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hören, was dahinter steckt! Seite 1 © Saarländischer Rundfunk 2014// Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des SR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Dunkelkammer Psychiatrie Von Heiner Dahl Besetzung: Sprecherin: Andrea Hörnke-Trieß Sprecher 1: Volker Risch Sprecher 2: Frank Hofmann Technische Realisation: Beate Dürrschnabel und Karl-Heinz Runde Regie: Denise Dreyer Redaktion: Barbara Krätz Sendetermine 24. September 2. Oktober 2014 SWR 24.09./22:05/SWR 2

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hören, was dahinter steckt!

Seite 1

© Saarländischer Rundfunk 2014// Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb

der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des SR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt,

verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Dunkelkammer Psychiatrie Von Heiner Dahl

Besetzung:

Sprecherin: Andrea Hörnke-Trieß

Sprecher 1: Volker Risch

Sprecher 2: Frank Hofmann

Technische Realisation: Beate Dürrschnabel und Karl-Heinz Runde

Regie: Denise Dreyer

Redaktion: Barbara Krätz

Sendetermine 24. September – 2. Oktober 2014

SWR 24.09./22:05/SWR 2

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SR 27.09./17.04/SR 2

BR 27.09./13:05/BR 2 W: 28.09./21:05/BR 2

RB 28.09./16:05/Nordwestradio W: 02.10./21:05/Nordwestradio

NDR 28.09. /11:05/NDR Info

WDR 28.09./11:05/WDR 5 W: 29.09./20:05/WDR 5

HR 28.09./18:05/HR 2-Kultur

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OT1 aus der CD Stimmen im Kopf

Musik Prolog Track 1

OT 2 aus der CD Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus

Warum, wenn es Engel gibt, obliegt keinem davon die Aufgabe, Dinge die erst in der

äußersten Hölle vorkommen dürften, hier auf Erden zu verhindern.

OT3 Stein

Ich war ne gute Schülerin auf dem Gymnasium, es gab Konflikte zu Hause, da wurde ich

unter der Fehldiagnose Hebephrenie, das bedeutet Jugendirresein mit geistiger Retardierung

insgesamt fast vier Jahre in Psychiatrien in Frankfurt, Bremen und Gießen eingesperrt und

bekam Unmengen Psychopharmaka unter Zwang und Gewalt.

OT 4 aus der CD Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus

Dann musste ich ins Sprechzimmer. Dass dies einen Moment größter Gefahr für mich

bedeutete, merkte nicht mein Verstand, der ist ja gegenüber dem Psychiater gegenüber nicht

auf der Höhe, aber dies, dass ich momentan innen wieder scharf und wie auf der Schneide

eines Messers wurde, zeigte es mir an.

OT 5 Stein

Ich hab immer wieder versucht, mich zu wehren. Und das war wahrscheinlich mein Fehler.

Wer sich in der Psychiatrie wehrt, verliert. Man hat keine Chance, denn die Behandler sind in

der Überzahl.

OT 6 aus der CD Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus

Ich werde nun veranlassen - hier setzte er eine Weile aus, wahrscheinlich um mich mit Angst

vor seinen etwaigen Veranlassungen klein zu bekommen – dass Sie jeden Abend vor dem

Schlafengehen ein sehr heißes Bad bekommen. Das wird Sie mit der Zeit schon beruhigen.

OT 7 Stein

Man ist dem völlig ausgeliefert. Das Schlimme ist das Ausgeliefertsein.

Ansage

Dunkelkammer Psychiatrie

Ein Feature über den Verlust persönlicher Grundrechte

Von Heiner Dahl

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OT 8 aus der CD „Stimmen im Kopf“

Track3

OT 9 Stein (mit Atmo)

Ich hab ja Berge von Akten und Literatur und was weiß ich alles. Hier ist mein Schrank und

da hab ich eben viele Akten von den Gerichten und eben auch wissenschaftliche

Fachliteratur, dann die Unterlagen von den Gerichtsprozessen, die dann schließlich

irgendwann in manipuliert herausgegebenen Krankenakten usw. Hier ist noch ne Akte von

der wissenschaftlichen Fachliteratur. Genau, die mussten ja die Gutachten immer

zerpflücken.

Sprecher

Vera Stein, eine Frau in den besten Jahren. Ihre Erlebnisse in der Psychiatrie haben das

Gegenteil daraus gemacht. Sie bewegt sich im Rollstuhl. Ihre prall gefüllten Kranken- und

Gerichtsakten dokumentieren ein beschädigtes Leben. Vierzehn Mal hat Vera Stein vor

deutschen Gerichten um rechtliche Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht gekämpft. Bis

auf ein Urteil ist sie ausnahmslos gescheitert. Als Ursachen nennt sie unauffindbare

Krankenakten, falsche Gutachten und mangelnde gerichtliche Aufklärung. Dadurch sei sie

immer wieder ins rechtliche Aus geraten. Erfolg hat sie nur einmal: 2005 verurteilt der

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik Deutschland zu 75.000

Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Richter urteilen, deutsche Behörden sind

mitverantwortlich für die Rechtsverletzungen, die Vera Stein in der Psychiatrie erlitten hat.

OT 10 Stein

Der Staat war ja dann haftbar wegen Verletzung von Artikel 5 und 8 der Europäischen

Menschenrechtskonvention zu Schmerzensgeld und Zahlung von Gerichtskosten. Dann

haben wir ein Wiederaufnahmeverfahren gestellt. Das wurde abgelehnt. Dann haben wir

Bundesverfassungsbeschwerde eingelegt. Mein Anwalt hat beantragt, weil es sich um einen

existentiellen Schaden handelt, dass der Fall vorrangig bearbeitet wird. Ja und das hat beim

Bundesverfassungsgericht siebeneinhalb Jahre gedauert, bis es im letzten Herbst abgelehnt

wurde. Und jetzt haben wir uns wieder an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

gewandt und obendrein an das Ministerkomitee des Europarats.

Sprecher

Vera Steins anhaltender Kampf auf dem Rechtsweg betrifft Psychiatrieerfahrungen, die zum

Teil Jahrzehnte zurückliegen. Sie gesteht zu, dass sich die Verhältnisse in den Psychiatrien

inzwischen verändert haben. Manches habe sich zum Besseren entwickelt. Das

Hauptproblem aber ist nach ihrer Überzeugung geblieben.

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OT 11 Paetow

Zunächst ist es mal in der Bevölkerung weitgehend unbekannt, dass das ein Bereich ist, in

dem noch mit Zwang gearbeitet wird.

Sprecherin

Alexander Paetow, Rechtsanwalt, spezialisiert auf Betreuungsrecht und Patientenschutz.

OT 11 (Fortsetzung)

Das erlebe ich häufig bei Angehörigen. Die sich an mich wenden und die völlig erschüttert

sind, was mit ihren Angehörigen, die jetzt ne Betreuung bekommen haben oder

untergebracht worden sind, passiert. Die fallen da teilweise vom Glauben ab, weil sie damit

nicht gerechnet haben. Aus anderen medizinischen Bereichen kennt man einen solchen

Umgang nicht so.

Sprecherin

Peter Lehmann, Fachverleger für psychiatriekritische Publikationen, Träger des

Bundesverdienstkreuzes für sein Engagement gegen Zwang und Gewalt in der Psychiatrie:

OT 12 Lehmann

Die Leute, die in der Psychiatrie arbeiten, die wollen schon da arbeiten mit dem Impetus,

Menschen helfen zu wollen. Aber die Basis ist eben die Psychopharmaka und die Manpower,

die können sie dann vergessen. Also was nützt ihnen ein freundlicher Blick oder Händchen

halten, wenn sie unter Psychopharmaka stehen.

Sprecherin

Professor Asmus Finzen, ehemaliger Chefarzt einer psychiatrischen Klinik, Buchautor und

Vortragsreisender in Sachen Stigmatisierung und Diskriminierung von Psychiatriepatienten:

OT 13 Finzen

Es herrscht in verschiedenen Institutionen doch ein erschreckendes Maß an Willkür.

Meistens an gut gemeinter Willkür. Aber beim Kranken kommt das natürlich gleich an.

OT 14 Imagefilm DGPPN

OT 15 Hauth

Es gibt viele Mythen aus frühen Zeiten, natürlich auch Geschichten noch bis vor 30 Jahren,

die sich um psychisch Kranke rankten, es gibt natürlich auch viele Medieneinflüsse, ich sag

mal, dieser furchtbare Film „Einer flog übers Kuckucksnest“, aber auch viele andere, die von

den Medien gezeigt werden und psychisch Kranke immer noch ins Abseits stellen und mit

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Vorurteilen behaften, damit natürlich auch die Behandler, die Einrichtungen, die sie

behandeln. Und das ist was, wo wir alle dran arbeiten müssen. Wir als Fachgesellschaft tun

das.

Sprecherin

Iris Hauth, gewählte künftige Präsidentin des einflussreichen Interessenverbands „Deutsche

Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde“ kurz

DGPPN. Im Beruf Geschäftsführerin und Ärztliche Direktorin der St. Josefklinik für

Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Berlin-Weißensee.

OT 16 Atmo Klinik

Sprecher

Iris Hauth präsentiert ihr Haus als modern geführtes Vorzeigeprojekt mit lichten Farben,

hellen Räumen und offener Architektur. Offen zeigt sie sich auch für eine journalistische

Recherche in ihrer Psychiatrie, einschließlich der geschlossenen Station. Direkte Gespräche

mit Patienten, Stationsärzten, Therapeuten und Pflegern sind möglich. Nicht sofort, man

müsse das erst vorbereiten.

OT 17 Hauth

Wir können auch immer nur die Medien einladen, Informationen zu geben, aufzuklären, zu

entängstigen, denn - jeder dritte Kranke, jeder dritte Mensch in Deutschland hat mal im

Leben eine psychische Erkrankung. Und von daher ist es hilfreich, wenn diese

Stigmatisierung sich endlich mildert und reduziert wird.

Sprecher

Zweiter Besuch drei Wochen später. Nein, Oberarzt Stefan Rupprecht, der über

Zwangsbehandlungen berichten sollte, steht leider nicht zur Verfügung. Nein, in der

geschlossenen Station recherchieren, geht leider nicht. Nein, auch nicht Pfleger bei ihrer

Arbeit beobachten und mit Patienten Gespräche führen. Gespräche sind nur mit einer

Oberärztin der Tagesklinik und einem Pfleger außerhalb der Station möglich. Auf Grundlage

einer schriftlichen Vereinbarung mit acht Paragrafen. Die verlangt „die stetige Begleitung

eines krankenhauseigenen Mitarbeiters“ und droht mit „Verfolgung von Unterlassungs- und

Schadenersatzansprüchen“ im Falle „vertragswidriger Verwendung des Aufnahmematerials.“

Also keine direkten Eindrücke zu so kritischen Themen wie Zwangsunterbringung und

Zwangsbehandlung, nur die Möglichkeit, darüber zu sprechen.

OT18 Hauth

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Eine Zwangsbehandlung ist für alle Beteiligten, auch für die Ärzte und Therapeuten die

Worst-Case-Situation. Und insofern ist es natürlich von unserer Seite wichtig, dass das sehr

klar, transparent und offen und strukturiert abläuft. Damit das nicht so ein Gefühl ist: Ich

komm hier in eine fremde Welt, in der ich mit vielen Dingen überfallen werde und

traumatisiert werde. Es ist eben kein Überfallkommando, was kommt, sondern, was vorher

angekündigt wird, abgewogen und dem Patienten auch erklärt wird und danach noch erklärt

wird.

Sprecherin

In Deutschland werden heute jährlich über 200 000 Menschen gegen ihren Willen in die

allgemeinen Psychiatrien eingewiesen, doppelt so viel wie noch vor 25 Jahren.

Grundlage sind die betreuungsrechtlichen Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und die

Unterbringungsgesetze der Bundesländer – die sogenannten Psychisch-Kranken-Gesetze,

kurz PsychKG.

Nach Schätzungen der DGPPN werden zehn Prozent der Zwangsuntergebrachten auch unter

Zwang medikamentiert.

Psychiatriekritiker schätzen die Zahl weitaus höher.

Statistisch exakt erfasste Zahlen dazu gibt es nicht.

OT 19 Hauth

Wenn die Patienten in die Klinik kommen, werden sie natürlich von uns zunächst erst mal

aufgenommen und wir versuchen sie zu überzeugen, dass das sinnvoll ist, vertrauensbildende

Maßnahmen zu machen. Dann kommt manchmal vor der Aufnahme schon, oft auch erst am

ersten, zweiten Tag der Amtsrichter und spricht mit den Patienten und macht sich selbst ein

Bild.

Musiktrenner

OT 20 Hauth

Wenn die Entscheidung seitens des Amtsrichters gefallen ist, dass eine Zwangsbehandlung

stattfinden soll, muss das auch dem Patienten erläutert werden, welche Hintergründe sind,

auch mögliche Nebenwirkungen erläutert werden und dann ein sehr strukturiertes

Verfahren, was ganz klar dokumentiert wird, was gemacht wird, wie es gemacht wird, auch

mit dem Betreuer abgestimmt wird. Und das Wesentliche danach ist auch, wenn es dem

Patienten besser geht, das auch nachzubesprechen und deutlich zu machen, wir haben

abgewogen zwischen: wir lassen Sie weiter in diesem Zustand, oder aber: wir tun was. ..

Deswegen also die Gründe zu erläutern, weswegen es zu dieser Entscheidung kam ist ganz

wichtig, das im Nachhinein zu tun.

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Sprecher

Iris Hauth beschreibt den Idealfall eines Zwangseingriffs. Die Frage, ob das, was „erläutert

werden muss“ und „wesentlich ist“, auch nach Recht und Gesetz in alltägliche Praxis

umgesetzt wird, bleibt unbeantwortet.

OT 21 Paetow

Rein formal liegt die Entscheidung bei einer Unterbringung oder einer Zwangsbehandlung

beim Betreuer und muss dann im Zweifel gerichtlich genehmigt werden. De facto haben aber

die Ärzte im Krankenhaus einen sehr großen Einfluss. Die sind diejenigen, die häufig den

Anstoß geben für eine Betreuung und auch für eine Zwangsbehandlung.

Sprecherin

Alexander Paetow, Rechtsanwalt:

OT 22 Paetow

Sehr häufige Fallkonstellation ist, dass die Leute in irgendeiner Form auffällig werden. Sei es

im Straßenverkehr, sei es zu Hause, dass Nachbarn sich beschweren. Dann kommt es häufig

zunächst mal zu einer Psych-KG-Einweisung wegen akuter Eigen- oder Fremdgefährdung

z.B. Und der dann sich daraufhin anschließende Krankenhausaufenthalt, der wird dann

häufig genutzt, um ein Betreuungsverfahren durchzuführen, und zwar im Eiltempo. Dass die

Leute ruck-zuck gegen ihren Willen einen Betreuer bestellt bekommen, der dann diese

Unterbringung auf eine betreuungsrechtliche Unterbringung umstellt, die dann zeitlich in

der Regel auch länger möglich ist, als wenn es eine Psych-KG-Unterbringung wäre und eben

auch die Option beinhaltet, unter Umständen einer Zwangsbehandlung.

Sprecher

Besonders fragwürdig sind nach Paetows Einschätzung die sogenannten „Rückhaltungen“:

Patienten begeben sich freiwillig in ein psychiatrisches Krankenhaus, um sich stationär

behandeln zu lassen. Doch sehr schnell attestieren Ärzte einen akuten Krisenzustand mit

eigen- oder fremdgefährdendem Verhalten, der eine sofortige Zwangsunterbringung im

geschlossenen Bereich erforderlich macht. Gesetzliche Schutzvorschriften laufen in solchen

Fällen oft ins Leere.

OT 23 Paetow

Die Leute sind dann häufig völlig überfahren. Weil: Es geht ihnen gesundheitlich schlecht, sie

werden häufig gegen ihren Willen mit Medikamenten vollgepumpt, sind dadurch noch mal

zusätzlich eingeschränkt. Und genau in dieser Phase kommt dann der vom Gericht

beauftragte Sachverständige und soll sich ein Bild von den Leuten verschaffen und auch die

Betreuungsrichter kommen in dieser Situation vorbei.

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Sprecher

Schätzungsweise passiert das bei rund 20 Prozent der Patienten, die sich freiwillig in eine

Behandlung begeben. Nach Paetows Erfahrungen ist es selbst ihm als Anwalt fast unmöglich,

diese Rückhaltungen oder andere Grenzüberschreitungen später auf dem Rechtsweg zu

korrigieren.

OT 24 Paetow

Da hab ich das Gefühl, dass es so eine Art Zweiklassensystem gibt. Es gibt die normalen

Menschen und die psychisch kranken Menschen, die man gar nicht ernst nimmt.

Strafanzeigen gegen Psychiater sind nicht unbedingt opportun und stoßen auch nicht auf

großes Interesse bei der Staatsanwaltschaft. Im Zweifel wird einfach nur versucht,

ordnungsgemäße Ermittlungen zu suggerieren. Aber Tatsache ist, rechtlich wird eigentlich

gar nichts gemacht und nur nach Wegen gesucht, so was wieder recht schnell einzustellen.

Das ist schon erschreckend, muss ich sagen.

Sprecherin

Versuchen Ärzte, Richter und Betreuer überhaupt, sich in die Situation der Betroffenen

hineinzudenken? In ihr subjektives Empfinden? Speziell, welchen Unterschied es macht, ob

man sich freiwillig und selbstbestimmt in eine stationäre Behandlung begibt oder durch ein

medizinisch-juristisches Verfahren plötzlich hinter Schloss und Riegel einer geschlossenen

Station landet und dort die Behandlungen nur noch über sich ergehen lassen muss?

OT 25 Paetow

Das ist ja in allen anderen medizinischen Bereichen anders. Da ist das

Selbstbestimmungsrecht der Patienten anerkannt, im Bereich der Psychiatrie ist das eben

häufig anders. Ein Klassiker ist: Die Leute begeben sich freiwillig auf eine psychiatrische

Station und dann wird ihnen gedroht, wenn sie jetzt wieder den Wunsch äußern zu gehen,

oder Anstalten machen zu gehen, dass die Klinik dann eine Unterbringung veranlassen wird.

Häufig ist das auch so eine Grauzone. Dass die Leute quasi legal genötigt werden, freiwillig

da zu bleiben. Das heißt, es gibt häufig keinen Unterbringungsbeschluss, aber die Leute

werden unter Druck gesetzt, wenn sie Anstalten machen oder versuchen dann zu gehen,

müssen sie damit rechnen, dass dann Zwang angewendet wird.

OT 26 Wojke

2008 ist mir das passiert. Ich war freiwillig in der Klinik. Dann wurde aber doch /die

Unterbringung angeordnet. …

Sprecherin

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Reinhard Wojke, seit vielen Jahren Psychiatriepatient und Aktivist in der „Berliner

Organisation Psychiatrie-Erfahrener und –Betroffener“.

weiter OT 26 Wojke

… Dann wurde auch ne rechtliche Betreuung angesetzt, die ich eigentlich nicht wollte. Und

die Richterin, die dann das verhandeln wollte, für Fragen der Gesundheits- und

Aufenthaltsbestimmungsrecht, die hat einfach die Dreistigkeit gehabt, das auf dem Flur der

Klinik zu verhandeln.

Sprecher

Wojke spricht von einem festen Machtregime aus Ärzten und Juristen.

OT 27 Wojke

Der Richter, das ist ja immer noch der erste Punkt. Der kann auch sagen: ich seh das nicht so

wie der gutachtende Arzt das sieht. Der Richter muss sich auf seinen eigenen Sachverstand

aber auch auf sein eigenes Empfinden verlassen können und das auch zum Wohle des

Patienten entscheiden. Dabei find ich es wichtig, dass die Patienten vorher bei Anhörung

nicht mit Psychopharmaka behandelt werden, dass der Gutachter auch nicht der

behandelnde Arzt sein darf, die Unabhängigkeit des Gerichtes muss auch an der Stelle

gewahrt bleiben.

Musiktrenner

OT 28 Wojke

Wir brauchen einen Paradigma-Wechsel. Das Gott-in-Weiß-Ding, der Arzt, der anordnet, der

weiß, was gut ist für mich und das auch anordnet. Und wenn, mit Zwangsmitteln. Von

diesem Denken müssen wir weg. Ich als Betroffener weiß, wann’s mir gut geht, was mir gut

tut und was mir nicht gut tut. Und das sollte beachtet werden. Und es ist auch ein ganz, ganz

wichtiger Punkt für die Selbstbestimmungsrechte von Betroffenen, dass darauf Rücksicht

nicht nur genommen wird, sondern es müsste auch an erster Stelle stehen.

Sprecher

Im Berliner Stadtteil Schöneberg teilen sich Reinhard Wojke und die erste unabhängige

„Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie Berlin“ die Räume. Petra Rossmanith

kommt mit ihren zwei Mitstreitern bei den Beschwerden kaum nach. Gut 400 sind es pro

Jahr. Die Sozialpädagogin berichtet, Psychiatrieärzte hätten von Beginn an kritisiert, dass

eine solche Einrichtung außerhalb des medizinischen Versorgungssystems geschaffen wurde.

So etwas gebe es für körperlich Kranke ja auch nicht. Die Beschwerdestelle führe dazu, dass

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Psychiater noch mehr Arbeit mit Patienten hätten, die ohnehin nur mit viel Aufwand

behandelt werden könnten.

OT 29 Rossmanith

Ganz oft ist die Haltung, die mir in Kliniken von Ärzten begegnet, dass die Person ja

sozusagen, dass es gar nicht wert ist, mit der Person zu reden, da sie ja grad wahnhaft ist oder

völlig außer sich ist und dass eben erst mal über Medikamente, ne Ruhigstellung und dann

ne Situation geschaffen werden muss, dass überhaupt mal Anamnese möglich wird, dass

überhaupt möglich wird, mit der Person zu reden.

Sprecher

Petra Rossmanith zeigt prall gefüllte Ordner mit Beschwerden. Es geht um alltägliche

Sanktionen wie Verbote nach draußen zu gehen, zu telefonieren, den Entzug von

Taschengeld. Es geht um Medizinisches wie falsche Diagnosen, zu wenig Therapieangebote,

mangelnde Aufklärung. Es geht aber auch um gravierende Rechtsverletzungen. Obenan

stehen dabei Fälle von Zwangsunterbringungen und Zwangsbehandlungen. Etwa den einer

älteren Frau.

OT 30 Rossmanith

Es gab einen richterlichen Unterbringungsbeschluss. Es war alles richtig, also

formalrechtlich. Sie hat zwangsweise Elektroschocktherapie bekommen, was auch

abgesichert war durch ein Gutachten. Und dann war es aber so, dass der Betreuer nicht

erreichbar war, die Klinik sagte, die Unterbringung endete, die Klinik anregte, die

Unterbringung zu verlängern, die Frau drauf drängte, dass sie entlassen wird. Die Klinik sie

nicht entlassen hat. Und dann nach vier Tagen war ne neue Begutachtung durch nen Richter.

Dann gab’s auch nen neuen Unterbringungsbeschluss. Aber in den vier Tagen wurden auch

weiter zwangsweise Elektrotherapie gemacht. Also ohne Unterbringungsbeschluss. Sie hat

dann ne Strafanzeige gestellt und hatte aber das Problem, dass die Staatsanwaltschaft die

Ermittlungen nicht aufgenommen hat mit der Begründung: na, wenn sie vorher

untergebracht war und nachher untergebracht war, dann ergibt sich ja sozusagen aus so ner

Logik heraus, dass die vier Tage dazwischen auch nicht falsch waren. Also wie immer sie das

einschätzen, es ist einfach nicht entsprechend der Rechte.

Sprecher

Auch im Jahr drei ihres Engagements für Patientenbeschwerden muss Petra Rossmanith

immer wieder Psychiatrieärzten ausdrücklich sagen, dass Patienten tatsächlich Rechte

haben. Ganz egal wie anstrengend ihr Verhalten auch immer sein mag. Psychiatriepatienten

stecken in einer rechtlichen Zwischenlage, meint Rossmanith, irgendwie eingeklemmt

zwischen Ärzten und Juristen.

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OT 31 Rossmanith

Das löst natürlich so ne Hilflosigkeit aus und ein Gefühl, dass letztendlich nicht wirklich klar

ist, wer trifft die Entscheidungen und nach welchen Kriterien werden sie getroffen.

Sprecher

In Deutschland garantiert das Grundgesetz das Sozialstaatsprinzip. Damit sind auch die

Maßstäbe festgelegt, nach denen im Gesundheitswesen Tätige ihre Arbeit ausrichten müssen:

nach den Bedürfnissen der Menschen, die sie behandeln.

Sprecherin

Aus dem Abschlussbericht der Psychiatrie-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags.

OT 32 Zitator

Dem seelisch Kranken muss wie dem körperlich Kranken optimale Hilfe unter Anwendung

aller Möglichkeiten ärztlichen, psychologischen und sozialen Wissens gewährleistet werden.

OT 33 Hüge

Die Erfahrung die ich z.B. auch jetzt in Akutsituationen gemacht habe, wenn wir Klienten

begleiten, ist, dass natürlich an vielen Stellen diese Grundrechte abhandenkommen. Vor

allem in diesen Akutsituationen, wo erst mal eher zu dem Mittel der Wahl gegriffen wird und

das ist erst mal eher die Ruhigstellung. Erst mal sozusagen weniger Aufwand haben in der

Klinik oder weniger Aufwand machen. Und dass häufig eben diese Krankheit, oder diese

Krisennotsituation manchmal eben diese Grundrechte komischerweise überlagert.

Sprecher

Jenny Hüge engagiert sich im Berliner Netzwerk integrierte Gesundheitsversorgung für die

gemeinnützige PINEL-Gesellschaft. Die ist zwar fester Teil des psychiatrischen

Versorgungssystems, verfolgt aber einen grundsätzlich anderen Hilfeansatz. Ihr Angebot

ambulanter Hilfen setzt auf ethische Grundwerte. Gerade Psychiatriepatienten müssten sich

auf den Schutz der Grund- und Menschenrechte verlassen können.

Sprecherin

Erster Leitsatz der Pinel-Gesellschaft.

OT 34 Zitator

Psychisch kranke Menschen sind Bürgerinnen und Bürger mit allen Grundrechten wie

Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit.

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Sprecher

Jenny Hüge verweist auf die Ideen des Namensgebers Philippe Pinel. Der begründete in der

französischen Psychiatrie die „moralische Behandlung.“ Ärzte sollten ihre Patienten

befähigen, mit ihnen eine menschliche Beziehung aufzubauen. Sie selbst sollten eine

therapeutische Beziehung zu ihnen herstellen. Ein Ansatz, ebenso idealistisch wie sinnvoll.

OT 35 Hüge

Was mich immer wieder erstaunt, wenn man mit Ärzten spricht, dass diese die Überzeugung

da ist, Medikamente helfen und nichts anderes. Dass da merkwürdigerweise dieser Aspekt

„Was ist eigentlich Begleitung, menschliche Zuwendung, mit jemandem reden, dass dieser

Fokus von, das sind auch Menschen, die haben etwas erlebt, die haben häufig Traumata im

Hintergrund. Über die redet gar keiner mit diesen Menschen.

Musiktrenner

OT 36 Hüge

Und was mich auch oft überrascht hat, wenn man dann eben auch Menschen begleitet,

Klienten begleitet, z.B. mit dem Wunsch der Medikamentenreduzierung oder wenn sie mit

Behandlung unzufrieden sind, dass das dann auf die Diagnose zurückgeführt wird also nicht

als nachvollziehbarer Wunsch von Veränderung und eigentlich im eigenen Interesse und

Mitbestimmung: ich möchte etwas mitbestimmen, ich bin unzufrieden mit Begleitung,

sondern als Symptom der Erkrankung. Das erschreckt mich immer wieder.

Sprecher

Gesicherte statistische Daten über sämtliche Bereiche psychiatrischer Versorgung zu

erhalten, ist schier unmöglich. Bis heute gibt es in Deutschland keine wissenschaftliche

Grundlagenforschung zu Zwangsmaßnahmen. Dadurch bleiben wichtige Erkenntnisse über

ärztliche Maßnahmen und über rechtliche Entscheidungen, die tief in Grundrechte

eingreifen, weitgehend im Dunkeln. Etwa die Anzahl ärztlicher Zwangsbehandlungen pro

Jahr, die Menge und die Kombination verabreichter Medikamente, oder die Zahl von

Fixierungen und Isolierungen.

Sprecherin

September 2012. Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der

Bundestagsfraktion Die Linke und weiterer Abgeordneter zu Zwangsmaßnahmen.

OT 37 Zitator

Der Bundesregierung liegen keine Zahlen zur medikamentösen oder operativen Behandlung

von psychisch erkrankten Menschen ohne ihre Zustimmung vor. Für Deutschland gibt es

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derzeit keine belastbaren Zahlen darüber, wie viele Menschen in Deutschland ohne freie und

informierte Zustimmung behandelt wurden.

Musik

Sprecherin

Wie begreifen sich anerkannte moderne Psychiatrieanbieter selbst?

Wie setzen sie ihr Selbstverständnis in praktische Versorgung um?

Wie kommen psychiatrische Versorgung und Hilfeerwartungen der Patienten zusammen?

Sprecher

Zwei Monate lang Anfragen, um Einblicke in eine der drei großen Münchener Psychiatrien zu

bekommen. Zwei reagieren erst gar nicht. Liegt es am geäußerten Wunsch, nicht nur mit

Ärzten, sondern auch mit Pflegern und Patienten ohne fürsorgliche Begleitung sprechen zu

können? Dann doch noch eine Zusage.

Sprecherin

Professor Josef Bäuml, Chefarzt an der geschlossenen Station der Technischen Universität

München, per Mail an den Journalisten.

OT 38 Zitator

Wenn Sie an einer offenen Berichterstattung über die phantastischen Möglichkeiten bei der

Behandlung von psychisch kranken Menschen interessiert sind, sind Sie gerne eingeladen.

Sprecher

Josef Bäuml bittet zur Teilnahme an der Fachbesprechung seiner Abteilung mit der weiteren

Bitte, keine Tonaufnahmen zu machen. Am langen Ensemble zusammengestellter Tische

sitzen Ärzte, Therapeuten, Pfleger und Praktikanten. Die Patienten erscheinen in Gestalt von

Krankenakten, eine Assistenzärztin trägt die Behandlungsverläufe einzeln vor, im

wesentlichen sind es lange Aneinanderreihungen von Medikamenten und Dosierungen. Die

werden erhöht, gesenkt, ergänzt, neu kombiniert, weitere in Aussicht gestellt. Für keinen

Patienten sind weniger als fünf Medikamente vorgesehen, für viele sind es deutlich mehr. Die

fachlichen Beratungen folgen der Maxime: die Mischung macht’s.

Sprecher + Sprecherin

Wie viel von X verträgt sich mit Y? Soll man bei Patient A auf doppelt erhöhen und bei

Patient B etwas absenken? Oder umgekehrt? Wie viel verträgt Patient C von diesem

Medikament? Warum reicht die Dosis nicht bei Patient D? Wie hat Patient E bisher darauf

reagiert? Soll man dennoch dabei bleiben?

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Sprecher

Gut zwei Stunden dauert eine Veranstaltung, die anmutet, wie eine große Warenbörse für

psychopharmakologische Produkte. Am Ende die Gelegenheit, nach dem Verhältnis von

verabreichten Medikamenten und angebotenen Psychotherapien zu fragen.

OT 39 Bäuml

Unser wichtigstes Instrument ist zunächst mal die freundliche Zuwendung unserer

Schwestern, unserer Pfleger, Ärzte, der Psychologen, alle Mitwirkenden hier. Und wenn das

nicht mehr ausreichen sollte, wenn das nicht gelingt, eine Brücke des Vertrauens zu schaffen,

dass jemand zu wahnhaft ist und denkt, er wird hier hingerichtet, er ist von Agenten

umgeben, dann sind wir gerne bereit, die Angehörigen mit einzubeziehen, dass die ihren

guten Kontakt mit in die Waagschale werfen. Oft reicht es im akuten Stadium auch das nicht

mehr aus. Dann ist es ein Segen, wenn die Menschen die entsprechende Medikation

bekommen.

Sprecher

Kann es sein, dass der „Segen der Medikation“ mit Psychopharmaka im Vergleich zu

menschlicher Zuwendung einen alles überragenden Rang einnimmt?

OT 40 Bäuml

Psychiatrie ist ein riesiges Mosaik von lauter wunderbaren Einzelsteinen. Und die müssen je

nach Problemfall, je nach verschiedener Problemlage entsprechend zusammengesetzt

werden. Wenn die Erkrankung ganz akut ist, also wenn die Neurotransmitter sehr aus der

Balance geraten sind, dann ist der Einsatz von entsprechenden Medikamenten unabdingbar

neben der menschlichen Zuwendung und so weiter.

Sprecherin

Josef Bäuml spricht von der „Erste-Hilfe-Kraft“ der eingesetzten Psychopharmaka. Er ist

überzeugt, Medikamente müssten seine Patienten grundsätzlich zuerst in eine therapiefähige

Lage versetzen, sie beruhigen und entspannen. Erst danach könnten psychotherapeutische

Therapien eingesetzt werden.

Werden Patienten damit nicht geradezu gezwungen, den Medikamenteneinsatz vor jeder

anderen ärztlichen oder pflegerischen Maßnahme hinzunehmen?

OT 41 Bäuml

Wir versuchen alles mit sanfter Methode zu machen. Und ich würde sagen, in 95 Prozent der

Fälle gelingt es auch durch Überzeugungsarbeit, durch Geduld und durch einfach doch sehr

unkonventionelle individuelle Verhaltensweisen, den Menschen zu gewinnen, doch die

Medikation zu nehmen.

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Sprecher

Josef Bäuml sieht sich als Helfer für Menschen in Seelennot. Seine Psychiatrie begreift er

auch als einen Rückzugsort für Menschen mit psychischen Problemen, die durch eine Welt

mit immer mehr Stress aus der Bahn geworfen worden sind. Seine geschlossene Station

nennt Josef Bäuml „geschützte Station.“ Der Begriff passe einfach besser zum praktizierten

Umgang mit seinen Patienten. Dass einige nicht immer diese Art von Schutz annehmen

wollen und manche sich sogar massiv dagegen wehren, verbucht er unter

„krankheitsbedingter Uneinsichtigkeit.“ Auch für diese Ausnahmepatienten hat er das

passende Behandlungskonzept.

OT 42 Bäuml

Die sogenannten Zwangsmaßnahmen sind im Rahmen der Intensivbehandlung manchmal

nicht vermeidbar. Das machen wir aber dann so, dass die Patienten hinterher richtig belohnt

werden. Wenn jemand wirklich fixiert werden muss, dass jemand dabei ist, dabei bleibt und

ihm auch alle Annehmlichkeiten anbietet. Und wir machen hinterher, wenn die Medikation

wirkt, auch sofort ein Klärungsgespräch. Versöhnungsgeste – auch ein Versöhnungsessen.

Wobei wir dann ganz klar sagen: Die Maßnahme, da konnten wir nichts ändern. Das musste

sein. Aber, dass wir jemanden gegen seinen Willen fixieren mussten oder Medikation

verabreichen mussten, das tut uns sehr leid, dass es uns nicht gelungen ist, das auf

Kulanzweg zu schaffen.

Sprecherin

Mai 2012. Aus der Expertenanhörung der Zentralen Ethikkommission bei der

Bundesärztekammer zu Zwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Versorgung.

OT 43 Zitator

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob es eine medizinische Indikation für

Zwangsmaßnahmen gibt. Davon ausgehend, dass gerade psychische Krankheiten immer

auch sozial konstruiert sind und damit abhängig von sozialen Normen, ist es naheliegend,

dass Zwang primär sozial indiziert ist.

Sprecher

Mediziner der Psychiatrie versuchen seit Jahren, dem naturwissenschaftlichen Anspruch der

somatischen Medizin gleichzukommen. Sie erklären psychiatrische Erkrankungen für

messbar. Das wird an dem Bemühen deutlich, seelische Probleme allein auf körperliche

Ursachen wie Stoffwechselstörungen im Gehirn zurückzuführen.

OT 44 Bäuml und Patientin

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Ja ich hab wieder Stimmen gehört. Ganz plötzlich. Ziemlich deutlich.

Was haben die gesagt?

Böse Sachen wie immer. Das ich halt en mieser Mensch bin und ich soll mich doch

umbringen usw. usf. Ich war total geschockt und ich kann allein mit den überhaupt nicht

umgehen.

Bezüglich Medikation, wie haben Sie es da gehalten in letzter Zeit?

Ja ich hab immer die 10 mg von dem Zyprexa geschluckt, am Abend, aber gestern Abend

dann 20 mg. Ich werd damit nicht fertig alleine. Ich kann mir nichts vorstellen, mein Kopf ist

untersucht bis zum geht nicht mehr. Das sind Halluzinationen, akustische.

Wodurch entstehen die?

Das weiß ich nicht.

Durch eine Änderung im Nervenstoffwechsel.

Aha.

Prima, dass sie gleich gekommen sind.

Wie ist ihre Stimmung?

Ich bin natürlicher entsetzt, weil ich war ja monatelang in der Psychiatrie und hab alles

Mögliche gemacht und jetzt bin ich wieder soweit wie am Anfang so ungefähr. Also des

brauch ich ja nicht unbedingt.

Also wir freuen uns, dass Sie wieder…äh, dass wir Sie wieder sehen und wir hoffen, dass es

diesmal schneller geht und sie bald wieder stabil sind

Ja. Des wär schön.

Sprecher

Josef Bäuml präsentiert seine Visite als gut funktionierendes Ablaufprogramm. Alle

Patienten erscheinen zu dieser Art von Problembesprechung wie in eingeübter Routine. Alle

geben sich fügsam, alle reden langsam, alle blicken dabei ins Nirgendwo. Nur eine junge Frau

stört das Einerlei der Visite. Sie verbittet sich den Journalisten dabei, fragt mit grimmigem

Blick, was er überhaupt will. Einblicke in die Psychiatrie nehmen? Hier geschehen schlimme

Dinge, antwortet sie im Gehen. Später schlurft sie mehrfach den Weg von ihrem Zimmer zur

verschlossenen Eingangstür, hält dort inne, geht zurück, kommt wieder. Ein Mann mit

Lockenkopf tut es ihr gleich, verharrt an der Stahltür, stößt mit gesenktem Kopf dagegen und

sagt seine immer gleichen Sätze: „Mir ist alles zu eng. Ich will hier raus.“ Beide Patienten und

danebenstehende Pfleger zu befragen, möchte Josef Bäuml.

OT 45 Bäuml Atmo Flur

(Mehrere Stimmen durcheinander)

dann Bäuml:

Ich muss ein bissel in Schutz nehmen, sie ist ganz neu noch, und ich sie nicht in die Situation

bringen, die ihr übern Kopf wächst oder wo sie in Stress kommt.

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(Mehre Stimmen durcheinander)

Sprecherin

Sollen in Josef Bäumls geschlossener Station problematische Phänomene unsichtbar

bleiben?

Dürfen Patienten seine „Alles-ist-gut-Präsentation“ nicht eintrüben?

Ist allein makelloser Behandlungserfolg die vorzeigbare Wirklichkeit?

OT 46 Bäuml

Ich kann mich eigentlich an gar keinen Fall erinnern, dass jemand nachhaltig verbittert von

hier gegangen wäre. Wenn man das ausführlich bearbeitet hinterher, sind alle Patienten

eigentlich hinterher froh und sagen „Gott sei Dank, habt ihr mich nicht im Stich gelassen,

Gott sei Dank habt ihr mir geholfen.

Sprecher

Josef Bäuml ist überzeugt, dass die Behandlungserfolge seiner Fachrichtung nicht

gebührend anerkannt werden. Anders als Ärzte, die körperliche Krankheiten versorgen,

könnten Psychiater ihre Ergebnisse nicht gut präsentieren. Psychiater könnten vor allem

nicht nach dem üblichen Vorher-Nachher-Schema demonstrieren, wie krank ihre Patienten

in die Kliniken kommen und wie gesund sie diese wieder verlassen. Folge sei das geringe

öffentliche Ansehen der Psychiatrie.

OT 47 Bäuml

Des tut mir wahnsinnig leid, dass so ne Meinung da ist, weil es natürlich auch für das Image

unserer Patienten eine Katastrophe ist, die sagen uns, wenn ich des so anschaue, Wahnsinn,

so toll ist es bei euch hier. Dieses Dilemma ist furchtbar.

Sprecher

Eines ist in Bäumls geschützter Psychiatrie nicht zu übersehen: Patienten, die von der

medikamentösen Behandlung profitieren. Allein schon die großen Erfolge der jüngeren

pharmakologischen Forschung lassen nichts anderes erwarten. Offene Fragen bleiben

dennoch.

Sprecherin

Ist Josef Bäumls glanzvoll präsentiertes Bild der Psychiatriewirklichkeit vollständig?

Gibt es zu seiner Wirklichkeit auch eine weniger glanzvolle Gegenwirklichkeit?

OT 48 Carmen

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Man muss in der Psychiatrie sehr aufpassen, was man tut und was man sagt, das ist meine

Erfahrung, dass es eben nicht dazu kommt, dass man doch nen Beschluss bekommt und eben

seine Rechte ganz verliert. In der Psychiatrie gibt’s eben dieses Sanktionsverfahren, man

selber verliert seine Autonomie und seine Selbstbestimmung, man muss eigentlich das

machen, was die Ärzte sagen, wenn nicht, gibt’s Sanktionen, bis man eben dann freiwillig, ja

gezwungenermaßen eben die Medikamente dann auch nimmt.

OT 49 Ulrike

Man ist mit mir umgegangen wie mit einem Gegenstand, also nicht wie mit einem Menschen

und schon gar nicht wie mit einem kranken Menschen, der Hilfe benötigt. In dem Moment,

wo ich dann auf Station war und mit den Ärzten die ersten Gespräche hatte, war ich so

verängstigt und eingeschüchtert von der ganzen Situation, dass ich angefangen habe zu

bunkern. Angefangen zu bunkern heißt, ich hab nur das Notwendigste gesagt und zugegeben.

OT 50 Margie (verfremdet)

Gewalterfahrung passiert auch deswegen, weil die Pfleger im Grunde genommen direkt an

der Front arbeiten permanent überfordert sind, weil zu wenige, weil üble Schichtdienste et

cetera, diese Überforderung bedingt dann Willkürliches und auch gewaltvolles Vorgehen aus

Hilflosigkeit, meine Erfahrung zeigt, dass viele Pfleger, auch wenn sie gut motiviert sind,

frühzeitig ausbrennen, weil sie auch keine Unterstützung erfahren.

OT 51 Franz (verfremdet)

Ich hatte wirklich das große Glück, dass ich einen sehr guten Arzt erwischt habe. So einen

guten Arzt hab ich der ganzen späteren Zeit nie mehr gehabt. Und was war das

Ausgezeichnete an dem Mann? Der hat mit mir geredet. Obwohl ich verrückt war.

Sprecher

München, ein paar Tramstationen von der Psychiatrie der Technischen Universität entfernt.

In der Thalkirchner Straße treffen sich jeden Dienstag Psychiatrieerfahrene. Um sich

gegenseitig zu unterstützen und um anderen zu helfen, die von außen um Hilfe nachfragen

oder mitmachen wollen.

Sprecherin

Aus dem Vereinstext „Wo steht die Psychiatrie – und wohin geht sie?“

OT 52 Zitator

Aus Sicht von uns muss eine Vorfrage gestellt werden: Wo steht eigentlich der psychisch

kranke Mensch? Die schlichte, unverblümte Antwort lautet: Er steht im Dunkeln.

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OT 53 Carmen

Ich habe im Januar 2012 mein erste Psychiatrieerfahrung gemacht. Ich habe bei Aufnahme

unterschrieben, dass ich freiwillig dort untergebracht werde und wurde dann nach zwei

Tagen auf die geschlossene Station verlegt. Dort hat man mich dann nach zwei Tagen ohne

Vorwarnung einer Richterin vorgestellt. Ich war dann total schockiert, weil das kam ja total

plötzlich, ich hatte nichts Schlimmes gemacht und sollte dann quasi eigentlich keine Rechte

mehr haben, hatte das Glück, dass sich die Richterin dagegen entschieden hat, aber ich

musste dabei bleiben, dass ich freiwillig dort bin, weil sonst hätte ich einen Beschluss

bekommen und wäre gezwungen worden, eben dort bleiben zu müssen, aber indirekt war ich

ja trotzdem dann gezwungen.

Musik

OT 54 Carmen

Bei meinem zweiten Psychiatrieaufenthalt hab ich auch unterschrieben, dass ich freiwillig

dort bin, und man hat mich zu einem Bett gebracht und mir dann, ohne mich vorher zu

fragen, irgendwelche Medikamente in den Mund geworfen und die hab ich dann natürlich

ausgespuckt, weil ich dachte, was geben die mir, und ich hatte eher Todes- und

Sterbensängste und dann haben sie mich eben fixiert und mit ner Spritze dann Medikamente

gespritzt, wo ich immer noch nicht erfahren hab, was eigentlich genau war, ich hab das später

dann thematisiert mit der Fixierung und dann hab ich die Antwort bekommen, ja, wegen

missverständlichem Verhalten und keine weiteren Erklärungen dazu.

Musik

Sprecher

Alle Münchner Psychiatrieerfahrenen haben schon Medikamente bekommen, die sie als

therapeutische Hilfe akzeptieren können.

Alle haben dabei aber auch Verfahrensweisen erlebt, die sie nicht akzeptieren wollen, weil sie

damit zu Patienten zweiter Klasse gemacht wurden.

OT 55 Ulrike

Patienten haben viele Rechte in der Psychiatrie, Rechte, die im Grundgesetz festgeschrieben

sind. Nur, wenns darum geht, dieser Rechte auch habhaft zu werden, dann besteht keine

Möglichkeit, denn wenn ich fixiert bin, dann kann ich nicht mein Recht einfordern, mein

Recht auf Freiheit zum Beispiel, wenn ich medikamentiert bin, dann kann ich nicht mein

Recht auf Unversehrtheit einfordern, und, und, und: Von daher, die Art und Weise, wie in

der Psychiatrie behandelt wird und das Grundgesetz stehen in massivem Widerspruch

zueinander.

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Sprecher

Vieles erklärt sich aus dem Grunddilemma der Psychiatrie: Es ist ihre Doppelgesichtigkeit,

ihr doppelter Auftrag: Psychiatrie stellt sich nahezu ausschließlich als medizinischer

Heilberuf dar. Dabei ist sie durch Gesetze dazu verpflichtet, zugleich auch Polizei- und

Ordnungsmacht zu sein. In dieser Funktion behandelt sie Menschen wider deren Willen und

ersetzt deren Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung und Zwang. Zudem entzieht sie

als gefährlich definierten Menschen die Freiheit und fungiert dabei als Schutzmacht für die

Sicherheit der sogenannten Normalen. Nirgendwo sonst spitzt sich das Problem so zu wie in

dem Bereich, wo Psychiatrie und Strafrecht zusammentreffen.

OT 56 Nedopil

Das Problem ist tatsächlich der Maßregelvollzug. Dass tatsächlich die

Maßregelvollzugsgesetze völlig defizitär sind. Es gibt nur eine sehr begrenzte Lobby, also

überhaupt keine, die Patienten haben überhaupt keine, das muss man einfach mal so sehen,

weil da gibt’s viel publikumswirksamere Vorhaben als gerade der Maßregelvollzug.

Sprecher

Professor Norbert Nedopil leitet die Forensik an der Psychiatrischen Klinik der Universität

München. Er kritisiert fehlendes Wissen und laxe Maßstäbe von Juristen und Ärzten in

einem Bereich, in dem sie ganz einschneidend in Biografien eingreifen. Als Beispiel nennt er

psychiatrische und rechtliche Befunde zu den Paragrafen 20 und 21 des Strafgesetzbuches.

Dabei geht es um die Einweisung in den Maßregelvollzug, also darum, wer „schuldunfähig“

oder „vermindert schuldfähig“ ist.

OT 57 Nedopil

Es gibt Richter, die fragen einen sehr pauschal: liegt denn jetzt der 21 vor oder nicht? Wenn

man diesem Richter dann sagt, wissen Sie, das ist Ihre Aufgabe, das zu entscheiden, ich kann

Ihnen nur ein paar Voraussetzungen erklären, dann sind diese Richter unzufrieden und man

wird vor dieses Gericht nicht mehr gerufen.

Sprecher

Grundrechtseingriffe, mit denen man Menschen auf unabsehbare Zeit einsperren kann,

erfordern eine hohe moralische und menschenrechtliche Verantwortung. Bleibt die im

Zusammenspiel von Juristen und Gutachtern immer gewahrt, wenn Menschen als krank,

gestört und gefährlich definiert werden?

OT 58 Nedopil

Wenn der Gutachter mit der eigenen Meinung übereinstimmt, dann wird das relativ wenig

hinterfragt. Wenn er mal nicht mit der eigenen Meinung übereinstimmt, dann sieht man das

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viel kritischer und man hinterfragt mehr. Diese Verantwortungsdelegation führt häufig dann

zu einem Ping-Pong-Spiel, wo der Richter sagt, der Gutachter hat gesagt, und der Gutachter

hat gesagt, das ist aber ein richterliche Entscheidung, also keiner hat die Verantwortung für

das, was dann passiert ist.

Sprecherin

August 2013. Die Münchener Gutachterin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie,

Hanna Ziegert, in der ARD-Talksendung „Beckmann“ zum Fall Mollath.

OT 59 Ziegert

Ich wüsste nicht, ob ich mich jemals würde begutachten lassen…. muss ich sagen

Musik

OT 60 Ziegert

Manchmal kann man sogar so weit gehen, dass man sagt, ein Gutachten sagt mehr über den

Gutachter aus, als über den zu Begutachtenden.

Sprecher

Die Expertin antwortet auf die Frage, was geschehen muss, damit in Deutschland ein Mensch

auf Weisung eines Richters in der Psychiatrie verschwindet: Nicht sehr viel. Und ergänzt,

nicht sehr viel von dem, was fachlich und rechtlich ausschlaggebend sein müsste.

OT 61 Ziegert

Die Richter sind ja die – oder die Staatsanwälte – die den Gutachter auswählen. Und jeder

Gutachter ist im Allgemeinen schon eine Zeit im Geschäft und ist bekannt. Es ist bekannt,

welche Haltung zum Menschen er hat, es ist bekannt, welche psychiatrische Vorerfahrung er

hat, und es ist durchaus bekannt, zu welchen Ergebnissen wird er denn tendieren.

Sprecher

Hanna Ziegert verlangt, ausschlaggebendes Kriterium beim Erstellen psychiatrischer

Gutachten muss eine höchstmögliche fachliche Qualität sein. Allein schon wegen der hohen

Bedeutung für das weitere Leben der Probanden. Die Entscheidung, ob jemand im

Maßregelvollzug untergebracht wird oder nicht, hat für existenzielle Bedeutung. Doch von

entsprechenden Anforderungen an fachliche Akkuratesse und Sorgfalt der Gutachten sei man

weit entfernt.

OT 62 Ziegert

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Ein ganz wichtiges Kriterium ist die Geschwindigkeit der Fertigstellung des Gutachtens, was

bei vielbeschäftigten Gutachtern dann irgendwann schwierig wird, innerhalb kurzer Zeit ein

qualifiziertes Gutachten zu erstellen. Auch ein Kriterium ist, wie teuer ist ein Gutachten, wie

viel berechnet der Gutachter dafür, je nachdem wie viel ein aufschreibt wird das Gutachten

teurer oder billiger. Ich glaube, dass Qualität nicht ausschlaggebend ist, also Qualität wird

nur eins von vielleicht fünf, sechs, sieben Kriterien sein.

Sprecher

Hanna Ziegert beschreibt eines der gravierendsten Probleme des Maßregelvollzugs. Weil er

in einem rechtlich weitgehend unkontrollierten Bereich stattfindet, ist er auch anfällig für

fahrlässiges und verantwortungsloses Verhalten. Bis hin zum Missbrauch. Wenn Juristen

und Gutachter in diesem Bereich der vielen Grauzonen ihrer Verantwortung nicht gerecht

werden, können sie Menschen nahezu willkürlich „aus dem Verkehr ziehen.“

Musik

Sprecher

Der Fall Mollath hat manches davon exemplarisch an die Öffentlichkeit gebracht.

Seine Strafanzeige, seine Frau sei in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt, nahmen Psychiater als

Beweis, Mollath müsse unter einer wahnhaften Störung leiden. Der Chefarzt der forensischen

Klinik in Bayreuth attestierte sogar ein paranoides Gedankensystem. Als Beleg dafür mussten

jene Vorwürfe herhalten, die sich später als wahr erwiesen. Obwohl der Gutachter kaum

jemals mit Gustl Mollath gesprochen hatte, erklärte er ihn für allgemeingefährlich. Seine

Behauptungen deklarierte er als Befunde und stützte sie auf die Aussagen von Mollaths

Ehefrau und auf das, was er aus den Akten herauslas. Niemand hat diese Gutachten-

Attrappen im späteren Verlauf wirklich überprüft. Sie wurden einfach übernommen. Auch

vom renommierten Berliner Gutachter Ludwig Kröber. Er bestätigte sie ohne fachliche

Bedenken und ohne Mollath je gesprochen zu haben. Allen Beteiligten ging es immer nur um

eines: die Gesellschaft vor einem angeblich gefährlichen Menschen zu schützen.

OT 63 Nedopil

Im Grunde genommen hat sich das Sicherheitsbedürfnis so in den Vordergrund nach 1996

gedrängt, dass die Persönlichkeitsrechte oder Menschenrechtskonventionen überhaupt keine

Rolle mehr gespielt haben. Prototypisch der Satz: wegsperren für immer. Also das ist völlig

menschenrechtsfremd sozusagen und insofern bin ich auch der Publikumsauswirkung im

Fall Mollath durchaus dankbar, weil dadurch die Menschenrechtsfrage wieder mehr in den

Mittelpunkt gerückt ist. Und das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, der

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist wieder hochzuheben, das war vergessen worden.

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Sprecher

Auch im Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Regensburg , das - wie rechtlich

nicht anders möglich - mit einem Freispruch endete, erzielte Mollath keinen vollen Erfolg.

Einen der Tatvorwürfe sah das Gericht als erwiesen an, freigesprochen wurde Mollath nur

wegen möglicher Schuldunfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung. Immerhin

muss nicht mehr in die geschlossene Psychiatrie zurück; das Gericht hält ihn nicht für akut

gefährlich. Sein Fall ist das aufsehenerregende Beispiel dafür, wie eine Einweisung in den

Maßregelvollzug als rechtlich bemäntelte Variante von „Verschwinden-Lassen“ funktioniert.

Aber nicht haarsträubende Ermittlungsfehler, eine widersinnige Rechtsprechung am Rande

der Rechtsbeugung waren die Hauptursachen dafür. Es war die unkontrollierte Macht

psychiatrischer Gutachter mit ihrem grundrechtsverletzenden Gemisch aus Fern-, Blind- und

Falschdiagnosen. Angesichts der Tatsache, dass damit schicksalhafte Entscheidungen

getroffen werden und tiefe Eingriffe in Lebenswege verbunden sind, ist das für einen

Rechtsstaat ein nicht hinnehmbarer Zustand.

OT 64 Nedopil

Die Patienten haben Rechte, auf die man achten muss. Sie haben auch ein Recht auf

Information, auf was man achten muss. Es darf keine Willkür sein, all das hat sich ja

gewandelt, nicht durch Mollath allein, sondern auch durch Entscheidungen des

Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der hat einen wesentlichen Aspekt dazu

beigetragen.

Sprecher

Die erwähnten Gerichtsentscheidungen setzen der geballten Macht aus Juristen, Psychiatern

und Gutachtern Grenzen. Das ist dringend nötig. Denn:

Diese Macht kann Menschen unabsehbar lang die Freiheit entziehen, Zwangsmaßnahmen

und bewusstseinsverändernde Medikamente einsetzen.

Diese Macht muss der Überprüfung und Kontrolle unterworfen sein, damit sie kein

Gewaltregime wird.

Absage:

Dunkelkammer Psychiatrie

Ein Feature über den Verlust persönlicher Grundrechte

von Heiner Dahl

Es sprachen: Andrea Hörnke-Trieß, Volker Risch und Frank Hofmann

Technische Realisation: Beate Dürrschnabel und Karl-Heinz Runde

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Regie: Denise Dreyer

Redaktion: Barbara Krätz

Eine Produktion des Saarländischen Rundfunks für das ARD Radiofeature 2014

GEMA-Angaben:

BMG Atmos CD 156 LC 08510 Track 16 True Stories 1’00

Kosinus 238 LC 07131 Track 77 Danger Street 1’07

Universal Atmos CD 225 LC 08510 CD 1 Track 32 The End 1’20

“ “ CD2 Track 2 Tracking Fraud 1’30

“ “ CD2 Track 3 Spooks in the Wheel 1’01

SR Archiv 60/59501 Track 5 9’57

SR Archiv “ Track 7 3’20

SR Archiv 60/09346 CD2 Track 8 3’47

SR Archiv 60/29084 Track 8 2’19

SR Archiv 89/00943 0’40