schindler, nina - das Überlebensbuch für eltern

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Nina Schindler Das Überlebensbuch für Eltern Wer kennt nicht die mitleidigen Blicke seines Kindes, wenn die Mutter mal wieder nichts kapiert hat? Und immer wieder diese furchtbaren Aufräumdramen. Die Gespräche über den Erwerb der für die meisten Kinder lebensnotwendigen, weil im Trend liegenden neuen Turnschuhe laufen nach dem immer gleichen Ritual ab, genauso wie die Verhandlungen über die Höhe des Taschengeldes... Das Elternsein ist manchmal ziemlich kompliziert und dann wieder einfach schön - vor allem, wenn genervte Väter und Mütter die witzigen Geschichten aus Nina Schindlers Alltag mit vier Kindern lesen. Sie beobachtet genau und hat immer eine Pointe parat. Sodass nach dem Aha-Effekt das befreite Lachen kommt. ISBN 3 499 60961 4 Februar 2001 Rowohlt Taschenbuch Verlag Umschlaggestaltung Büro Hamburg, Susanne Reizlein Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

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Kinder

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  • Nina Schindler

    Das berlebensbuch

    fr Eltern

    Wer kennt nicht die mitleidigen Blicke seines Kindes, wenn die Mutter mal wieder nichts kapiert hat? Und immer wieder diese furchtbaren Aufrumdramen. Die Gesprche ber den Erwerb der fr die meisten Kinder lebensnotwendigen, weil im Trend liegenden neuen Turnschuhe laufen nach dem immer gleichen Ritual ab, genauso wie die Verhandlungen ber die Hhe des Taschengeldes... Das Elternsein ist manchmal ziemlich kompliziert und dann wieder einfach schn - vor allem, wenn genervte Vter und Mtter die witzigen Geschichten aus Nina Schindlers Alltag mit vier Kindern lesen. Sie beobachtet genau und hat immer eine Pointe parat. Sodass nach dem Aha-Effekt das befreite Lachen kommt.

    ISBN 3 499 60961 4 Februar 2001 Rowohlt Taschenbuch Verlag

    Umschlaggestaltung Bro Hamburg, Susanne Reizlein

    Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

  • Nina Schindler hat vier Kinder und lebt als Autorin in Bremen. Neben Bchern fr Erwachsene gibt es von ihr mehr als zwanzig Kinderbcher.

  • Da lieben wir nun unser Kind und wollen ihm etwas Gutes

    tun. Eifrig durchforsten wir einschlgige Kataloge auf der Suche nach pdagogisch und kologisch erlaubtem Spielzeug, das nicht nur dem Baby hilft, seine fnf Sinne zu entdecken, sondern auch seine Intelligenz entwickelt und frdert und aber das ist eher ein egoistischer Elternwunsch - seine immer lnger werdenden Wachzeiten zu mglichst ruhigen Zeiten gestaltet. Doch oft sind es weniger die Babys, die sich freudig auf das Angebot strzen - sondern die lteren Geschwister schauen gerhrt auf die Rasseln, Holzreifen, Klappergerte und andere aufregende Konstruktionen aus Holz, Schnur und Jute und verdrehen verzckt die Augen, wenn das Stehaufmnnchen beim Sich-Aufrichten klingelt. Dringende Appelle an Groeltern, Tanten und Onkel, den Geschenkesegen einzudmmen und das Geld lieber fr notleidende Kinder zu spenden, stoen gemeinhin auf taube Ohren. Es wird wieder Weihnachten oder Geburtstag, und es prasselt erneut das von Experten dem jeweiligen Lebensalter des Kindes zugeordnete Spielzeug nieder: Wir geraten von der Bausteinphase zu der erweiterten Bauphase, wo nmlich putzige kleine Plastikmnnchen mit unendlich vielen Attributen an Kleidung, Werkzeug und vor allem Waffen die Piratenschiffe, Forts, Burgen oder Raumschiffe bevlkern. Nur ab und zu taucht darunter auch ein weibliches Wesen Eltern mit Stirnrunzeln vermerkt, von den Kindern frhlich ignoriert wird. Dazwischen werden fr teures Geld ab und zu diese unglaublichen schlauen -

    -3-

  • und haltbaren - Supergags in Form von Registrierkassen, Baggern oder Park-hochhusern angeschafft, an denen man auch immer wieder selbstvergessene Erwachsene sehen kann, wie sie zum Beispiel Plastikmnzen in Schlitze stecken und begeistert an der Kurbel drehen, bis es so frhlich bimmelt. Und immer wieder diese furchtbaren Aufrumdramen! Die Groen wollen schlielich durch achtsame Pflege des teuren Spielgutes durch die Kleinen dasselbe auch entsprechend gewrdigt sehen - es kann doch wohl nicht angehen, dass die echte Kthe-Kruse-Puppe wie ein Lumpenhaufen in der Ecke liegt! Alle wollen sehen, wie das Kind lieb mit seinen Besitztmern spielt, ber das es mittlerweile sowieso jeden berblick verloren hat. Mittlerweile platzt das Kinderzimmer aus allen Nhten, heimlich werden in Abwesenheit der Besitzer Razzien durchgefhrt, und es wird Spielzeug entsorgt, weil sonst das Kind vielleicht nicht mehr bis zum Bett durchgedrungen wre. Regelmige Flohmrkte im Stadtteil bieten den etwas lteren Kindern dann eine hervorragende Gelegenheit, nicht mehr aktuelles Spielzeug abzustoen. Es sollte jedoch mglichst vermieden werden, anschlieend noch einen Bummel ber eben diesen Flohmarkt zu unternehmen, denn sonst werden die eben verdienten Krten gleich wieder fr Spielzeug angelegt, von dem andere Kinder sich gerade befreit hatten, und die schnen Lcken im Spielzeugregal sind sofort wieder gestopft. Manchmal versuchen die Erwachsenen es auch mit Argumenten. Das hrt sich dann etwa so an: Schau mal, deine Kinderkche nimmt so viel Platz weg, die knnten wir doch eigentlich verschenken!

    Und immer wieder diese furchtbaren Aufrumdramen

    N!!! Die solcherart attackierte TochtGegenwehr.

    Aber du hast doch schon ganz lange ngespielt! Weit du was, wir rumen dieses ga

    -4- er rstet sich zur

    icht mehr damit nze Kchenzeug

  • erst mal auf den Boden, und wenn du nach einem halben Jahr festgestellt hast, dass du es nicht gebraucht hast, dann knnen wir die Kche weitergeben. Nee, Mama, also das geht nicht. In der Mikrowelle schlafen meine Barbies!!

    -5-

  • Wir erwarten unser fnftes Kind. Obwohl ich schon vier Mal

    meine Atembungen gewissenhaft gemacht habe und mittlerweile vier verschiedene Presstechniken kenne, gehe ich eifrig wieder zur Schwangerschaftsgymnastik. Ich liebe die Entspannungsbungen, nur leider schlief ich damals meistens schon nach den ersten drei hingehauchten Anweisungen ein. Doch diesmal wird wenig entspannt und kaum geturnt, sondern hauptschlich geredet. Die jungen Mtter stellen sich ausgiebig vor.

    Ich hab schon ein Kind, verkndet eine stolz. Das war eine uerst schwere Geburt. Aber Linda und ich, sie wirft einen dankbaren Blick zur Hebamme, der uns andere aus dieser kstlichen Gemeinschaft ausschliet, wir haben das dann mit der Zen-Technik wieder hingekriegt. Und dann legt sie los und erzhlt in allen Einzelheiten, wie diese schwere Geburt von der ersten Wehe bis zum letzten Pressen verlief. Genau wie bei mir, ihre Nachbarin mischt sich ein, entschlossen, uns an ihren einzigartigen Erfahrungen ebenfalls teilhaben zu lassen. Wir htten den Arzt gar nicht gebraucht, was, Linda?

    Linda nickt gtig lchelnd ihren alten Kundinnen zu. Ich schaukele unauffllig auf den Fersen hin und her und htte so gern ein bisschen geturnt.

    -6-

  • Aber nein. Jetzt geht es um Zuschsse vom Sozialamt, wer kennt welche Sachbearbeiterin und wie kriegt man Staatsknete fr die Windeln. Das ist bestimmt von entscheidender Wichtigkeit, was die knftige Haushaltsfhrung der werdenden Mutter angeht, also seufze ich nur leise in mich hinein. Schlielich soll ich mich vorstellen. Vier Kinder, sage ich ganz leise und ganz schnell. Zwei in der Klinik und zwei Hausgeburten.

    Wieso Klinik?, fragt mich mein Gegenber streng. Das hatte der Arzt so entschieden. Wegen Steilage und so, stottere ich beschmt. Auerdem gab's da, wo wir frher wohnten, keine Hebammen, die Hausgeburten machten. Deshalb.

    Aha. Die anderen wenden sich wieder wichtigeren Fragen zu, wie Stillzeit und Mullwindeln, Breirezepten und

    -7-

  • Tragetchern. Ich verlagere das Gewicht meines dicken Bauches etwas und trume so vor mich hin und stell mir vor, wie es wre, wenn wir alle stumm auf den Rcken lgen und mit den Beinen strampelten. ... Schaffell, hre ich pltzlich und schrecke auf. Was ist mit dem Schaffell?, frage ich arglos in die Runde. Auf allen Gesichtern der hier im Kreis versammelten Frauen sehe ich unglubiges Staunen. Was denn, du hast kein Schaffell?

    Das schlafen sie whrend der Schwangerschaft an, damit das Baby den Elternduft in der Nase hat.

    Nee, muss ich gestehen und merke, welches Entsetzen dieses kleine Wort auslst.

    Aber wie hast du denn deine anderen Kinder zum Schlafen gekriegt?, fragt mich die junge Mutter mit der Zen-Erfahrung. Na, mit Wiegen und Singen und so eben, stammele ich vllig verunsichert.

    Und wann hast du dein letztes Kind gekriegt?, erkundigt sich die Kursteilnehmerin neben mir misstrauisch. Vor vier Jahren, gestehe ich.

    Die anderen schauen sich vielsagend im Kreis um. Nun werde ich aufgeklrt. Bewusste Mtter und Vter kaufen bereits Monate vor dem errechneten Geburtstermin ein Schaffell, natrlich gereinigt und dennoch naturbelassen. Das schlafen sie wochenlang an, damit das Baby dann den Elternduft schon immer in der Nase hat, wenn es hingelegt wird. Erstens liegt es so pelzweich, und zweitens duftet es richtig. Ich staune und beschliee sofort den Kauf eines solchen Schaffells. Das stimmt meine schwangeren Gefhrtinnen mir gegenber wieder gndig und sie geben mir reichlich Tipps, wo gnstig kriegen kann.

    Beim Rausgehen zupft mich eine junmal, und die haben echt geschlafen, deSchaffell?

    -8- frau die besten Felle ganz

    ge Frau am rmel: Sag ine Kinder? So ganz ohne

  • Fasziniert und hingebungsvoll lauschen Eltern auf die ersten

    Tne, die ihre lieben Kleinen ausstoen. Dabei handelt es sich zunchst hauptschlich um das altbekannte Babygebrll mit der Botschaft: Wenn ich nicht gleich etwas zu schlucken kriege, schreie ich, bis dir das Trommelfell platzt oder du deine Migrne kriegst oder der Hauswirt kndigt. Da alle drei mglichen Folgen unter allen Umstnden vermieden werden sollten, bekommen die Eltern in dieser Phase oft hnlichkeit mit einem Pawlowschen Hund. Beim ersten Gerusch springen sie auf und sind nicht mehr zu bremsen, denn alle Versuche, dem Befehl zu trotzen, einfach sitzen zu bleiben, hat das Kind immer ganz klar l: 0 fr sich entschieden.

    Doch dann kommen die ersten Gurgler, Krchzer, Summer und Fieper, eben alles, was sich der kleine Sonnenschein so durch die Stimmritzen zwingt. Es ist immer wieder erstaunlich, bei welch seltsamen Tnen ein seliges Grinsen das Gesicht der Eltern berzieht, whrend stolz verkndet wird: Hrst du? Jetzt hat er/sie Mama gesagt. Mama kann sich wie chch oder Papa wie hipi anhren: Das strt die glcklichen Eltern keineswegs, denn sie haben sich in ihr Baby hineingehrt und wissen in tiefster Seele, was es sagen will.

    Doch der allmhliche Spracherwerb lsst sich nicht aufhalten. Klangvolle Silben werden in der Familie mit bestimmten Mitteilungen in Zusammenhang gebracht, alle sind sich einig: Das Kind kann sprechen. Das ist ein sehr befriedigender Stand der Dinge, die Kommunikation, von der alle Welt spricht und

    -9-

  • deren Versagen so vielen Therapeuten und rzten die Taschen fllt, ist in Gang gekommen, es besteht die Hoffnung, dass die Beteiligten sich demnchst Dinge mitteilen werden, die auch kompliziertere Sachverhalte als volle Windeln, leere Teller oder Nachbars Lumpi zum Inhalt haben.

    Florian schaut mich an, offensichtlich will er mir etwas mitteilen.

    Doch immer sind uns die Kinder eins voraus, zumindest ist das mein Eindruck, nachdem Florian und ich diese Radtour neulich gemacht haben.

    Florian ist eineinhalb und freut sich die meiste Zeit noch wortlos seines Lebens. Doch von Grund auf gutartig, lsst er es hin und wieder zu, dass man ihn mit sprachlichen Anliegen bedrngt. Deshalb radle ich zunchst singend mit ihm auf dem Deich entlang, das hat er gern, und dann hat er seine Ruhe. Nur entgegenkommende Radfahrer sehen etwas verstrt drein, wenn sie an uns vorberfahren. Auf den Wiesen unterhalb des Deichs grast eine Kuh. Florian schaut mich an, offensichtlich will er mir etwas mitteilen. Die dritte Strophe vom Hasen Augustin unterbleibt. Ich lausche. Da! Florian zeigt auf die Kuh. Hund!

    Nein, Flchen, das ist kein Hund. Das ist eine Kuh! Florian nickt freundlich. Ich stochere nach: Eine Kuh, Flo. Er schaut mich weiterhin freundlich an und schweigt. Dann passieren wir eine ganze Herde Wiederkuer. Florian sieht aufmerksam in ihre Richtung, dann wendet er sich mir wieder zu und sagt strahlend: Kuh!

    Tja, gebe ich zu, fast. Das sind Khe. Weit du, Flo, eine Kuh und noch eine Kuh - das sind Khe.

    Kuh, beharrt Flo. Nee, wiederhole ich sehr geduldig.

    eine und noch eine: Das sind Khe. Florian sieht mich finster an. Das Strahl

    -10- Eine Kuh und noch

    en ist vergangen. Er

  • kraust die kleine Stirn. Dann erklrt er mit fester Stimme: Hund!. Das hab ich nun davon.

    -11-

  • Was ist das immer fr ein Jubel, wenn sich bei dem

    Kleinkind das erste weie Pnktchen am Kiefer zeigt! Schon tagelang ist die Mutter oder der Vater mit der Fingerkuppe sacht ber die Stelle gefahren und hat getastet, ob sich schon was tut denn meistens geht den ersten Hackerchen ja ein ziemliches Gebrll voraus, damit nur ja niemand den wichtigen Moment verpasst.

    Schlielich sind die Milchzhne alle da, und man hat sich an den Anblick der Perlenzhnchen gerade gut gewhnt und die Zahnpflege als tgliches Ritual zur Bedingung aller Bettkantengeschichten gemacht, da fllt auch schon wieder der Erste aus und das se Kindergesicht erhlt fr kurze Zeit einen unglaublich frechen, pfiffigen Ausdruck. Danach beginnt die schwierigste Zeit: Es kommen die bleibenden Zhne, und das hat weitreichende Konsequenzen. Was jetzt gebohrt und gezogen wird, ist weg frs Leben! Doch zunchst mal stehen die neuen Zhne schief und krumm in dem winzigen Kiefer und passen berhaupt noch nicht in das kleine Gesicht. Und bald wird offenbar, dass die Natur sich hier zu gut versorgt hat, und nun mssen die Fachleute ran, damit das Kind spter auf den Fotos auch mal cheese sagen kann, ohne dass Tante Frieda in Ohnmacht fllt..

    -12-

  • Die Fachleute, die deshalb nun aufgesucht werden, heien Kiefer Orthopden und haben sehr komplizierte Abmachungen mit den Krankenkassen, was bedeutet, dass bei Nichtbefolgung der rztlichen Anweisungen die Fachleute das diesen Kassen melden, und dann mssen die Eltern das nicht erreichte Ziel selbst bezahlen. Mit solchen Methoden wird ein wunderbarer Teamgeist in alle Beteiligten eingepflanzt, und nun ziehen sie an einem Strick, beziehungsweise reden den Kindern ein, dass die seltsamen Nachthauben aus Stoffstreifen und Metallbgeln nicht etwa die Vorstufe zur Entwicklung hin zu Daniel Dsentrieb sind, sondern dem Zweck der Zahnregulierung dienen.

    -13-

  • Besser sind diejenigen dran, die diese funkelnden Blechklammern auf die Zhne geklebt bekommen, womit eine flchtige hnlichkeit mit dem Beier aus dem James-Bond-Film nicht ganz von der Hand gewiesen werden kann.

    Die Spange klappert bei jedem Schritt, als sen ein paar Knchelchen locker.

    Doch auch diese Brackets mssen nun nach wie vor beim Zhneputzen scharf kontrolliert werden. Am bequemsten haben es die Kinder mit dem herausnehmbaren Gestell, das allerdings auch seine Tcken hat. Wenn nmlich z. B. das zahnregulierte Kind beim Essen im Restaurant sein dentales Hilfsmittel dezent in seine Serviette eingewickelt hat und eins der Geschwister nach eben dieser Serviette schnappt und nun die Spange quer durchs Lokal segelt. Oder sie wird in dieser apfelfrmigen und immer irgendwo angeknacksten Plastikdose verstaut, dann klappert sie nett bei jedem Schritt, als sen ein paar Knchelchen beim Kind nicht fest.

    Ganz frchterlich hat es uns einst im Ausland erwischt. Nach einem heftigen Hahnenkampf zwischen den Brdern kam Flo heulend an und hielt mir seine Zahnspange, in nunmehr zwei Einzelteile zerfallen, unter die Nase. Es bedurfte nun des Besuchs bei einem Zahnarzt in der Nachbarstadt, um zu klren, ob dieser Plastikgaumen klebbar war und ob Sekundenkleber im Mund nicht zu irgendwelchen Vergiftungen fhrte.

    Es gab diverse dicke Bcher zu wlzen, nachzuschlagen, ein Kollege wurde telefonisch um beratende Untersttzung angegangen, und schlielich kam das Resultat solch hingebungsvoller Sorge um Patienten, die noch nicht mal im Besitz eines ordentlichen Krankenscheins waren: Es durfte geklebt werden.

    Also, zur Drogerie und dann endWundermittels. Nach wenigen Sekundenwieder hbsch umrahmt und war der enthoben.

    -14- lich der Kauf des hatte Flo sein Gebiss

    unmittelbaren Sorge

  • Da dmmerte mir zum ersten Mal ein Widerspruch beim Tathergang: Sag mal, wieso hat Johnnie dich eigentlich an den Mund getreten? Na ja, also... hat er doch gar nicht. Was? Der hat mich ganz normal getreten... Aber die Spange? Na, die hatte ich in der Hosentasche.

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  • Irgendwann in einem Kinderleben kommt die Zeit, da sind

    sich die lieben Kleinen auch ohne wirtschaftswissenschaftliche Schulung ber den Warenwert und das bliche Tauschmittel vllig im Klaren. Nur mit Mnzen kriegt man Automaten dazu, diese nach purer Chemie duftenden Kaugummiblle auszuspucken oder gar eins dieser hbschhsslichen Plastikgeschenke. Fr die dringend bentigten Lego- oder Playmo-ergnzungen oder gar Inline-Skates mssen dann schon Scheine hingeblttert werden, und die Kinder rgern sich ber die verstndnislosen Eltern, die diese bunten Papierchen mit der zauberhaften Kaufkraft nur zgernd rausrcken. Dabei wei jedes Kind, dass man schlielich in jeder Bank Geld kriegt: Man braucht ja nur an den Automaten zu gehen. Aber dieses Geld geben die Groen dann leider oft fr so berflssige Dinge wie Winterreifen oder Kochtpfe aus. Fr Kinder ist es ohnehin unbegreiflich, dass die unbegrenzte Verfgungsgewalt ber Mnzen und Scheine nicht automatisch zur Anhufung von Gummibrchen und Schokolade fhrt - aber Erwachsene sind nun mal hchst seltsame Wesen, davon knnen Kinder ein Lied singen.

    Deshalb gibt es nur eine Mglichkeit, sich selber in den Besitz des Gegenwerts von kariesverdchtigen Nahrungsmitteln zu setzen: Das Kind verlangt sein Taschengeld.

    Beim Taschengeld hrt der Familienfriede urpltzlich auf. Bis heute sind mir keine Kinder bekannt, die mit der Hhe ihres Taschengeldes einverstanden sind. Zufrieden sind wahrscheinlich nur Millionrsshne und -tchter, aber die

    -16-

  • gehren nicht zu unserem Bekanntenkreis. Die mir bekannten Kinder fhren zu Hause ganze Klassenlisten von Mitschlerinnen und Mitschlern an, die alle viel mehr Taschengeld kriegen als sie, die auerdem sowieso viel nettere und verstndnisvollere

    Eltern haben, weil die ihren Nachwuchs zum Beispiel grozgig an der Verwendung des Familieneinkommens beteiligen.

    Bis heute sind mir keine Kinder bekannt, die mit der Hhe ihres

    Taschengeldes einverstanden sind.

    Unsere Kinder sind besonders arm dran. Mit Leidensmienen sitzen sie bei der halbjhrlichen

    Taschengeldtarifrunde um den Tisch und beklagen sich bitterlich. Nicht nur, dass es absolut total mickrig ist, was wir kriegen, wir kriegen es auch noch ganz unregelmig - so kann man berhaupt nicht planen!, beschwert sich Alexander.

    Der Vater weist den erbosten Sohn darauf hin, dass die Auszahlung am Sonntagabend an den nicht immer ausreichend verfgbaren kleinen Scheinen und Silbermnzen scheitert, weil beim Wochenendeinkauf nicht darauf geachtet wurde, gengend Wechselgeld brig zu behalten.

    Flo schnaubt verchtlich durch die Nase. Weil ihr schlampt, kriegen wir kein Geld oder viel zu spt - das ist doch das Letzte.

    Ich berhre das leise gezischte Betrger und ebenfalls den freundlichen Hinweis Wir nehmen auch grere Scheine, wenn's das ist, sondern schicke Alexander zum Kiosk, wonach die geforderte Geldzuteilung klappt und wir im Besitz einer Zeitung sind, die keiner lesen will.

    Um diese fast wchentliche Szene zu vermeiden, mache ich kasse um die Ecke kundig: Natrlich gbe es d selbstverstndlich drften die kleinen e Betrge abheben - nur nicht gerade an den ines Monats. ir Kinderkonten ein, auf die monatlich das mich bei der SparKinderkonten, unKunden auch kleinersten drei Tagen e

    Also richten w-17-

  • Taschengeld berwiesen wird, die Sparkasse freut sich, die Kinder betrachten verzckt ihre knallroten Sparbcher und wir seufzen erleichtert: Den rger sind wir los. Bestandteil des neuen Taschengeldabkommens ist, dass nun alle fr ihre Knete selbst verantwortlich sind, sich an Bankffnungszeiten zu halten haben und die Eltern nie angepumpt werden drfen. Doch dann wnscht sich Benjamin zum Geburtstag eine Stahlkassette zum heimischen Einlagern seiner abgehobenen Geldsummen. Diese Kassette entzckt ihn dermaen, dass er sie mit in die Ferien ins Ausland nehmen muss. Da es aber schwierig ist, in Italien deutsche Mrker an die Ladenbesitzer zu bringen, verliert die Kassette an Bedeutung, und am Ende der Ferien wird prompt der Kassettenschlssel in der Htte vergessen. Wieder zu Hause, erinnert sich Benjamin mit Schrecken, dass er sein Sparbuch auch darin eingeschlossen hat. Die kommenden Wochen und Monate werden fr ihn zu einer Marter: In regelmigen Abstnden landet auf seinem Konto das Taschengeld - aber er kann nicht ran.

    Die Brder grinsen und murmeln was von Zwangssparen, Benni sitzt vor seiner einbruchssicheren Kassette, starrt auf das Schlsselloch und denkt sehnschtig an das rote Bchlein, auf dem sich horrende Betrge sammeln.

    Als das groe Geschenkefest naht, will er sich Geld fr die Weihnachtsgeschenke von den Brdern pumpen, denn den Vertrag mit den Eltern will er nicht brechen und wehrt beleidigt ab, als ich ihm heimlich eine Vorauszahlung anbiete. Bennis Ansinnen stellt jedoch die Brder vor ernsthafte Liquidittsprobleme, deshalb erinnert er sich an Basteltipps aus dem Kindergarten, und ich bekomme mal wieder einen dieser formschnen Untersetzer aus hlzernen Wscheklammern. Pnktlich zu Ostern sind wir wieder in der Htte. Benjamin sucht den Schlssel, die Kassette hat er mitgebracht. Die Suche gestaltet sich schwierig, und nur durch einen Zufall wird das kostbare Stck dann endlich gefunden: Es lag die ganze Zeit

    -18-

  • unter der Fumatte im Auto. Na, sagt Benni mit einem

    tiefen Seufzer, irgendwie ist das mit dem Geld ganz schn eklig. Einmal haste welches und kannst nicht ran, dann hast du welches und httest immer ran gekonnt und wusstest das blo nicht. Am Besten war es, wenn man gar kein Geld braucht.

    Hm, meint Flo. Also ehrlich, du: Die Zeiten sind schon lngst vorbei.

    -19-

  • Es ist schon komisch, wie perfekt sich die Rollen im Eltern-

    Kind-Verhltnis umdrehen knnen. Und anstrengend ist es auch. Wenn nmlich die lieben Kleinen uns die eigenen Sprche um die Ohren hauen, hrt sich das manchmal ganz schn ruppig an und man wundert sich, wieso aus unschuldigem Kindermund dann so ein barscher Ton kommt - woher haben sie das blo? Dieser Mangel an Verbindlichkeit und Wrme wirkt verstrend, wo wir als Eltern uns doch in dieser Richtung immer allergrte Mhe gegeben haben!

    So bekommt man manchmal in Original-Kasernenhofton zu hren: Wer hat denn hier schon wieder alle Lampen angelassen? - und das, obwohl hier seit zwei Generationen der Militrdienst verweigert wird"!

    Oder jemand brllt entsetzt: Welcher kosnder hat denn wieder die Heizung so aufgedreht? Da gestehe ich schuldbewusst meine Verfehlung und seufze - denn was wissen die Kinder schon von mangelhafter Blutzirkulation und Eisfen? Doch die eiserne Kontrolle der elterlichen Verschwendungssucht geht auch auerhalb der eigenen vier Wnde stramm weiter.

    Bei Frau zmir ist der Salat zehn Pfennig billiger als bei Khalill, werde ich gergt, aber Benni lsst dabei auer Acht, dass Khalils Laden mindestens 500 Meter weiter

    -20-

  • entfernt ist und die Einkaufslogistik verlangt, dass man die

    schwere Tasche so wenig schleppen soll wie mglich. Gnadenlos wird man auch in Restaurants vor Zuhrern zurechtgewiesen: Das war viel zu viel Trinkgeld, und ich krieg nie eine Taschengelderhhung!

    Ganz zu schweigen von kleinen Begleitern, die in der Parfmerie die Augen aufreien und sthnen: So teuer is so 'ne Creme? Wo man doch von der gar nichts sieht! Schon steht man unter Rechtfertigungsdruck und muss nun einwandfrei begrnden, dass fortgeschrittene Jahre auch fortgeschrittene Kosmetikpreise bedingen.

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  • Dann freut es doch ungemein, wenn sich die lieben Kleinen mal selber ordentlich verhaken! Macht die kleine Schwester tadelnd den groen Bruder an: Du, deine Ovomaltine kostet aber wahnsinnig viel! Woraufhin der ungerhrt erwidert: Du, das ist das Haltbarkeitsdatum!

    So teuer is so 'ne Creme? Wo man doch von der gar nichts sieht!

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  • Wo ist denn die Butter?, will Florian wissen. Hier, Benni zeigt vor sich auf den Tisch. Dann lass sie doch mal rberwachsen, befiehlt der groe Bruder. Du bist acht tzend, will ich dir mal sagen, immer blo Befehle! Johannes beugt aufmerksam das Angebot auf dem Tisch: Eh, Leberwurst, echt cool! Geil, freut sich Rschen und angelt sich den Zipfel. Total geil. Was?, frage ich. Gibt es jetzt auch schon geile Leberwrste? Mama, das checkst du nicht! Flo schttelt tadelnd den Kopf. 'ne Wurst kann gar nicht geil sein, aber schmecken kann sie geil, wenn sie's tut. Aha. Na, dann mach sie mal alle, damit nicht wieder so eine gammelige Pelle in den Khlschrank zurckwandert. Nee, nee, du, ich will auch noch was davon!, verlangt Johannes. N, Banane. Benni grinst. Quatsch, da ist doch noch was dran, her damit! Null Probleme, da hast du das Teil, sagt Flo und reicht die schlaffe Pelle rber.

    -23-

  • Ihh, wer hat denn diesen Butter-Syph verbrochen - ist ja voll die Schweinerei! Das war ich!, erklrt die kleine Schwester freudestrahlend.

    Ich wollte noch ganz viel rauskratzen. Und was ist eigentlich Syph? h, Syph ist, h - Mama, sag du ihr das doch mal. Also, Rschen: Syph ist neudeutsch und bedeutet dreckig.

    Ich bin sehr zufrieden mit meinen bersetzerinnen-Fhigkeiten. Die neue Jagdwurst ist echt zum Abwinken, meldet sich da Florian. Out, sage ich, megaout!

    -24-

  • Wieso?, sagt Benni. Ich find die geil. Hr auf mit dem blden geil, das heit jetzt genial, wird er von Johannes milde korrigiert. Oder echt

    krass.

    Die neue Jagdwurst: echt zum Abwinken. Out

    sage ich, megaout.

    Wieso? Wieso! Wieso! Geil ist out, genial ist in. Benni knttert derweil mit vollem Mund: Also, das sag ich euch: Ende im Gelnde. Schicht im Schacht. Den nchsten Einkauf mach ich nicht. Soll doch Flo dann kaufen, was er will. Von mir aus eben auch was ganz Geniales. Und nach Hause schleppen. Wieso? Einkaufen ist doch echt easy, da gibt's noch ganz andere Jobs. Ach, und welche? Ich muss zum Beispiel die abgesoffene Festplatte von Papa nachher retten. Florian wei, dass er unser Computer-Crack ist, und nutzt seine Sonderstellung gern aus. Hng dich nicht so raus, du Fetzer! Schmei mal lieber die Wurst her! Aus die Maus! Ihr seid gemein! Hr mal, mische ich mich ein. Wir haben noch Salami im Khlschrank! Ewig Salami, bis zum Abwinken. Danke - keine Bcke.

    Da war auch noch eine Dose mit Leberpastete. Johannes erhebt sich, und Flo kommentiert: tzend, wer hat hier blo den Tisch gedeckt? Schlechte Logistik, wenn man sich den Kram dann noch brckchenweise holen muss. Johannes kommt mit der Dose zurck. Soll ich euch mal was sagen? Die hat ein Volltrottel in den Khlschrank gestellt. Die ist nmlich voll leer!

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  • Mama, was ist eigentlich Kultur? Mit gerunzelter Stirn

    kommt Johannes ins Zimmer. Ich kenne eigentlich nur den Kulturbeutel.

    Ich suche nach einer schlssigen Formulierung. Na, sagen wir mal so, Kultur ist etwas, was man nicht unbedingt zum Leben braucht, aber sie macht es viel schner und aufregender.

    Ach so, kontert der Sprssling, du meinst Fuball. h, na ja, Sport gehrt auch dazu, schon. Ich hole tief Luft, damit das nun Folgende auch mit der

    ntigen berzeugungskraft in der Stimme begleitet wird. Aber sieh mal, Kultur bedeutet auch

    Malerei, Musik und Literatur. Eben was ihr alles in der Schule lernt.

    Nee, das fllt meistens aus. Und auerdem - Johannes sieht mich zweifelnd an. Ich finde Fuball sowieso besser.

    Da war doch neulich so 'n Lied mit Rosen. Knnen wir das nochmal?

    Natrlich lsst sich berhaupt nichts dagegen sagen, dass unsere Shne alle Fuballfans sind. Doch als sie beim nchsten Bundesligaspiel bei jedem Tor von Werder Bremen wie die Stehaufmnnchen einer nach dem anderen in die Hhe springen, erkundige ich mich nach dem Sinn dieser Aktion.

    Mama, das ist doch la Ola, die Welle, werde ich von den Werder-Fans aufgeklrt. Damit ehrt man seine Mannschaft.

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  • Angesichts dieser offensichtlichen Begeisterung und dem Defizit an anderen kulturellen Vergngungen reift in mir ein heimtckischer Plan. Es muss doch eine Mglichkeit geben... Also kaufe ich fr die nchste groe Ferienreise eine Kassette mit klassischer Musik, die Arien aus Figaros Hochzeit, zuflligerweise meine Lieblingsoper.

    Leider sollte sich das fast als Rohrkrepierer erweisen, denn kurz nachdem ich sie zum ersten Mal heimlich eingeschoben habe und die sen Klnge durch unser mit Menschen und Gepck voll gestopftes Auto schwingen, verirrt sich der Vater in Mailands Industrievorstdten, und whrend 40 Grad im Schatten unbarmherzig auf unser nicht klimatisiertes Auto niederbrennen, wird bald Protestgeschrei laut:

    Was 'ne Katzenmusik! MUSS das sein? Knnen wir nicht die Simpsons-Kassette hren?, und so weiter. Ich konstatiere das als Fehlschlag meines Kulturprogramms und lege das Zeugnis abendlndischer Opernkultur wieder in seine Hlle.

    Doch o Wunder! Einige Tage spter pfeift es erst der eine unter der Dusche, dann brummt es ein anderer beim Abtrocknen, und schlielich fragt Benjamin: Da war doch neulich so 'n Lied mit Rosen. Knnen wir das nochmal?

    Wir knnen, und am Ende der Ferien singen dann alle begeistert bei den Arien und Duetten mit, und sogar der Vater kennt jetzt die Handlung der Oper, wenigstens in groben Zgen. Da ist es doch nur logisch, dass wir im nchsten Winter mit der gesammelten Kinderschar zum ersten gemeinsamen Opernbesuch aufbrechen, denn Figaros Hochzeit steht auf dem Spielplan.

    Wir informieren unsere direkten Nachkommen ber die Unterschiede zwischen dem Besuch einer Oper und eines

    -27-

  • Popkonzerts, dass zum Beispiel lautes Mitsingen und

    rhythmisches Klatschen nicht gern gesehen wird und dass man bis zur Pause auf dem Platz bleiben muss.

    Doch wir htten uns das sparen knnen. Mit glnzenden Augen folgen alle vier der Handlung und summen nur ganz leise mit, was nicht weiter gefhrlich ist, da wir ziemlich allein auf dem zweiten Rang sind.

    Als der Vorhang sich nach dem ersten Akt senkt, klatschen sie begeistert Beifall und trampeln nur andeutungsweise mit den Fen dazu.

    Johannes beugt sich mit glnzenden Augen zu mir herber und flstert: Meinst du, es freut die auf der Bhne, wenn wir jetzt la Ola machen?

    -28-

  • Alle wollen alt werden, doch keiner will es sein, heit es in

    einem viel zitierten geflgelten Wort. Das mag ja so sein, aber mich beschftigt etwas ganz anderes. Alle wissen, dass Kinder zu unserem Leben dazugehren, aber keiner will sie aushalten.

    Kein Wunder. Es ist ja auch ganz schn anstrengend. Machen wir uns doch nichts vor: Die grougigen kleinen Engelchen mit Grbchen an den unglaublichsten Stellen und der schon so frh erkennbaren hohen Intelligenz sind laut und lrmend, machen pausenlos Dreck und klauen allen den letzten Nerv. Also selbst schuld, wer sich freiwillig solche Monster anschafft? Na klar, sicher doch. Und das geht auch eigentlich nur freiwillig, zumindest wre das schon ein groer Fortschritt, wenn das so liefe. Denn die Kosten sind verdammt hoch. Zunchst ist der Nachtschlaf im Eimer. Das trifft die Menschen unterschiedlich hart, je nachdem, wie so die Schlafgewohnheiten sind.

    Das alles ist allgemein bekannt. Aber kaum jemals warnt einer die werdenden Eltern vor einem wirklichen bel, das mit den Jahren nicht wie der gestrte Nachtschlaf nachlsst, sondern ganz im Gegenteil stetig zunimmt. Ich spreche von der Spielpflicht. Wohl denen, die rechtzeitig eine Kindergruppe finden, wo sozusagen von Berufs wegen mit den

    -29-

  • Kindern gespielt wird. Ich gestehe es frei heraus: Ich habe

    noch nie gern Trme gebaut, und schon gar nicht jeden Tag drei Stck. Dafr lese ich gern, oft und viel vor. Pech fr das Kind mit der knftigen Architektenseele - oder vielleicht entwickelt die sich bei einem bisschen Widerstand um so krftiger? Wer wei.

    Jedenfalls huldige ich der berzeugung, dass tglich gelebte Mutterschaft sich nicht an der Anzahl der erbauten Trmchen ablesen lsst. Oder an Lego-Landschaften oder an suberlich aufgereihten Schmusetieren.

    Aber dann werden die Winzlinge lter und grer und entdecken die so genannten Brettspiele. Dazu brauchen sie natrlich erwachsene Mitspieler und Mitspielerinnen. Einmal, weil die die Regeln lesen knnen und damit eine lstige Ursache fr Streitereien aus dem Weg ist, zum anderen, weil sie die Regeln auch anwenden und damit eine andere Ursache fr mgliche Zankereien entfllt, und zum Dritten, weil im Allgemeinen der Spielspa grer ist, wenn viele mitmachen.

    Ich bin ja gar nicht so. Ich mach ja dann auch mit. Aber

    -30-

  • Malefiz finde ich nur geeignet, zwischenmenschliche Beziehungen empfindlich und auf Dauer zu unterminieren, und auch Mensch rgere dich nicht bewirkt eigentlich konstant

    das genaue Gegenteil.

    Und wenn dir dann was nicht passt, schmeit du alle Figuren durch die Gegend.

    Als nun Johannes ankommt und wieder einmal eben dieses Mensch rgere dich nicht spielen mchte, halte ich dagegen: Das spiel ich nicht mehr mit euch. Flo ist nmlich noch zu klein dafr, der kann das noch gar nicht spielen.

    Doch, sagt Flo ziemlich beleidigt. Kann ich doch. Nee, mein Lieber, widerspreche ich ihm energisch aufgrund

    leidvoller Erfahrungen, und wenn dir dann was nicht passt, dann schmeit du alle Figuren durch die Gegend und drehst das Spielbrett um!

    Hmmm. Das stimmt, da kann Flo nicht widersprechen. Aber spielen kann ich's gut. -31-

  • Benni ist zehn und kommt mit einem blauen Auge von der

    Schule nach Hause. Beim Abendbrot trgt er es stolz zur Schau. Es tut zwar schrklich weh, aber andererseits steht er im Mittelpunkt des Interesses. Wau, wo hast du dir denn das eingefangen?

    Och, wir hatten heute auf dem Schulhof einen Streit - Worum ging es denn da? Vor meinem geistigen Auge sehe

    ich meinen Sohn ein armes Trkenmdchen gegen eine Horde Rowdys beschtzen oder sich sonst auf irgendeine Weise zum Wohl der Vernachlssigten, Ausgegrenzten und Benachteiligten einsetzen. Liebevoll streiche ich ber das unbersehbare Mal seines mutigen Einsatzes. Na ja, also, eigentlich ging es um Fuball.

    Wie bitte? Die Enttuschung steht mir wohl deutlich ins Gesicht geschrieben: Nichts bleibt mir mehr von meiner Phantasie vom kleinen Robin Hood.

    Also, das war so: Thorsten hat gesagt, Werder schafft den Deutschen Meister dieses Jahr bestimmt nicht, und sowieso war Werder am Ende, weil die doch alle guten Spieler verkauft haben.

    Verkauft? Sklavenhandel? Mama! Ein gequlter Aufschrei. Das sagt man doch so! Ach so. Und weiter? Na ja, und irgendwie haben dann Hsseyin und Cengiz auch

    -32-

  • auf Werder geschimpft, und dann haben wir ein bisschen gerempelt, und dann haben die ganz gemein zurckgehauen, und dann konnten wir uns das nicht gefallen lassen und haben uns gewehrt, und auf einmal war da eine Riesenklopperei. Die groen Brder grinsen, die kleine Schwester schaut Benni bewundernd an.

    Ich finde, so darf frau das nicht stehen lassen. Ich sehe schon, ihr findet Prgeln offensichtlich ganz in Ordnung. Aber alle Naselang gegen irgendwelche Kriege und Waffensysteme protestieren, he? Macht euch doch mal klar, dass der Frieden im Alltag anfngt und dass man Streitfragen doch auch durch Reden lsen kann...

    Jaja, und bis dahin hat man zwei blaue Augen oder, wie Benni, vier! Florian sieht mich mitleidig an. Manchmal rafft ihr Erwachsenen auch gar nix.

    -33-

  • Wir strzen uns in die heftige

    Diskussion ber Sinn und Zweck von krperlichen Auseinandersetzungen im Falle von Streitigkeiten. Ich will auch mal. Rschen mischt sich ein. Du bist erst sieben, du kannst noch gar nicht mitreden, wird sie von Johannes zurechtgewiesen.

    Und da hab ich einen getreten, und da hat er ganz doll gequietscht

    Kann ich wohl. Nmlich, wie ich neulich vom Turnen nach Hause bin, kamen mir die Kupinskis entgegen, ihr wisst doch, die frechen aus der Robachstrae.

    Jaa, klar. Und? Benni seufzt, er steht nicht mehr im Mittelpunkt.

    Na ja, die haben so doofe Sachen gesagt, von wegen knutschen und so. Und dann wollten sie mir meinen Turnbeutel wegnehmen, und da hab ich einen getreten, ganz hoch, wie wir das in der Turnstunde grad an der Sprossenwand so gebt hatten.

    Ja? Und? Die Brder sind jetzt richtig neugierig. Und da hab ich einen getreten, und da hat er ganz doll gequietscht und sich den Bauch festgehalten. Und dann sind alle ganz schnell weg.

    Die Brder sehen sich betreten ber den Abendbrottisch hinweg an.

    Aua, sagt Flo. Und, Mama, wendet sich die Amateur-Karate-Kmpferin

    an mich. War doch richtig, n? Manchmal muss man eben treten, oder?

    Nun seufze ich. Schon. Es gibt Situationen, da muss man auch mal treten, klar.

    Aber nicht immer unbedingt dahin, sagt Johannes.

    -34-

  • Ich bin eine erklrte Freundin guter Manieren. Besonders bei

    unseren Kindern. Ich verderbe mir so manche geruhsame Mahlzeit, indem ich mich weniger um mein kstlich zartes Roastbeef als um die Tischsitten meiner Kinder kmmere.

    Dazu gehren Hnde auf den Tisch, gerade sitzen, nicht in der Nase popeln und den Suppenlffel nur halb voll machen, damit die gute Suppe nicht wieder beim ebenfalls nicht gestatteten

    Schlrfen in den Teller pladdert. Manchmal bin ich zu mde zum

    Hingucken, oder ich habe meinen Laissez-faire-Tag oder ich bin mit etwas Wichtigerem beschftigt. (O ja, es gibt immer noch wichtigere Sachen als die guten Tischmanieren unserer

    Kinder, o ja!) Dann bekomme ich so nebenbei mit, wie die Kinder sich untereinander ermahnen.

    Jedes Kind ist natrlich von seinem untadeligen

    Benehmen berzeugt, herumschluren tun

    immer nur die anderen.

    Jedes Einzelne ist natrlich von seinem untadeligen Benehmen berzeugt, herumschluren tun immer nur die anderen. Ey, nimm deine Kralle vom Messer, man fasst nur den Griff hinten an, tnt es dann schon mal. Oder: Wenn du mich noch einmal unterm Tisch trittst, tret ich zurck, aber mit Karacho!

    Mit Befriedigung lsst sich feststellen, dass gewisse

    -35-

  • Grundprinzipien des menschlichen Miteinanders

    offensichtlich verstanden und befolgt werden. Auerdem habe ich Nerven wie Stahlseile und halte viel aus. Aber es wrde mir das Herz brechen, wenn es im Familienklatsch hiee, dass unsere Kinder nicht wssten, wie man eine Gabel hlt oder wozu eine Serviette da ist. Mein gesammelter mtterlicher Stolz steht auf dem Plan, wenn ein Familienfest droht und damit unsere Teilfamilie einmal wieder den Rntgenblicken der kritischen Verwandtschaft ausgesetzt ist. Nicht nur, dass wir jahrelang die falsche Partei gewhlt und unbedachterweise zu viele Kinder in die Welt gesetzt haben, nein, wir knnten auch den anderen Familien ein schlechtes Beispiel geben. Deshalb

    -36-

  • sind solche Unternehmungen immer recht anstrengend. Als ich neulich, passend zu Tante Klres Geburtstag, eine am Thermometer berprfbare Grippe bekam, war ich ganz erleichtert, dass der wunderbarste aller Vter mit unseren fnf Kindern allein zu dem Fest fuhr. Spt in der Nacht kehren sie zurck, und etwas schuldbewusst klappe ich meinen Schmker zu und eile an die Haustr. Na, wie war's? Ist alles gut gelaufen? Habt ihr uns keine Schande gemacht?, frage ich und hoffe auf gute Nachrichten. Vergebens.

    Alles lief ganz gut, aber Papa hat sein Glas mit Rotwein umgeschmissen, und es gab einen Riesenfleck. Ich schaue den wunderbarsten aller Vter fragend an. Das stimmt schon. Ich wollte Johannes am Aufsagen von seinem Spruch hindern. Er lchelt matt und hlt sich am Treppengelnder fest.

    Johannes nickt stolz. Aber ich war schneller, n, Papa? War doch 'n schner Spruch, den hab ich von Daniel.

    Und wie geht der?, frage ich ahnungsvoll. Du armes Schwein, du tust mir Leid, du lebst ja nur noch kurze Zeit.

    Ich stehe starr vor Entsetzen. Und was hat Tante Klre da gesagt?

    Sie hat gelacht und gesagt, sie muss erst ihren Hrapparat anstellen. Und da habe ich den Spruch anders gesagt.

    Wie denn? Ich freue mich, dass du geboren bist und hast Geburtstag

    heut.

    -37-

  • Das Telefon klingelt. Natrlich geht niemand ran. Seufzend

    werfe ich den Lappen in die Sple und flitze ran. Ein Freund von Florian: Ob er den mal sprechen knnte? Ich brlle hoch in den zweiten Stock. Nichts. Ich pfeife auf zwei Fingern.

    Immer noch nichts. Ich vertrste den Anrufer und erklimme fuchsteufelswild den zweiten Stock, reie keuchend die Tr zu Flos Zimmer auf und sehe einen Vierertrupp dicht gedrngt dasitzen: den Blick starr auf die Mattscheibe gerichtet, zwei halten einen Joystick in der einen Hand und umklammern das Symbol mnnli- cher Tatkraft mit der ndern und vollfhren ruckartige, winzige Bewegungen damit. Ab und an entringt sich ein leises Sthnen den Mndern der Spieler und Zuschauer, wenn das zappelnde bunte Mnnchen von einer bunten Seifenblase zum Platzen gebracht wird.

    Telefon, Flo. - Nee, geht jetzt schlecht. Ich brech grad meinen eigenen Rekord!

    Telefon, Flo. Vielleicht kannst du mal diese wichtige Ttigkeit kurz unterbrechen?

    Mein Hohn verpufft. Nee, geht jetzt schlecht. Wer ist es denn und was will er? Kannst du das nicht klren?

    Ich bin kurz davor, einen der Joysticks an mich zu reien und aus dem Fenster zu schmeien. Du bist wohl nicht klar bei Sinnen?

    Du gehst jetzt sofort und kmmerst dich um deinen Anruf!

    -38-

  • -39-

  • Mama! Ein emprter Aufschrei aus tiefstem Herzensgrund. Das geht jetzt echt nicht! Ich brech grad meinen eigenen Rekord!

    Wir sprechen uns spter, mein Schatz. Ich habe keine Lust, vor den Kumpanen meiner Kinder als Furie herumzutanzen. Als letzten Racheakt reie ich noch das Fenster auf, damit den Dften, die den dicht zusammenhockenden Knabenkrpern entstrmen, ein bisschen Frischluft beigemischt wird. Dann erledige ich meinen Auftrag und schwre mir, in Zukunft Butler-Zulage vom Taschengeld einzubehalten. Beim Abendbrot sind wir unter uns, und ich kann wten.

    Sag mal, was fllt dir eigentlich ein, den Telefonanruf zu ignorieren? Seid ihr denn total bekloppt? Ihr solltet euch mal sehen als Computer-Zombies, wir ihr da sitzt und glotzt und glotzt und euch berhaupt nicht von der Stelle bewegt!

    Und was willste, was wir machen sollen? Vielleicht hin und wieder mal ein Buch lesen statt immer nur

    vor dem Bildschirm zu hngen und Knpfchen zu drcken! Ach, und beim Lesen schaust du nicht zufllig immer in eine

    bestimmte Richtung? Und dabei joggen tust du auch nicht, oder?

    Ich wei nicht, woher unsere Kinder diesen Hang zum Sarkasmus haben, aber ich wei, wann mir die Argumente ausgehen.

    Und auerdem, Mama, du hast doch selbst gesagt, man soll nicht schlecht ber Dinge reden, die man gar nicht kennt. Ich zeig dir nachher mal ein Computerspiel, ja?

    Na gut. Vielleicht gar nicht schlecht, wenn ich mehr Munition fr meine Argumente gegen stundenlanges Computerisieren bekomme. Nach dem Essen versammeln wir uns vor dem Computer, das Spiel des heutigen Abends heit Sim City, und ich erfahre verblfft, dass meine Shne eine ganze Stadt konstruieren werden. Wir gehen als Erstes an die

    -40-

  • Energieversorgung. Weil wir Umweltfreunde sind, baut der Sohnemann jede Menge Windrder. Bei der Wasserversorgung klappt eine Vernetzung nicht - na klar, da muss eine zustzliche Pumpe hin. Wir bauen Straen - ich bin gegen eine zustzliche U-Bahn, als ich merke, wie teuer die ist, denn wir bauen mit einem festen Budget. Wir errichten eine Schule und ein Krankenhaus am Park. Nun brauchen wir noch Gewerbeflche, und die wiederum muss an Strom und Wasser angeschlossen werden. Der Realismus und die Komplexitt des Ganzen verschlagen mir den Atem, dagegen ist kolopoly wirklich Kinderkram. Vllig fasziniert mache ich ebenfalls Vorschlge, die jedoch meistens wegen Inkompetenz zurckgewiesen werden. Zu guter Letzt wird noch eine Brcke vom Hafen hinber zu dem Industriegebiet errichtet. Tja, und nun entrollt sich die fertige Siedlung vor unserem Blick und gleichzeitig die finanzielle Situation.

    Mist, sagt Johannes. Keine Steuern, blo Schulden. Kein Wunder, sagt sein Bruder, wenn du in das

    Industriegebiet keinen Strom verlegt hast. Und auerdem haben diese blden Windrder nur 4 Megawatt - das bringt doch gar nix. Ich stehe leise auf und verschwinde. In die Diskussion von Experten sollen sich Amateure besser nicht einmischen.

    -41-

  • Ich heirate!, verkndet unsere Tochter beim Abendessen.

    Wir sind - gelinde gesagt - berrascht. Und wen, wenn man fragen darf?, erkundige ich mich. Na, Dennis, natrlich, erklrt sie mit der grten Selbstverstndlichkeit.

    Aha. Und wer ist das?, fragt der Mann, der sich bis vor zwei Minuten unangefochten auf Platz eins in der Zuneigung seiner Tochter whnte.

    Der geht in die orangene Gruppe in unserm Kindergarten. Er ist nmlich schon ein Horti, fgt sie hinzu, als erklre das alles.

    Und, hem, darf man fragen, warum ihr heiraten wollt? Der Vater will es ganz genau wissen. Schlielich lsst er ja nicht jeden Dahergelaufenen mit seiner Tochter zum Standesamt marschieren.

    Na, weil wir uns lieben, natrlich. Sie wirft ihm einen misstrauischen Blick zu. Warum heiraten sonst die Leute, ha?

    Ach, und Dennis liebt dich auch?

    Ich heirate, verkndet unsere Tochter beim Abendessen. Wir sindgesagt - ber

    gelinde rascht.

    Hat er gesagt, ja. Und woran merkt ihr das? Ich bin auch neugierig. Die zuknftige Braut polkt die grnen Pfefferkrner aus ihrer

    Lieblingswurst, den so genannten Pfefferbeiern, und legt sie mit angewidertem Gesichtsausdruck neben ihr Brettchen. Dann wirft sie mir einen Blick zu, in dem ich Mitleid zu erkennen

    -42-

  • glaube. Weit du das nicht mehr?, gibt sie die Frage an mich

    zurck und wendet sich ihrem Vater zu. Oder wissen nur Kinder so mit Liebe?

    Nein, nein, beeilt er sich mit der Versicherung, um vor seiner Jngsten nicht als totaler Ignorant dazustehen. Natrlich wei ich, was Liebe ist. Deine Mama und ich haben schlielich auch aus Liebe geheiratet. Nur waren wir da schon etwas aus dem Kindergarten raus. Ehrlich gesagt, wir waren auch schon mit der Schule fertig.

    Jahaa, weil ihr euch im Kindergarten noch nicht gekannt habt. Die Logik dieser Behauptung ist nicht zu widerlegen. Wetten, wenn ihr euch schon im Kindergarten gekannt httet, httet ihr auch nicht so lange gewartet. Schweigend essen wir weiter.

    Die Reihe der rausgepopelten Pfefferkrner wird immer lnger.

    Wer sind eigentlich die Eltern von diesem Dennis?, forscht der eiferschtige Vater weiter.

    Der hat nur einen Vater. Aber sonst noch 'ne Schwester, die geht in meine Gruppe, erklrt die Heiratswillige.

    Und was macht der Vater, ich meine, was arbeitet der? Der Vater der selbsternannten Braut lsst nicht locker. Ich muss kichern und ernte einen wtenden Blick.

    Ich lass doch meine Tochter nicht mit jedem dahergelaufenen... Da muss er selber lachen. Beit von seinem Brot ab

    -43-

  • und guckt vertrumt in die Gegend. Schweigend essen wir, ich denke darber nach, dass diese Szene einmal im Ernst so verlaufen knnte, und mir wird etwas wehmtig, wie das so ist, wenn die Tchter sich verlieben, mit dem Ablsen und auf den eigenen Beinen stehen und berhaupt. Doch dem Vater lsst es noch immer keine Ruhe. So schnell gibt er den Platz eins in der Zuneigung seiner Tochter nicht verloren.

    Woran erkennst du denn, dass es wirklich Liebe ist?, erkundigt er sich ziemlich heimtckisch.

    Na, da is einem so kuschelig muschelig, als ob man angeknipst wird, wie so 'ne Lampe. Und auerdem, fgt seine Tochter triumphierend hinzu, bei Dennis gibt es Pfefferbeier ohne Pfefferkrner, sagt er.

    -44-

  • Ich kapier das nicht!, mault der Fnfjhrige. Wieso heit

    das Fernsehen, wenn ich doch ein Nahgucker bin? Da sieht man es: Sogar dem jngsten Fernsehpublikum macht

    das Medium Probleme. Und es gibt kaum einen Elternabend von Krabbelgruppe bis zur Oberstufe, wo nicht das Fernsehen mit schner Regelmigkeit auf die Tagesordnung kommt. Weil es berhaupt so gefhrlich ist. Weil es die Entwicklung der Kinder hemmt und weil es Gewalt verherrlicht. Weil die Konzentrationsfhigkeit der Kinder Schaden nimmt. Weil sich die eigene Kreativitt beim Glotzen nicht entwickeln kann. Und so weiter und so fort. Es soll tatschlich Eltern geben, die ihre Kinder bis zum sechsten Lebensjahr (einschlielich!) von dem bsen Bildschirm fern halten konnten. Dagegen ist ja gar nichts zu sagen, wenn die lieben Kleinen nicht trotzdem bei Nachbarn alles heimlich mitguckten, und zwar wahllos von Verbotene Liebe bis zur Suppenwerbung. Am tollsten ist es natrlich, wenn die Kinder gar nicht gucken wollen (doch, es gibt sie, ich kenne eineinhalb!), weil die Eltern das viel bessere Programm anbieten, oder weil sie andere Interessen haben wie etwa Regenwrmer sezieren oder Lcher in die Luft starren, was ja beides durchaus ehrenwerte Ttigkeiten sind. Wie glaubwrdig allerdings Erwachsene mit Fernsehverboten wirken, wenn sie selbst leidenschaftliche Anhnger des Pantoffelkinos sind,

    -45-

  • wre einer genaueren Betrachtung wert. Eine gemeinsame Videoorgie kann auch was Tolles sein! Wie

    so oft im Leben, einigen sich die Betroffenen meistens auf Kompromisse.

    Du hast gesagt, ich darf nachmittags eine Stunde gucken!, beschwert sich Rose, schon sieben Jahre alt.

    Jaaa, sage ich, aber nur, wenn du die Sendung im Fernsehprogramm vorher aussuchst! So hatten wir das

    -46-

  • abgemacht. Aber dann ist die ganze berraschung

    weg! Du willst ja blo nicht lesen!, kontere

    ich, etwas versuert, weil meine mtterliche List, das Kind aufgrund seiner Fernsehbedrfnisse zum verhassten Lesen

    zu bewegen, offensichtlich gescheitert ist.

    Am tollsten ist es natrlich, wenn die

    Kinder gar nicht gucken wollen (doch, es

    gibt sie, ich kenne eineinhalb).

    Na ja, nicht alles, was bei den Superpdagogen von Edelschulen wie Summerhill funktioniert, muss in Bremen klappen. Wir einigen uns also heute auf ein Video, das ich neulich fr sie aufgenommen habe. Ich hole mir mein Strickzeug und setz mich daneben, damit wir hinterher drber reden, schimpfen oder kichern knnen - je nachdem.

    Die Werbespots reien den schnen Film gnadenlos in Einzelteile, Atmosphre verflogen. Zusammenhang perdu. Als ich das dritte Mal fix vorspulen will, hindert mich eine emprte Stimme: Mama! Das muss man auch mal aushaken knnen!

    Und warum? Weil ich sonst nie wei, ob es eine neue Barbie gibt! Aber ich dachte, wir sehen uns einen Film an? Jaaa, schon, aber mit allen Nachteilen!

    -47-

  • Benjamin, gerade zehn Jahre, ist zu seiner ersten Party

    eingeladen. Melanie hat die halbe Klasse zu ihrem Geburtstag eingeladen, und es soll eine richtige Fete geben. Viel zu frh macht er sich auf den Weg zu seinem Freund, um noch andere Gste abzuholen und gemeinsam hinzugehen. Offensichtlich ist die Vorstellung, dort allein aufzukreuzen, fr alle unertrglich. Genau so im Rudel kehren sie um acht wieder zurck, und Benjamin setzt sich zu uns an den Abendbrottisch.

    Na, wie war's denn? Och, gut. Und wie war die Feier? Ganz schn. War denn ordentlich was los, stimmungsmig und so?,

    will der ltere Bruder wissen. Och, n, ganz normal. Warum erzhlst du denn nichts? Haste vielleicht jetzt 'ne

    Freundin? Quatschkopp. Nee. Ich mach mir nichts aus Freundinnen. Aber Thorben hat erzhlt, du wrdest jetzt mit Melanie

    gehen. Groe Brder sind ekelhafterweise immer besonders gut informiert, wenn alle auf dieselbe Schule gehen.

    Der ist auch bld! Benni hat einen roten Kopf gekriegt. Aber ich hab heute zum ersten Mal getanzt. Vier Lieder lang.

    Und dann? Habt ihr dann geknutscht?

    -48-

  • Nee; Bldmann. Dann haben wir Flaschendrehn gespielt. Aha. Und dann habt ihr geknutscht. Nee, immer wenn die Flasche stehen blieb, ist der Hund

    raufgesprungen. Da haben wir gelacht! Also - der andere groe Bruder mischt sich in die

    Nachforschungen ein - ihr habt nix weiter gemacht wie getanzt und Flaschen gedreht?

    Nee. Das wurde noch ganz gut. Dann hat sich nmlich Ulf an Miriam rangemacht, aber die geht doch mit Janosch. Und da hat Janosch Ulf ein bisschen verkloppt, und dabei ist der aufs Terrarium von Melanies Vater gefallen, und das ist umgekippt, und alle Rennmuse sind raus. Da haben wir erst mal den Kter in die Besenkammer gesperrt, weil der ganz scharf auf die Rennmuse war. Dann haben wir versucht, die wieder einzufangen. Aber jedes Mal, wenn wir eine ins Terrarium rein steckten, ist wieder eine rausgeflitzt. Da hatte Thorben eine Idee, und wir haben sie alle in die Badewanne gebracht, weil sie da nicht rauskonnten. Die meisten haben wir eingefangen, und dann ist Melanies Vater nach Hause gekommen und hat sie wieder ins Terrarium gesteckt. Und dabei ist ein Mdchen mit der Hand an einen Kaktus mit Widerhakenstacheln gekommen, und Melanies Mutter musste ihr die alle mit der Pinzette rausziehen. Die hat vielleicht geheult. Das Mdchen, meine ich. Und beim Abendbrot ist Janosch auf die Idee mit dem Senfschieen gekommen, und da haben immer zwei auf eine Senftube gedrckt und geguckt, wer am weitesten damit schieen kann. Blo dass Melanies Mutter das nicht toll fand. Es war nmlich ein Tischtuch drauf. Dann hat sich Miriam beim Nach-Hause-Gehen mit Ulf geprgelt und ist eine

    -49-

  • Kellertreppe runtergefallen. Da war sie ganz schn sauer. Und

    bei der Fahrkartenkontsrolle in der Straenbahn hat Ulf seine Monatskarte nicht gefunden, und der Kontrolleur hat ziemlich

    -50-

  • Wowl, sage ich erschttert. Das

    war alles?

    Stress gemacht und wollte ihn verklagen oder so.

    Wowl, sage ich erschttert. Das war alles?

    Ja, besttigt der Sohn und klaut seinem Bruder ein halbes Wurstbrot, das Erzhlen hat ihn offensichtlich hungrig gemacht. Ich hab euch ja gesagt, es war nix los.

    -51-

  • Wann ist denn mein Gebooortstag? Ich schttele den Kopf. Hab ich dir doch erst vor 'ner halben

    Stunde gesagt. In vier Wochen. Ein tiefer Seufzer. Och, das dauert und dauert und kommt

    gar nicht nher. Es kommt nher. Nun sind es nur noch zwlf Mal schlafen. Mama, wir mssen die Einladungen machen. Na gut. Wen willst du denn diesmal einladen? Also, Minke, Svenja, Marijke, Alexa, Marie, Milena,

    Alina - Stoppl Stopp! Das ist doch deine halbe Klasse! Willst du

    denn diesmal keine Jungen dabei haben? Doch, Benka, Klaasi, Timo, Carlos, Benni - Stopp! Hr mal auf, so geht das nicht, das sind ja schon ber

    zehn Kinder, wo sollen wir die denn alle unterbringen? Och, das geht schon irgendwie. Die mssen alle kommen,

    weil die einen sind die, die ich einladen will, und die anderen sind die, die ich einladen muss.

    Ich bin verblfft. Wieso musst du denn? Die Tochter sthnt. Na, weil die mich auch eingeladen

    haben, und da muss man zurck einladen. Und die anderen sind meine Freunde.

    Ach, und deine Freunde hatten dich nicht eingeladen?

    -52-

  • Nee, da wussten sie ja noch nicht, dass sie meine Freunde sind! Meine Tochter schaut mich prfend an. Kapierst du das nicht?

    Doch, doch, beeile ich mich, schlielich ist es ja nicht sehr

    schmeichelhaft, wenn die eigenen Kinder die Mutter fr eine Trottelin halten. Aber das sind zu viele. Du wirst sieben Jahre, also sagt die goldene Regel, dass du sieben Kinder einladen darfst.

    Enttuschtes Gebrll unterbricht meine

    Vorschlge: Blo du machst so altmodische

    Sachen.

    Welche goldene Regel? Die goldene Geburtstagsregel. So was gibt es in Echt? Doch, das gibt's. Groes Stirnrunzeln und Nachdenken, Abwgen und

    Verwerfen, aber schlielich wird ein Kompromiss gefunden: Neun Kinder kriegen eine Einladung.

    Ich seufze: Gut, dann htten wir das ja. O.k.? N. Rose holt tief Luft. Jetzt mssen wir noch sagen, was

    wir machen. Was meinst du denn damit? Na, ob ein Zauberer kommt oder so. Erwartungsvoll schaut

    mich das Geburtstagskind in spe an. Ein Zauberer? Bei dir piept's wohl! Vielleicht auch noch 'ne

    Akrobatennummer, oder wie denkst du dir das? Au ja, das gab's noch nie! Begeistertes Nicken.

    en nur Quatsch gemacht, das meinte ich nicht

    hen doch was! chen Topfschlagen und Wattepusten und...

    und viele Nein! Enttuschtes Gebrll Du, ich hab ebim Ernst!

    Aber wir braucNa klar, wir maNein, nein -53-

  • unterbricht die mtterliche Geburtstagsplanung. Das ist doch doof!

    Wieso doof? So was ist gar nix Besonderes! Guck mal, bei Timos

    Geburtstag waren wir bei McDonald's, bei Meike waren wir im

    -54-

  • Kino, bei Benka kam der Zauberer, und Nicole hat gesagt, bei ihrem Geburtstag wird ein Clown kommen, und blo du, du machst so altmodische Sachen! Dann kommt bestimmt keiner zu mir!

    Ich sitze ziemlich belmmert da. Die Tochter heult zum Steinerweichen.

    Du, hr doch mal..., vorsichtig streichele ich meiner enttuschten Rose ber die Haare. Wir mssen doch nicht unbedingt das machen, was die anderen machen.

    Doch! Nee, mssen wir nicht. Wir machen einfach was eigenes.

    Sieh mal, solche Zauberer und Clowns und so, die sind alle sehr teuer. Das kostet bestimmt 200 Mark oder so. Stell dir mal vor, was du fr 200 Mark alles kaufen kannst! Und berhaupt, sonst bleibt ja gar kein Geld fr Geschenke brig.

    Hm. Rose berlegt. Dass die Geschenke fr den Geburtstag draufgehen knnten, findet sie berhaupt nicht gut. Aber solche altmodischen Spiele, das geht doch nicht...

    Wieso nicht? Ich habe eine Idee. Mach halt ein Kostmfest. Die Kinder kommen als Kinder von frher verkleidet, und dazu passen dann auch die altmodischen Spiele.

    Au ja! Rose ist begeistert. Was fr ein Glck, dass du schon so schrecklich alt bist und die noch alle kennst!

    -55-

  • So, alle mal herhren! Die Tafelrunde sieht mich

    erwartungsvoll an, Flo und Benni hren sogar mitten im Kauen auf. Ha?

    Wassen los? Ich hab die Nase voll. Das ist los. Alle Klos im Haus stinken

    zum Himmel, und zwar nur, weil ihr immer noch im Stehen pinkelt. Es ist lngst bewiesen, dass da immer eine Menge danebengeht.

    Ich setz mich immer hin. Rose grinst sehr zufrieden ihre Brder an.

    Ja, du! Du bist ja auch 'n Mdchen! Ach, und ich? Der Vater mischt sich ein. Ich setz mich

    auch hin, aber dass ich 'n Mdchen bin, ist mir neu. Hrrgch, tu doch nicht so. Du setzt dich ja blo hin, weil du

    Zeitung lesen willst! Johannes angelt nach der letzten Salamischeibe.

    Gar nicht wahr! Sein Erzeuger ist emprt. Ich setz mich hin, seitdem wir das damals mit deiner Mutter verabredet haben! Die Grnde sind doch leicht einzusehen!

    Hm, na ja, meistens setz ich mich ja auch hin, blo wenn es schnell gehen muss, dann - Benni zuckt die Achseln. Im Stehen bist du halt schneller.

    Wie schade, dass ich nie in diesen Genuss kommen werde. Ich hole tief Luft. Hiermit gebe ich kund, dass fortan die drei

    Stehpinkler je ein Klo putzen werden, und zwar zwei mal die

    -56-

  • Fortan werden die drei Stehpinkler je ein

    putzen, und zwar zweimal die Woche.

    Woche. Putzzeug und Plverchen stehen in dreifacher Ausfertigung bereit. Ich lchele meine Shne strahlend an. Also abgemacht?

    Mama! Das ist ungerecht! Das seh ich berhaupt nicht ein -, platzen sie emprt los.

    Ich winke ab. Ende der Durchsage. Ihr habt's gehrt. Wer nicht sitzen will, muss putzen. So, meine Herren, es darf weitergegessen werden.

    Ach, und du? Du musst jetzt gar nicht mehr putzen? N, entgegne ich khl. Zwanzig Jahre lang sollten reichen,

    find'ste nicht? Und wenn du jetzt noch Rschen angeiferst, dass sie mitputzen soll, entziehe ich dir das Wort. Alles klar? Die Verurteilten senken die Kpfe und kauen weiter. An ihren Stullen und an dem groen Unrecht, das ihnen soeben zugefgt ward.

    Das ist drei Jahre her. Die Shne gewhnten sich ans Hinsetzen bei der Verrichtung der bewussten Ttigkeit. Wir dichteten:

    Bei uns ist nicht ein Supermann, wer nur im Stehen pinkeln kann. Ein richtiger Mann in aller Stille setzt sich behutsam auf die Brille, und hngten das Gedicht in Schnschrift auf Btten und gerahmt ins Gsteklo. Mittlerweile prangt da sogar ein Aquarell, das auch Analphabeten in die Kunst der richtigen Haltung einfhrt.

    Doch gerade die Bekehrten wandeln sich ja meist zu Missionaren, und Missionare sind fr ihre Umwelt oft eine rechte Pein. Wie an dem Abend, als wir im frhlichen Kreis mit unseren Freunden feierten und pltzlich in unserer Mitte ein wtender Siebenjhriger in anklagendem Ton verkndete: Irgendein Ferkel hat falsch gepinkelt. Die Brille im Gsteklo war hochgeklappt!

    -57-

  • -58-

  • Hr mal, meine Se, so geht das aber nicht weiter! Ich

    sehe meine Jngste bedeutungsvoll an. Was denn, Mama? Na, nun tu doch nicht so! Dein Zimmer sieht scheulich aus!

    Alles durcheinander, wie Kraut und Rben! Da ist berhaupt kein Kraut und keine Rben! Rose ist

    emprt. Nein, das sagt man nur so, wenn man kaum noch ber den

    Boden laufen kann, ohne dass man auf was drauftritt. Mama! Hast du was kaputtgemacht? Mensch, da musst du

    ganz vorsichtig sein! Wie bitte? Nein, ich hab nirgendwo

    draufgetreten. Aber das ist ja gerade der Punkt. Wenn du nicht bald aufrumst, dann geht bestimmt noch was kaputt! Also? Ich schaue meine Tochter erwartungsvoll an, aber die wehrt entschieden ab. Wrd ich ja gern,

    Mama, ehrlich, aber ich bin heute mit Milena verabredet!

    Na ja, das ist so. Bei Milena rumt immer die Mutter

    auf!

    Du kannst dir in diesen Saustall doch keine Freundin einladen! Ihr knnt in dem ganzen Tohuwabohu doch gar nicht mehr spielen!

    Wolln wir ja auch gar nicht. Rose streicht mir trstend ber den Arm. Wir haben uns bei Milena verabredet.

    Aha, siehste, bei der ist immer aufgerumt! Nimm dir doch mal ein Beispiel an deiner Freundin!

    -59-

  • Nee, Mama, das ist eher ein Beispiel fr dich. Wieso? Ich gucke verblfft auf meine Tochter runter, die

    ungeduldig von einem Fu auf den anderen trippelt. Na ja, das ist so. Em. Bei Milena rumt immer die Mutter

    auf, deshalb. Rose ttschelt meinen Arm beruhigend weiter. Aber mach dir keine Sorgen, ich wei, dass du darauf keinen Bock hast.

    -60-

  • Ach ja? Das weit du. Weit du auch, dass man mit sechs Jahren seinen Saustall auch ganz allein aufrumen kann? Ganz ohne Mutter?

    Aber vielleicht mit den Brdern?, erkundigt sich die Tochter hoffnungsvoll.

    Nein, auch ohne Brder. Ich sagte: Allein! Erschpft von der Auseinandersetzung lasse ich mich auf einen Kchenhocker sinken. Dann hole ich nochmal tief Luft: Und berhaupt, du denkst doch nicht etwa, dass andere gern deinen Mist wegrumen? Was du da alles ausgestreut hast, das kannst du auch geflligst wieder einsammeln. So! Ich schliee die Augen. Zwanzig Jahre Streit wegen unordentlicher Kinderzimmer haben mir den Spa an solchen Auseinandersetzungen ganz schn verdorben. Ach, Mama, reg dich doch nicht auf. Ich mach das schon. Irgendwann. Die Tochter wendet sich zum Gehen. Halt, hier geblieben! Was heit hier irgendwann? Jetzt ist irgendwann! Du gehst nicht weg, bevor mindestens der Fuboden da drin wieder begehbar ist!

    Bedauernd schttelt die Unordnungsstifterin den Kopf. Das geht nicht. Du sagst doch selbst immer, Versprechen muss man halten. Und ich hab Milena versprochen, dass ich heute zu ihr komme. Triumphierend macht sie kehrt und stapft zu ihrem Zimmer. Ich hol nur noch eine Kassette. Die hab ich ihr auch versprochen.

    Bitte, sage ich giftig, wenn du in dem Mll noch eine finden kannst!

    Och, sagt Rose, die Hand schon auf der Trklinke, ich wei eine, die ich nicht suchen muss.

    -61-

  • Manche Kinder lispeln, andere nicht. Woher die Lispler das

    Lispeln haben, wei niemand so recht. Wenn weder die Eltern noch die lteren Geschwister Lispler sind, fragt man sich wirklich, wie ein Kleinkind darauf kommt. Manchmal klingt es ja auch witzig. Aber wenn das lispelnde Kind dann vier Jahre oder lter ist, werden wir unruhig.

    Nun ist die se Babyzeit ein fr allemal dahin und nun wre es doch schn, wenn das Kind ordentlich sprechen wrde. Sozusagen vorschulkindgem. Das Kind hustet uns was. Es lispelt frhlich weiter.

    Toll, n? Krieg ich jeth dath Mthliding?

    Wir verziehen theaterreif unsere Mnder und zeigen, wie man es anstellt, dass die Zunge hinter den Zhnen bleibt. Flo lacht sich halbtot ber diese komischen Grimassen und lispelt weiter.

    Wir sind ungebrochen in unserer Sprechlern-Mission, rufen uns gegenseitig kleine sinnige Stze zu wie Susi, sag mal se Sahne und fhren immer wieder den Trick mit der Zahnmauer vor, hinter der die Zunge nicht hervorkommen soll. Flo macht brav die Zahnmauer und sagt Susi, sag mal se Sahne und fragt dann: Und wath krieg ich jetht dafr? Wir sehen uns Rat suchend an, zucken hilflos mit den Schultern und gehen den brigen Tagesgeschften nach. Flo grinst, freut sich, dass diese Intervention in seine Sprechgewohnheiten mit Erfolg abgeschmettert wurde, und geht seinerseits seinen Tagesgeschften nach.

    -62-

  • Wir haben die Botschaft verstanden. Beim nchsten Mini-Sprechtest habe ich einen aus ernhrungsphysiologischer Sicht unbedenklichen Msliriegel parat und locke. Komm, mach nochmal die Zahnmauer und sag mal Zehn Ziegen ziehen zum Zaum, dann kriegst du das hier. Flo beugt den Riegel misstrauisch, denn ein Lutscher wre ihm lieber. Aber auch ein Riegel ist besser als nix, und er macht brav die Zahnmauer, sagt Zehn Ziegen ziehen zum Zaum, schnappt sich den Riegel und fragt: Und wath wollten then Thiegen am Thaun?

    Ich seufze und berichte abends dem Vater des Immernoch-Lisplers von dem Teilerfolg meiner Bemhungen. Wir kommen berein, diese Zungenturnbungen frs Erste einzustellen. Schlielich ist das Kind gesund, und das ist ja wohl das wichtigste, und auerdem gab es auch schon berhmte Persnlichkeiten, die gelispelt haben und die das am Berhmtwerden und Erfolgreichsein keineswegs gehindert hat. Flo ist etwas enttuscht ber das Ausbleiben von Folge-Aktivitten, denn so schlecht war der Msliriegel auch nicht. Auerdem hat er einen Freund, der ist ganz hei auf diese Dinger und wre mglicherweise bereit, einen Riegel gegen einen seiner Lutscher zu tauschen. Also muss das lispelnde Kind selbst aktiv werden. Mama, ich hab gebt.

    Das ist schn, mein Schatz. Was denn? Na, richtig reden. Ach? Ich bin hoch erfreut und beuge mich erwartungsvoll

    zu meinem bislang lispelnden Sprssling runter. Flo nickt heftig mit dem Kopf und bleckt die Zhne, damit ich

    auch ganz deutlich die Zahnmauer sehen kann. Dann holt er tief Luft und stt mit Nachdruck hervor:

    -63-

  • Ter-Min-Ka-Len-Der! Wasch-Lap-Penl Bett-Vor-Le-Ger! Ich bin geplttet. Flo ist stolz. Toll, n? Krieg ich jeth dath Mthliding?

    -64-

  • Ich erzhle das Mrchen von Fallada: Von der

    Knigstochter, die mit der bsen Kammerfrau zu ihrem Brutigam, dem jungen Knigssohn, reitet und unterwegs von der Kammerfrau gezwungen wird, mit der die Kleider zu tauschen. Wie die Kammerfrau dann Knigin werden will und die Knigstochter zum Gnsehten schickt.

    Wie der alte Knig dann hinter das Geheimnis der Gnseliesel kommt und die bse

    Diese Prinzessin ist so was von blde, das halte ich nicht aus.'

    Kammerfrau fr ihre Verbrechen bestraft wird. Und wie dann schlielich die Hochzeit stattfindet und die Knigstochter und der Knigssohn nun glcklich leben bis an ihr Ende. Tja. Roses Gesicht ist whrend des Zuhrens immer finsterer geworden. Jetzt schnauft sie verchtlich. So eine blde Ziege!

    Ja, sage ich. Die Kammerfrau war wirklich ein ganz gemeines Aas.

    Nee, die doch nicht! Rose schttelt den Kopf. Diese Prinzessin ist so was von blde, das halt ich nicht aus!

    Wieso denn das? Ich bin ganz baff. Na, wieso lsst sich denn die dumme Pute einfach die

    Kleider abnehmen? Warum boxt sie ihre Kammerfrau nicht mal feste in den Bauch?

    -65-

  • Hm. Von der Seite habe ich das Mrchen noch nie

    betrachtet. Vielleicht war die Kammerfrau viel strker und die Prinzessin hatte keine Chance?

    Ph, Quatsch. Dann htte sie ja vorher mal ein bisschen Karate machen knnen oder so. Das machen Frauen heute, wenn sie keine Schlaffis sind.

    So? Ich habe noch nie bei einem Karatekurs mitgemacht und hatte das auch nicht vor. Heit das, dass ich ein Schlaffi bin?

    Na klar. Rose runzelt die Stirn. Aber auch wenn sie kein Karate kann, sie kann doch reden. Warum sagt sie dem

    -66-

  • Brutigam nicht, was passiert ist? Das htte die Kammerfrau doch bestritten! Jaaa, aber dann htten sie's doch blo wie bei Aschenputtel

    machen mssen. Wem die Kleider am besten passen, die hat gewonnen.

    Und wenn beide genau die gleiche Gre haben? So schnell gebe ich mich nicht geschlagen.

    Dann htte sich die Prinzessin einen Anwalt nehmen mssen. Der htte ihren Pass oder so besorgt und - sssst! - war alles klar gewesen.

    Na ja, wenn du es so siehst... Ich gebe auf. Manche Mrchen sind anscheinend berholt. Schlaffe Prinzessinnen, die nicht boxen knnen und keine Karategrtel besitzen und nicht wissen, wie man sich einen Anwalt nimmt, haben heute offensichtlich kein Publikum mehr.

    Du brauchst deshalb ja nicht traurig zu sein! Rose gibt mir schnell ein Ksschen. Das ist ja noch nicht mal das bldeste Mrchen.

    Sondern welches? Ich mache mich daraufgefasst, dass ein weiteres meiner geliebten Mrchen aus der Kinderzeit auf dem Mllhaufen der Powerfrauen landet.

    Das ist doch klar. Das doofste ist Rotkppchen. Ich wrde einem Wolf oder Mann oder so doch nie verraten, wo meine Oma wohnt. Meine Tochter schttelt den Kopf. Und wenn - da muss einer schon mehr hinlegen als so einen dammeligen Blumenstrau.

    -67-

  • Nie bist du dal, schleudert mir der zehnjhrige Sohn

    entgegen, obwohl ja gerade die Tatsache, dass er mich so anfauchen kann, das Gegenteil beweist. Aber wie soll man logisch argumentieren, wenn jemand so offensichtlich sein Bedrfnis nach mtterlicher Nhe bekundet?

    Benni hat Recht, mischt sich jetzt der ltere Bruder ein. Ich find das auch nicht gut, dass du uns allein lsst. Wozu hat man denn eine Mutter, wenn man dann ganz allein da hockt? Das arme Opfer klappert Mitleid erregend mit den Augenlidern.

    Immer gehst du dich amsieren, und wir sollen allein klarkommen. Immer.

    Das lasse ich mir einrahmen und hnge es an die Wand. Zum ersten Mal seit Wochen will ich abends mit einer Freundin ins Kino. Da Vater auf Geschftsreise ist, sollen sich die lieben Kleinen und Groen ausnahmsweise mal allein ins Bett bringen Ihr knnt ja bis halb neun noch fernsehen, mache ich ein grozgiges Angebot.

    Hachl Bis halb neun! Da ist doch kein Film schon zu Ende! Da kann man es auch gleich bleiben lassen. Na gut, also bis neun. Ich war noch nie besonders

    prinzipienfest in solchen Sachen. Aber dass ihr mir um

    -68-

  • Viertel nach im Bett seid! Versprecht ihr mir das? Die Kinder verkneifen sich ihr Grinsen, weil sie mich wieder rumgekriegt haben, und ich ziehe los. Whrend des Films kann ich mich nur schwer auf die Handlung konzentrieren, und hinterher beim Glas Wein gestehe ich meiner Freundin

    mein schlechtes Gewissen. Weit du, sie haben ja auch irgendwo Recht. Der Alltag rollt so ber uns weg, und wir haben schon lange nicht mehr was Richtiges zusammen

    -69-

  • unternommen. Da kommt mir eine Idee. Morgen werde ich einen Kuchen backen, und wenn die Kinder aus Ganztagskindergarten und schule um vier nach Hause kommen, dann machen wir es uns mal so richtig gemtlich. Wir werden klnen und vielleicht ein Spiel spielen oder zusammen einen Spaziergang machen - so ganz in Familie und die Kinder sollen spren, wie wichtig sie mir sind. Am nchsten Tag renne ich von Pontius zu Pilatus, um alle Zutaten zu einem Schwarzwlder Kirschkuchen zusammenzubekommen, stehe zwei Stunden in der Kche, und schlielich steht das Prachtstck auf dem Tisch. Punkt vier ist dieser Tisch gedeckt, der Tee ist fertig und ich harre meiner Lieben, von denen die lteren auf eine Ganztagsschule und die Jngeren in den Hort gehen.

    Morgen werde ich einen Kuchen backen, und wenn die Kinder nach Hause kommen, dann machen wir es uns so richtig gemtlich.

    Als Erster ruft Johannes an. Ich wollte dir nur sagen, ich gehe noch zu Sebastian, der hat ein ganz geiles neues Computerspiel. Wann soll ich denn zu Hause sein?

    Ich murmel etwas von sieben Uhr. brigens, ich hab 'ne Schwarzwlder Kirschtorte gebacken.

    Toll! Dann hebt mir was auf. Tschs! Als Nchster kommt Benni nach Hause. Es gibt ein Riesengepolter im Flur, ich eile die Treppe hinunter und hre, wie er laut auf seine Brder schimpft, weil sein Fuball nicht auffindbar ist. Julian und ich haben uns nmlich verabredet, wir wollen auf die Sportanlage und Elfmeterschieen ben.

    Ich erzhle von der Torte. Benni zgert jedoch nur kurz: Die schmeckt doch auch zum Abendbrot. Also, bis nachher! Aber ich flitze bereits ins Wohnzimmer, denn das Telefon bimmelt wieder. Die Jngste fragt, ob sie mit ihrem Freund Klaasi nach dem Hort auf den Spielplatz kann: Mama, guck mal raus, es ist so schnes Wetter! Na klar kann sie mitgehen.

    -70-

  • Kurze Zeit spter sitzen Florian und ich allein am Tisch. Er kaut mit beiden Backen, und ich rhre in meiner Tasse. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Nachdem er das zweite Tortenstck verdrckt hat, ruspert sich mein Gegenber: Du, eigentlich hab ich mich heute mit Nils verabredet. Ich wollte dich aber nicht so allein lassen, wo du dir ausnahmsweise mal so 'ne Mhe gemacht hast. Aber jetzt ist das doch o. k., wenn ich gehe, ja?

    Natrlich ist das o. k. Ich bin wieder allein, schaue auf die kerzengeschmckte Tafel und freue mich, dass meine Kinder alle so ein ausgeflltes Leben haben.

    Und morgen gehe ich ins Kino, tsch! Und ganz ohne Gewissensbisse!

    -71-

  • Heute war es vielleicht komisch in Bio. Benjamin grinst

    und schaufelt eine Riesenportion Lasagne in seinen Mund. Wieso? Nun sag schon! Die groen Brder sind neugierig, schlielich ist der Biologieunterricht ja nicht gerade bekannt dafr, dass er komisch ist.

    Na, Benni kaut und schluckt, Frau Steiner hat uns lauter solche Filme gezeigt ber Eierstcke und Hodenscke und den ganzen Kram.

    Ach so, der sechzehnjhrige Johannes wirft dem etwas jngeren Florian einen viel sagenden Blick zu. Ihr seid also gerade mit der Aufklrung dran? Miriam will nicht, dass da so

    viel Krabbelzeug in ihr rumzischt!

    Aufklrung? Benni runzelt die Stirn und vergisst erst mal die volle Gabel. Was ist denn das?

    Wieso? Hat sie euch nicht gesagt, dass das Aufklrung ist? Ihr lernt doch alles ber Mann und Frau und wie sie ein Kind machen knnen und so...

    Nee, davon hat sie noch nix gesagt. Benni schttelt entschieden den Kopf. Heute hatten wir nur Eier und Hoden, aber sonst noch nichts.

    Und was war daran so schrecklich komisch? Ich bin auch neugierig. Immerhin - Sex in der Schule, ber den es was zu lachen und nicht nur zu lstern gibt, das interessiert mich auch.

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  • Na ja, also das war so. Frau Steiner zeigte uns einen Film, da zischten immer diese bunten Mnnchen hin und her und schleppten Gene und all so'n Zeug von dahin nach dorthin und lauter so Sachen. Und dazwischen redeten sie immer miteinander, was sie noch tun mssen und so. Da hat Michi auf einmal getuschelt, jetzt wei er endlich, warum es in seinem Bauch manchmal knurrt, das wren bestimmt diese ganzen Spermas und so -

    Das heit Spermien, du Dskopp, hilft Florian freundlich aus.

    Ist ja egal. Also, dann hat Miriam gesagt, sie will nicht, dass da so viel Krabbelzeug in ihr rumzischt, und sie will nie was mit Mnnern haben. Da hat Frau Steiner gesagt, das war alles nur bildlich, damit wir es besser verstehen.

    Und? Irgendwie vermisst Johannes die Pointe. Ich auch. Da hat Michi gesagt, vielleicht ist das der Trick von diesen

    Bauchrednern, dass die immer mit ihren Eierstckern oder so palavern, und da haben wir ganz doll lachen mssen. Stell dir mal vor, so ein Bauchredner quatscht mit seinem Schmusetier und in Wirklichkeit antworten die Eier und Sper-, na was auch immer.

    Hm. Diese Vorstellung ist fr uns bereits aufgeklrte Menschen am Tisch sichtlich neu.

    So'n Bldsinn. Johannes nimmt sich noch eine Portion Lasagne. Warum erklrt die euch nicht klipp und klar, was da wirklich in den Buchen ist?

    Vielleicht weil sie immer rot wird. Jedenfalls hab ich nachher

    -73-

  • -74-

  • in der Pause von allen zwanzig Pfennig kassiert und hab ihnen genau erklrt, wie das ist, also wenn der Mann und die Frau ein Kind machen und den ganzen Kram.

    Ach? Ich bin perplex. Und woher weit du das so genau? Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass du mich mal danach gefragt httest. Oder hast du Papa -?

    Nee. Benni wirft seinen groen Brdern einen verschwrerischen Blick zu. Das wei ich alles schon lange. Und 'n bisschen Taschengeld kann man ja immer brauchen.

    Soso. Pikiert schaue ich zu der Fnfjhrigen hin, die aufmerksam zugehrt hat. Und demnchst lsst du dir von Rschen auch noch die Aufklrung bezahlen, oder?

    Ach, Mama, in der Familie ist doch alles umsonst. Benni wendet sich Rose zu. Also, Rose, wenn du es auch wissen willst, also, rein sexuell gesehen ist das nmlich so -

    Ah, h, will ich gar nicht. Markus hat uns das schon alles im Kindergarten erzhlt. Ich wei schon alles. - Mama, ich bin fertig mit Essen - kann ich jetzt spielen gehen? Ich nicke ahnungsvoll. Und zu wem?

    Zu Markus. Der wei immer so spannende Sachen.

    -75-

  • Das hier ist eigentlich gar keine richtige Kchel, behauptet

    meine sechsjhrige Tochter mit streng gerunzelter Stirn. Ach, und wieso nicht? Verblfft schaue ich mich in meiner

    Kche um, in der immerhin seit mehr als fnfzehn Jahren die Mahlzeiten fr sieben hungrige Muler zubereitet werden.

    Na, weil wir kein Telefon hier haben. Ein Telefon? Braucht man das in einer Kche? Na klar, erklrt sie unbeirrt. In meiner Kche hab ich doch

    auch eins. Das stimmt. In Roses Plastikkche hngt seitlich ein -

    natrlich zeitgem schnurloses - Telefon am Haken. Und auerdem hast du noch nicht mal eine Mikrowelle!

    Stimmt auch. Ich war bislang nie der Ansicht, dass ich eine gebraucht htte, und auerdem ist das mit der Strahlenbelastung bis heute ja noch nicht eindeutig geklrt.

    Weit du, wir finden, dass wir auch so ganz gut zurechtkommen -, beginne ich mit meiner Rechtfertigung, doch Rose unterbricht mich ungeduldig: In meiner Kche gibt es aber eine Mikrowelle. Und was Kinder in der Kche haben, brauchen doch die Groen auch, oder?

    Nee, das finde ich nicht. Blo weil so ein Spielzeugdesigner gedacht hat, er muss lauter solchen Technokram einbauen, muss ich doch noch lange nicht auch so einen Apparat haben.

    -76-

  • Mama! Manchmal bist du echt hinterm Mond. Du hast ja

    nicht mal einen Wschetrockner! Das stimmt. Ich habe mich bisher dafr eher heimlich gelobt,

    einmal wegen der Gymnastik beim Wscheaufhngen und zum ndern wegen des Stromsparens. Ich habe nicht gewusst, dass ich mir damit den Respekt meiner technikbegeisterten Tochter verscherzt habe.

    Ach ja? Vielleicht erzhlst du mir auch, was noch alles bei uns fehlt?

    Na, zum Beispiel die Fernseher in den Kinderzimmern. Im Barbiehaus gibt es im Schlafzimmer auch einen Fernseher!,

    verkndet sie triumphierend. Ganz klar, die Spielzeugindustrie wei, wie sie die knftigen

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  • Wohnungseinrichterinnen auf ppigen Konsum einstimmt. Und wenn ich im Bett gar nicht mehr fernsehen will?, erkundige ich mich neugierig.

    Das ist egal. Das braucht man einfach.

    Manchmal bist du echt hinterm Mond, Mama. Du hast ja nicht mal eine Mikrowelle!

    Ich nicht! Langsam gerate ich in Fahrt. Und ich lass mir auch nicht von irgendjemandem diktieren, dass ich im Bett fernsehen muss! Fllt dir sonst noch was ein?

    Da fehlt noch viel. Du hast keine elektrischen Lockenwickler wie Monas Mutter. Das sieht echt toll aus. Und du rasierst dir auch nicht die Beine, dabei gibt es dafr einen ganz schicken Rasierer. Annas Mama lsst Anna manchmal den Rasierapparat halten und Anna sagt, das summt so schn. Und ein elektrisches Messer hast du nicht, und keinen Eierkocher.

    Halt mal, Moment. Aber Papa hat neulich einen Joghurtbereiter gekauft!

    Schon, aber du hast rumgemotzt und ihn in den Keller gestellt, weil du so was berflssig findest. Also haben wir einen, aber du benutzt ihn nie.

    Ach nee? Du meckerst, und dabei magst du gar keinen Joghurt!

    N, aber das ist ja egal. Ich hab ja nur gesagt, dass du keine richtige Kche hast. Und das stimmt. Ich bemhe mich um Gelassenheit. Dafr hast du eine Mutter, die sich nicht vom Werbefernsehen sagen lsst, was sie kaufen soll. Das ist doch auch was wert, oder?

    Find ich nicht. Man soll nmlich mit der Zeit gehen. Ach ja? Und wer sagt das? Na, eben das Werbefernsehen.

    -78-

  • Es ist zwlf Uhr nachts, ich bin todmde, aber das Bad ist

    besetzt. Wann seid ihr denn endlich fertig?, erkundige ich mich bei

    Johannes und seinem Kumpel Max, beide im besten Teenageralter zwischen 15 und 17.

    Das dauert noch, komm ruhig rein, werde ich gromtig eingeladen. Drinnen sind die beiden Jungmnner mit dem Austausch ihrer intimsten Geheimnisse zugange und geben sich gegenseitig gromtig Kosmetik-Tipps. Ich drcke Zahnpasta auf meine Zahnbrste und lausche begeistert.

    Da hilft nur eins: Seesandmandelkleie, behauptet mein Sprssling mit Blick auf die Samthaut seines Freundes.

    Echt? Und dann kriegt man keine Pickel mehr? Das kannst du so nicht sagen. Aber wenn, dann sind sie

    wenigstens sauber. - brigens, wendet er sich an mich, du wolltest mir doch den Mitesser am Kinn wegmachen! Ich richte mich auf, stecke die Zahnbrste fest in die Backentasche und suche mit gebtem Blick direkt unter der Badezimmerleuchte nach dem strenden Parasiten.

    Halldochmschdill, mit Zahnbrste in den Kiemen ist das Sprechen schwierig. Ich habe noch ein schwarzes Pnktchen entdeckt. Stolz ber meinen raschen Erfolg, fhre ich auf dem Fingernagel das Beutestck vor.

    -79-

  • Max ist sehr beeindruckt. Hab ich auch so was? Ich lege die

    Zahnbrste am Waschbecken ab. Lass mal gucken. Im gnadenlosen Licht der Badezimmerlampe wird seine

    Existenz unbersehbar: ein schwarzer Punkt mitten auf dem Nasenrcken. Fasziniert betrachtet Max sich den riesigen Mitesser im Spiegel und verlangt dann von mir die sofortige Entfernung. Johannes schaut nun seinerseits gespannt zu und geizt nicht mit Ratschlgen:

    Mann, das ist ein hllischer Schmerzl Aber da musst du durch! Das musst du aushaken! Derweilen habe ich meine Fingerngel platziert und drcke behutsam zu.

    -80-

  • Max zuckt zusammen. Johannes spricht ihm Mut zu. Max strafft die Schultern. Ich habe das Talgkgelchen zwischen meinen Ngeln geortet und erledige meinen Auftrag. Max wird bleich. Wortlos halte ich ihm den Pfropfen unter die nunmehr

    etwas gertete Nase. Er ist zutiefst beeindruckt und bedient sich bei meinem Eau de Cologne. Aber man soll die ersten Regungen hinsichtlich aktiver Krperpflege nicht durch pingelige Ermahnungen im Keim ersticken, also sage ich nichts dazu. Mannomann. Beide Knaben sind begeistert. Ich nehme verstohlen meine Zahnbrste wieder auf, aber nun ist das Waschbecken von den Jungmnnern besetzt, die eifrig ihr Gesicht mit Seesandmandelkleie rubbeln. Anschlieend wird die nunmehr porentief gereinigte Haut auch noch eingekremt. Befriedigt mustern die teuer duftenden Krperpfleger ihre speckglnzende Pelle im Spiegel.

    Die jungen Mnner rubbeln eifrig ihr

    Gesicht mit Mandelkleie.

    Und morgen zeigst du uns den Trick mit dem Ring, ja? fragt Johannes. Du weit doch, wie man an die ganzen Mitesser neben der Nase kommt1.

    Ich habe das Zhneputzen inzwischen ber der Badewanne erledigt und gelobe das Vorfhren des Ringtricks. Dann flchte ich aus dem Bad, derweil die junge Generation verschiedene Duschgels unter der Brause ausprobiert.

    Am nchsten Morgen betritt Johannes das Bad, als ich mich gerade abtrockne. Mama, das war ja blo Katzenwsche!, werde ich streng gergt. Du solltest mehr auf Krperpflege achten. Und auerdem gibt es jetzt eine tolle Sache gegen Falten irgendwas mit Liposomen.

    -81-

  • Sebastian muss das nie! oder Torsten braucht so was nicht

    zu machen! ist Dauerton in Familien mit mehreren Shnen. Und offensichtlich sind unsere vier

    besonders schlimm dran. Kein Junge in meiner Klasse muss SO viel zu Hause helfen wie ich.

    Kein Junge in meiner Klasse muss so viel zu Hause helfen!, sthnte neulich wieder Flo, der 13-Jhrige.

    Soso, signalisiere ich erst mal Gesprchsbereitschaft. Und wer, bitte, macht bei denen den Dreck weg?

    Na, was wei ich! Ne Putzfrau oder die Mutter. Das heit, du fndest es ganz in Ordnung, wenn ich immer

    euren Dreck wegmachen wrde? Na ja, h, em... Ist das nicht genug, dass ich schon immer dieses ganze Haus

    aufrume und - Ich ereifere mich. Schlielich kommt dieses Thema ja regelmig auf die Tagesordnung, und wir haben

    alle eine gewisse bung im Abspulen unserer Argumente. ... ja, ja, ich wei schon: und die Wsche machst du auch

    immer und so weiter und so fort. Ja, wenn du's schon weit, warum beschwerst du dich

    dann? Wir knnten ja schlielich auch eine Putzfrau haben wie alle

    anderen. Welche alle anderen? Du willst mir doch nicht einreden,

    -82-

  • Ekrems und Sutargas Mtter htten Putzfrauen engagiert? N. Die nicht. Aber Ekrem und Sutarga, die mssen ja nun

    mal ganz bestimmt nicht zu Hause helfen. Ach, und wer wischt hinter diesen Herren her und kratzt die

    Klos wieder sauber? Wei ich doch nicht. Aber vielleicht hast du eine Ahnung. Oder mssen diese Herren nie aufs Klo? Doch, doch. Na, gut, du hast gewonnen, da machen es die Mtter. Und du findest das in Ordnung? So richtig in Ordnung nicht, aber bequemer. Dann hast du Pech gehabt. Mein Mitleid mit Flo ist durch 20 Jahre Haushalt fr eine siebenkpfige Familie absolut auf

    dem Nullpunkt. Leider funktioniert genau in diesem leidigen Bereich Lernen

    durch Vorbild berhaupt nicht, denn ich kann es einfach nicht glaubwrdig demonstrieren, dass Staubsaugen, Wischen, Putzen und Abwaschen angenehme Ttigkeiten sind, deren

    Erledigung zu tiefster innerer Befriedigung fhrt. Das Einzige, was wahrscheinlich all die Jahre glaubhaft rberkommt, ist diese unbndige Wut, wenn nach stundenlanger Asterei das

    Haus in fnf Minuten wieder in den alten Lotterzustand zurckversetzt wird. Dann kann man mich wahrscheinlich noch in der bernchsten Strae brllen hren.

    Doch Flo hat fr heute noch nicht ganz aufgegeben. Und warum haben wir keine Putzhilfe? Das leisten sich doch andere auch.

    In Ordnung. Mchtest du's bezahlen?

    -83-

  • Mama, sei doch nicht albern. Dafr reicht mein Taschengeld

    nicht. Das sind im Monat doch Hunderte. Eben. Was meinst du mit eben? Na, dass wir's auch zu teuer finden. Und dass eine

    Absprache in der Familie war, dass wir lieber einmal im Monat essen gehen fr das Geld.

    Hach, und wann waren wir das letzte Mal? Das war auch

    -84-

  • blo so 'ne Versprechung. Doch ich habe gelernt, schnell zu reagieren. Eigentlich

    wollten wir nchstes Wochenende mit euch zum Chinesen. Na ja. Dann muss ich wohl. Resigniert greift Flo nach

    Eimer und Schrubber und stapft die Treppen hoch. Das wre wieder mal berstanden. Nun macht mir nur noch eine Sache Sorgen. Unsere Jngste rumt seit zwei Wochen freiwillig ihr Zimmer auf und neulich wurde sie sogar beim Putzen erwischtl Und das mit fnf Jahren! Von mir kann sie sich das wohl kaum abgeschaut haben. Sollte dieser Reinlichkeitswahn am Ende doch in den weiblichen Genen drinstecken? Aber warum, zum Teufel, wurde ich dann dabei bergangen?

    -85-

  • Also eigentlich, sinniert Benjamin, whrend er sich viel zu

    dicke Salamischeiben absbelt, eigentlich sind wir wie die Familie in der Fernsehserie Nicht von schlechten Eltern.

    Ha?, erkundigt sich Florian, und auch Johannes legt eine Pause beim Mampfen ein und schaut den kleinen Bruder erwartungsvoll an.

    Die Vorabendserie Nicht von schlechten Eltern ist momentan ihre Lieblingsserie, und etwaige hnlichkeiten zwischen echten Fernsehgeschichten und uns sind natrlich ein faszinierender Gesprchsstoff.

    Na klar. Benni ist sich seiner Sache sicher. Beide leben wir in Bremen.

    Jaha, das schon, gibt Flo zu. Aber die wohnen bestimmt in so 'nem vornehmen Viertel wie Schwachhausen und nicht in der Neustadt.

    Aber beide wohnen wir im eigenen Haus! Und wenn schon! Die haben einen richtigen Garten und

    alles, und wir wohnen in so einem ollen dsteren Reihenhaus. Hehehe!,