unheilbar krank: annika, tim, carl und kajus leben mit ... · praktikum in einer...

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Redaktion: Kathrin Iselt-Segert Gestaltung: Sonja Langbehn I n Schleswig-Holstein leben rund 1.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die an Typ-1-Diabetes er- krankt sind. Annika, Kajus, Carl Sebastian und Tim sind vier von ihnen. Hier erzäh- len sie aus ihrem Alltag, in dem der Diabetes ständig präsent ist. Annika ist mit dem Fahr- rad zum Schättruum- Gespräch nach Schleswig ge- kommen. 15 km ist die 17-Jährige gefahren. Des- halb muss sie jetzt ihren Blut- zuckerspiegel kontrollieren. „Eine körperliche Anstrengung kann nämlich dazu führen, dass der Blutzuckerwert absackt“, erklärt sie. Unauffällig pikst sie sich mit einer Stechhilfe in den Finger und drückt, bis ein Tropfen Blut heraus- kommt. Mit einem Test- streifen, den sie zuvor in ein Blutzucker- messgerät gesteckt hat, nimmt sie den Bluttropfen auf. Das Gerät zeigt die Zahl 133 an. Alles okay. „Wenn mein Blutzuckerwert zwischen 80 und 140 liegt, ist alles im grünen Be- reich“, meint Annika. Seit ihrem zehnten Lebensjahr ist sie an Diabetes er- krankt. „Das haben meine Eltern und ich daran gemerkt, dass ich plötzlich sehr an Gewicht ver- lor, immer gro- ßen Durst hatte und ständig müde war“, blickt sie zurück. Insulinpumpe statt Spritze „Als ich die Diagnose Diabetes bekam, hatte ich Schwierigkeiten, sie zu akzeptieren. Ich war noch jung und kümmerte mich nur wenig darum“, gesteht Annika. Doch irgendwann machte es „klick“. Annika begann, sich in- tensiv mit ihrer Erkrankung aus- einanderzusetzen und sie anzunehmen. Am Anfang spritzte sie sich das benötige Insu- lin mit einem Insulin-Pen. Wie das geht, hatte sie bei Schulungen im Krankenhaus gelernt. Sie lernte ebenfalls auszurechnen, wie viel Insulin sie, je nach Situation und Mahlzeiten, zuspritzen muss. „Heute habe ich eine Insulin- pumpe. Das ist prakti- scher und einfacher in der Handhabung“, findet sie. Um verantwor- tungsbewusst mit ihrem Diabetes um- zugehen, traf Annika nach Absprache mit ihren Eltern vor einem Jahr eine Ent- scheidung. „Ich zog in eine private Jugendhilfe- einrichtung, die sich auf Kinder und Jugendliche mit Diabetes spezialisiert hat. Das war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.“ Hier erhält sie bei allen Fragen rund um den Diabetes Unterstützung. So ach- ten die Erzieher darauf, dass An- nika ihren Blutzuckerspiegel sechsmal am Tag misst, ihre Werte in ein Ta- gebuch einträgt und sich ausgewogen er- nährt. Ebenfalls wird sie regelmäßig im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein am Campus Kiel be- treut. Dort nimmt sie auch an Schulungen teil. Momen- tan macht Annika ein Praktikum in einer Tourist- information und besucht die Berufsein- gangsklasse an einem Berufsbil- dungszentrum. Während die Schättruum-Reporterin zum Unheilbar krank: Kajus gibt sich das Insulin mit einem Insulin-Pen, der so ähnlich wie ein Stift aussieht. Seine Hobbys sind Schwim- men und Programmieren. Körperliche Anstrengungen führen schnell zu einer Unter- zuckerung. Deshalb muss An- nika nach dem Fahrradfahren ihren Blutzuckerspiegel messen. Schättruum Für diese Seite hat die Schättruum-Redaktion viele gute Informationen von Dr. Jessica Bokelmann, Kinderdiabeto- login in der Klinik für Allgemeine Pädi- atrie am UKSH Kiel, für die medizinische Beratung bekommen. Einige Fachinfor- mationen im Beitrag stammen aus der Broschüre „Kinder mit Diabetes in der Schule“, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft für Pädia- trische Diabetologie (AGPD) e.V. Annika trägt eine konventionelle Insu- linpumpe. Das Insulin gelangt dabei über einen feinen Schlauch, der ständig in der Haut liegt, in den Körper. Fotos: Silke Bromm-Krieger Foto: kis Annika, Tim, Carl und Kajus leben mit Diabetes

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Redaktion: Kathrin Iselt-Segert

Gestaltung: Sonja Langbehn

In Schleswig-Holstein lebenrund 1.000 Kinder und

Jugendliche unter 18 Jahren, diean Typ-1-Diabetes er-krankt sind. Annika, Kajus, CarlSebastian und Timsind vier vonihnen. Hier erzäh-len sie aus ihremAlltag, in dem derDiabetes ständigpräsent ist.

Annika istmit dem Fahr-rad zumSchättruum-Gespräch nachSchleswig ge-kommen. 15 kmist die 17-Jährigegefahren. Des-halb muss sie jetzt ihren Blut-zuckerspiegel kontrollieren. „Einekörperliche Anstrengung kannnämlich dazu führen, dass derBlutzuckerwert absackt“, erklärtsie. Unauffällig pikst sie sich mit

einer

Stechhilfe in denFinger und drückt,

bis ein TropfenBlut heraus-kommt. Miteinem Test-

streifen, den siezuvor in ein Blutzucker-messgerät gesteckt hat,nimmt sie den Bluttropfenauf. Das Gerät zeigt die Zahl

133 an. Alles okay.„Wenn meinBlutzuckerwertzwischen 80 und140 liegt, ist allesim grünen Be-reich“, meintAnnika. Seitihrem zehntenLebensjahr ist siean Diabetes er-

krankt. „Dashabenmeine Elternund ich darangemerkt, dassich plötzlich sehran Gewicht ver-lor, immer gro-ßen Durst hatte

und ständig müde war“, blickt siezurück.

Insulinpumpe statt Spritze

„Als ich die Diagnose Diabetesbekam, hatte ich Schwierigkeiten,sie zu akzeptieren. Ich war nochjung und kümmerte mich nurwenig darum“, gesteht Annika.Doch irgendwann machte es„klick“. Annika begann, sich in-tensiv mit ihrer Erkrankung aus-einanderzusetzen und sieanzunehmen. Am Anfangspritzte sie sich das benötige Insu-lin mit einem Insulin-Pen. Wie dasgeht, hatte sie bei Schulungen imKrankenhaus gelernt. Sie lernte

ebenfalls auszurechnen, wie vielInsulin sie, je nach Situation undMahlzeiten, zuspritzen muss.„Heute habe ich eine Insulin-pumpe. Das ist prakti-scher und einfacher inder Handhabung“,findet sie.

Um verantwor-tungsbewusst mitihrem Diabetes um-zugehen, traf Annikanach Absprache mitihren Eltern voreinem Jahr eine Ent-scheidung.„Ich zog ineine privateJugendhilfe-einrichtung,die sich aufKinder undJugendlichemit Diabetes spezialisiert hat. Daswar die beste Entscheidung, dieich je getroffen habe.“ Hier erhält

sie bei allen Fragen rund um denDiabetes Unterstützung. So ach-ten die Erzieher darauf, dass An-nika ihren Blutzuckerspiegel

sechsmal am Tag misst,ihre Werte in ein Ta-gebuch einträgt undsich ausgewogen er-nährt. Ebenfalls wirdsie regelmäßig imUniversitätsklinikumSchleswig-Holsteinam Campus Kiel be-treut. Dort nimmt sieauch an Schulungen

teil. Momen-tan machtAnnika einPraktikum ineiner Tourist-informationund besuchtdie Berufsein-

gangsklasse an einem Berufsbil-dungszentrum. Während dieSchättruum-Reporterin zum

Unheilbar krank:

Kajus gibt sich das Insulin mit einemInsulin-Pen, der so ähnlich wie ein Stiftaussieht. Seine Hobbys sind Schwim-

men und Programmieren.

Körperliche Anstrengungen führen schnell zu einer Unter-zuckerung. Deshalb muss An-nika nach dem Fahrradfahrenihren Blutzuckerspiegel messen.

Schättruum

Fürdiese Seite hat die

Schättruum-Redaktion

viele gute Informationen von Dr.

Jessica Bokelmann, Kinderdiabeto-

login in der Klinik für Allgemeine Pädi-

atrie am UKSH Kiel, für die medizinische

Beratung bekommen. Einige Fachinfor-

mationen im Beitrag stammen aus der

Broschüre „Kinder mit Diabetes in der

Schule“, herausgegeben von der

Arbeitsgemeinschaft für Pädia-

trische Diabetologie

(AGPD) e.V.

Annika trägt eine konventionelle Insu-

linpumpe. Das Insulin gelangt dabei

über einen feinen Schlauch, der ständig

in der Haut liegt, in den Körper.

Fotos: Silke Bromm-Krieger

Foto

: kis

Annika, Tim, Carl undKajus leben mit Diabetes

Diabetes ist eine Stoffwechsel-störung, bei der das lebensnot-wendige körpereigene HormonInsulin in der Bauchspeichel-drüse zu wenig oder gar nichtgebildet wird. Das Insulin reguliert den Blut-zucker. Menschen mit Typ-1-Diabetes benötigen einelebenslange Behandlung undmüssen sich mehrmals am TagInsulin spritzen. Das können sieauf unterschiedliche Weise tun,denn es gibt dafür Insulin-Pens,Insulinspritzen oder Insulin-

pumpen.

Normalerweise produziert derKörper passend zu den Mahlzei-ten die richtige Menge an Insu-lin. Hat man Typ-1-Diabetes,müssen Insulin und Nahrungaufeinander abgestimmt wer-den. Betroffene können weitest-gehend das essen, worauf siegerade Appetit haben, aber siemüssen sich an bestimmte Re-geln halten. „So esse ich nur anzwei Tagen in der Woche einekleine Portion Süßigkeiten“, be-richtet Annika. Grundsätzlichdarf ein Typ-1-Diabetiker anjedem Tag höchstens eine

Handvoll Süßigkeiten zu sichnehmen.Neben Typ-1-Diabetes, den An-nika, Kajus, Carl Sebastian undTim haben, gibt es noch Typ-2-Diabetes, der hauptsächlich beiübergewichtigen Erwachsenenauftritt.

Übrigens: Der Typ-1-Diabeteswird nicht durch Ernährungsfeh-ler ausgelöst, zum Beispiel weilman zu viele Naschis gegessenhat. Es handelt sich dabei umdie häufigste Stoffwechsel-störung bei Kindern und Jugend-lichen. www.diabetes-kids.de

Was ist eigentlich Diabetes?

Schluss des TreffensFotos macht, misstAnnika ihren Blut-zuckerspiegel erneut.Der Wert: 58. Das istzu niedrig. Das spürtsie daran, dass sieplötzlich zu zitternbeginnt. Doch für sol-che Fälle hat sieimmer eine Fla-sche Orangensaftdabei. Sie nimmteinige Schluckedes zuckerhalti-gen Getränks,und bald ist alleswieder gut.

Saft oder Traubenzucker –immer dabei

Auch Kajus (14), Carl Sebastian(14) und Tim (16) leben mit Diabe-tes, und das „ganz normal“, wiesie betonen. Kajus ist seit acht Jah-

ren erkrankt, Carl Sebastian seitsieben Jahren und Tim seit überzehn Jahren. Die Jungs kennen sichüber den Verein Diabetes Helden.Schättruum trifft sie zu einem ge-meinsamen Gespräch in Kiel. Wiesich ihr Alltag von dem andererJugendlicher unterscheidet, diekeinen Diabetes haben, darüber

geben sie gern Aus-kunft. „Wir müssenimmer alle Sachen,die wir für den Dia-betes brauchen, wieTraubenzucker oderSaft, parat habenund können nichtohne Tasche aus dem

Haus gehen“,sagt Kajus. „Au-ßerdem messenwir regelmäßigunseren Blut-zuckerspiegel.Gerade wenn wirSport machen, ist

das wichtig. Beim Handballtrai-ning messe ich einmal vorher, ein-mal mittendrin und einmalnachher“, erklärt Carl Sebastian.Seine Leidenschaft ist das Longbo-ardfahren. „Doch nach ein biszwei Stunden ist Schluss, dann binich meist stark unterzuckert“, weißer aus Erfahrung.

Eine Sache stellt Timheraus: „Als Diabetikerwird man zum Ernäh-rungsexperten. Wir ernäh-ren uns sehr ausgewogenund gesund und habenbeim Essen immer die Koh-

lenhydrate im Blick. Nah-rungsmittel, die Kohlen-hydrate enthalten, erhöhenden Blutzucker. Unsere Insu-lindosierung müssen wir des-halb immer auf die Mengeder Kohlenhydrate, die wirgegessen haben, abstim-men“.

Im Alltag der Jungskommt es wegen des Diabetesmanchmal zu besonderen Situa-tionen. „Als vor einiger Zeit eineKlassenfahrt anstand, wolltenmich die Lehrer zuerst nicht mit-nehmen. Sie hatten Angst, dassmir etwas passieren könnte, ob-wohl ich mit dem Insulin sehr guteingestellt bin, alles im Griff habeund meine Eltern ihr Einverständ-

nis gaben“, berichtetTim. Schließlich er-klärte sich eine zu-sätzliche Lehrkraftbereit, mitzufahrenund ein Auge auf ihnzu haben.

Carl Sebastian er-lebte etwas, das ihn nochheute verärgert, wenn erdarüber spricht: „Eine Mitschü-lerin meinte mal, ihr wird schlecht,wenn sie Blut sieht. Ich solle dochauf die Toilette gehen oder michhinter einem Vorhang ver-stecken, wenn ich michspritzen muss. Dabeiwar gar kein Blut zusehen.“

Essen und Trinkenim Unterricht erlaubt

Diabetiker haben die Er-laubnis, im Unterricht zuessen und zu trinken, wennihr Blutzuckerwert zu nied-rig ist. „Einmal fragte michein Lehrer, warum ich imUnterricht esse, ich sollte das seinlassen. Da musste ich ihn erst malaufklären“, meint Tim schmun-zelnd.

Auf ihre Klassenkameraden an-gesprochen, berichten die Jugend-lichen übereinstimmend, dassdiese grundsätzlich po-sitiv auf ihren Diabetesreagieren. Sie wur-den – wie die Lehr-kräfte – aufgeklärt,was sie tun können,falls die Jungs plötzlichohnmächtig werdenund umkippen. Daskann passieren, wennsie eine Unterzucke-rung nicht rechtzeitigbemerken. Beiden dreien istdas aber nochnie vorgekom-men. Sie ken-nen ihre

persönlichenAnzeicheneiner Unter-zuckerunggenau. DaskönnenSchwitzen,

Zittern, kalteHände, ein

Lachanfall oderein aufkommendes

aggressives Gefühl sein.Während Kajus, Carl Sebastian

und Tim

über ihre Erlebnisse berich-ten, essen sie Apfeltörtchen, diedie Mutter von Kajus gebackenhat. Vorher haben die Jungs dieTörtchen abgewogen und ausge-rechnet, wie viele Kohlenhydrat-einheiten sie haben. Als Tim nachdem Genuss seinen Blutzucker-

spiegel misst, ist die-ser deutlich zu hoch.Eine Überzuckerungbedeutet jedoch, imGegensatz zur Un-terzuckerung, keineakute Gefahr. „Ichmuss das nur bei dernächsten Insulingabeberücksichtigen“, er-klärt er.

Annika, Kajus,Tim und CarlSebastianhaben gelernt,mit ihrem Dia-betes zu leben.Sie sind froh,dass sich dieTherapie-

möglichkeiten dieser Erkran-kung in den vergangenenJahren erheblich verbesserthaben, auch wenn eine Heilungnach wie vor nicht absehbar ist.

Silke Bromm-Krieger

Carl Sebastian geht in dieachte Klasse. Beim Sportunter-richt achtet er besonders auf

seinen Blutzuckerspiegel.

Diabetiker sollten sich vollwertig und ge-sund ernähren. Süße Leckereien, wie hierein Apfeltörtchen, sind in Maßen erlaubt.

DiabetesHelden

Förderverein für Kinder und

Jugendliche mit Diabetes

Kiel e.V.

www.diabetes-helden.de

Den Blutzucker zu messen, ist fürTim längst Routine. Er trägt eine

moderne Insulin-Patch-Pumpe, diekeinen Schlauch mehr hat. Dasschafft mehr Bewegungsfreiheit.

Mit einer Stechhilfe kann Annika

sich unauffällig in den Finger ste-

chen, um an einen Tropfen Blut für

die Blutzuckermessung zu kommen.

Foto

: kis