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Das BuchLady Margaret, bezaubernde Tochter eines englischen Grafen, nimmt alle Gefahren auf sich, um die Ehre ihres Vormunds, den Grafen von Edgewood zu retten. Sie sucht Hilfe bei seinem Sohn, Sebastian Town­send, ehemals ein begehrter Junggeselle mit einer viel versprechenden Zukunft. Nach einem unglückseligen Duell jedoch wird er von seinem Vater verstoßen und lebt nun ein einsames Leben als Söldner in Fran­kreich. Seinen Widerstand, Margaret zu helfen und mit ihr nach Eng­land zurückzukehren, kann sie mit einem skandalösen Angebot bre­chen. Nicht nur der gemeinsame Kampf zur Rettung der Ehre bringt sie näher, sondern auch die Leidenschaft, die sie beide füreinander empfinden.

»Lindsey schafft immer wieder Figuren, die sich regelrecht ins Gedächt­nis einmeißeln.«Chicago Sun Times

Die AutorinJohanna Lindsey wächst auf Hawaii auf. Sie heiratet nach der High­school und hat bereits zwei kleine Kinder zu versorgen, als sie sich zum Schreiben gedrängt fühlt. 1976 veröffentlicht sie ihren ersten Roman. In den folgenden zwölf Jahren verfaßt sie 17 weitere, die in über 12 Sprachen übersetzt wurden. Inzwischen hat sie drei Kinder und schreibt jeden Tag 10 bis 16 Stunden an ihren historischen Liebesromanen. Johanna Lindsey lebt mit ihrer Familie auf Hawaii.

Lieferbare TitelRebellion des Herzens – Ein Dorn im Herzen – Zärtlicher Räuber – Was der Nachtwind verspricht – Verborgene Träume – Verheißung des Glücks – Wildes Herz – Herzen im Sturm – Ein Lächeln der Liebe

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Johanna Lindsey

Wagnis der Liebe

Roman

Aus dem Englischen von Ruth Sander

WILHELM HEyNE VERLAGMüNcHEN

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Die Originalausgabe MARRIAGE MOST ScANDALOUS erschien 2005 bei Pocket Books,

Simon & Schuster, New york

Umwelthinweis:Dieses Buch wurde auf chlor­ und

säurefreiem Papier gedruckt.

Vollständige deutsche Ausgabe 08/2007copyright © 2005 by Johanna Lindsey

copyright © 2007 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,

Printed in Germany 2007Umschlagillustration: © Daeni, Pino via Agentur Schlück GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, MünchenSatz: Buch­Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckISBN: 978­3­453­81096­9

www.heyne.de

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Prolog

England 1808

Sie trafen sich im Morgengrauen auf einer Lichtung, die klein, jedoch dennoch weithin bekannt war und sich et­was abseits des Waldweges befand. Dort lag, teils verdeckt von Gestrüpp, ein alter Stein, der mehr als einen halben Meter dick war und angeblich an eine vor langer Zeit ge­schlagene Schlacht erinnerte. Mittlerweile wurde er der »Duellstein« genannt.

Im Laufe der Jahre hatten an diesem Ort nachweislich mindestens sieben Duelle stattgefunden, den Gerüchten nach waren es aber noch weit mehr. Selbstverständlich gab es in Südengland auch andere Plätze, an denen man seine Streitigkeiten austragen konnte, doch keiner war so berühmt wie der am Duellstein. Selbst aus dem fernen London kamen Männer, um auf dieser Lichtung in Kent ihre Ehre zu verteidigen.

Sebastian Townshend und sein bester Freund Giles hatten die Gegend um den Duellstein schon als Kinder durchstreift, und wie alle Jungen waren sie fasziniert von den blutrünstigen Geschichten über diese Ehrenhändel gewesen. Die beiden Kinder waren zusammen aufgewach­sen, da die elterlichen Landsitze aneinander grenzten.

Es war nur natürlich, dass Giles diesen Ort zum Treff­punkt bestimmte, nachdem Sebastian ihn beleidigt hat­te. »Mein Gott, du hast eine Hure geheiratet?«, war ihm entfahren.

Daraufhin hatte Giles ihn geschlagen, und zwar zu Recht. Sebastian hätte nicht derart taktlos sein dürfen. Seine einzige Entschuldigung bestand darin, dass er

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schockiert gewesen war. Schließlich hatte er gerade erst herausgefunden, dass er unwissentlich mit Giles’ frisch an­getrauter Gattin geschlafen hatte.

Woher zum Teufel hätte er das wissen sollen? Die Frau hätte nicht bei dieser Abendgesellschaft in London sein sollen – so ganz allein. Sie hätte nicht den Eindruck erwe­cken dürfen, dass sie nicht vergeben war, indem sie sich lediglich mit ihrem Vornamen vorstellte – Juliette. Aber sie war noch weiter gegangen. Sie hatte heftig mit ihm geflirtet und angedeutet, dass man sich zum besseren Ken­nenlernen doch einmal treffen könnte. Sebastian war be­geistert gewesen. Sie war reizend, ein neues Gesicht, eine kultivierte Frau, die wusste, was sie wollte und offensicht­lich auch, wie sie es bekam. Er fügte sich ihren Wünschen nur allzu gern. Nicht ein einziges Mal ließ ihr Benehmen vermuten, dass sie verheiratet war.

Diese Blitzhochzeit war – was Giles betraf – völlig über­stürzt gewesen. So etwas passte gar nicht zu ihm. Er war zu dem Zeitpunkt sogar noch verlobt gewesen, und zwar mit einer netten englischen Erbin namens Eleanor Landor. Daher hatte Giles wohl gezögert, seinem Vater die Neu­igkeit mitzuteilen, und ließ seine neue Braut in London, bis er einen Weg finden konnte, ihre Existenz zu erklären. Sie hätte nicht auf dieser Abendgesellschaft sein sollen, allein, ohne ihren Gatten.

Giles war zu Sebastian gekommen, um ihm Vorwürfe zu machen. Offenbar von Schuldgefühlen zerfressen, hat­te seine junge Ehefrau ihm tränenreich die Geschichte gestanden. Dabei hatte sie die Verantwortung völlig auf Sebastian abgewälzt und geschworen, dass er sie verführt habe, obwohl das ganz und gar nicht der Fall gewesen war. Und Giles in seiner Wut hatte Sebastians Version überhaupt nicht erst hören wollen.

»Am Duellstein, im Morgengrauen«, hatte Giles ge­sagt, bevor er aus dem Haus gestürmt war.

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Der Streit hatte in der Eingangshalle von Edgewood begonnen, dem Familiensitz der Townshends, in dem Mo­ment, in dem Sebastian die Treppe hinuntergekommen war. Unglücklicherweise hatte Sebastians Vater Douglas, den der Lärm aus seinem Arbeitszimmer gelockt hatte, das Meiste mitbekommen. Er zeigte keinen Ärger, aber die Enttäuschung über seinen ältesten Sohn und Erben war ihm deutlich anzumerken, was Sebastian sehr traf. Soweit er sich erinnerte, hatte er seinem Vater noch nie Anlass gegeben, sich seiner zu schämen – bisher.

Douglas Townshend, der achte Graf von Edgewood, hatte früh geheiratet und war erst dreiundvierzig. Der große, gut aussehende Mann mit dem schwarzen Haar und den bernsteinfarbenen Augen brachte die örtlichen Ehestifterinnen zur Verzweiflung, weil er sich seit dem Tod seiner Frau weigerte, wieder zu heiraten.

Seine attraktiven Gesichtszüge und die stattliche Grö­ße hatte er an seine Söhne Sebastian und Denton ver­erbt. Da die beiden Brüder nur ein Jahr trennte, wobei der zweiundzwanzigjährige Sebastian der Ältere war, hätten sie sich eigentlich bestens verstehen müssen. Dem war aber leider nicht so. Sebastian stand seinem Freund Giles Wemyss wesentlich näher als Denton. Nicht dass er sei­nen Bruder nicht geliebt hätte. Doch Denton war ein ei­fersüchtiger Mensch, der es schon lange aufgegeben hatte, diesen charakterzug zu verbergen, und mittlerweile war Denton ein verbitterter junger Mann, der sich in Alkohol­exzesse stürzte, da er es nicht verwinden konnte, dass er als Zweitgeborener niemals einen anderen Titel als den ei­nes Lords führen würde. Im Gegensatz zu Sebastian hatte Denton schon oft das Missfallen seines Vaters erregt.

Douglas seufzte. »Ich nehme an, du hast nicht gewusst, dass es sich um Giles’ Frau handelte.«

»Du liebe Güte! Niemand wusste, dass er geheiratet hat, während er mit Denton in Frankreich war. Auch

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Denton war nicht eingeweiht oder er hat Geheimhal­tung geschworen. Als ich die beiden in London getroffen habe, um sie in der Heimat zu begrüßen, hat er jedenfalls nichts davon gesagt. Und Giles hat mir ebenfalls nichts erzählt, bislang hat er nicht einmal seine Familie infor­miert. Offenbar hat er seine Frau seit seiner Rückkehr nach England in London versteckt gehalten, wohl damit er Zeit hat, mit seiner Verlobten zu brechen, bevor sie davon erfährt. Ich hatte keine Ahnung, dass die Frau ver­heiratet war, Vater, geschweige denn mit meinem besten Freund.«

»Aber du bist mit ihr ins Bett gegangen?«Sebastian wurde rot und wünschte inständig, er könnte

diesen Umstand abstreiten, doch das war unmöglich. »Ja«, gab er zu.

»Dann geh ihm nach, schildere ihm deine Sicht der Dinge und tu, was du tun musst, um die Sache wieder ins Reine zu bringen. Aber du wirst ihn keinesfalls morgen Früh treffen. Das verbiete ich. Er ist schließlich nicht ir­gendein Bekannter. Ihr zwei seid seit eurer Kindheit un­zertrennlich, genau wie cecil und ich. Und er ist cecils einziger Sohn.«

Sebastian war fest entschlossen, diesem Rat zu folgen, und zwar nicht nur, weil er Giles wie einen Bruder liebte. Sein Vater traf es auf den Punkt, kurz bevor Sebastian sich aufmachte, um Giles zu suchen.

»Ich kenne dich, Sebastian. Du könntest mit dir selbst nicht mehr leben, wenn du ihm Schaden zufügtest.«

Leider war der Schaden bereits angerichtet, und nichts konnte ihn ungeschehen machen oder verringern. Das wurde Sebastian klar, während die Stunden zerrannen und er verzweifelt überlegte, wie er seinem Freund hel­fen konnte. Seine Erklärungen machten Giles nur noch wütender. Er war gar nicht in der Verfassung, richtig zuzu­hören. Ob er Sebastian nun glaubte oder nicht: Die Tat­

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sache, dass Sebastian – wenn auch unabsichtlich – mit seiner Frau geschlafen hatte, war nicht zu leugnen.

Am nächsten Morgen konnte die Dämmerung den Himmel kaum erhellen. Schon einige Stunden zuvor hat­te es angefangen zu regnen, und es sah nicht danach aus, als würde es bald aufhören. Sebastians Sekundant Theo­dor Pulley hoffte deswegen, das Duell absagen zu können. Er war bloß ein unparteiischer Bekannter und benahm sich, als würde er weggeschwemmt werden, wenn der Re­gen nicht bald aufhörte. Dabei war es das Donnergrollen, das ihn so nervös machte.

Sebastian reagiert nicht auf das nervöse Geplapper des Mannes. Er war wie betäubt. In den langen, schlaflosen Nachtstunden war ihm klar geworden, was er tun musste. Es gab nur eine Möglichkeit der Buße. Es war ja nicht das erste Mal, dass ein Mann mit der Absicht zu sterben in ein Duell ging.

Giles verspätete sich. Theodor schlug gerade vor zu ge­hen, als Giles mit seinem Sekundanten eintraf. Sebastian kannte diesen vierten Mann nicht, der Giles’ zur Seite stand.

»Konnte den verdammten Weg bei dem Wetter nicht finden«, erklärte Giles.

Theodor wollte immer noch so schnell wie möglich dem Regen entfliehen und schlug den Zuspätgekomme­nen vor: »Meinen Sie nicht, wir sollten das Ganze abbla­sen und auf einen klaren Morgen warten?«

»Um diese Jahreszeit?«, entgegnete der andere Se­kundant mit einem leichten, fast unmerklichen Akzent. »Wann gibt es denn da überhaupt mal einen klaren Morgen?«

»Entweder wir duellieren uns jetzt, oder ich bringe ihn um«, war Giles’ knappe Antwort.

So viel zu der Hoffnung, dass eine Nacht Schlaf seinen Freund etwas milder gestimmt haben könnte oder ihm

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zumindest klar geworden wäre, dass Sebastian ihn nicht absichtlich gekränkt hatte. Doch Giles wirkte ebenso wü­tend wie am Tag zuvor.

Theodor hüstelte. »Also gut, dann wollen wir uns an die Regeln halten.«

Giles’ Pistolen wurden zu Sebastian gebracht. Aber er wollte sie nicht kontrollieren und winkte dem Mann zu gehen. Nun wurden seine eigenen Waffen Giles gezeigt. Seinen Freund schien lediglich zu interessieren, ob die Kammern auch geladen waren. Sebastian war klar, dass Giles wusste, dass er ihn nicht umbringen wollte.

»Auf Ihre Positionen, meine Herren.«Sie standen Rücken an Rücken und hätte nicht spre­

chen sollen, doch Sebastians Reue äußerte sich in den ganz einfachen Worten: »Es tut mir Leid.«

Giles entgegnete nichts, verriet mit keiner Regung, ob er ihn gehört hatte. Die Instruktionen wurden gegeben, das Zählen begann. Der Regen war kaum schwächer ge­worden, auch nicht der Donner, der alle paar Minuten grollte, aber die Sonne war hoch genug gestiegen, um ein fahles Licht durch die Bäume zu schicken. Es war hell ge­nug um zu sehen, hell genug um zu töten.

Die beiden Männer legten die erforderlichen Schritte zurück, jeder hielt seine Pistole in der Hand, die Mün­dung zu Boden gerichtet. Das Zählen ging weiter, dann kam die Aufforderung zum Umdrehen, zum Anlegen …

Sebastian stand mit der Pistole gen Himmel gerichtet da, er wollte den obligatorischen Schuss irgendwohin ab­feuern, nur nicht auf Giles. Dieser zielte in dem Moment, in dem er dazu aufgefordert wurde, und traf Sebastian am Arm, genau in der Sekunde, in der Sebastian seinerseits den Abzug betätigte. Giles war ein guter Schütze, auf so kurze Distanz hätte er sein Ziel niemals verfehlt. Die Wun­de, die er Sebastian beibrachte, war nicht schwer, ließ aber Sebastians Arm unwillkürlich nach unten sacken.

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Sebastians Schuss löste sich mit einem Knall, der zusam­men mit einem erneuten Donnern in den Bäumen nach­hallte. Er hätte möglichst weit weg von seinem Gegner einschlagen sollen, stattdessen landete er mitten in Giles’ Brust.

Sebastian sah, wie sein Freund zu Boden fiel. Der ver­wunderte Ausdruck auf Giles’ Gesicht, als er zusammen­sank, würde Sebastian ewig verfolgen. Voller Entsetzen blieb er reglos stehen, während Giles’ Sekundant sich zu dem Angeschossenen hinunterbeugte, um ihn zu un­tersuchen, dann zu Sebastian aufblickte und den Kopf schüttelte. »Ich werde seinen Vater benachrichtigen. Ich nehme an, Sie werden Ihren in Kenntnis setzen.«

Theodor war verwirrt. »Aber Sie wollten doch gar nicht auf ihn schießen, oder? Wieso haben Sie es sich anders überlegt?« Er hielt inne, weil er das Blut unter Se­bastians Arm hervorquellen sah. »Ach, das ist der Grund. Was für ein verdammtes Pech, nicht? Oder unglaubliches Glück, je nachdem, wie man es sieht.«

Sebastian gab keine Antwort, hatte den Mann gar nicht richtig gehört. Es war unmöglich zu beschreiben, was er in dem Moment fühlte, in dem er begriff, dass er seinen besten Freund getötet hatte. Trauer, Entsetzen, Wut – all das schnürte ihm die Kehle zu. Und Schuld, schwere Schuld bedrückte sein Herz und würde von nun an ewig auf ihm lasten. Außerdem musste er seinem Vater gestehen, dass er sich über seine Anordnung hinwegge­setzt hatte, dass Sebastians Plan, mit dem Tod zu sühnen, fehlgeschlagen war.

Sebastian hatte an jenem kalten und düsteren Morgen dort am Duellstein sterben wollen. Und er selbst fühlte sich auch, als sei er tot.

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Kapitel 1

Wie so viele Städte und Dörfer in Österreich hatte auch Felburg mit seinen Kirchen und seinem Markt, seinen Brunnen und Plätzen ein gewisses Maß an barocker Ar­chitektur zu bieten. Doch während Wien den Reisenden überwältigte, verströmte Felburg Ruhe und Frieden. Aus diesem Grund beschloss Sebastian Townshend, dort seine Reise durch die Alpen für eine Nacht zu unterbrechen.

Der Auftrag, den Sebastian gerade erledigt hatte, hat­te ihn viel Zeit gekostet und ihn von Frankreich nach Italien, zurück nach Frankreich, dann nach Ungarn und schließlich nach Wien geführt. Er hatte gestohlene Bü­cher zurückholen sollen, und zwar sehr seltene Folianten, mit denen eine Ehefrau davongelaufen war. Sein augen­blicklicher Arbeitgeber wollte aber nicht die Gattin zu­rück, sondern nur die Bücher, und die hatte Sebastian jetzt im Gepäck. Allerdings hatte die Dame sie nicht frei­willig hergegeben. Er hatte sie stehlen müssen.

Es war eine unangenehme Sache gewesen, doch längst nicht so unschön wie manch anderer Auftrag, den er ange­nommen hatte, seit er sein Zuhause verlassen hatte. Lange Zeit war ihm alles gleichgültig gewesen. Er hatte keinen Grund, sich über irgendetwas Gedanken zu machen. Vom Vater verstoßen, ohne Verbindung zu seiner Familie und tief im Inneren voller Bitterkeit, die einzugestehen er sich weigerte, wurde Sebastian zu einem Mann, mit dem nicht zu spaßen war. Man muss jedoch einen Grund zum Leben haben, um es schätzen zu können. Und seines schätzte er nicht besonders.

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Früher war das anders gewesen. Er hatte alles gehabt: Reichtum, einen Titel, gute Freunde und eine Familie. Ein Leben fast wie im Märchen. Er war groß und musku­lös, sah blendend aus und erfreute sich bester Gesundheit. Ihm fehlte es an nichts. Aber das war, bevor er seinen besten Freund bei einem Duell erschoss und sein Vater ihm verbot, je wieder einen Fuß auf englischen Boden zu setzen.

Sebastian war nie zurückgekehrt, hatte geschworen, es niemals zu tun. England, das einmal seine Heimat gewe­sen war, weckte in ihm nur schmerzhafte Erinnerungen. Mittlerweile war er dreiunddreißig und nun schon seit elf Jahren unterwegs – und so würde es wohl auch weiterge­hen.

Wäre er nach seiner Heimat gefragt worden, hätte er wohl Europa genannt, doch es gab keinen bestimmten Ort, an dem er sich besonders wohl fühlte. Er hatte jedes Land auf dem Kontinent bereist und war sogar außerhalb Europas gewesen, er sprach alle wichtigen und einige der weniger bekannten Sprachen. Er könnte sich ein hüb­sches Anwesen leisten, falls er sich niederlassen wollte. Als er aus England wegging, hatte er keinen Shilling, aber die Aufträge, die er annahm, waren lukrativ, und da er nichts hatte, wofür er Geld ausgab, war er recht wohl­habend geworden. Doch der Gedanke an ein »Zuhause« erinnerte ihn zu sehr an sein tatsächliches Heim, daher vermied er es, sich eines zu schaffen. Außerdem blieb er auch nur selten lange an einem Ort. Er schlief in Gasthö­fen und Hotels und oft, wenn er einen Auftrag erledigte, sogar einfach auf dem Boden.

Allerdings legte er sich einen Besitz in Nordfrankreich zu, jedoch nur aus praktischem Nutzen. Die baufällige Ruine einer alten Burg konnte man kaum ein Zuhause nennen. Das einzig Intakte war der Kerker, und selbst der bestand aus nackten türlosen Zellen, die wieder herzurich­

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ten er sich nie die Mühe gemacht hatte. Hauptsächlich hatte er das heruntergekommene Gebäude gekauft, damit diejenigen, die seine Dienste in Anspruch nehmen woll­ten, ihn leichter finden oder aber beim Hausverwalter, den er dort beschäftigte, eine Nachricht hinterlassen konnten. Obendrein gefiel es ihm, ein Anwesen zu besit­zen, das genauso kaputt war wie sein Leben.

Sebastian war allerdings nicht allein unterwegs. Seltsa­merweise hatte damals sein Diener beschlossen, mit ihm ins Exil zu gehen. Es hatte sich herausgestellt, dass John Richards ein Abenteurer war, und seine neue Rolle gefiel ihm augenscheinlich. Er fungierte zwar immer noch als Sebastians Kammerdiener, darüber hinaus jedoch ebenso als Informationsquelle. Sobald sie in einer neuen Stadt ankamen, tauchte John unter, um mit allen wichtigen In­formationen über die Gegend und ihre einflussreichsten Bewohner zurückzukehren. John beherrschte sogar noch zwei Sprachen mehr als Sebastian, allerdings konnte er sich nicht flüssig in ihnen verständigen. Für Sebastians Gewerbe war er Gold wert. Außerdem war John ein treu­er Freund geworden, obwohl keiner von beiden das jemals zugegeben hätte. John war stolz darauf, an seiner Rolle als Diener, wenn auch der vornehmeren Art, festzuhalten.

Mittlerweile hatte sich ihnen noch eine andere Per­son angeschlossen, ein vorwitziger zehnjähriger Junge na­mens Timothy charles. Er war Engländer, doch in Paris zur Waise geworden, wo sie ihn im letzten Jahr aufgelesen hatten, als Timothy vergeblich versucht hatte, Sebastian zu bestehlen. John hatte Mitleid mit dem Jungen gehabt, weil er ihn an die Heimat erinnerte und weil der Knabe in einer fremden Stadt gestrandet war. Irgendwie waren sie übereingekommen, ihn zu behalten, wenigstens bis sie ein gutes Zuhause für gefunden hatten.

»Entschuldigen Sie, sind Sie der Rabe?«Sebastian saß gerade im Speisezimmer des Gasthofs,

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in dem sie die Nacht verbrachten, und genoss ein Glas österreichischen Wein. Der gut gekleidete Mann, der an seinen Tisch getreten war, hatte etwas Steifes an sich. Er war groß und in den besten Jahren. Die beiden Burschen, die hinter ihm standen, wirkten wie Leibwächter. Es lag nicht an ihrer Kleidung, die äußerst schlicht war, und auch nicht an ihrer Statur, denn sie waren eher klein. Es war ihre Wachsamkeit, die Art, wie sie nicht nur Sebas­tian, sondern den ganzen Raum im Auge behielten.

Sebastian hob eine schwarze Braue und antwortete dem hoch gewachsenen Mann gleichmütig: »Man gibt mir viele Namen. Das ist nur einer davon.«

Er hatte einen gewissen Ruf, ungewollt und alles an­dere als gezielt erarbeitet, der sich jedoch dennoch, teil­weise bestimmt auf Johns Betreiben, verbreitet hatte. Man hielt ihn für einen käuflichen Söldner, der Unmög­liches möglich machen konnte. Sebastian war sich nicht sicher, wie er zu dem Namen »Der Rabe« gekommen war – wahrscheinlich weil er mit seinem schwarzen Haar und den goldenen Katzenaugen recht finster wirkte. Es hätte ihn allerdings nicht überrascht, wenn John auch bei der Namensgebung die Finger im Spiel gehabt hätte. Außerdem versäumte John es niemals, seine Kontaktmän­ner wissen zu lassen, dass der Rabe in der Stadt war, was ihm häufig Aufträge einbrachte, von denen er sonst nie erfahren hätte.

»Sie sind käuflich, nicht wahr?«»Normalerweise schon – falls man mich bezahlen

kann.«Der Mann nickte. »Ein Mann Ihres Kalibers ist natür­

lich teuer. Das ist uns bekannt und spielt keine Rolle. Mein Dienstherr ist großzügig und wird Sie mehr als reich­lich entlohnen«, versicherte er ihm. »Nehmen Sie an?«

»Was soll ich annehmen? Ich heuere doch nicht blind­lings an.«

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»Nein, nein, natürlich nicht. Aber die Sache ist ganz leicht und wird Sie nur wenig Zeit und Mühe kosten.«

»Dann brauchen Sie mich ja nicht. Auf Wiederse­hen.«

Der Mann war offenbar sprachlos, dass er mit einer sol­chen Leichtigkeit abgewimmelt wurde. Sebastian stand auf und leerte sein Glas. Er verhandelte nicht gern mit La­kaien, gleichgültig wie steif oder aufgeblasen sie daherka­men. Und er hatte keinerlei Interesse an einem einfachen Auftrag, den jeder erledigen konnte. Er traf allerdings oft reiche Männer, die es sich leisten konnten, ihn anzuwer­ben, und es nur versuchten, damit sie vor ihren Freunden damit prahlen konnten, den berüchtigten Raben gedun­gen zu haben.

Sebastian wollte den Tisch verlassen. Da versperrten ihm plötzlich die beiden Aufpasser den Weg. Er lachte ih­nen nicht einfach ins Gesicht, denn er lachte überhaupt nicht mehr. Die tiefe Verbitterung, die er sich selbst nicht eingestehen wollte, ließ keinen Raum für Humor. Er war verärgert, dass er gezwungen sein würde, seinem Nein Nachdruck zu verleihen.

Bevor es jedoch zu Handgreiflichkeiten kommen konnte, sagte der Unterhändler: »Ich muss darauf beste­hen, dass Sie es sich durch den Kopf gehen lassen. Der Herzog erwartet, dass wir Sie verpflichten. Er darf nicht enttäuscht werden.«

Sebastian lachte immer noch nicht, obwohl ihm dies­mal tatsächlich ein klein wenig danach war. Er brauchte nur einen Augenblick, um mit den beiden Kerlen fertig zu werden, die geglaubt hatten, sie könnten ihn aufhalten. Er packte sie und knallte ihre Köpfe zusammen. Als sie ihm vor die Füße fielen, schaute er sich nach dem Unter­händler um.

»Sonst noch was?«Der Mann sah auf seine zu Boden gegangenen Beglei­

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ter. Er wirkte indigniert. Sebastian konnte es ihm nicht verdenken. Gute Männer waren schwer zu bekommen.

Der Unterhändler seufzte, bevor er sich wieder Sebas­tian zuwandte. »Sie haben sich klar ausgedrückt, mein Herr. Und ich möchte mich entschuldigen. Ich habe un­tertrieben. Die Angelegenheit sieht zwar oberflächlich betrachtet einfach aus, ist es aber ganz und gar nicht. An­dere haben sich bereits an die Aufgabe gewagt, und alle sind gescheitert. Fünf Jahre nichts als Misserfolge. Habe ich Sie jetzt neugierig gemacht?«

»Nein, doch Sie haben ein paar Minuten meiner Zeit gewonnen«, entgegnete Sebastian und setzte sich wieder an den Tisch. Mit einer Handbewegung bedeutete er dem Unterhändler, auf dem anderen Stuhl Platz zu nehmen. »Machen Sie es kurz, aber schildern Sie die Angelegen­heit diesmal richtig.«

Der Mann ließ sich Sebastian gegenüber nieder und räusperte sich. »Ich arbeite für Leopold Baum. Das hier ist seine Stadt, falls Sie es noch nicht gemerkt haben. Sie wis­sen sicher, dass sich Männer vom Format des Herzogs ziem­lich schnell Feinde machen. Das ist nicht zu vermeiden. Und eine ganz spezielle Gegnerin ist seine eigene Frau.«

»War sie schon gegen ihn, als er sie heiratete?«»Nein, aber es hat nicht sehr lange gedauert.«Sebastian runzelte die Stirn. »Ist es so schwer, mit ihm

auszukommen?«»Nein, nein, bestimmt nicht«, versicherte der Mann

in Verteidigung seines Arbeitsgebers. »Ihr allerdings er­schien es wohl so. Nun zu den Fakten. Vor fünf Jahren wurde sie entführt, zumindest sah es danach aus. Ein Löse­geld wurde gefordert und auch bezahlt, aber die Herzogin kehrte nicht zurück. Man nahm an, sie sei ermordet wor­den. Der Herzog war natürlich außer sich. Eine ausgiebige Suche wurde begonnen, doch es gab keine Spuren, denen man hätte folgen können.«

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»Lassen Sie mich raten«, erwiderte Sebastian trocken. »Sie hat sich die Entführung einfallen lassen, um genü­gend Geld zu erbeuten, mit dem sie sich ein schönes Le­ben leisten kann?«

Der Unterhändler errötete. »Es scheint so. Mehrere Monate, nachdem das Lösegeld gezahlt worden war, sah man sie in großem Stil durch Europa reisen. Man setzte Männer auf sie an. Hinweise auf sie wurden noch gefun­den, sie selbst aber nie.«

»Also, was genau will der Herzog? Seine Frau, sein Geld oder beides?«

»Geld spielt keine Rolle.«»Wenn dem so ist, warum hat man dann nicht mehr

ausgegeben, um sie aufzuspüren? Hört sich an, als wollte er sie gar nicht wiederhaben.«

»Unter uns gesagt, mein Herr, mir kommt es auch so vor«, vertraute der Unterhändler ihm an. »Wäre sie mei­ne Frau, dann hätte ich mir größere Mühe gegeben, vor allem, wenn ich noch einen Erben produzieren müsste.«

Sebastian lehnte sich zurück. Er war etwas überrascht, doch sein Gesicht blieb ausdruckslos, und er wartete da­rauf, dass der Mann seine Aussage näher erläuterte. Der Unterhändler wirkte nach seinem Geständnis etwas ner­vös.

»Das soll nicht heißen, dass man bei der Suche nicht schon große Anstrengungen unternommen hätte«, mein­te er nun nachdrücklich. »Aber der Herzog ist ein viel beschäftigter Mann. Er hat in den vergangenen Jahren nicht jeden Augenblick seines Lebens aktiv an der Verfol­gung dieser Sache arbeiten können. Jetzt allerdings ist er ganz versessen darauf, seine Gattin zu finden, denn er will sich scheiden lassen, um wieder heiraten zu können.«

»Ah, darum geht es also.«Der Unterhändler wurde rot und nickte so leicht, dass

es kaum zu sehen war. Nun war seine Nervosität verständ­

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lich. Der Mann plauderte Sachen aus, die sein Arbeitge­ber wohl lieber für sich behalten hätte.

»Als er erfuhr, dass Sie in der Stadt sind, schöpfte er wieder Hoffnung. Der Ruf ist Ihnen vorausgeeilt, dass Ih­nen alles gelingt, gleichgültig, wie schwierig die Angele­genheit sein mag. Der Herzog ist sehr zuversichtlich, dass Sie seine Frau finden und nach Hause bringen können.«

»Falls ich den Auftrag annehme.«»Aber das müssen Sie!«, begann der Unterhändler,

lenkte dann jedoch ein: »Oder erscheint selbst Ihnen die Aufgabe zu schwierig?«

Den Köder schluckte Sebastian nicht. »Ich mag Auf­träge nicht besonders, die mit Frauen zu tun haben. Au­ßerdem bin ich mit meiner letzten Mission noch nicht fertig. Ich muss nach Frankreich, um sie abzuschließen.«

»Das dürfte kein Problem sein«, versicherte der Unter­händler einigermaßen erleichtert. »Unser Anliegen führt Sie in dieselbe Richtung. Ein kleiner Umweg wäre durch­aus akzeptabel.«

»Soll das heißen, die Herzogin ist in Frankreich gese­hen worden?«

»Die Spur führte dorthin, aber sie endete nicht da. Der Arm des Herzogs reicht weit. Das Hauptziel ihrer Flucht ist wohl, zwischen sich und Österreich so viel Abstand wie möglich zu bringen.«

»Sie wollte also nach Amerika?«»Nein – zumindest hoffen wir das inständig. Außer­

dem hatte sich eine Frau, auf die ihre Beschreibung passt, nach Portsmouth eingeschifft. Im letzten Hinweis, den wir bekamen, hieß es, dass sie von dort noch weitergese­gelt sei, jedoch lediglich die englische Küste hinauf. Es hätte auch ein Schiff nach Nordamerika gegeben, aber da sie das nicht genommen hat, glauben wir, dass sie unter einem falschen Namen in England lebt. Mehr wissen wir nicht. Alle Männer, die wir später noch auf sie ansetzten,

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kamen nie zurück.« Dann flüsterte der Diener vertrauens­voll: »Ich vermute ja, dass sie Angst hatten, dem Herzog unter die Augen zu treten, wenn sie keine Ergebnisse lie­fern können.«

Nun hatte Sebastian genug gehört und erhob sich. »Es tut mir Leid, ich muss jedoch ablehnen«, sagte er wesent­lich kühler als zuvor. »England ist ein Land, das ich nie wieder betreten werde. Guten Tag.«

Er hatte erwartet, der Unterhändler würde versuchen, ihn aufzuhalten. Aber wahrscheinlich war ihm klar gewor­den, dass es sowieso nichts nützen würde. Umso besser. Aufträge, bei denen man es mit Frauen zu tun bekam, wa­ren immer besonders schwierig. Bisher hatten die betroffe­nen Frauen noch jedes Mal versucht, ihn zu verführen.

John hingegen fand solche Aufgaben ausgesprochen lustig. Er behauptete immer, Sebastian sei viel zu attrak­tiv für einen Söldner. Sebastian glaubte allerdings, es läge an seinem Ruf. Die finstere Aura des Raben und seine Gleichgültigkeit Frauen gegenüber führten zu dem Prob­lem. Für ihn kam die Arbeit immer vor dem Vergnügen. Aber die Frauen sahen das anders. Sie waren so fasziniert von ihm, dass sie mit dem näheren Kennenlernen nicht warten wollten, bis der Auftrag erledigt war. Und das machte die Angelegenheit überaus diffizil.

Er war äußerst pflichtbewusst, weshalb er in seinem selbst gewählten Metier wahrscheinlich auch so gut war. Alles, was ihn davon ablenkte, seine Aufgabe zu erfüllen, musste vermieden werden. Und eine Frau, die ihn verfüh­ren wollte, war eine große Ablenkung. Seine Nationalität mochte er abgelegt haben, nicht jedoch seine Männlich­keit. Daher war es ganz gut, dass er den Auftrag des Her­zogs nicht annehmen konnte.

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Kapitel 2

Sein Kopf tat weh. Das war das Erste, was Sebastian auf­ fiel, als er erwachte. Die zweite und weitaus beunruhigen­dere Entdeckung war, dass seine Umgebung sich verän­dert hatte. Er befand sich nicht mehr in dem gemütlichen Gastzimmer, in dem er sich letzte Nacht schlafen gelegt hatte, sondern in einem dunklen, muffigen Kerker. Er war in einer Zelle. Der Schein einer Fackel fiel durch das kleine vergitterte Fenster in der Holztür auf den fest getre­tenen Erdboden und beleuchtete außer einem sauberen Nachttopf in der Ecke auch das geschäftige Treiben von Ungeziefer, das aus den Rissen in der Wand kroch.

Es war ein stickiges mittelalterliches Verlies, doch es befand sich in besserem Zustand als sein eigenes, was da­rauf hindeutete, dass es oft benutzt wurde. Im Gefängnis war er schon öfter gewesen, allerdings in modernen, nie in einem echten Kerker. Die alte Festung auf dem Hügel über Felburg war unübersehbar, und nun wusste Sebastian genau, wo er war.

»Verdammt.«Er hatte nur gestöhnt, aber in der absoluten Stille, die

an diesem Ort herrschte, hatte es sich mehr wie ein lau­tes Fluchen angehört, auf das prompt eine Antwort kam. »Sind Sie das, Sir?«, rief John, ohne dass Sebastian genau feststellen konnte, wo sein Diener sich befand.

Sebastian ging zur Tür, und noch bevor er etwas erwi­dern konnte, hörte er Timothys ängstliche Stimme von links. »Rabe, mir gefällt’s hier nicht. überhaupt nicht. Können wir jetzt verschwinden?«

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Der Junge auch? Das ging zu weit! Er wusste, warum er eingesperrt war. Es war nicht das erste Mal, dass jemand seine Dienste erzwingen wollte. Erst vor kurzem war er aus dem gleichen Grund in eine Zelle gesteckt worden. Halunken dachten eben ähnlich.

»Timothy, haben sie dir wehgetan?«»Nein, jedenfalls nicht sehr«, antwortete der Junge,

der nun versuchte, tapfer zu wirken. »Sie haben mir etwas in den Mund gestopft, mich gefesselt und hergetragen. Ich hab’ die ganze Nacht wach gelegen.«

»Wie steht’s mit dir, John?«, fragte Sebastian.»Hab ’ne kleine Beule am Kopf, Sir«, entgegnete John,

dessen Stimme aus der Zelle rechts kam. »Es ist nichts.«Das war nicht nichts! Dass er angegriffen wurde, mach­

te ihm nichts aus, aber wenn man sich an seinen Leuten vergriff, um an ihn heranzukommen …

Sebastian geriet selten in Wut, doch diesmal war es so weit. Er ging einen Schritt zurück, hob den Fuß und trat mit aller Kraft gegen die Tür. Sie gab nicht einmal ein kleines Bisschen nach. Offenbar war sie nicht so alt wie die Mauer, in die sie eingelassen war.

Dann untersuchte er den Raum genauer. Ein kleiner Waschstand, darauf ein Zinnkrug mit Wasser und eine Schüssel; auf dem einzigen Regalbrett ein zusammengefal­tetes Handtuch. Das Wasser war frisch, das Bettzeug auf der schmalen Liege sauber und aus feinem Leinen. Das Essen auf dem Teller, der unter der Tür durchgeschoben worden war, schien sogar appetitlich gewesen zu sein, be­vor das Ungeziefer sich darüber hergemacht hatte: Eier, Würstchen, Brot mit Butter, die jedoch mittlerweile ge­schmolzen war, und Gebäck.

Man hatte also nicht die Absicht, ihn auszuhungern, sondern wollte ihn nur festhalten. So wie es aussah, war er ein unfreiwilliger Gast. Doch für wie lange? Bis er sich darauf einließ, die vermisste Herzogin zu finden? Als

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schon? Douglas hätte etwas sagen sollen, hätte fragen müs­sen, was er da mache, irgendetwas. Dass er geschwiegen hatte, zeigte an, dass er nicht die Absicht hatte, auch nur ein Wort mit Sebastian zu wechseln. Der Grabstein …

»Ich bin nicht tot.« Sebastian knurrte das fast. »Und ich bin ebenfalls kein Traum. Aber ich bin nicht freiwil­lig hier. Mach dir keine Sorgen. In dem Moment, in dem ich Margaret davon überzeugen kann, dass du nicht über einen Strick stolpern und die verdammte Treppe runter­fallen wirst, sobald du aus dem Zimmer gehst, bin ich wie­der weg.«

»Was zum Teufel meinst du damit?«»Nun, das ist ja immerhin etwas«, entgegnete Sebastian

trocken. »Wenigstens sprichst du mit Gespenstern.«»Sebastian.«Dieser tadelnde Tonfall funktionierte noch sehr gut.

Er erinnerte Sebastian an seine Jugend. Das war alles, was Douglas je bei seinen Söhnen sagen musste. Er hatte ein­fach nur ihre Namen in genau diesem Ton aussprechen müssen, und sie hatten sich so geschämt, dass sie jeden Streit und jede sorgsam vorbereitete Verteidigungsrede sofort beendeten.

»Es tut mir Leid«, sagte Sebastian. »Ich werde mich bemühen, mich an die Fakten zu halten. Zum Beispiel war Margarets Fahrt durch Europa nicht, wie vorgegeben, eine Bildungs­ oder Einkaufsreise. Sie war nur aus einem Grund dort – um mich zu finden und hierher zu holen.«

»Aber warum?«»Darauf komme ich noch. Es gelang ihr nicht, mich

zu überreden, denn ich hatte geschworen, nie nach Eng­land zurückzukehren. Doch es glückte ihr, mich mit ei­nem Trick dazu zu bringen, diesen Auftrag anzunehmen, für den sie auch schon hübsch bezahlt hat. Daher werde ich so lange ermitteln, bis ich ihr versichern kann, dass sie nur ein dummes Ding mit lebhafter Fantasie ist. Wenn

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du es über dich bringen kannst, mit mir zusammenzuarbei­ten, bis das erreicht ist, bin ich sofort weg, und wir haben beide wieder unsere Ruhe.«

»Ich könnte schwören, dass du etwas von Fakten ge­sagt hast«, erwiderte Douglas kühl. »Wann zählst du mir die auf?«

Sebastian zog sich noch weiter in sich selbst zurück. Sein Vater hatte jetzt genau denselben Gesichtsausdruck wie in der Nacht, in der er Sebastian befohlen hatte, zu ge­hen und nie mehr nach England zurückzukommen. Hatte er wirklich geglaubt, es könne eine Versöhnung geben? Großer Gott, was für ein Narr er war.

»Tatsache ist: Margaret glaubt, du bist in Gefahr.«»Unsinn.«»Das ist ihre Ansicht. Nicht meine und offensichtlich

auch nicht deine. Aber es ist der Grund, warum sie Män­ner darauf ansetzte, mich zu finden, und warum sie vier Mo­nate in Europa verbracht hat, in denen sie selbst versucht hat, mich aufzuspüren. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass ich der Richtige bin, die Dinge hier aufzuklären. Ich glaube, Abigail hat ihr das eingeredet. Margaret hat an­genommen, dass ich die Aufgabe freiwillig übernehmen würde. Da hat sie sich getäuscht. Und wahrscheinlich hat sie sich auch in ihren anderen Vermutungen geirrt. Aber das werde ich ja herausfinden.«

Douglas sah jetzt tatsächlich interessiert aus. »Was für eine Art Gefahr?«

»Tatsache ist: Du hast in der letzten Zeit wesentlich mehr Unfälle gehabt als normal ist.«

Sein Vater errötete leicht – was Sebastian sehr auf­schlussreich fand – ,erwiderte allerdings nur: »Jedoch keine schlimmen.«

Hatte sein Vater ein wenig zu lang mit der Antwort gewartet? »Tatsache ist: Du lebst unter einem Dach mit einer gefährlichen Schlange, die zu allem fähig ist.«

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Douglas seufzte. »Da kann ich wohl nicht widerspre­chen.«

»Tatsache ist: Denton würde sich eigentlich gern von seiner Frau scheiden lassen, behauptet aber, dass er das nicht kann. Sie hat irgendetwas in der Hand, womit sie ihn erpresst. Weißt du, was das sein könnte?«

»Nein, und du hast jetzt schon mehr herausgefunden, als ich es je konnte. Mit mir wollte er nie über seine Frau reden.«

»Dir gegenüber ist er also abweisend?«»Ja, insbesondere wenn es um sie geht.«»Und was schließt du daraus?«»Dass er sich für sie schämt. Dass er sich über sich

selbst schämt, weil er sich mit ihr eingelassen hat. Er hat mir sogar angeboten wegzuziehen. Ich habe ihn jedoch selbstsüchtigerweise umgestimmt. Er ist alles …«

Er hielt kurz inne, was Sebastian veranlasste, den Satz zu vollenden: »… alles, was dir noch geblieben ist?«

Douglas ließ den Kopf zurücksinken, als gäbe er sich geschlagen, dabei kam er allerdings mit seiner Wunde an das Kopfteil des Bettes und zuckte zusammen. »Alles, was meiner Mutter noch geblieben ist, wollte ich sagen. In diesem Haus wäre es sehr still, wenn nur sie und ich hier lebten. Sie will nicht mehr mit mir reden.«

»Das habe ich gehört.«»Denton leistet ihr Gesellschaft, und dafür bin ich

dankbar. Dass Margaret eine Weile hier wohnte, war ein Geschenk des Himmels.«

»Bist du verliebt in dein Mündel?«, fragte Sebastian direkt.

Douglas blinzelte erstaunt und schaute ihn dann böse an. »Was ist das denn für ein Unsinn? Sie ist ein wunder­volles Mädchen, aber sie ist jung genug, um meine Toch­ter zu sein.«

»Na und? Seit wann schützt Alter vor …?«

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»Das reicht jetzt, Sebastian. Ich habe keine Ahnung, wie du darauf kommst, diese Annahme ist jedoch absurd. Am Anfang, als sie herkam, hatte ich Mitleid mit ihr. Sie hatte gerade ihren Vater verloren. Doch ich war nie auf die Weise von ihr angezogen, die du eben angedeutet hast. Sie war wie eine frische Sommerbrise und brachte etwas Normalität in dieses Haus. Mehr als einmal habe ich mir sogar gewünscht, dass Denton …«

»Sie verführen würde?«»Nein!«, protestierte Douglas, dann fuhr er seufzend

fort: »Ich hatte gehofft, sie würde ihm den Anreiz liefern, seinen ›Fehler‹ wieder gutzumachen, aber sie war offen­sichtlich nicht an ihm interessiert. Um ehrlich zu sein, suchte ich nur einen Weg, sie in der Familie zu halten. Wir waren alle traurig, als sie nach White Oaks zog, nach­dem sie volljährig geworden war.«

Niemand schien bislang Douglas gesagt zu haben, wen Margaret geheiratet hatte. Sebastian wollte es am liebs­ten bis nach seiner Abreise dabei belassen. Von Abigail würde Douglas es nicht erfahren, sie sprach ja kein einzi­ges Wort mit ihm. Dass Juliette ihn besuchen würde, war unwahrscheinlich. Denton war der Einzige, der diesen Umstand erwähnen könnte. Also musste er noch einmal mit seinem Bruder reden.

Und zwar nicht deswegen, weil diese »Ehe« nicht mehr nötig zu sein schien, nachdem Douglas wenigstens so weit mitarbeitete, dass man mit ihm über die Situation sprechen konnte. Sondern weil Sebastian nie vorgehabt hatte, wieder zu gehen, ohne reinen Tisch gemacht zu haben. Und da sein Vater Margaret gern in der Familie gehabt hätte, würde er es wohl nicht besonders gut auf­nehmen, dass Sebastian sie nicht wirklich geheiratet hat­te. Eigentlich war ihm der Gedanke, dass Douglas dieses Lügenmärchen herausfinden würde, mittlerweile höchst unangenehm.

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»Könnte es andere Gründe als die offensichtlichen geben, warum Juliette Teil dieser Familie bleiben will. Kannst du dir außer dem Geld und Titel irgendetwas vor­stellen, egal was, das sie hier hält, obwohl sie England doch gar nicht mag?«

Douglas runzelte die Stirn. »Was sollte das sein?«»Vielleicht hat sie etwas gegen die Townshends.«»Du denkst an Rache?«»Ja.«»Ich wüsste nicht weswegen«, erwiderte Douglas. »Ich

hatte noch nie von ihr gehört, bevor …«Sebastian schnitt ihm schnell das Wort ab. »Wenn wir

diese Sache wie zivilisierte Menschen hinter uns bringen wollen, erwähne diesen Teil der Vergangenheit besser nicht. Da fällt mir ein, dass ich ihren Familiennamen gar nicht kenne. Wie lautet er?«

»Ich hatte ihn zuvor noch nie gehört. Ich glaube, es war Poussin oder so ähnlich. Er wurde nur einmal erwähnt.«

Sebastian hatte in Frankreich viele Menschen kennen gelernt, aber niemanden mit diesem Namen. Falls Juli­ettes Motiv jedoch wirklich Rache war, hatte sie bestimmt nicht ihren richtigen Familiennamen angegeben.

Da kam ihm ein neuer Gedanke. »Bist du jemals in Frankreich gewesen? Vielleicht hast du jemanden aus ih­rer Familie getroffen, den du, ohne es zu wissen, beleidigt oder verletzt hast.«

»Das kann nicht sein. Ich weiß, dass man die Bildungs­reise durch Europa hier gewissermaßen als Abrundung der guten Erziehung betrachtet, aber ich habe sie nie gemacht. Ich war damals viel zu sehr damit beschäftigt, deiner Mutter den Hof zu machen, und wollte das Land nicht verlassen. Ich habe sie mit recht unziemlicher Eile geheiratet.«

Davon hatte Sebastian vorher noch nie gehört. Nor­malerweise hätte er nicht nachgehakt, doch nach diesem

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Besuch in Edgewood würde er seinen Vater vermutlich nie wieder sehen. Deshalb fragte er einfach: »Warum?«

Douglas zuckte die Achseln. »Ich musste. Aber nicht aus dem Grund, der einem zuerst einfallen würde. Sie war die beste Partie der Saison, und ich habe mich auf den ers­ten Blick in sie verliebt. Da sie jedoch derart bezaubernd war, gab es natürlich mehr als ein halbes Dutzend anderer junger Männer, die versuchten, ihre Hand zu gewinnen. Die Zeit, in der sie uns darauf warten ließ, welcher der Bewerber der Glückliche sein würde, war verdammt ner­venaufreibend.«

Sebastian lächelte. Denton und er hatten ihre Mutter abgöttisch geliebt; sie war gestorben, als sie beide noch klein waren. In ihrer Erinnerung war sie ein Engel, eine Madonna, sie stand für alles, was gut und schön war. Es war eine ziemliche überraschung zu erfahren, dass sie ge­nauso gewesen war wie alle anderen Frauen ihrer Zeit, dass sie versucht hatte, ihre Popularität auszunutzen und so lange wie möglich zu genießen. Das machte sie in sei­nen Augen menschlicher – und den Verlust gleichzeitig schmerzlicher. Aber er glaubte, nun die Antwort darauf gefunden zu haben, warum sein Vater nicht erneut gehei­ratet hatte. Der Ausdruck, der auf seinem Gesicht erschie­nen war, als er von ihr erzählt hatte, sprach Bände. Er liebte sie immer noch, und zwar zu sehr, um jemals in Betracht zu ziehen, dass eine andere Frau ihren Platz ein­nehmen könnte.

»Ich werde dich jetzt in Ruhe lassen«, kündigte Se­bastian an. »Ich möchte dich nicht überanstrengen, so­lange du dich noch erholst. Ich komme jedoch später wieder, um die Diskussion über deine Unfälle zu Ende zu bringen.«

»Ich habe dir doch gesagt …«»Und ich habe dir nicht geglaubt«, unterbrach Se­

bastian, zum Leidwesen seines Vaters. »Also halt dich

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bei unserem nächsten Treffen ein bisschen enger an die Wahrheit.«

Langsam ging Sebastian zur Tür. Eigentlich rechnete er mit weiteren Einwänden, aber Douglas blieb seltsamer­weise stumm. Vielleicht hatte ihre Unterhaltung ihn auch mehr Kraft gekostet, als er zugeben wollte.

Sebastian öffnete die Tür und sagte, ohne sich umzu­drehen: »Danke, dass du mit mir so offen über Mutter geredet hast. Das hatte ich nicht erwartet – nach allem, was passiert ist.«

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Kapitel 33

An diesem Nachmittag machte Abigail Timothys Be­kanntschaft, und da der Junge einen schrulligen Sinn für Humor hatte, war es nicht verwunderlich, dass die alte Dame ihn bald so sehr mochte, als wäre er ein Mitglied der Familie. »Wir behalten ihn«, beschied sie Margaret.

Margaret hatte nicht das Herz, ihr zu sagen, dass sie ihn nicht einfach behalten konnte. Aber Timothy, dieser freche kleine Kerl, fand das äußerst lustig: Er war gern bei Abigail und unterhielt sie mit Geschichten aus Frank­reich. Sie hatte das Gefühl, er hatte nie eine Großmutter gekannt.

Margaret hielt sich nicht lange bei den beiden auf. Sie war zu nervös, um eine gute Gesellschafterin zu sein. Ei­gentlich war sie nur noch ein Nervenbündel, so gespannt wartete sie darauf zu erfahren, was in Douglas’ Zimmer geschehen war. Aus diesem Grund trieb sie sich auch am oberen Treppenabsatz herum und machte sich immer wie­der an den Blumen zu schaffen, die dort auf einem Tisch standen. Sie wollte Sebastian abfangen, wenn er von sei­nem Vater kam.

Plötzlich trat Sebastian aus dem Zimmer. Der finstere Gesichtsausdruck, den der Rabe oft aufsetzte, verriet ihr nichts. Er war schrecklich lang bei Douglas gewesen, aber das musste nichts heißen. Nach allem, was sie wuss­te, konnte sein Vater auch die meiste Zeit geschlafen haben …

Sobald er sie erblickte, kam er zu ihr herüber und sagte: »Lass uns einen Ausritt machen.« Dann ergriff er

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ihre Hand und zog Margaret mit sich die Treppe hinun­ter.

»Jetzt nicht«, sagte sie zu seinem Rücken, denn sie wollte sofort eine Antwort auf die Frage, die ihr auf den Nägeln brannte.

Doch er verstand sie nicht und sagte nur: »Unsere Pferde brauchen Bewegung, ob wir wollen oder nicht«, und zerrte sie aus dem Haus.

Da gab Margaret auf und versuchte einfach nur, mit ihm Schritt zu halten, da er offenbar nicht die Absicht hatte, ihre Hand loszulassen. Sie so über den Rasen zu schleifen, war nicht gerade die feine Art, aber allzu höf­liches Benehmen konnte man Sebastian sowieso nicht vorwerfen, also war Protest wohl sinnlos.

Die Knechte in den Stallungen machten sich schnell rar, was Sebastian zweifellos gewohnt war, denn er be­gann sein Pferd selbst zu satteln. Ein Stallbursche er­schien jedoch und fragte Margaret geradezu streitlustig, ob sie irgendetwas brauche. Es war der Franzose. Sein Akzent war so leicht, dass sie ihn vermutlich nicht ein­mal bemerkt hätte, wenn sie nicht kürzlich in Frankreich gewesen wäre. Bevor sie etwas erwiderte, schaute sie ihn im trüben Licht genauer an und hielt vor Schreck den Atem an.

»Du meine Güte! Sie sehen ja aus, als ob Sie im Stall ge­schlafen hätten und ein Pferd über Sie hinweggetrampelt wäre«, sagte sie ehrlich besorgt – derart dick geschwollen und zerschlagen war sein Gesicht.

»Genauso war’s, Mademoiselle. Danke für die Anteil­nahme.«

Am sarkastischen Ton konnte man merken, dass seine Antwort nicht ernst gemeint war, aber darüber hinaus ge­fiel ihr sein ganzes Auftreten nicht. Daher war Margaret ebenso erleichtert wie verlegen, als Sebastian plötzlich hinter ihr auftauchte.

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»Geh«, sagte er kühl zu dem Burschen, »ich kümmere mich schon um die Bedürfnisse der Lady.«

Der Stallknecht starrte Sebastian so hasserfüllt an, dass Margaret fest mit einer taktlosen Bemerkung über »die Bedürfnisse der Lady« rechnete, weswegen sie bereits im Voraus errötete. Aber nach einem Blick auf sie überlegte der Knecht es sich offenbar anders. Schließlich konnte sie dafür sorgen, dass er seine Stelle verlor. Also zuckte er nur die Achseln und verschwand.

»Wie unverschämt«, murmelte sie vor sich hin.»Das war zu erwarten«, bemerkte Sebastian und ging

an den Boxen entlang, um ihre Stute zu suchen.Sie folgte ihm und blieb dann bei Zuckerschnute ste­

hen, während er den Damensattel holte. Als er wieder­kam, fielen ihr endlich seine geröteten Knöchel auf.

»Du hast das dem Franzosen angetan?«, fragte sie.Er hob die Achseln. »Er hat angefangen. Und was

dann folgte, hat einfach Spaß gemacht.«Sie räusperte sich. »Irgendetwas von ihm erfahren?«»Gar nichts«, antwortete er. »Obwohl ich vermute,

dass er Juliette in London benachrichtigt hat, damit sie schnell nach Hause kommt. Es war wirklich ein toller Kampf.«

Margaret rollte die Augen. »Das wundert mich nicht. Dem Gewinner geht es meistens so. Äh, das heißt, du hast doch gewonnen, oder?«

Da musste er tatsächlich lachen. »Sehe ich etwa aus, als hätte ich verloren?«

Sie war überrascht über dieses kurze Aufblitzen von Heiterkeit, die bei ihm so selten war wie Hagel im Som­mer. Es war auch schnell wieder verschwunden, und Mar­garet glaubte fast, sie hätte es sich nur eingebildet.

Sebastian brauchte nicht lang, bis die Pferde bereit wa­ren, und mit einer raschen Bewegung hob er Margaret in den Sattel. Ein bisschen zu rasch ging ihr das sogar, als

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berühre er sie nicht gern. Aber da das kaum der Fall sein konnte, dachte sie nicht weiter darüber nach.

Einige Augenblicke später galoppierten sie aus dem Stall. Sie hatte keine Mühe, ihm zu folgen. Als ihr je­doch klar wurde, wo er hinwollte, verlangsamte sie das Tempo absichtlich, fast hätte sie angehalten, um umzu­drehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum er ausge­rechnet dorthin wollte.

Als Kind war sie schon einmal da gewesen. Sie und Florence hatten sich einen Spaß daraus gemacht. Zwei­fellos hatte jedes Kind in der Nachbarschaft irgendwann genauso gedacht und war mindestens einmal an diesem Ort gewesen. Krankhafte Neugier beschränkte sich eben nicht nur auf Erwachsene.

Und auch jetzt war es Neugier, die sie schließlich durch die Bäume auf die berühmte Lichtung führte. Auf einer sechs Meter breiten Fläche gediehen weder Pflan­zen noch Unkraut. Bäume, Büsche und dichtes Unter­holz schirmten den Platz vom Waldpfad ab, der in der Nähe verlief. Bis zu einem gewissen Punkt wuchs noch Gras, dann hörte es auf und ließ einen schmalen, unbe­wachsenen Streifen deutlich hervortreten. Das Gras war allerdings nicht zertrampelt, denn es fanden nur noch sel­ten Duelle dort statt. Es war eher, als hätte all das Blut, das über die Jahre an diesem Ort vergossen worden war, es im Keim erstickt.

Sebastian war abgestiegen und stand mitten auf der Lichtung. Er sah aus, als habe er Schmerzen. Das Erstaun­liche daran war, dass sie es deutlich sehen konnte. Er ver­suchte nicht es zu verstecken, oder wenn, dann war die Qual so groß, dass ihm das nicht gelang.

Sie fühlte sich selbst ganz zerrissen. Sie verspürte den starken Drang, zu ihm zu gehen und ihn in den Arm zu nehmen, ihm allen Trost anzubieten, den sie spenden konnte. Es bereitete ihr keine Genugtuung, ihn so zu

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sehen, und auch der Gedanke, dass er diese Schmerzen verdiente, kam ihr nicht eine Sekunde in den Sinn. Von dem Moment an, in dem sie ihm geglaubt hatte, dass Gi­les’ Tod ein Unfall gewesen war, hatte sie aufgehört, ihn für Eleanors Ableben verantwortlich zu machen. Er trug zwar immer noch die Schuld daran, dass eine Familie, die ihr sehr am Herzen lag, zerstritten war, aber das war eine Sache zwischen ihm und seinem Vater und hatte mit ih­rer Schwester nichts zu tun.

Ihr wurde klar, dass sie wirklich keinen Grund mehr hatte, Sebastian zu hassen, obwohl das noch lange nicht hieß, dass sie ihn mochte. Nun, offenbar hatte sie ihn doch ein wenig gern, sonst hätte die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, in den letzten Tagen, oder besser ge­sagt in der letzten Nacht, nicht die Oberhand gewonnen. Aber den Raben konnte sie nicht ausstehen, da gab es keine Diskussion. Der Rabe war einschüchternd, anma­ßend, kalt und manchmal geradezu gemein.

Sie würde überhaupt nicht über ihn nachdenken, wenn sie nicht wüsste, dass Sebastian auch noch eine an­dere Seite hatte, die er nur selten zeigte, die ihr jedoch nur zu gut gefallen könnte, wenn sie nicht aufpasste. Glücklicherweise brauchte sie sich darüber aber keine Sorgen zu machen, da der Mann ganz bestimmt nicht die Absicht hatte, nach Erledigung seines Auftrags in Eng­land zu bleiben.

Sie hätte nicht fragen sollen, doch sie tat es: »Warum wolltest du hierher?«

»Ich glaube, ich werde weich.«Diese seltsame Antwort verblüffte sie. »Wäre das so

schlimm?«Er würdigte sie weder eines Wortes noch eines Bli­

ckes, was sie vermuten ließ, dass es seiner Meinung nach so war. Sollten die Erinnerungen an diesen Ort ihm hel­fen, kalt und gefühllos zu bleiben? Verbitterung war sein

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wohl auffälligster charakterzug, und das war kein gutes Gefühl.

»Ich nehme an, du hast dich nicht mit deinem Vater ausgesprochen?«, wollte sie schließlich wissen.

»Es wird keine Versöhnung geben.«Diese knappe Antwort ärgerte sie so sehr, dass sie

fragte: »Wen hat er denn nach all diesen Jahren zu sehen bekommen? Seinen Sohn? Oder den Raben?«

Da schaute er sie endlich an. »Ich weiß nicht, warum du die beiden unbedingt auseinander halten willst. Sie sind Teil der Persönlichkeit, zu der ich durch das Leben, das ich geführt habe, geworden bin.«

»Unsinn. Erzähl das deiner Großmutter, wenn du mit ihr lachst. Sie bekommt den Mann zu sehen, der du ein­mal warst, den Mann, den du hier wieder in den Staub treten willst.«

»Der ist nur vorgespielt«, entgegnete er. »Und wo wir gerade davon sprechen, ich möchte nicht, dass mein Va­ter von unserer vorübergehenden ›Ehe‹ erfährt.«

Das überraschte sie so sehr, dass sie die Stirn in Falten legte. »Aber darum ging es doch gerade.«

»über den Punkt sind wir bereits hinaus. Ich bin vor Ort und bislang noch nicht gebeten worden zu gehen.«

Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Bei dir muss alles stets zum Ränkespiel werden, wo doch die einfache Wahr­heit manchmal schon Wunder wirkt.«

»Aber nicht immer, und dann gerät man in eine Sack­gasse. Das Ränkespiel, wie du es nennst, gibt dir mehr Möglichkeiten. Und mir wäre es lieber, nicht hier zu sein, wenn er von unserer fingierten Ehe erfährt.«

»Wieso?«»Weil ich festgestellt habe, dass ich ihn nicht anlügen

kann. Ich dachte, ich könnte es, doch es geht nicht.«Sie blinzelte. »Also wirst du ihm erzählen, dass wir

nicht wirklich verheiratet sind?« Sie biss sich auf die Lip­

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pe. »Nun, ich denke, außer ihm muss das ja keiner wissen. Er wird uns bestimmt verstehen, sobald wir ihm erklären, warum wir dieses Theater inszeniert haben.«

Er schüttelte den Kopf. »Dann müsstest du ihm auch verständlich machen, warum du mich hasst und mich nicht haben willst, denn er wird darauf bestehen, dass wir die ›Hochzeit‹ nachholen, das sage ich dir.«

»Unsinn.«»Das glaubst du nicht? Selbst wenn er nicht aus Grün­

den der Ehre auf dieser Lösung besteht, musst du Folgen­des berücksichtigen: Er möchte dich in der Familie haben, Maggie. Wir würden ihm dafür den allerbesten Vorwand liefern.«

Ein Sturm von Gefühlen überwältigte sie, unglückseli­gerweise auch große Aufregung allein bei dem Gedanken, Sebastian tatsächlich heiraten zu müssen. Sie war wohl verrückt! All diese Intrigen, die so gar nicht zu ihrem cha­rakter passten, brachten sie ganz durcheinander. Eine an­dere Entschuldigung gab es dafür nicht.

»Wie willst du verhindern, dass er von unserer Heirat erfährt? Er wird nicht mehr lange in seinem Zimmer blei­ben. Irgendjemand wird es sicher erwähnen.«

»Nicht unbedingt. Abigail und Denton schon mal nicht. Mit ihnen und dem Dienstpersonal habe ich be­reits gesprochen. Und wie ich von meiner Großmutter weiß, redet Juliette auch nicht allzu oft mit Douglas. Bleibst also nur du.«

Erst seufzte sie kaum hörbar, dann sagte sie steif: »Ich werde diese erzwungene Heirat, die du voraussagst, ganz gewiss nicht herbeiführen, das kann ich dir versichern. Ich bin zwar nicht der Ansicht, dass es dazu kommen wür­de, doch ich will bestimmt nicht daran schuld sein. Aber müssen wir das ausgerechnet hier diskutieren? Oder woll­test du über das Duell sprechen?«

»Nein.«

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»Warum …?«»Maggie, du redest zu viel.«Sie biss vor Wut die Zähne zusammen. »Wir hätten

diese Unterhaltung auch irgendwo führen können, wo es nicht so unheimlich ist. Warum gerade hier?«

»Weil mir sonst kein Ort einfiel, an dem ich nicht ver­sucht sein würde, dich ins Gras zu werfen und dir den Rock hochzuschieben.«

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Kapitel 34

Für einen Moment konnte Margaret kein Wort heraus­bringen. Sie stellte sich vor, wie sie im weichen Gras ge­bettet lag, neben ihr Sebastian, der sich über sie beugte und zärtlich anschaute, bevor er …

Da zerplatzte der Traum plötzlich. Zärtlichkeit hatte noch nie in seinem Blick gelegen, jedenfalls nicht, wenn er sie betrachtete. Wenn er mit Abigail sprach, ja, da hat­te sie einmal diesen Ausdruck auf seinem Gesicht gese­hen, deshalb wusste sie auch, dass er zärtlich sein konnte. Dieses Gefühl hätte er nicht vorgetäuscht, nicht bei sei­ner Großmutter.

Sie drehte ihm den Rücken zu und sagte schnippisch: »Ich muss darauf bestehen, dass du aufhörst, solche Dinge zu sagen, Sebastian.«

»Du kannst protestieren, so viel du willst.«Sie knirschte mit den Zähnen. »Aber es wird mir

nichts nützen?«»Ich wusste doch, du bist ein cleveres Mädchen.«Sie sog scharf den Atem ein. Machte dieser Mann sich

etwa über sie lustig? Sie blickte über die Schulter, doch seine Miene hatte sich nicht verändert. Er passte immer noch zu der traurigen Umgebung.

»Wir hätten diese Unterhaltung auch in Edgewood führen können«, bemerkte sie ungnädig.

»Zu dieser Tageszeit? Da gibt es keinen Ort, wo wir un­gestört gewesen wären – außer in deinem Zimmer. Darf ich etwa wieder hinein, Maggie?«

Diese Frage, die mit wesentlich tieferer Stimme gestellt

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wurde, war so zweideutig, dass sie lieber nicht genauer da­rüber nachdachte. Außerdem kündigte sein Tonfall an, dass er nicht vorhatte, ihrer Bitte nachzukommen, sie in Zukunft in Ruhe zu lassen.

Warum hatte sie nur geglaubt, dass er zu Verstand ge­kommen war und erkannt hatte, welches Risiko sie letz­te Nacht eingegangen waren? Andererseits war er ein Mann, zu dessen Leben die Gefahr dazugehörte. Offenbar war er sogar bereit, das Risiko zu tragen, in einer echten Ehe gefangen zu werden.

»Die restlichen Nächte in Edgewood wirst du irgendwo anders verbringen, jedenfalls nicht in meinem Zimmer«, sagte sie nachdrücklich.

»Keine chance.«Sie stöhnte laut vor Enttäuschung. »Dann müssen wir

uns eben einen Grund ausdenken, warum du ein eigenes Schlafgemach haben willst. Ein kleiner Streit wäre genau das Richtige, einer, über den wir nicht zu sprechen wün­schen.«

»Das wird nicht klappen.«»Natürlich wird es das. Zivilisierte Menschen stecken

ihre Nase nicht in die Angelegenheiten von Ehepaa­ren.«

Erstaunlicherweise erschien in seinen goldenen Au­gen ein amüsiertes Funkeln. Sie war sich sicher. Oder viel­leicht doch nicht? Vielleicht war es auch nur ein Spiel von Licht und Schatten gewesen.

Sein Tonfall verriet allerdings etwas anderes als Hei­terkeit. »Du glaubst hoffentlich nicht, dass du mich von dir fernhalten könntest, wenn wir wirklich verheiratet wären? Wo schon allein der Gedanke an deinen verführe­rischen Körper mich um den Verstand bringt?«

Margaret schnappte wieder nach Luft und fühlte, wie die Röte ihr in die Wangen schoss. Und das lag nicht nur an seinen Worten, die lebhafte Erinnerungen an die letzte

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Nacht heraufbeschworen, in der er sie so wunderbar ge­liebt hatte. Es lag auch an den Gefühlen, die in diesem Moment in ihr aufstiegen. Und an seinem Blick … der keine Heiterkeit mehr zeigte, sondern lediglich leiden­schaftliches Begehren. Trotz des düsteren Ortes, trotz ih­res Vorsatzes wusste sie ohne jeden Zweifel, dass sie der Versuchung, die er für sie darstellte, erliegen würde, falls er sich ihr näherte. Derart stark fühlte sie sich von ihm angezogen.

Verzweifelt bemüht, irgendetwas zu finden, was das Ver­langen, das sie aufeinander zutrieb, eindämmen konnte, bediente sie sich der perfekten Vorlage, die er ihr geliefert hatte.

»Du würdest dich mir tatsächlich aufdrängen, wenn ich ernstlich böse auf dich wäre?«, fragte sie so entrüstet, wie sein Kommentar es verdient hatte.

»Wenn wir wirklich verheiratet wären, Maggie, hät­ten wir keine Streitereien«, erwiderte er. »Wir würden so viel Zeit im Bett verbringen, dass wir überhaupt nicht zum Zanken kämen.«

Sie konnte einfach nicht glauben, wie sehr ihr diese Vor­stellung gefiel. Der Rabe war ihr in der Tat überlegen, und in diesem Augenblick war er ganz offensichtlich der Rabe, der jedes Mittel einsetzte, um ihren Vorsatz zu erschüttern. Und sie hatte ihm rein gar nichts entgegenzusetzen.

Alles, was ihr noch blieb, war, sich empört zu geben. Das fiel ihr jedoch sehr schwer. »Du Ekel, das ist doch keine Antwort auf meine Frage.«

»Aber die Antwort dauert länger. Nein, ich würde dich nicht gegen deinen Willen nehmen, ich würde dei­nen Willen so beeinflussen, dass du dasselbe willst wie ich. Das kann ich sehr gut, auch wenn ich seit unserer Ankunft hier so manches andere vermasselt habe.«

Margaret wünschte, sie könnte sein Vertrauen darin erschüttern, dass er ihre Gefühle manipulieren konnte.

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Nur für einen kurzen Moment hätte sie seinem kolossalen Selbstbewusstsein gern einen Dämpfer verpasst. Doch da er das womöglich als Herausforderung begreifen und sich veranlasst sehen könnte, den Beweis anzutreten, schluck­te sie ihren Stolz herunter und sah vernünftigerweise da­von ab.

»Was meinst du damit? Was ist anders gelaufen, als du gedacht hast?«

Sebastian berichtete ihr von seiner enttäuschenden Unterredung mit Juliette. Als er fertig war, sagte Marga­ret nachdenklich: »Siehst du, wieder ein Fall, wo Rache weiter gegangen ist als ursprünglich geplant.«

»Möglich«, gab er zu. »Ich verstehe, warum Juliette es nach Giles’ Tod darauf abgesehen haben könnte, Den­ton zu heiraten. Sie brauchte einen Ehemann, und nach meinem Rauswurf war Denton als Sohn eines Grafen ein guter Fang. Heute hat es den Anschein, als könnten sie sich nicht ausstehen, aber vielleicht ist sie doch bereit, auf Dentons Erbe zu warten. Warum allerdings bleibt er mit ihr verheiratet, obwohl er, wie er mir gesagt hat, die Ehe am liebsten lösen würde?« Sebastian schüttelte den Kopf. »Trotz der gegenseitigen Feindseligkeit scheint sie ir­gendetwas eng zu verbinden, als würden sie beide dasselbe Geheimnis hüten. übrigens, mein Vater verschweigt auch etwas.«

Margaret blinzelte ungläubig. Douglas war ebenso wie Abigail viel zu offen, um Geheimnisse zu haben.

»Was sollte er denn verbergen?«»Nichts, worauf ich direkt mit dem Finger deuten

könnte. Aber als er mir über die Unfälle genau dasselbe er­zählte wie dir, schien er ein klein wenig verlegen zu sein. Außerdem hat er zu lange gezögert.«

»Was meinst du damit?«»Ich tippe darauf, dass er nicht ganz sicher war, welche

Antwort er mir geben sollte.«

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Sie schnalzte mit der Zunge. »Er erholt sich gerade von einem schweren Fieber. Eine Pause beim Sprechen könnte auch auf seine Gesundheit zurückzuführen sein. Vielleicht war er außer Atem. Oder seine Wunde hat ge­schmerzt. Sie ist noch nicht völlig verheilt. Womöglich war er einfach zu schwach für die Art von Befragung, zu der du ihn gedrängt hast.«

»Das habe ich alles in Betracht gezogen, Maggie. Aber ich vertraue meinem Instinkt. Er verbirgt etwas. Und so­bald wir wissen, was das ist, kann ich deine Ängste sicher zerstreuen und endlich hier abhauen.«

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Kapitel 35

Sebastians Ausführungen hatten Margaret ziemlich be­unruhigt. Insbesondere das Wort »abhauen« drückte für den Rest des Tages auf ihre Stimmung. Er hasste es, in England zu sein, und er hatte auch nie etwas anderes be­hauptet. Sie hatte das Gefühl, dass sogar eine Versöhnung mit Douglas nichts daran ändern konnte. Er hatte sich ein anderes Leben ausgesucht, eines, das nicht zu der Rol­le passte, die er in der englischen Gesellschaft spielte.

Das Problem war, dass sie mittlerweile darauf hoffte, dass Sebastian seine Meinung änderte. Sie war nicht sicher, wann sich diese Idee in ihr festgesetzt hatte, be­stimmt irgendwann in den letzten Tagen, als sie so zu­versichtlich gewesen war, dass er sich mit seinem Vater aussprechen konnte. Dann würde er womöglich bleiben. Dann wollte er sie vielleicht …

Sie schloss die Augen. Wem machte sie da etwas vor? Der Mann würde einen schrecklichen Ehegatten abgeben, zumindest für sie. Sie hatte ihre Unabhängigkeit schon viel zu lange genossen, als dass sie sich einem so selbst­herrlichen Menschen unterwerfen würde. Sie traf ihre Ent­scheidungen gern selbst. Ihr gefiel es, allein über ihr Leben bestimmen zu können. Jemand wie Sebastian würde ihr all das nehmen. Alles würde nur nach seiner Nase gehen. Er würde sie vielleicht sogar mit sich nach Europa schleppen, wenn sie dumm genug wäre, ihn wirklich zu heiraten.

Eine leise innere Stimme fragte sie, ob das denn so schlimm wäre, ob es ihr tatsächlich etwas ausmachte, wo sie lebte, solange sie mit ihm zusammen war. Dieser

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Gedanke erregte und erschreckte sie gleichzeitig, also schob sie ihn entschlossen fort. Nein, eine echte Heirat mit Sebastian stand außer Frage. Er hatte sie ja auch gar nicht darum gebeten. Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass er mehr von ihr wollte als nur ein paar Stunden Spaß. Sie hatte sich etwas vorgemacht. Damit musste sie sofort aufhören.

Es gab in Edgewood keinen Platz, an dem Sebastian sich auf jeden Fall benehmen würde. Er hatte sie in der Eingangshalle geküsst, im Salon, oben an der Treppe und in ihrem Zimmer. Das Einzige, was ihr einigermaßen si­cher schien, war ein größeres Publikum. Daher verbrachte sie den restlichen Nachmittag bei Abigail, und vor dem Abendessen ging sie zu Douglas, denn sie konnte den Be­such nicht noch länger hinauszögern.

Trotzdem fürchtete sie sich davor. Fast fünf Minuten blieb sie vor seiner Tür stehen, so nervös war sie. Den anderen hatte sie, wenn auch ungern, die Unwahrheit sagen können, aber mit Douglas war es anders. Sebastian hatte ganz Recht gehabt, als er heute zugegeben hatte, seinen Vater nicht anlügen zu können. Sie stellte fest, dass es ihr genauso ging. Douglas war wie ein Vater für sie, und es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, ihren Vater zu belügen.

Sie holte tief Luft, setzte ein Lächeln auf und klopfte an die Tür. Das Mädchen ließ sie herein. Douglas war wach. Sie hatte auf eine Gnadenfrist gehofft, doch die gab es nicht. Auch gut. In letzter Zeit erfüllten sich ihre Hoffnungen sowieso bloß noch selten.

Er saß auf seine Kissen gestützt im Bett und legte ge­rade das Buch weg, das er gelesen hatte. Neben ihm auf einem Beistelltisch war eine Lampe angezündet, da nur düsteres Nachmittagslicht durch die Fenster fiel. Als sie und Sebastian dem Duellstein den Rücken gekehrt hat­ten, war eine dicke Wolkenbank herangezogen.

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»Maggie, bist du mir aus dem Weg gegangen?«Seufzend setzte sie sich auf den Stuhl an seinem Bett.

»Ja, in der Tat, aber du kennst mich ja. Wenn ich erst ein­mal anfange zu reden, höre ich nicht mehr auf. Das hat man mir in letzter Zeit recht häufig vorgehalten«, fügte sie stirnrunzelnd hinzu. »Außerdem hat Dr. culden aus­drücklich gesagt, dass Ruhe im Moment sehr wichtig für dich ist. Ich wollte dich einfach nicht stören, sonst wäre ich eher gekommen.«

»Unsinn. Wenn ich noch länger hier herumliege, schlage ich bald Wurzeln.«

Sie grinste. »Ich weiß, dass du es nicht leiden kannst, untätig zu sein, du musst dich jedoch wenigstens noch ein paar Tage gedulden. Wie geht es deiner Wunde?«

»Mittlerweile kann man es aushalten.«»Wir haben uns alle ziemliche Sorgen gemacht.«Er sah sie mit hochgezogener Braue an. »Und du hast

dir schon vor dem letzten Unfall Gedanken gemacht? Maggie, warum zum Teufel bist du mit deinen Ängsten nicht zu mir gekommen? Du musstest doch nicht durch ganz Europa reisen, um ihn aufzutreiben.«

Sie errötete ob dieser Schelte, aber sie war auch über­rascht, dass Douglas seinen Sohn überhaupt erwähnte. Sollte das heißen, er war bereit, über ihn zu reden? Nicht, dass sie das gewollt hätte. Um Himmels willen, nein, das konnte genau zu dem führen, was Sebastian vermeiden wollte.

Sie musste schnell ein unverfänglicheres Thema fin­den, damit sie nicht auf die »Hochzeit« zu sprechen ka­men. »Es tut mir Leid, dass seine Gegenwart dich stört, Douglas. Ich bin allerdings damals zu dir gekommen, wenn du dich erinnerst.«

»Und ich habe dir versichert, dass an den Unfällen nichts Ungewöhnliches ist und du dir keine Sorgen zu machen brauchst.«

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»Ja, das stimmt. Aber leider war ich anderer Ansicht. Ich hatte natürlich keinen konkreten Verdacht, lediglich so ein ungutes Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt.« Sie zweifelte daran, dass er die Sache damit auf sich beru­hen lassen würde, denn er runzelte die Stirn. Also fügte sie rasch hinzu: »Sebastian ist sehr gut bei Ermittlungen. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil seiner jetzigen Ar­beit. Ich hatte eigentlich nur gehofft, er könne, nun, zu­mindest meine Zweifel ausräumen.«

Douglas seufzte, doch er fasste gleichzeitig nach ihrer Hand, um sie zu tätscheln. »Mir wäre es lieber gewesen, du hättest mir in dieser Sache einfach vertraut, aber es ist schon in Ordnung, meine Liebe. Du brauchst keine Ge­wissensbisse zu haben, weil du ihn hergebracht hast.«

Es gelang ihr, nicht erstaunt zu blinzeln. Wirkte sie der­art schuldbewusst? Es musste wohl so sein, sonst hätte er kaum diese Schlussfolgerung gezogen.

Sie versuchte erleichtert auszusehen und schenkte ihm ein Lächeln. »Ich kann dir versichern, dass er nicht bleiben wird. Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Er wollte nicht einmal herkommen. Ich musste ihn gewissermaßen zwingen.«

Seltsamerweise seufzte er daraufhin erneut, und es machte fast den Anschein, als hätte er das lieber nicht gehört. »Das überrascht mich nicht«, sagte er und fragte anschließend: »Wie hast du ihn gefunden?«

Einen Moment lang kämpfte sie mit sich, ob sie ihn belügen sollte. Sie hätte gern gewusst, was Sebastian ihm erzählt hatte, aber dieser schreckliche Kerl hatte nicht viel von der Unterhaltung mit seinem Vater verraten. Sie war jedoch sicher, dass er ihre Scheinehe nicht erwähnt hatte, deshalb entschied sie sich für die Wahrheit.

»Es war eigentlich ziemlich lustig«, gestand sie. »Ich wollte ihn engagieren, um sich selbst zu finden. Ja, ich weiß, das macht keinen Sinn, doch in Europa benutzt er

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einen anderen Namen. Er ist nur als der Rabe bekannt, der einen ziemlich guten Ruf hat, auch knifflige Probleme zu lösen. Bisher hat er noch jeden Auftrag erfolgreich zu Ende gebracht.«

»Jeden?«, fragte Douglas interessiert.»In der Tat. Sein Ruf ist Gold wert.«»Was genau tut er denn, außer Ermittlungen zu füh­

ren? Oder ist das schon alles?«Sie runzelte die Stirn. »Ich habe ihn nie genau gefragt.

Ich habe immer gedacht, er ist so etwas wie ein Söldner, also jemand, an den man sich wendet, wenn man keine andere Wahl mehr hat. Ich glaubte, dass er jede Art von Auftrag annimmt, doch da ist er eigen. Für eine Frau arbei­tet er zum Beispiel nicht«, meinte sie ärgerlich. »Deshalb musste ich ihn, wie gesagt, auch zwingen. Vielleicht fragst du ihn besser selbst.« Als er erneut die Stirn in Falten legte, stand sie schnell auf, um zu gehen und lenkte ein: »Oder lieber nicht. Um Himmels willen, ich habe viel zu lange geredet. Dein Abendessen kommt bald, und ich muss mich noch umziehen. Ich schaue morgen Früh wie­der vorbei.«

Sie war bereits fast aus der Tür, da rief er sie zurück. Aber sie entschied sich, Vorsicht walten zu lassen, und tat, als hörte sie nicht. Ihr Herz hämmerte. Sie hätte nicht so viel über Sebastian erzählen sollen! Er würde wahrschein­lich nicht wollen, dass sein Vater vom Raben wusste.

Ihr verdammtes nervöses Geplapper. Eines nicht allzu fernen Tages würde es ihr Ruin sein.

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Kapitel 36

Margaret warf ihre Gabel auf den Tisch, schaute Se­bastian finster an und sagte streng: »Sprich mich bloß nicht an!« Das war der Startschuss für ihren »Streit« beim Abendessen. Sebastian blieb stumm. Er seufzte nur und verdrehte die Augen, um seiner Großmutter zu be­deuten, er könne nichts dafür, dass Margaret plötzlich so böse auf ihn war.

Juliette war nicht da, um sich an dem Vorfall zu wei­den. Denton hatte ihnen mitgeteilt, dass sie unter Kopf­schmerzen litt und an diesem Abend nicht mit ihnen speisen würde. Schade eigentlich, dachte Margaret. Sie hätte wenigstens für Abwechslung gesorgt. Das Essen verlief sehr schweigsam, weil Margaret so tun musste, als sei sie zu wütend, um etwas zur Unterhaltung beizu­tragen.

Sie zog sich früh zurück, damit die anderen sich ent­spannen konnten und das Essen ohne den von ihr erzeug­ten Unfrieden zu Ende ging. Nach einem so düsteren Tag, sowohl von der Stimmung als auch vom Wetter her, brauchte sie ein schönes heißes Bad, in dem sie sich für eine Stunde erholen konnte. Wenigstens hatte ihr Plan funktioniert, denn Sebastian hatte nun einen »Grund«, sein eigenes Zimmer zu verlangen. Das hätte er schon viel eher machen sollen, dieser schreckliche Kerl.

Schaum war wunderbar, je mehr, desto besser. Und ein wenig parfümiertes Öl. Edna kannte sie sehr gut und hatte »alles Notwendige«, wie Margaret es nannte, einge­packt, selbst für diesen kurzen Aufenthalt.

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Anscheinend waren sie mit Sebastians Strategie in einer Sackgasse gelandet. Natürlich dauerte es seine Zeit, einen »Unfall« für ihn zu arrangieren, falls Juliette etwas in dieser Richtung vorhatte. Margaret gefiel es gar nicht, dass er sich so zur Zielscheibe machte. Obwohl er ja vor­bereitet und damit im Vorteil war, aber trotzdem …

Vielleicht war jetzt eher direktes als strategisches Vor­gehen gefragt. Womöglich würde Juliette sich ihr öffnen – nein, für sie war Margaret nun im feindlichen Lager. Denton? Das war eine Idee. Da sie vorher nicht gewusst hatte, dass er sich gern von seiner Frau scheiden lassen würde, hatte sie ihn auch nie danach gefragt. Wenn sie ihn vorsichtig auf das Thema ansprach … Darüber muss­te sie ein wenig nachdenken.

Das Badewasser hatte genau die richtige Temperatur. Edna hatte alles bestens vorbereitet, ehe sie gegangen war. Langsam glitt Margaret in die Wanne und ließ ihre Haut von Öl und Schaum verwöhnen. Dann lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und entspannte sich, nur Kopf und Arme ragten noch aus dem Wasser.

Eine Kohlepfanne in der Ecke hielt den Raum schön warm. Kein Luftzug störte die Ruhe, die sie suchte – dann spürte sie allerdings doch einen kalten Hauch.

Sie öffnete die Augen, um zu sehen, ob Edna aus ir­gendeinem Grund zurückgekommen war. Aber es war nicht Edna. Sebastian stand zwischen der Wanne und der Tür, die er gerade geöffnet hatte. Und er zog sich bereits das Jackett aus.

Weder hielt sie den Atem an, noch versteckte sie sich im Wasser, wie beim letzten Mal, als er sie beim Baden ge­stört hatte, sondern deutete mit dem Zeigefinger zur Tür. »Ich habe dir eine wunderbare Entschuldigung geliefert, ein eigenes Zimmer zu verlangen«, erinnerte sie ihn. »Wa­rum zum Teufel bist du schon wieder hier?«

»Du hast mit der Geschichte angefangen, meine Liebe.

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Ich bringe sie nur für dich zu Ende«, bemerkte er. »Dies ist der Teil, in dem wir uns wieder vertragen.«

Weitere Erklärungen brauchte sie nicht. Sie sah es be­reits an seinen Augen, die sie durchdringend anblickten und genügend Hitze versprühten, um sie zu verbrennen. An seinen geschmeidigen Bewegungen beim Ausziehen, mit denen er ihre Sinne verführte. Sag ihm, er soll ge­hen! Sag es ihm jetzt! Aber sie brachte die Worte einfach nicht heraus. Sie hatte ihre chance bekommen und sie vertan, derart fasziniert schaute sie ihm dabei zu, wie er sich Stück für Stück seiner Kleidung entledigte.

Wie hypnotisiert verfolgte sie das Spiel des Lichts auf seiner Haut und seinen Muskeln. Er war unglaublich stark, man sah es an jeder Linie seines Körpers. Und sie genoss seine männliche Ausstrahlung. Es gab so viel zu bewundern und auch so vieles, was sie erregte. Diesmal zog er sich nicht hastig aus, diesmal ließ er ihr Zeit, ihn ausgiebig zu betrachten.

Als er schließlich nackt war, stellte sie ungläubig fest, dass er nicht vorhatte, sie aus der Badewanne zu holen, sondern ebenfalls hineinkommen wollte. Es gelang ihr ge­rade noch rechtzeitig, die Beine anzuwinkeln, bevor er auf der anderen Seite der Wanne Platz nahm. Daraufhin stieg das Wasser natürlich, und etwas schwappte sogar über, während er eine bequeme Position suchte. Dann griff er nach ihren Händen und zog sie zu sich, bis sie fast seine Brust berührte.

Margaret schaute auf ihre Knie, die ziemlich hinderlich waren, und fragte: »Hältst du das für eine gute Idee?«

»Großer Gott, ja!«, antwortete er, umfasste ihren Kopf und verschloss ihren Mund mit einem glühenden Kuss.

Danach kümmerte es sie nicht mehr, ob die Stellung seltsam war. »Es wird schon klappen, Maggie«, versicherte er ihr, während er sich daranmachte, es ihr zu beweisen.

Und es ging tatsächlich wunderbar. Natürlich war es

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nicht so, wie sie sich mit ihrer beschränkten Erfahrung Liebe in einer Badewanne vorgestellt hätte, aber nach­dem Sebastian ein wenig weiter nach unten geglitten war und sie auf seinen Schoß gezogen hatte, kam es ihr gar nicht mehr seltsam vor. Er lehnte sogar ihre Knie an seine Schultern, um es ihr bequemer zu machen, obwohl sie sol­che Unannehmlichkeiten vor lauter Erregung schon gar nicht mehr bemerkte.

Er gab ihr seinen Zopf zum Festzuhalten, und sie lachte. Er leckte ihr den Schaum von den Brüsten, und sie lachte wieder. Aber als er seine Hände an ihren Oberschenkeln hoch und höher gleiten ließ, hörte sie auf zu lachen. Sie keuchte und erschauerte vor Wonne.

»Ist dir kalt, Maggie?«, fragte Sebastian mit heiserer Stimme. »Dann will ich dich wärmen.« Er lehnte sich vor und küsste sie leidenschaftlich, drängte seine Zunge in ih­ren Mund. Als er sie schließlich nahm, verspürte sie nur unbändige Lust. Er versank so tief in ihr, dass Margaret ein spitzer Schrei entfuhr. Mit beiden Händen umfasste er ihre Hüften und bewegte sie rhythmisch auf und ab. Das Wasser schwappte hoch, und Margaret warf mit wollüsti­gem Stöhnen den Kopf zurück. Vorsichtig nahm er einen ihrer versteiften Nippel zwischen die Zähne. Sie keuchte und kam augenblicklich mit einem leisen Aufschrei zum Höhepunkt. Noch ein paar harte Stöße, die das Wasser nach allen Seiten spritzen ließen, und er war ebenso tief befriedigt wie sie.

Margaret lächelte auf ihn hinunter, gerührt wie selten in ihrem Leben. Wasser tropfte von seiner Stirn. Sie beugte sich vor und leckte es ab, ohne sich über ihre Kühnheit zu wundern. Der Blick, den er ihr zuwarf, drückte nicht nur seine Zufriedenheit aus. Diesmal sah sie es ganz deutlich – in seinen Augen lag Zärtlichkeit. Für sie. Und obwohl sie vor Glück seufzte, konnte sie noch nicht einmal im An­satz beschreiben, wie wundervoll sie sich dabei fühlte.

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Kapitel 37

Margaret durfte das Handtuch nicht anfassen. Sebas­tian trocknete sie ab, Zentimeter für Zentimeter, ohne dass sie protestierte. Auch als er sie hochhob und behut­sam zum Bett trug, hätte sie ihm sagen können, dass dies unnötig war, aber es gefiel ihr, in seinen Armen zu liegen, daher widersprach sie mit keinem Wort.

Er legte sich allerdings nicht mit ihr ins Bett. Stattdes­sen ging er wieder zurück ins Badezimmer und beseitigte die überschwemmung, die sie angerichtet hatten. Viel­leicht hatte er damit gerechnet, dass sie schon schlafen würde, wenn er zurückkam. Womöglich hatte er es sogar gehofft. Doch sie war kein bisschen müde, und es gelang ihr, jeden Gedanken an seine bevorstehende Abreise aus ihrem Bewusstsein zu verbannen.

Als er zu ihr ins Bett stieg, lächelte er und zog sie eng an sich, damit sie es sich in seinen Armen gemütlich ma­chen konnte. Obwohl sie nicht vorhatte, sich Vorwürfe zu machen, da sie nicht standhaft geblieben war und ihn nicht fortgeschickt hatte, hatte sie etwas auf dem Herzen, was ihm sicher nicht gefallen würde.

»Ich muss dir etwas gestehen«, begann sie.»Musst du?«, fragte er lakonisch. »Ich bin momentan

verdammt zufrieden, Maggie. Das willst du doch nicht ändern, oder?«

»Schon möglich«, sagte sie. »Weißt du, ich war heute Nachmittag bei Douglas. Wir haben über dich geredet, das heißt, ich habe über dich geredet.«

»Du hast ihm vom Raben erzählt?«, riet er.

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Sie seufzte. »Ja, es tut mir Leid. Ich habe nicht daran gedacht, dass du das womöglich für dich behalten willst, und als es mir dann einfiel, tja, da war es zu spät und …«

»Du redest jetzt nicht wieder ohne Punkt und Komma, oder?«, unterbrach er sie.

Sie stieß ihn in die Seite. »Doch, das hatte ich eigent­lich vor. Bist du mir sehr böse?«

»überhaupt nicht«, erwiderte er. »Ich bin nicht stolz auf den Namen, den man mir gegeben hat, aber ich schä­me mich auch nicht dafür. Ich hatte nie die Absicht, mir einen solchen Ruf zu erwerben. Und es ist mir völlig egal, ob mein Vater davon weiß oder nicht. Unsere ›Hochzeit‹ hast du nicht erwähnt, oder?«

»Natürlich nicht«, entgegnete sie beleidigt und setzte sich auf. »Ich rede vielleicht manchmal etwas wirr, doch wichtige Unterhaltungen und Entscheidungen dieser Art vergesse ich nicht. Wenn er davon erfährt, dann jeden­falls nicht von mir. Aber dir ist hoffentlich klar, dass er nur noch ein oder zwei Tage im Bett bleiben wird, wenn überhaupt? Er kommt schnell wieder zu Kräften, und sei­ne Wunde heilt.«

»Worauf wolltest du eigentlich hinaus?«Sie fragte sich, ob er so etwas nur sagte, um sie zu är­

gern. »Du weißt ganz genau, worum es geht. Ich habe es geschafft, ihm von meinem ›Bräutigam‹ zu erzählen, ohne deinen Namen zu nennen. Und er hat deine Rück­kehr nicht mit meiner Heirat in Verbindung gebracht. Es wird ihm jedoch sicher bald auffallen, dass er noch gar nicht weiß, wen ich denn nun geheiratet habe, und irgendwann wird er jemanden danach fragen. Außerdem ist da die Feier der Herzoginwitwe morgen Abend, die sie extra zu Ehren der ›Frischvermählten‹ veranstaltet. Wo­möglich geht er sogar hin und …«

Er unterbrach sie mit einem harten, fordernden Kuss. »Du hast dich klar ausgedrückt, meine Liebe. Ich werde

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sehen, was ich tun kann, um die Sache morgen so weit abzuschließen, dass ich deine Ängste zerstreuen kann. Da­mit wäre dann mein Auftrag beendet. Ich werde morgen Früh wieder mit ihm reden, sodass ich noch vor dem Mit­tagessen abreisen kann.«

Margaret gab keinen Laut von sich. Sie war allerdings nicht sicher, wie sie es schaffen sollte, ihr Erschrecken zu verbergen. Er wollte einfach so fortgehen? Nach allem, was geschehen war? Und es gab absolut nichts, was sie sagen konnte, um ihn zu halten – nichts, was er hören wollte.

Irgendwie hatte sie nicht gedacht, dass alles so enden würde. Missmutig legte sie sich hin, drehte ihm aber den Rücken zu. Sebastian stützte sich auf den Arm und drehte sie zu sich um.

»Was ist los?«, fragte er neugierig.»Ich ….« Sie hätte antworten können, dass der Ge­

danke an seine Abreise sie verstörte, doch daraus hätte er mehr lesen können, als ihr lieb war. Trotz des Kloßes in ihrem Hals fand sie ihre Stimme wieder und stellte voller Stolz fest, wie ruhig sie klang: »Ich habe dich noch nicht bezahlt.«

»Mach dich nicht lächerlich, Maggie. Ich hatte nie vor, dein Geld zu nehmen.«

Diese Worte rissen sie aus ihrer Verzweiflung. »Hattest du nicht? Du hast mich mit diesem Tausch gegen Natura­lien gequält, obwohl du …«

»Es hat doch funktioniert, oder?«, unterbrach er sie mit einem teuflischen Grinsen.

Diesmal konnte sie einen Laut der Empörung nicht un­terdrücken. Rachedurstig schubste sie ihn aus dem Bett. »Du bist nicht nur ein Ekel, du bist ein … ein … ein … Riesenekel! Und du verbringst die Nacht so, wie du es verdient hast«, fügte sie hinzu und deutete dabei mit aus­gestrecktem Finger auf das Badezimmer.

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Er seufzte. »Auch gut. Man kann sich fast daran gewöh­nen …«

»Kein Wort mehr!«, warnte sie ihn wutentbrannt und mit glühenden Wangen.

Er setzte zwar zu einer Antwort an, änderte dann jedoch seine Meinung. Lag etwa Sehnsucht in seinem Blick, als er auf den nun leeren Platz an ihrer Seite schaute? Leider blieb er nicht lang genug, damit Margaret herausfinden konnte, ob das mehr als bloß Einbildung war.

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Kapitel 38

Margaret schlief tief und fest. Sebastian gab sich Mü­he, sie nicht aufzuwecken, als er sich am darauf folgenden Morgen anzog. Seine Truhe war in einer Ecke des Zim­mers abgestellt worden. John hatte es vermutlich nicht gewagt, sie auszupacken, oder es war ihm nicht gelungen, an Edna vorbeizukommen.

Bei Margarets Bett blieb er kurz stehen. Er steckte die Hände in die Taschen, um dem Drang zu widerstehen, sie zu berühren. Es war ihm nie schwer gefallen, sich von Frauen zu verabschieden. Aber er wusste ganz genau, dass es diesmal anders sein würde.

Sobald ihm klar geworden war, dass er an diesem Tag das nächste Schiff nehmen würde, hatte er gewusst, dass er etwas Abstand zwischen sich und Margaret bringen muss­te – gefühlsmäßigen Abstand. Sie wieder auf die Palme zu bringen, war leicht gewesen und hatte ihm letzte Nacht diesen Abstand verschafft. Doch jetzt bereute er sein Ver­halten, und das nicht nur, weil ihm vom Schlafen auf dem Badezimmerboden erneut der Rücken wehtat.

Das verflixte Weib ging ihm unter die Haut. Nie war er von einer Frau so angezogen und fasziniert gewesen, und niemals hatte er sich bei jemandem derart wohl ge­fühlt. Gütiger Himmel, sicher war sie wunderschön und hatte eine umwerfende Figur, aber er bewunderte auch ihren Mut und ihre Bereitschaft, die dummen gesell­schaftlichen Konventionen beiseite zu lassen, von denen so viele Frauen sich knebeln ließen. Dabei war sie durch und durch eine Lady, entstammte einer Welt, in der gute

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Manieren, Ehre und vornehme Herkunft zählten, dersel­ben Welt, der er einst angehört hatte – der er jedoch vor langer Zeit den Rücken gekehrt hatte, wie er sich selbst ermahnte. Bevor er sich in weiteren traurigen Gedanken verlor, verließ er hastig den Raum.

Als er am Zimmer seines Vaters vorbeikam, war kein Laut zu hören. Sebastian eilte weiter. Ehe es zu einer neu­en Konfrontation kam, musste er erst mit John reden. Er fand ihn in der Küche, wo er mit einem alten Bekannten eine Tasse Tee trank.

In dem großen Raum ging es ziemlich hoch her, denn dort war der Treffpunkt für die Dienstboten, sogar für jene, die nicht in diesem Hause arbeiteten. Aber sobald Sebastian eintrat, wurde es still. Auf der Stelle machte sich Johns Freund aus dem Staub. So wie alle anderen, außer dem Koch, der zu beschäftigt war, um die Massen­flucht zu bemerken.

Mit einem Blick auf die Tür, durch die alle Diener bei ihrem eiligen Rückzug verschwunden waren, verdrehte John die Augen und sagte grinsend: »Tja, offenbar haben Sie nichts von Ihrem charme eingebüßt.«

»Wie ein Aussätziger behandelt zu werden, kann durch­aus von Vorteil sein, lass uns jedoch besser nach draußen gehen.«

John nickte und folgte Sebastian durch die Seitentür, dann um die Ecke an der heckengesäumten Terrasse vor­bei zum dahinter liegenden Rasen, wo die Gärtner sie nicht hören konnten. Edgewood beschäftigte nicht we­niger als fünf Männer, um den Garten in tadellosem Zu­stand zu halten.

»Hoffentlich hast du mehr herausgefunden als ich«, fing Sebastian an. »Manche von den Leuten hier ken­nen mich seit meiner Geburt und erzählen mir trotzdem nichts.«

»Das liegt vielleicht eher am Klassenunterschied, g…«

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»Wenn du jetzt ›gnädiger Herr‹ sagst, verdresch’ ich dich.«

John lachte kurz auf, gestand aber: »Ich muss zugeben, es dauert gar nicht lang, und schon hat man sich wieder an die Etikette gewöhnt, doch ich versuche, mich zurück­zuhalten.«

»Danke, also was hast du herausgefunden?«»Leider nicht allzu viel. Keiner, mit dem ich gespro­

chen habe, hält die Unfälle für ungewöhnlich.«»Obwohl sie derart zahlreich waren?«»Ja. Sie haben sich über so viele Monate verteilt, dass

niemand stutzig geworden ist. Nicht, dass man auch nur einen davon vergessen hätte. Mir wurde eine ganze An­zahl von Unfällen geschildert, und zwar immer mit ähn­lichen Worten – dass man ihm ins Haus geholfen hat, oder dass er hineingehumpelt oder bloß mit Mühe in sein Zimmer gelangt ist, oder dass er ein paar Tage humpelte, dann aber wieder kreuzfidel war, oder …«

»Warum hat er so oft gehinkt? Bis du sicher, dass sie meinen Vater meinen und nicht Denton?«

»Ja«, sagte John und zuckte die Achseln. »Ich habe mir nicht viel dabei gedacht. Menschen verletzen sich schon mal, und dann humpeln sie ein bisschen herum, auch wenn mit ihren Beinen alles stimmt. Ich weiß noch, nachdem ich mir die Rippe gebrochen hatte, da habe ich nur gehumpelt, um die Seite zu schonen. Sie haben das übrigens ebenfalls gemacht, als …«

»Ich verstehe«, seufzte Sebastian. »Du merkst, dass ich nach Strohhalmen greife. Ich brauche etwas, ganz egal was, auf das ich anspielen kann, damit mein Vater glaubt, ich weiß mehr, als tatsächlich der Fall ist.«

Nachdenklich legte John die Stirn in Falten, doch plötzlich wurde er munter. »Verdammt, eins habe ich ja vergessen.«

»Gott sei Dank.«

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Das beleidigte John etwas. »Weil es nichts mit den Un­fällen zu tun hat und schon so lange her ist. Es ist vor der Hochzeit Ihres Bruders passiert, aber Sie werden es sicher höchst interessant finden …«

»Erst wenn du endlich damit rausgerückt bist«, unter­brach Sebastian ihn ungeduldig.

John hüstelte und fuhr fort: »Ich hab’s von einem der Gärtner, einem Kerl namens Peter. Er arbeitete gerade neben der Auffahrt, als er Ihren Bruder heranreiten sah, der aus Edgeford zurückkam. Daran war an und für sich nichts Ungewöhnliches, Ihr Bruder war Stammgast in der örtlichen Schankstube, und jeder wusste das.«

»Und weiter?«»Dann sah Peter ein anderes Pferd herangaloppieren,

quer über den Rasen auf der anderen Seite, vom Wemyss­Besitz her. Peter konnte sich noch daran erinnern, wie er sich darüber geärgert hat, weil er dachte, er müsste den ganzen Rasen reparieren. Daher schaute er dem Reiter finster entgegen, bis er feststellte, dass es sich um eine Dame handelte. Sie rief Lord Denton zu, er möge warten. Er hielt auch an, aber nur bis sie ihn erreicht hatte. Dann ritt er weiter die Auffahrt hinauf, so als ob er nicht mit ihr sprechen wollte. Sie war gezwungen, neben ihm her­zureiten. Offenbar hatten sie einen Streit. Peter erfuhr im Nachhinein, dass es sich um Lady Juliette handelte, obwohl er sie damals nicht kannte.«

»Streit, schon bevor sie verheiratet waren?«, überlegte Sebastian. »Ich bin nicht sicher, ob das etwas zu bedeuten hat, doch mittlerweile überrascht es mich nicht, dass …«

»Ich war noch nicht fertig«, unterbrach ihn diesmal John. »Als sie an Peter vorbeiritten, hörte er Juliette sa­gen, ich zitiere jetzt: ›Ich habe dafür gesorgt, dass mein Bruder aus dem Weg ist, und ich habe dafür gesorgt, dass dein Bruder aus dem Weg ist, also wirst du verdammt noch mal …‹«

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»Was?«»Das war’s. Leider hat er den Rest der Unterhaltung

nicht mehr mitbekommen, da ihn eine Biene angegriffen hat und er sie verjagen musste.«

»Verflucht! Hat er denn wenigstens meinem Vater er­zählt, was er belauscht hat?«

»Ich habe ihn zwar gefragt, doch Sie wissen ja, wie Dienstboten sind. Sie wollen keinen Wirbel machen, für den man am Ende noch ihnen die Schuld gibt. Er räum­te ein, dass er darüber nachgedacht hat und es ihm eine Weile auf der Seele lag. Aber dann wurde Juliette in die Familie aufgenommen, und daraufhin beschloss Peter, die Sache zu vergessen.«

Sebastian blieb stirnrunzelnd stehen. »So viel zu ihrer Entschuldigung, dass sie Giles ›bestrafen‹ wollte.«

»Sie hatten doch bereits vermutet, dass es eine Lüge war.«

»Ja, es ist allerdings trotzdem schön, wenn man eine Bestätigung bekommt. Nicht, dass es mich noch interes­sieren würde, welchen verdammten Grund sie hatte. Ich möchte die Sache nur abschließen und abhauen.«

»Was Lady Juliette gesagt hat, lässt Sie nicht anneh­men, dass Ihr Bruder irgendetwas mit der Geschichte zu tun hat?«

»Tja, es mag so aussehen, aber diesmal werde ich mich an meinen Instinkt halten, und der sagt mir, dass Denton nichts damit zu tun hat. Ich bin sicher, dass er irgendeine Schuld auf sich geladen hat, und ich wüsste auch gerne welche, doch nicht, wenn das bedeutet, dass ich noch länger hierbleiben muss.«

»Also soll ich anfangen zu packen?«Sebastian zögerte nur einen Augenblick. »Ja.«

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Kapitel 39

Von diesem zweiten Treffen mit seinem Vater erwartete sich Sebastian nicht viel. Die erste Runde hatte er gewon­nen, das überraschungsmoment war auf seiner Seite ge­wesen, denn Douglas hatte nicht gewusst, dass er nach England zurückgekehrt war. Auch der Zustand seines Va­ters, der noch sehr schwach gewesen war, hatte es leichter gemacht, jede Diskussion über die Vergangenheit zu ver­meiden. Beides würde heute keine Rolle spielen.

Er klopfte. Diesmal öffnete nicht das Mädchen, son­dern Douglas rief ihn herein. Ein schneller Rundblick zeigte Sebastian, dass sein Vater allein war. Und nicht mehr im Bett lag.

»Wo ist die Zofe?«, fragte Sebastian.»Ich brauche keinen Wachhund mehr. Ich kann selbst

nach dem Klingelzug greifen, wenn es nötig ist.«»Und dein Kammerdiener?«Douglas stand vor dem Spiegel und band sich die Kra­

watte. Sebastian versuchte sich an diesen kunstvollen Knoten erst gar nicht, obwohl es nur noch selten vorkam, dass er sich überhaupt förmlich anzog. Dann musste er je­doch auf Johns Fachkenntnis zurückgreifen.

»Den habe ich schon vor Jahren entlassen und nie einen neuen eingestellt. Habe herausgefunden, dass ich mich lieber selbst ankleide«, sagte Douglas, bevor er sich vom Spiegel wegdrehte, um seine Aufmerksamkeit Sebas­tian zuzuwenden. »Du redest um den heißen Brei herum, nicht wahr?«

War das so offensichtlich? Die Frage brachte ihn zwar

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nicht in Verlegenheit, aber es gefiel ihm nicht, dass sein Vater ihn immer noch derart leicht durchschaute. »Nein, ich will mir nur ein Bild davon machen, wie es dir geht.«

»Bevor du wieder versuchst, mich in die Enge zu trei­ben?«, knurrte Douglas.

Das allerdings machte Sebastian verlegen. Doch es zeigte ihm auch, dass sein Vater schon wieder mehr Kraft hatte, als die Familie glaubte. So viel dazu, dass er im Vor­teil war. Wenn er nicht bald das Thema anschnitt, das er besprechen wollte, würde er stattdessen mit seinem Vater darüber diskutieren, ob er das Zimmer verlassen musste oder nicht.

»Ich hatte nicht erwartet, dass du den Rat des Doktors ignorieren würdest«, bemerkte Sebastian.

»Habe ich nicht – die längste Zeit jedenfalls. Aber abgesehen von gelegentlichem Kopfweh geht es mir gut. Diese erbärmliche Schwäche ist weg, also gibt es keinen Grund mehr, länger im Bett herumzuliegen.«

Sebastian vermutete, dass sein Vater sich in der Tat an­gekleidet hatte, um das Zimmer zu verlassen. Verdammt! Margaret hatte Recht, irgendjemand würde ihre Hochzeit im Vorübergehen erwähnen, natürlich in der Annahme, dass Douglas längst davon wusste. Während sie in der Lage wäre, mit der Farce weiterzumachen, hatte er nicht damit gerechnet, dass alte Gefühle aufsteigen und ihn hin­dern würden, dasselbe zu tun.

Seinen Vater so zu sehen, ohne den Groll, der sie aus­einander gebracht hatte, erinnerte ihn zu sehr daran, wie nahe sie sich gewesen waren, bevor er England verlassen hatte.

Er hatte seinen Vater nie belogen, auch nie einen Grund dafür gehabt. Selbst der Gedanke wäre ihm absurd erschienen. Sebastian war nun ein anderer Mensch, und doch – etwas davon steckte noch in ihm. Das war eine sehr seltsame Erkenntnis, die ihm überhaupt nicht gefiel.

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»Du bist sicher nicht gekommen, um dich nach mei­ner Gesundheit zu erkundigen, oder?«, fuhr Douglas fort.

»Nein, und ich will ehrlich sein. Noch vor Ablauf des Tages möchte ich mich auf einem Schiff befinden, das nach Frankreich segelt. Du kannst mir dabei behilflich sein, indem du einfach …«

Er konnte den Satz nicht beenden, er musste sich um­drehen. Die Enttäuschung, die über das Gesicht seines Vaters gehuscht war … konnte nur Sebastians Wunsch­denken zuzuschreiben sein. Er wusste das verdammt gut. Hoffnung war ein schlechter Ratgeber. Aber trotzdem wurde ihm die Brust eng, und er konnte nicht weiter­reden.

»Ich werde meine Serie von Unfällen nicht noch einmal mit dir diskutieren, Sebastian. Ich gebe dir mein Wort, dass sie nicht auf irgendwelche wie auch immer ge­arteten äußeren Einflüsse zurückzuführen sind. Hier nach einem Schuldigen zu suchen ist lächerlich.«

Hätte in Douglas’ Stimme nicht so viel Abwehr mit­geklungen, hätte Sebastian es vielleicht dabei bewenden lassen. »Dann wollen wir doch mal über dein schlimmes Bein reden.«

Sebastian drehte sich rechtzeitig um, sodass er noch sehen konnte, wie seinem Vater eine lebhafte Röte in die Wangen stieg. Es war bloß ein Schuss ins Blaue gewesen, aber er wollte verdammt sein, wenn er nicht genau ins Schwarze getroffen hatte.

»Wie zum Teufel hast du das herausgefunden?«, fragte Douglas unwillig.

Sebastian zuckte die Achseln. »Du hast es mir gerade erzählt.«

»Das habe ich verflucht noch mal nicht!«»Lass uns einfach sagen, dass ich sehr gut darin bin,

eins und eins zusammenzuzählen. Deine Reaktion hat mir nur bestätigt, dass du irgendein medizinisches Problem

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hast, das du mit niemandem diskutieren möchtest. Also, was fehlt deinem Bein?«

Douglas kniff den Mund zusammen. Seine Wangen wa­ren immer noch hochrot. Er ging zu seinem Lesesessel am Fenster und setzte sich. Kein Hinken auf dem Weg dort­hin, beobachtete Sebastian stirnrunzelnd. Hatte er nun richtig geraten oder nicht?

»Leider weiß ich nicht, wo das Problem liegt«, begann Douglas in abwehrendem Ton. »Es fing bereits vor ein paar Jahren an.«

»Was fing an?«»Das kommt schon noch!« Douglas reagierte derart ge­

reizt, dass Sebastian endlich klar wurde, was der Grund für das Erröten seines Vaters war – die Geschichte war ihm peinlich. »Eines Morgens, als ich ausreiten wollte, stellte ich auf dem Weg zum Stall fest, dass ich meine Reit­peitsche vergessen hatte. Also machte ich eine abrupte Kehrtwende, um sie zu holen. Ich hörte das Knacken ganz deutlich, so verdammt laut war es. Dachte, ich hätte mir einen Knochen im Knie gebrochen. Und es schwoll auch sofort an, fast auf die doppelte Größe. Aber seltsamer­weise fühlte es sich nicht nach einem Bruch an. Es war zwar schmerzhaft, jedoch durchaus auszuhalten.«

»Was hat Dr. culden dazu gesagt?«Die Wangen seines Vaters färbten sich wieder dunkler,

als er zugab: »Ich habe nicht nach ihm geschickt.«»Wieso nicht?«»Ich hatte es vor, aber der Stallknecht, der mir aufs

Zimmer half, erwähnte, dass culden zu seiner Schwester in die nächste Grafschaft gefahren sei und nicht vor dem Abend zurück sein würde. Er bot an hinzureiten, doch da der Schmerz nachließ, sobald ich den Fuß hochlegte, dachte ich, es sei kein Notfall und könne warten. Und am Abend ging die Schwellung bereits langsam zurück.«

»Also hattest du dir keinen Knochen gebrochen?«

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»Nein, und es schien auch mit jeder Stunde besser zu werden, daher brauchte ich den guten Doktor gar nicht. Ein paar Tage später war die Schwellung komplett abge­klungen, und ich konnte das Bein sogar belasten. Am Ende der Woche war nichts mehr von dem Missgeschick zu spüren. Ich dachte, ich hätte mir bloß einen Muskel gezerrt, und es hätte sich von selbst wieder gegeben. Also habe ich nicht weiter darüber nachgedacht.«

»Aber das war noch nicht alles?«Douglas seufzte. »Nein, ein­ oder zweimal im Jahr gibt

mein Knie einfach unter mir nach. Normalerweise kann ich mich fangen, bevor ich hinfalle, doch manchmal pas­siert es so plötzlich, dass ich schwer stürze. Und jedes ver­dammte Mal ist es dasselbe: Erst die Schwellung, die nur ein paar Tage anhält, kein großer Schmerz, aber genug, um mich davon abzuhalten, das Bein voll zu belasten, und dann ist wieder alles in Ordnung und so, als ob nie etwas gewesen wäre.«

»Dein Unfall an der Klippe?«Douglas machte ein böses Gesicht. »Das war mein eige­

ner Fehler. Mir fiel auf, wie der Sattel ins Rutschen kam, und mir wurde klar, dass der neue Stallknecht dumm ge­nug gewesen war, das Pferd zu satteln, während es wie­herte. Ich hätte es selbst merken müssen, bevor ich den Stall verließ, aber ich habe nicht aufgepasst. Ich wollte ge­rade absteigen, um die Gurte stramm zu ziehen, als mein Knie nachgab.«

»Also ist jeder Unfall, den du hattest, letztlich auf dein kaputtes Knie zurückzuführen?«

»Die meisten schon.«»Und der letzte Unfall?«Douglas schnaubte. »Nein, das war mein Hengst, der

sich wie eine dumme Stute aufgeführt hat, als eine Feld­maus vor seiner Nase über die Straße schoss. Das blöde Tier scheute und brach dann zur Seite aus. Der Ast traf

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mich unversehens, sonst hätte ich mich noch ducken können.«

Sebastian schüttelte den Kopf. »Irgendeine Erklärung, warum du das alles für dich behalten hast?«

Douglas schaute ihn finster an. »Ich verachte diese Schwäche, doch ich werde mit ihr fertig. Ich habe ge­lernt, Vorkehrungen zu treffen. Und ansonsten geht das keinen etwas an, daher würde ich es begrüßen, wenn du niemandem von unserem Gespräch erzählen würdest, nicht einmal Maggie.«

Jetzt verstand Sebastian endlich. Sein Vater betrach­tete sein Gebrechen als persönliche Schwäche, und da­her schämte er sich dafür. Stolz zeigte sich manchmal auf die seltsamste Weise.

»Wie du wünschst. Ich glaube, ich kann sie auch ohne diese Enthüllung davon überzeugen, dass ihr Verdacht un­begründet war. Und da ich damit meinen Auftrag hier erledigt habe …«

Er wandte sich zur Tür. Dort hielt er kurz inne, doch sein Vater hielt ihn nicht auf. Sebastian musste sich zwin­gen, ruhig zu bleiben, sonst hätte er seiner Verbitterung Luft gemacht. Er war an diesem Ort nicht willkommen. Er war nur geduldet worden.

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Kapitel 40

Als Sebastian ins Esszimmer kam, nahm Margaret ein spätes Frühstück ein. Er setzte sich nicht zu ihr, sondern blieb in der Tür stehen – er wirkte nicht gerade Furcht erregend, aber auch keineswegs freundlich.

»Ich gehe«, sagte Sebastian.Margaret wurde sehr still. Eine Art Panik schien sich

ihrer zu bemächtigen.»Ohne den Auftrag zu Ende zu bringen?«»Er ist beendet. Der Schuldige ist gefunden, es ist bloß

nicht so, wie du gedacht hast.«»Erklär es mir.«Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen.

»Ich habe noch einmal mit meinem Vater gesprochen. Er hat mich nur ins Vertrauen gezogen, um der Sache ein Ende zu machen. Ich musste ihm versprechen, dass nichts von unserer Unterhaltung nach außen dringt. Also wirst du mir einfach glauben müssen, Maggie. Niemand ver­sucht ihn umzubringen.«

Sie war erleichtert und gleichzeitig verärgert darüber, dass er ihr nichts erklären wollte. »Das ist ja wohl ein biss­chen viel verlangt, meinst du nicht?«

Er hob beide Brauen und schien ehrlich überrascht. »Du vertraust mir nicht?«

Natürlich tat sie das, aber sie konnte sich die Bemer­kung nicht verkneifen: »Du sagst das eine und tust dann das andere. Das ist keine gute Basis für Vertrauen.«

»Wovon sprichst du?«Sofort erglühte sie vor Verlegenheit. Sie hatte nicht

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vor, das Gespräch zu erwähnen, bei der er versprochen hatte, sie nicht mehr anzurühren – noch in derselben Nacht war er in ihr Badezimmer geplatzt und zu ihr in die Wanne gestiegen.

Doch er erriet, worauf sie anspielte, und schnaubte. »Es gibt Augenblicke im Leben eines Mannes, in denen er alle Vorsicht in den Wind schlägt. Und wenn er sich in den Fängen der Lust befindet, ist das so ein Moment.«

Wie grob er sich ausdrückte! Er sprach von Lust, nicht Liebe. Und sie war so dumm gewesen zu glauben, dass eins das andere ersetzen könnte.

Sie legte den Muffin, den sie gerade probiert hatte, zu­rück auf den Teller und sagte kühl: »Ein Gentleman hätte das sehr viel feiner ausgedrückt.«

Er gab ein kurzes, freudloses Lachen von sich. »Ein Gentleman hätte das nicht einmal zur Sprache gebracht. Hör auf, Maggie. Du weißt, dass ich nicht mehr in diese Kategorie gehöre.«

Sie seufzte und folgte seinem Ratschlag, das Thema fallen zu lassen. »Wenn Douglas bereit war, sich dir anzu­vertrauen, heißt das, dass du dich wieder mit ihm vertra­gen hast?«

»Nein.«Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, und Se­

bastians unergründlicher Gesichtsausdruck kehrte zurück. Sie hatte das Gefühl, dass sie so viel bohren konnte, wie sie wollte, sie würde nichts aus ihm herausbekommen.

Deshalb fragte sie spitz: »Und was ist mit Juliette?«»Was soll mit ihr sein?«»Hast du herausgefunden, warum sie das Duell in die

Wege geleitet hat?«»Nein«, entgegnete er. »Und ehrlich gesagt bin ich

zu dem Schluss gelangt, dass ihr Motiv nie ans Licht kommen wird. Es macht keinen Sinn, diese Sackgasse weiterzuverfolgen.«

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»Du machst wohl Witze!«»Maggie, je länger ich hier bleibe, desto wahrscheinli­

cher wird es, dass ich jemanden umbringe, und zwar ganz ohne Grund. Das wird Giles nicht wieder lebendig ma­chen, und es wird auch die letzten elf Jahre nicht auslö­schen.«

»Weiß Denton denn nichts?«, bedrängte sie ihn. »Hast du ihn gefragt?«

»Ja, ich habe gefragt, und nein, er weiß nichts oder will einfach nicht damit herausrücken. Schwer zu sagen, was genau mit ihm los ist, aber er verbirgt etwas, für das er sich sehr schuldig fühlt. Weißt du übrigens, wo er ist?«

»In London«, sagte sie tonlos.Margarets panische Angst nahm zu. Ihr fielen keine

Gründe mehr ein, die Sebastian zum Bleiben bewegen konnten. Sie musste alles auf eine letzte Karte setzen, doch sie bezweifelte, dass sie etwas damit erreichte.

Ihre Antwort schien ihn traurig zu stimmen, er hat­te sich wohl von seinem Bruder verabschieden wollen. Würde das ausreichen, um ihn noch ein wenig länger zu halten?

»Wann ist er denn gefahren?«, fragte er.»Heute Morgen. Juliette ist schon im Morgengrauen

nach London abgereist. Denton ist ihr ungefähr eine Stunde später gefolgt. Ob er sie zurückholen will oder ob er nur den Streit beenden will, der sie aus dem Haus trieb, das weiß keiner.«

»Verschwindet sie immer gleich nach London, wenn die beiden aneinander geraten? Oder wollte sie bloß si­chergehen, mir vor meiner Abreise nicht zu begegnen?«

»Alle wissen, dass sie nach einem wirklich heftigen Streit manchmal ein oder zwei Wochen in London ver­bringt, aber da niemand mehr als eine lautstarke Unter­haltung gehört hat, liegst du mit deiner Vermutung viel­leicht richtig.«

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»Jemand sollte ihr mitteilen, dass ich fort bin.«So viel zu der Hoffnung, dass er auf seinen Bruder war­

ten würde. »Heißt das, du reist auf der Stelle ab?«»Allerdings.«Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Ihre letzte Karte war

eher jämmerlich, doch ihre wachsende Panik veranlasste sie, sie trotzdem auszuspielen. »Ich muss dich um … ei­nen Gefallen bitten.«

»Maggie …«»Hör mich erst an«, unterbrach sie ihn. »Ich weiß, dass

du sicherlich der Ansicht bist, mir schon genug Gefallen getan zu haben, aber ich hatte wirklich nicht erwartet, dass du so schnell abreisen würdest. Und ich sitze ziem­lich in der Patsche, falls du es tust.«

Er runzelte ärgerlich die Stirn. »Wieso?«»Die Feier der Herzoginwitwe. Wenn wir dort nicht

beide erscheinen, wird sie es mir nie verzeihen.«»Na und?«»Der schnellste Weg, sich gesellschaftlich unmöglich

zu machen, liegt darin, bei ihr in Ungnade zu fallen. Eine Scheidung ist nicht halb so schlimm wie eine Ächtung durch Alberta.«

Sein Blick wurde noch finsterer. »Warum habe ich das Gefühl, dass dies kein Scherz ist?«

Sie schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Weil es so ist. Es geht doch nur um eine weitere Nacht in England, Sebas­tian. Danach kannst du zurück nach Frankreich fahren.«

Er ließ sie etwas zappeln, bis er sagte: »Also gut, aber nur, wenn wir beide auf der Stelle nach White Oaks zu­rückkehren. Du kannst dann jemanden herschicken, der deiner Zofe auftragen soll, deine Sachen zusammenzupa­cken.«

»Ist das nicht ein wenig überstürzt? Ich würde lediglich ein paar Minuten brauchen, um Edna zu finden und es ihr selbst zu sagen.«

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»Jetzt oder nie.«»Was ist mit deiner Großmutter?«, wollte Margaret wis­

sen. »Möchtest du dich nicht von ihr verabschieden?«Ein trauriger Ausdruck glitt über sein Gesicht. »Wo ist

sie? Im Wintergarten?«Margaret nickte.»Warum bloß diese Eile?«, fragte sie entnervt, wäh­

rend sie vom Tisch aufstand.»Mein Vater wird jeden Moment die Treppe herunter­

kommen. Er weigert sich, in seinem Zimmer zu bleiben, obwohl er noch nicht vollständig wiederhergestellt ist. Und ich habe nicht die Absicht, hier zu sein, wenn er herausfindet, dass ich der Mann bin, den du geheiratet hast.«

»Ich verstehe«, sagte sie steif und verließ das Esszim­mer. Sie verstand sogar ganz genau. Dieser Mann wollte auf gar keinen Fall das Risiko eingehen, zu einer echten Heirat mit ihr gezwungen zu werden.

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Kapitel 41

Du wirkst so aufgekratzt«, bemerkte Margaret, als Flo­rence sich am Nachmittag im Salon von White Oaks zu ihr aufs Sofa setzte, um mit ihr Tee zu trinken. »Eigentlich hatte ich gedacht, du wärst wegen unserer plötzlichen Rückkehr ein oder zwei Tage eingeschnappt.«

Auf White Oaks war es nichts Ungewöhnliches, dass die Haushälterin und die Herrin des Hauses den Tee ge­meinsam einnahmen. Margaret weigerte sich, diese strik­te Klassentrennung einzuhalten. Ihre Dienstboten waren für sie wie eine Familie und wurden auch so behandelt. Und Florence war schon immer ihre engste Vertraute ge­wesen.

»Aber du siehst ein bisschen missmutig aus«, meinte Florence. »Möchtest du mir nicht sagen, warum?«

»Ich habe zuerst gefragt.«Florence kicherte. Dieses Spiel hatten sie bereits als

Kinder gespielt.»Also gut«, sagte Florence mit leiser Stimme. Sie

schaute sogar zur Tür, um sicherzugehen, dass niemand sie belauschte. »Ich gestehe, dass ich John vermisst habe.«

»John Richards?«»Genau. Wir waren uns gerade etwas näher gekommen,

als er seine Sachen packte und nach Edgewood zog.«»Darf ich daraus schließen, dass du ihn magst?«Florence grinste. »Du weißt doch, dass ich schon be­

gonnen hatte zu zweifeln, ob ich jemals einen Mann fin­den würde, der meinen Ansprüchen genügt.«

»Du bist nur zu wählerisch«, neckte Margaret sie.

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»Nein, die Männer hier sind entweder zu alt oder zu jung für mich.«

»Unsinn, du bist zu wählerisch.«Florence lachte. »Na gut, ich hege gewisse Erwartun­

gen, und John erfüllt sie alle. Seit eurer Ankunft habe ich zwar noch nicht mit ihm gesprochen, aber da er nun zurück ist, gehe ich davon aus, dass wir uns noch viel bes­ser kennen lernen.«

Margaret war hin­ und hergerissen. Sie hätte Florence gern ins Vertrauen gezogen, wusste jedoch, dass ihre Freun­din am Ende ebenso traurig sein würde wie sie, wenn sie es tat. Andererseits, erführe Florence vorher von der geplan­ten Abreise, würde sie Zeit gewinnen, John zum Bleiben zu überreden, falls es ihr die Mühe wert war. Sebastian war entschlossen wegzufahren. Aber das hieß nicht, dass sein Kammerdiener unbedingt mitgehen musste. Womög­lich wollte John lieber sesshaft werden und eine Familie gründen.

»Es gibt da etwas, das du wissen solltest, Florence. Ir­gendwann hätte ich es dir sowieso erzählt, wahrschein­lich ist es von Vorteil, wenn du es jetzt schon erfährst.«

»Du meine Güte, bei dem Gesicht, das du ziehst, möchte ich es lieber gar nicht wissen.«

»Wenn du meinst …«»Wag nicht, es mir nun zu verheimlichen.«Margaret verdrehte die Augen. »Du weißt ja, warum

ich nach Europa gefahren bin. Aber du hast sicher nicht erwartet, dass ich mein Opfer zum Ehemann mache.«

»Das hat mich allerdings umgehauen. Ich sollte dir viel­leicht sagen, dass viele sich Gedanken darüber machen, ob du für immer nach Edgewood zurückgehst.«

Margaret errötete schon, bevor sie das erste Wort he­rausgebracht hatte. »Ich habe Sebastian nicht wirklich geheiratet.«

»Hä?«

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»Nur Edna und Oliver wissen Bescheid, und du darfst es auch niemandem verraten. Ich musste ihn anheuern, damit er nach England zurückkam. Selbst nachdem ich ihm die Situation erklärt hatte, weigerte er sich, freiwillig zu fahren.«

»Das hört sich nicht nach Sebastian Townshend an.«»Vermutlich, weil der Mann, der er einmal war, vor

langer Zeit mit Giles begraben wurde. Sebastians Verbit­terung ist, nun, sagen wir mal, extrem, und ich verstehe jetzt sogar, warum das so ist. Kaum jemand weiß, dass er mit dem festen Vorsatz zu sterben in dieses Duell gegan­gen ist, und dass Giles, nach allem, was wir wissen, wü­tend genug war, um ihn umzubringen.«

»Wie konnte dann das Gegenteil passieren?«»Es war ein Unfall. Ein Schuss, der in die Luft gehen

sollte, wurde fehlgeleitet, als Giles’ Kugel Sebastians Arm traf und herunterriss. Und zu diesem Schmerz kam noch die Verbannung aus England. Du siehst, warum er nicht mehr hierher zurückkehren wollte. Er war überzeugt, dass man ihm den Zutritt zu Edgewood verweigern würde, was es ihm nahezu unmöglich gemacht hätte, irgendwelche dunklen Machenschaften aufzudecken – falls vorhan­den.«

»Also machte er den Vorschlag, so zu tun, als wärt ihr verheiratet, nur um sich Zutritt zu verschaffen?«, fragte Florence ungläubig.

»Nein, ich habe den Vorschlag gemacht«, sagte Mar­garet, während ihr Wangen sich noch dunkler färbten. »Ja, ich weiß, dass es eine ungewöhnliche Lösung ist. Aber ehrlich gesagt habe ich damals nicht viel darüber nachgedacht. Und er hat sehr wohl versucht, mich da­von abzubringen, doch bei der Einstellung, die er hatte, wollte ich einfach bloß jeden möglichen Einwand pa­rieren. Es wäre auch gar nicht so weit gekommen, wenn wir nicht herausgefunden hätten, dass Douglas in seiner

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Unversöhnlichkeit Sebastian für tot erklärte. Wahrschein­lich ist die Entfremdung von Lord Wemyss der Grund, warum er Sebastian nicht vergeben kann. Der Witz ist jedoch, unsere Scheinehe war überhaupt nicht nötig.«

»Weil der Graf kürzlich diesen Unfall hatte?«»Genau. Und weil Sebastian mit seinem Vater reden

konnte, bevor dieser sich vollends erholt hatte. Er hat ihn sozusagen überrumpelt.«

Florence grinste. »Er hat eine gewisse Wirkung auf die Menschen. Sie möchten seine Fragen schnell beantwor­ten, nur damit er wieder weggeht!«

»Einschüchterung, so wie du sie beschreibst, hätte bei Douglas nicht funktioniert. Aber dass Sebastian ihm weismachen konnte, mehr zu wissen, als tatsächlich der Fall war, hat geholfen. Sebastian hat mir versichert, dass niemand seinem Vater nach dem Leben trachtet, was ja meine Sorge war. Allerdings will dieser schreckliche Kerl mir nicht verraten, wo das Problem liegt – wenn es außer verdammt großem Pech denn überhaupt eins gibt. Jeden­falls hat Sebastian das getan, worum ich ihn gebeten hat­te, und nun kann er es kaum erwarten, auf den Kontinent zurückzukehren.«

»Und was ist mit eurer Hochzeit? Ihr wisst, dass sie nicht stattgefunden hat, doch die anderen wissen es nicht. Willst du jetzt einfach hergehen und sagen, alles war nur ein Ablenkungsmanöver, um ans Ziel zu kommen?«

»Das wäre eine Möglichkeit gewesen, wenn Sebastian nicht darauf bestanden hätte, das ganze Theater so gut zu spielen, dass wir uns in Edgewood ein Zimmer geteilt haben.«

»Maggie, das hast du nicht getan!« Florences entsetz­tes Gesicht ließ Margaret schamrot anlaufen. »Gütiger Gott, nicht auch noch das!«

»Es war bestimmt keine Absicht, aber ich gestehe, dass ich mich vom ersten Moment an auf seltsame Weise zu

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ihm hingezogen fühlte. Er vereint all die Eigenschaften, die ich an einem Mann nicht ausstehen kann, und trotz­dem scheint das bei ihm keine Rolle zu spielen.« Margaret kam näher und flüsterte ihr ins Ohr. »Er nennt es Lust.«

»Unsinn, du bist kein bisschen lüstern«, protestierte Florence indigniert.

Da musste Margaret laut lachen, was ihr ein wenig von ihrer Verlegenheit nahm. »Das hoffe ich doch sehr. Aber was geschehen ist, ist geschehen. Ich kann es nicht ein­mal bedauern, denn es war so – schön. Es kommt aller­dings nun nicht mehr infrage, zuzugeben, dass wir eine Scheinehe eingegangen sind. Ich kann das einfach nicht tun. Außer Douglas weiß jeder auf Edgewood, dass wir das Zimmer geteilt haben, wie ein normales verheirate­tes Paar. Und Douglas wird es ebenfalls bald erfahren. Ur­sprünglich hatte ich vor, so wie die Hochzeit auch die Scheidung vorzutäuschen. Ob ich publik mache, warum ich ihn geheiratet habe, werde ich entscheiden, wenn es so weit ist. Die meisten Damen aus der Nachbarschaft halten meine Ehe mit ihm sowieso für einen Skandal, da­her dürfte eine solche Erklärung eine Erleichterung sein. Dann können sie aufhören zu denken, dass ich den Ver­stand verloren habe.«

Florence seufzte. »Eine Scheidung ist so …«»Ja, ich weiß«, unterbrach Margaret. »Das ist natür­

lich ein Makel. Aber ich bin wohlhabend, und mein Sohn wird einen Titel erben. Das ändert sich nicht, auch wenn ich als Geschiedene einen schlechten Ruf haben sollte.«

Verärgert räusperte sich Florence. »Ich weiß nicht, wa­rum du nicht wahrhaben willst, dass du eine gute Partie bist, Maggie. Du hast es doch gar nicht nötig, dir einen Ehemann zu kaufen.«

»Das habe ich nie behauptet. Ich lebe nur in zu einge­fahrenen Bahnen, um mich noch auf die übliche Weise

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anzubieten. Außerdem bin ich zu ungeduldig, mich auf eine traditionelle Werbung einzulassen.«

»Unsinn, du hast die Geduld einer Heiligen, sonst hät­test du nicht so lang damit gewartet, dir einen anständi­gen Mann zu suchen. Du hättest einfach nach London gehen, den gesellschaftlichen Trubel genießen und der Natur ihren Lauf lassen sollen. Dann hättest du im Hand­umdrehen einen Bräutigam gehabt, einen echten sogar, und müsstest dich jetzt nicht mit einer skandalösen Schei­dung herumschlagen.«

»Ich bin stark genug, den Sturm der Entrüstung auszu­halten. Aber was ist mit dir? Wirst du John mit Sebastian ziehen lassen, ohne einen Versuch zu machen, ihn zum Bleiben zu überreden?«

Florence erbleichte, als ihr klar wurde, was ihr bevor­stand. »Er wird gehen, nicht wahr? Was für ein großes Pech, dass deine Ehe nicht echt ist.«

Da konnte Margaret ihr eigentlich nur beipflichten, obwohl sie das nie zugegeben hätte. Wenn es nicht so viele erschwerende Umstände gegeben hätte, die eine Heirat mit Sebastian unmöglich machten, hätte sie am liebsten den Rat, den sie ihrer Freundin gegeben hatte, selbst befolgt. Aber Florence hielt nichts zurück.

»Du könntest ihn bitten zu bleiben«, meinte Margaret.»Das wäre zu gewagt. So weit hat sich unsere Beziehung

noch nicht entwickelt, obwohl ich gehofft und erwartet habe, dass sie bald tiefer gehen würde. Warum bittest du nicht Sebastian zu bleiben? Das möchtest du doch.«

Das Problem mit engen Freunden war, dass sie einen zu leicht durchschauten. Margaret seufzte. »Weil ich sei­ne Antwort schon kenne. Er will so schnell nach Europa zurück, weil er fürchtet, dass Douglas auf einer richtigen Hochzeit besteht, wenn er herausfindet, dass wir unsere nur vorgetäuscht haben.«

»Von wem, zum Teufel, sollte er das denn erfahren?«

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»Von Sebastian. Er scheint offenbar zu glauben, dass Douglas ihn vor lauter Begeisterung über die Heirat wie­der in die Familie aufnehmen würde, und das geht Sebas­tian derart gegen den Strich, dass er lieber die Wahrheit gestehen würde. Daher beabsichtigt er, Douglas um jeden Preis zu meiden. Der Mann möchte auf keinen Fall ver­heiratet sein.«

Er wollte so schnell weg, dass er sich nicht einmal die Zeit nahm, das Dilemma seines Bruders zu erforschen, was immer es auch war – selbst wenn er der Einzige war, der es lösen konnte. In Anbetracht dessen war sie über­rascht, dass er sich darauf eingelassen hatte, bis zur Feier zu bleiben.

Margaret nahm an, sie sollte Sebastian warnen: Es war zwar unwahrscheinlich, dass Douglas heute viel mehr tun würde, als sein Zimmer zu verlassen, aber es war immerhin möglich, dass er die Abendgesellschaft der Herzoginwitwe besuchte, wenn auch nur für kurze Zeit. Nein, sie würde nichts verraten. Sollte das Schicksal doch seinen Lauf nehmen, vielleicht entschied es ja zu ihren Gunsten.

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Kapitel 42

Alberta Dorriens Anwesen war das Vorzeigehaus der Gegend. Der Bau hatte mehrere Jahre gedauert, und die Lady war nicht eher eingezogen, bis alles fix und fertig war. Von ihrem ersten großen Ball wurde noch monate­lang gesprochen – bis sie den zweiten gab. Margaret war damals für beide Feste zu jung gewesen, aber sie konnte sich noch gut daran erinnern, was sie alles darüber gehört hatte.

Die Herzoginwitwe hatte ihr Haus speziell für Feier­lichkeiten entwerfen lassen. Nicht nur der Ballsaal war riesengroß, sondern auch der Salon, das Musik­ und das Billardzimmer. Es gab sogar einen Raum voller Tische, der allein dem Kartenspiel diente. Das einzige Zimmer, das nicht riesig war, war das Esszimmer, denn Mahlzeiten, bei denen man sich hinsetzte, blieben dem engsten Freundes­kreis vorbehalten. Für die Gästemassen bei den großen Abendgesellschaften gab es Buffets, und da Alberta nicht nur einen, sondern gleich vier Köche beschäftigte, alle­samt Meister ihres Fachs, hatte niemand an diesem Arran­gement etwas auszusetzen.

Albertas Einladungen waren weit und breit heiß be­gehrt, und sie hatte sogar für Besuch von außerhalb vorge­sorgt, indem sie richtige Gästehäuser bauen ließ. Jedoch keine alltäglichen, sondern welche, die aussahen wie Mi­niaturherrenhäuser! Und ausnahmslos alle waren norma­lerweise bei einem Ball belegt.

Die Feier an diesem Abend war kein größeres Ereignis, eher ein nachbarschaftliches Treffen. Nur Alberta schaff­

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te es, ohne lange Vorankündigung ein Fest zu geben, zu dem jeder Geladene auch erschien. Andere Verabredun­gen konnte man schließlich absagen. Aber der Herzogin­witwe gab man keinen Korb. Ihre Einladungen wurden behandelt wie königliche Befehle!

Trotzdem hatte Margaret nicht erwartet, so viele Kutschen aufgereiht zu sehen, die darauf warteten, ihre Passagiere absetzen zu können. Obwohl sie natürlich ein­räumen musste, dass heute wohl eher Sebastian die At­traktion war. Sicher brannte die gesamte Nachbarschaft darauf, zu erfahren, ob er von seinem Vater wieder auf­genommen worden war oder nicht. Es würde interessant sein zu beobachten, ob irgendjemand wagte, Sebastian darauf anzusprechen.

Augenblicklich gefiel er ihr sehr gut. Der Gelegenheit entsprechend hatte er sich formell gekleidet. Nicht zu steif, aber immerhin trug er einen Abendanzug.

Es war erst das zweite Mal, dass sie ihn mit einer Kra­watte sah – von der Weste ganz zu schweigen. Sie war aus perlgrauem Satin und wirkte zusammen mit seinem schwarzen Frack und der weißen Krawatte sehr dezent. Keine leuchtenden Farben für ihn. Grellbuntes hätte ein­fach nicht zu ihm gepasst, das musste sie zugeben. Aller­dings hatte er sich für dieses Fest nicht auch noch die Haare geschnitten, und Margaret hatte sich schon so sehr an seinen Zopf gewöhnt, dass Sebastian ihr ohne wahr­scheinlich seltsam vorgekommen wäre.

Ein Zylinder fehlte ebenfalls. John hatte zwar einen für ihn aufgetrieben, aber als er ihn vor ihrer Abfahrt an der Eingangstür überreichen wollte, hatte Sebastian seinen Kammerdiener so durchdringend angesehen, dass John sich den Hut selbst aufgesetzt hatte und davongetrottet war. Das hatte dem Moment die Spannung genommen, in dem sie die Treppe heruntergekommen war und Se­bastian anerkennend die Braue gehoben hatte. Sobald

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sein Blick bewundernd wurde, geriet sie völlig aus dem Konzept. An sein finsteres Aussehen hatte sie sich mitt­lerweile gewöhnt, doch wenn seine goldenen Augen be­gehrlich funkelten, vergaß sie das Atmen.

Edna hatte sich aber auch größte Mühe gegeben beim Ankleiden und Frisieren. Margarets Abendkleid war tief­rot, wie Burgunderwein, mit Litzen aus weißem Satin. In den nicht allzu voluminösen Puffärmeln verflocht sich die weiße Litze mit dem dunklen Samt. Unter dem lan­gen Kleid lugten Satinschuhe im selben kräftigen Burgun­derrot hervor.

Margaret konnte nicht verhehlen, dass die Feier sie nervös machte. Ebenso hatte sie Sebastian seit der Rück­kehr nach White Oaks nicht mehr gesehen. Nicht ein einziges Mal. Daher hatte sie auch nicht mit ihm bespre­chen können, was sie bedrückte. Er hatte sich sogar derart rar gemacht, dass sie sicher befürchtet hätte, er habe seine Meinung geändert und sei abgereist, wenn John ihr nicht gelegentlich über den Weg gelaufen wäre.

So war es wohl am besten. Morgen würde er sowieso für immer fort sein. Daran musste sie sich gewöhnen. Falls sie geglaubt hatte, diesem letzten Tag etwas Positives ab­gewinnen zu können – ein Alleinsein mit ihm zum Bei­spiel –, dann hatte sie sich jedenfalls getäuscht.

Zu wissen, dass sie ihn heute Nacht zum letzten Mal sehen würde, drückte auf ihre Stimmung … und ließ ihre Nervosität verschwinden. Auf der Fahrt zu Alberta war seine Gegenwart ihr bewusster, als ihr lieb war, daher spürte sie, dass auch er sehr angespannt war.

Als ihre Kutsche sich in der Reihe langsam nach vorne schob, fragte sie ihn: »Du wirst mich doch nicht allein lassen, oder?«

»Den Feigling spielen? Du beleidigst mich.«Sie schnaubte. »Du siehst tatsächlich gekränkt aus.

Aber es wird ganz einfach«, setzte sie hinzu, wohl auch,

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um sich selbst Mut zu machen. »Betrachte es als völlig normale Feier. Nimm artig die Glückwünsche entgegen und geh den Fragen aus dem Weg. Verstehst du? Ist ja gar nichts dabei.«

»Etwas weiter vorn habe ich die Wemyss­Kutsche be­merkt«, stellte er sachlich fest.

»Ach du meine Güte.« Margaret runzelte die Stirn. »Ich wüsste gar nicht, aus welchem Grund cecil kommen sollte – außer er wagt es ebenfalls nicht, Albertas Einla­dung abzulehnen.«

»Sieh es doch einfach positiv, Maggie. Vielleicht ist er hier, um mich zu erschießen. Dann erspart er dir den Ärger mit der Scheidung.«

Sie schaute ihn böse an. »Das ist nicht lustig.«»Aber es ist auch nicht ganz abwegig«, erwiderte er.»Unsinn. Giles’ Tod hat ihn schwer getroffen, und ir­

gendwie hat er Douglas dafür verantwortlich gemacht, sonst wären sie noch Freunde. Doch dann hat er sein Le­ben wieder in die Hand genommen. Ich habe gehört, dass er augenblicklich einer Herzogin den Hof macht, die er in London kennen gelernt hat.«

»Wie schön für ihn«, sagte er völlig desinteressiert.Misstrauisch schaute sie ihn mit zusammengekniffe­

nen Augen an. »Du hast nur versucht, mich abzulenken, nicht wahr?«

»Ja, schließlich hast eher du so ausgesehen, als wolltest du Reißaus nehmen.«

Sie wünschte, er wäre nicht derart scharfsinnig. »Es ist wegen dir«, verteidigte sie sich. »Ich habe dich sozu­sagen gezwungen, heute hier zu erscheinen. Unter dieser Voraussetzung ist es nur vernünftig anzunehmen, dass du dir keine große Mühe geben wirst, damit der Abend gut verläuft.«

»Soweit ich mich erinnere, kann so etwas die ganze Nacht dauern«, erwiderte er. »Aber solange wir nicht bis

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zum Schluss bleiben, werde ich schon irgendwie zurecht­kommen.«

»Natürlich«, versicherte sie ihm. »Wir können gehen, sobald der Anstand es erlaubt.«

»Dann entspann dich, Maggie. Ich werde heute Abend niemanden umbringen.«

Diese Worte waren ein Schlag ins Gesicht, ein uner­warteter noch dazu. Doch bevor ihr klar wurde, dass er sie nur ärgerte, beugte er sich vor, ergriff ihre Hand und zog Margaret zu sich herüber auf den Schoß. Sie hatte nicht einmal Zeit, Luft zu holen, ehe er sie küsste.

Dieser Kuss würde ihr immer im Gedächtnis bleiben, denn er war mehr als sinnlich, mehr als erregend. Hätte sie es romantisch ausdrücken wollen, hätte sie gesagt, dass Sebastian sein Herz hineingelegt hatte. Schon allein die Art, wie er sie hielt – so fest und gleichzeitig sanft. Und wie seine Hand an ihrer Wange lag, so zärtlich. Er ver­suchte nicht, ihr Begehren zu wecken, und doch konnte sie ihm nicht derart nahe kommen, ohne dass es zwangs­läufig in ihr aufgestiegen wäre. Der Kuss war warm und süß, und er forderte nicht, sondern verführte sie eher dazu mitzumachen.

Jeder Gedanke an die Feier zu ihren Ehren war verges­sen. Sie wäre am liebsten die ganze Nacht in seinen Ar­men geblieben und hätte die exquisite Langsamkeit die­ses Kusses ausgekostet.

Aber sie wurde ziemlich abrupt auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, als Sebastian sie wieder auf ih­ren Sitz drückte und sagte: »Na bitte, jetzt siehst du aus wie eine verheiratete Frau und nicht wie eine Jungfrau auf dem Opfergang. Wir sind da. Raus aus der Kutsche, Maggie.«

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Kapitel 43

Nach dem gemeinen Streich, den Sebastian ihr in der Kutsche gespielt hatte, waren Margarets Wangen flam­mend rot vor Zorn. Sie zu küssen, bloß damit es so aus­sah, als sei sie gerade geküsst worden! Nur um einer Rolle gerecht zu werden und nicht, weil es ihm Vergnügen berei­tete. Aber ihr Gesicht brannte kurz darauf noch heißer, und zwar vor Verlegenheit, als bei ihrem Eintritt in den großen Salon jedes Gespräch erstarb.

Diese plötzliche Stille hatte nichts damit zu tun, dass Sebastians Nachbarn endlich ihre Neugier befriedigen konnten, indem sie ihn nach elf Jahren zum ersten Mal wieder musterten. Einige schauten natürlich überrascht, aber auf den meisten Gesichtern, die Margaret beobach­ten konnte, waren eher Schrecken und Abwehr zu lesen. Die Männer sahen sogar ein wenig zu schnell weg, als fürchteten sie, seinen Blick aufzufangen.

»Großer Gott, sie haben Angst vor dir«, stöhnte Mar­garet leise. »Hättest du den Raben nicht für eine Nacht fortschicken können?«

Sebastian schaute auf sie hinunter und spottete: »Du übertreibst, meine Liebe. Und warum bestehst du darauf zu glauben, dass der Rabe nur eine Rolle ist?«

»Du vergisst, dass ich dich mit deiner Großmutter gese­hen habe. Den alten Sebastian gibt es immer noch.«

»Vor ihr gebe ich mir große Mühe, zu verbergen, was aus mir geworden ist. Der Rabe ist ein Ergebnis, keine Erfindung. Die letzten elf Jahre haben das aus mir ge­macht.«

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»Dann gib dir doch bitte noch ein bisschen mehr Mühe und versteck diesen Mann heute Abend. Oder hast du etwa vorgehabt, auf diese Weise allen unerwünschten Fragen aus dem Wege zu gehen? Eine großartige Idee, sich so Furcht erregend zu geben, dass niemand wagen wird, dir zu nahe zu kommen.«

Er grinste sie wahrhaftig an. »Maggie, du beginnst, wie ich zu denken. Zufälligerweise hatte ich jedoch keinen bestimmten Plan für den Abend. Wenn irgendjemand so taktlos sein sollte, persönliche Fragen zu stellen, be­kommt er die Antwort, die er verdient – ich werde ein­fach schweigen. Ist das jetzt besser?« Er schenkte ihr ein so strahlendes Lächeln, dass sie seine Zähne hätte zählen können.

»Nein«, entgegnete sie schnippisch. »Sieht irgendwie danach aus, als wolltest du mich beißen.«

Da lachte er laut heraus. Sie war derart verblüfft über diese echte Heiterkeit, dass sie Albertas Näherkommen erst bemerkte, als ihre Gastgeberin sie ansprach.

»Willkommen zu Hause, Sebastian. Hat Ihr Vater sich so weit erholt, dass er heute kommen kann?«

Diesmal hätte Maggie fast losgeprustet. Das war alles andere als eine persönliche Frage, würde aber geschickt jene beantworten, die allen auf der Zunge lag – ob Vater und Sohn sich wieder versöhnt hatten.

Und trotzdem gelang es Sebastian, eine direkte Ant­wort zu vermeiden, indem er sagte: »Ich habe gar nicht daran gedacht, ihn zu fragen.«

Unglücklicherweise wandte die Herzoginwitwe sich da­raufhin mit fragender Miene Maggie zu, wodurch sie sich gezwungen sah hinzuzufügen: »Ich leider ebenfalls nicht. Wir sind heute Morgen nach White Oaks zurückgekehrt, weil Douglas wieder auf den Beinen ist. Er ist jedoch im­mer noch nicht ganz gesund, deshalb bezweifle ich, dass ihm der Sinn nach einer Abendgesellschaft steht.«

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Alberta schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Ja, ich hätte deinen Rat befolgen und dieses Fest mindestens ein oder zwei Wochen hinausschieben sollen. Doch auch wenn man im Nachhinein immer klüger ist, kann man einmal gemachte Fehler kaum wieder gutmachen. Also lasst mich heute Abend die erste Gratulantin sein. Sie haben einen hübschen Fang gemacht, Sebastian. Wir begannen uns schon langsam zu fragen, ob unsere Maggie jemals einen passenden Mann finden würde. So viele haben es schon bei ihr versucht. Wussten Sie das?«

»Nein, wusste ich nicht«, entgegnete Sebastian und schaute Maggie mit hochgezogener Braue an.

»Aber, aber, Sebastian, das ist kein Grund, die Eifer­sucht ihr hässliches Haupt erheben zu lassen«, besänftigte Alberta. »Bei einem derart hübschen Mädchen war das doch zu erwarten. Sie haben beinahe auf den Stufen von Edgewood kampiert, solange Margaret sich dort aufhielt. Das hat Douglas sicher sehr amüsiert.«

Mittlerweile war Margaret tief errötet und sagte abweh­rend: »Ich kam gerade erst von der Schulbank und dachte überhaupt noch nicht ans Heiraten. Wenn du es unbe­dingt wissen willst, ich fand es furchtbar lästig, dass andau­ernd diese jungen Burschen auftauchten, von denen ich die Hälfte nicht einmal kannte!«

Alberta lachte in sich hinein. »Aber meine Liebe, in dem Alter kommen alle jungen Mädchen unter die Haube.«

»Douglas war so freundlich, mir das nicht unter die Nase zu reiben, und hat mich selbst entscheiden las­sen.«

»Da habe ich ja Glück gehabt«, mischte Sebastian sich ein, um Maggie zu erlösen.

»In der Tat!«, musste Alberta zugeben. »Also, dann kommt mit. Ich kann euch nämlich nicht einfach mit

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Beschlag belegen, wenn alle anderen ebenfalls darauf war­ten, euch beglückwünschen zu dürfen.«

Margaret gelang es, ein Lachen zu unterdrücken, denn angesichts der ersten Reaktion auf Sebastian war sie si­cher, dass alle anderen gerade das nicht wollten. Aber sie hatte sich geirrt. Sein Lachen vorhin hatte die Ab­wehr der meisten Gäste durchbrochen, und die guten Wünsche, die sie in der nächsten Stunde zu hören beka­men, klangen echt. Nur cecil und seine Verlobte hatten noch nicht mit ihnen gesprochen, und Alberta war vernünftig genug, diese besondere Begegnung nicht zu erzwingen.

Kurz danach ließ die Herzogin sie allein, um sich unter die Gäste zu mischen. »Gott sei Dank, das ist vorbei«, be­merkte Sebastian.

Margaret konnte ihm nur beipflichten, obwohl sie ein­räumte: »Das ging viel besser als erwartet.«

»Ich habe bestanden, nicht wahr?«, erwiderte er tro­cken.

Sie schaute zu ihm auf und war wieder einmal überwäl­tigt, wie gut er aussah.

»Jawohl. Man könnte fast annehmen, du wärst eher Sebastian Townshend als der Rabe.«

Er verdrehte die Augen nicht, aber sie hatte den Ein­druck, er hätte es getan, wenn der alte Sebastian tatsäch­lich anwesend gewesen wäre. Und dann, urplötzlich, ver­schwand jede Heiterkeit aus seinem Gesicht.

Mit düsterem Blick sagte er zu Margaret: »Es gibt noch eine Pflicht, die ich zu erledigen habe.«

Sie wurde ganz still. Sebastian schaute unverwandt auf cecil. Sie brauchte nicht zu fragen, was er meinte, und hätte ihm das besser ausreden sollen. Das Aufeinander­treffen würde für keinen der beiden Männer angenehm werden. Aber da er das Wort »Pflicht« benutzt hatte, ver­suchte sie nicht, ihn davon abzuhalten.

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»Ich werde noch etwas Punsch holen«, sagte sie, fügte dann jedoch zögernd hinzu: »Oder soll ich lieber mitkom­men?«

»Ich bezweifle, dass deine Gegenwart die Situation ent­schärfen würde. cecil hat nie mit seiner Meinung hinter dem Berg gehalten.«

Sie nickte. »Dann wollen wir hoffen, dass er dabei ru­hig bleiben kann.«

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Kapitel 44

Im Näherkommen erkannte Sebastian die Frau an cecils Seite. Die Herzogin von Felburg hatte sich mit den Jahren kaum verändert und sah dem mehr als zwan­zig Jahre alten Bild, das man ihm gezeigt hatte, immer noch sehr ähnlich.

Seiner Meinung nach war es ziemlich dumm, in dem Land bekannt werden zu lassen, in dem sie sich vor ei­nem rachsüchtigen Gatten versteckte, dass sie eine Her­zogin war. Und noch dümmer fand er den Plan, einen Engländer heiraten zu wollen, wenn sie schon einen Ehe­mann hatte. War cecil im Bilde? Nein, natürlich nicht, dann hätte er die Dame wohl nicht gebeten, ihn zu hei­raten.

»cecil?«Giles’ Vater drehte sich um und lief rot an vor Zorn, als

er Sebastian erblickte. »Du wagst es, mich anzusprechen? Meine Anwesenheit auf dieser Feier bedeutet nicht, dass ich deine gutheiße. Geh mir aus den Augen!«

Dagegen hatte Sebastian sich gewappnet. cecils Reak­tion überraschte ihn nicht.

Aber ehe er etwas erwidern konnte, flüsterte die Frau, die neben Giles’ Vater stand: »cecil, bitte, mach jetzt keine Szene. Ich bin hier doch noch gar nicht richtig ak­zeptiert.«

cecil tätschelte die Hand seiner Verlobten und lä­chelte ihr begütigend zu. Er war also offenbar nur ihr zu­liebe zu der Abendgesellschaft gekommen.

»Das vergesse ich schon nicht, meine Liebe«, sagte er.

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»Aber wenn du mich jetzt einen Augenblick entschuldi­gen würdest …«

»Sie kann ruhig bleiben«, unterbrach Sebastian. »Ich habe interessante Neuigkeiten für sie. Zunächst jedoch: Es tut mir Leid, cecil. Niemand beklagt Giles’ Tod mehr als ich.«

»Nicht«, presste der ältere Mann hervor. »Ich komme nach Hause und muss feststellen, dass mein Sohn tot und bereits begraben ist, und du …«

»Es war ein Unfall«, fiel Sebastian ihm ins Wort. »Glaubst du etwa, ich hatte vor, ihn zu töten? Ich wollte in die Luft schießen. Wenn er wütend genug war, mich umzubringen, dann bitte. Aber seine Kugel traf meinen Arm und riss ihn in dem Moment herunter, in dem ich abfeuerte. Großer Gott, hat niemand dir je erzählt, was damals passiert ist?«

»Macht ihn das wieder lebendig?«, entgegnete cecil. »Er war mein einziger Sohn!«

Bei einem derart gefühlsbetonten Ausbruch hätte Se­bastian eigentlich erwartet, mehr als nur Ärger in cecils Augen zu sehen. Denn genau diese Worte ließen seinen eigenen Schmerz erneut so stark aufleben, wie nichts ande­res es gekonnt hätte. Es zerriss ihm schier das Herz. »Er war mein bester Freund! Wie oft muss ich noch innerlich ster­ben, bloß wegen dieser Schlampe, die er geheiratet hat?«

»Bitte!«, flehte die Herzogin.Sie hatte Recht, man wurde bereits auf sie aufmerk­

sam. Es war schon lange her, dass Sebastian derart die Kontrolle über sich verloren und seinen Schmerz so deut­lich gezeigt hatte. Mit unglaublicher Willenskraft zwang er seine Gefühle wieder dorthin zurück, wo sie hingehör­ten, hinter den eisernen Panzer, der seine Empfindungen verbarg.

Sebastian wollte sich abwenden, aber es gab in dieser Angelegenheit noch eine Sache, die er aus reiner Neugier

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wissen wollte. »Warum hast du meinem Vater die Schuld gegeben?«

Er glaubte nicht, dass cecil ihm darauf antworten wür­de, denn sein Gesicht lief schon wieder zornrot an.

Doch mit leiser, hasserfüllter Stimme sagte er: »Ich ging fort, um zu trauern. Ich konnte es nicht ertragen, in dem Haus zu sein, in dem Giles aufgewachsen war. Mo­nate später kehre ich zurück und erfahre, dass dieses fran­zösische Flittchen, das schuld an eurem Duell war, deinen Bruder geheiratet hat. Douglas hätte das verhindern müs­sen. Bereits das Duell hätte er verhindern müssen.«

»Was hätte er denn tun sollen, außer es zu verbieten? Und das hat er gemacht«, erwiderte Sebastian. »Ich habe nicht auf ihn gehört. Ich bin hingegangen, um selbst zu sterben, cecil. Ich hatte nicht damit gerechnet, nach Hause zu kommen, um ihm mitteilen zu müssen, dass eine Laune des Schicksals den geplanten Ausgang ins Gegen­teil verkehrt hat.«

»Das hätte Douglas mir ja erklären können, statt mich aus dem Haus zu werfen und mir zu sagen, ich solle nie mehr wiederkommen! Du bist falsch unterrichtet. Nicht ich habe unsere Freundschaft beendet, er war es.«

Vor lauter überraschung hätte Sebastian fast verges­sen, dass er den beiden noch etwas anderes sagen wollte. Sie hatten sich, bestrebt, die Auseinandersetzung mög­lichst schnell zu beenden, bereits zum Gehen gewandt. Fast hätte er sie aufgehalten, aber dann beschloss er, ce­cil nicht weiter aufzuregen. Was er der Herzogin mitzu­teilen hatte, konnte auch unter vier Augen besprochen werden.

Es dauerte etwas, ehe er ihren Blick auffangen und ihr bedeuten konnte, dass er mit ihr sprechen wollte. Und sie brauchte noch einmal gute zehn Minuten, bis sie einen Vorwand fand, cecil allein zu lassen. In der Zwischenzeit hatte Margaret sich wieder zu Sebastian gesellt, doch die

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Herzogin steuerte nicht auf ihn zu, sondern verließ den Raum. Er entschuldigte sich, ging ebenfalls aus dem Sa­lon und sah, wie sie den leeren Ballsaal weiter hinten im Haus betrat.

In dem riesigen Raum war es sehr düster, denn die Kerzen an den Wänden waren natürlich nicht angezün­det worden. Sobald er eintrat, griff die Frau nach seinem Arm.

»Sie werden es aber kurz machen, ja?«, bat sie ihn. »cecil hat sich heute Abend schon genug aufgeregt. Und ich möchte nicht, dass er von dieser Unterhaltung erfährt.«

Er konnte ihre Silhouette kaum ausmachen, obwohl seine Augen sich schnell an die Dunkelheit gewöhnten. »Weiß er, dass Sie bereits einen Ehemann haben?«

»Er weiß, dass ich einmal einen Ehemann hatte, ja. Das ist jedoch lange Jahre her.«

»Nun, dieser Ehemann, den sie einmal hatten, sucht augenblicklich nach Ihnen. Er wünscht eine Scheidung – oder Ihr Ableben. Sie wissen ebenso gut wie ich, was ihm lieber wäre.«

»Oh nein!«, keuchte sie erschrocken. »Das ist unmög­lich. Es ist schon so lange her. Ich dachte, er hätte unsere Ehe annullieren lassen. Er brauchte doch einen Erben.«

»Verstehe ich Sie richtig? Sie hatten die Absicht, ce­cil zu heiraten, obwohl Sie lediglich vermuten konnten, dass Ihr vorheriger Gatte sie freigegeben hat?«

»Warum erzählen Sie mir diesen Unsinn?«, wollte sie wissen. »Ich versichere Ihnen, seine Position erforderte eine neue Heirat, um einen Erben zu zeugen.«

Sebastian zuckte die Achseln, obwohl zu bezweifeln war, dass sie die Geste im Dunkeln erkennen konnte. »Of­fensichtlich hatte er es damit nicht eilig. Nun verlangt sei­ne zukünftige Braut absolute Gewissheit, dass seine erste Ehe vorüber ist. Ich vermute, dass sie mit einer fingierten

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Scheidung nicht zufrieden ist. Sie will mit eigenen Augen sehen, dass Sie zugestimmt haben. Sie möchte nicht, dass Sie später vielleicht aufkreuzen und damit alle Erben, die sie ihm schenken wird, zu illegitimen Kindern machen.«

»Bin ich wirklich immer noch verheiratet?«, fragte sie mit leiser, unsicherer Stimme.

»Nicht nur das, Madame. Er heuert Leute an, um Sie zu finden und nach Österreich zurückzubringen. Er weiß, dass Ihr Weg Sie in dieses Land geführt hat. Es war nicht sehr klug von Ihnen, hier zu bleiben und Ihren Namen zu behalten.«

»Den Namen habe ich geändert.«»Den Titel hätten sie besser auch abgelegt.«Sie war einen Moment still und sagte dann müde: »Ja,

die dumme Eitelkeit. Aber ich bin nicht hier geblieben. Ich habe die meiste Zeit im Ausland verbracht, stets auf Reisen. Ich habe es gründlich satt, dauernd unterwegs zu sein. Als ich durch diese Gegend kam, war ich ganz begeis­tert von der Landschaft. Ich habe oft davon geträumt, zu­rückzukehren und mich hier niederzulassen. Und schließ­lich habe ich dieser Sehnsucht nachgegeben.«

»Zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, denn genau hier wird er nach Ihnen suchen.«

Sie fing an zu weinen. Sebastian konnte nicht anders, er hatte Mitleid mit der ausgerissenen Herzogin. »Ich würde vorschlagen, dass Sie cecil das Problem erläutern. Er wird wissen, an wen Sie sich wenden können, um eine schnelle Scheidung zu bekommen. Schicken Sie diese Pa­piere im Eiltempo an Ihren Ehemann, den Herzog. Damit dürfte er zufrieden sein.«

»Woher wissen Sie das alles überhaupt?«»Er hat versucht, mich anzuheuern, um Sie zu finden.«

Der Rabe lächelte boshaft. »Aber die Art, wie er mich gefragt hat, hat mir nicht recht gefallen.«

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Kapitel 45

Müsste ich eifersüchtig sein?«, fragte Margaret, als Sebastian im Salon wieder zu ihr stieß.

»Du lieber Himmel, weswegen denn? Ach so«, sagte er, als er ihrem Blick folgte.

Sie beobachtete cecils Verlobte, die nur Augenblicke nach ihm den Raum betreten hatte. Allerdings hörte sie sich kein bisschen eifersüchtig an, eher neugierig.

»Ich hatte mit der Dame ein paar unerledigte, alte Geschäfte zu besprechen«, erklärte er. »Meine gute Tat des … Jahrhunderts sozusagen.«

»Des Jahrhunderts gleich? So selten hast du Gelegen­heit, etwas Gutes zu tun?«

»Nein.«Ihre Lippen verzogen sich zu einem säuerlichen Lä­

cheln. Er verspürte den Drang, sie in den Arm zu nehmen. Margaret war nicht sehr gut im Ärgern. Sie versuchte es, doch sie neigte dazu, dem Gegenüber Raum für einen ge­zielten Gegenschlag zu lassen, den sie dann nicht zu parie­ren wusste. Aber vielleicht klappte es bei anderen besser mit dem Necken. Sie war nur noch nie jemandem begeg­net, der einen so eigenartigen Humor hatte wie er – oder besser gesagt gar keinen.

Er würde sie vermissen. Ihm fiel auf, dass er das erste Mal so für jemanden empfand, der nicht zu seiner Familie gehörte – abgesehen von Giles natürlich. Der Blaustrumpf war ihm tatsächlich ans Herz gewachsen. Er hatte sich an ihre dickköpfige Geradlinigkeit gewöhnt, ihr unaufhörli­ches Geplapper, ihre offene Art, die Dinge zu sehen. Sie

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war ein richtiges Juwel, diese Maggie. Das hatte er nach ihrer ersten stürmischen Begegnung gar nicht erwartet. Sie war so wild entschlossen gewesen, für jemanden, um den sie sich sorgte, Hilfe zu holen, dass sie sich sogar mit ihm angelegt hatte.

Diese Eigenschaft bewunderte er eigentlich schon von Anfang an bei ihr, obwohl er sich damals zu sehr über sie geärgert hatte, um es zuzugeben. Grundgütiger Gott, die Anziehungskraft zwischen ihnen beiden brachte ihn fast um. Er hätte sich nie darauf einlassen sollen, seine Abreise hinauszuschieben, um mit ihr zu dieser Abend­gesellschaft zu gehen. Es war die reinste Hölle gewesen, sich fast den ganzen Tag von Maggie fern zu halten, wo er sie doch am liebsten jede einzelne Stunde seiner noch verbleibenden Zeit in England im Arm gehalten hätte.

Tatsache blieb aber: Er hatte Maggie nichts zu bieten. Dass er überhaupt zu dieser Ansicht gelangt war, erstaunte ihn, denn damit hatte er ihr eine Bedeutung beigemessen, die er keiner anderen Frau je zugestanden hatte – er woll­te sie behalten. Doch Margaret brauchte Stabilität, einen Mann, auf den sie sich verlassen konnte, einen Mann, der immer für sie da sein würde – einen Mann, so wie er früher einmal gewesen war.

»Oh je.«Sebastian folgte Margarets Blick zur Tür, dann wurde

er ganz still. Douglas und Abigail waren hereingekom­men, Arm in Arm. Margaret stöhnte. Abbie sprach zwar nicht mit ihrem Sohn, aber da Denton in London war, hatte die alte Dame eine Ausnahme gemacht und ihn dazu erkoren, sie auf die Feier zu geleiten, die zu Ehren ihres Enkels gegeben wurde.

Nachdem Douglas seine Pflicht erfüllt hatte, tätschelte er seiner Mutter die Hand, und Abigail gesellte sich zur ersten Gruppe von Freunden, die sie erkannte, während Douglas direkt auf Sebastian und Margaret zusteuerte. Un­

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terwegs wurde er allerdings von vielen Leuten aufgehal­ten, die unbedingt mit ihm sprechen wollten, sei es, um ihm zum neuen Familienmitglied zu gratulieren oder um sich nach seiner Gesundheit zu erkundigen.

»Verdammter Mist!«, fluchte Sebastian.»Kopf hoch«, sagte Margaret so aufmunternd sie konn­

te. »Du schaffst das.«Er schaute auf sie hinab und schüttelte den Kopf. »Du

verstehst das nicht, Maggie. Wir haben die schlimmste Art von Betrug begangen. Mein Vater wirft seine über­zeugungen über Bord – wegen einer Lüge, die wir in die Welt gesetzt haben. Als ich dieser Farce zustimmte, hat­te ich höchstens ein widerwilliges Mitspielen seinerseits erwartet, und auch das bloß dir zuliebe. Ich hatte keine Ahnung, wie gern er dich in der Familie hätte, nämlich so gern, dass er mir tatsächlich verzeihen würde. Nicht nur, dass ich ihm das nicht antun kann. Genauso wenig kann ich den Gedanken ertragen, aus einem Grund, den es gar nicht gibt, wieder von ihm aufgenommen zu werden.«

»Du weißt doch überhaupt noch nicht, ob er irgend­etwas über Bord wirft. Vor den Leuten muss er natürlich den stolzen Vater geben, wie auch du den verlorenen Sohn gespielt hast.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher.«»Dann solltest du jetzt gehen, sofort«, drängte Marga­

ret. »Ich denke mir …«Zu spät. Douglas hatte sie erreicht, und nachdem er

Maggie in den Arm genommen hatte, sagte er: »Ich kann einfach nicht glauben, dass keiner von euch eure Hoch­zeit erwähnt hat, als wir das letzte Mal miteinander gespro­chen haben. Habt ihr geglaubt, die überraschung wäre zu viel für mich, solange ich noch kränkele?«

Er lächelte, und was noch schlimmer war, das Lächeln schien von Herzen zu kommen. Seine bernsteinfarbenen

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Augen leuchteten warm. Das war der Mann, den Sebas­tian kannte, der Vater, den er einmal hatte – vor dem Duell.

»Wir müssen reden«, entgegnete Sebastian kühl.»Natürlich«, pflichtete Douglas ihm bei.»Unter vier Augen«, fügte Sebastian hinzu.Daraufhin stöhnte Margaret vernehmlich. Douglas

legte zwar die Stirn in Falten, erwiderte aber: »Albertas Arbeitszimmer liegt neben der Bibliothek. Ich werde ihr sagen, dass wir es benutzen müssen, und dich dann dort treffen.«

»Ich komme mit«, setzte Margaret an, sobald Douglas davongegangen war, um mit der Herzoginwitwe zu spre­chen.

»Oh nein«, unterbrach Sebastian sie, »du bleibst hier.«

Er ließ sie stehen, bevor sie protestieren konnte. Das Arbeitszimmer war leicht zu finden, ein kleiner, zweckmä­ßiger Raum zur Abwicklung von Geschäften, ganz ohne die Kinkerlitzchen, die man von der Herzogin erwarten mochte.

Douglas kam ein paar Augenblicke später und machte die Tür hinter sich zu. Sein Gesichtsausdruck war jetzt verschlossen.

Er begann: »Ich schätze, das war überfällig.«»Nein«, erwiderte Sebastian, »nicht überfällig, nur

notwendig. Bevor du irgendetwas sagst, was dir vielleicht später Leid tut, solltest du wissen, dass Maggie und ich nicht richtig verheiratet sind.«

Douglas richtete sich kerzengerade auf. »Was ist denn das für ein Unsinn? Habt ihr die Ehe noch nicht vollzo­gen? Zufällig weiß ich, dass ihr euch ein Zimmer geteilt habt …«

»Ich fürchte, du hast mich falsch verstanden«, fiel Sebastian ihm ins Wort. »Nicht richtig verheiratet be­

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deutet, dass wir gar nicht geheiratet haben. Es war nur eine List.«

»Das ist nichts, womit man Scherze treibt, Sebas­tian.«

»Ich weiß. Ich habe dir ja schon erzählt, dass sie mich angeheuert hat. Und ich habe dir auch erklärt, warum. So zu tun, als wären wir verheiratet, sollte mir bei meinen Nachforschungen helfen. Ich hätte den Auftrag kaum erledigen können, wenn die Tür von Edgewood mir ver­schlossen geblieben wäre.«

Mittlerweile waren Douglas’ Wangen rot angelaufen. »Großer Gott, ich kann nicht glauben, dass einer meiner Söhne …«

»Ich bin doch tot, erinnerst du dich nicht?«»Wovon zum Teufel redest du? Du ruinierst dieses Mäd­

chen aus einem so dummen Grund?«»Damals schien es ein guter Grund. Wir haben nicht

damit gerechnet, dass du noch einen Unfall haben und mit derart hohem Fieber daniederliegen würdest, das dich auch hätte umbringen können. Wenn du gesund gewesen wärst, hättest du mich ohne weitere Diskussion aus dem Haus geworfen – so wie vor elf Jahren!«

Sebastian wandte sich ab. Der Panzer um seine Gefühle bekam Risse. Er musste kämpfen, um sie zurückzuhalten. Vor elf Jahren hatte er keine Gelegenheit bekommen, seine Entschuldigungen vorzubringen, zu erklären, dass Giles’ Tod ein Unfall gewesen war. Doch diesmal würde er nicht um Verzeihung bitten.

»Kurz nach meiner Abreise wird sie die Scheidung verkünden«, sagte Sebastian. »Da ich sie sitzen gelassen habe, wird man ihr Mitleid und Verständnis entgegen­bringen.«

»Du gehst fort?«Klang sein Vater überrascht? Sebastian schaute wieder

zu Douglas hin, doch dessen Gesichtsausdruck hatte sich

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nicht verändert. Er war sicher wütend über die Irrefüh­rung und schwer enttäuscht, dass Margaret in Wahrheit gar nicht seine Schwiegertochter war.

»Natürlich gehe ich fort. Ich wollte überhaupt nicht herkommen.«

»Aber vorher heiratest du sie. Oder willst du mir etwa sagen, dass du sie nicht angerührt hast?«

»Nein.«Douglas’ Wangen färbten sich dunkelrot vor Zorn.

»Dann, bei Gott, wirst du sie heiraten.«»Warum? Nur damit du sie als Schwiegertochter be­

zeichnen kannst, bis sie eine echte Scheidung durch­setzt?«

»Weil es sich so gehört«, sagte Douglas mit finsterem Blick.

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Kapitel 46

Margaret beteiligte sich an verschiedenen Unterhal­tungen, von denen sie hinterher kein einziges Wort mehr wusste. Noch immer war Sebastian nicht von seinem ver­traulichen Gespräch mit Douglas zurück. Was machten die beiden nur so lange?

Sie hätte darauf bestehen sollen, dabei zu sein. Immer­hin war der Vorschlag mit der Heirat von ihr gekommen. Nach Sebastians Abreise hatte sie Douglas sowieso alles erklären wollen. Das wäre auch nötig gewesen, um die Scheidung zu begründen. Sie wünschte, sie könnte jetzt gestehen, um wenigstens einige der Anschuldigungen, die Sebastian zweifellos von seinem Vater zu hören be­kam, auf sich zu lenken.

Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, Sebastian würde nicht verraten, dass die Scheinehe ihre Idee gewesen war. Sie ahnte sogar, warum. Offenbar wollte er, dass Douglas’ ganzer Zorn sich gegen ihn richtete. Das hatte Sebastian schließlich erwartet, und wenn es dabei blieb, brauchte er nicht herauszufinden, ob sie sich aussprechen konnten. Vielleicht war er so überzeugt von der Unversöhnlichkeit seines Vaters, dass es Sebastian nicht möglich war, sei­ne abweisende und nachtragende Haltung abzulegen. Es konnte womöglich sein, dass er seinem Vater nicht ver­gab. Großer Gott, von dieser Seite hatte sie es noch nie betrachtet! Das wäre eine gute Erklärung dafür, warum er sich geweigert hatte, nach England zurückzukehren.

Sie sorgte sich so sehr um das, was im Arbeitszimmer vor sich ging, dass ihr fast schlecht wurde. Sicher sah man

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es ihr auch an, deshalb suchte sie nach Alberta, um ihr mitzuteilen, dass sie nach Hause gehen würde, sobald Se­bastian zurückkehrte. Die Herzogin zeigte Verständnis und noch dazu Mitleid.

»Passiert allen jungen Mädels«, sagte Alberta. »Ihr lasst euch einfach von euren Nerven unterkriegen. Tja, man­che sind sogar ohnmächtig geworden, vor und nach dem Fest, das ich für sie gegeben habe.« Und mit strengem Blick fügte sie hinzu: »Du wirst mir doch nicht umfallen, oder?«

Margaret schaffte es, ein Lachen zu unterdrücken. »Ich liege nicht gern auf dem Boden herum, daher werde ich mich schon zusammenreißen. Aber ich fühle mich ziem­lich erschöpft, daher würde ich mich gerne zurückziehen. Ich wollte dir jedoch für die schöne Feier danken und dich darauf vorbereiten, dass Sebastian mich wahrschein­lich direkt nach Hause schleppen wird, sobald er sieht, dass es mir nicht gut geht. Er ist einfach so, weißt du?«

»Ach ja?«, kicherte Alberta. »Nun, einige Männer übertreiben es manchmal. Denk einfach nicht weiter da­ rüber nach, meine Liebe. Ich gebe zu, dass sogar ich heu­te Abend ein klein wenig nervös war, aber es ist doch wunderbar gelaufen, wenn ich das so sagen darf. Oh, ich fürchte, ich muss es anders formulieren«, setzte sie mit finsterem Blick auf die Eingangstür hinzu. »Bisher ist es wunderbar gelaufen.«

Margaret musste sich gar nicht erst umdrehen, um zu erfahren, wovon Alberta sprach. Sie zuckte zusammen, als sie Juliettes laute Stimme erkannte. Seit ihrem Gespräch mit Abigail vor ungefähr einer halben Stunde wusste sie, dass Denton und seine Gattin zwar vorgehabt hatten, der Einladung nachzukommen, aber offenbar nicht recht­zeitig aus London abgereist waren.

Alberta schnalzte höchst verärgert mit der Zunge und gestand: »Ich habe dieses Mädel gebeten, meinem Haus fern zu bleiben. Selbst wenn ich nicht verpflichtet wäre,

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die Townshends einzuladen, hätte ich es schon allein deswegen getan, weil ich Abigail tief bewundere. Aber Dentons Frau ist hier nicht willkommen. Ich wollte ihr das so höflich wie möglich beibringen, doch als das keine Wirkung zeigte, habe ich zugegebenermaßen deutlichere Worte benutzt. Andere Gastgeberinnen in der Nachbar­schaft haben mit ihr dieselben Probleme. Ich könnte schwören, dass sie Englisch nur dann richtig versteht, wenn es ihr in den Kram passt. Sie kommt einfach immer wieder und bringt alles durcheinander.«

Margaret war überrascht zu erfahren, dass Juliette ge­sellschaftlich geächtet wurde. Niemand wollte die Town­shends ausschließen, aber alle missbilligten Juliettes schlechtes Benehmen. Wahrscheinlich hatte man Den­ton gebeten, seine Gattin im Zaum zu halten, aber von ihrem Ehemann ließ sie sich nichts befehlen. Eher sagte sie Denton, was er zu tun hatte.

Die Herzogin so indigniert zu sehen, obwohl sie be­rühmt dafür war, niemals die contenance zu verlieren, amüsierte Margaret.

»Wenigstens haben die Klatschmäuler jetzt ein neues Thema«, versuchte Margaret sie aufzuheitern.

»Das ist ja genau der Punkt. Die Leute sollen über mei­ne Feste reden und nicht über das skandalöse Benehmen eines Gastes – eines nicht geladenen Gastes, wie ich hin­zufügen möchte. Nun, da du zu dieser Familie gehörst, hoffe ich, dass du die Sprachbarrieren überwinden und ihr begreiflich machen kannst, dass sie uns entweder mit ihren unerträglichen Mätzchen verschonen oder zu Hau­se bleiben soll.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach Mar­garet.

»Gut.« Alberta schnaubte verstimmt, und mit einem finsteren Blick in Juliettes Richtung segelte sie davon, um sich von ihren Freunden trösten zu lassen.

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Normalerweise wäre Margaret zu Juliette hinüberge­gangen, um sie zu beruhigen, aber seit sie von der Heirat wusste, hatte sie nicht mehr mit ihr gesprochen. Falls die finstere Miene, die sie aufgesetzt hatte, nicht deutlich ge­nug zeigte, dass ihre so genannte Freundschaft damit been­det war, ließen Juliettes unüberhörbar laute Klagen nun keinen Zweifel mehr daran.

»Die Verräterin heiratet ihn und wird dafür auch noch geehrt. Warum wurde ich eigentlich nicht gefeiert, als ich dich geheiratet habe, hm?«

Denton schien das Genörgel überhaupt nichts auszu­machen, so sehr war er daran gewöhnt, wegen seiner über­aus taktlosen Frau alle Blicke auf sich zu ziehen. Aber Abigail war offenbar peinlich berührt. Juliette sprach der­art laut, dass sogar sie mit ihrem schlechten Gehör jedes Wort verstand.

Juliette hielt sie also für eine Verräterin? Dieser Ge­danke amüsierte Margaret. Bevor Juliette weitere Belei­digungen loswerden und das Fest weiter stören konnte, wollte sie lieber den Raum verlassen und nachsehen, was Sebastian so lange aufhielt.

Sie wäre nicht einmal überrascht gewesen, wenn er die Feier bereits ohne sie verlassen hätte, insbesondere, falls Douglas von ihm verlangt hatte, sie wahrhaftig zu heiraten.

Sie war noch nicht ganz bis zur Tür gekommen, als Juliette schon über ihr nächstes Opfer herziehen wollte. »Und er erst!«, fauchte die Französin verächtlich. »Ent­erbt und doch …«

Ihr Redestrom versiegte abrupt. Margaret schaute sich nach Juliette um und blieb dann überrascht stehen. Denton hatte seiner Frau tatsächlich die Hand über den Mund gelegt und sie zum Schweigen gebracht. Obwohl er selbst immun zu sein schien gegen die Beleidigungen, mit denen sie ihn bedachte, hatte er offenbar nicht vor, eine

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Herabsetzung seines Bruders zu dulden. Bravo, Denton! Margaret fragte sich, ob Sebastians Rückkehr ihm Mut ge­geben hatte. Es war auch höchste Zeit, dass er seiner Frau den Mund verbot. Und augenscheinlich war sie nicht die Einzige, die so dachte.

Irgendjemand applaudierte. Laut. Dann schloss sich noch jemand an. Sekunden später klatschte der ganze Raum Beifall. Juliette wirkte wütend und verwirrt. Sie riss sich von Denton los, warf ihm einen französischen Ausdruck an den Kopf, den Margaret Gott sei Dank nicht verstand, und stürzte zur Tür.

Margaret gelang es im letzten Augenblick, den Weg frei zu machen, sonst hätte Juliette sie umgerannt. Dabei trat sie einem großen Menschen auf die Füße. Sie drehte sich um, da sie sich entschuldigen wollte, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken. Sie hatte ihren Noch­Ehe­mann angerempelt, und der zog ein Gesicht, als wäre die Hölle zugefroren.

Einen Moment lang glaubte sie, dass er so ärgerlich aussah, weil er Juliette zugehört hatte. Aber erstaunlicher­weise fragte er mit sanfter Stimme: »Habe ich irgendet­was Wichtiges verpasst?«

»Nur dass dein Bruder seine Frau davon abgehalten hat, dich in aller Öffentlichkeit schlecht zu machen.«

»Schön für ihn«, sagte Sebastian. »Sollen wir ge­hen?«

Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Sein Mangel an Interesse gab ihr zu denken. Und auch sein Gesichtsaus­druck hatte sich nicht verändert. Wegen irgendetwas war er wütend, und wenn es nicht wegen Juliette war …

Sie hatte Angst davor herauszufinden, um was es ging, daher sagte sie nur: »Ja, ich habe unserer Gastgeberin schon angekündigt, dass wir nach Hause fahren.«

»Wir halten dort nur kurz an«, entgegnete er, während er ihren Arm nahm und sie nach draußen führte.

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Margaret machte sich darauf gefasst, Juliette auf der Treppe zu begegnen, aber glücklicherweise hatte diese nicht gewartet, bis ihr Wagen vorgefahren war. Sie war direkt zur Kutsche gerannt, die bereits die Auffahrt hinun­terjagte.

Und dann ging Margaret auf, was Sebastian gerade ge­sagt hatte. »Was heißt, wir halten dort nur kurz an?«

»Wir holen lediglich John und Timothy ab, und die Reisebegleiter, die du mitnehmen möchtest.«

»Wohin mitnehmen? Wo zum Teufel fahren wir hin, dass wir so viel Gesellschaft brauchen?«

»Nach Schottland, wohin sonst? Dort verheiraten sie die Leute doch immer noch auf der Stelle, oder?«

Margaret schnappte nach Luft. »Das müssen wir erst besprechen.«

»Es gibt nichts zu besprechen.«»Und ob es das gibt, verdammt noch einmal«, ver­

setzte sie wütend. »Man fährt nicht einfach mitten in der Nacht nach Schottland. Warte wenigstens bis morgen Früh, dann wird dir aufgehen, dass es gar nicht nötig ist.«

»Es wird nicht gewartet«, sagte er, während er sie in die Kutsche schob, die vorgefahren war. »Wenn ich darüber schlafe, werde ich nicht das machen, ›was sich gehört‹.«

»Aber …«»Kein Wort mehr, Maggie, oder ich halte dich die gan­

ze verfluchte Fahrt lang auf dem Schoß fest.«Sie öffnete den Mund, doch als sie das bedrohliche

Funkeln in seinen Augen sah, klappte sie ihn schnell wie­der zu. Sie hatte es jetzt mit dem Raben zu tun, und die­sem schrecklichen Kerl war es Ernst!

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Kapitel 47

Ich muss mit dir reden«, verkündete Margaret, als sie Douglas auf dem östlichen Klippenpfad einholte.

Er hatte schon wieder angefangen, morgens auszurei­ten. Und obwohl sie in aller Frühe nach Edgewood geeilt war, musste sie dort erfahren, dass sie ihn knapp verpasst hatte. Eine Enttäuschung mehr, die sich zu der langen Reihe derer gesellte, die sie seit der Nacht von Albertas Feier zu verkraften gehabt hatte.

Sie konnte immer noch nicht glauben, dass Sebas­tian – zumindest der vernünftige Sebastian – auf der lan­gen Fahrt nach Schottland nicht ein einziges Mal zum Vorschein gekommen war, dass sie während der gesam­ten Reise die Gesellschaft des Raben zu ertragen hatte. Kalt, berechnend, stumm. Wenn sie versucht hätte, mit ihm zu diskutieren, hätte dieser schreckliche Mann ge­nau das getan, was er ihr angedroht hatte. Und sie war auch noch so töricht, ihn eigentlich gar nicht von seiner Absicht abbringen zu wollen, daher stellte sie ihn nicht auf die Probe.

Sie war dumm genug zu glauben, dass er nach ihrer Heirat in England bleiben und wie ein richtiger Ehemann mit ihr leben würde. Und diese Hoffnung wuchs bis in den Himmel, als er sie in der Kirche küsste, nachdem er die Papiere unterzeichnet hatte, die ihn an sie banden. Es war ein fordernder, leidenschaftlicher Kuss gewesen, der alle ihre Zweifel zerstreut hatte. Sie hatte sogar geglaubt, ihn etwas von Liebe flüstern zu hören, während er sie um­armte. Dann ging er aus der Kirche und ließ sie allein.

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Und als sie nach draußen kam, war er fort. John und Timothy ebenfalls, und ihre Pferde mit ihnen. Da brach sie in Tränen aus. Tief in ihrem Innern hatte sie gewusst, dass so etwas geschehen würde. Sebastian hatte zwar mit ihr in der Kutsche gesessen, aber seine Pferde mitgenom­men. Nachdem er nun getan hatte, »was sich gehörte«, war er zweifellos zum nächsten Hafen geritten, um sich nach Europa einzuschiffen.

»Ich hatte dich schon früher erwartet«, sagte Douglas ein wenig zögerlich, denn ihr Gesicht war erhitzt und ge­rötet.

»Ach ja? Nun, wo soll ich anfangen? Erst kam diese verrückte Fahrt nach Schottland, bei der wir nicht ein­mal zum Schlafen anhielten, nicht ein einziges Mal, nur gerade lange genug, um körbeweise Nahrung zu kaufen und den Forderungen der Natur zu gehorchen. In einer Kutsche, die über Land rast, zu schlafen, ist so gut wie un­möglich, falls du es noch nicht weißt.«

»Dann hat er dich also geheiratet?«Die Frage verwunderte sie. »Hattest du nach eurer Un­

terredung nicht damit gerechnet?«»Ich war nicht sicher«, gab er zu. »Seit seiner Rück­

kehr bin ich mir bei verdammt vielem nicht mehr sicher. Er ist … verändert. Ich konnte nicht erkennen, was er empfindet.«

»Es war, als hätte man es mit einem Fremden zu tun? Ja, das kenne ich. Aber so ist er heute. Er hat nichts von dem alten Sebastian an sich. Der ist mit Giles gestorben.«

Das war unglaublich ehrlich, selbst für ihre Verhält­nisse. Doch im Moment war sie viel zu wütend, um ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Douglas schien geknickt zu sein, obwohl es sie nicht überraschen würde, falls sie seine Körpersprache vielleicht falsch verstand. Schließ­lich schien es in letzter Zeit recht häufig vorzukommen, dass sie mit ihrem Urteil völlig danebenlag.

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»Nun, was ich sagen wollte«, fuhr sie fort, »ich wäre eher zurück gewesen, wenn ich nicht einen ganzen Tag im Bett verbracht hätte, um mich von diesem Himmel­fahrtskommando zu erholen. Und dann ist außerdem das verfluchte Rad an meiner Kutsche gebrochen. Das konn­te natürlich nicht passieren, bevor ich einen Tag im Bett verplemperte, nein, es geschah hinterher, um mich noch länger aufzuhalten!«

Nun blickte Douglas etwas verlegen drein, denn er hatte sie falsch verstanden. »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, weil ihr euch auf eurer Hochzeitsreise ein bisschen Zeit genommen habt.«

Margaret blinzelte erstaunt. Und wenn sie nicht so wü­tend auf die Townshends gewesen wäre, auf Vater und Sohn, hätte sie wahrscheinlich hysterisch gelacht.

»Habe ich vergessen zu erwähnen, dass er mich am Al­tar hat stehen lassen? Es wäre mir wesentlich lieber gewe­sen, hätte er das getan, bevor er mich geheiratet hat, aber nein, erst hat er diese Papiere unterschrieben und danach hat er mich ohne ein Wort der Entschuldigung dort allein gelassen. Dir ist schon klar, dass ich jetzt anstatt der ein­fachen Aufgabe, die Scheidung schlicht zu verkünden, größere Umstände haben werde? Ich muss nach London fahren, mir einen Anwalt besorgen, vor Gericht gehen und …«

»Dann lass dich nicht scheiden.«»Wie bitte? Warum zum Teufel sollte ich denn mit ei­

nem Mann verheiratet bleiben, den ich nie mehr wieder sehen werde?«

»Weil ich keine Sekunde lang glaube, dass du ihn nie mehr wieder sehen wirst. Immerhin war er so verliebt in dich, dass er deinen Ruf ruiniert hat, oder etwa nicht?«

Sie schnaubte verärgert über seine Freimütigkeit. »Mein Ruf ist tadellos, danke sehr.«

»Nicht, wenn du dich scheiden lässt.«

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»Unsinn. Zufälligerweise habe ich den besten, Mitleid erregenden Grund, den es gibt. Der Mann hat mich ver­lassen. Falls du im Ernst glauben solltest, dass er zärtliche Gefühle für mich hegte, liegst du falsch. Außer Lust hat er nichts für mich empfunden.«

So deutlich hatte sie eigentlich gar nicht werden wol­len.

»Du kannst mir nicht einreden, dass du dich nur der Lust hingegeben hast, Maggie. Du liebst ihn doch, oder?«

Sie seufzte. »Es ändert zwar nichts, aber ja, ich bin so töricht.«

»Hast du ihm das gesagt?«»Natürlich nicht! Ich gebe zu, dass ich ein Dummkopf

bin, so dumm bin ich allerdings nun auch wieder nicht. Er hat mir kein Zeichen gegeben, niemals, dass er meine Gefühle erwidert. Eine Frau muss schon ein wenig ermu­tigt werden, ehe sie ihr Herz öffnet. Jetzt bist du dran mit dem Ehrlichsein, Douglas. Hast du gehofft, Sebastian durch diese Heirat in England halten zu können?«

»Das ist mir durch den Sinn gegangen, doch erst, nach­dem ihr beide in jener Nacht die Feier verlassen hattet. Deswegen habe ich jedoch nicht darauf bestanden, dass er dich heiratet.«

»Weswegen denn?«»Musst du mich das tatsächlich fragen? Er ist ein Town­

shend. Mein Sohn wird eine derart vornehme Dame wie dich nicht entehren, ohne den Fehler, den er begangen hat, wieder gutzumachen.«

Ungläubig starrte sie ihn an. »Hast du gehört, was du gerade gesagt hast? Mein Sohn? Ist dir nicht klar, dass er sich nicht mehr dafür hält? Wenn der Rauswurf ihm das nicht schon deutlich genug gemacht hat, dann das, was er bei seiner Ankunft erfahren musste …«

»Maggie, hör mir zu«, unterbrach er sie recht hastig, so

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als habe er Angst, dass er seine Meinung ändern könnte. »Du bist jetzt seine Frau, wenigstens im Moment noch, und von allen anderen, denen ich das Folgende hätte an­vertrauen können, habe ich mich abgekapselt.«

»Was soll das heißen, abgekapselt?«»Das bedeutet, ich habe mich freiwillig von ihnen abge­

wandt. Ich hatte das Gefühl, ich verdiente es nicht, eine Schulter zu haben, an der ich mich ausweinen konnte.«

Sie legte die Stirn in Falten, denn zunächst verstand sie ihn nicht. Dann aber ging ihr ein Licht auf. »Großer Gott, du bereust, dass du ihn hinausgeworfen hast, nicht wahr?«

»Natürlich tue ich das.«»Warum hast du es ihm nicht gesagt? Warum hast du

es nicht wenigstens deiner Mutter erklärt, anstatt all die­se Jahre mit ihr zu leben und sie anzuschweigen?«

»Weil ich ihre Verachtung verdient hatte, doch das war noch nicht Strafe genug. Ich wollte mir selbst den Trost nicht gönnen, den sie mir gespendet hätte. Sebas­tian war fort. Nichts konnte mich davon freisprechen, dafür verantwortlich zu sein.«

»So lange bereust du es schon?«»Oh ja. Und ich war nicht einmal wütend auf ihn,

ich war wütend, weil er mir so Leid tat, denn ich wusste, dass dieses Unglück ihn zerstören würde. Und dann ist dieser Zorn mit mir durchgegangen. Dass ich am Morgen nach diesem schrecklichen Duell einen schlimmen Kater hatte, war dem Ganzen auch nicht zuträglich. Ich hatte mich in der Nacht zuvor wegen dieses Durcheinanders mit Giles betrunken. Doch als die Wut verraucht war und mein Kopf nicht mehr schmerzte, wurde mir klar, was ich getan hatte. Nicht einmal da habe ich damit gerechnet, dass er mich beim Wort genommen haben könnte. Aber als ich ihn suchen ging, um ihm zu sagen, dass ich es nicht so gemeint hatte, war er schon fort.«

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»Und du hast ihm niemanden hinterhergeschickt?«»Nein, ich bin selbst losgeritten. Ich ahnte, wohin er

sich gewandt hatte, doch als ich Dover erreichte, hatte sein Schiff bereits abgelegt. Ich folgte ihm mit dem nächs­ten Boot, das in See stach, aber – offensichtlich habe ich ihn nie gefunden. über die Jahre habe ich ebenfalls Leute engagiert, die so etwas besser können als ich, es schien je­doch, als wäre er wie vom Erdboden verschluckt.«

»Oder als hätte er einen anderen Namen angenom­men, was er nämlich getan hat. Douglas, um Himmels willen, warum hast du Sebastian das nicht erzählt, als er hier war?«

»Musst du das wirklich fragen, wo du es doch selbst formuliert hast? Ich wollte mein Herz auch nicht öffnen. Nicht ein einziges Mal schien er hören zu wollen, was ich zu dem Thema zu sagen hatte. Glaub mir, wenn er mit mir zusammen war, wirkte er so verschlossen wie – wie eine versiegelte Gruft. Er wird mir nicht verzeihen. Und das kann ich ihm nicht einmal vorwerfen, denn ich verzeihe mir selbst nicht.«

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Kapitel 48

Du bist ziemlich schlecht gelaunt, seit wir wieder hier sind«, sagte Sebastian zu John, der die Deckel auf die Töpfe knallte.

Die Küche war kalt, obwohl schon den ganzen Tag über darin gekocht wurde. Was fürs Abendessen auf dem Herd vor sich hinköchelte, reichte eben nicht, um einen Raum dieser Größe zu heizen. Das Feuer, das im Kamin brannte, war auch viel zu weit weg vom Tisch. Es wäre zwar möglich gewesen, ihn näher heranzurücken, aber Se­bastian konnte sich offenbar nicht aufraffen, irgendetwas zu tun. Acht Anfragen waren bei Maurice, dem Verwal­ter, in ihrer Abwesenheit eingegangen, doch Sebastian hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nachzusehen, worum es bei den Aufträgen ging.

»Ich nehme mir bloß ein Beispiel an Ihnen«, erwider­te John, während er einen Teller Eintopf auf den Tisch stellte.

»Den Teufel tust du«, schoss Sebastian zurück. »Nor­malerweise versuchst du, mir meine schlechte Laune aus­zureden.«

»Würde das denn diesmal funktionieren?«»Nein.«»Da haben Sie Ihre Antwort. Außerdem wird Ihr Es­

sen kalt. Oder hatten Sie vor, sich heute Abend mit dem Brandy dort zu begnügen?«, fragte John mit einem Blick auf die Flasche, die vor Sebastian stand.

»Ich denke darüber nach.«Diese Bemerkung entlockte John zwar ein Grinsen,

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aber es hielt nicht lang an. So hatte Sebastian seinen Freund noch niemals erlebt. Sebastian war launisch, doch John war ein Optimist, der ihn zuverlässig aus jeder düste­ren Stimmung wieder herausholte.

»Spuck’s aus, John.«»Der Junge ist traurig. Er mochte Ihre Großmutter

wirklich gern, und er vermisst sie.«»Und deswegen hast du in den letzten zwei Tagen so

viel Theater gemacht?«John seufzte. »Ich habe tatsächlich geglaubt, dass wir

England nicht mehr den Rücken kehren würden. Warum, möchten Sie fragen? Weil Sie Lady Margaret geheiratet haben! Vielleicht werden Sie nie wieder mit Ihrem Vater sprechen, aber sie lebt dort, und das ist Grund genug, um zu bleiben. Wenn Sie das überhaupt nicht vorhatten, hät­ten Sie sie nicht heiraten sollen.«

»Ah«, sagte Sebastian nachdenklich, »du machst die­sen ganzen Krach, weil du dich über meine Entscheidung ärgerst? Oder ist es eher wie bei Timothy, dass du dich nach jemandem sehnst, den wir zurückgelassen haben?«

John wurde rot vor Zorn. »Im Gegensatz zu manch anderen macht es mir nichts aus zuzugeben, dass ich die Frau gefunden habe, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte.«

»Du brauchst doch nicht bei mir zu bleiben, John. Geh zurück und bitte die Dame um ihre Hand.«

»Und Sie lasse ich vor der Suppe sitzen, die Sie sich eingebrockt haben?«

»Ich habe mir nichts eingebrockt.«»Und warum hocken Sie dann hier vor Ihrem Teller?«Darüber musste Sebastian lachen. Wenn John ärger­

lich war, war er sehr amüsant. Er hätte seinen Diener bes­ser in seine Pläne einweihen sollen.

»Ich gebe Maggie eine Woche, um die Scheidung ein­zureichen«, erklärte er. »Das gehört sich für einen Gentle­

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man so. Falls ich jedoch herausfinde, dass sie es bis dahin nicht getan hat, hat sie keine chance mehr, mich loszu­werden.«

»Das bedeutet, Sie fahren zurück, um das zu überprü­fen?«

»Natürlich.«»Verdammt noch mal, hätten Sie mir das nicht eher

verraten können?«, beklagte sich John.Sebastian zuckte die Achseln. »Die Entscheidung ist

mir nicht leicht gefallen. Maggie verdient etwas Besseres als mich. Aber ich werde ausnahmsweise einmal egois­tisch sein.«

»Falls sie die Scheidung bis dahin nicht eingereicht hat. Und wenn sie es getan hat?«

»Dann wird das Schicksal entscheiden.«John verdrehte die Augen. »Warum wollen Sie es dem

Zufall überlassen? Sie glaubt nicht, dass sie Sie jemals wie­der sehen wird. Sie hat keinen Grund, mit der Scheidung zu warten.«

Sebastian presste die Lippen zusammen. Er hatte erst an diesem Morgen beschlossen, bei Margaret zu bleiben – wenn sie sich nicht sofort scheiden ließ. Eigentlich hatte er nicht viel weiter gedacht, als dass er ihr noch ein paar Tage Zeit geben wollte. Andererseits passte Ritterlichkeit gar nicht zu ihm. Warum sich also dem Schicksal ergeben?

»Falls sie sich von mir hat scheiden lassen, werde ich vor ihr auf die Knie fallen und sie allen Ernstes um ihre Hand bitten. Was glaubst du, wie lange es dauert, bis ihr Lachkrampf vorbei ist?«

John schaute ihn finster an. »Was soll das? Warum hal­ten Sie das Leben, das Sie führen, für verachtenswert? Sie haben vielen Menschen geholfen, die verzweifelt waren und ohne Sie nie wieder auf den rechten Weg gekommen wären.«

»Und ich habe auch eine Menge sinnloser Arbeiten

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erledigt, die nur der Gier und dem Rachedurst der Auf­traggeber dienten.«

»Na und, zwischen den guten Taten gab es eben auch ein paar schlechte. Trotzdem zählen die guten noch. Wie kommen Sie darauf, dass Lady Margaret Sie abweisen würde, wenn Sie ihr anbieten, ihr gewohntes Leben ge­gen ein Leben an Ihrer Seite einzutauschen?«

»Ich sagte doch, dass ich zurückgehe«, bemerkte Sebas­tian abwehrend.

»Aber Sie wollen sie nicht ernsthaft bitten, Sie zu hei­raten, den echten Sebastian, den Mann, wie er heute ist und nicht, wie er einmal war. Wieso glauben Sie, dass sie Sie nicht haben will?«

»Und wieso glaubst du das Gegenteil? Zu allem, was ich mit ihr angestellt habe, ist sie sogar zu dieser echten Hoch­zeit gezwungen worden. Sie hatte einen ganzen Haufen an Gründen, warum sie mich nicht heiraten wollte, und hät­te sie mir auch aufgezählt, wenn ich sie gelassen hätte.«

»Vielleicht, weil Sie vergessen haben, ihr zu sagen, dass Sie sie heiraten möchten? Oder verstehe ich da et­was falsch? Haben Sie ihr überhaupt gesagt, wie Sie für sie empfinden?«

Sebastian trank sein Glas Brandy aus. »Du hast da ein paar gute Anregungen gegeben, John. Ich werde darüber nachdenken.«

»übrigens«, hakte John neugierig nach, »was wollte Denton von Ihnen?«

»Wann?«»In seinem Brief.«»Was für ein Brief?«John verdrehte die Augen. »Ich hätte es wissen müs­

sen, Sie waren vorhin so in Gedanken, dass Sie gar nicht gehört haben, wie ich Ihnen sagte, ich lege den Brief in Ihr Zimmer. Er ist heute Morgen angekommen.«

Gespannt ging Sebastian den Brief holen, aber als er

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ihn überflogen hatte, war er enttäuscht. In die Küche zu­rückgekehrt, sagte er verächtlich zu John: »Kryptisch wie immer. Ich weiß nicht, was heutzutage sein Problem ist, dass er nur in Andeutungen spricht.«

»Warum hat er denn geschrieben?«Sebastian schnaubte. »Um mir mitzuteilen, dass Juli­

ettes Bruder mir vielleicht weiterhelfen könnte, wenn ich Antworten brauche. Warum zum Teufel gibt Denton mir die Informationen nicht einfach selbst?«

»Womöglich kennt er sie nicht«, schlug John vor.Das machte Sebastian nachdenklich. Er las den Brief

noch einmal:

Bastian,ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so bald wie­

der abreisen würdest. Ich brauchte jedoch etwas Zeit, um meine Gedanken neu zu ordnen. Juliette hat mir lange weisgemacht, du wärst der Schuldige gewesen. Das hat den Heiligenschein, den ich dir aufgesetzt hatte, ziemlich angekratzt.

Ich hätte dir das schon früher sagen sollen. Du hattest Recht, Juliette steckt hinter Vaters Unfällen. Allerdings ahnt er nichts und schwört, dass es nur Missgeschicke waren. Auch sie hat nicht direkt zugegeben, dass sie da­für verantwortlich ist – aber sie hat es angedeutet und gedroht, dass noch Schlimmeres passieren wird, wenn ich mich von ihr scheiden lasse. Und davor hat sie mich mit anderen Dingen erpresst.

Großer Gott, nicht einmal jetzt besitze ich den Mumm, es dir zu erzählen. Doch ihr Bruder, Pierre Poussin, könnte alles wissen. Sie hat ihn mit einer falschen Anschuldi­gung ins Gefängnis gebracht, weil er sie aufhalten wollte. Jedenfalls wirft sie mir vor, dass sie ihn nur mir zuliebe angeschwärzt hat. Vielleicht existiert er überhaupt nicht. Vielleicht lügt sie bloß. Ich weiß es einfach nicht.

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»Eigentlich sagt er genau das«, bemerkte Sebastian, wäh­rend er John den Brief reichte. »Dass er nichts weiß. Obwohl es sich so anhört, als habe Juliette ihn davon überzeugt, dass sie hinter den Unfällen meines Vaters steckt, bin ich mir da gar nicht so sicher. Sie gebraucht sie jedenfalls als Mittel, um Denton unter Druck zu set­zen.«

John sah vom Brief auf. »Aha, Juliettes Bruder ist im Gefängnis … dann ergibt die Bemerkung, die der Gärtner in Edgewood aufgeschnappt hat, mehr Sinn.«

»Dass sie ihm zuliebe sowohl ihren als auch seinen Bru­der aus dem Weg geschafft habe? Ihm zuliebe? Hm, viel­leicht sollte ich meinen Bruder windelweich prügeln und ihm den Verstand zurechtrücken, den scheint er nämlich verloren zu haben.«

John kicherte in sich hinein, aber nur für einen Mo­ment. »Es hört sich so an, als wäre Lord Denton doch in mehr verstrickt oder verstrickt gewesen, als wir angenom­men haben. Allerdings klingt es danach, als würde er gern reinen Tisch machen, sonst hätte er nicht vorgeschlagen, dass Sie Juliettes Bruder suchen, um Antworten zu bekom­men. Sagt er, wo das Gefängnis ist?«

Sebastian schüttelte den Kopf. »Das weiß er sicher auch nicht.«

»Nun, alles begann in Paris. Daraus könnte man even­tuell schließen, dass es sich dort in der Nähe befinden muss. Werden Sie ihm einen Besuch abstatten?«

Sebastian runzelte die Stirn. »Wenn man richtig da­rüber nachdenkt, taucht Juliettes Name zu oft in Ver­bindung mit seltsamen Ereignissen auf – das Duell, das plötzliche Verschwinden von Maggies Schwester, die Unfälle meines Vaters. Das alles ist Teil eines ausgetüf­telten Plans, der wesentlich weiter reicht, als wir geahnt haben.«

»Ursache und Wirkung?«, überlegte John. »Was als

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kleines Komplott angefangen hat, könnte sich im Laufe der Zeit zu einer komplizierten Lügengeschichte ausge­wachsen haben.«

»Meinst du, so einfach ist es?«John lachte vor sich hin. »Wahrscheinlich nicht,

aber …«In diesem Augenblick öffnete der Verwalter höchst ver­

ärgert die Tür. »Ein Besucher, Monsieur. Ich sagte ihm, er soll morgen wiederkommen, zu einer besseren Zeit, doch er will nicht gehen. Er sagt, er kenne Sie, will mir aller­dings seinen Namen nicht verraten.«

»Wo ist er?«, fragte Sebastian.Maurice deutete mit dem Daumen hinter sich. »Vor

der Tür. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen auf der Au­ßentreppe stehen bleiben, als ob da noch eine Tür wäre. Ist es Eintopf, was ich da rieche?«

»Bedien dich, Maurice. Ich werd’ mal nach unserem Besucher sehen.«

»Soll ich gehen?«, wollte John wissen. »Die meisten geben nur vor, dich zu kennen, um an dich heranzukom­men.«

»Dann wird’s ja noch leichter, ihn wieder loszuwerden. Gibt es draußen Licht, Maurice?«

»Meine Laterne. Ich habe sie auf der Treppe gelas­sen.«

Sebastian nickte und verließ die Küche. Um das Licht hätte er sich gar keine Gedanken machen müssen. Es war eine klare Nacht. Mondschein erhellte die Trümmer in der zusammengestürzten alten Eingangshalle, durch die er gehen musste. Und der Schimmer von Maurices La­terne war wie ein Leuchtstern, der den zerfallenen Stein­bogen illuminierte, der alles war, was vom einstigen Burg­eingang noch übrig geblieben war.

Der unerwartete Gast stand dort oben auf den Stu­fen. Mit dem Rücken zum Steinbogen betrachtete er die

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mondbeschienene Landschaft. Er trug einen Mantel und einen dicken Schal, um sich warm zu halten, und hatte einen Hut tief in die Stirn gezogen.

Und dann – offensichtlich hatte er Sebastians Schrit­te hinter sich gehört – drehte er sich um. Und Sebastian erkannte ihn. Nur glaubte er nicht, was er da sah.

»Ich bin’s wirklich«, versicherte der Mann. »In Fleisch und Blut.«

»Blut? Da wollen wir mal sichergehen, dass du kein Gespenst bist, ja?«, erwiderte Sebastian und rammte sei­ne Faust in Giles’ Gesicht.

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Kapitel 49

Sebastian griff nach dem Brandy und setzte sich wieder an den Küchentisch. Diesmal ignorierte er das Glas und trank direkt aus der Flasche. Er wollte nicht darüber nach­denken. Er wollte nichts wissen. Er war so nahe daran, vollständig die Beherrschung zu verlieren, dass der kleins­te Anstoß zur Explosion führen konnte.

John schaute neugierig auf den leblosen Körper, den Sebastian wie eine Jagdbeute hereingetragen und auf dem Boden abgelegt hatte. »Soll ich ihn wieder zu Bewusst­sein bringen?«, fragte John.

»Wenn du sehen willst, wie ich einen Mord begehe, mach das.«

überrascht blickte John seinen Freund an. »Großer Gott, was hat der Kerl Ihnen denn getan?«

»Dreh ihn um.«John wälzte den Mann herum und trat dann mit einem

erstaunten Laut einen Schritt zurück. »Oh, ich würde sa­gen, er sieht genauso aus wie … na ja … die Ähnlichkeit ist geradezu unheimlich, nicht wahr? Wusste gar nicht, dass Lord Wemyss senior irgendwo einen Sohn versteckt hatte. Ist das ein Bastard?«

»Nein.«»Aber die Ähnlichkeit ist verblüffend!«»Weil es keine Ähnlichkeit ist.«»Aber …«, weiter kam John nicht, ehe er den einzigen

Schluss zog, der möglich war. Energisch schüttelte er den Kopf. »Ich glaube nicht an Gespenster.«

»Ich auch nicht.«

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»Sie haben ihn doch umgebracht!«»Ja, und ich bringe ich noch einmal um, sobald er auf­

wacht.«»Ich helfe Ihnen dabei«, sagte John, jetzt selbst wü­

tend. »Wenn ich darüber nachdenke, was sein Tod alles für Folgen hatte, und dann ist er gar nicht tot, also, das geht einfach zu weit. Was haben Sie eigentlich mit ihm angestellt?«

»Er war immer ein begnadeter Schütze, aber beim Bo­xen ging er sofort zu Boden«, sagte Sebastian verächtlich. »Ein bloßer Windstoß konnte ihn umwerfen.«

»Das stimmt nicht ganz«, bemerkte Giles, der sich nun aufsetzte und sein Kinn befühlte. »Manche Schläge kann ich durchaus wegstecken, nur deine nicht. Du wirst mir doch Zeit für eine Erklärung geben, bevor du mich um­bringst, nicht wahr?«

»Wohl kaum. Vor elf Jahren hätte ich gern eine Erklä­rung gehört. Heute gibt es nichts mehr, was rechtfertigen könnte …«

»Sie wollten ihn töten!«, rief Giles dazwischen. »Als er in Paris auftauchte, rannte er schon um sein Leben.«

»Wer?«»Mein Vater. Ach Gott, Bastian, ich hatte ja keine Ah­

nung, was er uns mit diesem verdammten Glücksspiel an­getan hatte. Er hat uns ruiniert! Nichts war mehr übrig.«

»Verdammt noch mal!«, fauchte Sebastian. »Fang beim Anfang an!«

Giles nickte und kam umständlich auf die Füße. Die Zeit hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Sein früher brau­nes Haar war nun stumpf, von Grau durchzogen. Die Ge­sichtshaut wirkte ledern, fast wie Pergament, faltig und von der Sonne gegerbt. Von einem Aristokraten hatte er nicht mehr viel an sich.

»Darf ich mich setzen?«, fragte Giles, indem er auf die freien Stühle am Tisch deutete.

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»Ich würde es an deiner Stelle nicht wagen, mir so nahe zu kommen.«

»Schon gut«, gab Giles nach und begann, auf und ab zu gehen. »Wo soll ich denn anfangen?«

»Das habe ich doch bereits gesagt.«»Also gut. Wir waren in Paris, Denton und ich, um

unsere Reise mit einem einwöchigen Aufenthalt in die­ser Stadt abzurunden. Er hatte nichts von Europa gehabt, denn er war die meiste Zeit betrunken gewesen. Nachdem er volljährig geworden war, hat ihm die Tatsache schwer zugesetzt, dass er nur der Zweitgeborene war.«

»Wenn du vorhast, mir zu erzählen, dass mein Bruder hinter dieser …«

»Nein«, sagte Giles schnell.»Dann halte dich an die Fakten, mehr will ich nicht

hören.«»Wir aßen im Hotel zu Abend. Die Poussins, Bruder

und Schwester, saßen am Nebentisch und sprachen uns an. Schließlich baten sie uns zu sich. Nichts Ungewöhn­liches.«

»Was haben sie dort gemacht?«»Nur zu Abend gegessen. Sie wohnten in der Nähe

und speisten oft in diesem Hotel. Der Bruder, Pierre, blieb nicht lang, bestand aber nicht darauf, seine Schwester mitzunehmen. Dies ließ mich vermuten, dass sie, obwohl sie vorgaben, französische Aristokraten zu sein und gewiss so aussahen, in Wirklichkeit etwas anderes waren. Doch wie dem auch sei, sobald ihr Bruder fort war, begann Juli­ette, heftig mit Denton zu flirten. Er hatte zu tief ins Glas geschaut, um es richtig mitzubekommen, aber am Ende gingen sie zusammen auf sein Zimmer.«

»Warum hast du das nicht verhindert?«»Warum sollte ich? Mittlerweile war ich zu dem

Schluss gelangt, dass sie eine Edelprostituierte war, die ihn ein paar Pfund anstatt Shilling kosten würde. Er

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hatte während der ganzen Reise eine so schlechte Zeit gehabt, dass ich glaubte, die Abwechslung würde ihm gut tun. Sie war wunderschön, und sie verbrachte die Nacht mit ihm.«

»Und zum guten Schluss ist sie mit dir verheiratet? Vielleicht erklärst du mir das noch schnell, bevor ich dich wieder zusammenschlage.«

»Ich habe sie nie geheiratet. Möchtest du jetzt, dass ich vorgreife, oder soll ich der Reihe nach erzählen?«

Sebastian biss die Zähne aufeinander. »Mach weiter.«»Am nächsten Tag tauchte mein Vater auf. Er wartete

bereits in meinem Zimmer, als ich heraufkam, um mich zum Essen umzukleiden. Ich freute mich, ihn zu sehen, bis ich ihn genauer anschaute. Er wirkte gehetzt. Großer Gott, er hatte derart viel Angst, dass man es fast riechen konnte. Ich war natürlich erschrocken. So hatte ich ihn noch nie erlebt.«

»Das kann schon mal passieren, wenn man sein Erbe verspielt«, schloss Sebastian aus Giles’ früherer Bemer­kung.

»Wäre es bloß das gewesen, aber das war nicht alles. Er hatte nicht nur sein Erbe verloren, und damit natürlich auch meins, er hatte sogar noch weiter gespielt, um die Verluste wieder wettzumachen!«

»Womit denn?«»Mit geborgtem Geld natürlich. Offenbar lieh er sich

bereits seit Jahren Geld von deinem Vater. Die Schul­den waren so hoch geworden, dass er sogar unser Haus an Douglas überschrieben hatte. Doch selbst ein überaus großzügiger Mensch wie dein Vater muss irgendwann eine Grenze ziehen. Daher hatte Douglas es abgelehnt, ihm noch mehr Geld zu geben. Darüber ärgerte sich mein Vater. Das konnte ich seinem Ton entnehmen, als er mir alles erklärte.«

»›Douglas hat alles‹, beklagte sich mein Vater. ›Einen

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besseren Titel, eine wundervolle Mutter, die ihn liebt, mehr Geld, als er jemals ausgeben kann‹. Mein Vater ver­stand einfach nicht, warum Douglas ihm den Geldhahn zugedreht hatte.«

»Du hast gesagt, dass cecil um sein Leben fürchtete.«Giles seufzte. »Am Ende hat er sich in London von

den falschen Leuten Geld geliehen. Sie gehörten zu der Sorte, die ausstehende Schulden mit Gewalt eintreiben. Sie hatten ihm eine Frist gesetzt, bis zu der er bezahlen musste, sonst wollten sie ihn umbringen. Er konnte die Frist nicht einhalten.«

»Und von all dem hast du vorher nichts geahnt?«»Kein bisschen, allerdings hatte ich meinen Vater in

den letzten paar Jahren nicht oft gesehen. Und einmal hat er auch getobt, weil ich zu viel Geld ausgegeben hat­te, was ein ziemlicher Schock für mich war. Aber ich habe ihn nicht ernst genommen, weil er zu dem Zeitpunkt be­trunken war. Siehst du, er hat verzweifelt versucht, so weiterzuleben, als sei nichts geschehen. Herrgott, er hat mich sogar auf die Europareise geschickt, obwohl gar kein Geld dafür da war. Dein Vater hat übrigens für die Fahrt bezahlt, und zwar von sich aus. Er weigerte sich, weiter­hin die Spielleidenschaft meines Vaters zu unterstützen, aber sie waren immer noch Freunde – zumindest dachte er das.«

»Was meinst du damit?«»Ich glaube, dass Vaters Groll gegen Douglas mit der

Zeit in Hass umgeschlagen war. Wie sonst hätte er ein so ungeheures Komplott gegen seinen Freund schmieden können, nur um sich selbst aus dem Schuldensumpf zu ziehen?«

»Dein vorgetäuschter Tod?«, riet Sebastian. »Wie zum Teufel sollte der ihn von den Schulden befreien?«

»Schuldgefühle. Er war sicher, Douglas würde von dem Unglück so überwältigt sein, dass er seine Verbindlich­

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keiten übernehmen und zur Entschädigung noch etwas drauflegen würde. Und er hatte Recht. Dein Vater hat genau das getan.«

»Und mich hat er enterbt«, fauchte Sebastian und sprang auf.

Giles hob abwehrend die Hände. »Warte, das haben wir nicht gewollt. Und ich habe es auch erst Jahre später erfahren. Das war ganz bestimmt nie Teil unseres Plans. An dem Tag, an dem mein Vater mir alles gestand und die Lösung präsentierte, die er sich ausgedacht hatte, stand ich unter Schock. Du denkst doch wohl nicht, dass es mir Spaß machte, meinen eigenen Tod zu inszenieren, oder?«

»Was ich gerade denke, möchtest du nicht wissen«, entgegnete Sebastian, aber er setzte sich wieder. »Wei­ter.«

»Mein Vater hatte wirklich Angst um sein Leben. Als er nach Paris kam, war sein Plan noch nicht ganz fertig. Aber da er sich schon ein paar Tage in der Stadt aufge­halten hatte, hatte er bereits Juliettes Bekanntschaft ge­macht. Offenbar hatte sie versucht, ihm Geld abzuknöp­fen, allerdings ohne Erfolg. Er hat sie nur ausgelacht, denn er hatte ja nichts mehr. Doch dann sah er sie beim Essen mit Denton und mir und wie sie mit deinem Bru­der flirtete. Er nahm an, dass sie Denton ebenfalls in eine Falle locken wollte, und da kam ihm der Gedanke, sie zu benutzen, um uns beide zu einem Duell zu zwingen.«

»Er hatte also schon mit Juliette gesprochen, bevor er zu dir kam?«, fragte Sebastian.

»Ja.«»Und wie hat er sie dazu gebracht, bei seinem ›Plan‹

mitzumachen?«»Er hat gedroht, sie ins Gefängnis werfen zu lassen,

wenn sie nicht einwilligte. Aber später, als ich erfuhr, dass sie Denton geheiratet hatte, wurde mir klar, dass dein

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Bruder der wahre Grund war, warum sie sich auf die Int­rige eingelassen hatte.«

»Meinen Bruder wollen wir im Moment mal aus der Geschichte heraushalten«, sagte Sebastian. »Das Duell und der Umstand, dass ich mit deiner ›Ehefrau‹ geschla­fen hatte – all das war also im Voraus geplant?«

»Ja, und du bist direkt in die Falle getappt. Wenn du sie nicht angefasst hättest – weißt du, eigentlich hatte ich gehofft, dass du es nicht tun würdest. Ich war so nie­dergeschlagen. Du warst mein bester Freund! Ich sollte dir weismachen, du hättest mich umgebracht, und dann für immer verschwinden. Das Untertauchen machte mir nicht so viel aus. Mein Vater wollte mir Geld schicken, sobald er seine Angelegenheiten wieder geregelt hatte. Und ich war noch nicht wirklich bereit, Eleanor zu heira­ten, also war ich nicht todunglücklich, sie zu verlieren.«

»Sie schon.«»Ja, ich weiß, und ich war es im Nachhinein auch,

doch das kommt später. Am Morgen des Duells schnallte ich mir einen mit Blut gefüllten Lederbeutel um, den ich öffnete, damit mein Tod echt wirkte. Das war Juliettes Idee. Sie hat ihn besorgt. Ich hätte gar nicht auf dich gefeuert. Aber du!«, platzte Giles heraus. »Du standst da und hattest offenbar ebenfalls nicht die Absicht, auf mich zu schießen. Und das machte den ganzen Plan zu­nichte.«

»Deine Kugel hat mich getroffen«, erinnerte Sebas­tian ihn.

»Ich musste, doch du weißt, dass ich ein exzellenter Schütze bin. Ich habe so gezielt, dass dein Arm ein biss­chen einknickte, damit deine verdammte Pistole wenigs­tens in meine Richtung zeigte. Und, zum Teufel, du hast mich tatsächlich angeschossen!«

Giles riss sein Hemd auf, um Sebastian die Narbe zu zeigen.

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Sebastian blieb unbeeindruckt. »Nicht so schlimm«, kommentierte er.

Giles starrte ihn einen Augenblick ungläubig an, dann fuhr er ruhig fort: »In Wirklichkeit bin ich fast daran ge­storben. Sie holte keinen Arzt. Und mein Vater war nicht da, weil er sich in Frankreich versteckte, bis alles vorüber war. Nachdem ich meine Rolle gespielt hatte, war es Juli­ette vollkommen egal, ob ich sterben würde. Danach gab sie die trauernde Witwe. Sie sorgte lediglich dafür, dass Anton mich zur Küste schaffte und auf ein Schiff nach Frankreich verfrachtete.«

»Verdammt noch mal, daher kenne ich ihn. Er war beim Duell dein Sekundant, nicht wahr?«

»Ja, er war einer ihrer Diener.«»Dass ich enterbt wurde, war dir also unwichtig?«,

fragte Sebastian, und seine Stimme klang nun alles an­dere als ruhig.

Giles zuckte zusammen und antwortete schnell: »Nichts, was damals passierte, war unwichtig, aber du hast noch nicht alles gehört. An diese überfahrt nach Frankreich kann ich mich kaum erinnern. Man legte mich einfach im Hafen ab, weil der Kapitän Angst hatte, ich würde auf seinem Schiff sterben. Eine alte Frau fand mich und versprach, mich wieder aufzupäppeln, wenn ich sie heiratete und ihren Hof bewirtschaftete. Ich will ver­dammt sein, wenn ich noch weiß, wie sie es angestellt hat, doch am Ende habe ich sie geheiratet, und sie hat mich gesund gepflegt.«

Sebastian hatte genug gehört. Er stand auf und ging auf Giles zu. Dieser sah, was er vorhatte, und zog sich langsam zurück.

»Erstens«, sagte Sebastian mit kalter, harter Stimme, »hattest du reichlich Gelegenheit, mir alles zu erzählen, bevor deinem Vater etwas geschehen konnte.«

»Und was hättest du dann gemacht? Du hattest nicht

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genug Geld, um die Schulden meines Vaters zu bezahlen. Ich sowieso nicht, und diese Männer hätten ihn wirklich umgebracht, wenn sie ihn gefunden hätten, bevor er die Schulden beglich.«

»Also anstatt meinen Vater davon in Kenntnis zu set­zen, dass seine Dummheit so weit fortgeschritten war – und glaub bloß keinen Augenblick, dass mein Vater ihm nicht aus der Patsche geholfen hätte, wenn er davon ge­wusst hätte –, hat cecil sich lieber diese grausame Täu­schung einfallen lassen? Du hättest es mir sagen müssen, Giles!«

»Du weißt nicht, wie oft ich mir das schon vorgewor­fen habe, wie oft ich mir gesagt habe, dass man etwas hätte tun können. Aber er war überzeugt, dass dein Vater ihn nicht noch einmal freikaufen würde.«

»Und dass mein Leben dabei ruiniert wurde, spielte keine Rolle?«

»Ich habe nicht gewusst, dass du enterbt worden bist, ich habe erst Jahre später davon erfahren. Mein Vater hat es mir nie erzählt. Als ich ihn einmal deswegen zur Rede stellte, hat er mir geschworen, dass ihn das auch über­rascht hat. Außerdem warst du nicht ruiniert. Ich habe dich ein paar Jahre danach gesehen, hier in Frankreich. Ich hätte dich fast angesprochen, aber ich hatte den Eindruck, es ginge dir gut, und du wirktest recht wohlha­bend. Damit war ich meine schlimmste Sorge für einige Zeit los. Bis zu dem Tag hatte dein Schicksal mir auf der Seele gelegen.«

»Eindrücke können täuschen, Giles.«»Unsinn. Ich hatte keinen Zweifel, dass du dich durch­

schlagen würdest, ich brauchte nur eine Bestätigung. Du warst immer einfallsreich. Es gab nichts, was du nicht schafftest, wenn du es dir vorgenommen hattest. Ich habe dich verehrt. Ich wäre gern so wie du gewesen, aber ich bekam es einfach nicht hin.«

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»Zweitens«, sagte Sebastian, »du hast nicht bloß mein Leben ruiniert, sondern auch das meines Vaters.«

»Ach, zum Teufel!«, stöhnte Giles. »Ich habe mich nach unseren Familien erkundigt. Mein Vater hat aufge­hört zu spielen. Von dem Geld, das Douglas ihm gegeben hat, um seine Schuldgefühle zu lindern, hat cecil einiges gut investiert. Er hat aus seinen Fehlern gelernt. Und alle anderen sind froh und gesund …«

»Großer Gott, bist du wirklich so naiv? Hast du bei deinen ›Erkundigungen‹ auch herausgefunden, dass mein Vater sich nach dem Duell mit der eigenen Mutter ent­zweite? Hast du erfahren, dass er sich obendrein mit dei­nem Vater überworfen hat? Sie haben all diese Jahre nicht miteinander gesprochen! Und obwohl Juliette meinen Bruder am Ende doch noch geheiratet hat, hat sie sein Leben zerstört.«

Giles war blass geworden. »Gütiger Himmel, nein. Von all dem habe ich nichts gewusst.«

»Dann bist du als Ermittler genauso ein Versager wie als Freund!« Selbst John erbleichte bei dieser Beleidigung, aber Sebastian war noch nicht fertig. »Was hast du in den vielen Jahren anderes gemacht, als dich zu verstecken?«

»Ich habe meinen Sohn aufgezogen«, sagte Giles leise.Das bremste Sebastian. »Du hattest einen Sohn mit

dieser alten Frau, die du geheiratet hast?«, fragte Sebas­tian ungläubig.

»Nein. Ich habe Eleanor geheiratet.«

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Kapitel 50

Mussten Sie ihn unbedingt noch einmal bewusstlos schlagen?«, meckerte John. »Seine Geschichte fing ge­rade an, interessant zu werden.«

Sebastian würdigte ihn keiner Antwort.»Soll ich ihn wachrütteln?«, fragte John.»Von mir aus, aber wenn sein Kiefer wieder nicht ge­

brochen ist, muss ich es erneut versuchen.«Da hielt John sich zurück und ließ Giles auf dem Boden

liegen. »Ich weiß, was Sie denken«, sagte er gleich darauf. »Er ist all diese Jahre glücklich gewesen, verheiratet mit der Frau, die er liebt, zusammen mit seinem Sohn, wäh­rend Sie lediglich ein Vermögen angehäuft haben …«

»Jetzt red den Schaden bloß nicht klein, den er ange­richtet hat!«, fiel Sebastian ihm wütend ins Wort. »Ich bin nicht der Einzige, der unter dem, was er und sein Va­ter angerichtet haben, gelitten hat.«

»Er hat das Leben, das er kannte, aufgegeben, um das seines Vaters zu retten«, gab John zu bedenken. »Manche Leute würden das für nobel erachten.«

»Nobel?«, schnaubte Sebastian. »Er hat sich lediglich keinen anderen Ausweg einfallen lassen. Er hat einfach bei cecils lächerlichem Komplott mitgemacht, mit gera­dezu irrem Erfolg. Und danach hat er sich die ganze Zeit in der Vorstellung gesonnt, alles laufe wunderbar und nie­mand müsse auch nur das Geringste vermissen, bloß weil er sich geopfert hat. Zum Teufel, was für ein Opfer hat er denn gebracht? Er hat nur sein Leben weitergelebt und sogar Frieden und Erfüllung darin gefunden.«

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Giles stöhnte, setzte sich auf und fixierte Sebastian über den Raum hinweg. »Musstest du mich unbedingt noch einmal schlagen?«

»Sonst hätte ich dir den Hals umgedreht«, entgegnete Sebastian lakonisch.

»Schon gut«, sagte Giles abwehrend. »Aber, siehst du, wenn ich das alles gewusst hätte …«

»Was hättest du getan? Wärst du wieder aufgetaucht, um zu beweisen, dass du nicht tot bist? Dann muss ich dir leider etwas sagen, mein Freund. Das hätte die Kluft zwi­schen meinem Vater und mir auch nicht mehr schließen können. Du hättest vor dem Duell Mut zeigen sollen, be­vor dein Vater so viele Leben auseinander riss.«

»Mein Gott, Sebastian, es tut mir Leid. Doch die ein­zige Alternative, die mir damals einfiel, bestand darin, das Leben meines Vaters zu opfern. Und das konnte ich nicht tun. Ich bin alles andere als stolz auf meinen Part bei der Sache, und ich schäme mich, dass durch die Schwäche meines Vaters derart viele Menschen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Er ist jetzt eines Besseren belehrt, aber du sollst wissen, dass ich ihm das, was er da angerichtet hat, niemals verzeihen werde. Es ist mir gleich, ob ich ihn jemals wieder sehe.«

»Bring einfach deine Geschichte zu Ende, solange ich noch bereit bin, dir zuzuhören.«

Giles seufzte. »Da gibt es nicht mehr viel zu erzählen. Die alte Frau starb drei Jahre später und hinterließ mir ih­ren Hof. In der Zeit hatte ich mich an das Leben als Bauer gewöhnt, es gefiel mir sogar, wenn du es unbedingt wissen willst. Mittlerweile bereute ich allerdings, Eleanor verlo­ren zu haben. Zu spät war mir klar geworden, wie sehr ich sie liebte. Ich musste immer an sie denken. Schließlich habe ich Kontakt mit ihr aufgenommen. Ich konnte ein­fach nicht anders. Sie lief von zu Hause fort, um mit mir zusammenzuleben. In Schottland haben wir geheiratet.«

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»Also war diese Nachricht von ihrer cousine, dass sie gestorben sei, eine Lüge?«

Giles wandte sich ab und sagte mit stockender Stim­me: »Nein – das ist wahr. Sie wollte in Schottland leben. Es gefiel ihr dort, während ihr der Gedanke, die Frau eines Bauern zu sein, gar nicht behagte. Daher blieben wir bei ihrer cousine. Aber Harriet wohnte so verdammt weit weg von der Stadt! Eleanor starb bei der Geburt, bevor ich mit dem Arzt zurückkam. Da bin ich mit meinem Sohn auf meinen Hof in Frankreich gezogen und woh­ne seitdem hier. Komischerweise liegt der Bauernhof gar nicht weit südlich von hier. Ich war beim Getreideverkau­fen in einem Nachbarort, als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal vom Raben hörte.«

»Bist du deswegen hier? Um den Raben anzuheuern?«»In der Tat. Wenn ich eher gewusst hätte, dass du der

Rabe bist, wäre ich früher zu dir gekommen. Ja, eigentlich hatte ich schon darüber nachgedacht, dich anzuheuern, als ich zum ersten Mal von dir hörte. Doch ich musste noch dafür sparen, sonst hätte ich dich nicht bezahlen können.«

»Für was?«»Um dich für mich zu finden. Ich möchte bereits lange

reinen Tisch machen. Und als ich dich dann vor einigen Tagen in Le Havre sah und jemand mir sagte, du seist der Rabe, tja, das hat mich wirklich umgehauen. Und das ist sie, die ganze Geschichte.«

»Leider elf Jahre zu spät.«»Aber nun wird dein Vater dich doch wieder aufneh­

men, oder?«»Ich glaube, dafür ist es zu spät. Die Kluft zwischen

Douglas und mir ist mittlerweile viel zu tief. Bevor ich mich jedoch aufmache, um das herauszufinden, muss ich erst ein paar Ungereimtheiten klären.«

»Zum Beispiel?«

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»Zum Beispiel, warum Denton die Komplizin deines Vaters geheiratet hat, und warum sie ihm seitdem das Le­ben zur Hölle macht.«

»Hast du eine Vermutung?«»Nein, aber es passt mir verdammt noch mal nicht,

wenn etwas unerledigt bleibt. Und von ihr werde ich keine Antworten auf meine Fragen hören. Das habe ich schon versucht und nur Lügen aufgetischt bekommen.«

»Morgen Früh mach’ ich mich auf den Weg«, bot John an, »um das Gefängnis zu suchen, in dem ihr Bruder ist. Es scheint unsere letzte …«

»Pierre Poussin ist im Gefängnis?«, unterbrach Giles.Sebastian nickte. »Laut Denton hat er das Juliette zu

verdanken. Wir werden alle morgen Früh abreisen.«»Wir?«, fragte Giles.»Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich wieder

aus den Augen lasse, oder? Nicht bis das alles vorbei ist, schließlich bietest du mir immer noch eine letzte Mög­lichkeit, die Sache zu beenden.«

»Und wie?«»Na, indem ich dich umbringe. Nachdem ich den

Preis für deinen Tod bereits bezahlt habe, gibt es keinen Grund, dich nicht wirklich zu töten, nicht wahr?«

»Verdammt«, murmelte Giles. »Einer fiele mir ein. Dein Namensvetter. Mein Sohn.«

Beinahe hätte Sebastians leeres Brandyglas Giles am Kopf getroffen. »Du hast deinen Sohn nach mir benannt? Warum?«

»Nun, das ist doch offensichtlich. Auch wenn die Aus­wirkungen der Geschichte dich genauso getroffen haben wie mich, betrachte ich dich immer noch als meinen bes­ten …«

»Sag es nicht! Wag nicht einmal, es zu denken. Wenn wir den morgigen Tag ohne Blutvergießen überstehen wollen, sprich nie mehr davon.«

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Kapitel 51

Das Gefängnis wirkte wie eine mittelalterliche Festung am Ende der Welt, um die herum ein kleines Dorf ent­standen war. Als sie näher heranritten, wurde jedoch deut­lich, dass es sich nur um einen traurigen, schmucklosen Steinquader handelte, der gerade einmal zwei Stockwerke hoch war. Allerdings war er von hohen Mauern umgeben, und am einzigen Tor kontrollierten Wachen den Zutritt.

Herauszufinden, wohin man Pierre Poussin geschickt hatte, war einfach gewesen. In dieses Gefängnis hinein­zukommen, erwies sich als wesentlich schwieriger. Und zwar nicht, weil Besucher sich an bestimmte Zeiten hal­ten mussten, sondern weil Pierre krank war.

»Sie können gern warten«, erklärte ihnen die Wache freundlich. »Im Gasthof gibt es Zimmer. Dort freut man sich über jedes Geschäft. Aber ehrlich gesagt rechnet der Doktor nicht damit, dass Poussin die Woche übersteht.«

»Was für ein verdammtes Pech«, sagte John, als sie am Abend in der Schankstube am Tisch saßen und Bier tran­ken. Dann fragte er Sebastian: »Also, wie gehen Sie vor, mit List oder brutaler Gewalt?«

»Hä?«, warf Giles dazwischen. »Hab’ ich etwas ver­passt? Wollen wir nun abwarten oder nicht?«

»Wir warten nicht«, entgegnete Sebastian. »Ich werde den Mann sicherlich nicht sterben lassen, ohne mit ihm geredet zu haben.«

»Ah, ich habe also doch etwas verpasst«, meinte Giles. »Wie zum Teufel soll das funktionieren, wenn er sich nicht wieder erholt?«

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»Wir müssen ihn natürlich rausholen.«»Oh, natürlich!«, rief Giles sarkastisch. »Warum habe

ich bloß nicht daran gedacht? Vielleicht weil es bedeutet, dass …«, Giles machte eine verlegene Pause, als ihm alles klar wurde. »Ach, jetzt verstehe ich, List oder Gewalt. Ihr seid ja an solche Sachen gewöhnt, nicht wahr?«

Sebastian gab keine Antwort. Während Giles sich den ganzen Tag benommen hatte, als hätte es die vergange­nen elf Jahre gar nicht gegeben, konnte Sebastian sein Gedächtnis nicht einfach auslöschen. Daher sprach er so wenig wie möglich mit seinem ehemaligen Freund. Jedes Mal, wenn er versuchte, seinen Ärger zu überwinden und alle Umstände in Betracht zu ziehen, kam er nicht an der einen schlimmen Tatsache vorbei: Giles hatte unter den Folgen des Betruges, den er zugelassen hatte, überhaupt nicht gelitten, wohingegen alle anderen Beteiligten einen zu hohen Preis bezahlt hatten. Tief im Innern war er froh, dass Giles lebte, aber dieses Gefühl blieb hinter seinem Panzer verborgen und wurde nicht näher untersucht.

Als John merkte, dass Sebastian nicht vorhatte, etwas zu erwidern, ergriff er das Wort: »Ja, wir haben so etwas schon öfter gemacht. Obwohl die Zielpersonen bisher im­mer in der Lage waren, bei ihrem eigenen Verschwinden behilflich zu sein.« Und an Sebastian gewandt, fügte er hinzu: »Haben Sie das berücksichtigt? Dass Poussin viel­leicht hinausgetragen werden muss?«

»Ja, allerdings ist mir auch die Leichenhalle an der anderen Seite des Dorfes aufgefallen. Ich würde meinen, dort braucht man ein paar neue Mitarbeiter.«

»Ah, sehr schön. So geht’s.«»Was geht?«, wollte Giles wissen, doch er wurde igno­

riert.»Wir werden bis zur Wachablösung um Mitternacht

warten«, fuhr Sebastian fort. »Dann bekommen wir die ›Meldung‹, dass eine Leiche abgeholt werden soll, und

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zwar von einem der Wärter auf dem Nachhauseweg, wäh­rend die neue Wache noch gar nicht erfahren hat, dass Pierre gestorben ist.«

John nickte. »Viel sauberer, als sich den Weg hinein freizuprügeln.«

Mit finsterem Blick lehnte Giles sich zurück. »Und was soll ich machen, während ihr zwei das ausführt, was ihr gerade besprochen habt?«

»Diesmal bleibt John zurück«, entgegnete Sebastian. »Du wirst mit mir kommen. Die Sache ist riskant. Wenn wir gefangen werden, wird John wissen, was zu tun ist, wohingegen du hier nur herumsitzen und in deinen Teller weinen würdest.«

Giles lief rot an. »Du hältst ja wirklich nicht mehr viel von mir, nicht wahr?«

»Das hast du bemerkt?«

* * *

Einige Stunden später fuhren Sebastian und Giles mit dem Leichenwagen, den sie konfisziert hatten, am Ge­fängnistor vor. Wie erwartet beschwerten sich die beiden Wärter, dass die Abholung bis zum Morgen Zeit habe. Die Nachtwachen waren faul. Die meisten schliefen in der Spätschicht durch und wurden nicht gern gestört. Völlig unerwartet legte dagegen Giles einen richtig guten Auf­tritt hin, indem er zeterte und heulte, dass er seine neue Stelle verlieren würde, wenn er nicht mit dem Leichnam zurückkäme, nach dem er geschickt worden sei.

Sebastian hätte die Wachen einfach zusammengeschla­gen, aber auf diese Weise – mit einem Wachmann als Be­gleitung – sparten sie sich die Zeit und die Mühe, nach der Krankenstation suchen zu müssen, und kamen unter­wegs auch noch unbehelligt an einem anderen Wärter vorbei. Leider lagen vier Gefangene im Krankenzimmer. Mitten in der Nacht gab es dort weder Aufseher noch

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medizinisches Personal, doch ihr hilfsbereiter Begleiter war entschlossen, die Leiche für sie zu finden, und be­gann, in jedem belegten Bett nachzusehen.

Als er Pierre fand, rief er: »Aber er ist ja gar nicht tot! Was …?«

Offenbar glaubte Giles, er könne sich ein weiteres Mal nützlich machen, nahm den mit Wasser gefüllten Zinn­krug zur Hand, der neben Pierres Bett gestanden hatte, und knallte ihn der Wache auf den Kopf. Allerdings erreichte er mit dieser Großtat bloß, dass sie samt und sonders nass wurden und der Wachmann sich mit einem wütenden Knurren zu ihm umdrehte. Sebastian schätzte es gar nicht, zu dieser Jahreszeit in feuchter Kleidung he­rumlaufen zu müssen, doch Giles’ Einsatz war immerhin insofern hilfreich, als dass der Wachmann seine Pistole zückte und sie auf Giles richtete, wobei er Sebastian den Rücken zukehrte. So war es für ihn ein Leichtes, von hin­ten an den Kerl heranzutreten, ihm die Waffe zu entwin­den und derart fest überzuziehen, dass dieser bewusstlos zu Boden ging.

Glücklicherweise wurde keiner der Gefangenen von dem Gerangel geweckt. Der Wachmann wurde ins nächs­te leere Bett geschafft, wo er zumindest einen Teil der zu erwartenden Kopfschmerzen ausschlafen konnte. Dann legten sie Pierre schnell auf die Trage, die sie mitgebracht hatten.

»Was ist, wenn er auf dem Weg nach draußen er­wacht?«, fragte Giles. »Ich bezweifle, dass die anderen Aufseher es für eine himmlische Auferstehung halten werden, sollte er einen Laut von sich geben.«

»Falls du es beim Hochheben nicht gemerkt hast«, er­widerte Sebastian, »er glüht vor Fieber. Es muss schon ein Wunder passieren, damit er aufwacht.«

»Oh, hör mal, du glaubst doch nicht, dass seine Krank­heit ansteckend ist, oder?«

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»Dann wäre er isoliert worden«, sagte Sebastian schlicht. »Ich nehme das Fußende der Bahre. Wenn ich es loslassen muss, um uns den Weg freizukämpfen, achte darauf, dass er nicht runterfällt.«

Der Wachmann am Ende der Eingangshalle war sehr gewissenhaft. Nach ihnen hatte er die Tür sofort wieder verschlossen.

»Wo ist Jean?«, erkundigte er sich nach dem Wärter, den sie ausgeschaltet hatten.

Sebastian antwortete achselzuckend: »All die leeren Betten da drin waren eine zu große Versuchung für ihn. Er wollte ein kleines Nickerchen halten.«

Er hatte nicht damit gerechnet, dass diese Entschul­digung ausreichen würde, und so war es auch. »Wartet hier«, sagte die Wache und wandte sich der Krankensta­tion zu.

Sebastian ließ das Fußende der Bahre los und stellte dem vorbeigehenden Mann ein Bein. Der fiel hin, rollte sich jedoch ab und griff dabei nach seiner Pistole. Eine harte Rechte knallte seinen Kopf gegen den Boden. Es brauchte nur einen weiteren Schlag, um ihn vorerst außer Gefecht zu setzen.

»Wie halten deine Knöchel das bloß aus?«, fragte Giles.

»Für dich ist noch genug Haut dran«, erwiderte Sebas­tian leichthin, während er nach den Schlüsseln für die Tür griff.

»Was für ein Glück!«, entgegnete Giles.Fast hätte Sebastian gelächelt.Draußen angekommen, veranlasste das Fehlen ihrer

Eskorte den am Tor verbliebenen Wachmann, ihnen auf halbem Wege entgegenzueilen. Sebastian gab ihm nicht einmal die Möglichkeit, nach seinem Freund zu fragen. Die Bahre fiel erneut zu Boden.

»Das kam mir nicht sehr schwer vor«, bemerkte Giles,

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während sie Pierre auf den Wagen hoben, den sie vor dem Tor geparkt hatten.

»Es ist auch kein normales Gefängnis.«»Gibt es denn Unterschiede?«»Laut John, der sich in Paris die Unterlagen angese­

hen hat, werden hier keine Mörder hingeschickt, was erklärt, warum sie an Wachen sparen, sogar am Tag. Es gibt kein großes Risiko, daher weniger Wärter und viel lässigere Kontrollen.«

»Das hättest du mir aber eher sagen können«, brummte Giles, während er den Wagen in Richtung Leichenhalle lenkte, wo John mit einer Kutsche auf sie wartete.

»Warum? Damit du es für einen einfachen Spaziergang halten konntest? Es war trotzdem gefährlich, und wir sind auch noch nicht in Sicherheit. Wir müssen hier weg sein, bevor einer der Wachmänner zu sich kommt. Und hof­fen, dass Pierre diese Reise übersteht.«

»Aber wir sind ganz schön weit weg von den Ruinen, die du dein Zuhause nennst«, meinte Giles. »Ich glaube allerdings, mein Hof liegt nur wenige Stunden von hier. Ich könnte mich jedoch auch irren. Von der Küste aus bin ich noch nie so weit nach Osten gereist. Doch ich bin schon einmal in Paris gewesen, von da sind wir auf dem Weg nach Süden hier vorbeigefahren, und zwar auf derselben Straße, die ich benutze, um nach Hause zu kom­men.«

»Und?«»Der Privatlehrer meines Sohnes war früher Arzt«, er­

klärte Giles. »Oder hast du vor, diesen todkranken Mann selbst wieder gesund zu pflegen?«

»Zeig uns den Weg. Ich will nur ein paar Antworten von ihm. Danach kann er von mir aus sterben.«

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Kapitel 52

Was hältst du von dem rosafarbenen Tüllkleid?«, fragte Edna, während sie den Schrank nach einem Kleid durch­suchte, das Margaret anstelle ihres Reitkostüms anziehen konnte.

»Lieber hätte ich etwas Dunkles. Meine Trauerklei­dung ist weggepackt, oder?«

»Natürlich«, erwiderte Edna. »Du bist doch nicht mehr in Trauer.«

»Komisch, ich fühle mich aber so«, bemerkte Marga­ret mit einem Seufzer.

»Darf ich daraus schließen, dass dein Morgenritt dich nicht aufgemuntert hat?«, wollte Edna wissen.

»Sollte er das denn?«»Tja, früher tat er das«, entgegnete Edna schnippisch.

Schließlich sagte sie: »Und was ist mit diesem beigefarbe­nen Batistkleid mit den …?«

Margaret ließ ihrer Zofe etwas Zeit, die Beschreibung zu beenden, blickte dann jedoch über die Schulter, um he­rauszufinden, warum Edna verstummt war, und bemerkte bloß noch, wie sie eilig aus der Tür huschte – in der Se­bastian stand. Margaret wurde ganz still. Sein Anblick versetzte sie in geradezu unziemliche Erregung, ihr wurde schwindlig vor lauter Freude, wo sie doch geglaubt hat­te, sie würde ihn nie wieder sehen – zumindest nicht in England, und schon gar nicht so bald, nur knapp zwei Wochen nach seiner Abreise.

Allerdings hatte sie bereits beschlossen, dass sie ihn ein weiteres Mal treffen würde. Selbst wenn sie Jahre da­

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mit verbringen musste, ihn aufzuspüren, sie würde ihn fin­den, nur um ihm zu sagen – nun, so weit hatte sie noch nicht über ihren Entscheidung hinausgedacht.

Was eigentlich schade war, denn jetzt stand er da, und ihr fiel vor lauter überraschung nichts Besseres ein, als verwundert zu fragen: »Hast du etwas vergessen?«

»Ja.«Welch herbe Enttäuschung! Aber sie hatte keine Zeit,

darüber nachzudenken. Kaum hatte er das gesagt, kam er zielstrebig quer durch den Raum auf sie zu. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, bis er sie erreicht hat­te, sofort in die Arme zog und sie wie ein Verdurstender küsste.

Das war ganz und gar nicht enttäuschend! Im Gegen­teil, es kam ihrem Drang, sich in seine Arme zu stürzen, sehr entgegen. Sie hatte sich offensichtlich auch danach verzehrt, ihn wieder zu sehen, zu schmecken und zu be­rühren.

Dass sie beim Umkleiden neben ihrem Bett gestanden hatte, machte es Sebastian nur allzu leicht, sie mit sich auf die Laken zu ziehen. Er schob sein Knie zwischen ihre Beine und riss das Mieder auf. Dann presste er sein Ge­sicht schwer atmend an ihren Busen.

»Gott, ich habe deinen betörenden Duft vermisst …«»Du wirst mich jetzt aber nicht mit lüsternen Worten

verlegen machen, oder?«, unterbrach sie ihn schnell.Er stützte sich auf und lächelte sie wahrhaftig an.

»Würde dich das denn verlegen machen?«Sie hatte nicht das Herz, ihm die Wahrheit zu sagen,

wenn er sie so anlächelte. »Wahrscheinlich nicht.«»Das dachte ich mir. Doch ich lass’ mich gern auf ei­

nen Kompromiss ein«, flüsterte er, während seine Lippen zu ihrem Ohr wanderten. »Hast du dich schon um die Scheidung bemüht?«

Die Schauer, die seine Zunge aussandte, hinderten Mar­

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garet daran, klar zu denken, sonst hätte dieses Thema sie sehr gestört. Immerhin gelang es ihr, ein »Noch nicht« herauszubekommen.

»In dem Fall wüsste ich gern, was du davon hältst, das mit der Scheidung ganz zu lassen, Maggie?« Sie war sprachlos vor Staunen. Er fügte hinzu: »Das ist meine Art, dich um deine Hand zu bitten.«

Nun wurde er sehr still, denn er wartete angespannt auf ihre Antwort, während Margaret noch gar nicht fassen konnte, mit wie viel Glück sie plötzlich überhäuft wurde.

»Was hältst du davon, die Tür zu schließen?«, brachte sie schließlich heraus.

Mit einem Blick über die Schulter stellte er fest, dass er sie offen gelassen hatte. »Das ist meine Art, Ja zu sagen«, setzte sie rasch hinzu.

Er sah sie durchdringend an. Jetzt entdeckte sie das, was sie erst ein einziges Mal in seinen Augen gelesen hat­te, während er sie anblickte – Zärtlichkeit, und zwar so große, dass ihr der Atem stockte.

»Willst du mir etwa sagen, dass du mich liebst?«, fragte sie.

»Ich denke darüber nach.«Sie schnappte nach Luft und seufzte. Er lachte und

küsste sie innig, dann sprang er aus dem Bett und warf die Tür ins Schloss. Auf dem Rückweg riss er sich Jacke und Hemd herunter.

»Obwohl ich keinerlei Zweifel hatte …«, begann er.»Und ob du die hattest.«»… bin ich verdammt glücklich, dass du mich liebst,

Maggie.«»Willst du es gar nicht von mir hören, hm?«»Nein, nicht, wenn du nicht willst, aber wenn du es

willst, werde ich dich nicht aufhalten.«Sie lachte. »Natürlich tu’ ich das, du schrecklicher

Kerl.«

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Da stieg er wieder zu ihr ins Bett und zog sie eng an sich. Sein Kuss war überaus zärtlich, wurde jedoch sehr schnell leidenschaftlich und entflammte sie beide. Erstaunlich, wie schnell er ihre Begierde wecken konnte.

»Großer Gott, Maggie, ich hätte nie geglaubt, dass ich jemals so glücklich sein würde. Ich liebe dich sehr, mein Schatz, mehr als ich je für möglich gehalten hätte.«

Ihr fiel ein, dass sie ihn sogar noch glücklicher machen konnte. »Ich sollte vielleicht erwähnen …«

»Das kann warten«, entgegnete er, während er sie zwi­schen den Küssen eilig aus den Kleidern schälte. »Wir ha­ben eine Verabredung in Edgewood, aber die kann auch warten. Alles wird warten müssen – bis auf das.«

Mit diesen Worten drang er in sie ein und erstickte ih­ren Freudenschrei mit seinem Mund. Die »Verabredung« in Edgewood hatte sie zwar ein klein wenig neugierig ge­macht, doch er hatte ganz Recht. Das und alles andere konnte warten.

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Kapitel 53

Margaret war noch nie in ihrem Leben derart ge­drängt worden. Nicht während des Liebesspiels. Oh nein, dabei hatten sie ihren ureigenen Rhythmus gefun­den, und eigentlich hatte das unbeschreibliche Ausmaß ihrer Leidenschaft sogar zu einem recht schnellen Ende geführt, was sie im Nachhinein öfter erröten ließ. Doch nichts hätte das aufhalten können, so sehr hatten sie sich nacheinander gesehnt.

Aber während sie am liebsten liegen geblieben wäre, um auszukosten, was gerade geschehen war, scheuchte sie Sebastian auf: »Dafür hatten wir unter den gegebenen Umständen gar keine Zeit. Ich bin zwar vorausgeritten, doch wir werden trotzdem zu spät kommen. Beeil dich.«

Sie versuchte es, wirklich, da sie jedoch nicht wusste, warum er sie derart drängte, kleidete sie sich auch nicht ganz so hastig an wie er. »Wenn du mir nur in einem ein­zigen Satz erklären könntest, was …«

»Nein, dann hättest du hundert andere Fragen, wo wir nicht einmal Zeit für eine haben. Außerdem wirst du bald alle Antworten bekommen, also beeil dich!«

Er zog sich fast so schnell an, wie er sich ausgezogen hatte. Dann war er ihr behilflich und ließ sie einfach ihr saphirblaues Reitkostüm überstreifen, weil es am Fußende des Bettes lag und am schnellsten zur Hand war. Ein Knopf war noch offen, und ihre Füße steckten ohne Strümpfe in den Stiefeln, als er sie aus der Tür zerrte!

Sebastian hatte bereits dafür gesorgt, dass ihr Pferd wieder aus dem Stall gebracht wurde. Sie war enttäuscht!

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Sie hatte gehofft, wenigstens während der Kutschfahrt etwas aus ihm herauszubekommen, aber wenn man quer­feldein galoppierte, konnte man sich natürlich nicht un­terhalten.

Als Edgewood in Sicht kam, war sie etwas zurückgefal­len, bemerkte jedoch, dass eine Kutsche in die Auffahrt einbog. Sebastian hielt erst an, als er die Eingangstür er­reicht hatte. Allerdings wartete er dort auf sie und half ihr beim Absitzen.

»Wir haben es doch noch rechtzeitig geschafft«, sagte er. »Erstaunlich, nachdem du uns so aufgehalten hast.«

»Ich!«, empörte sie sich. »Habe ich mich etwa auf dich gestürzt, du Ekel?«

»Aber du hattest auch nichts dagegen.«»Das steht hier nicht zur Debatte«, antwortete sie un­

gnädig.Er lächelte und tätschelte ihr die Wange. »Eins verspre­

che dir, das nächste Mal, wenn wir im Bett sind, wirst du stunden­ oder gar tagelang nicht mehr rauskommen.«

Margaret lief dunkelrot an, denn die Kutsche war hin­ter ihnen zum Stehen gekommen, und John und Timo­thy, die gerade ausstiegen, hätten mithören können, was Sebastian eben gesagt hatte. Allerdings ließen sie sich nichts anmerken und begrüßten sie herzlich. Dann wur­de sie von den anderen Passagieren abgelenkt, die nach ihnen aus der Kutsche kamen. Es waren drei Männer, von denen zwei irgendwie amtlich wirkten, denn sie trugen Uniformmützen, die Margaret an die Kopfbedeckung fran­zösischer Gendarmen erinnerten.

Es war noch jemand in der Kutsche, von dem man nur die Silhouette sah, aber Henry hatte bereits die Tür geöff­net und sagte: »Willkommen zu Hause, Sir. Die Familie nimmt gerade das Mittagessen ein.«

»Sind alle da?«, fragte Sebastian.»Ausnahmsweise ja.«

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»Wunderbar. Sie brauchen uns nicht anzukündigen.«Sebastian nahm Margarets Arm und führte sie direkt

ins Esszimmer. Die anderen folgten ihnen. Wortlos bot er ihr einen Stuhl an, ließ sie Platz nehmen und setzte sich dann neben sie.

Timothy ging sofort zu Abigail und umarmte sie. Die alte Dame strahlte vor Freude. Jetzt verstand Margaret, wa­rum Abigail immer noch Trübsal geblasen hatte, obwohl sie sich endlich mit Douglas versöhnt hatte, nachdem er ihr das gestanden hatte, was er auch Margaret anvertraut hatte. Abigail hatte Timothy ins Herz geschlossen.

John hatte sich an die Tür zur Küche gestellt. Einer der anderen Männer ging zur Terrassentür, die auf den hinte­ren Rasen hinausführte. Die übrigen beiden blieben an der Tür zur Eingangshalle stehen. Es wurde sehr schnell klar, dass alle Ausgänge blockiert werden sollten, aber nie­mand wusste, warum.

Douglas erhob sich und fragte: »Was soll das?«»Dies ist eine Aufräumaktion«, erklärte Sebastian.

»Eine längst überfällige.«»Das musst du schon etwas genauer begründen«, ent­

gegnete sein Vater.»Selbstverständlich, du wirst deine Erklärung bekom­

men. Doch erst einmal wollen wir den Dreck loswerden«, sagte Sebastian und deutete mit dem Kopf auf Juliette.

Nun erst schaute Margaret zu der Französin hin und stellte fest, dass sie leichenblass einen der Männer an der Tür anstarrte. Ein anderer trat hinter ihren Stuhl und las ihr eine lange Liste von Anschuldigungen vor, dann verhaftete er sie und brachte sie aus dem Zimmer. Sie ließ sich wortlos abführen. Keine Hysterie, kein Ge­schrei, nichts von dem Theater, für das sie bekannt war. Dieses eine Mal war Juliette völlig eingeschüchtert, und das lag an dem Mann, den sie die ganze Zeit angeblickt hatte.

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»übrigens, Denton«, sagte Sebastian, während er seinem Bruder ein Dokument zuwarf. »Das ist ein Schei­dungsurteil, das du bloß unterschreiben musst. Eine kleine Gefälligkeit von einem der Männer, die deine Frau zu er­pressen pflegte – aus Dankbarkeit dafür, dass er nun frei ist von dem Verbrechen, das er begangen zu haben glaubte. Vorausgesetzt, du willst die Scheidung immer noch.«

Denton schien das nicht glauben zu können. »Selbst­verständlich, aber – wie ist das möglich, ohne dass man vor Gericht muss?«

»Genauso wie sie ihren eigenen Bruder ohne Gerichts­beschluss ins Gefängnis gebracht hat. Eines ihrer Opfer war ein hoher französischer Beamter. Ich habe euch ja gesagt, dass es eine Aufräumaktion wird. Pierre, möchtest du anfangen?«

»Gern«, sagte Pierre Poussin und stellte sich vor. »Zu­nächst sollte ich Ihnen vielleicht einiges von meiner Schwester erzählen. Sie hat als Schauspielerin Karriere gemacht, was zwar viel Geld einbrachte, aber nichts mit dem Theater zu tun hatte. Sie erpresste mindestens ein halbes Dutzend wichtiger Persönlichkeiten in Paris. Kei­ner von ihnen hatte wirklich etwas verbrochen, Juliette hatte einfach nur kleinere Dramen inszeniert und so über­zeugend gespielt, dass die Leute glaubten, mit dem Ge­setz in Konflikt geraten zu sein. Ganze Heerscharen von Freunden halfen ihr dabei. Ihr Lieblingstrick war, einen ihrer Komplizen mit dem Opfer einen Streit anfangen zu lassen, bis diese Person ihn schubste oder schlug. Dann ließ der Komplize sich fallen, wobei er einen versteckten Beutel mit Blut öffnete, damit es dramatischer aussah. Nun erklärte man ihn für tot und warf der unschuldigen Person vor, ihn umgebracht zu haben. Natürlich bot Juli­ette anschließend an, den Schlamassel zu beseitigen. Un­gefähr einen Monat später ging sie ihr Opfer schließlich um Geld an.«

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»Haben Sie dabei mitgemacht?«, fragte Douglas.»Nein, ich habe das, was sie tat, nie gutgeheißen.

Doch ich war ihr bevorzugtes Publikum. Mit allem, was sie angerichtet hat, wollte sie vor mir angeben. Das Aus­maß ihrer Betrügereien machte mich ganz krank. Wenn ich ihr sagte, wie falsch das war, was sie tat, hörte sie ein­fach nicht hin. Sie lachte bloß. Sie hat sich allen Ernstes darüber amüsiert, dass Menschen so naiv sein können. Daher war ich zu der überzeugung gelangt, dass ich ihr das Handwerk legen musste. Ich hatte sie sogar wochen­lang verfolgt, um die Namen der Männer herauszubekom­men, die sie erpresste. Ich wollte sie alle an einem Ort zusammenführen, um Juliette öffentlich anzuprangern. Aber dann kam sie eines Tages völlig verändert zu mir. Ich konnte nicht feststellen, was genau an ihr anders war, bis sie selbst darauf zu sprechen kam.«

Er nickte Denton zu, dem das Blut in die Wangen schoss, als alle Augen sich auf ihn richteten. »Um Him­mels willen, ich kann mich kaum an unser erstes Treffen erinnern! Ich war völlig betrunken. Sie behauptete …«

»Das wissen wir«, unterbrach Sebastian ihn. »Lass Pierre zu Ende reden.«

»Für sie war es Liebe auf den ersten Blick«, fuhr Pierre fort. »Sie verzehrte sich geradezu nach ihm. Es war kaum zu glauben, dass so etwas möglich war, und doch hatte ich keinen Zweifel daran, dass eine Frau wie sie, eine Frau ohne Herz und ohne Moral, urplötzlich derart liebte – im ersten Moment hatte ich Mitleid mit dem Objekt ihrer Be­gierde. Ich warnte sie, dass ein Mann seiner gesellschaft­lichen Stellung sich niemals dazu herablassen würde, sie zu heiraten. Sie entgegnete, sie werde auf jeden Fall nach England gehen, man habe ihr einen Weg gezeigt, wie sie Lord Townshend in eine Ehe locken und obendrein noch einen hübschen Titel bekommen könne. Mein Fehler war, dass ich versuchte, ihr das auszureden. Und als es mir

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nicht gelang, sagte ich ihr, ich müsse sie aufhalten. Keine drei Stunden später wurde ich verhaftet und direkt in das Gefängnis verfrachtet, in dem ich seither lebte.«

»Sie hat wirklich ihren eigenen Bruder ins Gefängnis werfen lassen?«, fragte Douglas ungläubig.

»Mein Gefängnisaufenthalt war für sie lediglich ein probates Mittel, mich davon abzuhalten, ihr in die Quere zu kommen«, erwiderte Pierre. »Daran, dass ich leiden könnte, dachte sie gar nicht.«

»Nehmen Sie sie etwa noch in Schutz?«»Nein, sie hat einfach immer nur an sich gedacht.«»Sie armer Mensch«, sagte Abigail mitfühlend.»Oh nein, Madame, das Gefängnis war überhaupt

nicht so schlimm. Darauf hat der von seinem schlechten Gewissen geplagte Beamte, der mich dort eingewiesen hat, geachtet. Ich wurde zwar festgehalten, doch es war nicht wie in einem richtigen Gefängnis. Wir waren eine Gemeinschaft von Freunden, eher eine große Familie. Bis eine Wunde an meinem Fuß sich entzündete und ich sehr krank wurde.«

Sebastian sagte: »Wenn wir ihn da nicht rausgeholt hätten, wäre er wahrscheinlich in ein oder zwei Tagen gestorben.«

Pierre hüstelte. »Aber woher wusstest du, dass du ihn ›da rausholen‹ musstest?«, wollte Abigail wissen.

»Denton hat uns geschickt.«»Heißt das, ich habe einmal in meinem Leben etwas

richtig gemacht?«, fragte Denton voller Selbstekel.»Was sollte das eigentlich bedeuten, dass Juliette ein

Weg gezeigt worden ist, Denton zu täuschen?«, wollte Douglas wissen.

Pierre nickte wieder Denton zu. »Leute, die ihn kann­ten, wussten, dass er Ressentiments gegenüber seinem Bruder hegte. Meiner Schwester wurde beschrieben, wie sie diese Information nutzen konnte, um Denton zu einer

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Heirat zu zwingen, falls es ihr nicht auf normalem Wege gelang, ihn in die Ehe zu locken.«

»Mein Gott.« Denton wurde blass. »Genau das hat sie getan. Ich war in der ersten Nacht so betrunken, dass ich nichts mehr davon wusste. Daher konnte ich sie später auch nicht als Lügnerin entlarven.«

Sebastian hob eine Augenbraue. »Hast du ernsthaft geglaubt, du hättest dich auf so einen gemeinen Handel eingelassen?«

»Nein! So etwas hätte ich nie erlaubt oder auch nur vorgeschlagen, unter gar keinen Umständen. Aber es war derart kompliziert, was sie da vorhatte: Giles zu heiraten, damit sie dich verführen und so ein Duell zwischen euch beiden erzwingen konnte. Wer hätte geglaubt, dass sie das alles getan hat, ohne dass irgendjemand ihr etwas dafür versprochen hätte? Und sie drohte, allen zu erzählen, dass die ganze Sache meine Idee gewesen sei. Ihr wisst über­haupt nicht, wie oft ich mir vorgeworfen habe, dass ich vielleicht etwas gesagt habe, was sie missverstanden hat oder …«

»Hör auf, dir die Schuld zu geben, Denton. Man hat ihr tatsächlich Versprechungen gemacht, aber du warst es nicht.«

»Und trotzdem ist es meine Schuld«, entgegnete Den­ton. »Sie hat das aus Liebe zu mir gemacht. Und der Witz ist, nun hasst sie mich schon seit Jahren. Der einzige Grund, warum sie immer noch hier ist, besteht darin, dass sie mir das Leben zur Hölle machen will.«

»Das war wohl kaum ihr einziger Grund«, sagte Pierre. »Wir beide sind in den Armenvierteln von Paris groß ge­worden. Dieses Haus hier«, er machte eine ausladende Handbewegung, um anzudeuten, wie feudal es wirkte, »und die gesellschaftliche Stellung, die es mit sich bringt, ist das, was sie stets gewollt hat. Freiwillig wäre sie hier nie mehr weggegangen, niemals. Aber offensichtlich hat sie

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sich diese große Liebe, die sie mit Ihnen erleben wollte, bloß eingebildet. Wenn Sie ihre Zuneigung nie erwidert haben, wird sie Sie dafür verantwortlich gemacht haben, dass ihre Träume zerstört sind, und sich aus lauter Rache vorgenommen haben, Ihr Leben zur Hölle zu machen, wie Sie es sagen.«

Denton stöhnte. »Was für eine perverse Art von Liebe ist denn das, Menschen umbringen zu lassen …«

Sebastian unterbrach ihn: »Sie hat Verbrechen began­gen, für die sie lange Zeit eingesperrt werden wird, doch sie ist nie für den Tod eines Menschen verantwortlich gewesen.«

»Giles ist tot«, rief Denton, »und wenn du keinen di­rekten Zusammenhang mit ihr …«

»Ich glaube, das ist mein Stichwort«, sagte Giles, der im Türrahmen aufgetaucht war.

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Kapitel 54

Als das ungläubige Staunen etwas abgeflaut war, wur­de Giles mit Fragen bestürmt. Sebastian hörte nur mit halbem Ohr zu, wie Giles erneut seine Geschichte zum Besten gab, während Pierre hier und da eine fehlende Information beisteuerte, insbesondere die, dass cecil Ju­liette beschrieben hatte, wie sie Denton zur Heirat zwin­gen konnte. Außerdem hatte er ihr noch eingeredet, dass am Ende sogar ein hübscher Titel dabei herausspringen könnte, so sicher war er gewesen, dass Douglas seinen Sohn wegen des Duells enterben würde. Und genau diese Versprechung war es gewesen, die Juliette schließlich überzeugt hatte, bei der Sache mitzumachen – wobei er diesen Teil des Plans seinem Sohn verheimlicht hatte.

Giles nahm seinen Vater nicht in Schutz, er schilderte seinen Zuhörern einfach genau das, was er Sebastian be­reits erzählt hatte. Eines allerdings hatte er noch für cecil getan. Er hatte ihn vorgewarnt, dass er nach Hause kom­men würde, um sowohl sein eigenes als auch Sebastians langes Exil zu beenden. Niemanden wunderte es, dass ce­cil daraufhin lieber aus England verschwunden war, an­statt sich der allgemeinen Missbilligung auszusetzen, die ihm aufgrund seiner Machenschaften blühte. Sebastian ärgerte sich darüber, dass Giles’ bloße Anwesenheit jahre­lange Zwistigkeiten wie durch Zauberhand beendete.

»Douglas und Abigail hatten sich schon vorher wieder ausgesöhnt«, flüsterte Margaret ihm zu.

Konnte sie jetzt bereits seine Gedanken lesen? Unter dem Tisch hatte sie die ganze Zeit seine Hand gehalten,

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oder besser gesagt, er hielt ihre. Er wollte einfach nur mit ihr verschwinden. Seine Aufgabe war erledigt. Zusehen zu müssen, wie schnell Giles vergeben wurde und wie man ihn erneut zu Hause aufnahm, drehte ihm den Magen um.

»Ich habe deinen Vater überreden können, mit der Selbstbestrafung aufzuhören«, fuhr Margaret fort, als ob er wüsste, wovon sie sprach.

»Wie bitte?«»Das hat er nämlich all die Jahre gemacht, weißt du?

Er hat sich absichtlich von den zwei Menschen fern ge­halten, die ihn hätten trösten können. Jetzt hat man zwar nicht mehr den Eindruck, dass cecil ihm tatsächlich eine Hilfe gewesen wäre, aber …« Und dann schnappte sie nach Luft, denn sie hatte mit halbem Ohr Giles zugehört. »Ein Sohn! Ich habe einen Neffen?«

Vor lauter Freude begann sie zu weinen. Sebastian ver­drehte die Augen, doch er zog ihren Stuhl näher heran, damit er sie in den Arm nehmen konnte. Und sie war nicht die Einzige, die weinte. Auch Abigail liefen die Trä­nen hinunter. Und Douglas grinste wie ein Honigkuchen­pferd. Verdammter Mist, er musste verschwinden, ehe diese rührselige Stimmung auf ihn abfärbte.

Er stand auf, um zu gehen, und sagte Margaret nur: »Komm.«

Verwirrt blickte sie zu ihm auf. »Du machst Witze, oder?«

»Alles andere als das.«»Aber – ach Gott!« Sie erriet, was ihn bewegte. »Du

hast Giles noch nicht verziehen, nicht wahr?«»Sollte ich das etwa?«»Nun … ja.« Sie zog ihn wieder auf den Stuhl zurück.

»Deinem Bruder wirfst du ja auch nicht vor, dass man ihn getäuscht hat. Wieso ist das bei Giles anders, wo er doch das, was er gemacht hat, aus Liebe und Loyalität zu seinem Vater getan hat?«

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»Dentons einziges Vergehen war, ein hübsches Ge­sicht zu haben, in das Juliette sich verguckt hat. Er hat in all diesen Jahren genauso viel gelitten wie ich und keinen Ausweg gesehen. Giles dagegen hat überhaupt nicht gelit­ten und hätte jederzeit nach Hause kommen können, um allem ein Ende zu setzen.«

Sie runzelte die Stirn. »Es geht gar nicht um Giles, oder?«

»Reiz mich nicht, Maggie.«»Aber natürlich werde ich das«, erwiderte sie. »Ich

bin jetzt deine Frau, und ich werde es nicht dulden, dass du unglücklich bist.«

Erst starrte er sie an, dann musste er laut lachen. Bei Gott, sie meinte es ernst. Sie war einfach unbezahlbar. Ein Schatz, den er nicht verdiente, doch sie war seine chance, glücklich zu werden, und deshalb würde er sie nie mehr loslassen.

Er stand wieder auf, zog sie hoch und küsste sie. »Wir können das zu Hause besprechen.«

»Dies ist dein Zuhause!«»Nicht mehr. Beruhige dich, Maggie, es ist alles in Ord­

nung, wirklich. Jetzt, wo ich dich habe, spielt alles andere keine Rolle mehr.«

Zärtlich legte sie ihre Hand an seine Wange. »Du bringst mich noch zum Weinen, wenn du solche Dinge sagst.«

»Solange du dabei lächelst, werde ich ein paar Tränen wohl aushalten können«, versetzte er trocken.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte Douglas hinter ihnen.Sebastian versteifte sich. »Nein. Maggie und ich woll­

ten gerade gehen.«»Warum denn?«Sebastian schloss die Augen. Nur ein paar Sekunden,

und das Kommende wäre ihm erspart geblieben.»Weil das hier«, sagte er mit einer Handbewegung zu

Giles hin, »nichts ändert.«

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»Da stimme ich dir zu«, entgegnete Douglas überra­schenderweise. »Ich war damals schon verstimmt über cecils Schwäche und seinen Mangel an Selbstbeherr­schung. Er verspielte Geld, das er gar nicht mehr hatte. Er hatte ja bereits alles verloren. Als ich mit der über­schreibungsurkunde für sein Haus zu ihm ging, hoffte ich, dass ihn das zum Nachdenken brächte, dass ihm klar würde, was er da tat, und dass er dann damit aufhören würde. Natürlich hätte ich ihm noch einmal geholfen, wenn er zu mir gekommen wäre und mir gesagt hätte, dass sein Leben in Gefahr sei. Aber Giles hat Recht. Ich merkte bereits, dass cecil einen leisen Groll gegen mich hegte. Er nahm mir übel, dass ich viel mehr hatte als er. Es wundert mich nicht, dass er lieber einen Betrug einfädelte, damit ich seine Schulden bezahlte, als mich einfach ein weiteres Mal um Hilfe zu bitten. Doch ich hätte nie gedacht, dass er sich so etwas Schlimmes einfal­len lassen würde. Ich habe unsere Freundschaft beendet, als er nach Giles’ vorgetäuschtem Tod hier auftauchte, um noch mehr Schuld auf mich zu laden. Als hätte ich nicht schon genug zu tragen gehabt. Ich habe niemals verstanden, wie er die Frechheit besitzen konnte, das zu tun, aber das Geheimnis hast du nun aufgeklärt. Bist du nicht stolz darauf?«

»Worauf? Dass Giles von den Toten auferstanden ist? Das hätte er auch allein geschafft. Oder dass Denton aus dem Joch der Ehe befreit ist? Das hätte er ebenfalls allein hinbekommen.«

»Keiner von beiden hat es jedoch getan. Erst du hast diesem Albtraum ein Ende bereitet.«

»Ich bin also ein Held? Komisch, dass es sich nicht so anfühlt, Vater. Es fühlt sich immer noch so an, als wäre ich der tote Sohn.«

Er sagte es leichthin, aber es schmerzte ihn so sehr, dass er fast daran erstickt wäre. Er nahm Margaret bei der

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Hand und zerrte sie mit sich. Sie versuchte, ihn aufzuhal­ten, doch nichts konnte ihn bremsen. Er musste raus …

»Sebastian!«Wieder dieser Tonfall, der stets funktioniert hatte – so

auch jetzt. Sebastian blieb stehen, drehte sich allerdings nicht um.

»Du hast mir nie die Gelegenheit gegeben, das zu sa­gen«, fuhr Douglas fort. »Du tust es immer noch nicht, aber ich werde dich kein weiteres Mal fortlassen, ohne dass du es hörst.«

»Nicht«, flüsterte Sebastian.Douglas überging ihn. »Was ich an jenem Tag sagte,

habe ich nicht so gemeint. Der Grund für meine Wut war dein Leid. Ich konnte dich nicht so trauern sehen. cecil hat mich falsch beurteilt, als er Juliette glauben machte, dass der Mann, den sie sich ausgesucht hatte, am Ende mein einziger Erbe sein würde. Er glaubte mich derart gut zu kennen, dass er voraussagen konnte, wie ich reagieren würde. Und obwohl es so kam, wie er es ge­plant hatte, geschah es doch aus einem anderen Grund. Ich hätte meinen Fehler noch am selben Tag korrigiert, wenn ich dich gefunden hätte. Aber du warst auf der Stelle gegangen.«

Sebastian legte den Kopf in den Nacken und schaute an die Decke. Schluck die Lüge und – nein, sie würde sich ausbreiten wie ein Geschwür und alles überwuchern. Es gab keine Lösung. Giles war von den Toten auferstanden. Sebastian nicht.

Er blieb stumm. Im Zimmer war es still geworden, denn alle warteten auf seine Antwort, aber was er auch entgeg­nen würde, es würde ihn zerreißen.

»Ich habe dir ja gesagt, dass er mir nicht glauben wird, Maggie«, meinte Douglas.

»Ja, das hast du«, erwiderte sie, dann stupste sie Se­bastian in die Rippen. »Hörst du überhaupt zu, du Ekel?

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Dein Vater hat mir das alles schon letzte Woche erzählt, als Giles noch tot war.«

»Oh je!«, rief Timothy auf der anderen Seite des Zim­mers. »Das ist dein Vater? Das ist jedoch nicht der Mann aus dem Stall, der behauptet hat, sein Sohn ist tot.«

Entgeistert drehte Sebastian sich zu dem Knaben um, der daraufhin heftig errötete. John stellte sich hinter Ti­mothy und zog ihn sanft an einer Haarlocke.

»Dich schicken wir jedenfalls nicht mehr zum Spionie­ren, mein Junge«, sagte John.

»Ich habe doch nur einen Fehler gemacht!«, protes­tierte Timothy.

»Aber einen richtig dicken.«»Hast du nun begriffen?«, wollte Margaret von Sebas­

tian wissen.»Dass ich mich von Vermutungen habe leiten lassen,

ohne ihnen auf den Grund zu gehen?«, entgegnete er.»Ähnlich wie Giles, hm?«»Lass diesen Mistkerl aus dem Spiel!«Sie seufzte. »Also schön, eines nach dem anderen.

Wenn du jetzt allerdings nicht deinen Vater umarmst und ihm auf der Stelle vergibst, muss ich mich wohl doch noch von dir scheiden lassen.«

»Die chance hast du vertan, meine Liebe.«»Dann vertu deine nicht.«Er schaute seinen Vater an. Douglas’ Gesicht war aus­

druckslos, beinahe verschlossen, denn er hatte Angst, et­was zu sagen, das die Waage zur falschen Seite neigen ließ. Bei Gott, das hatte Sebastian mit seinem Panzer um seine Gefühle ebenfalls gemacht, aber sein Panzer war gerade zerbrochen.

»Ich habe dich vermisst«, sagte er einfach.Da fiel Douglas’ Abwehr in sich zusammen. Er legte die

Arme um Sebastian und drückte ihn fest. »Willkommen zu Hause, mein Sohn.«

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Diese wenigen Worte machten Jahre des Schmerzes ungeschehen. Tränen stiegen in Sebastian auf, unkontrol­lierbar, und dann fiel sein Blick auf seinen alten Freund, der hinter Douglas stand und ihn glücklich anlächelte.

»Giles, ich bringe dich noch mal um«, sagte er leiden­schaftslos.

Giles grinste frech. »Wie oft hast du das jetzt schon ge­sagt? Du weißt, dass du froh bist, mich wiederzuhaben.«

Denton kam dazu und nahm Sebastian ebenfalls in den Arm. »Schön, dass du hier bist. Ich werde dir helfen, den Mistkerl umzubringen.«

Sebastian lachte. »Das ist nun vorbei. Mach etwas aus deinem Leben. Diesmal suchst du dir ein nettes Mädchen zum Heiraten – aber Maggie kannst du nicht haben. Die behalte ich.«

Margaret strahlte, sie platzte vor Stolz über ihre Rol­le bei dieser Familienzusammenführung. Wenn sie nicht angenommen hätte, dass Douglas’ Leben in Gefahr war, und nicht auf Abigails Drängen gehört hätte, hätte sie nie versucht, den berüchtigten Raben anzuheuern – bei dem sie am Ende die Liebe fand.

* * *

»Fühlst du dich jetzt wirklich zu Hause?«, fragte sie ihren Mann einige Zeit später.

Margaret hatte ihn auf den Balkon geschleppt, den seine Mutter so gern gehabt hatte, und stand mit dem Rücken an seine Brust gelehnt, während er die Arme um sie geschlungen hatte. Gemeinsam schauten sie auf die Winterwellen, die sich an der Küste brachen. Es war kühl, aber er hatte genug Hitze für sie beide.

»Ich war in dem Moment zu Hause, in dem du mir ge­sagt hast, dass du mich liebst, Maggie. Mein Zuhause ist da, wo du bist.«

Sie drehte sich um und schlang die Arme um seinen

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Hals. »Ich bin froh, dass meiner Schwester noch etwas Glück mit Giles beschieden war, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich wünschte bloß, sie hätte mir genug vertraut, um es mir zu erzählen.«

»Wahrscheinlich hat er sie mit seiner Angst ange­steckt, dass du etwas ausplaudern könntest.«

Sie sah zu ihm auf. »Nicht jeder kann wie du sein.«Er hob eine Braue. »Wie ich?«»Einer, der dem Tod ins Auge sieht.«Er schnaubte. »Es ist leicht, mutig zu sein, wenn du

nichts zu verlieren hast. Nun, da ich einen Schatz besitze, werde ich mich zu einem ausgemachten Feigling entwi­ckeln.«

Sie kicherte. »Unsinn. Aber du hast Giles verziehen, nicht wahr? Er ist der Vater meines Neffen. Ich möchte ihn so oft wie möglich sehen.«

Sebastian seufzte. »Ich werde mich zusammenreißen, jedoch nur, weil er seinen Sohn nach mir benannt hat.«

»Hat er das? Und wie sollen wir unseren Sohn nen­nen?«

»Bist du …?«»Nein, ich wär’s allerdings gerne.«»Großer Gott, Maggie«, stöhnte er, und unvermittelt

fühlte sie sich von seinen starken Armen emporgehoben. »So etwas solltest du kurz vor dem Abendessen aber nicht sagen, wenn du Hunger hast.«

Sie lachte glücklich, als er sie in ihr altes Schlafzimmer trug, das früher seines gewesen war. Wie passend, dass sie es sich jetzt teilten.

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Johanna Lindsey

Wagnis der LiebeRoman

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Erscheinungstermin: Juli 2007

Lady Margeret, bezaubernde Tochter eines englischen Grafen, tut alles, um die Ehre ihresVormunds, des Grafen von Edgewood, zu retten. Sie sucht Hilfe bei seinem Sohn, SebastianTownsend, ehemals ein charmanter und begehrter Junggeselle in der Grafschaft Kent,inzwischen ein berühmter und berüchtigter Söldner in Frankreich. Seinen Widerstand bricht siemit einem skandalösen Angebot. Kann Sie ihn durch ihre Liebe auch überzeugen, sein Herz zuöffnen?