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Was Macht Schule? Schule als gestalteter Raum

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Ute Clement • Verónica Oelsner (Hrsg.)

Was Macht Schule? Schule als gestalteter Raum

Fallbeispiele aus Argentinien

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HerausgeberUte ClementUniversität Kassel

Verónica OelsnerBerlin, Deutschland

ISBN 978-3-658-11700-9 ISBN 978-3-658-11701-6 (eBook)DOI 10.1007/978-3-658-11701-6

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra e; detaillierte bibliogra sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer VS© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmungdes Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa-tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind.Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oderimplizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen.

Lektorat: Stefanie Laux, Stefanie Loyal

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)

Kassel, Deutschland

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Inhalt

Teil I Einleitung

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Ute Clement und Verónica Oelsner

„Man gibt und nimmt gleichzeitig. Das ganze Leben lang ist das so“. Erinnerungen der Lehrerin María Clara Eufracia Galmarini de Astarloa . . . . . 7Milagros Dogliotti

„Ich gehe doch aus dem gleichen Grund zur Uni wie alle anderen auch…“ – Interview mit Flora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Mercedes Machado und Orsina Kather

Teil II Was Macht Schule?

Das argentinische Bildungssystem: Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Verónica Oelsner

Von der Educación Popular zur dekolonialen Bildung: Über Transformationen pädagogischer Konzepte aus Argentinien und Lateinamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47Phillip D. Th . Knobloch

Kulturelle Konfi gurationen und Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Alejandro Grimson

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VI

Teil III Staat Macht Schule

Staat macht Schule, Schule macht Nation. Ein Gespräch mit Inés Dussel . . . . 79Nicolás Arata und Verónica Oelsner

Bildungspolitik und soziale Ungleichheiten in Argentinien und Deutschland: (K)ein Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87Stefan Peters

Schule und Interkulturalität in Argentinien: Schulräume im Wandel? . . . . . 103Adriana Serrudo

Zuwanderung und staatsbürgerliche Bildung in argentinischen Schulen . . . 115Sebastián Torres und Bernd Wagner

Teil IV Macht Staat Schule?

Schulkulturen am Rand der Metropole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131Ute Clement

Schule machen und nach Schule suchen in Zeiten des Managements. Wenn das Stehende sich weigert zu verdampfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161Silvia Grinberg

Von Abwesenden mit Anwesenheit und Anwesenden mit Abwesenheit. Unregelmäßige Schulbesuche und neue Modi des Schülerdaseins in der Sekundarstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179Omar Murúa, Gabriela Orlando und Liliana Paredes

Postdisziplinarische Räume und Zeiten. Schule bewohnen . . . . . . . . . . . . . . . 191Julieta Armella und Sofia Dafunchio

Pädagogische Erfahrung und Umweltzerstörung: Was fordern SchülerInnen im Kontext extremer städtischer Armut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201Eliana M. Bussi

Inhalt

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Inhalt VII

Ich wähle diese Schule: Einstellungen von Schülerinnen über die Sekundarschule in einer Siedlung in Córdoba, Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . 209María Cecilia Bocchio

Ihrem Schicksal überlassene Schulen: Schulreform und Raummangel in Patagonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221Silvia Grinberg und Carla Villagran

Teil V SchülerInnen, Familien und Gemeinden Machen Schule

Schule, Räume und Widerstand im Kontext urbaner Armut in Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243Eduardo Langer

Wie Jugendliche die argentinische Schule erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259Lucía Litichever und Pedro Núñez

Berufsbildung und Educación Popular: Erfahrungen aus dem Norden Argentiniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273Elsa Pereyra und David Burin

Pädagogische Konzepte für Entwicklung im ländlichen Raum: „Bildungszentren für ganzheitliche Produktion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293Amalia Miano

Zwischen-Räume schaffen. Erfahrungen aus dem Förderverein der Marco-Sastre-Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305Ana Inés Heras Monner Sans und María Tricarico

Familien im schulischen Raum. Ein Erfahrungsbericht des Fördervereins der Esnaola Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323Asociación Cooperadora Escuela Esnaola

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

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Teil IEinleitung

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EinleitungUte Clement und Verónica Oelsner

ArgentinierInnen erklären BesucherInnen ihres Landes gern, Argentinien sei das europäischste Land Südamerikas. In vieler Hinsicht ist dies nachvollziehbar: Das Klima des Landes ist kühler und entspricht eher dem europäischer Breiten als dies in Äquatornähe der Fall ist. Die Menschen sind – als Folge der sogenannten Massen-einwanderung um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhunderts – zu einem großen Teil Nachfahren von Einwandererfamilien, vornehmlich aus Italien und Spanien. Es fi nden sich aber auch Menschen mittel- und nordeuropäischer, arabischer, rus-sischer und asiatischer Abstammung. Darüber hinaus kommen Einwanderinnen und Einwanderer aus Lateinamerika (vor allem aus Paraguay, Bolivien, Ecuador, Venezuela, Kolumbien) in das gastfreundliche Land, das jeder zugezogenen Person Aufenthaltsrecht, kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung bietet.

Entsprechend bunt und vielfältig ist die Bevölkerung – jedenfalls in der Metro-pole Buenos Aires und ihrer Umgebung, die mit über 13 Millionen EinwohnerIn-nen fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung Argentiniens beherbergen. Neben dem Katholizismus, zu welchem sich rund Dreiviertel der Bevölkerung bekennt, werden Judentum, verschiedene Spielformen des Protestantismus und des Islams neben- und miteinander gelebt. Sprachen, kulturelle Praktiken, Lebensstile treff en aufeinander und verbinden sich in einer durchaus widersprüchlichen argentinidad, die es immer wieder und auf unterschiedlichen Ebenen auszuhandeln gilt.

Argentinien war – für die BesucherInnen der Stadt Buenos Aires ist das unmit-telbar spürbar – ein reiches Land. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Argen-tinien zu einem wichtigen Exporteur von Agrarprodukten. Seit der Erfi ndung der Kühlanlagen fuhren Schiff e mit Fleisch beladen nach Europa. Als Kornkammer der Welt exportierte Argentinien bis zur Weltwirtschaft skrise von 1929 ebenso massenweise Getreide. Die leeren Schiff e kehrten mit Baumaterialien, Kulturgü-tern und Konsumgegenständen wieder zurück. Gleichzeitig wurde nicht nur der Hafen am Río de la Plata modernisiert, sondern auch das Eisenbahnnetz zwischen

U. Clement, V. Oelsner (Hrsg.), Was Macht Schule? Schule als gestalteter Raum,DOI 10.1007/978-3-658-11701-6_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016

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4 Ute Clement und Verónica Oelsner

Hinterland und Hafen auf- und ausgebaut, was die großen Exporte erst möglich machte. Auch die großen Bauwerke der Stadt Buenos Aires entstanden in dieser Zeit; das Teatro Colón, von italienischen und belgischen Architekten gebaut, ist das größte, noch existierende Opernhaus dieser Epoche.

Anders als Europa erlebte Argentinien keine Zerstörung durch Krieg. So kann man heute die Bauwerke, Kunstobjekte und den Reichtum an Kunstgewerbege-genständen bewundern, die die Oberschicht Argentiniens vor einem Jahrhundert von Europa ins Land brachte bzw. nach europäischem Vorbild anfertigen ließ.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden die modernen Instituti-onen des Landes, die seine Bedeutung innerhalb Lateinamerikas (weiter) stärkten: Grundschulen, Sekundarschulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen wurden gegründet, schrittweise in ein Bildungssystem integriert und als Grundlage für den Aufbau eines modernen Staates und der dazu gehörigen Nation gefördert. Ein allgemeines und weitgehend kostenloses Gesundheitswesen wurde etabliert.

Politische Institutionen wie das geheime und verbindliche Wahlrecht wurden früh eingeführt (und gleichzeitig zunächst durch ein ausgeklügeltes Wahlbetrugs-system überschattet), doch blieb das politische System des Landes in vieler Hinsicht unbeständig. Stark entgegengesetzte Interessen veranlassten im Laufe des 20. Jahr-hunderts einen kontinuierlichen Wechsel zwischen demokratischen Regierungen und Militärdiktaturen, der zusammen mit wiederkehrenden Wirtschaftskrisen, hoher Inflation, wachsender Auslandsverschuldung und Kapitalflucht sowie ab-rupten, häufig eigennützig motivierten Politikwechseln bis heute tiefe Wunden im politischen, sozialen und ökonomischen Zusammenleben hinterließ.

Heute ist Argentinien nach wie vor ein Land mit einer enormen Vielfalt an Men-schen und Lebensformen, mit einer beeindruckenden Kultur und Tradition. Es ist aber auch ein Land, das durch Krisen gezeichnet ist und mit ihnen leben gelernt hat. Die Mittelschicht hat in den ökonomischen Wirren seit den 1960er Jahren mehrfach große Teile des Besitztums verloren und muss sich im Grunde kontinuierlich neu erfinden. Die Freisetzung der Landbevölkerung in vielen Regionen Lateinamerikas führt dazu, dass innerhalb der Stadt Buenos Aires illegale Armutsviertel entstehen, der weder Stadtplanung, noch die Polizei Herr werden kann.

Was lässt sich nun also von einem solchen Land lernen? Welchen Gewinn können Kolleginnen und Kollegen aus den Erziehungswissenschaften im deutschsprachigen Raum und insbesondere Schulpädagoginnen und -pädagogen aus einer Auseinan-dersetzung mit Argentinien ziehen, wie wir sie mit diesem Buch vorschlagen? Zwei Aspekte scheinen uns in besonderer Weise interessant zu sein:

Erstens ist Schulbildung in Argentinien in formaler Hinsicht in hohem Maße inklusiv. Berichten wir hier vom dreigliedrigen Schulsystem in Deutschland, ernten wir ungläubiges Staunen, ja beinahe Empörung. In Argentinien hat jedes Kind das

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Einleitung 5

Recht und die Pflicht, zwei Jahre Vorschule und zwölf Jahre die Schule zu besuchen und damit mindestens potenziell den Zugang zu einer der staatlichen, ebenfalls kostenfreien Universitäten zu erwerben. Bildungsungleichheit entsteht nicht durch formale Selektion, sondern auf dem Wege ungleicher Ressourcenverteilung im Schulsystem, räumlicher Segregation, hoher Abbruchquoten und eines ausgedehn-ten Systems von Privatschulen. Doch zunächst und prinzipiell steht jedem Kind staatliche Bildung vom 4. bis zum 18. Lebensjahr sowie ein Universitätsstudium offen. Uns interessiert, wie Schulen in Argentinien mit der Vielfalt von Kulturen, sozialen Milieus und Religionen umgeht. Wie viel Diversität ist möglich? Welche Formen der Kohäsion werden genutzt, um trotz aller Vielfalt Gemeinsamkeit und Identität herzustellen, was ja in dieser schon früh von Einwanderung gekennzeich-nete Gesellschaft eines der Hauptziele der modernen Schule seit ihren Anfängen war? Welche Wege der Integration, der gemeinsamen Identität, aber auch der Ab- und Ausgrenzung werden im Zusammenleben der Schülerinnen und Schüler, der Familien, der Lehrerschaft sichtbar?

Zweitens findet Schule in Argentinien mindestens im städtischen Kontext Buenos Aires in Sozialräumen statt, die von Unsicherheit und mitunter auch von Armut und/oder Gewalt geprägt sind. Uns interessiert, inwiefern und wie sich Schule als staatliche Einrichtung und pädagogische Institution in einem solchen Ambiente behauptet. Wir wollen besser verstehen, wie es gelingen kann, Schulen zu sicheren Orten in einer unsicheren Umgebung zu machen. Wie schaffen es argentinische Lehrerinnen und Lehrer, Schule zu einem anderen, einem von der Umgebung unterscheidbaren Ort zu machen, an dem Lernen ermöglicht und die Möglichkeit bildungsinduzierten sozialen Aufstiegs mindestens als Vision entsteht? Welche räumlichen Arrangements grenzen Schule nach außen ab, öffnen sie aber zugleich für die Bevölkerung? Welche sozialen Praktiken konstituieren Schule als Schule? Auch hier interessiert uns das soziale Handeln derer, die an der Konstitution von Schule beteiligt sind. Wenn wir also fragen „was Macht Schule“, so gerät dabei das Tun von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften, Schulbehörden, Hausmeistern, Eltern und Nachbarn in den Blick.

Für deutsche Schulpädagoginnen und -pädagogen ist daraus, so glauben wir, zweierlei Gewinn zu ziehen: Wir können lernen, die eigenen Schwierigkeiten und Grenzen in ein realistischeres Verhältnis zu setzen. Wenngleich der Ärger über die eigenen ökonomischen oder sozialen Begrenzungen mitunter groß sein mag, so wird doch in der Beschäftigung mit anderen Ländern deutlich, auf wie hohem Niveau wir häufig klagen. Eben aus diesem Gedanken – dass Deutschland Teil einer Welt ist und wir unsere begrenzte Wahrnehmung unter Umständen schneller als uns lieb ist werden revidieren müssen – ergibt sich aber noch eine Konsequenz. Wenn es stimmt, dass sich auch die Festung Europa nur begrenzt gegen die weltweite

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6 Ute Clement und Verónica Oelsner

Wanderungsbewegungen stemmen kann, die aus der Vertreibung armer Landbe-völkerung und kriegerischen Auseinandersetzungen um Ressourcen resultieren, dann sind auch hiesige Schulpädagoginnen und -pädagogen gut beraten, wenn sie nach Wegen suchen, Schule als Orte sicheren Lernens und Lebens zu etablieren. Nur wenn es gelingt, einen glaubwürdigen und verlässlichen Raum für Bildung zu schaffen, der das Versprechen auf Wissens- und Kompetenzerwerb und die damit verbundene gesellschaftliche Integration und Teilhabe birgt und mindestens in der sozialen Wahrnehmung auch einlöst, kann Bildung ihrer gesellschaftlichen Aufgabe gerecht werden.

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„Man gibt und nimmt gleichzeitig. Das ganze Leben lang ist das so“ Erinnerungen der Lehrerin María Clara Eufracia Galmarini de Astarloa

Milagros Dogliotti1

María Clara Eufracia Galmarini de Astarloa wurde 1936 geboren, sie ist verhei-ratet und hat sieben Kinder. Inzwischen ist sie in Rente und lebt mit ihrem Mann in einem Einfamilienhaus in Don Torcuato, einer Kleinstadt im Großraum von Buenos Aires, der argentinischen Hauptstadt.

M. C. E.: Viel ist passiert, Milagros. Nun ja, zunächst habe in Florida, am Stadt-rand von Buenos Aires, die Schule besucht. Wir mussten um 6.23 Uhr den Zug in Victoria nehmen, um Punkt sieben Uhr morgens in Vicente López anzukommen. Dann gingen wir über die Fußgängerbrücke auf die andere Seite der Schienen. Und da las uns der Schulbus auf, und wir fuhren eine Stunde lang durch ganz Vicente Lopez und Florida, um die übrigen Schüler einzusammeln. Das war die Stunde, in der wir gelernt haben ((kurze Pause, lacht)) – ja, da im Bus. Und da bin ich Grundschullehrerin geworden. (…) Damals gab es kein profesorado [pädago-gische Hochschulausbildung, Anm. d. Üb.], sondern maestra normal nacional [pädagogische Orientierung an der weiterführenden Schule escuela normal, nach französischem Vorbild. Anm. d. Üb.]. Wenn man in die 3. Oberschulklasse kam, konnte man wählen, ob man in eine kaufmännische Schule (escuela comercial) oder aufs Gymnasium (bachillerato) gehen wollte oder ob man die Lehrerausbil-dung machen wollte. Dafür musste man eine Aufnahmeprüfung machen und eine ärztliche Untersuchung, eine Eignungsprüfung. Es wurde die körperliche und die geistige Eignung geprüft . Wenn man das geschafft hatte, besuchte man die 4. und 5. Oberschulklasse. Und da wurdest du maestra normal nacional [Lehrerin mit Lehrbefähigung bis zur 7. Klasse. Anm. d. Üb.]. (…) So wurde ich mit 17 Jahren Lehrerin. (…)

1 Aus dem Spanischen von Katrin Zinsmeister

U. Clement, V. Oelsner (Hrsg.), Was Macht Schule? Schule als gestalteter Raum,DOI 10.1007/978-3-658-11701-6_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016

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8 Milagros Dogliotti

… Sie holten mich für eine weitere Vertretung in die Schule Nº 32, die lag am Ufer des Río Reconquista, eine Schule, die total arm war. Ich bekam die 2a, das war eine Klasse… Um es kurz zu machen: ein bunter Haufen von Wiederholern aus den vorigen Jahren, die absolut nichts gelernt hatten. Nun gut, in jenem Jahr habe ich mich um diese Kinder bemüht und, naja, etwas habe ich erreicht. Als erstes habe ich es geschafft, sie zu mögen, und – dass sie in die Schule kommen! Manche kamen barfuß durch den Schlamm gestapft. Für mich war das eine ganz andere Welt, von der ich bis dahin kaum eine Ahnung hatte. Und nun gut, im Jahr darauf bekam ich eine Vertretung, eine offene Stelle an der Schule Nº 28, und da blieb ich dann 21 Jahre lang, weil ich als Grundschullehrerin antrat und eine 7. Klasse mit 46 Schülern bekam, von denen viele schon älter waren; manche rasierten sich, bevor sie in die Schule kamen. Ja, und als der Frühling kam, musste sich die Schulleiterin zu mir in den Raum setzen, denn die Frühlingsgefühle der Schüler waren schwer im Zaum zu halten ((lacht))-. Aber da bin ich 21 Jahre geblieben. 15 Jahre lang hatte ich 6. und 7. Klassen und das war eine wunderbare Erfahrung, weil ich methodisch gefordert war, damit sich diese Schüler fürs Lernen begeisterten. Viele von ihnen mussten ja auch schon arbeiten. Sie bei der Wahl der weiterführenden Schule zu beraten, mit ihnen hinzugehen, damit sie weiterlernen, vor allem die begabtesten… Und denen, die ins Berufsleben gehen mussten, dabei zu helfen, ihre Berufung zu finden, damit sie wenigsten das arbeiteten, was ihnen Spaß machte. Sei es in einer Werkstatt oder mit Autos oder ein Handwerk – etwas, was für sie eines Tages ein richtiger Beruf werden konnte, mit dem sie sich identifizieren. Ich nahm mit meinen Schülern an Schülerwettbewerben teil… es wurde viel gemacht damals. Ich habe in dieser Schule 1972 angefangen. Ich unterrichtete in Mathematik bis zu Potenz- und Wurzelrechnung und zur Berechnung des Rauminhalts geometrischer Körper.

M.: Also, in der 7. Klasse hast du alle Fächer unterrichtet?

M. C. E.: Nein, nein. Mathematik und Naturwissenschaften, und in manchen Jahren Spanisch und Sozialkunde.

M.: Das heißt, die Schüler hatten gleichzeitig eine andere Lehrerin, die sie in den anderen zwei Fächern unterrichtete…

M. C. E.: Genau, wir arbeiteten im Team, und wir holten sie aus der Schule heraus. Wir machen viel außerhalb der Schule. Wir machten viele Besichtigungen und Ausflüge. Eines Tages baten sie mich… sie wussten nicht, wie die U-Bahn war, und da bin ich mit ihnen ins Zentrum gefahren und mit der U-Bahn. Und da gab es zwischen zwei Bahnhöfen Stromausfall und wir saßen im Dunkeln. Du kannst dir

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„Man gibt und nimmt gleichzeitig. Das ganze Leben lang ist das so“ 9

gar nicht vorstellen, was für einen Schreck ich bekam, denn ich war allein mit über dreißig Schülern! Als die Eltern die Lehrerinnen noch achteten, achteten die Schüler die Lehrerinnen, und sie siezten uns und nannten uns beim Familiennamen. (…) Das hat nicht verhindert, dass der Umgang freundlich, emotional war. (…) Stell dir vor, neulich habe ich beim Aufräumen einen Brief wiedergefunden, den mir eine Schülerin der 6. Klasse geschrieben hatte. Sie war schwanger und sie sagte mir, dass sie nicht wusste, was tun… ob sie wieder in die Schule kommen sollte oder nicht. Und ich habe sie begleitet, sie kam zurück in die Schule – und wie schwer das war am ersten Tag… die Mitschüler! Es war ganz still und von hinten hörte man, wie sie ihr zuflüsterten „trächtig, trächtig“ ((lächelt)). Dafür zu sorgen, dass sie geachtet wird, dass ihr Zustand geachtet wird… nun ja… (..) Und dann hat sie ihr Kind bekommen und heute ist sie Mutter… dann hat sie geheiratet, hat noch mehr Kinder bekommen, und ihr Sohn ist heute un señor – ein richtig feiner Mann.

M.: Seid ihr weiter in Verbindung?

M. C. E.: Ja, natürlich. Denn ich sehe sie, wenn ich hier in Bancalari zum Gottes-dienst gehe, ich sehe sie, ihre Mutter. Jacinta heißt die Mutter. Ja, ja, ja. Denn ich war 21 Jahre in dieser Schule. Später, als ich gemerkt habe, dass ich nicht in Rente gehen konnte, weil ich spät angefangen hatte und nicht die Dienstjahre hatte, um eine Rente zu bekommen, da haben mir meine Schüler leid getan, denn ich fühlte mich schon alt, wir sprachen verschiedene Sprachen. Und dann habe ich mich be-worben, als eine Stelle ausgeschrieben war, und ich wurde genommen und konnte diese Schule wählen. Und dann kam ich zurück, als stellvertretende Schulleiterin. Ich war schon ein Jahr als Vertretung Schulleiterin gewesen. Als die Schulleiterin ging, wurde ich von den drei dienstältesten Lehrerinnen ausgewählt und blieb ein Jahr. Und während dieses Jahres bewarb ich mich und bliebt dort. Und so blieb ich 21 Jahre in dieser Schule.

M.: Wo lag diese Schule?

M. C. E.: Hier in Buenos Aires, die Schule Nº 28 in der Stadt Buenos Aires. (…) Es ist sehr wichtig in einer Schule wie dieser, einer Schule, die… mir fällt

das richtige Wort jetzt nicht ein, eine Schule, die… ach, mir fällt das Wort nicht ein, ich benutze es schon so lange nicht mehr…

M.: Eine Schule in einer sozial schwachen Umgebung, meinst du?

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10 Milagros Dogliotti

M. C. E.: Ja, danke, Mili, eine Schule mit hohem Bildungsrisiko, so hieß das. Da ist die Schulleitung von zentraler Bedeutung. Zum Beispiel in den Tagen vor Schuljahrsbeginn. Da ist das Typische, dass alle rumsitzen, sich erzählen, was sie in den Ferien gemacht haben und sich die Fingernägel polieren; tja, und ich bin mit meinen Kolleginnen raus aus der Schule. Wir haben das Stadtviertel erkundet, die Familien und die Leute aus der Nachbarschaft besucht… Denn was sonst pas-sierte, war, dass die Lehrerinnen ihnen sagten, sie sollen Bücher kaufen, oder dass sie Heftumschläge dieser oder jener Qualität verlangten – von Kindern aus ganz armen Familien, die in einer armseligen Hütte wohnten. Also es ging darum, die Realität zu sehen. Und dann gibt es viel, was man als Schulleitung tun kann. Ein Beispiel: Sie hatten uns ein neues, schönes Gebäude gebaut, dahin sind wir umge-zogen… Ich hatte ‚72 im alten Gebäude angefangen und ‚84 sind wir in das neue umgezogen. Die neue Schule war in einem noch viel schwierigeren Viertel. Es gab die ganze Zeit Diebstähle. Ja, und da habe ich gemerkt, dass ich als Schulleiterin etwas dafür tun musste, dass die Leute in dem Viertel die Schule lieb gewinnen. Aber die Schule schloss am Freitag um 17 Uhr und machte am Montag wieder auf. Die Schule gehörte den Lehrerinnen, die nicht in dem Viertel wohnten. Ich sagte: Die Schule muss einen Platz im Herzen der Leute hier finden. Also entwickelte ich mit dem Schulverein ein Projekt und einige Lehrerinnen haben mitgemacht. Und weißt du, was wir gemacht haben, Mili? Einige Jahre lang stellten wir die Schule für Familienfeiern zur Verfügung, gegen Bezahlung oder umsonst. Es wurden Hochzeiten, 15. Geburtstage und Taufen gefeiert, denn die Aula war ganz toll. Und die Mitglieder des Schulvereins waren für die Aufsicht verantwortlich. Ich bin nicht gekommen. Sie kümmerten sich. Sie hatten auch was davon, denn sie aßen mit, leckere Sachen. Und die Hausmeisterinnen verdienten sich auch etwas extra. Alles wurde geschmückt. Denn die Aula war riesig, es gab Toiletten, eine prima Küche, ein Tor zum gefliesten Hof und die Familien genossen das. Bis dahin mussten sie in Hütten feiern, in denen es keinen Platz gab. Und so wurde die Schule zum Ort aller Festlichkeiten.

Neulich habe ich eine Kollegin getroffen, eine Kollegin, die mich daran erin-nerte, wie es war, als wir erfahren haben, dass die Leute samstags und sonntags in die Schule kamen, in den Hof – der war riesig – und da Fußball spielten. Und eines Tages erfuhren wir, dass einige Frechdachse aufs Dach stiegen und sich im Wassertank badeten. Und montags benutzen wir dann dieses Wasser zum Kochen, zum Trinken! Also bin ich mit einigen älteren Lehrerinnen wie ich und ein paar Lehrerinnen, die ein bisschen robuster und kräftiger gebaut waren, losgegangen, und wir haben uns den Anführer, der die Fußballspiele organisierte, vorgenommen. Und gut, wir haben mit ihm gesprochen, wir haben ihm erklärt, dass mit diesem Wasser gekocht wird, dass sie da drin nicht baden durften, und er antwortete, dass

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„Man gibt und nimmt gleichzeitig. Das ganze Leben lang ist das so“ 11

sie eben, dass es ihnen eben nach dem Spiel allen sehr heiß war. Wir haben dann mit dem Schulverein gesprochen und ein paar Rohre nach draußen verlegt, mit einem Wasserhahn und einem Rohr mit Löchern. Wenn sie dann den Wasserhahn aufdrehten, lief das Wasser durch das Rohr und aus den Löchern, und da konnten sie duschen. So einfach war das, sich mit ihnen zu einigen. Sie verstanden, dass sie die Schule respektieren mussten, und wir mussten nicht mehr mit dem Wasser kochen, in dem das halbe Stadtviertel gebadet hatte.

M.: Klar.

M. C. E.: ((lacht))- Ich weiß nicht, was ich dir aus jenen Jahren noch erzählen soll. Es war eine herrliche Zeit. Wir hatten die Schule mit zwölf Gasflaschen übergeben bekommen. Als ich sie weitergab, gab es keine einzige Gasflasche mehr. Alle zwölf waren geklaut worden. Einmal haben sie uns die Flagge mit der Kordel und allem gestohlen, es blieb nur der nackte Mast stehen. Als wir im März die Wanderung machten, sahen wir eine Hütte, die ganz verloren in der Nähe des Flusses stand, und der Vorhang an der Tür war die argentinische Flagge ((lacht))-. Ich habe gesagt, na gut, zu irgendwas ist das Vaterland also doch gut. Zumindest verhindert der Vorhang, dass die Fliegen reinkommen, oder?

(..)- Nach meinen ersten Erfahrungen als Lehrerin hatte ich ’76 einen Jungen, in den

Tagen des Putsches der Revolución Libertadora,2 in denen es drei oder vier Tage keinen Unterricht gab, einen kleinen Bruder von einem meiner Schüler, der kam immer tadellos sauber, beide kamen sie in gestärkten Schulkitteln, das Haar kurz, sie brachten das Essgeschirr, die Schulsachen mit, ein Bild von Ordnung und Sau-berkeit. Sie hatten sich an einem Stacheldraht verletzt. Sie waren in ein Grundstück eingestiegen. Und die Wunde hatte sich entzündet. Die Sache ist, dass sie sich zu einem Wundbrand weiterentwickelt hatte, weil sie nicht zum Arzt gegangen waren. Eine Frau aus dem Viertel hatte sie mit magischen Sprüchen, Gebeten und was weiß ich was behandelt. Und der jüngere ist daran gestorben. Ja, ein paar Tage später ist der kleinere mit acht Jahren gestorben. Als ich zu ihm nach Hause gegangen bin, bin ich mit meinen Schülern zur Beerdigung des kleinen Bruders dieses Schulkamera-den gegangen, Alegre war der Familienname. Ich konnte es nicht glauben, wie sie

2 Als Revolución Libertadora bezeichnete sich die Militärregierung, die 1955 aus dem Putsch gegen die Regierung von Juan Domingo Perón hervorging. Es ist anzunehmen, dass Frau Galmarini die Militärregierung meinte, die mit dem Putsch von 1976 gegen die Regierung von Estela Domínguez de Perón, Peróns Witwe, an die Macht kam und sich den Namen Proceso de Reorganización Nacional gab. [Anm. d. Üb.]

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wohnten. Die Hütte war winzig, absolut winzig. Mit gestampftem Erdboden. Ich sah eine Schüssel mit einer Wasserpumpe und eine Schüssel, wo diese Frau die Wäsche wusch und die Kinder so sauber, so unglaublich sauber hielt. Ich habe sehr viel von den Menschen gelernt. Die Solidarität untereinander, zum Beispiel, die Hygiene inmitten von Zuständen… Zum Beispiel gab es Mütter von meinen Schülern, die fuhren zur Geburt ins Krankenhaus mit dem Bus, mit den Wehen, und wie sie in die Geburtsklinik nach Tigre kamen, um zu gebären, nachdem sie bereits an der Haltestelle gestanden waren, um auf den Bus zu warten und im Bus gesessen hatten. So unglaublich viel habe ich von ihnen gelernt… und dieses Bemühen darum, dass die Kinder lernen und diese Dankbarkeit!… „Maestra, Maestra“, sagten sie… nicht „Fräulein“, sondern „Frau Lehrerin“. Und wenn sie kamen, um um Rat zu fragen, weil [die Kinder]… wie sagten sie noch? Schlechte Gesellschaft, ja zum Beispiel, wenn die Kinder in schlechte Gesellschaft geraten waren. Und dieser Eifer, dass die Kinder in die Schule gehen sollten, um aus diesen Zuständen herauszukommen, in denen sie lebten. So konnte ich meiner Berufung zur Sozialarbeiterin nachkommen, nicht nur dort, sondern auch später, während der Jahre, die ich Rechtsvorstand des Bistums von San Isidro in Bancalari war, die 11 Jahre, die ich im C.E.C. [Centro Educativo Complementario, staatlicher Hort, Anm. d. Üb.] und im Kindergarten tätig war, hinten auf dem Grundstück, im runtergekommensten Teil. Das war auch eine Möglichkeit, diese Berufung auszuleben, die ich nicht zum Beruf machen konnte, dieses Studium, dass ich zwar eigentlich nicht gemacht habe, aber in der Praxis doch umsetzen konnte – und vor allem, bei dem ich den Sozialarbeiterinnen, die in der Schule arbeiteten, mit ihren Projekten helfen konnte. (…)

M. C. E.: Mathematikunterricht hier mit den Kindern war wie ein Spiel. Zum Bei-spiel Umfang und Oberfläche. Einen Kreis auf den Hof zeichnen, auf dem Rand laufen, in den Kreis springen ((lacht))-. Die Verhältnisse zwischen verschiedenen Maßen zum Beispiel. Zum Kiosk nebenan gehen, jeder musste einen Würfel mit einer Seitenlänge von zehn Zentimeter basteln, ihn mit Kunststofffolie verstärken, dafür brauchten wir einen Tag, jeder bastelte sich seinen eigenen. Dann zum Kiosk nebenan, die Frau war ein Schatz. Jeder füllte seinen Würfel mit Wasser, dann wurden sie gewogen und man sah, dass in einen Kubikdezimeter ein Liter Wasser passte und dass er ein Kilo wiegt. Dann die Verhältnisse feststellen und sie in eine Tabelle eintragen. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich bei Ferias de Ciencas [Projekttage in Naturwissenschaften, Anm. d. Üb.] dabei war. Einmal beschäftigten wir uns zum Beispiel mit dem Licht. Toté hatte mir mit einem Knopf ein Sonnenspektrum mit den sieben Farben gebastelt, und wenn man ihn kreisen ließ, drehte und drehte und drehte es sich an Fäden und mit einem Knopf, und sah weiß aus. Dann war das Licht weiß, aber das Spektrum hatte die sieben Farben. Ein anderes Mal zerlegten

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wir eine Kröte. Hinter der Schule gab es viele Kröten. Ein anderes Mal übten wir Erste Hilfe. An einer Puppe ((lacht))-.

M.: Ihr habt verschiedene Mittel und Wege gefunden, um…

M. C. E.: ((lacht))- ((unterbricht))- Ich habe sie in Kinderpflege unterrichtet. Sie brachten Puppen mit und wir haben ihnen beigebracht, Kinder zu baden, Babies zu baden, denn sie badeten ihre kleinen Geschwister. Wir haben ihnen beigebracht, ihre Geschwister zu baden, sich die Hände vor dem Essen zu waschen, ihnen das Lätzchen umzubinden, wie man einen Brei macht, einen Speiseplan, die Kosten auszurechnen; zum Beispiel zum Laden im Viertel gehen und ausrechnen, was das Gemüse, ein bisschen Fleisch kostet, und dann mit den Preisen von Schinkenwurst oder Würstchen vergleichen, dem, was sie normalerweise kauften, mit dem Wurst-brot… [um] den Unterschied im Preis [zu sehen] und was eine gute Ernährung war. (.)- Was man den Kindern mit einer solchen Realität beibringen konnte! Eine andere Erfahrung war, ich erinnere mich, im ersten Jahr, als ich da angefangen hatte, ‚72, da hatte ich viele Schüler. Und da war ein Mädchen, Aguirre war der Familienname, ein Mädchen von 14-15 Jahren und am 25. Mai [argentinischer Nationalfeiertag, zu dem in den Schulen ein Festakt stattfindet, Anm. d. Üb.], ich weiß nicht mehr, ob sie da vortanzen sollte oder was es war… aber sie kam nicht und ich fragte nach ihr und Aguirre kam und kam nicht. Und niemand konnte mir sagen, warum. Als der Festakt zu Ende war, habe ich erfahren, dass sie am Tag davor mit einem Jungen von zu Hause weggelaufen war. Ich bin zu ihr nach Hause gegangen, um mit der Mutter zu sprechen. Ich war konsterniert, verzweifelt, aber die Mutter sagte zu mir: „Nun ja, so ist es halt, so ist es halt“. Ich wollte sie an den Schultern packen und aufrütteln. Wie, so ist es halt? Wir müssen sie suchen! „Aber nein, wer weiß schon, wo sie ist? Die kommt schon von alleine wieder.“ Und sie ist zurück gekommen, schwanger, und kam nicht mehr zur Schule. ((lacht))-

M.: Ja, dann vielen Dank, María Clara, für deine Zeit, für dieses Gespräch. Ich habe keine Fragen mehr und möchte mich wirklich herzlich bedanken. Wenn du noch etwas sagen willst…

M. C. E.: Vielen Dank, denn ich habe mich an Dinge erinnert, die ich ganz vergessen hatte ((lacht))-

M.: Ein Vergnügen, dir zuzuhören. ((Ich mache das Aufnahmegerät aus, da beginnt meine Gesprächspartnerin wieder zu sprechen. Ich mache das Aufnahmegerät also wieder an.))- (…)

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14 Milagros Dogliotti

M.: Du hast immer in staatlichen Schulen gearbeitet, nie in privaten…

M. C. E.: Nein, nie in privaten. Pater Luis hat mir unzählige Male die Schulleitung des Colegio San Marcelo angeboten, was ich Gott sei Dank nie angenommen habe, denn da [in der staatlichen Schule] bist du wirklich Maestra. In diesem Umfeld, da bist du wirklich Maestra. Und es ist so viel, was man tun kann, so viel was man tun kann. (.)- Nicht nur, dass sie Maestra zu dir sagen. Du bist Maestra [das Vorbild]. Du hast viele Möglichkeiten. (.)- Und danach auch in der Ausbildung von Jungleh-rern, nicht wahr? Die jungen Lehrer, die in die Schule kamen. Ich, zum Beispiel, das erste, was ich machte, als ich Schulleiterin wurde, war es, einen großen Raum, der nicht benutzt wurde und vollstand mit allen Sachen, die nicht mehr benutzt wurden, in ein Lehrerzimmer zu verwandeln. Und in diesem Lehrerzimmer fan-den unsere Lehrerkonferenzen statt, da trafen wir uns. Von 12 bis 1 war das der Ort, wo wir uns trafen, der Ort, wo wir austauschten, was uns bewegte. Und ich gab der psychopädagogischen Betreuung ihren wahren Stellenwert zurück. Meine Vorgängerin, das hatte ich bemerkt, hatte mit den Psychopädagoginnen darum gewetteifert, wer von ihnen mehr wusste. Ich sagte ihnen: Hört, ich bin weder Psychologin noch Psychopädagogin, noch Sozialarbeiterin, also wer sich hier aus-kennt, das seid ihr. Also was ich machen werde, ist euch zu helfen, damit ihr eure Aufgabe erfüllen könnt. Und wir haben gleich einen Plan gemacht. Unser erstes Projekt hatte zum Ziel, die Zahl der Sitzenbleiber zu senken. Eine Menge von den Kindern blieben sitzen. Im darauffolgenden Jahr führten wir den Plan ein, aber es ging nicht darum, dass alle durchkommen sollten, sondern wir begannen bei den Kindern, die Schwierigkeiten hatten, mit einer individuellen Betreuung durch das psychopädagogische Team, mit der Psychopädagogin, mit der Psychologin; die Sozialarbeiterin besuchte die Eltern, um die Ursachen zu ermitteln. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie die Wiederholerrate sank. Und das war doch ein Faktor gewesen, der den Leuten die Hoffnung nahm, denn du weißt ja, was es kostet, die Kinder in die Schule zu schicken und wenn sie außerdem noch einmal wiederholen, zweimal wiederholen, dreimal wiederholen.

M.: Was hältst du von den neuen schulpolitischen Maßnahmen, mit denen die Schule ganz anders werden soll? Es wird davon gesprochen, die Noten abzuschaffen, die Aufnahme in die Schule einfacher zu machen, dass die Schüler wählen sollen, welche Fächer sie besuchen wollen, also eine ganz neue…

M. C. E.: ((unterbricht))- Ich kann dazu nichts Bestimmtes sagen, denn ich war an den Gesprächen, den Debatten nicht beteiligt. Ich glaube, dass Kinder, wenn sie Kinder sind, Disziplin brauchen. Die Kinder haben nicht die Voraussetzungen um

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selber zu wählen, um Dinge zu entscheiden, dafür sind die Eltern und die Lehrer da. Die Kinder müssen einer schulischen Disziplin folgen und nicht nur das tun, was ihnen Spaß macht. Ich glaube, das ist es, was bildet. Sie sollen nicht leiden, aber sich selbst überwinden. Im C.E.C. hatten wir so etwas eingeführt, im C.E.C. hatten wir keine Aufteilung in Klassen, sondern nach Lernfortschritt. So hatten die Kinder, die vielleicht in der 6. Klasse in der Schule waren, eine Lehrerin, die ihnen Grundrechenarten beigebracht hat.

M. C. E.: (…) wir hatten… zuerst machten wir Schluss mit alten Praktiken, denn als ich anfing, kamen die Kinder, um ihre Hausaufgaben zu machen. Einer musste 50 Summen machen und ein anderer eine Lektüre wiederholen und ein dritter musste 50 Mal was weiß ich was abschreiben. Damit war Schluss als ich kam. Wir machten uns daran, den Kindern etwas beizubringen. Mit Spielen. Zum Beispiel gab es einen Saal mit Brettspielen, Schach, Lotería, eine Menge Spiele hatten wir, die den Kindern beim Denken halfen, Kunst-AGs, eine Musik-AG, eine Koch-AG, eine Foto-AG. Eine Menge Aktivitäten, damit die Kinder sich austoben konnten und um ihnen Sicherheit in den Dingen zu geben, die sie gern machten, die es ihnen ermöglichten, ihre eigenen Fähigkeiten und Begabungen zu erkennen. Und naja, und dann die Sache mit der Schule… mit der Zeit merkten wir, dass in den Schulen nichts gelehrt wurde; die Schulpolitik zielte meist darauf ab auszusondern, also bemühten wir uns, einzubeziehen und den Kindern etwas beizubringen. (…)

M.: Wie weit ist der Kindergarten jetzt von der Schule weg?

M. C. E.: Mmmh, der Kindergarten ist so 300, 400 Meter von der Schule. Aber ein wunderschönes Gebäude, mit hohen Decken, die Straße ist asphaltiert, ein 1400 Quadratmeter großes Grundstück. Die Kindergartenkinder sahen früher keine Erde. Sie hatten einen Hof und alles bis zum Dach umzäunt, erinnerst du dich, Milagros?

M.: Ja.

M. C. E.: Ein großer Käfig war dieser Kindergarten; und jetzt haben sie ein Grund-stück von 1453 qm. So haben sie Erde rundherum, um einen Gemüsegarten an-zulegen. Natürlich nicht um… ((lacht))-, ich sagte ihnen, kommt bloß nicht auf die Idee, einen… hier Hühner zu halten, oder Küken, denn… drei Tage nach der Einweihung wurde ihnen der Wassertank vom Dach gestohlen. (.)- Also… naja. Aber wenigstens einen Garten sollten sie anlegen, denn da…

M.: Natürlich. Ich erinnere mich, dass es im Sommer Ferienfreizeiten gab…

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M. C. E.: Ja, genau. Denn es kommt der Sommer und die Kinder brauchen etwas, um ihre freie Zeit totzuschlagen. Was macht ein Kind im Sommer, wenn die Mutter nicht da ist, in einer Hütte, in der es vielleicht keinen Schatten hat, kein Wasser… (…) Deshalb hatten wir immer Ferienfreizeiten. In den ersten Jahren fuhren wir mit ihnen nach Benavidez. Seit in El Telar ein Sportzentrum eröffnet wurde, findet die Sommerfreizeit in Kooperation mit der Stadtgemeinde von Tigre dort statt; ja, und da gibt es ein Schwimmbad, ein ganz tolles Schwimmbad, Wie sagt man noch, wenn sie so ganz riesig sind…

M.: Ein Olympiaschwimmbecken.

M. C. E.: Genau. Ein Olympiaschwimmbecken, ein Hallenbad. Ein Luxus. Also ja… Und nach den Spielen. Alle Arten von Spielen, in einer Ferienfreizeit spielen die Kinder und B – ein typischer Satz von B, B sagte immer: „Wir geben den Kindern die Kindheit zurück“, denn zu Hause arbeiten die Kinder eine Menge. Weil die Mütter arbeiten gehen… sie passen auf ihre kleinen Geschwister auf, sie müssen die Wäsche waschen, das Essen machen, weißt du? Sie müssen fegen, den Boden nassmachen, danach mit dem Besen drüber, ja, eine Menge Sachen. Deswegen sagte B immer ihren berühmten Satz: „Wir geben ihnen ihre Kindheit zurück, denn hier spielen sie“. Und wie sie spielen! Mit Sportlehrern zum Beispiel spielen sie Handball, ein Sport, der sehr gut ankam. Du kannst dir die Handballturniere gar nicht vorstellen!

Und wenn die Kinder vom Chaltel-College [einer nahe gelegenen Privatschule, Anm. d. Üb.] kamen, die machten… die kamen als Paten, da machten sie auch Turniere… Und du kannst dir nicht vorstellen, wie es war, wenn die unseren gewonnen haben…

M.: Und für die Kinder von dem Chaltel-College war es auch sehr bereichernd, dorthin zu gehen. Sie bekamen die Füße auf die Erde und lernten zu schätzen, was sie hatten, dankbar zu sein, eine andere Realität kennen zu lernen. Ja, wirklich, für die vom Chaltel war es auch sehr bereichernd. Man könnte sich fragen, für wen von beiden es bereichernder war.

M. C. E.: Ja, genau. Denn es ist ja so, Milagros, es ist nicht so, dass einer gibt und der andere nimmt; man gibt und nimmt gleichzeitig. (.)- Das ganze Leben lang ist das so, denn die Eltern sind die Eltern, aber sie bekommen auch etwas von den Kindern. Die Kinder bringen den Eltern eine Menge bei. Der Lehrer. Was ich alles von den Leuten gelernt habe, am Tag als ich mich verabschiedet habe… am Tag, an dem ich mich von den Leuten verabschiedet habe, habe ich ihnen gedankt für all

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das, was ich von ihnen gelernt habe. Für alles, was sie mir beigebracht haben, siehst du? Diese Geduld… zum Beispiel habe ich gelernt, angesichts der harten Dinge im Leben geduldig zu sein. Die Geduld. Die Geduld bei Krankheit, bei Armut, in Situationen, die mir unerträglich erschienen, verstehst du. Bei all dem, was ihnen fehlte. (.)- Die Mütter, die schon ihre Kinder aufgezogen hatten und weiter Kinder aufzogen. Und es wurde gesagt: „Die reproduzieren sich ja ständig, die werden ja immer mehr, die haben eine Menge Kinder!“ Simmt’s? Und sie kamen mit Plänen, um den Frauen die Spirale einzusetzen, damit sie keine Kinder mehr bekommen. Dabei sind die Kinder doch der Reichtum dieser Familien! Wohlhabende Familien machen Investitionen und besitzen Ländereien, sie kaufen Häuser, Güter. Sie dage-gen haben Kinder. Denn sie wissen: Wenn sie alt sind, werden die Kinder sich um sie kümmern. Und wenn die [eigenen] Kinder heiraten und aus dem Haus gehen, ziehen sie weiter [andere] Kinder auf, „Patenkinder“. Den Sohn von der, die krank ist, und den anderen dort. Manchmal gibt es dann rechtliche Probleme, wenn die eigentlichen Eltern sie zurückhaben wollen… ((lacht))- Und davon abgesehen. Und davon abgesehen. (..)- Ich weiß nicht, es ist einfach so schön, in so einer Schule zu sein, es ist wunderbar. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass wir Schüler hatten, die nie kamen. Klar, die Mütter gingen arbeiten und die Kinder blieben einfach zu Hause. Um 8.10 Uhr kamen sie in die Schule. XY war nicht da? Da packten sie die Fahrräder und gingen ihn holen: „Auf, auf, auf, komm, zieh den Kittel an, frühstücken kannst du in der Schule.“ Und sie brachten ihn mir. ((lacht))- Oder zum Beispiel mit den Kindern, die oft fehlten. Von diesen Familien, die sich um nichts kümmern. Also suchten wir eine Patin aus der Nachbarschaft, eine Frau, eine von diesen guten Seelen. „Sehen Sie, Frau XY, schauen Sie, die Arme hatte keine Mutter, die es ihr beigebracht hätte, könnten Sie dafür sorgen, dass sie die Kinder in die Schule schickt? Gehen Sie sie besuchen, helfen Sie ihr, dass sie die Kinder fertig macht, dass sie ihnen die Kittel flickt, dass sie sich kümmert.“ Ja, das waren die Patinnen. Zum Beispiel Marcelo war Pate. Ich hatte einen Jungen, ich war Schulleiterin und es gab einen Jungen, der war ein hervorragender Schüler, eines Tages nahmen sie ihn aus der Schule, damit er in einem Laden arbeiten sollte. Ja, die Mutter sagt zu mir: „Er mag ein guter Schüler sein und alles, aber ich brauche das Geld. Was mein Mann nach Hause bringt, reicht nicht, und er ist der älteste.“ Also gut, da habe ich Marcelo zum Paten ernannt und jeden Monat… „Gut, was verdient der Junge? Bitte, hier haben Sie es, schicken Sie ihn zur Schule; jeden Monat werden Sie diese Summe bekommen.“ Siehst du, alle diese Dinge, die gibt es im Colegio San Marcelo nicht. Da ist der Lehrer wahrscheinlich eher ein Angestellter. Hier… (.)- Also ich sage es dir noch einmal, meine Berufung zur Sozialarbeiterin…

M.: …wurde befriedigt.

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M. C. E.: Ich konnte sie ausleben. Aber ich habe mich nicht auf den Lorbeeren ausgeruht (..)- Jetzt, wo ich nicht mehr im Schuldienst bin, bin ich am Institut für Geschichte. Was ich ihnen immer sage… – denn wir sind eine Menge Lehrer im Ruhestand da.., ich sage ihnen immer, dass wir das, was im Klassenzimmer vorgeht, verändert haben. Dass wir die Wände verschoben haben und der Klassenraum jetzt die Stadt ist. Und dann das erklären und den Leuten die Geschichte der Stadt näher zu bringen, das ist eine Art von Lehrtätigkeit, die sehr, sehr wichtig ist. Denn es entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl.

M.: Ja, das ist sehr wichtig.

M. C. E.: Ja, Mili, jetzt weiß ich nicht, was ich dir noch zu erzählen hätte.

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„Ich gehe doch aus dem gleichen Grund zur Uni wie alle anderen auch…“ Interview mit Flora1

Mercedes Machado und Orsina Kather2

„Ich gehe doch aus dem gleichen Grund zur Uni …“

Mercedes: Wie alt bist du, Flora?

Flora: 21.

M.: 21 schon?

F.: Ja.

M.: Und du hast immer in Cárcova gelebt?

F.: Ja, seit meiner Geburt.

M.: Seit deiner Geburt?

F.: Ja.

1 Im Rahmen eines gemeinsamen deutsch-argentinischen Forschungsprojektes der Universität Kassel und der Universidad Nacional de San Martín (UNSAM) zum Th ema „Individuelle berufl iche Projekte und ihre soziokulturelle Einbindung“ wurden im Zeit-raum von April bis Juli 2015 Interviews mit Jugendlichen aus dem Großraum Buenos Aires geführt. Die Zielgruppe des Projektes stellten dabei derzeitige und ehemalige Schülerin nen und Schüler der Escuela Nº 8 in José León Suárez im Alter von 17 bis 23 Jahren dar. In 45-minütigen, semistrukturierten Interviews wurden insgesamt 15 Ju-gendliche befragt. Im Folgenden sollen Ausschnitte aus dem Interview mit der Studentin Flora einen Einblick in die Erfahrungen der Jugendlichen auf ihrem Bildungsweg geben. Das Interview führte Mercedes Machado; alle anderen Namen wurden anonymisiert.

2 Aus dem Spanischen von Orsina Kather

U. Clement, V. Oelsner (Hrsg.), Was Macht Schule? Schule als gestalteter Raum,DOI 10.1007/978-3-658-11701-6_3, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016

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20 Mercedes Machado und Orsina Kather

M.: Und erinnerst du dich noch, wie das Viertel in deiner Kindheit war?

F.: Ja, an ein paar Sachen erinnere ich mich.

M.: Wie war es denn?

F.: Zum Beispiel… die Straßen heute, das kann man gar nicht mehr vergleichen, früher gab es keine geteerten Straßen. Und ich erinnere mich noch an die Zeit, als alle in die Essensausgaben [comedores populares] gegangen sind.

M.: Wann war das?

F.: Das war so um 2000 rum. Ja, da war ich noch klein, das weiß ich noch.

M.: Habt ihr denn immer in dem gleichen Haus wie jetzt gewohnt oder seid ihr auch mal umgezogen?

F.: Nein, ich hab immer dort gewohnt, immer.

M.: Deine Mama hat mir erzählt, dass sie auch in La Rana gewohnt hat.

F.: Ja, aber da hat sie gewohnt, als sie noch nicht verheiratet war.

M.: Ach so. Hat sie dir mal erzählt wie das alles war… sie hat geheiratet und dann ist sie hier her gekommen oder wie war das?

F.: Genau, erst war sie alleine, dann hat sie meinen Papa kennengelernt und sie sind nach La Rana gegangen und haben dort zur Miete gewohnt. Da sind sie dann eine Weile geblieben und als meine Mama mitbekommen hat, dass es hier in Cárcova, wie heißt das… man konnte sich einfach Grundstücke nehmen, das hier war alles noch freies Land, das die Leute einfach besetzt haben. Und zu der Zeit hat sie noch zur Miete gewohnt, das war also kein Zustand weil sie schon… ich glaube sie war schwanger. Sie sind dann hierher gekommen und haben das Grundstück besetzt. Da hat niemand gesagt, das ist meins oder ihr müsst wieder verschwinden. Fast alle haben das Land einfach besetzt. Da hat sie lange gelebt, bis ich auf die Welt gekommen bin, danach sind meine anderen Geschwister gekommen und wir sind nie woanders hin gegangen, wir sind immer hier geblieben. […]

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„Ich gehe doch aus dem gleichen Grund zur Uni …“ 21

M.: Und du hast mir mal gesagt, dass du in dem Viertel auch bleiben willst, dass das Viertel dir gefällt?

F.: Mir gefällt es, … aber nein, mittlerweile denke ich anders.

M.: Ach so, du denkst anders?

F.: Ja, mir gefällt das Viertel, aber später möchte ich gerne hier weg.

M.: Ja?

F.: Ja, ich würde gerne weg. Ja, sagen wir mal, weil ich meinen Kindern später was Besseres bieten möchte. Damit will ich nicht sagen, dass das Viertel ein schlechtes Beispiel ist oder so, nein, manchmal liegt es auch an einem selber. Ich könnte auch genauso gut drogenabhängig sein oder so. Aber nein, der Unterschied ist, dass… meine Geschwister zum Beispiel, mein Bruder war kurz davor, drogenabhängig zu werden und meine Schwester hatte auch eine schwierige Phase, sowas mein ich. […]

M.: Und denkst du, wenn sich das Viertel verbessert…

F.: Wenn das Viertel sich verbessert, dann auch…

M.: Was wäre dir lieber, dass das Viertel sich verbessert und du hierbleiben kannst oder woanders hinzugehen?

F.: Eigentlich fände ich es sehr schön, wenn das Viertel sich verändert, wenn sich die Situation im Viertel verbessert, dass es den Leuten besser geht, oder? Dass die Leute anders denken. Dass sie nicht nach dem Prinzip leben… sagen wir mal, ein Politiker kommt und sagt dir, hier ich gebe dir das und das und du nimmst das dann einfach. Nein, dass die Leute darüber nachdenken wie… wie hat meine Mama gesagt, dass es in Buenos Aires, in Argentinien mehr Bildung gibt, mehr Schulen, Universitäten, damit die Leute anders denken, verstehst du, damit sie anders denken und nicht, ach, ich gehe betteln oder ich gehe weg, weil ich nichts habe. Nein, nein, ich fände es schön, wenn sich etwas verändert, verstehst du? Ja, mir würde es gefallen, wenn sich die Situation im Viertel verbessert. Und dass die Kinder… dass es nicht so viele Drogen gibt, dass nicht so viele Menschen sterben. Weißt du, wie viele Frauen heutzutage sterben? Ich fände es schön, wenn sich die Situation im Viertel verbessert, nicht nur in dem Viertel hier, nein, was weiß ich, in allen Vierteln, dass es endlich Frieden gibt, oder? Und ja, ich… ich denke daran

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22 Mercedes Machado und Orsina Kather

wegzugehen. Aber nicht, weil es hier schlecht ist, sondern weil ich, wie gesagt, weil ich will, dass es mir später gut geht, ich will eine Familie haben, ich will, dass es meiner Familie gut geht, verstehst du? Und ich möchte den Kindern helfen.

M.: Und das alles geht hier im Viertel nicht?

F.: Doch, das geht, klar geht das. Wieso sollte das nicht gehen?

M.: Aber im Moment denkst du daran, wegzugehen?

F.: Ja, im Moment denke ich das. Aber nicht weil…nicht weil es hier schlecht ist. Nein, ich denke einfach so.

M.: Und wo meinst du, wirst du hin gehen?

F.: Wohin, nein, darüber denke ich im Moment nicht nach. Ich habe meiner Mama immer gesagt, dass ich später, wenn ich mit dem Studium fertig bin, gerne eine eigene Praxis hätte, ich möchte arbeiten. Ja, oder ich würde auch gerne in einem Kindergarten arbeiten. Weißt du, was mir schon immer gefallen hat? Heime, weißt du, Kinderheime, in so einem Heim zu arbeiten, das hat mir schon immer gefallen. Ja, ich würde gerne, sagen wir mal, an Orten arbeiten, die ärmer sind, irgendwo, wo niemand hingeht, Orte, denen niemand Aufmerksamkeit schenkt. Das würde mir gefallen. Aber ich denke noch nicht drüber nach, wohin ich mal gehen werde.

M.: Du würdest also gerne weggehen, weißt aber noch nicht wohin?

F.: Nein, bisher weiß ich das noch nicht.

M.: Aber denkst du, dass…

F.: Außerhalb vom Viertel, aber nein, wohin genau weiß ich nicht. Ach ja, und was ich auch nie vergessen werde, ist die Schule, auf die ich gegangen bin.

M.: Ach ja? Wieso?

F.: Ab und zu geh ich bei der Schule vorbei, bei der Echeverría. Ich fühle mich da wie zu Hause, sagen wir mal, weil ich auch… ich weiß noch, in dieser Schule, in der Echeverría… ich war eine gute Schülerin in der 44 und ich weiß noch, einmal

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„Ich gehe doch aus dem gleichen Grund zur Uni …“ 23

hat eine Lehrerin zu mir gesagt, nein, geh nicht auf diese Schule, da in der Nähe gibt es viele arme Viertel, es gibt immer Ärger… […]

Sie hat mir gesagt, dass ich lieber nicht auf diese Schule gehen sollte, sondern auf irgendeine bessere, verstehst du? Ich habe dann eine Schule in Ballester gesucht, aber dann hab ich noch mal drüber nachgedacht und mir gesagt, egal wo ich hingehe, überall gibt es Drogen, überall gibt es Gewalt, es liegt an mir, ob ich die Drogen nehme oder nicht, verstehst du? Deswegen, naja, ich habe keinen Platz bekommen in der Schule, auf die ich gehen sollte, also… […]

M.: Die 44 war deine Grundschule?

F.: Das war meine Grundschule, da habe ich meine ganze Grundschulzeit ver-bracht, ja. […]

Ja, ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Papa mich hin gebracht hat, er hat mich dann dort gelassen und später, naja, sind wir alleine zurück nach Hause. Oder manchmal bin ich mit einem Mädchen zurückgegangen, das viel älter als ich war und schon zur Sekundarschule gegangen ist, und meine Mama hat sie damit beauftragt, mich bis nach Hause zu bringen und das hat sie dann gemacht. Und ich erinnere mich dran, dass ich als Kind, ja, ich war als Kind sehr, sehr verschlossen, ich hatte Angst. Weißt du, als ich zum Beispiel an der Uni angefangen habe, hat mich diese Angst kurz wieder eingeholt. Ich hatte zwar Angst, aber ich musste sie überwinden. Weil ich…als ich klein war hatte ich Angst vor dem Lehrer, ich habe mich nicht getraut, etwas zu sagen, ich wollte mit niemandem etwas zu tun haben, mit keinem der Kinder. Ich weiß auch nicht, wieso ich so war. Ich erinnere mich noch, dass sie mich später sogar zu einer Schulpsychologin geschickt haben, weil die Schule mir schwer fiel. Das lag nicht daran, dass mir das Lernen schwerfiel, ich hatte einfach Angst nachzufragen, eine Lehrerin zu fragen, ob das, was ich gemacht hatte, richtig war, verstehst du? Bis ich, das weiß ich noch gut… ich weiß nicht mehr, wie die Lehrerin hieß, die war Kindergärtnerin und Lehrerin in der 44, in der Grund-schule, und die war anders, die hat mich unterstützt, hat mir geholfen, hat mich gut behandelt und ab da konnte ich meine Angst überwinden. Ich hab sie langsam überwunden und angefangen, Fortschritte zu machen, immer und immer weiter.

M.: Du hast sie überwunden?

F.: Diese Angst, sagen wir mal, die Angst, nachzufragen, die Angst, zu wissen, ob ich etwas gut oder schlecht gemacht hatte. Ich hab mich besser mit den anderen

Page 30: Was Macht Schule? Schule · Herausgeber Ute Clement Universität Kassel Verónica Oelsner Berlin, Deutschland ISBN 978-3-658-11700-9 ISBN 978-3-658-11701-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-11701-6

24 Mercedes Machado und Orsina Kather

Schülern verstanden. Zum Beispiel, wenn sie etwas zu mir gesagt haben, hab ich ihnen geantwortet, verstehst du? Und naja, in der Zeit habe ich dann angefangen, Fortschritte zu machen, immer und immer weiter und ab da hat sich dann alles verändert. Als… in der Sekundarschule dann noch mehr. Ich habe mehr Freunde gefunden, habe mehr mit den Leuten geredet und sogar… ich hab nicht nur mit dem Lehrer geredet, sondern mit allen. Und deswegen, immer wenn ich bei der Echeverría vorbei gehe, fühle ich mich da wohl und ich rede sogar mit dem Di-rektor, dem Pförtner. Außerdem mögen die mich, das merke ich. Und wenn mich jemand fragt, ob ich die Schule empfehlen kann, dann sage ich ja. Wie gesagt, Drogen gibt es überall, Gewalt gibt es überall, es liegt an einem selber. Und ich bin mit der Einstellung zur Schule gegangen, die meine Mama und mein Papa mir immer beigebracht haben: du musst etwas lernen. Und ich bin zur Schule gegangen, um zu lernen und nicht wegen irgendetwas anderem. Klar, ich hab auch mal Mist gemacht… aber weißt du, es gibt Leute, die dir sagen, nein, wieso hängst du denn mit diesem oder jenem Mädchen rum? Aber das ist meine Entscheidung, ich kann Zeit verbringen, mit wem ich will, es ist meine Entscheidung, ob ich dann Drogen nehme oder nicht, verstehst du?

M.: Und welche Schule hat dir besser gefallen, die Grundschule oder die Sekun-darschule?

F.: Nein, die Sekundarschule.

M.: Wieso?

F.: Die war anders, die war komplett anders, ich war offener, hatte mehr Freunde. In der Grundschule war das anders, da hatte ich Angst… […]

M.: Und bist du die erste bei dir zu Hause, die die Sekundarschule erfolgreich abschließt?

F.: Meine Schwester Julia hat sie erfolgreich abgeschlossen. Roberto zum Beispiel, der hat die Sekundarschule nicht fertig gemacht. Ich fände es aber schön, wenn er sie irgendwann noch abschließt.

M.: Du fändest es schön, wenn er sie abschließt?

F.: Ja, ja, ich fände es schön, wenn er sie abschließt. Julia ja, die hat die Schule abge-schlossen, als sie dann weitermachen und zur Uni gehen wollte, zu der Zeit musste