeitsschwerpunkte: Gesellschaftswis-senschaftliche Voraussetzungen politischer Bildung; PolitischeÖkonomie und politische Bildung.

Er ist Mitherausgeber des „Jahrbuchs für Pädagogik“ (Peter-Lang-Verlag); Zahlreiche Veröffentlichungen zu politischer Bildung undDidaktik politischer Bildung, u. a. „Politische und ökonomische Bildung in Zeiten der Globalisierung“ (Hrsg), Münster 2007; „Welt-bürgertum und Kosmopolitisierung. Interdisziplinäre Perspektivenfür die Politische Bildung (Hrsg mit Benedikt Widmaier)“, Schwal-bach 2010.

P R O G R A M M

Bundes-Fachtagung

Globales Lernen – Potenziale und Perspektiven ökonomische Krisen und zukunftsfähige Bildung

Zeit: Do, 14. November 2013, 10.00 – 17.00 UhrOrt: Europahaus Wien Linzerstrasse 429, 1140 Wien

14.00 – 16.30 Uhr | Arbeitsgruppen

AG 1 | Ist der Homo Oeconomicus gesellschaftsfähig? I N P U T SDr. Gerd Steffens (Univ. Kassel, em. Prof. f. politische Bildung)Dr. Georg Tafner (Univ. Graz, Institut für Wirtschaftspädagogik)Moderation: Dr. Helmuth Hartmeyer (ADA)

Die AG 1 thematisiert das Verhältnis von Wirtschaft und Gesell-schaft, einleitende Impulse von Gerd Steffens und Georg Tafnerführen zu den zentralen Fragen der AG: Welche bildungstheoreti-sche und didaktische Botschaft vermittelt die Vormachtstellung desÖkonomischen? Wie prägen die vorherrschenden Denkansätze derÖkonomie Welt- und Selbstwahrnehmung, welche Alternativenkönnte es geben? Warum ist die Frage nach den Denkansätzen sofundamental für Grundmuster sozialer Beziehung und Bildung?

AG 2 | Ökonomie unterrichten – multiperspektivisch und differenziert I N P U T SDr. Johannes Jäger (Fachhochschule des BFI Wien, Lektor an derUniversität Wien)Mag.a Barbara Schöllenberger (Verein Joan Robinson zur Förderung frauengerechter Verteilung ökonomischen Wissens)

Welches Verständnis von Ökonomie prägt den Unterricht? Qualitätsvolle ökonomische Bildung soll auf wissenschaftlichemund weltanschaulichem Pluralismus basieren, unterschiedlicheDenkmodelle darstellen und Kontroversen reflektieren sowie alter-native Entwicklungswege diskutieren. Die AG fragt nach Möglich-keiten für mehrperspektivischen Ökonomie-Unterricht und verweist dabei auch auf ein erweitertes Verständnis von Ökonomie,das meist ausgeblendete Bereiche (z. B. die Care-Ökonomie) sicht-bar macht und die Rolle von Frauen als ökonomische Akteurinnenberücksichtigt.

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AKTION & REFLEXION _11_ GLOBALES LERNEN IN ÖSTERREICH

AG 3 | Dilemmata diskutieren – Werturteile bilden

I N P U T SMag.a Barbara Mayerhofer (Univ. Salzburg, Fachdidaktik für Geographie- und Wirtschaftskunde; Lehrerin am BORG Nonntal) Moderation: Dr. Franz Halbartschlager (Südwind-Agentur, Strategiegruppe Globales Lernen)

Die Entwicklung von Urteils- und Handlungskompetenz der SchülerInnen erfordert Sachwissen und Möglichkeiten zur multi-perspektivischen und kritischen inhaltlichen Auseinandersetzung.Das innovative Unterrichtsmodell VaKE (Values and KnowledgeEducation) stellt die Diskussion von Dilemmata in den Mittelpunktvon Lernprozessen und unterstützt so die Entwicklung von Wertur-teilskompetenz. Die AG bietet einen praxisorientierten Einblick undzeigt Möglichkeiten für politisch-ökonomische Bildung und Globales Lernen. (Sekundarstufe)

AG 4 | Wem gehört die Natur? Philosophieren mit Kindern I N P U TSinan von Stietencron, M.A. (Akademie Kinder philosophieren,München)

Wie wollen wir leben? Was brauche ich zum Leben? Wie viel ist genug? Wem gehört die Natur? Kinder können zum gemeinsamenNachdenken über solche Fragen angeregt werden – über Menschund Natur, über Verteilung, Ressourcen(knappheit), Konsum oderauch darüber, wie sie gerne leben wollen und welche Zukunft siesich wünschen.Mit Kindern über die Zukunftsfähigkeit unserer Entwicklung philo-sophieren und dabei auch Fragen politisch-ökonomischer Bildungansprechen, gelingt schon in der Volksschule. Der Workshop gibteine Einführung in das Philosophieren mit Kindern. (Volksschule)

AG 5 | Soziale Ungleichheiten – ein Thema im Unterricht?I N P U T SMag.a Erika Tiefenbacher (Direktorin der NMS 18)MMag. Sebastian Howorka (Projekt Ungleiche Vielfalt) Moderation: Dr. Gerald Faschingeder (Paulo Freire Zentrum)

Vieles trennt SchülerInnen einer Klasse: Bildungsvoraussetzungenund Lernchancen, Migration und Diskriminierungserfahrungen,Beschäftigungsverhältnisse und Einkommen der Eltern, Geschlechtund geschlechtsbedingte Rollenzuschreibungen. Soziale Ungleich-heiten betreffen individuelle Lebenschancen, gleichzeitig resultierensie aus strukturellen Beschränkungen und stellen gesellschaftlicheProbleme dar.Wie gehen LehrerInnen und SchülerInnen mit spürbaren ungleichenLebenschancen um, die durch Bildung kaum aufgehoben werden?Können SchülerInnen im Umgang mit sozialen Differenzen Empowerment erfahren? Kann Schule zum Lernfeld für gesell-schaftlichen Zusammenhalt werden?

AG 6 | Was ist wertvoll? Philosophieren mit KindernI N P U T SMag. Thomas Stölner (Trainer für den Hauptschulbereich; Akademie „Wir philosophieren“, Wien)Senad Lacevic, DSA (Programm-Manager VHS Brigittenau) Moderation: Mag.a Magdalena Emprechtinger (BAOBAB)

Was ist wertvoll? Was ist ein gutes Leben? Was brauche ich dazu?Wie viel ist genug? Wem gehört die Natur? „Im Mittelpunkt des gemeinsamen Philosophierens steht der Umgang mit Fragen, dieKinder und Jugendliche bewegen und mit Ansichten, die sie äu-ßern.“ Im gemeinsamen Philosophieren können auch wichtige Fragen einer zukunftsfähigen Entwicklung angesprochen werdenund damit die Methode auch im Rahmen von politisch-ökonomischer Bildung genutzt werden. Die Akademie „Wir philosophieren“ bringt auch Erfahrung aus dem Jugendbildungsbe-reich und mit jungen MigrantInnen ein. Der Workshop gibt eineEinführung in das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen.

16.00 Uhr | Zusammenfassung und Ausblick

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AKTION & REFLEXION _11_ FEEDBACK

Was braucht es für eine Bildung, um unsere vermehrt vonÖkonomisierung geprägte Welt verstehen und mitgestaltenzu können? Mit dieser Frage beschäftigte sich die TagungGlobales Lernen, die am 14. November 2013 im EuropahausWien stattfand. 170 TeilnehmerInnen waren dabei, mehrals die Hälfte davon hat ihre Eindrücke in einem onlineFeedback rückgemeldet; und das fällt erfreulicherweisewieder sehr gut aus.

Der online Fragebogen mit insgesamt 14 Fragenwurde eine Woche nach der Tagung an alle registrier-ten TeilnehmerInnen ausgesandt. Mit einem Rücklaufvon 52% (88 vollständig ausgefüllte von 169 versand-ten Fragebögen) steht das Ergebnis des Feedbacks aufstabilen Beinen und brachte eine durchwegs positive,aber auch differenzierte und kritische Rückmeldung.

Unter den Teilnehmenden befanden sich vorwiegendLehrende an Schulen (47%), MitarbeiterInnen von Pädagogischen Hochschulen (23,9%) und Personenaus dem Bereich NGO, Entwicklung/Humanitäres(26,1%), neben TeilnehmerInnen aus öffentlichen Insti-tutionen sowie Studierenden und Lehrenden von Universitäten.

Erfreulich war erneut der hohe Zufriedenheitsgradmit der gesamten Veranstaltung: 85% der Bewertun-gen liegen bei sehr zufrieden (50%) und zufrieden(35%). Auch hat der Besuch der Veranstaltung dieKenntnisse der meisten TagungsteilnehmerInnen imBereich einer global orientierten politisch-ökonomi-schen Bildung erweitert (88%). Als besonders wichtigeErkenntnisse wurden verschiedene Aspekte genannt,unter anderem die methodischen Zugänge (Philoso-phieren als pädagogisch-didaktische Methode unddas Diskutieren von Dilemmata), das Erkennen vonZusammenhängen, die Verknüpfung von Ökonomieund Bildung sowie die historischen Ausführungenzum Thema. Auch die breite Bedeutung des GlobalenLernens als zeitgemäßes pädagogisches Konzeptwurde hier angeführt.

Vortrag und Arbeitsgruppen

Der Vortrag von Gerd Steffens ist sehr positiv bei denTeilnehmenden angekommen, knapp 70% bewerte-ten ihn mit sehr gut oder gut. Der Input wurde aberauch als anspruchsvoll empfunden, sodass die Beurteilungen in der offenen Frage zum Vormittags-programm von „sehr informativ“ und „spannend“ biszu „fachspezifisch, zu detailliert“ und „zu schwierig“reichten. Beindruckt hat auch die Eröffnungsrede vonHelmuth Hartmeyer, die u. a. als „ausgezeichnete Einführung“ gelobt wurde.

Alle Arbeitsgruppen des Nachmittags liegen zwischen„sehr gut“ und „gut“. Bei den TeilnehmerInnen beson-ders gut abgeschnitten haben die AG 3: DilemmataDiskutieren und die AG 6: Was ist wertvoll? Philoso-phieren mit Kindern. Hier wurde vor allem auf diegute Praxisorientierung hingewiesen. Gleiches giltauch für die AG 4: Wem gehört die Natur? Philoso-phieren mit Kindern sowie für die AG 5: Soziale Ungleichheit. Bei letzterer wurde weiters die ge-wählte Methode (Weltcafé) als positiv hervorgehoben.AG 2: Ökonomie unterrichten – multiperspektivischund differenziert und AG 1: Ist der Homo Oeconomi-cus gesellschaftsfähig? dienten der Vertiefung destheoretischen Diskurses, daher war hier der Praxisbe-zug nicht ganz so gegeben. Wie unterschiedlich Wahr-nehmungen und Bedürfnisse der TeilnehmerInnen jedoch sind, zeigt sich beispielsweise in den Bewer-tungen der AG 1, die von „gute Kombination aus abstrakter Lehre und Lehranregungen“ bis zu „zutheoretisch“ reichen.

Die Organisation der Fachtagung wurde ausschließ-lich mit sehr gut (66 Wertungen) und gut (17 Wertun-gen) beurteilt. Auch die Zufriedenheit mit dem Tagungsort (Europahaus Wien) war in Bezug auf Ausstattung und Räumlichkeiten sehr hoch, währenddie kulinarische Versorgung für einige TeilnehmerIn-nen zu wünschen übrig ließ.

Mit den sehr differenzierten und vielfältigen Antwor-ten verweist das Online-Feedback auf das hohe Enga-gement der TeilnehmerInnen und gibt außerdem guteHinweise sowohl für Themen als auch für die Gestal-tung einer nächsten Tagung zu Globalem Lernen.

Ein differenziertes Feedback Ergebnisse des online-Feedbacks zur Tagung Globales Lernen.Ökonomische Krisen & zukunftsfähige Bildung

Heft 1 | Dialog oder Konflikt der Kulturen?Andreas Novy, Lukas Lengauer, Anna Kaissl, Melanie Wawra, Jennifer ZieglerWien, November 2008

Heft 2 | Methodologie transdisziplinärer EntwicklungsforschungAndreas Novy, Barbara Beinstein, Christiane VoßemerWien, Dezember 2008

Heft 3 | The World is emerging. On the current relevance of Paulo FreireAndreas Novy • Wien, November 2009

Heft 4 | Incubadoras an brasilianischen UniversitätenMichaela Hauer • Wien, Februar 2010

Heft 5 | Ungleiche Vielfalt der MobilitätGerald Faschingeder, Andreas Novy, Sarah Habersack, Simone GrosserWien, März 2010

Heft 6 | Grenzüberschreitungen. Partizipative Methoden im Projekt „Ungleiche Vielfalt“Katharina Auer • Wien, Juni 2011

Heft 7 | Soziale Ungleichheit und kulturelle Vielfalt in europäischen Städten. Dokumentation des transdisziplinären Symposiums am 14./15. Oktober 2010Gerald Faschingeder, Sarah Habersack, Andreas Novy, Simone Grosser (Hg.)Wien, Juli 2012

Heft 8 | „Die Freiheit tun zu können was ich will“. Vielfalt und Ungleichheit am Beispielder Raum- und Zeitnutzung der SchülerInnen zweier Wiener SchulenSebastian Howorka • Wien, Juni 2013

Heft 9 | ¡Y va a caer! Gegen das neoliberale (Bildungs-)System.Chiles Studierendenbewegung 2011 – 2012Pia Maria Koch • Wien, Juni 2013

Heft 10 | Globales Lernen in Österreich. Potenziale und PerspektivenDokumentation der Bundes-Fachtagung Wien 3. Dezember 2012Heidi Grobbauer • Salzburg, Mai 2013

AKTION & REFLEXIONTexte zur transdisziplinären Entwicklungsforschung und dialogischen Bildung

11ISBN: 978-3-9503620-4-6 Ein Produkt von www.komment.atSalzburg, Mai 2014

K O N T A K T

KommEntGesellschaft für Kommunikation, Entwicklung und dialogische Bildung

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Paulo Freire Zentrum für transdisziplinäre Entwicklungsforschung und dialogische Bildung

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AKTION & REFLEXIONTexte zur transdisziplinären Entwicklungsforschung und dialogischen Bildung

„Des Menschen Aktivität besteht aus Aktion und Reflexion: sie ist Praxis, sie ist Verwandlung der Welt.“ Paulo Freire

Die aus diesem Gedanken inspirierte Heftreihe „AKTION & REFLExION“will auf die enge Verwobenheit von Denken und Handeln aufmerksammachen. Wie schon Paulo Freire betonte, kann das eine nicht ohne das andere existieren, wenn ein wirklicher Dialog entstehen soll. DasPaulo Freire Zentrum hat diese Reihe initiiert, um Dokumentationen und Reflexionen von Veranstaltungen oder aktivierenden Projekten andie Öffentlichkeit zu tragen. Damit tragen die Hefte zur Verbreitung undDemokratisierung von öffentlichem Wissen bei.