scrum - einführung in der unternehmenspraxis || verschiedene startpunkte

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2 Verschiedene Startpunkte Es gibt diverse Möglichkeiten, mit einer Scrumeinführung zu beginnen. Diese hängt auch in erheblichem Maße von der gewünschten Ausprägung von Scrum im Unternehmen ab. In manchen Unternehmen entscheidet die Geschäſtsführung – oſt nach einem erholsamen Golfduell voller Einsichten – dass Scrum im kompletten Unternehmen genutzt werden soll. Manchmal ist es auch das Ergebnis der „lessons learned“ vergangener Projekte. Jedenfalls steht die Geschäſtsführung hinter der Einführung und stellt auch ein Budget bereit. Häufiger kommt es vor, dass ein einzelnes Team oder eine Entwicklungsabteilung Scrum für sich entdeckt und sozusagen „von unten“ damit anfängt. Oſt weiß das obere Management gar nichts von diesen Experimenten und kann es daher auch nicht unterstüt- zen. Als „U-Boot“ bezeichnet man solche Veränderungen oder Projekte, die bewusst „ab- tauchen“, also auch gar nicht vom Management gesehen werden sollen. Im Folgenden werden Sie die spezifischen Vor- und Nachteile dieser Ansätze kennen lernen. Das Ziel muss aber immer gleich lauten: Das Unternehmen produktiver machen, den Menschen in den Mittelpunkt rücken und mit Spaß und Stolz an die Arbeit gehen. 2.1 Top-Down-Einführungen Im Idealfall haben Sie bereits von Anfang an den Rückhalt Ihres Managements. Das erlaubt es Ihnen, offen zu agieren und Erfolge auch nach außen zu tragen. Lassen Sie sich nicht täuschen: Langfristig können Sie nur mit der Unterstützung Ihrer Chefs erfolgreich sein. Kleine Erfolge sind zwar auch ohne deren Hilfe erreichbar, aber Wirkung erzielen Sie in der Organisation nur dann, wenn Sie auch an den großen Stellschrauben drehen – und die befinden sich in der Obhut Ihres Managements. Das ist auch gut so, denn Macht und Verantwortung sollten nicht allzu weit voneinander entfernt liegen. Wenn Sie erfolgreich sind (oder werden wollen), dann werden Sie am Ende das Management mit „im Boot“ haben. 11 D. Maximini, Scrum - Einführung in der Unternehmenspraxis, DOI 10.1007/978-3-642-34823-5_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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Page 1: Scrum - Einführung in der Unternehmenspraxis || Verschiedene Startpunkte

2Verschiedene Startpunkte

Es gibt diverse Möglichkeiten, mit einer Scrumeinführung zu beginnen. Diese hängt auchin erheblichem Maße von der gewünschten Ausprägung von Scrum im Unternehmen ab.In manchenUnternehmen entscheidet die Geschäftsführung – oft nach einem erholsamenGolfduell voller Einsichten – dass Scrum im kompletten Unternehmen genutzt werden soll.Manchmal ist es auch das Ergebnis der „lessons learned“ vergangener Projekte. Jedenfallssteht die Geschäftsführung hinter der Einführung und stellt auch ein Budget bereit.

Häufiger kommt es vor, dass ein einzelnes Team oder eine EntwicklungsabteilungScrum für sich entdeckt und sozusagen „von unten“ damit anfängt. Oft weiß das obereManagement gar nichts von diesen Experimenten und kann es daher auch nicht unterstüt-zen.

Als „U-Boot“ bezeichnet man solche Veränderungen oder Projekte, die bewusst „ab-tauchen“, also auch gar nicht vomManagement gesehen werden sollen.

Im Folgenden werden Sie die spezifischen Vor- und Nachteile dieser Ansätze kennenlernen. Das Ziel muss aber immer gleich lauten: Das Unternehmen produktiver machen,den Menschen in den Mittelpunkt rücken und mit Spaß und Stolz an die Arbeit gehen.

2.1 Top-Down-Einführungen

Im Idealfall haben Sie bereits vonAnfang an den Rückhalt IhresManagements. Das erlaubtes Ihnen, offen zu agieren und Erfolge auch nach außen zu tragen. Lassen Sie sich nichttäuschen: Langfristig können Sie nur mit der Unterstützung Ihrer Chefs erfolgreich sein.Kleine Erfolge sind zwar auch ohne deren Hilfe erreichbar, aber Wirkung erzielen Sie inder Organisation nur dann, wenn Sie auch an den großen Stellschrauben drehen – unddie befinden sich in der Obhut Ihres Managements. Das ist auch gut so, denn Macht undVerantwortung sollten nicht allzu weit voneinander entfernt liegen. Wenn Sie erfolgreichsind (oder werden wollen), dann werden Sie am Ende das Management mit „im Boot“haben.

11D. Maximini, Scrum - Einführung in der Unternehmenspraxis,DOI 10.1007/978-3-642-34823-5_2,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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Die Vorteile der Top-Down-Einführung liegen auf der Hand: Ein klares Mandat, Bud-get, personelle Ressourcen, aktive Unterstützung und ein eindeutiges Ziel bringen IhrThe-ma „Scrum“ voran. Meist werden Ihnen auch Schulungsmaßnahmen, externe Berater undandere hilfreiche Werkzeuge zugestanden. Im Gegenzug müssen Sie Erfolge generieren,welche die Investition rechtfertigen. Vermutlich machen Sie das aber sowieso; kaum je-mand startet mit einem riskanten Unterfangen, wenn er nicht vorhat, erfolgreich und mitGewinn daraus hervorzugehen. Der hierdurch entstehende Druck kann natürlich auchnegativ empfunden werden. Außerdem müssen Sie Ihr Entwicklungsteam und gegebe-nenfalls weitere Kollegen noch davon überzeugen, dass sich die Scrumeinführung auchfür sie lohnt. Ein weiterer Nachteil ist häufig, dass so manche Top-Down-Einführung vondem Glauben gespeist wird, es gäbe so etwas wie eine „Silberkugel“ gegen die „Werwölfe“scheiternder Projekte (Brooks 2003). Daraus resultiert dann eine unrealistische Erwar-tungshaltung über die Geschwindigkeit und den Erfolg einer Scrumeinführung. DemMa-nagement kann man hier auch kaum einen Vorwurf machen: Meist wurden auch sie nurdas Opfer überzogener Erwartungshaltungen ihrer Kollegen. Es gibt sogar Berater, die mitProduktivitätssteigerungen um den Faktor 10 winken, um mehr Aufträge zu bekommen.Das ist natürlich Unsinn. Die Scrumeinführung alleine bringt Ihnen zwar Transparenz,aber keinerlei Produktivitätsgewinne – dazu müssen Sie die Produktivitätshemmnisse Ih-rer Organisation abbauen.

Wenn Sie eine Top-Down-Einführung anstreben, können Sie alle Ausprägungen vonScrum imUnternehmen etablieren. Ihnen stehen alle Möglichkeiten offen – vorausgesetzt,Sie können Ihr Management überzeugen.

2.2 Bottom-up-Einführungen

Amhäufigstenwird die Einführung von Scrum„von unten“ gesteuert.Meist ist es ein erfah-rener Entwickler oder der technische Entwicklungsleiter, der die Initiative ergreift und dieLösung seiner Probleme in Scrum sieht. Es startet dann meist ein insularer „Versuchsbal-lon“, der vom höheren Management geduldet wird (würde er aktiv unterstützt, wären wireher in einer Top-Down-Einführungssituation). VonVorteil sind hier die hoheMotivationdes Teams und die Hemdsärmeligkeit, mit der Veränderungen angepackt werden, statt lan-ge darüber zu diskutieren. Oft ist die Startphase der Einführung auch sehr erfolgreich – bissie an ihre natürlichen Grenzen stößt. Sobald Schnittstellen oder Prozesse außerhalb derReichweite des Teams geändert werden müssen, bremst die Organisation hier den Enthu-siasmus und verhindert Veränderungen. Aus Sicht des Unternehmens ist dieses Verhaltendurchaus gerechtfertigt, schließlich haben die Prozesse ja auch in der Vergangenheit dazugeführt, dass das Unternehmen so gut dasteht, wie es das heute eben tut. Natürlich hat auchdiese Organisation Probleme, aber das Risiko, bei der Einführung von Scrum auch funk-tionierende Prozesse zu verschlechtern, wird möglicherweise höher eingeschätzt als derpotentielle Nutzen. Auch Machtgerangel zwischen rivalisierenden Führungskräften kannhier das zarte Pflänzchen der Agilität schnell verdursten lassen.

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2.3 U-Boote 13

Solche Implementierungen führen häufig zunächst zu „Hybridprozessen“, also agilenTeilprojekten, die in den Kontext klassischer Phasenmodelle eingegliedert sind. TypischeKennzeichen sind dieGliederung nach technischenThemen statt Produkten, dasAuslagernbestimmter Tätigkeiten an andere Teams (zum Beispiel ein Test- oder Integrationsteam)und nur geringe Produktivitätsgewinne gegenüber den klassisch organisierten Schwester-Teams. Die Bezeichnung „Scrum“ verdienen solcheHybridergebnisse nicht. Es handelt sichum Fassaden-Scrum, wenn die Grundelemente von Scrum nicht erfüllt sind.

Bei Bottom-Up-Einführungen stehen Ihnen ScrumPRNund Fassaden-Scrum (falls Siedas wirklich wollen) zur Auswahl. Je nach Ihrer speziellen Situation können Sie möglicher-weise sogar ein Scrum Studio umsetzen. Tiefen-Scrum steht Ihnen allerdings nicht zurVerfügung.

2.3 U-Boote

Jeder kennt sie, jeder „liebt“ sie: U-Boote. Endlich kann das Team das tun, was es schonimmer für richtig hielt. Solange es niemand merkt, tut man einfach „das Nötige“. Ist dochegal, was das Management sagt – wir sind das Team. Scrum sagt doch: „Das Team hat dieMacht!“ Oder etwa nicht?

Selbstverständlich sind diese Aussagen falsch, auch wenn sie in der Praxis hin und wie-der anzutreffen sind.

U-Boote sind sehr kritisch zu sehen. Scrum verändert ein Unternehmen früher oderspäter grundlegend. So etwas lässt sich nicht geheim halten. Zwar kann ein U-Boot quasiüberall operieren, jedoch sind die Überlebenschancen bei einer Entdeckung gleich Null.Da eine Entdeckung langfristig sicher und die Überlebenschancen gering sind, sollten Sievon diesem Modell Abstand nehmen.

Versetzen Sie sich in die Lage des Top-Managements: Sie versuchen dieses Schlachtschiffzu steuern, das man Unternehmen nennt. Sie sind für Wohl und Wehe Ihrer Angestelltenverantwortlich. Auch gesetzliche Regularien müssen Sie einhalten, weil Sie sonst Ihr Un-ternehmen schließen müssten. Damit das alles funktioniert, haben Sie ein ausgeklügeltesSystem von Prozessen installiert. Plötzlich bemerken Sie, dass eine Abteilung an diesemSystem vorbei operiert und damit das gesamte Unternehmen gefährdet. Untragbar! Siewissen zwar nicht so genau, was die da eigentlich machen (es hat sich schließlich niemanddie Zeit genommen, Ihnen zu erklären, was Scrum eigentlich ist und worin der Nutzenliegt), aber eines ist offensichtlich: Es ist geheim und weicht von den etablierten Prozessenab.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – eine solche Gefahr für meine Mitarbeiter würde ichauch torpedieren.Außerdemwäremöglicherweisemein Stolz verletzt, weilmeineAutoritätuntergraben wurde. Das ist keine gute Grundlage für produktive und sachliche Diskussio-nen. Greifen Sie nur im äußersten Notfall zum Mittel des U-Boots und bringen Sie es sobaldwiemöglichwieder an dieOberfläche.Nehmen Sie Frischwasser unddasManagementmit an Bord. Das ist vielleicht mühsamer, aber langfristig auf jeden Fall erfolgreicher. Eine

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weitere Motivation für Sie könnte sein, dass Sie mit einem U-Boot ausschließlich ScrumPRN erreichen können.

2.4 Auswahl des richtigen Startpunktes

Wie auch immer Sie anfangen; streben Sie an, das Management für sich zu gewinnen.Schließlich arbeiten Sie alle für das gleiche Ziel: Ihr Unternehmen noch erfolgreicher zumachen und damit auch Ihren Arbeitsplatz zu sichern. Wenn Sie die Chance dazu ha-ben, beginnen Sie direkt mit einer Top-Down-Implementierung. Das spart Ihnen eineMenge Zeit und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit drastisch. Um es noch klarer zusagen: Die meisten der in diesem Buch beschriebenen Maßnahmen können Sie ohne dieUnterstützung des Top-Managements nicht umsetzen. Gerade diese Maßnahmen sind esaber, die den Erfolg einer Scrumeinführung wahrscheinlicher machen. Wenn Sie nicht aufdie Unterstützung des Managements zählen können, beginnen Sie mit einer Bottom-Up-Einführung. Greifen Sie nur im absoluten Notfall zumMittel des U-Boots. Generieren SieErfolge und beweisen Sie dem Management, dass die Prozessveränderungen gut für alleBeteiligten sind. Das Wichtigste aber ist: Fangen Sie an!

Literatur

Brooks FP Jr (2003) VomMythos des Mann-Monats. mitp Verlag, Berlin