gut und böse - kommunikation & seminarisolde teschner im interview. von markus dietl und gudrun...

11

Upload: others

Post on 08-Aug-2020

5 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg
Page 2: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

Der Mensch, und nur er, besitzt die Fähigkeit zu erkennen, dass sein Gegenüber davon ausgeht, dass er eineAbsicht verfolgt. Und nur er nutzt diese „geteilte Intentionalität“, wie der Anthropologe Michael Tomasello

es nennt, zum Zwecke der Kooperation. Tomasello sagt auch, dass der Mensch erst dadurch aus dem Tierreichhervortreten konnte. Der Mensch wurde Mensch, weil er kooperiert. Und nicht, weil er um Nahrung und Rangin den Wettbewerb mit seinem Gegenüber tritt. Diese Sicht hat etwas Tröstliches. Erst kommt die Kooperation.Dann alles andere: komplexe Sprache, Normen, Kunst und Wissenschaft.

Und was kommt noch? Ja, wohl auch das: Wut und Zorn und Hass. Wir gedenken in diesem Jahr des Ersten Welt-kriegs, der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, so nannte ihn der US-amerikanische Historiker George Ken-nan. Kein Tier kennt diese Art von Gewalt. Sinnlos, sie als Echo unserer wilden Herkunft zu bezeichnen. DieFrage nach den Ursachen bringt uns nicht weiter. Wichtiger ist die Frage, wie wir mit dieser dunklen Seite un-serer Natur umzugehen lernen.

Die humanistische Psychologie liefert wichtige Antworten. Eine der hilfreichsten stammt von Marshall B. Ro-senberg. Er erkannte, wie Menschen aus einer Situation der Gewalt heraus in eine authentische Verbindung zu-einander, ja Kooperation gelangen. Und zwar indem sie auf ihre Gefühle und ihre Bedürfnisse „hinter“ den Ge-fühlen schauen und daraus Bitten ableiten, die ihr Leben bereichern. Seit gut 20 Jahren tragen Rosenberg, derim Oktober achtzig Jahre alt wird, und eine wachsende Gruppe von Trainerinnen und Trainern die GFK in dieWelt. Schwer zu sagen, ob die Welt seither friedlicher, kooperativer geworden ist. Nicht nur im Web erobertsich die hasserfüllte Sprache einer Wut-Kultur ihren Raum. Und dass das Horrorgenre boomt in ungekanntemAusmaß, was u. a. zeigt, welch unwiderstehlichen Reiz der Blick auf das Böse und der Zauber des Katastrophischen ausüben.

Seneca noch hatte die Wut ausrotten wollen und diesem Vorhaben ein komplettes Buch gewidmet: „De ira. Überdie Wut“ (Reclam 2007). Konstruktivismus und humanistische Psychologie lehren uns etwas anderes. Nämlichdass wir das, was wir bekämpfen, stärken. Dass zu einem harmonischen Ganzen widerstreitende Kräfte gehö-ren. Dass die Übertreibung des Guten das Böse provoziert. Und dass ich das Gute in mein Leben einladen kann,indem ich es in seinen Gegensätzen betrachte.

Die GFK ist ein Weg, wertschätzend mit sich selbst und seinem Gegenüber umzugehen. Vor allem dann, wennWut und Zorn uns schütteln oder gar Hass uns leitet. Sie verbannt diese, unsere dunklen Ausdrucksformen nichtin die Katakomben der Kommunikation, sondern ermöglicht uns im Gegenteil, sie zu spüren und zu ergründen,wofür sie stehen. Dies mag uns zu einem reiferen Umgang mit den Abgründen unserer Seele verhelfen. Und,um auf Tomasello zurückzukommen: Es ist ein Unterschied, ob ich Kooperation und soziales Wesen als Vor-aussetzung für die Menschwerdung betrachte oder als deren Resultat.

Ich wünsche Ihnen Freude und Erkenntnis bei der Lektüre!

Gut und böse

Regine RachowChefredakteurin

4/2014 Kommunikation & Seminar 3

Editorial

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:57 Seite 3

Page 3: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

30 Raus aus dem GrübelkarussellResilienz als Führungskompetenz und Selbstempathie mitder Gewaltfreien Kommunikation. Von Gabriele Lindemann

34 All unser Lachen und all unsere TränenStreiten sich GFK-Trainer nie? Was ich über die GewaltfreieKommunikation zuweilen gefragt werde. Von Andrea Wiedel

38 Gib mir dein ganzes Geld!Wie die GFK mein Leben gerettet und umgekrempelt hat.Von Aniruddha Gandakush

41 Danke für das schöne FestKraftquelle Wertschätzung: Wie aus Lob und Komplimentechte Anerkennung werden kann. Von Yan-Christoph Pelz

44 DER NLP-COACH:Aus dem Häuschen

Trauma nach dem Einbruch.Von Gabriele Lönne

47 Die Kurve kriegenSehtraining mit NLP. Von Judith Bolz

08 Eine Lanze für die Wut… und das unerkannte Bedürfnis dahinter. GFK und positiveAggression in sieben Schritten. Von Frauke Ratzke

14 Marshall B. RosenbergBausteine einer Biografie. Von Al Weckert

18 Stachel im FleischUmgang mit seelischen Verletzungen. Von Horst Lempart

22 Typisch Amerikaner!Isolde Teschner holte Rosenberg nach Deutschland. Von Markus Dietl

23 GFK für den AlltagIst besorgt über die Kommerzialisierung der GFK: Isolde Teschner im Interview.Von Markus Dietl und Gudrun Haas

26 Heilen und WachsenDer Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg. Ein Vergleich. Von Nadja Rosmann

TITEL TITEL & THEMEN

4/2014 In diesem Heft

4 Kommunikation & Seminar 4/2014

Stachel im FleischUmgang mit seelischenVerletzungen

Typisch Amerikaner!Isolde Teschner holte Rosenbergnach Deutschland

Aus dem HäuschenTrauma nach dem Einbruch

18 22

44

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:57 Seite 4

Page 4: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

54

50 Das gewisse Maß an Widrigkeit

Resilienz und Viktor Frankl: die Fähig-keit, trotz widriger Umstände ein gutesLeben zu führen. Von Cornelia Schenk

54 TAGUNGSBERICHTE„Alles Schlampen. Außer Mama!“

Noni Höfner lud die Community zumProvokativen Forum nach Pullach.

56 Unser Ort im UniversumLucas Derks kam zu den Future Toolsdes DVNLP nach Göttingen.

58 Mach, was dir am Herzen liegt

Treffen der NLP-Community von Stephan Landsiedel.

61 NACHRUFDass dieser Traum sich erfüllt

Zum Tod von Heinz Raab (1926–2014).

MBSR – Die Kunst, das ganze Leben zu umarmen

Mit Achtsamkeit in Führung Was Meditation für Unternehmen bringt. Grundlagen, wissenschaftliche Erkenntnisse, Best Practises

www.klett-cotta.de/fachbuch

NEU

Blättern Sie online in unseren Büchern und bestellen Sie bequem unter: www.klett-cotta.de/fachbuch

NEU

3-608-94579-98-). ISBN 9795 (D4,€ 2-CDs ei Hörund zw

2014. 288 Seiten, gebunden, mit ca. 40 on Michael vt vorworV

on Ulrich Ott und einem ag vMit einem BeitrAchtsamkeit

essbewältigung durEinübung in Strzu umarmenMBSR – Die Kunst,

Rüdiger Standhar,Cornelia Löhmer

3-608-94579-9

Abb. 2014. 288 Seiten, gebunden, mit ca. 40 on Brück.on Michael v

on Ulrich Ott und einem

ch essbewältigung dur

das ganze Leben MBSR – Die Kunst,dt Rüdiger Standhar

CDs erlauben es, dirtiefungskurs. Die Übungs-erVfür einen

oller Länge – sowie die vGeh- und Sitzmeditation, und zwar in

ege MBSR-Übungswamm. Enthalten sind die vierogrPr

umfassende Einführung in das MBSR-t eine kompakte underDas Buch lief

ekt einzusteigen.CDs erlauben es, dirtiefungskurs. Die Übungs-

Ausführungenoller Länge – sowie die Geh- und Sitzmeditation, und zwar in

oga,Body-Scan, Yege amm. Enthalten sind die vier

umfassende Einführung in das MBSR-t eine kompakte und

3-608-94865-) 8-) ISBN 97995 (D29€ 26 Seiten, ge2014. ca. 256 Seiten, ge

Best PrErkenntnisse,Grundlage wissenschaftliche rundlagen,Was Meditation für Unternehmen bringt.

Achtsamkeit in FührungMit Nadja Rosmann Kohtes,Paul J.

3ebu

3-608-94865-ebunden

r Unter

actises Best Pr wissenschaftliche

Unternehmen bringt.n Führungungja Rosmannsmann

gen unternehmerischen Kriterien.

95 (D

nutzen können – und zwar unter gängidenen Unternehmen Meditation effektiv

obte Methoden vools und erprTin Unternehmen entwickelt. Sie stellen

ategien für Szenarien und Stren bieten einen Leitfaden, derAutorDie

3-608-94865-8-). ISBN 9795 (D€ 29,€ 2

schen Kriterien.en.-gnd zwar unter gängi

denen Unternehmen Meditation effektiv, mitorobte Methoden v

in Unternehmen entwickelt. Sie stellenAchtsamkeitategien für

en bieten einen Leitfaden, der

33-608-94865-

Die Kurve kriegenSehtraining mit NLP

Tagungen: ProFo, FutureTools und Landsiedel

NachrufHeinz Raab (1926–2014)

4/2014 Kommunikation & Seminar 5

3 Editorial

6 Pinnwand

7 Nachgefragt bei ...

62 News

74 Vorschau

74 Impressum

Diese Rubriken finden Sie im Service-Teil am Ende des Hefts:

64 Trainer-Porträts

68 Seminarkalender

Rubriken

61

47

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:58 Seite 5

Page 5: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

14 Kommunikation & Seminar 4/2014

TITEL Marshall B. Rosenberg: Bausteine einer Biografie

Marshall B. Rosenberg: Bausteine einer Biografie Von Al Weckert

Die Grenzen der klinischen Psychologie und der Weg zu einer besseren Welt.

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:58 Seite 14

Page 6: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

4/2014 Kommunikation & Seminar 15

Marshall Rosenberg, der Erfinder der GewaltfreienKommunikation (GFK), ist auf den Bestsellerlisten

der großen Buchhändler seit 15 Jahren unangefochtenNummer 1 im Bereich „Konflikt“, „Kommunikation“ und„Mediation“. Trotzdem lassen sich weder in Büchern nochim Internet umfassende Details zu seiner Biografie und sei-nem beruflichen Lebensweg finden. Wer Genaueres überden Werdegang Marshall Rosenbergs lernen will, mussnach seinem Rückzug ins Private im Jahr 2011 rare Quel-len ausgraben: Doktorarbeiten, Interviews, Fernsehsendun-gen und Seminar-Mitschnitte, in denen sich Rosenberg zueinzelnen Stationen seines Lebens äußerte. Selbst seineWegbegleiter verfügen immer nur über ein Ausschnittswis-sen. Und viele Erzählungen Rosenbergs lassen sich nur un-genau datieren.

Wer sich jedoch die Mühe macht, mit den Informations-fragmenten zu puzzeln, erfährt Erstaunliches, das auch dasVerständnis für die Gewaltfreie Kommunikation vertieft.

Marshall Rosenberg kam am 6. Oktober 1934 in Ohio,USA, zur Welt. 1943 zog seine Familie in die Autostadt De-troit, wo der Vater einen Job als Transportarbeiter fand. InDetroit machte Rosenberg prägende Gewalterfahrungen.Fast täglich wurde er von Mitschülern für seine Religions-zugehörigkeit geprügelt; die Rosenbergs waren nicht prak-tizierende Juden. Bald brachen in dem Schwarzenviertel, indem die Rosenbergs preisgünstig Unterkunft gefunden hat-ten, schwere Rassenkrawalle aus. In der direkten Nachbar-schaft wurden binnen einer Woche 30 Menschen getötet.Rosenberg durfte tagelang das Haus nicht verlassen.

Daheim erlebte er eine Solidarität und Empathie gegenüberschwachen und kranken Menschen. Die Familie pflegte diesterbende Großmutter, den dementen Großvater und einekranke Tante, obwohl den Rosenbergs wenig finanzielleMittel zur Verfügung standen. Eine besondere Rolle nahmOnkel Julius ein, der den Eltern bei der Pflege unter dieArme griff. „Er war Apotheker und seine Apotheke lageben falls in einer schwarzen Nachbarschaft. Er wurde abernie beraubt, weil er allen, die sein Geschäft betraten, mitstarkem Mitgefühl begegnete.“

In den Erinnerungen Marshall Rosenbergs war Onkel Ju-lius der Einzige, der ihm stets mit einem Lächeln begeg-nete. Das übrige Umfeld war durch Krankheit, Pflege undÜberlebenskampf derart beschäftigt, dass es nur wenigAufmerksamkeit für den Heranwachsenden erübrigte. DerVater war äußerst schweigsam und zeigte gegenüber sei-nem Sohn keine Gefühle („Stone Face“, sagt Rosenbergdazu). Die Mutter war eine extrovertierte Kartenspielerinund Profi-Bowlerin, die den Jungen dazu anhielt, bei Kon-flikten erbarmungslos zurückzuschlagen. Marshall Rosen-berg verlegte sich auf eine Doppelstrategie: Innerhalb der

Familie machte er sich unsichtbar. In der Schule und aufder Straße entwickelte er sich zu einem gefürchteten Rauf-bold.

Mit der Zeit begannen drei Arten von Fragen im Kopf desheranwachsenden Rosenberg zu kreisen: Warum wollensich Menschen gegenseitig wehtun? Was lässt sie gewalttä-tig werden? Warum bleiben andere Menschen selbst unterschlimmsten Umständen mitfühlend? Wie lässt sich das be-einflussen und verändern? Welche Wege stehen einem Men-schen jenseits von Gewalt und Selbstverleugnung zur Wahl?

Nach diversen Krankenhaus-Aufenthalten infolge vonSchlägereien und nachdem er bereits dreimal von einerSchule verwiesen worden war, zogen die Rosenbergs 1950in einen friedlicheren Stadtteil, in dem der Junge einen ab-iturähnlichen Abschluss machte. Intellektuell galt er alshochbegabt. Eine Hausarbeit zum Thema Kriminalpsycho-logie motivierte ihn zu einem Psychologiestudium. Er er-wartete, dass die Psychologie seine Lebensfragen beant-worten könne. Später änderte sich diese Einschätzung.Nicht die Wissenschaft, sondern die Begegnungen mit ein-fühlsamen und inspirierenden Persönlichkeiten formten seinBild von einem hilfreichen Kommunikationsprozess.

An den Universitäten Michigan und Wisconsin arbeiteteRosenberg ab 1953 weiter an seinem Image als Bad Boy,Hochbegabter und Rebell. Dieses Leben in einer „schwar-zen Wolke“, wie er es einmal nannte, änderte sich erst durchdie Begegnung mit dem Soziologie-Professor Michael Ha-keem. Hakeem hatte die klinische Psychologie offen kriti-siert und forderte Rosenberg dazu auf, nicht nur auf den Pa-tienten, sondern auch auf dessen Umfeld zu schauen. Kli-nische Psychologie stoße an ihre Grenzen, wenn die Struk-turen einer Gesellschaft zum Verhalten der Patienten bei-trügen. Dieser Gedanke spiegelte Rosenberg seine eigeneverfahrene Situation zurück und rüttelte ihn wach. Hakeemwurde sein Freund und dessen Kritik an der klinischen Dia-gnose einer Neurose (eine „pseudowissenschaftliche Spra-che für Werturteile“) veränderte Rosenbergs Denken. „Ha-keem machte mein ganzes Studium zunichte.“

In dieser Phase der Neuorientierung begegnete RosenbergCarl Rogers, der mit der Technik des aktiven Zuhörens undder klientenzentrierten Gesprächstherapie internationaleProminenz erlangt hatte. Rogers nahm Rosenberg 1960 inein Forschungsprogramm zur Therapie-Effizienz mit auf.Die Ergebnisse der Studie betonten die Bedeutung von Em-pathie, Aufrichtigkeit, Authentizität und Gleichwertigkeitim Arzt-Patienten-Verhältnis für jeden Heilungsprozess.Die Studie stellte dominierende Therapieformen, allenvoran die Psychoanalyse, infrage. Rogers betonte insbe-sondere die Bedeutung der Anerkennung von Gefühlen fürden Therapieprozess.

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:58 Seite 15

Page 7: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

16 Kommunikation & Seminar 4/2014

TITEL Marshall B. Rosenberg: Bausteine einer Biografie

Die von Hakeem und Rogers geweckte Neugierde wurdenochmals verstärkt, als Rosenberg in dem Buch „MoralTherapy“ den Satz fand: „Don’t cure us. Teach us how tolive“ (Heile uns nicht. Unterrichte uns darin, zu leben – vonJoseph Conrad). Rosenberg formulierte eigene For-

schungsfragen: Was ge-nau brauchen Menschen?Wie können wir ihnenbeibringen, das auch zubekommen, anstatt sie zutherapieren? ÄhnlicheÜber legungen fand Ro-senberg beim vergleichen-den Studium der Religi-onswissenschaften: Wasist der Sinn unseres Da-seins? Welche Fähigkei-ten braucht es, um diesemSinn gerecht zu werden?Wie unterrichte ich Men-schen darin?

Rosenberg verließ die Universität 1961 mit einem Ph. D. inklinischer Psychologie. Bereits auf der nächsten Zwischen-station, als Krankenpsychologe, versuchte er nicht mehrEinzelpatienten, sondern auch die dazugehörigen Familienzu behandeln und den von ihm gehassten „doctor shit“durch wahrhaftige Mitmenschlichkeit zu ersetzen. Mit die-ser Haltung kam auch der finanzielle Erfolg. Rosenbergwurde Teilhaber einer eigenen Praxis in St. Louis. Er hei-ratete, seine drei Kinder besuchten eine Privatschule. SeineArbeitsweise, die er seit Jahren praktizierte, stellte er aufder ersten amerikanischen Konferenz für Familientherapievor. „Die ganze Konferenz blickte auf mich. Ich war keinStörenfried mehr. Im Grunde war es mein erster großerWorkshop.“ Das Publikum, zunächst skeptisch, war amEnde schier begeistert. „Dieser Tag war wunderschön, wieein Traum, überaus kraftvoll. Es war der Wendepunkt inmeinem Berufsleben. Ich brach in Tränen aus.“

Den Anteilseignern seiner Praxis missfiel es zunehmend,dass die sozial orientierten Gruppen und Verbände, die Ro-senberg von nun an begeistert um Unterstützung baten, nurschlecht bezahlen konnten. Sie wollten Rosenberg daranhindern, sein Fachwissen an Konkurrenten zu vermitteln.Es kam zum Bruch und damit auch zum Ausstieg aus ei-nem komfortablen Leben mit Eigenheim und Fuhrpark.Und es kam zur Scheidung von seiner Ehefrau Vivian.

Ende der 60er-Jahre begann Marshall Rosenberg ein Wan-derleben durch die USA. „Ich wurde von den Leuten aufder Straße herbeigerufen und spürte freudig ihren Ruf. Ichhatte nie das Gefühl, etwas opfern zu müssen. Für mich wares die beste Entscheidung.“ Er trampte von Ort zu Ort, von

Workshop zu Workshop und schlief bei Freunden oder un-ter Brücken. Er beschäftigte sich intensiv mit der Arbeit desbrasilianischen Pädagogen Paulo Freire, dessen Alphabeti-sierungsprogramme Millionen von Menschen Bildung ge-bracht hatten. Aus dem Wunsch nach einer einfachen Lehre,um Menschen zu befähigen, konstruktiv für die Erfüllungihrer Bedürfnisse einzutreten und ein sinnvolles Leben zuführen, entstand Ende der 60er-Jahre die Urform der Ge-waltfreien Kommunikation.

Aus dieser Zeit stammen die ersten Veröffentlichungen vonRosenberg, die seine Arbeit mit Kindern und in sozialen Gemeinschaften reflektieren. Das neue Jahrzehnt leitete fürRosenberg eine experimentelle Lebensphase voller Selbst-erfahrung und Brüche ein. Hervorzuheben sind die Zusam-menarbeit mit Al Chapelle („die einflussreichste Person inmeinem Leben“) und die „Feminisierung des GFK-Mo-dells“.

Al Chapelle, Anführer einer schwarzen Gang, und Rosen-berg gerieten sich Anfang der 70er-Jahre bei einer Stadt-teilkonferenz heftig in die Haare. Rosenberg hörte ihm während dieser Auseinandersetzung lange empathisch zu.Anschließend bat Chapelle Rosenberg, ihm den Empathie-Prozess beizubringen. Die beiden schlossen ein Abkom-men: Rosenberg lehrte Chapelle die GFK, dafür begleiteteChapelle Rosenberg bei Konflikt-Vermittlungen in ameri-kanischen Großstadt-Ghettos. „Al Chapelle lehrte mich,wie man zu den Menschen herüberkommt, ihre Sprache zusprechen, einen Style zu entwickeln.“

Die Feminisierung des GFK-Modells wurde insbesonderedurch Vicki Legion, Uta Simons, Annie Muller und Rosen-bergs zweite Ehefrau Gloria ausgelöst. In den Beziehungenzu diesen Frauen hinterfragte Rosenberg sein neues Imageals männlicher Underground-Star, in dessen Glanz er sichsonnte. Vicki Legion bezeichnet er als „beste Lehrerin zumThema Sexismus. Sie kritisierte mich ständig. Es war wun-dervoll“. Mit Gloria praktizierte er eine neue Form der Be-ziehung, in der beide eine Gleichzeitigkeit von Liebe undEigenständigkeit anstrebten. Und während das GFK-Mo-dell seinen Fokus stets auf Probleme gerichtet hatte, brachteUta Simons eine neue Komponente des Feierns und derWertschätzung in die GFK ein. Durch sie erfuhr Rosenberg,„wie man Schönheit und Freude in die Welt bringt“.

Annie Muller machte Rosenberg Anfang der 80er-Jahremit dem spirituellen Gehalt seiner Arbeit vertraut. Die warihm bis dato nicht bewusst. „Empathie kann Wunder be-wirken. Diese Kraft ist immer da und man kann sich mitihr zu jeder Zeit verbinden.“ Und er räumte angesichts sei-ner öffentlichen Wahrnehmung ein: „Darüber zu sprechen,macht mir wirklich Angst.“ In einem Zeitungsartikelwurde er als Kreuzung aus Rasputin (russischer Geisthei-

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:58 Seite 16

Page 8: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

4/2014 Kommunikation & Seminar 17

tigkeit geprägt. Die Liste der Orte und Länder, in denen Ro-senberg Workshops gegeben und GFK-Trainer ausgebildethat, ist beeindruckend lang. Sein Einfluss auf soziale Be-wegungen, die sich mit Konfliktvermittlung beschäftigen,ist immens. Inzwischen wird die Gewaltfreie Kommunika-tion auch von Personalabteilungen in Wirtschaftsunterneh-men geschätzt.

Was Marshall Rosenberg nicht gelang, ist der Aufbau einerglobalen Organisation, die hohen Ansprüchen an Transpa-renz, Mitsprachemöglichkeit und Funktionsfähigkeit glei-chermaßen genügt. Seine geistigen Erben beschäftigen sichaktuell mit der Neuausrichtung des CNVC und möglichenKooperationen mit weiteren, in der Zeit des Zertifizierungs -stopps entstandenen GFK-Initiativen. Rosenbergs Wirkenhätte sicher den Friedensnobelpreis verdient. Doch selbstohne diesen Preis steht Marshall Rosenberg in einer Reihemit den großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. SeinLebenswerk breitet sich unablässig weiter aus. Es trug undträgt noch immer zur Entwicklung des menschlichen Be-wusstseins bei.

Quellen• Artikel in „Social Change, Vol. 1, No.2, 1971“ mit dem Titel:

„Community Psychology as applied by a clinician“, verfasstvon Marshall Rosenberg

• Artikel „Alliances for Nonviolent Communication“ von Mar-shall Rosenberg

• Dissertation „Life History Studies of Committed Lives“ vonMarjorie Cross Witty (1985);

• Interview mit Marshall im April 1992, verfasst von Guy Spiro• Interview mit Marshall vom 17. bis 20. Oktober 1996, ver-

fasst von Reiner Steinweg (Friedensforschung Linz)• Buch „Gewaltfreie Kommunikation“ von Marshall Rosenberg

(Junfermann, 2001)• Marshall Rosenberg-Biografie von Martin Rausch 2003• CNVC-Biografie Marshall Rosenberg• diverse DVDs und Fernsehmitschnitte

Al Weckert, Autor von „Gewaltfreie Kommu-nikation für Dummies“ (Wiley) und „Tanz aufdem Vulkan“ (Junfermann). Kontakt: www.empathie.com/blog

ler) und Billy Graham (amerikanischer Erweckungspredi-ger) verspottet.

Die 80er-Jahre sind für Mar-shall Rosenberg und das Mo-dell der Gewaltfreien Kom-munikation die Zeit der Kon-solidierung. 1983 erscheintdie erste (noch sehr schmale)Fassung von „A Model forNonviolent Communication“,in der die vier Schritte derGFK beschrieben werden.1984 gründet Rosenberg inSherman, Texas, seine eigeneOrganisation: das Center forNonviolent Communication(CNVC). Kurze Zeit daraufführt Rosenberg die bekann-

ten Handpuppen ein – zunächst Schakal und Ente, später Gi-raffe und Wolf.

1985 lädt der Arbeitskreis Friedenserziehung in MünchenRosenberg erstmals nach Deutschland ein.1 „AusgerechnetMünchen“, erinnert sich Rosenberg, „die Stadt der Bewe-gung.“ Er denkt zurück an seine Zeit in Detroit, wo er fürseine jüdische Herkunft verprügelt wurde. „Nach Deutsch-land zu kommen und so warmherzig empfangen zu werden,war etwas ganz Besonderes für mich.“

Der Durchbruch für die GFK in Deutschland gelang Mar-shall Rosenberg durch einen Auftritt beim evangelischenKirchentag 1992. Das Interesse war so stark, dass der Vor-trag in eine große Kirche verlegt werden musste. 2001wurde das Buch „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Spra-che des Lebens“ in Deutschland veröffentlicht.2 Mit fast300.000 ver kauften Exemplaren entwickelte es sich zu ei-nem Bestseller. Nur ein Jahr später startete der offizielleTrainer-Zertifizierungsprozess in Deutschland, der 2007aus unterschiedlichen organisatorischen Gründen ausgesetztund erst 2012 wieder aufgenommen wurde.

Die Zeit zwischen der Gründung des CNVC 1984 und demgesundheitlich bedingten Rückzug Marshall Rosenbergs insPrivatleben 2011 ist von einer ununterbrochenen Reisetä-

1 Initiatorin dieses Treffens war Isolde Teschner. Siehe die beiden Interviews mit ihr in dieser Ausgabe, Seite 23, sowie im Heft1/2011, S. 22: „Ein anderer Weg zum Frieden“.

2 Junfermann, Paderborn.

Foto: © Etan J. Tal

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:58 Seite 17

Page 9: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

Manchmal läuft es so: Ich habe ein Fest ausgerichtet,bei dem ich an alles gedacht habe, damit sich meine

Gäste wohlfühlen. Und zum Abschied höre ich dann: „Eswar echt schön bei dir!“

Natürlich freue ich mich darüber. Doch da ich mich inzwi-schen intensiv mit der Gewaltfreien Kommunikation be-schäftigt habe, möchte ich viel mehr erfahren, wozu kon-kret ich bei meinen Gästen beigetragen habe.

Wenn ich mich so umhöre, merke ich, dass es anderen mitsolcherart Pauschalbewertung ähnlich geht. Ich habe dar-aufhin ein Format entwickelt, mit dem wir die Aussage: „Es

war echt schön bei dir!“ so nachwirken lassen können, dassechte Wertschätzung daraus entsteht, die guttut und mitEnergie und Tatendrang erfüllt. Der Schlüssel dazu ist derZugang zu den Bedürfnissen. Ich nenne das Format „Kraft-quelle Wertschätzung“ und stelle es hier vor.

Dafür schaffen Sie sich selbst ein sogenanntes Bodenpar-kett, indem Sie zunächst die Karten schreiben oder aus-drucken, wie sie im Übersichtsdiagramm auf S. 42 abge-bildet sind. Sobald die Karten auf dem Boden liegen, neh-men Sie sich einen Wollfaden oder ein Band und legen esum all die Karten herum. Das ist der Rahmen, Ihr persönli-cher Raum, in dem sich alles Weitere abspielt.

4/2014 Kommunikation & Seminar 41

Danke für das schöne Fest

Wie aus Lob und Komplimenten echte Anerkennung entstehen kann. „Kraftquelle Wertschätzung“ als GFK-Format.

Von Yan-Christoph Pelz

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:59 Seite 41

Page 10: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

Sie treten auf den Rahmen und sagen vor sich hin: „Ichmöchte jetzt herausfinden, zu welchen Bedürfnissen ich beiRita beigetragen habe, indem ich sie zu meinem Fest ein-geladen habe, und welche Wertschätzung darin für michsteckt.“ Mit dieser formulierten Absicht betreten Sie dasBodenparkett und gehen zunächst auf die Karte Die positiveBewertung (Lob, Kompliment, …) hören. Hier wiederholenSie den oben genannten Satz: „Es war echt schön bei dir!“oder sagen: „Rita hat sich bei mir bedankt.“ Auf dieserKarte kommt es (noch) nicht so auf die Wortwahl an.

Dann treten Sie auf die Karte Was genau habe ich gehört,gesehen, …? Wahrnehmung. Hier geht es darum, sich denWortlaut zu vergegenwärtigen, wie Rita sich beim Abschiedausgedrückt hat. Das könnte z. B. sein: „Danke für die Ein-ladung. Es war mal wieder so richtig schön bei dir!“ Viel-leicht haben Sie gesehen, wie Rita Sie anlächelte und ihreAugen strahlten, als sie das sagte.

Suchen Sie sich eine einzige Wahrnehmung aus – am bestendiejenige, die Sie am meisten berührt, und gehen nun aufdie Karte Wie geht es mir damit? Gefühl. Hier erkunden Sie,wie Sie innerlich reagieren, welche Körperempfindung Siewahrnehmen, wenn Sie Ritas Satz oder ein Wort darauswiederholen oder sich ihre Mimik vergegenwärtigen. Viel-leicht fühlt es sich irgendwo in Ihrem Körper offen an oderwarm. Vielleicht kommen Ihnen Worte wie: bewegt, erfreut,dankbar, froh, glücklich, lebendig, zufrieden, vergnügt …

Damit gehen Sie einen weiteren Schritt nach vorn auf dieKarte Was erfüllt mir das? Bedürfnis. Spüren Sie in sich hin-ein, welche Bedürfnisse erfüllt sind, wenn Sie sich verge-genwärtigen, auf welche Weise Rita ihre Dankbarkeit Ihnengegenüber ausgedrückt hat. Das könnte z. B. sein: Nähe, Zu-gehörigkeit, Gemeinschaft oder einfach auch Wertschätzung.

Nun kann es passieren, dass gerade in dem Bereich von Ge-fühlen und Bedürfnissen Gedanken auftauchen. Sie sollenin diesem Prozess Raum bekommen. In unserem Beispielkönnte es z. B. sein, dass Ihnen der Gedanke kommt: „Ach,das war doch keine Sache mit dem Fest, das habe ich dochschon oft gemacht.“ Oder auch ein Gegengedanke wie:„Jetzt genieß doch einfach mal, dass du das so prima hin-bekommen hast!“ Diesen Gedanken wird hier der Raum ge-geben, sodass sie gehört werden; sie werden an dieser Stellejedoch nicht weiter verfolgt. Denn solche oder ähnliche Ge-danken hindern Sie daran, die Wertschätzung zu spüren.

In diesem Bodenparkett ist die Karte Wertschätzung, vollund ganz genießen die zentrale Karte – denn es geht darum,die Wertschätzung, also den Beitrag zu Ihrem Leben oderdem anderer Menschen und die Energie, die Ihnen darauserwächst, in vollem Umfang zuzulassen und ausgiebig zugenießen. Daher nehmen Sie sich auf dieser Karte ruhig et-

was Zeit. Vor allem dann, wenn Sie es nicht gewohnt sind,Wertschätzung ganz generell oder auch so viel Wertschät-zung auf einmal zu erleben.

Wenn Sie diese Momente ausgekostet haben, können Siesich aussuchen, ob Sie zusätzlich noch ausloten möchten,was Sie mit der neu gewonnenen Energie sich selbst, IhrerFreundin Rita oder einem anderen Menschen sagen möch-ten. Dafür würden Sie nach rechts auf die entsprechendeKarte gehen. Sie könnten Rita beim nächsten Telefonatz. B. sagen: „Danke für deine Umarmung und deine Wortebeim Abschied von der Feier. Das ermutigt mich, so etwasnoch öfter zu machen.“ Oder Sie könnten zu sich sagen:„Wow, das tut mir ja echt gut mit der Wertschätzung! Ichhole mir so etwas noch öfter!“ Vielleicht fällt Ihnen nochetwas ganz anderes ein, das Sie einem anderen Menschensagen könnten.

Auch auf der Karte Was könnte ich mit der neu gewonnenenEnergie tun? geht es darum, sich einfach mehrere Mög-lichkeiten auszudenken, was Sie mit dieser Energie anstel-len könnten. Die Ideen können ruhig auch ein bisschen ver-rückt sein. Denn hier sind Sie im Raum des Unverbindli-chen – Sie malen sich nur etwas aus, ohne es gleich in ir-gendeiner Form umsetzen zu wollen.

42 Kommunikation & Seminar 4/2014

TITEL Danke für das schöne Fest

Kraftquelle Wertschätzung

Gibt es etwas, das ich jetzt mit dieser Kraft

der Wertschätzung tun möchte?

Was könnte ich mit der neu gewonnenen

Energie tun?

Was könnte ich mit

der neu gewonnenen Energie sagen?

Wertschätzung

voll und ganz genießen

Was erfüllt mir das?

Bedürfnis

(Gegen-) Gedanken

Gedanken

Wie geht es mir damit?

Gefühl

Was genau habe ich gehört, gesehen

Wahrnehmung

Die positive Bewertung (Lob, Kompliment)

hören

© 2014 Yan-Christoph Pelz, inspiriert von M. B. Rosenberg, Bridget Belgrave, Gina Lawrie und vielen anderen Menschen

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:59 Seite 42

Page 11: Gut und böse - Kommunikation & SeminarIsolde Teschner im Interview. Von Markus Dietl und Gudrun Haas 26 Heilen und Wachsen Der Dialog nach David Bohm und die GFK von Marshall Rosenberg

Wenn Sie genug davon haben, können Sie zum Abschlussoptional noch auf die Karte ganz oben gehen und sich fra-gen: Gibt es etwas, das ich jetzt mit dieser Kraft der Wert-schätzung tun möchte? Das kann eine der Möglichkeitensein, die Sie sich soeben vorgestellt haben, – oder es fällt Ih-nen spontan etwas ganz anderes ein. Wichtig hierbei ist nur,ob Sie spüren, dass Sie es genau jetzt, direkt im Anschlussan diesen Prozess, tun möchten.

Es gibt noch eine zweite Möglichkeit, die „KraftquelleWertschätzung“ für sich zum Sprudeln zu bringen. Undzwar, sich in die Freundin Rita hineinzuversetzen oder,wenn sie bereit ist mitzumachen, sie selbst mit diesem Bo-denparkett zu ihren erfüllten Bedürfnissen zu befragen. Washat sie auf der Feier konkret erlebt, das sie dazu brachte zusagen, wie schön es für sie war? Wenn Rita dabei ist, dannbesteht die Chance zu erfahren, was gut auf sie wirkte. DieDekoration oder das ansprechende Buffet oder die Tatsa-che, dass sie sich angeregt unterhalten konnte. Und Sie er-fahren, welche Bedürfnisse sich damit für sie und vermut-lich eben auch für andere erfüllten.

Ohne Ihre Freundin stellen Sie sich auf die Karte Wert-schätzung voll und ganz genießen und freuen sich an denBedürfnissen, zu deren Erfüllung Sie beigetragen haben. Istdie Freundin dabei, fragen Sie sie, was ihr am meisten ge-fallen hat und begleiten sie durch die Bodenkarten. Wennsie auf der Wertschätzungskarte steht, freuen Sie sich ein-fach mit ihr mit!

Des Weiteren können Sie das Bodenparkett dazu nutzen,selbst eine Wertschätzung jemandem gegenüber auszu-drücken, die nicht nur als allgemeines Lob bzw. formalesKompliment wirkt. Nehmen wir an, dass Ihre Freundin ei-nen Salat mitgebracht hat. Sie hören sich zunächst genauan, wie Sie Ihre Reaktion darauf als Lob oder Komplimentformulieren und gehen dann, ähnlich wie in unserem Bei-

spiel, durch die einzelnen Karten, um am Ende auf eineFormulierung zu kommen, die für Sie wie eine Wertschät-zung klingt.

Als Begleiter anderer Menschen durch die „KraftquelleWertschätzung“ dachte ich anfangs: Ach, na ja, bei derWertschätzung geht es ja um erfüllte Bedürfnisse, das istbestimmt ganz einfach. Dass dies nicht unbedingt der Fallist, gehört zu meiner wichtigsten Erfahrung mit diesem For-mat. Vielen Menschen fällt es schwer, Lob oder ein Kom-pliment anzunehmen. Und es fällt ihnen durchaus auchschwer, die volle Energie der Wertschätzung zu spüren undzu genießen.

Daher ist es so wichtig, den Gedanken und GegengedankenRaum zu geben. Die sorgen dafür, dass die begleitete Per-son in diesem Prozess innerlich im Gleichgewicht und damitinsgesamt bei der Sache, also bei der Wertschätzung, bleibt.

Es lohnt sich in jedem Falle, sich mit erfüllten Bedürfnis-sen zu beschäftigen und deren Wirkung bewusst mitzube-kommen. Denn entweder stoßen Sie dabei auf unerfüllteBedürfnisse, von denen Sie noch gar nichts wussten, undkönnen sich dafür Unterstützung (z. B. auf einem der GFK-Tanzparkette) holen. Oder Sie entdecken dadurch Wert-schätzung ganz allgemein als Energiequelle und als Aus-gleich für das, was in Ihrem Leben vielleicht nicht ganz sorund läuft.

4/2014 Kommunikation & Seminar 43

Yan-Christoph Pelz, Konferenzdolmetscher,lei tet seit 2007 Übungsgruppen und Vertie-fungsseminare in Gewaltfreier Kommunika-tion. Website: www.beo-sprachendienste.de

KuS-04-2014_JM_KuS-2014 06.08.14 14:59 Seite 43