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Page 1: Cover 2007-01 DE GameStarDev
Page 2: Cover 2007-01 DE GameStarDev

/Editorial/

Neues Jahr, alte Debatte /GameStar/dev/start

K illerspiele« ? Wir können eigentlich nicht mehr: Wir haben mit Pädagogen gespro-

chen, mit Politikern aller Couleur. Wir haben im Femsehen ausführliche Statements abgegeben, die dann im Bericht auf drei Wörter gekürzt wur-den. Wir haben an Podiumsdiskussionen teilge-nommen, wir haben versucht, hinter den Kulissen zu wirken. Wir haben auch, in unseren Endkun-denmagazinen GameStar und GamePro, neben der differenzierten Berichterstattung ein bisschen Stimmungsmache betrieben, mit einem vorfor-mulierten Brief an Abgeordnete, Was das ganze Engagement genutzt hat. ist letztendlich fraglich -die Debatte um die so genannten »gewalthalti-gen« Spiele hat zwar die Boulevardpresse verlas-sen, tobt aber in den politischen Gremien und, viel wichtiger, in den Familien noch unvermindert. Daher nehmen wir in /GameStar/dev das Thema nochmal unter einem leicht anderen Aspekt auf und untersuchen die Mechanismen des Jugend-schutzes und die Argumentation der »Spiele-Kil-ler«. Und wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Am Rande: Weil eine Teilauflage dieser Ausgabe testhalberund ausnahmsweise an den Kiosk geht, sieht das Cover ein wenig anders aus als sonst. Die hübsche Titel-Illustration ist übrigens von eboy.de, wir verwenden sie mit großzügiger Erlaubnis der Berliner Pixelkünstler - vielen Dank. Jungs!

Unrasiert und fern der Heimat

In wenigen Tagen ist es mal wieder so weit: Die GGDC findet statt, mit all ihrer; Unterkonferen-zen von GDC Mobile bis zum Serious Games Summit. Wer von der internationalen Entwick-lerszene Geld im Fortbildungs- oder Reisebudget und ein paar Tage Platz im Projektplan findet, pilgert nach San Francisco. Wir sind, wie immer, ebenfalls vor Ort und freuen uns auf ein Treffen mit Ihnen, unseren Lesern und Autoren -es ge-hört zu den größeren Absurditäten des Journa-listenberufs, dass wir manche geschätzten deut-schen Kollegen nur auf amerikanischen Events treffen, nicht aber in der Heimat, wo die Hotels billiger und die Wege kürzer wären.

Wo wir gerade beim Treffen sind, letztes Jahr hat Michael Hengst eine Art »Deutschen Abend« organisiert, ein lockeres Abendessen ohne wei-tere Verpflichtungen, wo sich eine ganze Reihe von Leuten eingefunden hat. Neben Deutschen und Österreichern waren auch ein paar Ameri-kaner dabei, etwa der allgegenwärtige Bob Bates, aber auch Noah Falstein und Ron Gilbert. Dieses Jahr wollen wir uns wieder treffen, die Organi-sation übernehmen Bob Bates, Ralf C. Adam und Erik Simon - wer dabei sein will, möge sich bei Ralf melden: ralf@_tigerteam-productions.de.

Die Debatte um die so genannten »gewaithaltigen« Spiele

hat zwar die Boulevardpresse verlassen,

tobt aber in den politischen Gremien und,

viel wichtiger, in den Familien noch unvermindert!

Gunnar Lott

¡st Chefredakteur von GameStar und /GameStar/dev

Andre Horn

¡st Chefredakteur von GamePro und /GameStar/dev

Heiko Klinge

ist Redakteur von GameStar und Projektleiter von /GameStar/dev

01/2007 /GameStar /dev /Editorial/ 3

Page 3: Cover 2007-01 DE GameStarDev

/Tltelstoty/Debatte

IBBBBBJ

Try

Titelstory "¡ Killerspiele: Tatsachen gegen Propaganda

Jugendschutz

Kai Schmidt erklärt die

Mechanismen beim deutschen

Jugendschutz.

Seite 12

[#• Argumentation

' S Christian Schmidt und Gunnar H Lott analysieren die Argumente

i der »Spiele-Killer«. 1 Seite 18

H i—I-'̂ BJ' *^S5

• a ^ J B T

IVI achdem es bislang nur Ankündigungen

I gab. wurde Anfang Februar vom Freistaat

Bayern der »Entwurf eines Gesetzes zur Verbesse-

rung des Jugendschutzes« eingereicht. In einer

der nächsten Bundesratssitzungen wird der Ent-

wurf dann ausführlich behandelt werden. Grund

genug fur uns. sich des Themas »Killerspiel«-De-

batte in diesem Heft noch einmal anzunehmen.

Geändert werden soll unter anderem §131a des

Strafgesetzbuchs, der in der neuen Form folgen-

des beeinhaltet:

»Virtuelle Killerspiele«:

Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit

Geldstrafe wird bestraft, wer Spielprogramme,

die grausame oder sonst unmenschliche Ge-

walttätigkeiten gegen Menschen oder men-

schenähnliche Wesen darstellen und dem Spie-

ler die Beteiligung an dargestellten Gewalttätig-

keiten solcher Art ermöglichen.

Q verbreitet,

ES öffentlich zugänglich macht.

Q einer Person unter achtzehn Jahren anbietet.

überlässt oder zugänglich macht oder

CS herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbie-

tet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder

auszuführen unternimmt, um sie Im Sinne der

Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder

einem anderen eine solche Verwendung zu er-

möglichen.«

Außerdem gibt es auch Anderungswünsche

beim Verfahren mit Erziehungsberechtigten.

War es früher der eigenen Entscheidung über-

lassen, welche Inhalte Eltem ihren Kindern zei-

gen dürfen, sieht der Entwurf folgendes vor:

ii Es besteht kein legitimes Bedürfnis für Erzie-

hungsberechtigte, exzessive Gewaltdarstellun-

gen Jugendlichen oder gar Kindern zugänglich

zu machen. Das Erzieherprivileg wird daher er-

satzlos aufgehoben.«

Ein krasser Eingriff in die Freiheit des Einzel-

nen, der so vom Grundgesetz nicht gedeckt sein

dürfte. Wir sehen mit Spannung und Sorge auf

die weiteren Entwicklungen

Designer-Umfrage

Welche moralische Verantwor-

tung haben Spiele-Designer!

Sieben Entwickler antworten.

Seite 22

Gamer-Interview

Fabian Siegismund befragt

einen Spieler, der Angst hatte,

so zu sein wie Sebastian B.

Seite 26

P m

01/2007 /GameStar/dev /Titelstory/

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/T i te ls tory /Debat te

Der Status Quo

Jugendschutz in ) Deutschland / Wie arbeiten USK und BPjM? f

- ' V . v '

Wie arbeiten USK und BPjM? Was sind die rechtlichen Grundlagen? Welche Kriterien gelten für die unterschiedlichen Altersfreigaben? Fragen, die in der »Killerspiele«-Debatte viel zu selten gestellt werden. Unser Report gibt die Antworten.

W:

:f.Lt'

r [zensiert]

Kai Schmidt

ist Fiedakteur bei GamePro.

\ A / er hat sich nicht schon über speziell für _J den deutschen Markt angepasste Versio-

nen »härterer« Spiele geärgert? Grünes Blut, Ro-boter statt Menschen, geschnittene Zwischense-quenzen - klarer Fall von Zensur! Oder etwa nicht? Laut Artikel 5 des Grundgesetzes (Absatz 1) findet eine Zensur nicht statt. Was hat es dann aber mit gekürzten Spielen und Indizierungen auf sich? Im folgenden Artikel bringen wir Licht in die Hinter-gründe des Jugendschutzes und zeigen anhand von Fallbeispielen die Mechanismen auf, nach de-nen USK und BPjM funktionieren.

U5K und BPjM

Die USK-Freigabeplaketten kennt wohl jeder, der sich mit Videospielen befasst. Die USK (Unter-

Edmund Stoiber Ministerpräsldenl von Bayern

» Killerspiele gehören in Deutschland verboten. Sie animieren Jugendliche, andere Menschen zu töten.

Das sind völlig unverantwortliche und indiskutable Machwerke, die in unserer

Geseilschaft keinen Platz haben dürfen.«

haltungssoftware Selbstkontrolle) ist nach der Neuregelung des Jugendschutzes vom 1. April 2003 zu einer sehr wichtigen Einrichtung für die Hersteller von Computer- und Videospielen ge-worden, da eine Freigabe durch diese Institution Rechtssicherheit garantiert und das Einschreiten der BPjM verhindert. Die USK-Prüfung läuft nach S14 und % IS des Jugendschutzgesetzes ab, in de-nen die Kriterien zu den einzelnen Freigabestu-fen sowie indizierten Medien dargelegt werden.

Der Freigabeprozess funktioniert folgenderma-ßen: Der Hersteller reicht die finale Version sei-nes Titels ein, woraufhin die Tester der USK das Spiel spielen und sich Notizen machen. Der Titel wird schließlich einem Prüferkomitee vorgeführt und erläutert. Das Komitee spricht eine Freigabe-Empfehlung aus, die dann noch vom Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bestätigt werden muss. Eine genaue Schilderung des Prüf-vorgangs und der Zusammensetzung der Gre-mien finden Sie im entsprechenden Schaubild. Verweigert die USK die Freigabe für ein Spiel, wie unlängst etwa bei Microsofts Gears of War ge-schehen, kann dieses indiziert werden.

12 /Titelstory/ /GameSt.ir/dev 01/2007

Page 5: Cover 2007-01 DE GameStarDev

/Titelstory/Debatte

Wieder die »Killerspiele«

Argumentationsleit-faden für die Debatte Wir nehmen uns die häufigsten ATgumente der »Killerspiele«-Gegner vor und vergleichen Vorurteile und Realität.

r^*\ J~ J - ¿ 1

Gunnar Lett

¡st Chefredakteur

von GameStar

und /GameStar/dev

Christian Schmidt

ist Leitender Redakteur von GameStar

Argument: Diese Spiele sind doch widerlich, da bekommt man Punkte für besondere Brutalität. Analyse: »Sie müssen auf einen Knopf drücken. Dadurch wird etwa ein Arm mit einer Kettensä-ge abgetrennt. Diese Handlung wird zudem po-sitiv bewertet, wenn man sein Opfer zuvor quält. Fürs Arm-Abtrennen gibt es 100 Punkte, fürs Kopf-Abtrennen 1.000 Punkte.« Und es wird »gefoltert und getötet«, sogar »in brutalster Form«. All das sagte Uwe Schünemann, Innen-minister von Niedersachsen, in einem Interview mit dem Stern. Schlimm wäre das, wenn's denn stimmen würde. Stimmt aber nicht. Wir kennen kein in Deutschland frei erhältliches Spiel, in dem derlei Dinge passieren. Deutschland hat seit vielen Jahren strengere Maßstäbe als andere Länder, die Hersteller sind sensibilisiert, der Handel hat Angst vor schlechter Presse - die Lis-te der Spiele, die beispielsweise in der Schweiz erscheinen, in Deutschland aber nicht, die ist

a Himno, 22. Nomen 2006

Der Amoklauf von Emsdetten Der Amoklauf von Emsdetten

Die 5 erfolgreichsten

„Ego-Shooter"-Sj)ie!e ESnrieti¡LLTif vnrnsr £•'» itirjJüffT und rtaSaiischa

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Wie gefährlich sind Ballerspiele? Die tz beantwortet die wichtigsten Fragen

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TZ München, im November 2006: typisch, wie die Boulevardpresse mit dem Thema umgeht.

lang. Im gleichen Interview gibt Herr Schüne-mann übrigens folgendes zu: »Ich habe nicht ge-spielt, sondern ich habe mir diese Szenen aus mehreren Spielen zeigen lassen.«

Argument: Wer Gewalt spielt, der übt auch Ge-walt im täglichen Leben aus. Analyse: »Das ist eine voreilige Schlussfolge-rung, die impliziert, dass die bloße Übung einer Handlung bereits dazu führt, dass man diese Handlung danach auch real ausführt. Demist natürlich nicht so. Ob man in einer Weise han-delt, wie man es vorher geübt hat, hängt von vielen Faktoren ab.« (Peter Vorderer, Diplom-Psychologe, Berkeley)

Argument: Die USK ist zu lasch, das ist ja im Grunde nur ein Schutzveranstaltung, ein Feigen-blatt der Spieleindustrie. Analyse: In der Debatte um das Aussortieren von jugendgefährdenden Spielen ist es vor allem die USK, die Prügel bekommt. Die Kontrollen seien zu lax, polterte etwa Innenminister Uwe Schüne-mann, in TV-Kommentaren wurde das System als »Lachnummer« abgefertigt. Schuld daran mö-gen teilweise Missverständnisse sein, etwa um den Begriff der Selbstkontrolle (das Gremium ist unabhängig von der Spieleindustrie) oder dem Unterschied zwischen Altersfreigabe (USK) und Indizierung (Bundesprüfstellen^ jugendgefähr-dende Medien, BPjM). Bei den Zweiflern stößt aber vor allem eine Regelung auf Unverständnis: Bekommt ein Spiel ein Prüfsiegel, kann es nicht mehr indiziert werden, selbst wenn sich Jugend-ämter beschweren sollten. Den Kritikern gilt das Bollwerk Indizierung damit als durchlöchert.

Die USK verteidigt sich: Der europäische Ver-gleich zeige, dass der Jugendschutz in Deutsch-land wesentlich restriktiver reagiere als in allen Nachbarstaaten. Diese Meinung wird auf der Fachebene (und wenn die Kameras aus sind) durchaus geteilt. Als Wolf-Dieter Ring, der Präsi-dent der Kommission für Jugendmedienschutz, Ende November auf einer Podiumsdiskussion in Berlin vehement das System der Selbstkontrolle verteidigte, widersprach von den Politiker am Tisch - Michaela Noll (CDU), Hans-Joachim Otto (FDP), Christa Stewens (CSU) - keiner. Das wäre auch inkonsequent, denn die USK ist durchaus

13 /Titelstory/ /G.imuStar/iiev 01/2007

Page 6: Cover 2007-01 DE GameStarDev

/Titelstory/Debatte

triktive Maßnahmen seien »am ehesten bei jün-geren Kindern sinnvoll, während sie bei älteren kontraproduktiv wirken können,« Denn was ver-boten sei, ergänzt der Psychologe Peter Vorderer, »das macht uns grade scharf.«. Die Gesellschaft für Medienpadagogik und Kommunikationskul-tur befürchtet durch ein Verbot gar »eine mögli-che Kriminalisierung von Mitarbeitern in der Ju-gendhilfe, die über Spiele wie Counterstrike den Kontakt zu Jugendlichen suchen.« Dies sei eine wichtige Methode, »Jugendliche, die sich durch ihr Spielen isolieren, wieder zu erreichen.«

Ein Verbot würde denn auch »wenig bewir-ken«, glaubt der CDU-Politiker Thomas larzom-bek. Der Fraktionschef der Grünen im Bundes-tag, Volker Beck, konstatiert nüchtern: »Dass man das Problem durch ein Verbot aus der Welt schaffen kann, ist in Zeiten des Internets und Schwarzbrennens ein frommer Wunsch.« Er schließt die Mahnung an die Spieler an, sich selbstkritisch zu hinterfragen: »Die Jugendlichen müssen sich damit auseinandersetzen, was ih-nen an solchen Spielen Spaß macht. Sie müssen aber auch erkennen, was so brutal ist, dass sie es in der Realität nicht wiederholen dürfen.«

Argument: Ein Verbot von Killerspielen würde eine wesentliche Ursache der Schulgewalt be-seitigen. Analyse: »Wenn solche Katastrophen passieren, sind von der Politik immer Handlungsfähigkeit und Konzepte gefragt«, erklärt der CDU-Politiker Thomas Jarzombek. »Da gibt es durchaus Leute, die dem Reflex nachgeben, schnelle und einfa-che Lösungen zu präsentieren.« Dass eine davon ist, Gewaltspiele mit Amoklauf gleichzusetzen, hat die Politik schon nach der Tragödie In Erfurt 2002 erprobt.

Entwicklung der Jugendkriminalität

Schaubild K4.1-1: Entwicklung der polizeilich registrierten tatverdachtigen (TVBZ) Jugendlichen und Heranwachsenden für verschiedene Delikte 1987-2005

luijendhche Heramvachtende

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-einfache! Oielntohl

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Nachdem damals Robert Steinhäuser im Guten-berg-Gymnasium 16 Menschen und sich selbst getötet hatte, forderten Sozialexperten und Leh-rer kleinere Klassen, mehr Personal, Ganztages-betreuung, Schulpsychologen. Denn der Lebens-frust, der sich in Menschen wie Sebastian Bosse und Robert Steinhäuser explosiv verdichtet, speist sich zu einem guten Teil aus schulischem Versagen und Ausgrenzung. Vier Jahre nach Er-furt zieht der Lehrerverbands-Präsident Josef Kraus Bilanz: »Das einzige, was wir erreicht ha-ben, sind Evakuierungspläne für die Schulen.« Ansonsten seien alle Forderungen unerfüllt ge-blieben. Inzwischen kommt in Deutschland auf 12.500 Schüler ein Schulpsychologe; in Europa ist die Quote nur in Malta noch schlechter.

Argument: Diese brutalen Machwerke haben in Deutschland nichts verloren, die verderben bloß die Kinder. Analyse: Die Mehrheit der deutschen »Gamer« dürfte erwachsen sein, das Durchschnittsalter der Leser unserer Schwesterzeitschrift GameStar liegt bei 24,5 Jahren. Ein Verbot bestimmter Spie-le wäre ein schwerwiegender Eingriff in das Selbstverstimmungsrecht erwachsener Spieler. Wenn gewalthaltige Spiele in Deutschland nicht mehr produziert und vertrieben werden dürfen, konnte das auch wirtschaftliche Folgen haben. Der Entwickler Crytek, mit dem Shooter-Projekt Crysis derzeit das Aushängeschild der deutschen Branche, beschäftigt nach eigenen Angaben 130 Leute und investiert 14 Millionen Euro. Wenn Spiele wie Crysis verboten würden, sagte der Fir-menmitgründer Cevat Yerli in einem Beitrag von Focus TV, »dann gibt es Crytek in Deutsch-land vielleicht nicht mehr. Das heißt, wir wür-den raus hier, auswandern.« Allerdings: Crytek ist mit Abstand das bedeutendste Beispiel, denn Deutschlands Entwicklerszene ist dem Baller-spiel traditionell wenig verbunden. Schwerer dürfte es den Handel treffen. Zwischen drei und fünf Prozent beträgt der Anteil der Spiele in Deutschland, die eine Altersfreigabe ab 18 Jah-ren bekommen.

Argument: Die Gewalt an den Schulen nimmt seit Jahren zu, das liegt doch auf jeden Fall an den Gewalt-Medien. Analyse: Kurz nach der Tragödie von Emsdetten und dem daraus entstanden Medien-Sturm hat stern.de eine repräsentative Umfrage veranstal-tet. Ergebnis: 72 Prozent der Stern-Befragten glauben, brutale Spiele seien ein Grund für die zunehmende Gewalt an Schulen. Dagegen ste-hen die Erkenntnisse des »Periodischen Sicher-heitsberichts« des Bundesministerium des In-nern, Zitat: »Weder für die Gewalt an Schulen noch für die Gewalt junger Menschen im öffent-lichen Raum sind Zuwächse zu erkennen. [...] An-haltspunkte für eine BrutaUsierung junger Men-schen sind weder den Justizdaten noch den Er-kenntnissen aus Dunkelfeldstudien oder den Meldungen an die Unfallversicherer zu entneh-men. Es zeigt sich vielmehr im Gegenteil, dass in

20 /T i te ls tory/ /GameStar /dev 01/2007

Page 7: Cover 2007-01 DE GameStarDev

/Titelstory/Debatte

Ensemble Sludios

Bruce Shelley gilt als einer der besten Strategie-spiel-Designer. Zu seinen Werken zählen Railroad Tycoon, Civilization und die Age-of-EmpIres-Serie.

• Ich möchte keine Spiele

machen, die die Grenzen

dessen überschreiten,

was als ethisch

oder moralisch

angesehen wird.

Moralische Verantwortung? Das sagen die Designer Welche moralische Verantwortung haben Spiele-Entwickler? Sieben be-kannte nationale und internationale DesigneT stellen sich bei uns dieseT Gewissensfrage und kommen zu völlig unterschiedlichen Antworten.

»Gewalt als Krücke« Wir bei Ensemble Studios hatten nie den Ein-druck, als Spielentwickler besondere ethische cdermoralische Verantwortung zu haben. Wir folgen unseren alltäglichen, persönlichen Ver-haltensstandards als Staatsbürger. Die meisten von uns machen die Spiele, die sie selbst spielen wollen. In unserem Fall waren das hauptsäch-lich Programme, die auf der Geschichte der Menschheit basieren.

Ich möchte keine Spiele machen, die die Gren-zen dessen überschreiten, was als ethisch oder moralisch angesehen wird. Aber ich fühle mich unwohl dabei, anderen das Recht abzusprechen, genau das zu tun. Ich glaube an persönliche Frei-heit und freie Märkte, die darüber bestimmen, ob ein Produkt den Geschmack der Kunden trifft und zum Erfolg oder Flop wird.

Die Gesellschaft beschäftigt sich seit langem mit Gewalt als Unterhaltungsgegenstand (im Theater, der Oper, in Büchern, Filmen, Nachrich-ten, im Fernsehen etc.), aber meines Wissens nach haben die Forscher bis heute keinen zwin-genden Zusammenhang zwischen gewalthalti-

ger Unterhaltung und daraus resultierendem gewalttätigen Verhalten hergestellt. Psycholo-gen können erklären, warum sich Menschen von Gewalt angezogen fühlen - und ob diese Anziehung unbedingt etwas Schlechtes sein muss oder nicht. Gewalt als Unterhaltungsge-genstand scheint eine kommerzielle Reaktion auf diese Anziehung zu sein; und Spiele sind nur der letzte Eintrag in einer langen Liste von Me-dien, die diesem Bedürfnis Rechnung tragen. Wenn Menschen Gewalt wenigerfaszinierend fänden, dann würden gewalthaltige Spiele ver-schwinden. Der Umkehrschluss funktioniert nicht: Auf gewalthaltige Spiele (oder ähnliche Medien) zu verzichten, wird die Menschen nicht davon abhalten, Gewall attraktiv zu finden.

Es ist schwierig. Menschen erfolgreich zu unterhalten. Deshalb ist es nur natürüch. dass manche Unterhalter zur Gewalt als Krücke grei-fen. Spieleentwickler haben die Gelegenheit, wunderbare interaktive Unterhaltung zu er-schaffen -und es gibt keine Pflicht, den kurzen Weg dorthin zu nehmen.

Simon Bradbury

Firefly Studios

»Nieder mit der moralischen Zensur!«

Simon 1st der geistige Vater von gleich drei erfolg-reichen 5trategiesplel-Serien: Caesar, Lords of Ihe Realm und zuletzt Stronghold.

Würden wir heutzutage die Bibel, Shakespeare

oder den Punk-Rock verbieten?

Eine ausgezeichnete Frage! Meine spontane Bauchgefühl-Antwort wäre: Er hat keine Verant-wortung! Wir sind eine Branche mitten in ihrer Evolution, eine gerade erst flügge gewordene Kunstform, sogar ein soziales Experiment! Als sol-ches sollte das Genre der Computerspiele Gelegen-heit zu Experimenten haben - und die Freiheit, Fehler zu machen. Kunst, Musik und Romane ha-ben im Lauf der Geschichte geschockt und morali-sche Empf indlichkeiten aufgewühlt Würden wir heutzutage die Bibel, Shakespeare oder den Punk-Rock verbieten?! Also »Nieder mit moralischer Zensurl« und »Nein!« an all jene, die Spieleent-wicklern mit Kompromissen und »politischen« Designentscheidungen Fesseln anlegen wollen!

Gut, ich gebe zu, dass es Spiele gibt, gab und ge-ben wird, die eine starke Hand vertragen könnten, weil sie eine Grenze überschreiten. Manhunt war für mich zum Beispiel wegen seiner lebens verach-tenden Einstellung und morbiden Gewalt ein be-

sonders unangenehmer Titel. Aber es liegt in der Hand der Medienwächter, also einer externen In-stanz, zu entscheiden, ob sich ein Spiel für die Öf-fentlichkeit eignet oder nicht (genau wie in der Filmindustrie). Spieldesigner machen ihr Spiel so, wie sie es für richtig halten. Jemand anders ent-scheidet dann, wer es spielen kann.

Eine mindestens ebenso interessante und leb-hafte Diskussion lässt sich über Onlinc-Rollenspie-le und die Frage führen, wie Menschen sich darin verhallen dürfen. Ich denke aber, dass die Lösung auch hier darin liegt, diese Welten zu überwachen, anstatt sie von vornherein zu beschneiden.

Meiner Meinung nach sollte sich ein Spielede-signer all denen gegenüber ethisch verhalten, mit denen er zusammenarbeitet, von der Presse bis zum Publisher. Er hat moralische Verantwor-tung für seine Kollegen und seine Firma. Aber er hat keine Pflicht, ein Spiel zu machen, das die Er-wartungen der Gesellschaft erfüllt.

22 /Titelstory/ /Game5tar/dcv 01/2007

Page 8: Cover 2007-01 DE GameStarDev

/Titelstory/Debatte

/dev-Talk Angst, zu sein wie Sebastian B. GameStar sprach mi t einem Internet-Bekannten von Sebastian B. darüber,

was in jungen, computerspielenden Männern vorgeht.

Fabian Siegismund

ist Redakteur bei GameStar

D

Nimm einen wie mich damals und mach ihn

systematisch fertig. Das muss doch früher oder

später schiefgehen!

er Amokläufer von Emsdetten mag ein Einzelgänger gewesen sein, mit seinen

Hobbys war er aber sicher nicht allein: Die Begeis-terung für Actionspiele und Waffen ist unter männlichen Jugendlichen weit verbreitet. Alexan-der Diehlmann (20)' kannte Sebastian B. aus Waf-fen- und Modding-Foren. GameStar-Redakteur Fa-bian Siegismund sprach mit ihm über seine Ge-meinsamkeiten mit Sebastian B. und darüber, was in jungen, computerspielenden Männern vorgeht.

/GameStar/dev Alexander, du bist ein alter Be-kannter der GameStar-Redaktion. Die Umstän-de, unter denen wir uns getroffen haben, sind allerdings ein wenig... ungewöhnlich. Alexander Könnte man so sagen. Damals, mit 16 oder 17, war ich auf der Suche nach Menschen, die so sind wie ich. Und nachdem ich welche ge-funden hatte, die mich jeden Monat in Form der GameStar-CD besuchten, wollte ich die unbe-dingt kennenlernen. Also bin ich nach München gefahren, habe in der Jugendherberge gepennt und sieben Tage lang vor der Redaktion gelauert - Fotos gemacht, Redakteure angelabert. Bis mich eines Abends Petra mal in die Redaktion eingeladen hat und mir zeigte, dass die Realität im Raumschiff GameStar viel mit Schreibtischen und wenig mit Blastem zu tun hat. /GameStar/dev Mit Petra hast du noch Kontakt. Alexander Ja, und ich würde sogar behaupten, sie hat an einer Stelle in meinem Leben eine be-deutende Rolle gespielt. Nach der Realschule und 40 erfolglosen Bewerbungen war mein Weltbild neu gezeichnet. Und damit meine ich kein schönes Bild. Mein Kumpel und ich lagen nachts besoffen auf Spielplätzen herum, haben den Sternen beim Drehen zugeschaut und das System verflucht. Ich habe dann ein Praktikum als Fachinformatiker angefangen und dabei ge-dacht, dass man es sich wohl nicht aussuchen kann, was das Leben mit einem macht. Petra hat mir gezeigt, dass es nicht so ist: Ich habe auf ihr Zusprechen hin den Job hingeschmissen, mich umgeschaut und plötzlich etwas entdeckt, was zu mir passt. Inzwischen bin ich selbstständiger Mediengestalter. Und höchst zufrieden damit. /GameStar/dev Kanntest du Sebastian B.? Alexander Nur aus dem Internet. Das wurde mir klar, als sein Online-Spitzname »ResistantX« nach dem Amoklauf bekannt wurde. Er war mit

' HJ rrt vcn dt r Siia ktion geändirt

mir in Modding- und Softair-Foren unterwegs, wo sich unsere Wege öfters gekreuzt haben. Aber er war nicht auffällig oder anders als wir anderen. Und das macht mir irgendwie Angst. /GameStar/dev Über was haben Sebastian B. und du in den Foren gesprochen? Alexander Unter anderem über Softair-Waffen. Das sind halbwegs realitätsgetreue Nachbildun-gen echter Waffen, mit denen meist 6 Millimeter große Plastikkugeln verschossen werden - auf alte CDs. Kartons oder andere Softairspieler. Bei dem Thema waren wir einer Meinung, zum Beispiel, dass Optik und Präzision sehr wichtig sind. Wir schworen auf denselben japanischen Hersteller. /GameStar/dev Warum faszinieren dich Waffen? Alexander Das habe ich mich auch lange gefragt und ein leicht mulmiges Gefühl vor dieser Faszi-nation gehabt. Aber für mich, so weiß ich heute, geht es dabei in erster Linie um Industriedesign. Im Gegensatz zum Grafikdesign geht es bei einer Waffe um die Gebrauchsfähigkeit und nicht um das Aussehen - und trotzdem sieht sie gut ausl Deshalb redet man in Softair-Foren auch viel über den realistischen Look einer Replik. Und deshalb ist für viele Waffenfans Softair auch interessanter als Paintball -so wohl auch für Sebastian. /GameStar/devTatsächlich schrieb er in einem Forum, er habe sich gegen Paintball und für Soft-air entschieden, weil es dort mehr Waffenaus-wahl gäbe. Er wolle aber unter keinen Umstän-den als »Hobbyrambo« gelten. Alexander So ist es ja auch, denn es ist schwer, ein Hobby zu verteidigen, bei dem man die Nachbildung eines Sturmgewehrs geil findet. Viele Softair-Fans hätten sicher gerne echte Waf-fen, wollen aber nicht noch negativer auffallen, als sie es ohnehin schon tun. Eigentlich hätte ich auch gern im Team im Gelände gespielt, aber da-zu hatte ich keine Gelegenheit. Es blieb bei ei-nem einzigen schüchternen und nervösen Ver-such, aUein mit meiner Softair-MP5 im Wald auf Bäume zu schießen, ohne von Spaziergängern entdeckt zu werden. Dabei kam ich mir aber schnell blöd vor, inzwischen habe ich auch mei-ne ganze Munition weggeworfen. Denn auch Softair-Waffen sind gefährlich, man denke nur an Kinder oder besonders witzige Kumpels, die mit einer Pistole gestikulieren wie mit einer Bierdose. Weil es außerdem schwer ist, Leuten klar zu machen, dass man Waffen wegen des

26 /Titclstory/ /GameStar/dev 01/2007

Page 9: Cover 2007-01 DE GameStarDev

/GameStar/dev

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