themenheft_1_2011_deutsch

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twen Freiheit und Verantwortung Richtig entscheiden Interview: Gefühle und Gedanken müssen übereinstimmen Wir kaufen nicht das Beste, sondern was alle haben Schiessen oder abgeben? So entscheidet der Nati-Stürmer Junge Themen zur Zeit

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Richtig entscheiden Interview: Gefühle und Gedanken müssen übereinstimmen Wir kaufen nicht das Beste, sondern was alle haben Schiessen oder abgeben? So entscheidet der Nati-Stürmer Junge Themen zur Zeit Freiheit und Verantwortung

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twen

Freiheit und Verantwortung

Richtig entscheidenInterview: Gefühle und Gedanken müssen übereinstimmenWir kaufen nicht das Beste, sondern was alle habenSchiessen oder abgeben? So entscheidet der Nati-Stürmer

Junge Themen zur Zeit

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Entscheiden Wenn wir alltägliche Entscheide treffen, haben wir dafür oft genug Zeit. Doch wie gehen Leute vor, die in allerkürzester Zeit entscheiden müssen? Zum Beispiel auf dem Fussballplatz?

Marco Streller, Nati-Stürmer:

... und wegist der Ball!Den Ball abgeben? Oder doch selbst schiessen? Vor dem Tor müsse er intuitiv entscheiden. Und ja nicht lange über-legen, weiss Stürmer Marco Streller.

Letzte Saison war er in der Axpo Super League erfolgreichster Tor-schütze mit Schweizer Pass, nur Söldner Doumbia traf öfter.

Marco Streller (29) schoss 2009/2010 21 Tore, spielte zudem zehn Mal den entscheidenden Pass zu einem Mit-spieler. Gut auch seine Bilanz in die-ser Saison: Bis zur Winterpause konn-te sich Strelli acht Torerfolge und sechs Assists gutschreiben lassen. Selbst schiessen oder abgeben – wie entscheidet dies der 35-fache Interna-tionale? «Das Wichtigste ist, dass du intuitiv entscheidest» betont er, «auch wenn Laufwege vorgegeben und trai-niert werden.» Doch er weiss genau: «Wenn du als Stürmer zu viel über-legst, ist der Ball weg.» Insbesondere bei Spielen mit hohem Tempo, in der Champions League etwa, gilt: «Du gehst mit dem Ball in den 16er, du hast einen Gedanken – und den musst du durchziehen», sagt der Baselbieter, «wenn du vor dem Tor hingegen zu lange nachdenkst, heisst dies, dass du nicht in Form bist.» Entscheidend dabei: die Erfahrung, «weil du die Abläufe gut drin hast und ruhiger wirst. Erfahrene Spieler sind vor dem Match längst nicht mehr so angespannt, die Routine gibt dir Sicherheit.» Und was, wenn man es trotz der besseren Position eines Mit-spielers selbst probiert – und nicht trifft? Das muss doch nerven. «Ja, da-mit hadert man. Doch du darfst kei-nerlei Gedanken daran verlieren. Auf internationalem Niveau hast du ein, zwei Chancen pro Spiel. Versemmelst du eine, musst du das sofort abhaken, dran bleiben, auf die nächste hoffen.»

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Personalentscheide innert Minuten

«Der Körper lügt nie.»

Auch nach Fehlentscheiden gilt:

Volle Konzentration

René Mägli weiss meist ziemlich rasch, ob er jemanden an stellt. Mägli, Chef von MSC Mediterranean Shipping Agency Schweiz, der zweitgrössten Reederei der Welt, führt sämtliche Bewerbungs gespräche selbst.

Ob jemand für seine Firma in Frage kommt, ent-scheidet Mägli sehr schnell, manchmal schon, wenn jemand durch die Türe tritt. Ein Beispiel: Mitte Januar hatte er eine Bewerberin zum Ge-

spräch eingeladen: «Ich wusste nach fünf Minuten, dass sie ins Team passt, am nächsten Tag hat sie bereits bei uns angefangen.» Was Mägli so sicher macht: «Ich gestehe mir zu, über eine sehr gute Menschenkenntnis zu verfügen», sagt er, «für mich ist es ein Bauchgefühl, mehr kann ich dazu nicht sagen.» Diese Intuition wird von René Mäglis Hobby genährt: Körpersprache. «Ich bin überzeugt», so Mägli, «dass der Körper nie lügt.»

Sie dürfte die jüngste oder mindestens eine der jüngsten Schiedsrichterinnen der Schweiz sein: Iris Schürch, gerade einmal 16 Jahre alt, Kantischülerin aus Küttigen AG.

Sie pfeift seit letztem Jahr Spiele von C- und D-Junioren, also bei Kindern, die 14 und jünger sind. Dazu gekommen ist sie durch ihren Vater, auch Schiedsrichter. «Ich entschied mich für den Schiedsrichterkurs, weil es eine neue Herausforderung war», erzählt sie, «es ist eine Lebensschule für

mich, ich lerne, mich durchzusetzen, meinen Mut zusammenzunehmen.» Wie schafft man es, als Schiedsrichterin rasch und richtig zu entscheiden? «Auf dem Platz ist wichtig, dass ich mich sehr gut konzentrieren kann, dass ich während des ganzen Spiels voll dabei bin», erklärt Iris Schürch, die selbst beim BSC Zelg-li Aarau Fussball spielt. «Wichtig ist auch eine gute Kondition. Und dann muss man natürlich die Regeln sehr gut kennen.» Angst vor Fehlentscheiden? «Die gibt es sicher, vor allem gegen Schluss des Spiels, wenn das Resultat sehr knapp ist, wenns unentschieden steht und beide Mannschaften noch gewinnen möch-ten.» Trotzdem kommt es bekanntlich zu Fehlentscheiden, fast in jedem Spiel, selbst bei der WM, auf höchstem Niveau also. Wir erinnern uns an den letzten Sommer. Das hat Iris natürlich auch schon erlebt: «Zum Beispiel habe ich ein-

mal ein Offside übersehen, obwohl es eigentlich ein sehr klares war», erzählt die junge Schiedsrichterin. Obwohl sie den Fehlentscheid kurz danach realisiert hatte, «war es für mich entscheidend, dass ich nicht lange darüber nachdach-te, sondern gleich wieder voll konzent-riert weitermachen konnte.»

Entscheidung abgenommen

Essen, was aufden Tisch kommt

Espresso, Latte oder Cappuccino? Bohnen aus Guatemala, Costa

Rica oder Kolumbien? Westliches oder zentrales Hochland? Und so weiter. So viele Entscheidungen muss der Hand werker aus dem Kranken-kassenspot von Filmemacher Dani Levy fällen – dabei wollte er doch einfach nur einen Kaffee. Er verzwei-felt schier ob all den Möglichkeiten. Ganz anders die Gäste in Andreas Schürmanns Restaurant «Bonvivant» im Basler Gundeldingerquartier: Sie werden nicht von derartigen Entscheidungsschwierigkeiten geplagt. Denn Schürmann, einst als Koch mit 16 Gault-Millau-Punkten und einem Michelin-Stern ausge-zeichnet, entscheidet, was seine Gäste essen. Eine Speisekarte hat er nicht, es gibt pro Mahlzeit, Zmittag wie Abendessen, nämlich nur gerade ein einziges Menu. Die einzige Ent scheidung, die man als Gast zu treffen hat: hingehen oder nicht.

Wichtig ist für Mägli primär, dass jemand ins MSC-Team beziehungsweise in die jeweilige Abteilung passt: «Die meisten Firmen suchen Fachtrottel», lamentiert Mägli, wörtlich. Natürlich müsse jemand über kaufmännisches Basiswissen verfügen und Fremdsprachen können. «Doch das fachspezifische Know-how lernen sie dann bei uns.» Für eine Sache hat sich Mägli allerdings schon lange, schon sehr lange nicht mehr entschieden: einen Mann an-zustellen nämlich. Bei MSC arbeiten rund neunzig Leute, bis auf den Chef sind alles Frauen. Das ist seit rund zehn Jahren so, Mägli kam deswegen schon weltweit in denMedien. «Ich sage nicht, dass ich keine Männer anstelle», betont der MSC-Chef. Aber: «Frauen sind schlicht team-fähiger und ar bei ten deutlich effizienter.» Sie würden ihre Kräfte zum Wohl der Sache bündeln, «Männer hingegen», so René Mägli, «verwenden viel Zeit und Kraft darauf,höhere Positionen anzustreben.»

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Warum haben viele Leute Mühebeim Entscheiden? Weil sie auchgegen etwas entscheiden müssen?

Grundsätzlich ist es so, dass eine grosse Anzahl Möglichkeiten Ent-scheide erschwert. Zudem gehen bei vielen Entscheidungen Möglichkeiten verloren. Das zeigt sich beim Wort «Ent-Scheidung»: Man befindet sich an einem Scheideweg. Entscheide ich, meine australische Freundin zu heira-ten, die sich nicht vorstellen kann, in

die Schweiz zu ziehen, entscheide ich mich gegen die Schweiz. Diese Art von Verlusten kann auch Ängste auslösen. Aus der klinischen Psychologie wis-sen wir, dass Entscheidungsschwierig-keiten auch Symptom von Depressio-nen sein können. Wenn jemand sich allgemein lustlos fühlt, keine Freude mehr hat, schlecht schläft und keinen Appetit hat, ist oft auch die Fähigkeit zu Entscheidungen eingeschränkt.

Welche Rolle spielt, dass sich vielemöglichst alle Optionen offenhal-ten wollen?

Die Möglichkeiten sind heute grundsätzlich grösser als in früheren Jahrhunderten. Ich glaube aber, wir entscheiden heute nicht wirklich an-ders als frühere Generationen. Sicher ist: Versucht man sich immer alle Mög-lichkeiten offenzuhalten, kostet das viel Energie. Man will möglichst nichts verpassen, hat Angst zu entscheiden,

wird so aber nicht zufriede-ner.Und wenn manlange nicht ent-scheidet?

Wer sich in zentralen Punk-

ten nicht entscheiden kann, bleibt ste-hen, hemmt die eigene Entwicklung. Wer sich zum Beispiel nach dem Lehr-abschluss eine Weiterbildung überlegt, sich aber nicht entscheiden kann, bleibt in seinem Job, der vielleicht kei-nen Spass macht.Wer nicht selbst entscheidet, überden wird entschieden?

Ja, bei vielen Entscheidungen ist der Zug irgendwann abgefahren,

selbstbestimmt zu entscheiden. Also: lieber eine allenfalls falscheEntscheidung treffen als keine?

Ja, denn man weiss erst im Nachhi-nein wirklich, ob eine Entscheidung richtig war. Abgesehen davon, dass es absolut richtige Entscheidungen gar nicht gibt, sondern bessere oder schlechtere.Was läuft ab bei Entscheidungen?

Nehmen wir einen typischen Ent-scheidungsweg. Jemand hat beispiels-weise ein inneres Bedürfnis, einen äusseren Druck oder verschiedene Wünsche, die miteinander konkurren-zieren. Dabei wird ein Wunsch stärker und wird zum Willen. Wird ein Wunsch zum Willen, sprechen wir von Entscheidung. Damit wird gewis-sermassen eine Grenze überschritten, nach der es nicht mehr um weiteres Abwägen geht, sondern um die Umset-zung der Entscheidung.Wie ist dabei das Hirn beteiligt,wie der Bauch?

Das ist kompliziert. Fangen wir beim Bauch an. Wir sprechen ja von Bauchentscheidungen und davon, dass Entscheidungen Bauchweh bereiten.Das zeigt, dass unser Hirn sehr kom-plex mit unserem Körper verbunden

Manuel Trachsel, Psychologe

«Bauchgefühlernst nehmen.»Wer richtig entscheiden will , darf das nie nur rational tun, sondern sollte immer auch auf seine Gefühle achten, rät Psychologe Manuel Trachsel.

Interview

«Versucht man sich immer alleMöglichkeiten offenzuhalten,kostet das sehr viel Energie.»

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Dr. des. Manuel TrachselPsychologe FSP, hat Psychologie und Philosophie studiert. Er hat in verschiede-nen Projekten und Studien zu Entschei-

dungsfragen geforscht, etwa bei einer Studie über Beziehungsambivalenz. Derzeit bildet er sich in Medizin weiter. Trachsel, 29, verheiratet, Vater einer Tochter, lebt in Bern.

ist. Körperliche Bedürfnisse beeinflus-sen unsere Entscheidungen, ohne dass wir es immer merken. Wichtig ist: Stimmt bei einer Entscheidung das Bauchgefühl mit dem Kopf überein, ist die Chance viel höher, dass man sie im Nachhinein als richtig erachtet, als bei einer reinen Kopfentscheidung.Wieso?

Natürlich kann man Entscheidun-gen rein rational treffen, Pro- und Kon-tra-Listen erstellen. Doch oft erlebt man danach einen inneren Konflikt zwischen Gedanken und Gefühlen, auch wenn das Ergebnis auf der Liste klar ist. Obwohl rational alles für etwas spricht, hat man ein mulmiges Gefühl und spürt, dass es nicht richtig ist. Intuitive Entscheidungen hingegen stellen sich oft als richtig heraus.Wie kommt Intuition zustande?

Intuition wäre eben keine mehr, wenn man sie genau fassen könnte. Es ist ein Bauchgefühl, das aufgrund un-terschiedlichster Signale entsteht. Jedes Erlebnis setzt sich im Hirn fest

und wird nie mehr gelöscht. Jede Er-fahrung prägt unsere Gefühle für eine nächste Situation. Intuition ist die Summe all dessen und gibt uns ein Ge-fühl für richtig oder falsch.Kommts auch vor, dass man nachdem Entscheid noch zweifelt?

Das kommt oft vor. Aber aus der Psychologie weiss man, dass es eine Art Mechanismus gibt, der uns davor schützt, einen getroffenen Entscheid immer wieder zu hinterfragen. Perso-nen haben nach einem Entscheid die Tendenz, Gründe, die für die Entschei-dung sprachen, im Bewusstsein zu be-halten, wogegen Gründe gegen die Ent-scheidung eher ausgeblendet werden.Kann man Entscheiden trainieren?

Ich glaube, dass das Entscheidungs-verhalten von Persönlichkeitszügen abhängt, die relativ stabil sind. Gewis-se Grundlagen können jedoch geübt werden. In der psychologischen Bera-tung und Psychotherapie versuchen

wir, Leuten das Rüstzeug zu vermit-teln, um sich besser entscheiden zu können. Wer gedanklich unstruktu-riert ist, dem kann ein Pro- und Kont-ra-Schema helfen. Bei komplexeren Problemen lassen sich mit Vorstel-lungsübungen direkt die Gefühle an-sprechen, indem jemand sich bei-spielsweise vorstellt, was sein Wunschzustand in fünf oder zehn Jah-ren ist und welche Handlungen ihn diesem Zustand näherbringt.Haben Sie ein Beispiel?

In einer eigenen wissenschaftli-chen Studie zu Beziehungsambivalenz mit Personen, die unsicher waren, ob sie sich von ihrem Partner trennen wollen oder nicht, konnten wir bei den fünfzig beteiligten Personen zeigen, dass diese Ambivalenz durch gezielte Übungen signifikant gesenkt werden kann.Vieles ist heute vorgegeben. Wiefrei sind wir bei Entscheidungen?

Wichtig ist das innere Gefühl, frei entschieden zu haben. Erst

dieses Gefühl er-möglicht es uns, einen Entscheid motiviert umzu-setzen und Ver-antwortung dafür zu über-nehmen. Jedoch

sind wir bei Entscheidungen wahr-scheinlich viel weniger frei, als wir glauben. Grund dafür sind gewisse Rahmenbedingungen materieller und sozialer Art sowie die persönlichen Fähigkeiten. Es ist sinnlos, mich für etwas zu entscheiden, was ich nicht umsetzen kann. Ob man hier von Frei-heitseinschränkung reden kann? Ich denke, diese Rahmenbedingungen sind die Basis, um überhaupt frei ent-

Entscheid abgenommen =weniger Leid

Mit gewissen Entscheidungen können wir besser leben, wenn wir sie nicht selbst

treffen müssen. Das zeigte eine Studie über den Umgang in den USA und Frankreich mit

einer bestimmten Erbkrankheit. Ein Kind, das mit der Krankheit geboren wird, hat

keine Überlebenschance. Die Entscheidung: operieren, um das Leben des Kindes etwas

zu verlängern. Oder: Man lässt das Kind sterben. Eltern in den USA müssen diesen Entscheid selbst treffen. Anders in Frank-

reich: Dort entscheiden die Ärzte und stellen die Eltern vor ein Fait accompli.

Unabhängig davon, wer die Entscheidung trifft: Die Kinder sterben. Unterschiedlich

ist, wie die Eltern mit dem Verlust umgehen. Laut der Studie ist es für Eltern in den

USA viel schlimmer. Laut dem amerikani-schen Psychologen Barry Schwartz zeigt dies: «Die amerikanischen Eltern haben mit Sicherheit keinen Gewinn von der

Mög lichkeit zu wählen, die Wahl verursacht im Gegenteil Leid.»

«Absolut richtige Entscheidungengibt es gar nicht, sondernbessere oder schlechtere.»

Unbewusst entschieden?Man liest es immer wieder: 20 000 Ent-

scheidungen soll ein Mensch jeden Tag tref-fen, die meisten unbewusst. Teils wird sogar

behauptet, es seien 100 000. Das hiesse, dass wir – unbewusst! – etwa alle 5 Sekun-

den eine Entscheidung treffen, im Minimum. In 5 Sekunden: 21, 22, 23, 24, 25. Kann das

sein? Okay, wir stellen den schellenden Wecker ab, bremsen bei Rot, werfen (nie) Zucker in den Kaffee, setzen beim Gehen

einen Fuss vor den anderen – ohne zu überlegen. Routinehandlungen. Doch: Sind

das Entscheidungen? «Ich bezweifle das. Viele Philosophen und

Psychologen wehren sich dagegen, überhaupt von unbewussten Entscheidun-

gen zu sprechen. Das ist eine alte begriffliche Streitfrage», sagt Manuel Trachsel. Grund: «Entscheiden setzt

Bewusstsein voraus.»

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Wie werden angesichts der riesi-gen Auswahl heute Kaufentschei-de getroffen? Karin Frick: Gerade bei grösseren An-schaffungen wird heute viel recher-chiert, sowohl im Internet als auch bei Freunden und Bekannten. Das sieht man auch in den Läden, wo sich die Kunden selbst noch an der Kasse via Handy mit Bekannten beraten. Man zieht aber auch Preisvergleiche im In-ternet oder Dienste wie die deutsche Stiftung Warentest zu Rate.Wieso lassen wir uns von Bekann-ten und nicht vom Verkaufsperso-nal beraten? Zum einen geht der Trend Richtung Selbstbedienung, kompetente Bera-tung gibts in immer weniger Läden. Bei Bekannten hingegen gehen wir davon aus, dass sie neutral sind, uns

nichts verkaufen wollen, sondern uns einen guten Rat geben möchten. Zudem wollen die meisten Menschen nicht das Beste oder etwas Einzigartiges, sondern das, was die anderen haben.Wir entscheiden uns nicht fürsbeste Produkt? Ja. Erstens kaufen wir sowieso gröss-tenteils Dinge, die wir eigentlich nicht brauchen. Wenn wir etwas kaufen, ist es ein emotionaler Entscheid, um sich im Moment zu belohnen, sich gut zu fühlen. Mit einem Kauf befriedigen wir den Wunsch, cooler, schöner oder stärker zu sein. Das heisst: Man kauft ein Gefühl, nicht ein Produkt.Wieso kauft man, was die anderenkaufen, wo doch jeder möglichstindividuell sein will?Das behaupten die Leute, doch das glaube ich nicht. Schauen sie sich

Auch wenn sich Kaufentscheide imNachhinein rational erklären lassen:Wenn wir etwas kaufen, ist es meistein emotionaler Entscheid, sagtKarin Frick, Forschungsleiterin beimGottlieb Duttweiler Institut GDI.Und: Meist entscheide man sichnicht fürs beste Produkt, sondernfür jenes, das die andern haben.

doch um. Klar will man ein wenig besonders sein. Aber die Unterschiede beschränken sich auf ein paar Acces-soires. Viel eher möchte man gleich sein wie die anderen. Nicht nur Kinder wollen kaum etwas haben, was nie-mand sonst auf dem Pausenplatz hat. Es gibt heute zwar ein starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Respekt. Doch der Wunsch, sich extrem zu sty-len, um aufzufallen, hatte schon mehr Bedeutung.Kaufentscheide sind also selten ra-tional, sondern emotional. Ist sichder Konsument dessen bewusst?Jeder Entscheid ist emotional, auch wenn gewisse Kaufentscheide rational vorbereitet werden. Und: Warum man etwas gekauft hat, begründet man nachträglich rational. Wer ehrlich ist, gibt das zu. Man rechtfertigt einen

Wir kaufen nicht Produkte,wir kaufen Gefühle

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Kauf damit, dass er extrem günstig war. Natürlich: Je weniger Geld jemand hat, desto höher wird die Rationalität bei Kaufentscheiden, weil man zum Sparen gezwungen ist.Wie entscheiden wir uns beimKauf von alltäglichen Dingen wieetwa Nahrungsmitteln?Im Alltag herrscht viel mehr Routine. Man nimmt die Produkte, die man so-wieso immer kauft. Und: Zunehmend wird erst im Laden entschieden, was man kauft, was man zu Hause gleich kochen möchte. Das bedeutet aber: Je situativer entschieden wird, desto emotionaler. Aus diesem Grund wer-den Läden mit Farben, Gerüchen oder der Positionierung der Produkte so ge-staltet, dass sie situative Entscheide begünstigen, dass man also mehr kauft, als man braucht.

Eine zu grosseAuswahl machtdepressiv

Was für eine Wonne, in einem Supermarkt einzukaufen, in demes zig Sorten Joghurts, Deos oderKonfitüre gibt. Denn: mehr Aus-wahl, mehr Freiheit. Wirklich?

Nein, Irrtum, findet der US-Psychologe Barry Schwartz: «Diese auf den ersten

Blick völlig vernünftige Annahme ist schlicht falsch. Wenn man den Menschen zu viele Wahlmöglichkeiten gibt, nimmt man ihnen etwas von ihrer Freiheit. Es wird schwieriger, eine Entscheidung zu fällen, schlimmsten-falls wird man entscheidungsunfähig – und das ist dann genau so, als ob man über-haupt keine Entscheidungsfreiheit hätte», erklärte Schwartz 2009 im «NZZ Folio». Die Folge: Die Menschen, überfordert von all den Entscheidungen, würden depressiv, sagt Schwartz, Autor des Buches «Anleitung zur Unzufriedenheit: Warum weniger glücklicher macht». Er fordert, die Entschei-dungsmöglichkeiten «auf ein vernünftiges Mass» zu reduzieren.

Zu viel Auswahl überfordert dieKonsumenten tatsächlich. Daszeigt ein Experiment, das die NewYorker WirtschaftspsychologinSheena Iyengar gemacht hat.

Der Test von Sheena Iyengar: In einem Supermarkt stellte sie einen Stand

mit Konfitüre zum Probieren auf. Einmal präsentierte sie 24 Sorten, einmal nur sechs. Überraschendes Ergebnis: Zwar sahen sich mehr Kunden die grössere Auswahl an als beim Stand mit weniger Konfi. Aber: Beim Stand mit 24 Sorten kauften nur drei von hundert Kunden ein, beim Stand mit sechs Sorten dagegen jeder Dritte!

Karin Frick, Forschungsleiterin beim Gottlieb Duttweiler Institut GDI

Es fällt auf, dass beim Eingang derLäden oft frisches Obst und Ge-müse positioniert wird. Weshalb?Frische ist für Supermärkte ein wich-tiger Faktor, wieso sich Kunden für einen Anbieter entscheiden. Frische steht für Qualität, spricht die Sinne an, ist ein Grund, öfters einzukaufen.Stichwort Schnäppchen: Warumentscheiden wir uns so oft für Dinge, die nicht auf dem Einkaufs-zettel standen?Wir leben ja seit verhältnismässig kur-zer Zeit in einer Überflussgesellschaft, während die Menschheitsgeschichte davor von Mangel geprägt war. Man hatte von allem zu wenig. Lange galt: zugreifen, wenn es etwas gibt. Eigent-lich ein Steinzeitverhalten. Schnäpp-chen sprechen so gesehen sehr urtüm-liche Instinkte an.

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Dort klettern, wo noch nie jemand war: «Das sind die grössten Herausforderungen für die Kletterer, weil man nie weiss, ob es möglich ist.»

ErfahrungerleichtertEntscheide

Ein Alpinist müsse ununterbrochen Entscheidungentreffen, sagt der 24-jährige Samuel Anthamatten,Bergführer aus Zermatt, der schon in aller Welt dieschwierigsten Berge bestiegen hat. Und manchmalmuss man sich auch zum Umdrehen entscheiden –auch wenn der Gipfel noch so sehr lockt.

Vor etwas mehr als einem Jahr schafften drei Schweizer Alpinisten, was niemand vor ihnen je-mals gewagt hatte: Sie erklommen den Jasemba, einen 7350 Meter hohen Berg an der Grenze zwi-

schen Nepal und China, erstmals über die Südwand, die bisher noch nie bezwungen wurde. Bis zu dem Zeitpunkt wurde der Berg erst viermal bestiegen, zum ersten Mal 1986 – aber immer jeweils nur über die weniger steile Nordseite oder die südlichen Schneegrate. Vollbracht hat-ten diese Pionierleistung Samuel Anthamatten, damals gerade 23-jährig, sein Bruder Simon und Freund Michael Lerjen. Die Erstbegehung löste in der Alpinistenszene ein weltwei-tes Echo aus. Von der neuen «Swiss Route» war die Rede, Magazine in aller Welt berichteten über die Walliser, «Anthamatten Bros and Michael Lerjen established a new route» hiess es etwa auf «www.up-climbing.com». Abbruch drohte bis zuletztRund sechs Wochen nahm die Pionierleistung der Zermat-ter in Anspruch, vor allem wegen der Vorbereitung und der Akklimatisierung: Ausgehend vom Basislager auf 5200 Me-tern, zu dem sie nur zu Fuss gelangen konnten, bestiegen sie einen 6000er, übernachteten dreimal auf 6000 Metern. Eine recht lange Vorbereitung also für einen einzigen Gip-fel – und trotzdem war den drei Schweizern bis zuletzt nicht klar, ob sie sich nicht gegen die Tour würden ent-scheiden müssen.Der Grund: das Wetter. Zwar herrschte schönes Wetter, aber es ging ein starker Wind, 90 km pro Stunde. Zu viel: «Bei Sturm kommt man da nicht hoch. Es muss schön sein, warm, wenig Wind, es muss alles zusammenspielen, bevor man sich entscheiden kann, loszugehen», sagt Samuel. Drohender Abbruch. Was für ein Riesenfrust, oder nicht? «Ja sicher, doch es bringt nichts, sich für eine Tour zu ent-scheiden, wenn du nicht weisst, ob du zurückkommst.»

Unklar, obs möglich istDas Risiko eines Neins zur Tour gingen die Zermatter an-gesichts der Erstbegehung gerne ein. Denn: Für einen Alpi-nisten wie Samuel Anthamatten sind gerade Touren am herausforderndsten, die am meisten Entscheide erfordern: Berge, die noch nie jemand bestiegen hat; Routen, die noch keiner ausprobiert hat. «Das sind die grössten Herausforde-rungen für Kletterer, weil man nie weiss, ob es überhaupt möglich ist», schwärmt Samuel.Die entscheidenden Fragen bei einem unbekannten Berg: Wo liegen die Schwierigkeiten der Route, wo soll man ab-steigen, welches Material ist das richtige, welche Haken nimmt man? «Jeder Fels ist anders, am Matterhorn braucht

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Berge sind Samuels Ein und AllesDer 24-Jährige, gelernter Zimmermann, ist wie sein Bruder Simon als Bergführer tätig. Zudem ist er eine grosse Nummer in der Eiskletterszene. Während Jahren nahm Samuel am Eiskletter-Welt-cup teil, angefangen hatte er bereits mit 16 Jahren, kletterte gegen die besten Herren, «eine Herausforderung, denn darunter waren 35-jährige Athleten mit viel Erfahrung.» Im letzten Winter war damit Schluss, abgesehen von Einsätzen für Show-Wettkämpfe hängte Samuel seine Eispickel an den Nagel, und hat sich ganz aufs Free-skiing verlegt. Im Januar trainierte er dafür drei Wochen in Frank-reich, wird zukünftig an der Freeskitour mitfahren. Der Grund: «Die Motivation fürs Eis klettern ist zwar noch vorhanden», sagt er, «aber es ist wichtig, sich neue Ziele zu setzen.»www.anthamattens.ch

Besser entscheiden

Nehme ich die Einzimmerwohnung mitBalkon oder soll ich lieber in die WG mitGarten ziehen? Entscheide ich mich fürden Job vor Ort oder in Mailand? Konku-binat oder Heirat? Mountainbike oder soli-des Tourenvelo? Patentrezepte, wie manrasch und richtig entscheidet, gibts zwarkeine. Aber ein paar Tipps:

Denke an die ZukunftEin Entscheid verändert bekanntlich nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft. Autorin Suzy Welch rät: Man soll sich bei einer wichtigen Ent scheidung immer fragen, was sie für einen in zehn Minuten, zehn Monaten und zehn Jahren bedeuten würde.Entscheide für dichVergiss den Gruppendruck, ignoriere «was man so macht». Denn wer sich eine Entscheidung praktisch aufschwatzen lässt, wird damit kaum glücklich.Schlaf drüberKeine überstürzten Entscheidungen treffen. Wer sich unsicher fühlt, schläft eine Nacht darüber. Das Hirn arbeitet auch im Schlaf, so kommen neue Sicht weisen auf anstehende Entscheide zum Vorschein.Was nützts, was schadets?Wer vor einer grossen Entscheidung steht, kann eine sogenannte SWOT-Analyse durchführen: SWOT steht für Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats, also Stärken, Schwächen, Chancen und Bedrohungen. Liste auf, was dir zu jedem Punkt im Bezug zu einer möglichen Weiterbildung, einem neuen Job oder der neuen Wohnung einfällt und entscheide.Fühlt es sich gut an?Schliesse die Augen, stelle dir vor, wie es an der neuen Arbeitsstelle oder in der neuen Wohnung ist. Fühlt es sich so an, wie du es dir wünschst?Andere fragenKeine Soloentscheidungen treffen. Freunde fragen, Bekannte, je nach anstehender Entscheidung auch Fachleute – und sich so genügend Infos beschaffen.Keine Angst vor VerlustEine Entscheidung für etwas bedeutet meist auch, dass man sich gegen etwas entscheidet. Doch wer nur dran denkt, was man verliert, statt an den Gewinn, tut sich bei der Entscheidungsfindung schwer.Gut genug ist auch gutMuss es die total perfekte Wohnung sein? Psychologe Barry Schwartz plädiert dafür, mit dem Suchen auf zuhören, wenn man etwas gefunden hat, das gut genug ist.Besser falsch als nichtKeine Panik vor falschen Entscheidungen. Auch sie können dich weiterbringen.

man nicht dasselbe Material wie an der Eigernordwand», erklärt Samuel. In den Alpen oder bei Bergen wie dem Eve-rest sei aufgrund der vielen Besteigungen und Geschichten vieles bekannt. Anders beim Jasemba: «Über den Felsen weisst du nur, was du aus der Ferne siehst.» Um sich bei einer unbekannten Route richtig entscheiden zu können, zählt die Erfahrung: «Du schaust einen Berg an, ver-gleichst ihn mit anderen, kannst aufgrund deiner Erfah-rung den Felsen einschätzen und weisst in der Regel, wel-ches Material du brauchst.» Die Erfahrung: Darauf kann sich der Walliser trotz seines jugendlichen Alters verlas-sen, kletterte er doch bereits in den steilsten Wänden in Alaska, Kalifornien oder Patagonien.Und überhaupt: Ein Alpinist im Berg müsse ständig Ent-scheidungen treffen, «Entscheidungen von A bis Z», sagt Samuel. Stichwort Sicherung: Perfektes Sichern würde be-deuten, alle zwei Meter einen Haken zu setzen. Doch so kommt man nicht vorwärts. «Ich muss abwägen, was ich tun muss, um ausreichend gesichert zu sein.» Entscheiden muss man auch, was man anzieht, welche Nahrung man mitnimmt: «Fünf Deziliter Wasser muss man zwanzigMinuten kochen. Dazu braucht es Gaspatronen, die ein ge-wisses Gewicht haben. Du musst aber dafür sorgen, dass dein Gepäck möglichst leicht ist.» Auf den Jasemba nah-men die Walliser vor allem Trockenmahlzeiten in Beuteln mit, viel Trockenfleisch, Käse und Energieriegel.

Ein Fehlentscheid könnte lebensgefährlich seinAuf den Jasemba sind Samuel & Co. gekommen. Bei ande-ren Gelegenheiten ist es durchaus schon vorgekommen, dass man sich für eine Umkehr entscheiden musste. «Das gibt es immer wieder und kann sehr überraschend kom-men. Spielen gewisse Faktoren nicht zusammen, Wetter, die Verhältnisse, Lawinen, musst du dich rasch entschei-den und umdrehen», sagt Samuel, «Nein sagen ist zwar schwierig. Doch alles andere wäre Harakiri.»

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Twenty kann sich nicht … äh… entscheiden. Ihn quält die Wahl: so viele Möglichkeiten, so viel zu ver- passen. Muss man sich immer entscheiden? Und so schnell? Und vor allem endgültig? Ja, jein, vielleicht oder nein: Ob du dich gut festlegen kannst oder nicht – diskutiere darüber auf www.facebook.com/euro26

Twen Entscheidungen erscheint als euro26 Special mit Twen 1 Frühling 2011, www.euro26.ch Herausgeber SJAG, Bern Idee/Koordination gedankensprung, Bern Konzept/Gestaltung Basel West, Basel Text/Redaktion Stephan Lichtenhahn, Basel Druck Büchler Grafino AG, Bern Bilder Frédéric Giger Seiten 2, 3, 6, 7; Michael Portmann Seiten 10, 11 Illustrationen Joel Büchli Seiten 1, 12 Disclaimer SJAG übernimmt keine Haftung für Preise, Angebote und redaktionelle Inhalte Dritter.

Twen Entscheidungen haben ermöglicht

Endlich wieder Kino. Nur: Was? So viele Filme.

Der neue mit Nicole Kidman? Oder Die Hard VII?

Okay, der neue von Woody Allen

hat gute Kritiken …

«Rango» wäre zwar auch nicht schlecht.

Ach, ich weiss nicht …

Hi, was ist aktuell der Streifen, den

man gesehen haben muss? Wir schauen

«True Grit», soll gut sein. Aber «Rango» ist der totale Knaller, im Fall!

Sorry, «Rango» ist leider ausgebucht. Alle anderen

Filme auch, ausser die «Heidi»-Originalversion.

Einmal «Rango»

bitte. Und

Popcorn. Oder lieber Nüss-chen?

Nein, ein Mars

bitte …

Oh je … Heidi! Geissenpeter! Den Streifen kenn

ich nun zur Genüge. Hätte ich mich doch früher …