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Stefan Muckel, Lukas Hentzschel, Aiman Mazyek, Bekir Alboğa, Nushin Atmaca, Lydia Nofal, Ehrhart Körting ARBEITSPAPIER RELIGION UND POLITIK 4 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

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Stefan Muckel, Lukas Hentzschel, Aiman Mazyek, Bekir Alboğa, Nushin Atmaca, Lydia Nofal, Ehrhart Körting

ARBEITSPAPIER RELIGION UND POLITIK 4

DIE FINANZIERUNG

MUSLIMISCHER

ORGANISATIONEN IN

DEUTSCHLAND

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INHALT

VORWORT DES HERAUSGEBERS

DietmarMolthagen

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER

FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

StefanMuckel,LukasHentzschel

DIE HEUTIGE FINANZIERUNG DES ZMD UND MÖGLICHKEITEN DER

WEITERENTWICKLUNG

AimanMazyek

FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

FINANZIERUNG RELIGIÖSER UND SOZIALER DIENSTE DER DİTİB

BekirAlboğa

FINANZIERUNGSFRAGEN AUS SICHT EINER KLEINEREN MUSLIMISCHEN

ORGANISATION AM BEISPIEL DES LIBERAL-ISLAMISCHEN BUND

NushinAtmaca

GRÜNDUNG EINER ISLAMISCHEN STIFTUNG BERLIN ZUR TRANSPARENTEN

FINANZIERUNG DES ISLAMISCHEN LEBENS

LydiaNofal

DIE LEGENDE VON EINER UMFASSENDEN STAATLICHEN FINANZIERUNG

CHRISTLICHER GLAUBENSVERMITTLUNG

EhrhartKörting

4

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28

34

40

44

50

3INHALT

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4 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

VORWORT DES HERAUSGEBERS

Dr. Dietmar Molthagen

WiewirdmuslimischesLebeninDeutschlandfinanziert?ÜberdieseFragewirdseitJahrenviel

undkontroversdiskutiert.MehrereDebattensträngehabensichdabeiherausgebildet:Zuletzt

lautergewordenistdieersteDebatteübereineFinanzierungausdemAusland.Gegenüber

Geldern,dieausdemAusland indeutscheMoscheen,Verbändeoderanderemuslimische

Organisationenfließen,bestehenVorbehalte,damanexterneEinflussnahme,imschlimmsten

FallsogarRadikalisierungstendenzenbefürchtet.AndererseitssindfinanzielleVerbindungenvon

KirchenoderReligionsgemeinschaften–diesichselbstjastetsalsinternationalverstehen–seit

JahrenPraxisundwerdenbeinichtmuslimischenGemeindenseltenbisniethematisiert.

EinezweiteDebattewirdüberdieFrageeineröffentlichenFinanzierungfürmuslimische

Organisationen geführt. Muslimische Organisationen wünschen sich eine öffentliche An-

schubfinanzierungundverweisenaufdiehohenErwartungen,dieansieinBezugaufsoziale

Dienste,Jugendarbeit,Deradikalisierung,SeelsorgeundÖffentlichkeitsarbeitgestelltwerden.

EineProfessionalisierungheutevorallemehrenamtlicherbrachterLeistungenvonMoscheen

undmuslimischenOrganisationenbedürfeebenauchentsprechenderFinanzmittel.Kritiker

diesesAnsinnensverweisendemgegenüberaufdiereligiös-weltanschaulicheNeutralitätdes

Staates,dereineöffentlicheFinanzierungvonReligionverbiete.Andererseitsgibtesdirekte

Finanzbeziehungen zwischen Staat und Kirche in Form der Staatsleistungen und indirekte

überdie vielfältigenKooperationsbeziehungen zwischenKirchen,Religionsgemeinschaften

undStaat.

DiedritteDebattekreistumdieFrage,wiedieeigeneFinanzierungvonmuslimischenGe-

meinschaftenorganisiertwerdensoll.WünschenVerbändeüberhauptdieEinführungeiner

Art„Moscheesteuer“analogzurKirchensteuer,wennmandenKörperschaftsstatuserhielte?

ÜberaktuelleFinanzierungsmodelleundderenVeränderungsbedarfwirdnichtzuletztinner-

muslimischeintensivdiskutiert.

DieFragenachderFinanzierungmuslimischenLebensberührtsomitvieleAspekte:rechtliche

Fragenebensowiepolitische,innermuslimischegenausowiegesamtgesellschaftliche.Diese

AspektespiegelnsichauchindenverschiedenenArtikelndiesesBandes.GeradeweildasThema

sovielschichtigist,hatsichdieFriedrich-Ebert-Stiftungentschieden,mehrereAutorinnenund

AutorenumBeiträgezubitten,dieindiesemBandzusammengestelltsind.

WirkönnenundwollennichtmiteinemGutachtentextEmpfehlungengeben,dasThemain

dieseroderjenerWeisezubearbeiten.WirwollenvielmehrdieDebattesichtbarmachenund

Ideenzusammentragen,wiedieFinanzierungmuslimischenLebensinZukunftausgestaltet

werdenkann.Dennes isteineFragederGerechtigkeit,dassmuslimischeGemeinschaften

gleicheRechteundPflichtenwieandereReligionsgemeinschaftenhaben.Esistaberauchim

Interessealler,dassmuslimischeOrganisationeninderLagesind,ihreAufgabenkompetent

undqualitativhochwertigerledigenzukönnen.DennsieleistenspezifischeBeiträgebeider

Integration Geflüchteter, in der muslimischen Jugendarbeit, für den bisweilen konfliktiven

öffentlichenDialogzuislambezogenenFragen–undweitereBeispieleließensichaufzählen.

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DieserBandsolldieDiskussionstrukturierenundversachlichen.ErhältzudemeinigeIdeen

fest,vondenenwirglauben,dasssieeswertsindweiterdiskutiertzuwerden.IndiesemSinn

wünscheichdemBandvieleinteressierteLeserinnenundLeserundfruchtbareDiskussionen

fürdiezuletztinsStockengerateneIntegrationislamischerGemeinschaftenindasdeutsche

ReligionsverfassungsrechtundeineLösungderdrängendenFinanzfrageninvielenmuslimischen

Organisationen.

Dr.DietmarMolthagen

Friedrich-Ebert-Stiftung,ForumBerlin

ArbeitsbereichReligionundPolitik

VORWORT

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6 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER

FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND*

Prof. Dr. Stefan Muckel, Lukas Hentzschel

A) EINFÜHRUNG

DieFinanzierungmuslimischenLebens,insbesonderemuslimischerVereinigungeninDeutsch-

landmussimKontextdesallgemeinenReligionsverfassungsrechtsgesehenwerden.Dasver-

fassungsrechtlicheGebotderGleichbehandlunginreligiöserHinsicht(diesog.staatskirchen-

rechtlicheParität),dasGebotderreligiös-weltanschaulichenNeutralitätdesStaatesundseine

Säkularität lassen einen anderen rechtlichen Ansatzpunkt nicht zu. Es geht also nicht nur

umdieFinanzierungmuslimischenLebensundmuslimischerVereinigungen.Esgehtumdie

FinanzierungreligiösenLebensundreligiöserVereinigungen.SoweitsichdabeiausGründen,

dieindenmuslimischenVereinigungenoderbeidensonstigenAkteurenliegen,Besonderheiten

ergeben,müssensierechtlicheigenständigbewertetwerden.AbereinSonderrechtfür(oder

gegen)MuslimelässtdasGrundgesetznichtzu.

Dabeihandeltessichumeinsensibles,rechtspolitischwiejuristischschwierigesThema.Dazu

passtimÜbrigen,dassdieKirchenfinanzenhierzulande,zumaldiestaatlicheFörderungder

Kirchen,einReizthema1bildeten,demeinnichtunerheblichesMissbehagenvielerBeobachter

zugrundeliegt.2SchonvormehralszweiJahrzehntenglaubtenFachleutedaher,esgehevor

allemdarum,denhergebrachtenZustandeinerauchstaatlichenFörderungvonKirchenund

Religionrechtfertigenzumüssen.3DarinähneltdiedamaligeSituationmöglicherweisederje-

nigenheute,dieallerdingsinihremreligiös-gesellschaftlichenSubstratsehrvielheterogener

geworden ist. Die multireligiöse Gesellschaft – vor Jahren für manchen noch ein Schreck-

gespenst,dasesabzuwehrengelte4–istlängstWirklichkeitgeworden.Sostellensichalte

FragenuntergeändertenRahmenbedingungenneu.

[1] * Der Beitrag geht zurück auf eine Stellungnahme des erstgenannten Verfassers imRahmenderVeranstaltung„FinanzierungmuslimischenLebensinDeutschland“,dieam16.10.2017imRahmender„WerkstattReligionundPolitik“derFriedrich-Ebert-StiftunginBerlinstattfand.BeideVerfasserarbeitenamInstitutfürKirchenrechtderUniversitätzuKöln.D. Pirson, Die Förderung der Kirchen als Aufgabe des säkularen Staates, in: Marrè/Schümmelfeder(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche(28),1994,S.83(83).

[2] D. Pirson,DieFörderungderKirchenalsAufgabedessäkularenStaates,in:Marrè/Schümmelfeder(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche(28),1994,S.83(84).

[3] D. Pirson,DieFörderungderKirchenalsAufgabedessäkularenStaates,in:Marrè/Schümmelfeder(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche(28),1994,S.83(84).

[4] Vgl.nurJ. Isensee,Diskussionsbeitrag,in:Marré/Stüting(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche(20),1986,S.126f.;Lorenz,Diskussionsbeitrag,ebd.,S.131;Tettinger,Diskussionsbeitrag,ebd.,S.132f.;dezidierta.A.schondamalsH. Weber,Diskussionsbeitrag,ebd.,S.133f.–alleinAuseinandersetzungmitdenThesenvonA. Albrecht,ReligionspolitischeAufgabenangesichtsderPräsenzdesIslaminderBundesrepublikDeutschland,ebd.,S.82ff.(196,pass.).

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7RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

B) RECHTLICHE ECKPUNKTE UND STATUS QUO DER FINANZIELLEN FÖRDERUNG VON RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN DURCH DEN STAAT

I. STAATLICHE FÖRDERUNG VON RELIGION UND RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

1. Staatsleistungen

WerüberstaatlicheReligions-undKirchenförderungimAllgemeinennachdenkt,wirdzunächst

indieVerfassungschauenunddortdieRegelungenüberdie–bisherbeiweitemnichtvollständig

abgelösten–StaatsleistungennachArt.140GGi.V.m.Art.138Abs.1WRVindenBlicknehmen.

DanachwerdendieaufGesetz,VertragoderbesonderenRechtstitelberuhendenStaatsleistungen

andieReligionsgesellschaftendurchdieLandesgesetzgebungabgelöst.BeidiesenStaatsleistun-

genhandeltessichumDotationen(diezurBestreitungvonPersonalkostenundSachausgaben

fürdieallgemeinekirchlicheVerwaltungdienen),Pfarrbesoldungs-undVersorgungszuschüsse

zurSicherstellungangemessenerBezüge,KatasterzuschüsseundBaulastenstaatlicherVerwal-

tungsträgerfürkirchlicheGebäude.5ZweckdesArt.138WRVsolltedieAufrechterhaltungder

vermögensrechtlichen Stellung der Kirchen bis zur Neuregelung der finanziellen Verhältnisse

zwischen Staat undKirche sein.6 Vor allemweil damit Entschädigungsleistungen für dieVer-

lustederKirchenindergroßenSäkularisationvon1803verbundensindundabgelöstwerden

müssten,somitalso–nachherrschenderMeinung–ganzerheblicheZahlungenvonstaatlicher

Seiteerbrachtwerdenmüssten, istes zudieserAblösungnichtgekommen.Fürmuslimische

ReligionsgemeinschaftenstelltsichdiesesProblemnicht.DaaberderAblösungsauftraginArt.

140GGi.V.m.Art.138Abs.1WRVeinerNeubegründungvonStaatsleistungennichtentgegen

steht7,könnenaufvertraglicherGrundlage(bishervorallemstaatskirchenvertraglicherGrundla-

ge)neueStaatsleistungenbegründetwerden.DasistinderjüngerenVergangenheitnichtselten

geschehen,auchzugunstenvonnichtchristlichenReligionsgemeinschaften.Beispielefürsolche

neubegründeteLeistungenbildendieinmehrerenVerträgenvereinbartenZuschüssederLänder

anjüdischeGemeinden.8AuchderStaatsvertragzwischenderBundesrepublikDeutschlandund

demZentralratder Juden inDeutschlandausdemJahre20039 enthältdieVerpflichtungder

BundesrepublikzurZahlungeinesbestimmtenBetrages10zurErhaltungundPflegedesdeutsch-

jüdischenKulturerbesundzumAufbaueinerjüdischenGemeinschaftinDeutschland11.

[5] ImEinzelnenvgl.J. Isensee, in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepublikDeutschland,Bd.1,2.Aufl.1994,S.1009(1021f.);T. P. Wehdeking,DieKirchengutsgarantienunddieBestimmungenüberLeistungenderöffentlichenHandandieReligionsgesellschaftenimVerfassungsrechtdesBundesundderLänder,1971;M. Droege,StaatsleistungenanReligionsgemeinschaftenimsäkularenKultur-undSozialstaat,2004.

[6] G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepublikDeutschland,Bd.1,2.Aufl.1994,S.867(868).

[7] NäherS. Muckel,in:Friauf/Höfling(Hrsg.),BerlinerKommentarzumGG,Art.140/Art.138WRVRn.29ff.m.w.N.

[8] AusführlichdazuH. Weber,StaatsleistungenanjüdischeReligionsgemeinschaften,in:Osterloh/Schmidt/Weber(Hrsg.),Staat,Wirtschaft,Finanzverfassung.FSf.Selmer,2004,S.259ff.

[9] Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden inDeutschland–KörperschaftdesöffentlichenRechtsv.27.1.2003,BGBl.IS.1597.

[10]DerursprünglichvereinbarteBetrag inHöhevon3Mio.EURwurde2008auf5Mio.EURerhöht,Art.1derAnlagezumGesetzzumVertragvom3.März2008zwischenderBundesrepublikDeutschlandunddemZentralratderJudeninDeutschland–KörperschaftdesöffentlichenRechts–zurÄnderungdesVertragesvom27.Januar2003zwischenderBundesrepublikDeutschlandunddemZentralratderJudeninDeutschland–KörperschaftdesöffentlichenRechts,v.10.12.2008,BGBl.IS.2398.

[11]Vgl.C. D. Classen,Religionsrecht,2.Aufl.2015,Rn.613.

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8 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

2. Subventionen

Religionsgemeinschaften–bisherallenvorandiechristlichenKirchen–werdenvomStaat

finanziell inerheblichemUmfangbezuschusst.DazuzählenzunächstLeistungenbeiderEr-

füllungsog.gemeinsamerAngelegenheiten(z.B.ReligionsunterrichtanöffentlichenSchulen,

theologischeFakultätenanstaatlichenUniversitäten,Militär-undAnstaltsseelsorge),wohin-

gegen Zahlungen zur Unterhaltung kirchlicher Krankenhäuser, Kindergärten, Privatschulen

u.a.,alsofürEinrichtungen,durchdiedieReligionsgemeinschaftendenStaatbeiderErfüllung

ihmobliegenderAufgabenentlasten,nurineinemsehrweitverstandenenSinnezudenSub-

ventionengezähltwerdenkönnen.EshandeltsicheherumKostenerstattungen,diedieReligions-

gemeinschaften–bisherauchhiervorallemdieKirchen–fürdieWahrnehmungvonAufgaben

erhalten,diedemGemeinwohl ineinem(auch)staatlichdefiniertenSinnezugutekommen.

DiestaatlicheFörderungbestehtnichtzuletztdarin,dassdasRecht,inmanchenBereichen

(etwafürprivateSchulengem.Art.7Abs.4und5GGdasVerfassungsrecht)denReligions-

gemeinschaftenermöglicht,diebetreffendenAufgabenanstelledesStaateswahrzunehmen.

VerzichtetmanaufderleiDifferenzierungen(wieesinderLiteraturnichtseltengeschieht12)

lassen sichpositiveundnegativeSubventionennennen,diederStaatanReligionsgemein-

schaftenerbringtfürAktivitätenimgesellschaftlichenRaum:

ZudenpositivenSubventionenwerdenu.a.gezähltZuschüssefürkirchlicheKrankenhäuser

und Kindertagesstätten, Hochschulen und für die Denkmalpflege. Negative Subventionen

stellenSteuer-,Gebühren-undKostenbefreiungendar.SounterliegenPersonenvereinigungen

undKörperschaften,dieausschließlichgemeinnützige,mildtätigeoderkirchlicheZweckever-

folgen,wederderVermögens-nochderKörperschaftssteuer.FürkirchlicheVeranstaltungen

giltinderRegeldieVergnügungssteuernichtundSpendenanKirchensindwiediegezahlten

Kirchensteuernsteuerlichabsetzbar.13

AuchmuslimischeVerbändeerhaltenstaatlicheZuwendungenfürgemeinwohldienlicheAkti-

vitäten,etwainderJugendarbeit,derFlüchtlingsarbeit,derKonfliktpräventionu.v.a.,zuletzt

allerdingsinteilweisegeringererHöhealsinfrüherenJahren.14AberauchinderEinbindung

in kommunale Angebote der Jugendarbeit werden finanzielle Zuwendungen erschlossen,

dennProfessionalitätderArbeitwirdmitfinanziellerFörderungbelohnt.15

MöchtemandieSubventionen,was ihreZweckrichtungundauchdie staatliche Intention

angeht,aufdenPunktbringen,dannlassensiesichzusammenfassenderklärenalsFörderung

fürsozialeNützlichkeitderAktivitätenvonReligionsgemeinschaftensowiezurKulturpflege.16

[12]Vgl.etwaW. Clement,PolitischeDimensionundPraxisderstaatlichenFörderungderKir-che, in: Marré/Schümmelfeder (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat undKirche 28(1994), S. 41 (51 f.); genauer dagegen G. Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht,2008,S.192f.,wenner„FördermittelfürkirchlicheSozialeinrichtungen“beiden„Kirchensub-ventionen“unberücksichtigtlässt.

[13]NäherG. Robbers, in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBun-desrepublikDeutschland,Bd.1,2.Aufl.1994,S.867(869f.).

[14]Vgl.dieAnlagen1bis5zuDeutscherBundestag,Drucks.18/13658(AntwortderBundes-regierungaufdieKleineAnfragederAbgeordnetenVolkerBeck[Köln],KatjaKeul,Dr.TobiasLindner,weitererAbgeordneterundderFraktionBündnis90/DieGrünen„Einflussausländi-scherStaaten,ParteienundStiftungenaufislamischeGemeinschafteninDeutschlandundoffeneFragenausderDeutschenIslamkonferenz[DIK]“).

[15]Vgl.R. Spielhaus/M. Herzog,DierechtlicheAnerkennungdesIslamsinDeutschland.EinGutachtenfürdieFriedrich-Ebert-Stiftung,S.30,http://library.fes.de/pdf-files/dialog/11386.pdf[zuletztabgerufenam30.10.2017].

[16]D. Pirson,DieFörderungderKirchenalsAufgabedessäkularenStaates,in:Marré/Schüm-melfeder(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche28(1994),S.83(89ff.,95).

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3. Beiträge der Mitglieder, Kirchensteuern

DieKirchenfinanzierensichbekanntlichvorallemüberZahlungenihrer(Mit-)Glieder.17Nach

Art.140GGi.V.m.Art.137Abs.6WRVsindReligionsgemeinschaften,welcheKörperschaften

desöffentlichenRechtessind,berechtigt,aufGrundderbürgerlichenSteuerlistennachMaß-

gabeder landesrechtlichenBestimmungenSteuern zuerheben.DieseBerechtigung steht in

WechselwirkungmitderVerpflichtungderKirche,dassdiekirchlicheBesteuerungdenMin-

destanforderungeneinerrechtsstaatlichenSteuererhebunggenügt.AndererseitshatderStaat

die Möglichkeit, die zwangsweise Eintreibung und die ordnungsgemäße Verwaltung der

KirchensteueraufgrundvonVereinbarungenmitdenkorporiertenReligionsgemeinschaften

sicherzustellen.DaherwirddieKirchensteuerheutegegeneinEntgeltfürdieseVerwaltungs-

leistungalsAnnexvorallemzurEinkommensteuervondenstaatlichenFinanzämterneinge-

zogenundandiekirchlichenSteuergläubigerweitergeleitet.18

DasKirchensteuersystemistgesellschaftspolitisch,aberauchtheologischnichtunumstritten

undbirgterheblicheProblemeinDetailfragen,diehiernichtweitervertieftwerdenkönnen.19

Einemuslimische„Kirchensteuer“existiertderzeitinDeutschlandnochnicht.InderRegel

finanzieren sich die Gemeinschaften über Spenden, zum Beispiel nach dem Freitagsgebet

oderbeibesonderenAnlässen.20IneinemfürdieFriedrich-Ebert-StiftungerstelltenGutachten

von2015heißt es,dass islamischeVerbändeander ErhebungvonMitgliedsbeiträgen im

WegedesSteuereinzugsverfahrenskeinInteressehaben,dadiezwangsweisezuentrichtende

Steuernichtder„zakat“,alsoderfreiwilligenGabeentspreche.21Hingegenseieneinige,aber

eben längst nicht alle islamische Organisationen von Moscheegemeinden und Verbände

steuerrechtlichalsgemeinnützigeOrganisationenanerkannt,sodasssievondenjeweiligen

Vergünstigungenprofitieren.22Diesbetrifft vorallemEinkommensteuer (Abziehbarkeitdes

MitgliedsbeitragsalsSonderausgabe),dieUmsatzsteuer (ErmäßigungdesSteuersatzesvon

19%auf7%)undauchdieMöglichkeitderBefreiungvonderGrundsteuer.Allerdingsist

dazunach§4Nr.1GrStGderStatusderKörperschaftdesöffentlichenRechtserforderlich.

[17]NäherF. Hammer, in:Seer/Kämper (Hrsg.),BochumerKirchensteuertag.Grundlagen,GestaltungundZukunftderKirchensteuer,2004,S.77ff.m.w.N.

[18]Dazu J. Petersen, in: Seer/Kämper (Hrsg.), Bochumer Kirchensteuertag. Grundlagen,GestaltungundZukunftderKirchensteuer,2004,S.101ff.;ders.,in:Uhle(Hrsg.),Kirchen-finanzen in der Diskussion. Aktuelle Fragen der Kirchenfinanzierung und der kirchlichenVermögensverwaltung,2015,S.81ff.;fernerdieNachw.beiS. Muckel,in:Friauf/Höfling(Hrsg.),BerlinerKommentarzumGG,Art140/Art.137Rn.103.

[19]VerwiesenseihiernuraufD. Pirson,DieFörderungderKirchenalsAufgabedessäku-larenStaates,in:Marré/Schümmelfeder(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche28(1994),S.83(93);S. Haering,ModellederKirchenfinanzierungimÜberblick,in:Uhle (Hrsg.), Kirchenfinanzen in der Diskussion. Aktuelle Fragen der KirchenfinanzierungundderkirchlichenVermögensverwaltung,2015,S.11(35ff.);A. v. Campenhausen/H. de Wall,Staatskirchenrecht,4.Aufl.2006,S.238ff.;grundlegendF.Hammer,RechtsfragenderKirchensteuer,2002.

[20]R. Spielhaus, in: Deutschlandfunkkultur, http://www.deutschlandfunkkultur.de/religi-on-wie-finanzieren-sich-moscheen.1008.de.html?dram:article_id=343845 [zuletzt abgeru-fenam30.10.2017].

[21]R. Spielhaus/M. Herzog,Die rechtlicheAnerkennungdes Islams inDeutschland. EinGutachtenfürdieFriedrich-Ebert-Stiftung,S.30,http://library.fes.de/pdf-files/dialog/11386.pdf[zuletztabgerufenam30.10.2017].

[22]R. Spielhaus/M. Herzog,DierechtlicheAnerkennungdesIslamsinDeutschland.EinGut-achten fürdieFriedrich-Ebert-Stiftung,S.30 f.,http://library.fes.de/pdf-files/dialog/11386.pdf[zuletztabgerufenam30.10.2017].

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

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10 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

ImÜbrigenmussdieindemgenanntenGutachtenvon2015formulierteAussage,muslimische

VerbändehättenanderErhebungvonMitgliedsbeiträgenkeinInteresse,indieserAllgemein-

heitalsfragwürdigbezeichnetwerden.JedenfallsdasSatzungsrechteinigermuslimischerVer-

bändesiehtMitgliedsbeiträgeausdrücklichvor.23Esmussdavonausgegangenwerden,dass

muslimischeVerbändeinDeutschlandinzwischenauchdasInstrumentderMitgliedsbeiträge

nutzen,umihrenFinanzbedarfzudecken.24

II. RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN STAATLICHER FÖRDERUNG

1. Keine staatliche Pflicht zur finanziellen Förderung von Religionsgemeinschaften

AusderälterenRechtsprechungdesBundesverfassungsgerichtszuArt.4GG,wonachArt.4

Abs.1undAbs.2GG„nichtnureinindividuellesAbwehrrecht[enthält],dasdemStaatdie

EinmischungindenhöchstpersönlichenBereichdesEinzelnenverbietet,sondernes…auch

im positiven Sinn [gebietet], Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugungen

unddieVerwirklichungderautonomenPersönlichkeitaufweltanschaulich-religiösemGebiet

zusichern“25,konntemanmöglicherweiseschlussfolgern,dassderStaatverpflichtetist,die

Religionsgemeinschaften finanziell zu unterstützen. Eine Förderpflicht wird aber – wenn

überhaupt–nur in Einzelfällenangenommen;namentlichdieGerichteüben sichmitAus-

sagenüberstaatlicheVerpflichtungen inZurückhaltung26.VorallemdasBVerfGselbsthat

eine staatlicheFörderpflichtausdergrundrechtlichenReligionsfreiheit in jüngererZeit klar

ausgeschlossen:„AusArt.4GGlassensichkeineAnsprücheaufbestimmtestaatlicheLeis-

tungen ableiten“27. Wenn aber der Staat eine finanzielle Förderung von Religionsgemein-

schaftenbetreibt,kanndieReligionsfreiheiteine„leistungsrechtlicheKomponente“entfalten,

diezur„TeilhabeanetwaigenstaatlichenLeistungen“28 führenkann.Dasaberumschreibt

bereitsdennächstenSchrittderÜberlegungen,die Fragenämlich,welchen (verfassungs-)

rechtlichenBindungenderStaatunterliegt,wennersichdennzurFörderungvonReligions-

gemeinschaftenentschließt.HiergehteszunächstnochumdieGrundfrage,obdieeinzelne

ReligionsgemeinschafteinengenuinenAnspruchauffinanzielleFörderunghabenkann.Diese

FrageistnachderRechtsprechungdesBVerfGzuverneinen.

[23]Vgl.nur§8derSatzungderDİTİB-GemeindenimLandesverbandRheinland-Pfalz(sog.Gemeindesatzung);§10Nr.3derIslamischenReligionsgemeinschaftDİTİBRheinland-Pfalze.V.vom1.12.2013;fernerdieSatzungderIGMG–IslamischeGemeinschaftMilliGörüse.V.vom14.5.2011(§7Nr.1:„DerVereinbestreitetdiezurErfüllungseinerAufgabennotwen-digen Mittel insbesondere durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, öffentliche Förderung unddurchsonstigeEinnahmen.“);dieSatzungderIGMG–IslamischeGemeinschaftMilliGörüs,OrtsvereinLudwigshafen-West(Nr.12:„Beiträge.HöheStaffelung,FälligkeitundZahlungs-artderBeiträgewerdenvomVorstandfestgelegt“). In§8Nr.1derSatzungdesLandes-verbandesderIslamischenKulturzentrenRheinland-Pfalzvom15.6.2014heißtesimmerhin,dassdie„Landesreligionsgemeinschaft“vonihrenMitgliedernBeiträgeerheben„kann“.AusderPraxisistbekannt,dassinmehrerenVerbändentatsächlichMitgliedsbeiträgeerhobenwerden.

[24]Vgl.nurT. Lemmen,MuslimischeOrganisationen inDeutschland, in:Antes/Ceylan(Hrsg.), Muslime in Deutschland. Historische Bestandsaufnahme, aktuelle Entwicklungenundzukünftige Forschungsfragen,2017, S.309 (314),derohneweiteresdavonausgeht,dassindenMoscheegemeinden„dasEinsammelnundVerwendenvonPflichtabgabeundSpenden“organisiertwird.

[25]BVerfGE41,29(49).

[26]Vgl.dieAnalysederRspr.desBVerfGvonG. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepublikDeutschland,Bd.1,S.867(873);ausjüngererZeitvgl.VGPotsdam,Urt.v.19.5.2014-12K1994/13,jurisRn.43.

[27]BVerfGE123,148(178).

[28]BeideZitate:BVerfGE123,148(178).

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InderLiteratursindverschiedeneAnsätzefüreineFörderpflichtdesStaatesentwickeltworden.

DirkEhlersentnimmtderReligionsfreiheitinAusnahmefälleneineFörderpflichtdesStaates,

indemersieaufdieobjektiv-rechtlicheDimensiondesArt.4GGzurückführt.DerStaatsei

verpflichtet,GrundrechtsgüterzuoptimierenundmüssederReligionsfreiheitrealeGeltung

verschaffen,wasgenauerdieHerstellungallernotwendigenBedingungenbedeute,umdie

Grundrechteverwirklichenzukönnen.29MitRechtweistEhlersaberauchdaraufhin,dass

seineTheseninrechtswissenschaftlichenDiskussionumstrittensind.30

PaulMikatbegründeteinestaatlicheLeistungspflichtmitdemSozialstaatsprinzip.31Daskann

aberschondeshalbnichtüberzeugen,weildasSozialstaatsprinzipeinbesondersschwerfass-

baresStaatszielist,dasinweitemMaßederKonkretisierungdurchdeneinfachenGesetzgeber

bedarf.DabeihatderGesetzgebernachganzüberwiegenderAuffassungeinenweitenGe-

staltungsspielraum.32Nicht zuUnrecht hat Friedrich E. Schnappdarauf hingewiesen, dass

mandarüber,wiedassozialeStaatszielimEinzelnengesetzlichanzusteuernist,demGrund-

gesetzkaumetwasentnehmenkann.33KonkretePflichtendesGesetzgebersundsubjektive

RechtedesEinzelnenlassensichausihmgrundsätzlichnichtableiten.34

AucheineAnknüpfungandieKulturstaatsverpflichtungdesGrundgesetzes35vermagnicht

zu überzeugen. Wer eine Kulturstaatsverpflichtung des Staates in Betracht zieht, versteht

ihnalsKulturstaat,welcherRahmenbedingungenschafftunderhält,damitsichKulturent-

faltenundweiterentwickelnkann.36DemnachseiesAufgabederVerfassung,ihreeigenen

Voraussetzungen der kulturellen Existenz durch finanzielle Förderung der Religionsgemein-

schaftenzuwahren.37EinesolcheSichtweiseerscheintaberschondeshalbfragwürdig,weil

sichmit diesemArgument aus nahezu jedemGrundrecht, das dieKultur prägt, indemes

FreiräumezurSelbstentfaltungschafft(unddasistdieüberwiegendeZahlderGrundrechte),

eineFörderpflichtdesStaatesableiten ließe.38DieFörderungvonReligionsgemeinschaften

istwohlgemerktauchausGründenderKulturförderungverfassungsrechtlichmöglich.Aber

einerechtlicheVerpflichtungdesStaateswirdmanausdemGedankenderKulturstaatlichkeit

nichtableitenkönnen.39

[29]D. Ehlers,Diskussionsbeitrag,in:Marré/Schümmelfeder(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche(28),1994,S.26(27).

[30]D. Ehlers,Diskussionsbeitrag,in:Marré/Schümmelfeder(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche(28),1994,S.26(27).

[31]P. Mikat,in:Benda/Maihofer/Vogel(Hrsg.),HandbuchdesVerfassungsrechtsderBun-desrepublikDeutschland,2.Aufl.1994,§29Rn.18.

[32]Vgl.S. Muckel/M. Ogorek,Sozialrecht,4.Aufl.2011,§6Rn.2.

[33]F. E. Schnapp,WaskönnenwirüberdasSozialstaatsprinzipwissen?,JuS1998,S.873(877).

[34]S. Muckel/M. Ogorek,Sozialrecht,4.Aufl.2011,§6Rn.3m.w.N.zurRspr.desBVerfG.Allenfalls wenn es um die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums geht,kannimEinzelfalleinsubjektivesRechtgegendenStaatbestehen.

[35]Vgl.zurEinordnungDeutschlandsalsKulturstaatBVerfGE35,114;36,321(331).

[36]Vgl. dazu G. Robbers, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts derBundesrepublikDeutschland,Bd.1,S.867(878).

[37]Vgl.auchA. Uhle,Staat–Kirche–Kultur,2004,S.133,derallerdingsauchaufdenGedankenderdauerhaftenFreiheitssicherunghinweist.

[38]F. Strich,GrundrechtlicheSchrankenbeiderstaatlichenFörderungsgewährung,2016,S.209.

[39]ZuweiterenVersucheninder(teilweiseschonetwasälteren)Literaturvgl.J. Müller-Volbehr,PositiveReligionspflege,in:ZRGKan.Abt.117(2000),S.367(373m.w.N.).

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

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12 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

Damit lässtsichkeineallgemeine,originäreRechtspflichtdesStaateszurFörderungder in

seinemTerritoriumansässigenReligionsgemeinschaftenfeststellen.40JedochistderStaatzur

Förderungstätigkeitberechtigt.Ermussnichtfördern,erdarfaber.Esobliegtseinempflicht-

gemäßenErmessen.41WennersichzurFörderungentschließt,liegtdarinkeinBekenntniszu

einerbestimmtenReligion,sonderndieAnerkenntnisundWertschätzungeinerbestimmten

Aufgabenerfüllung, etwa im sozialen Bereich, zugunsten der Gesellschaft (dazu sogleich

B.3.a)/4.).DurchstaatlicheFörderungsinddieReligionsgemeinschaftenerstzureffizienten

undnachhaltigenLeistungimInteressedesGemeinwohlsbefähigt.MitBlickaufdieKirchen

istgesagtworden:„OhneihrEngagementwäredasSozialstaatsprinzipaufvielenGebieten

bloßeWorthülse,derKulturauftragdesStaatesinsgesamtbliebeauchunterdenheutigenVoraus-

setzungenweitgehendsäkularerGesellschaftohnekirchlicheGegenwartaufweitenStrecken

unerfüllt.WenigerKirchewürdeunweigerlichmehrStaatbedeuten.“42Dasgiltheutefüralle

Religionsgemeinschaften, die sich aus religiösen Motiven zugunsten des gemeinen Wohls

engagieren,alsomitihrerArbeitEffekteerzielen,dieauchbeireinsäkularerBetrachtungals

nützlichgewürdigtwerdenmüssen.

DerStaatistnachallemnichtdafürverantwortlich,dassdieReligionsgemeinschaftenfinanziell

hinreichendausgestattetsind.43Erermöglichtihnen,aufdieGesellschaftimSinneihrerGlau-

bensüberzeugungeneinzuwirkenundamsozialenLebenteilzuhaben,diedafürnotwendigen

Mittelabermüssensiegrundsätzlichselbstaufbringen.SiehabenkeinenoriginärenRechts-

anspruchauffinanzielleFörderung.

2. Erforderlichkeit einer gesetzlichen Rechtsgrundlage

a)Staatsleistungen

EntscheidetsichderStaatzufinanziellerFörderungderReligionsgemeinschaften,stelltsich

dieFragenacheinergesetzlichenGrundlage;dochauchindieserHinsichtistzudifferenzieren.

EskommtaufdieArtderFörderungan.StaatsleistungenbedürfeneinesbesonderenRechtstitels,

derineinemGesetzbestehenkannoderauchineinemVertrag,derallerdingsnachgängiger

juristischerSichtweiseundgefestigterStaatspraxis jedenfallsdanneinesbestätigendenGe-

setzesbedarf,wenndadurcheinLandodergarderBundverpflichtetwerdensoll.Durchdas

ZustimmungsgesetzerlangtderVertragRechtsverbindlichkeit.ZugleichistdenAnforderungen

desGesetzesvorbehaltsGenügegetan,wennunterBeachtungdesGleichheitsgebots eine

ausreichendbestimmteundneutraleVerteilungsregelunggeschaffenwurde.44DieVerteilung

derMittelaufverschiedeneReligionsgemeinschaftendarfnicht imErmesseneinervon ihnen

stehenoderdenHaushaltsplänenüberlassenwerden.45AusdrücklichhatdasBVerfGesfür

[40]Sodieganzh.M.,vgl.nurBVerfGE93,1(16);BVerwGE65,52(57);87,115(133);beson-dersdeutlichauchBbgVerfG,NVwZ-RR2012,S.577(582:„grundrechtlichkeinoriginärerLeistungsanspruch“);C. Starck,in:Mangoldt/Klein/Starck(Hrsg.),KommentarzumGrund-gesetz,Art.4Abs.1,2GG,Rn.18;H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.),GrundgesetzfürdieBundesrepublikDeutschland,Art.4GG,Rn.43a;A. v. Campenhausen/H. de Wall,Staatskirchenrecht,S.66.

[41]Vgl.VGPotsdam,Urt.v.19.5.2014-12K1994/13,jurisRn.47.

[42]G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepu-blikDeutschland,Bd.1,S.867.

[43]BVerfGE44,37(56f.).

[44]DazuLVerfGLSA,NVwZ-RR2013,S.393(395).

[45]J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,S.267.

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unzulässigerklärt,dasseineReligionsgemeinschaft lautVertragdieVerteilunganandere

ebensoförderungswürdigeGemeinschaftenvornehmensoll.46

Für muslimische Religionsgemeinschaften ist der Abschluss von Verträgen mit dem Staat,

namentlichdenLändern,dieeinzigeMöglichkeit, indenGenussvon–neubegründeten–

Staatsleistungenzukommen.47

b)Subventionen

MuslimischeVereinigungenkommenderzeitindenGenussfinanziellerLeistungdesStaates

vor allem inGestalt vonSubventionen,d.h. Fördermittel imKontext einer abstraktenReli-

gionsförderungaufgrunddesHaushaltsplanes.DieFrage,obsolcheLeistungenaufeinem

einfachenHaushaltstitel(vgl.fürBundesmittelArt.110GG)beruhenkönnenodereineigenes

Parlamentsgesetzerfordern,wirdunterschiedlichbeurteilt.DasBerlinerVerwaltungsgericht

hateineFörderungdesLandesverbandesdesHumanistischenVerbandesDeutschlandsu.a.

mitderBegründungausgeschlossen,dassesunterRückgriffaufdieWesentlichkeitstheorie

für die staatliche Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften deshalb

einer Ermächtigung durch Parlamentsgesetz bedürfe, weil sie die verfassungsrechtlichen

Grundsätzederreligiös-weltanschaulichenNeutralitätdesStaatessowiedieParitätderReligi-

ons-undWeltanschauungsgemeinschaftenerheblichberühre.48

TraditionellundimAllgemeinengehtdieRechtsprechungaberbeiSubventionennichtsoweit.

DasBundesverwaltungsgerichthält„[...]nebeneinemförmlichenGesetzauchjedeandere

parlamentarischeWillensäußerung,insbesondereetwadieBereitstellungderzurSubventio-

nierungerforderlichenMittel als einehinreichendeLegitimation verwaltungsmäßigenHan-

delns […]“fürausreichend.49DamitsindSubventionenallenfallseingeschränktdemGeset-

zesvorbehaltunterstellt,nämlichimHinblickaufdasHaushaltsgesetz.Dasgiltgrundsätzlich

auchfürdiefinanzielleFörderungvonReligionsgemeinschaften.50

SoweitstaatlicheLeistungenabereinenGrundrechtseingriffdarstellen,unterliegensiedem

grundrechtlichenGesetzesvorbehalt.51DiesistetwaderFallbeiderFörderungeinesVereins,

dervorReligionsgemeinschaftenwarnt,dadieBetroffeneninihrerweiterenAusbreitungund

ihrerTätigkeitallgemeinbeschränktwerden.52DienegativendurchdenVereinbezweckten

AuswirkungensinddemStaatdurchdieFörderungkausalzurechenbar.53 Ineinemsolchen

Fallwirdmanvoneinemmittelbar-faktischenGrundrechtseingriffsprechenkönnen.54

[46]BVerfGE123,148;vgl.dazuauchVerfGSachsAnh.,NVwZ-RR2013,S.393.

[47]DazuobenB)I.1.

[48]VGBerlin,KirchE37,151,(157ff.);krit.gegenüberderWesentlichkeitstheoriewegenihrermangelndenAussagekraftaberM. Droege,StaatsleistungenanReligionsgemeinschaf-tenimsäkularenKultur-undSozialstaat,2004,S.426ff.m.w.N.

[49]GrundlegendBVerwGE6,282(287);18,352(353);58,45(48);ausjüngererZeitVGSchwerin,Urteilvom12.März2013–3A450/11–,jurisRn.18

[50]Vgl.BVerfGE123,148(184f.);VerfGSachsAnh,NVwZ-RR2013,S.393(394).

[51]VertiefendM. Droege,StaatsleistungenanReligionsgemeinschaftenimsäkularenKultur-undSozialstaat,2004,S.427f.

[52]BVerwGE90,112 (122 f.),das sichmitder FörderungdesprivatenVereins „Aktion fürgeistigeundpsychischeFreiheit-ArbeitsgemeinschaftderElterninitiativene.V.(AGPF)“ausein-andersetzte.

[53]F. Strich,GrundrechtlicheSchrankenbeiderstaatlichenFörderungsgewährung,2016,S.215.

[54]Vgl.A.v.Campenhausen/H.deWall,Staatskirchenrecht,4.Aufl.2006,S.66,dieal-lerdingskeinenGrundrechtseingriffannehmen,sonderneinenFall,indemdieWirkungderfinanziellenFörderungdereinesstaatlichenEingriffsgleichkomme.

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

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14 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

AbernichtnuröffentlicheKritik,sondernauchdieBewertungreligiöserZwecksetzungender

ReligionsgemeinschaftensowieeinestaatlicheRechnungsprüfungkönnendiegrundrechtliche

ReligionsfreiheitausArt.4Abs.1und2GGundauchdasSelbstbestimmungsrechtderReli-

gionsgemeinschaftennachArt.140GGi.V.m.Art.137Abs.3WRVbeeinträchtigen.Siekönnen

zurBeeinflussungvonOrganisationsentscheidungenkirchlicherEinrichtungenführen,siestaat-

lichenareligiösenWirtschaftlichkeitsvorstellungenunterwerfenoderdiePersonalhoheitbe-

rühren.55DerStaatdarfsichnichtinkirchlicheAngelegenheiteneinmischenundüberfinan-

zielleFörderungEinflussmöglichkeitenerkaufen,dieihmvonVerfassungwegenuntersagtsind.

HingegensindLenkungsauflagen inVergabebestimmungenvonZuwendungsrichtlinienun-

bedenklich,daderStaatnichtzurLeistungandieReligionsgemeinschaftenverpflichtetist.56

AuchwenndiefinanzielleFörderungfürdiesachgerechteVerwirklichungdesArt.4GGhäufig

notwendigist,sowirdaberdasErforderniseinerformellgesetzlichenErmächtigungsgrundlage

inderRegelnichtanzunehmensein.57

c)Mitgliedsbeiträge,Kirchensteuern

FürSteuern,diediekorporiertenReligionsgemeinschaftennachArt.140GGi.V.m.Art.137

Abs.6WRVerhebenkönnen(„Kirchensteuern“),ergibtsichdieNotwendigkeiteinergesetz-

lichenGrundlageimAnsatzbereitsausderVerfassungsbestimmung,inderesheißt,dassdie

Religionsgemeinschaften,dieKörperschaftendesöffentlichenRechtssind,„nachMaßgabe

derlandesrechtlicheBestimmungen“berechtigtsind,dieseSteuernzuerheben.ImÜbrigen

unterliegtdie(Kirchen-)SteuerdeshalbdemVorbehaltdesGesetzes,weilsieEingriffscharakter

hat.58 Sollten in vielleichtnicht allzu ferner ZukunftmuslimischerReligionsgemeinschaften

dieKörperschaftsrechteerhalten(bisheristdiesnurganzvereinzeltgeschehen)undsollten

sie – was derzeit aus vornehmlich religiösen, spezifisch islamischen Gründen noch als un-

wahrscheinlichgeltenmuss–dereinstSteuernerhebenwollen,mussallerdingsdarübernach-

gedachtwerden,diebisher indenLändernbestehendenKirchensteuergesetze59 inhaltlich

anzupassenundauchmitreligiösneutralenBezeichnungenzuversehen.

Für Beiträge, die vonMitgliedern solcher Religionsgemeinschaften zu zahlen sind, die ver-

einsrechtlichorganisiertsind,bedarfeskeinerbesonderengesetzlichenGrundlage.Insoweit

istmit§58Nr.2BGB,deraufdasSatzungsrechtverweist,einehinreichendegesetzliche

Grundlagegegeben.

[55]G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepublikDeutschland,2.Aufl.1994,Bd.1,S.867(881).

[56]Vgl.G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundes-republikDeutschland,Bd.1,2.Aufl.1994,S.867(882).

[57] A. v. Campenhausen/H. de Wall,Staatskirchenrecht,4.Aufl.2006,S.67.

[58]C. D. Classen,Religionsrecht,2.Aufl.2015,Rn.324m.w.N.;zustimmendbereitsS. Muckel,in:Friauf/Höfling(Hrsg.),BerlinerKommentarzumGG,Art.140/Art.137WRVRn.104.

[59]EtwadasGesetzüberdieErhebungvonKirchensteuernimLandNordrhein-Westfalen(Kirchensteuergesetz)i.d.F.derBekanntmachungv.22.4.1975,GV.NRW.S.439.

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3. Rechtliche Grenzen und Maßgaben für finanzielle Leistungen an

Religionsgemeinschaften durch staatliche Stellen

EsbestehenvielfältigeverfassungsrechtlicheVorgaben,dieeinestaatlicheFinanzierungmusli-

mischer Religionsgemeinschaften – wie im Übrigen jeder anderen Religionsgemeinschaft

auch–begrenzenundfürjuristischunbedenklicheFinanzierungsmodellesowieeinzelnePro-

jekteMaßgabenbieten.

a)Diereligiös-weltanschaulicheNeutralitätdesStaates

Zunächst stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der dem Staat zukommenden religiös-

weltanschaulichenNeutralitätimSinnevonArt.4GG,Art.3Abs.3GG,Art.33Abs.3GG,

Art.140GGi.V.m.Art.136Abs.1,2WRVundderFörderungvonReligionsgemeinschaften.

NachdemGrundsatzderNeutralitätistesdemStaatuntersagt,sichmiteinerReligion,einer

KircheodereinerReligionsgemeinschaftinhaltlichzuidentifizieren.DerStaatdarfnichtPartei

ergreifenfüreineReligionoderWeltanschauung,sichaufihreSeitestelleno.ä.Infolgedessen

darferauchnichtden InhalteinerReligionoderdiereligiösenEinstellungenseinerBürger

bewertenodergarbestimmen.ErmussallenBürgernungeachtetihresreligiösenoderwelt-

anschaulichenBekenntnisses„Heimstatt“sein.60

KeinBekenntnisdarfprivilegiertoderbenachteiligtwerden;61dasgiltauchundgerade im

Bereichder staatlichenFörderung.DaderStaatmangelsEinsichtundgeeigneterKriterien

nichtdieKompetenzhat,religiöseInhaltezubewerten62,kannersichgarnichtaufdiebe-

wusst einseitige Förderungbeschränken– zumBeispiel nurdesChristentums.Wennaber

schoneineöffentlichekritischeAuseinandersetzungmiteinerReligionoderWeltanschauung,

sogar Warnungen63 bei gewichtigen und überwiegenden Gründen des Gemeinwohls mit

Verfassungsrang64 gerechtfertigt sein können, dann kannder Staat durchaus in öffentlich

wirksamerWeiseeinzelneReligions-undWeltanschauungsgemeinschaftenvonderFörderung

ausschließen, von denen eine Gefährdung der verfassungsrechtlich hervorgehobenen Ge-

meinschaftsgüterausgeht.Eswärewidersprüchlich,wennderStaatinGefährdungslagenbe-

rechtigtwäre,Warnungenauszusprechen,gleichwohlaberverpflichtetwäre,diebetroffene

Religionsgemeinschaftfinanziellzuunterstützen.65

EinBeispielkönntederFallsein,indemeineReligionsgemeinschaftmitihrverbundeneImame

oder Religionslehrer anweist, Informationen über die politische Einstellung von Gläubigen

bzw.Schülernund ihrenElternzusammelnundzuübermitteln.Denndadurchwürdedas

GrundrechtderBetroffenenauf informationelleSelbstbestimmungausArt.2Abs.1 i.V.m.

Art.1Abs.1GGbeeinträchtigt.WennaberdieImamebzw.ReligionslehrerzusolchenAk-

tivitätenaufgrundeigener Initiativeübergehen,kanndiesderReligionsgemeinschaftnicht

zugerechnetwerden.ProblematischistderFall,dassdieGeistlichenbzw.LehreranderReligions-

gemeinschaftvorbeiunmittelbarausdemAuslandangewiesenwerden,dieangedeuteten

[60]Vgl.BVerfGE19,206(216);S. Korioth,in:Maunz/Dürig(Hrsg.),GrundgesetzKommentar,Art.140GG,Rn.31.

[61]BVerfGE105,279(294f.).

[62]BVerfGE102,370(394).

[63]BVerfG,NJW1989,S.3269(3270).

[64]OVGNRW,NVwZ1991,S.176(177).

[65]F. Strich,GrundrechtlicheSchrankenbeiderstaatlichenFörderungsgewährung,2016,S.214.

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

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16 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

SpitzeltätigkeitenzuentfaltenundihreInformationenauchunmittelbarandieausländische

Stellezusenden.DerFallistbisherbekanntlichnichtabschließendentschieden.Entscheidend

dürftesein,obsolchePersonenfürdiebetreffendeReligionsgemeinschaftarbeiten,ggf.sogar

indemvondieserReligionsgemeinschaftinhaltlichverantwortetenReligionsunterricht(Art.7

Abs.3Satz2GG)imAuftragundmitausdrücklicherErlaubnisderReligionsgemeinschafttätig

sind.Solltedieszutreffen,mussdiebetreffendeReligionsgemeinschaftauchfürdasFehlver-

haltenderbetreffendenPersoneneinstehen,wennsienichtumgehendgegensievorgeht,

nachdemsiedavonerfahrenhat.

NochschwierigerdürftedieFragezubeantwortensein,obeineinstitutionalisierteVerbindung

zwischeneinerinDeutschlandtätigenReligionsgemeinschaftundeinemausländischenStaat

ausreicht,umfinanzielleFörderungenzuverweigern.DerBundesverbandderDİTİBistdeut-

lich mit dem türkischen Amt für religiöse Angelegenheiten verbunden. Das ist altbekannt

undwirdschonausdemNamenderVereinigungdeutlich („Türkisch-IslamischeUnionder

AnstaltfürReligion[D.I.T.I.B.]Köln“).InderVorschriftderSatzungvon2009(inderFassung

von2012)zurMitgliedschaftwirdanersterStellederPräsidentdesAmtesfürreligiöseAn-

gelegenheitendertürkischenRepublikgenannt.DannwerdenweiteretürkischeAmtsträger

genannt,erstdanachdieVorsitzendenderLandesverbändeunderstdanachwirdineinem

eigenenAbschnitt(§4Nr.2derSatzung)natürlichenPersonenmuslimischenGlaubensdas

RechtzumBeitritteingeräumt.ZudenOrganenderDİTİBgehörteinBeirat(§7derSatzung),

dessenVorsitzenderderPräsidentdesAmtes für religiöseAngelegenheitender türkischen

Republikist(§11derSatzung).DieserBeiratbestimmtdievonderMitgliederversammlung

zuwählendenVorstandsmitglieder(§9Nr.2derSatzung).SoferneinKandidatinderMitglieder-

versammlungnichtdieMehrheitderStimmenerhält,istdieWahlmiteinemneuenvomBeirat

aufgestelltenKandidatenfortzuführen.InbestimmtenFällenentscheidetdasPräsidiumfürReli-

giöseAngelegenheiten–Diyanet–überAngelegenheitendesVereins(§13Nr.7derSatzung).

DieLandesverbändederDİTİBhaben,soweitersichtlich,solcheBestimmungennichtinihren

Satzungen.Aberauchsiestehen– jedenfalls,soweitesausdenSatzungenerkennbarwird–

unterdemEinflussdesAmtesfürreligiöseAngelegenheitenunddesBundesverbandes.So

bestehtderAufsichtsratdesLandesverbandesausdenMitgliederndesVorstandsdesBundes-

verbandes(vgl.etwa§19derSatzungdesLandesverbandesRheinland-Pfalzv.1.12.2013)

undhatmaßgeblichenEinflussaufdiepersonelleZusammensetzungdesVorstandsdesLandes-

verbandes(§14Nr.1Satz8undNr.2derSatzungdesLandesverbandesRheinland-Pfalz).

Die Mitglieder des Religiösen Beirates des Landesverbandes werden vom Religionsrat des

Bundesverbandesbestimmt(§20Nr.1derSatzungdesLandesverbandesRheinland-Pflaz).

UnabhängigvonWeisungendesReligiösenBeiratesistallerdingsimLandesverbanddieKom-

mission,diedieInhaltedesReligionsunterrichtsanöffentlichenSchulenbestimmt(§21Nr.5

derSatzungdesLandesverbandesRheinland-Pfalz).

Einmittelbarerbzw.unmittelbarerEinflussdestürkischenAmtesfürreligiöseAngelegenhei-

tenaufdieArbeitderinDeutschlandbestehendenDİTİBlässtsichalsonichtübersehen.Es

gehthiernichtumdenReligionsunterrichtnachArt.7Abs.3GGodereinevertraglicheRege-

lung,diezuihmhinführensoll.HierfürmagdieerwähnteBestimmungin§21Nr.5derSat-

zungdesLandesverbandeseinegewisseEntlastungverschaffen.66Inderhierinteressierenden

FragenachEinschränkungenbeiderfinanziellenstaatlichenFörderunggehtesummehr:

[66]Vgl.mitBlickaufdiegleich lautendeBestimmungimSatzungsrechtdesniedersächsi-schenLandesverbandesS. Muckel,MuslimischeVerbändealsReligionsgemeinschaftenundVertragspartnerdesLandesNiedersachsen,in:Thümler(Hrsg.),WofürbrauchtNiedersachseneinenVertragmitmuslimischenVerbänden?,2016,S.125(160f.).

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Ist der Umstand, dass eine Religionsgemeinschaft durch eine ausländische Stelle (mit-)ge-

steuertwird,ein rechtlich relevanterGrund,umeinefinanzielleFörderung inDeutschland

zukürzenoderzuunterlassen,wennderbetreffendeausländischeStaatdieinDeutschland

geltendenGrundregelneinerfreiheitlichendemokratischenOrdnung,namentlichrechtsstaat-

licheStandards,nicht(durchgängig)einhält?AusunsererSichtistdieseFragezubejahen,da

der Staat bei der Gewährung von Mitteln im Rahmen der Leistungsverwaltung in weit-

reichendem Maße Ermessenserwägungen über das Ob und das Wie einer Förderung an-

stellendarf.Esbestehen,wiegesehen,keineoriginärenLeistungsansprücheder religiösen

Vereinigungen. Das Ganze steht im pflichtgemäßen Ermessen des Staates. Sofern er aber

Kürzungenbzw.StreichungeneinereinmalgewährtenFörderungvornimmt,mussergleich-

heitsrechtlicheVorgabenunddasGebotderreligiös-weltanschaulichenNeutralitäteinhalten.

Erkönntealsonichtz.B.dieFörderungdesDİTİB-Bundesverbandesund/oderseinerLandes-

verbändewegendesausländischenEinflussesstreichen,abereinenvergleichbarenEinfluss

andererStaaten,dienichtdemokratischverfasstsindundrechtsstaatlicheDefiziteaufweisen

(z.B.Saudi-Arabien67),aufinDeutschlandbestehendeVereinigungenübergehen,soweites

umFördermaßnahmengeht.

EntschließtsichderStaatdazu,eineReligionsgemeinschaftzufördern, istdieskeineBefür-

wortungihrerreligiösenÜberzeugungenundkeineVerteidigungihrertheologischenWahr-

heiten,sonderndieAnerkennungihrerBeiträgezumgeistigen,kulturellenundsozialenLebenin

derGemeinschaft.68„DiestaatlicheKirchenförderungmacht[…]dieKirchennichtzuStaats-

kirchenunddiechristlicheReligionnichtzurStaatsreligion.“69DiefinanzielleFörderungder

KirchenstelltgrundsätzlichkeinenVerstoßgegendasVerbotderStaatskirchegemäßArt.140

GGi.V.m.Art.137Abs.1WRVundsomitdasNeutralitätsprinzipdar.70Obesdagegen–wie

inder Literatur71 vertretenwird – einBruchderNeutralitätsverpflichtungwäre,wennder

StaatdieKirchennichtunterstützenwürde,dasein(Fehl-)VerhaltendanngeradedieIdenti-

fikationmitdennicht-undantireligiösenGemeinschaftenundInteressensei,kannfraglich

erscheinen,daeinAnspruchauffinanzielleFörderung,wiedargelegt,nichtbesteht.72Jeden-

fallsaberlässtsichzugestehen,dassdasNeutralitätsprinzipkeineUntersagungderFörderung

religiöserAktivitätverlangt.73DenndievomGrundgesetzgeforderteNeutralitätdesStaates

inreligiösenundweltanschaulichenAngelegenheitenführtzueineroffenen,übergreifenden

GrundeinstellungdesStaatesgegenüberReligionundWeltanschauung,nichtzueinerdistan-

zierenden,ausgrenzendenPosition.74

[67]Vgl.BT-Drucks.18/13658,S.1f.;vgl.fernerdenBelgienbetreffendenBerichtüberEin-flüsseSaudi-ArabiensinderSZv.14./15.10.2017,S.8:„DerPaktderKönigewackelt.BelgienwillSaudi-ArabiensEinflussaufdieMuslimeimLandzurückdrängen.RegentBaudouinhattedemGolfstaateinstfreieMissionstätigkeitgewährt“.

[68]W. Clement, in:Marré/Schümmelfeder, (Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche(28),1994,S.45.

[69]W. Clement, in:Marré/Schümmelfeder, (Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche(28),1994,S.45.

[70]Vgl. G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundes-republikDeutschland,Bd.1,2.Aufl.1994,S.867(874).

[71]G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepublikDeutschland,Bd.1,2.Aufl.1994,S.867(877).

[72]SiehedazuschonB.II.1.

[73]G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepu-blikDeutschland,Bd.1,2.Aufl.1994,S.867(879).

[74]Vgl.nurP. Unruh,Religionsverfassungsrecht,3.Aufl.2015,Rn.90(S.66).

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

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18 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

Esistbereitsangeklungen,dassdieTrennungvonStaatundKircheimRahmendesNeutralitäts-

geboteseineentscheidendeRolleauchbeiderFragederFinanzierungsmöglichkeitenderRe-

ligionsgemeinschaftenspielt,danachArt.137Abs.1WRVkeineStaatskirchebestehendarf,

sodassdieKirchenundReligionsgemeinschaftenwederindasstaatlicheSystemeingegliedert

nochbeaufsichtigtwerdendürfen.75Diesmeintkeinereligiöse Indifferenz.Eshandeltsich,

wiegesagt,umeinepositive,offeneNeutralität,beiderbeideParteiennichtbeziehungslos

nebeneinander,sondernkooperativzueinanderstehen.Art.137Abs.1WRVverordnetdem

StaatauchkeineStandpunktlosigkeit.76DemStaatdarfesalsonichtverwehrtsein,seinGe-

genüberinbestimmtenSituationenzuuntersuchenundzubewerten.77Anderenfallsmüsste

derStaatjedeReligionsgemeinschaftfördern,ohneinzulässigerWeisenachfeststellungs-

fähigenKriteriendifferenzierenzudürfen.

b)DasGleichbehandlungsgebot

SobaldderStaatinirgendeinerFormVergünstigungenverteilt,musserdievielfältigengleich-

heitsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes beachten, allen voran den allgemeinen

GleichheitssatzdesArt.3Abs.1GGundseinebesonderenAusprägungeninArt.3Abs.3

GG.ReligionsverfassungsrechtlichwirdauchvomGebotundRechtsgrundsatzderParitätge-

sprochen.78

DerParitätsgrundsatzhatseinenormativeGrundlageabernichtnurinArt.3Abs.1und3

GG,sondernauchinArt.33Abs.3GGi.V.m.Art.136Abs.1und2undArt.137Abs.5S.2

sowieAbs.7WRV.JederEinzelneundjedeReligionsgemeinschaftistimGrundsatzgleichzu

behandelnunddarfnichtwegenseinerbzw.ihrerreligiösenEinstellungbesseroderschlechter

alsanderebehandeltwerden.Eshandelt sichalsoumeinBenachteiligungs-undBevorzu-

gungsverbot.79

NachArt.3Abs.1GGsindalleMenschenvordemGesetzgleich.GemäßArt.3Abs.3Satz

1GGdarfniemandwegenseinesGlaubens,seinerreligiösenoderpolitischenAnschauung

benachteiligtoderbevorzugtwerden.

DasVerhältnisbeiderGrundsätzezueinanderistumstritten,sowirdteilweiseArt.3Abs.1GG

alsGrundnormderParitätverstanden,80anderesehendieParitätalseigenständigenGrund-

satzunabhängigvonArt.3GG81.RichtigerweisedürftendiereligionsrechtlicheParitätund

derGleichheitssatzimReligionsrechtidentischeRechtsfigurensein,wobeiallerdings„diePa-

ritätnichtohnedenGleichheitssatzauskommenkann,derGleichheitssatzimReligionsrecht

[75]M. Kleine,InstitutionalisierteVerfassungswidrigkeitenimVerhältnisvonStaatundKirchenunterdemGrundgesetz,1993,S.149.

[76]K. Stern,in:Stern(Hrsg.),DasStaatsrechtderBundesrepublikDeutschland,Bd.IV/2,2011,S.1220.

[77]Vgl. F. Strich, Grundrechtliche Schranken bei der staatlichen Förderungsgewährung,2016,S.218.

[78]NäherS. Muckel,in:Friauf/Höfling(Hrsg.),BerlinerKommentarzumGG,Art.140Rn.36ff.;ders.,in:deWall/Muckel,Kirchenrecht,5.Aufl.2017,§13Rn.5,jeweilsm.w.N.

[79]M. Morlok,in:Dreier/Bauer(Hrsg.),Grundgesetz,Bd.IIIArt.83-146,2.Aufl.2008,Art.140GG,Rn.42.

[80]M. Heckel,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepub-likDeutschland,Bd.1,S.589f.

[81]M. Morlok,in:Dreier/Bauer(Hrsg.),Grundgesetz,Bd.IIIArt.83-146,2.Aufl.2008,Art.140GG,Rn.41;H. Mayer-Scheu,GrundgesetzundParität vonKirchenundReligionsge-meinschaften,1970,S.90ff.

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abersehrwohlohnedieParität.“82JedenfallssindsichbeideGrundsätzeinhaltlichsonahe,

dass die folgenden Ausführungen auch ohne eine eindeutige dogmatische Zuordnung zu

einemderbeidenBestandhaben:

SchonaufgrundderKnappheitallerRessourcenistderStaatbeiderMittelvergabegezwungen,

Auswahlentscheidungenzutreffen.DiejenigenGemeinschaften,diefürdasGemeinwohlund

somitdieGesellschaftammeistenleistenunddenStaatbeiderUmsetzungdesSozialstaats-

prinzipsimsozialenundkulturellenBereichunterstützen,dürfenbesondersbedachtwerden.83

ZwarhabendieReligionsgemeinschaften,wiegesehen84,keinenAnspruchaufeinefinanzielle

Förderung,sehrwohlaberaufeinegleicheTeilhabeunddasRechtaufeineamGleichheits-

satzorientierteBehandlung.85Wennsomitauchkeineallgemeine,originäreFörderpflichtdes

Staates besteht86, so kann doch im Einzelfall aus Gründen der Gleichbehandlung ein An-

sprucheinerReligionsgemeinschaftauffinanzielleUnterstützungbestehen.Daszubetonen

istbedeutsam,weilsichhierausebendochimEinzelfallergebenkann,dasseineReligionsge-

meinschaftvomStaatfinanzielleMittelverlangenkann.

EntscheidendfürdieFrage,obderStaatmitseinenbegrenztenMittelngleichheitsrechtlich

einwandfreiumgeht,wennerdieeineReligionsgemeinschaftbzw.derenProjektefinanziell

fördertunddieandereundihreProjektenicht,sinddieDifferenzierungskriterien.Überwiegend

wird auf sachliche Differenzierungsmerkmale zurückgegriffen: Größe, Organisiertheit, Ge-

schichte, regionaleVerbreitung87,karitativesEngagement,sozialeAktivitätsowiederGrad

öffentlicherWirksamkeit88.InjüngererZeitwerdenangesichtssteigenderImmigrationauch

integrationspolitischeZieleangeführt.89

Die Kriterien „Grad öffentlicher Wirksamkeit“, „kultur- und sozialpolitische Stellung in der

Gesellschaft“, „soziale Relevanz“ oder „öffentliche Bedeutung“ lassen sich problemlos auf

diechristlichenKircheninDeutschlandanwenden.AllerdingskommenimmerwiederZweifel

auf,wennmanetwasgenauerhinschaut,soetwabeiinderFrage,obdieAltkatholischen

GemeindenvongrößereröffentlicherBedeutungsindalsdiemuslimischenGemeinschaften,

dieinderZahlihrerMitgliederdieAltkatholikenbeiweitemübertreffen.90Dadiegenannten

Merkmaleunscharfsind,bedürfensiederZuhilfenahmemateriellerKriterienwieGröße,Ver-

breitungoderDauerhaftigkeit.Manchesehengarinder„sozialenRelevanz“dieGefahreines

Zirkelschlusses:WasderStaatfördert,dasgenießtbesondereRelevanz,alsodarfesgefördert

werden.91DamitbleibendiesehrgängigenKriterienfürsichgesehen,aberauchmitBlickauf

MinderheitenreligionenundihreGemeinschaftenbloßeLeerformeln,diezuRechtfertigungen

vonUngleichbehandlungennichtoderkaumtaugen.92

[82] J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.37.

[83]M. Heckel,GleichheitoderPrivilegien?,1993,S.101.

[84]ObenB.II.1.

[85]BVerfGE123,148(178).

[86]DazubereitsobenB.II.1.Fn.39.

[87]Vgl.BVerwGE61,152(158f.);87,115(127f.);VGBerlin,LKV2000,S.262(264f.).

[88]BbgVerfG,NVwZ-RR2012,S.577(582m.umfangr.w.Nachw.).

[89]EtwaW. Hennig,MuslimischeGemeinschaftenimReligionsverfassungsrecht,2010,S.135.

[90]J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.232.

[91]W. Weiß,KritV2000,S.104(138).

[92]J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.233.

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

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20 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

SozialpolitischeZiele können,wenn sieoffengestaltet sind, in einerGesamtschaumit an-

derenKriterienzurAnwendunggelangen.SokannnachdentatsächlichenLeistungender

Religionsgemeinschaft fürdasGemeinwesengefragtwerden (etwadurchdieTrägerschaft

vonKindertagesstätten,allgemeinbildendenSchulenundKrankenhäusern).93

IntegrationspolitischeZielesindmitderstaatlichenKulturpflegevergleichbar:hinterbeiden

stehtzumeisteinefürdieMenschenidentitätsstiftendeReligionsgemeinschaft.94Fragwürdig

istdagegeneineAnknüpfungandenErfolgderIntegration,dennderErfolgistabhängigvon

bereitszuteilgewordenenZuwendungenodererfahrenerUnterstützung.

Unzweifelhaft ist,dassBekenntnisinhaltekeineUnterscheidungrechtfertigen,wassichaus

demGebotreligiös-weltanschaulicherNeutralitätdesStaatesergibt.95

DerÜberlegung,eineSonderstellungderKirchenalleinaufgrundihresgeschichtlichenWerde-

gangesanzunehmen,hatdasBundesverfassungsgerichtzuRechteineAbsageerteilt.96Tradition

alleinrechtfertigtkeineFinanzierungsbedürftigkeit.Andererseitsdarfesauchnichtzueiner

Geschichtsblindheit97kommen.InderLiteraturwirddifferenziertnachunwiederholbarenEreig-

nissen und fortwirkenden historischen Gründen. Während erstere wegen ihrer Statik und

demdamitverbundenenendgültigenAusschlussvoneinerFinanzförderungallerReligions-

gemeinschaften,die keinengeschichtlichenBeitrag inDeutschlandgeleistethaben zuder

RechtfertigungeinerUngleichbehandlungnichttaugen,könnenletzteresehrwohlBeachtung

finden.98Zu ihnenzähledieBedeutungderJudenverfolgunginderZeitdesNationalismus,

welchebeiderFörderungnichtignoriertwerdendürfe,umdaszugefügteUnrechtnichtnoch

zuintensivieren.99

FernerwerdengefahrenabwehrrechtlicheAspektediskutiert.Sowirdteilweiseeine„Zuverlässig-

keitsprüfung“verlangt,wiesiebeiderPrüfungdesKörperschaftsstatusunterdemBegriffder

Rechtstreue vorgenommen wird, denn gemeinwohlschädliche Handlungen und Unfrieden

stiftendeReligionsgemeinschaftensollkeinefinanzielleFörderunggewährtwerden.100

NuraufdenerstenBlickalsunproblematischerweistsichdasMerkmalderGrößederReligions-

gemeinschaft.FürdieZulässigkeiteinessolchenMerkmalskönnteerstensderUmstandsprechen,

dassdiegroßenReligionsgemeinschaftenselbstübereinbeträchtlichesVermögenverfügen,

sodasssiedenStaatnichtübermäßigbelasten,mehrabervielleichtzweitensübereinehohe

AnzahlanMitgliedern,dieentwederKirchensteuernund/oderMitgliedsbeiträgezahlen.Die

Kirchenz.B.werdenauchohnestaatlicheUnterstützungeherinderLagesein,ihreAufgaben

wahrzunehmen.KleineReligionsgemeinschaftenhingegenbangenumihreExistenz,dennje

wenigerMitgliedersiehaben,destogeringereEinkünfteverzeichnensieauch.101Esfehlt,so

[93]VertiefendM.Droege,StaatsleistungenanReligionsgemeinschaftenimsäkularenKultur-undSozialstaat,2004,S.438ff.

[94]J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.238.

[95]SoauchL. Renck,DÖV2002,S.56(58).

[96]Vgl.BVerfGE19,1(9f.).

[97]J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.239.

[98]J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.239.

[99] J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.240.

[100]J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.240.

[101]F. Strich,GrundrechtlicheSchrankenbeiderstaatlichenFörderungsgewährung,2016,S.239.

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könntemansagen,anfinanziellerwiepersonellerStärke.UmgekehrtergibtsichdieFörde-

rungswürdigkeitdergroßenReligionsgemeinschaftenausdemsignifikanthöherenVerwal-

tungsaufwand:mehrArbeitsräumeund-material,höherePersonalkostenundanderelaufen-

deKosten,dieeineStaffelförderungjenachGrößederGemeindegerechtfertigterscheinen

lassen102;Rechnungspostenalso,diediekleinenReligionsgemeinschaftennichthaben.

AllerdingswäreeseinVerstoßgegendasNeutralitätsgebot,wennderStaatfinanzielleMittel

gewährt, die darauf gerichtet sind, den Mitgliederbestand zu erhöhen.103 Unterstützt der

StaateinekleineOrtsgemeindebeimWerbenumneueMitglieder,damitsieauchzukünftig

undinnochstärkeremMaßevomStaatgefördertwerdenkann,nimmterEinflussaufdieEnt-

wicklungundZusammensetzungdieserReligionsgemeinschaft.Es istdemStaatabernichter-

laubt,z.B.großeGemeinschaftenschrumpfenundkleineGemeinschaftenwachsenzulassen.104

DasKriteriumderGrößealleinreichtfüreineEntscheidungüberdieFörderungsgewährung

nichtaus.EskannnurkumulativmitanderenKriterien,wieVerbreitung,Rechtsstatusund

sozialeBedeutungherangezogenwerden.105

NachherrschenderMeinungzulässigistdemgegenüberdieAnknüpfungandieRechtsform.

DiereligionsrechtlicheParitätdesGrundgesetzeswirdals„gestufteParität“106verstanden.107

Denn das Grundgesetz selbst sieht schon unterschiedliche Rechtsstellungen für Religions-

gemeinschaftenvor,dieprivatrechtlichorganisiertsind,undsolche,dieKörperschaftendes

öffentlichenRechtssind(vorallemmitdemBesteuerungsrechtnachArt.140GGi.V.m.Art.

137Abs.5WRV).Daswirdganzüberwiegendalsunproblematischangesehen,weiljedeReli-

gionsgemeinschaftgem.Art.140GGi.V.m.Art.137Abs.5Satz2WRVdieRechtsformeiner

KörperschaftdesöffentlichenRechtserlangenkann.DieseRegelunggiltalseinebesondere

AusprägungderreligionsrechtlichenParitätdesGrundgesetzes.Zwarhabenmuslimische

ReligionsgemeinschaftenbishernurinsehrgeringemUmfangErfolgmitentsprechenden

Anträgen.Aberausgeschlossenerscheintesdurchausnichtmehr,dassindennächstenJahren

und Jahrzehnten eine ganze Reihe von muslimischen Gemeinschaften Körperschaften des

öffentlichenRechtswerdenundsoauchindenGenussdermitdieserRechtsformverbundenen

Vergünstigungenkommen.JedenfallsseitderEntscheidungdes6.SenatsdesBVerwGvom

28.11.2012 zum Antrag der Religionsgemeinschaft der Bahá’í auf Verleihung der Körper-

schaftsrechtehabenauchkleineReligionsgemeinschaftenrealistischeAussichtendarauf,die

Körperschaftsrechtezuerhalten,wennsiesiebeantragen.108Dannwerdenallerdingsauch

KriterieneinergenauenjuristischenPrüfungunterzogen,aufdieesfürdieFrageneinerfinan-

ziellenFörderungansonstennichtingleicherWeiseankommt,u.a.dieFrage,obessichbei

deminRedestehendenreligiösenVerbandumeineReligionsgemeinschaft imRechtssinne

handelt;denneinesolchewirdvonArt.140GGi.V.m.Art.137Abs.5Satz2WRVausdrück-

lichverlangt.MuslimischeGemeinschaftenhabenausnachvollziehbarenreligiösenGründen

[102]F. Strich,GrundrechtlicheSchrankenbeiderstaatlichenFörderungsgewährung,2016,S.240.

[103]BbgVerfG,NVwZ-RR2012,S.577(584).

[104]Vgl.BbgVerfG,NVwZ-RR2012,S.577(584);F. Strich,GrundrechtlicheSchrankenbeiderstaatlichenFörderungsgewährung,2016,S.241.

[105]BbgVerfG,NVwZ-RR2012,S.577(583).

[106]Vgl.nurBbgVerfG,NVwZ-RR2012,S.577(582);näherS. Muckel, in:Friauf/Höfling(Hrsg.),BerlinerKommentarzumGG,Art.140Rn.40m.w.N.

[107]Krit.zuletztallerdingsA. Janssen,AspektedesStatusvonReligionsgemeinschaftenalsKörperschaftendesöffentlichenRechts,2.Aufl.2017,S.109ff.,147.

[108]BVerwG,NVwZ2013,S.943=KirchE60,364.

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

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22 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

nichtunerheblicheSchwierigkeitendamit,sichalsReligionsgemeinschaftenimSinnedes

Grundgesetzeszuorganisieren.DieFragestelltsich,wennsieReligionsunterrichtalsordent-

lichesLehrfachanöffentlichenSchulenbeantragen(Art.7Abs.3GG)undebenwennsiedie

RechteeinerKörperschaftdesöffentlichenRechtserhaltenmöchten(Art.140GGi.V.m.Art.

137Abs.5Satz2WRV).Beideserscheintinzwischengleichwohlnichtmehrausgeschlossen.

DieseFragensollenaberhiernichtimEinzelnenentfaltetwerden.EsdarfaufAusführungen

anandererStelleverwiesenwerden.109

Festzuhaltenbleibt:DasreligionsrechtlicheParitätsgebotdesGrundgesetzesverlangtkeine

schematischeGleichbehandlung.Differenzierungensindzulässig,sofernsieanverfassungs-

gemäßeKriterienanknüpfen.DazuzählennebendemKörperschaftsstatusdieobengenannten

Aspekte:Organisiertheit,Geschichte,regionaleVerbreitung,karitativesEngagement,soziale

Aktivität sowie der Grad öffentlicher Wirksamkeit, auch in integrationspolitischer Hinsicht.

GrundsätzlichunzulässigeDifferenzierungenwerdendemgegenübervorallemdurchArt.3

Abs.3Satz1GGmarkiert.Daheißtesausdrücklich,dassniemand–unddasumfasstauch

Personengemeinschaften–wegenseinesGlaubensoderseinerreligiösenAnschauungbenach-

teiligtoderbevorzugtwerdendarf.SollteesanknüpfendaneinsolchesMerkmalzuUngleich-

behandlungenkommen(etwaweileinemittelvergebendeStelleeinebestimmteislamische

RichtungausderFörderungausschließt),kanndieUngleichbehandlungzwargerechtfertigt

sein.EsbedarfdazuabereinerstrengenPrüfungnachMaßgabedesVerhältnismäßigkeits-

prinzips.110Danachdürftez.B.derAusschlussderFörderungausGründeneinererwiesenen

GefahrfürdieöffentlicheSicherheit,dievondenAktivitätenderbetreffendenGemeinschaft

ausgehen,zulässigsein.

c)DasSelbstbestimmungsrechtderReligionsgemeinschaften

DieEmpfängerstaatlicherLeistungenmüssennichtReligionsgemeinschaftenimtechnischen,

verfassungsrechtlichenSinnesein;auchsog.religiöseVereine,dienichtdasjeweiligereligiöse

SpektruminGänzebedienen,sondernnureinenAusschnitt(z.B.Jugendarbeit,Bildungsarbeit,

IntegrationvonFlüchtlingen)erhaltenfinanzielleMittelvomStaat.WenndieEmpfängervon

FördermittelnaberReligionsgemeinschaften sind,darfdieFörderungnicht soausgestaltet

sein,dasssiesieinihremSelbstbestimmungsrechtverletzt.NachArt.140GGi.V.m.Art.137

Abs.3WRVhabenReligionsgemeinschaftendasRecht,ihreeigenenAngelegenheitenselbst-

ständiginnerhalbderSchrankenderfürallegeltendenGesetzezuordnenundzuverwalten.

AuchzudieserfürdasdeutscheReligionsverfassungsrechtsehrbedeutsamenVorschriftbesteht

[109] Zu den Körperschaftsrechten: S. Muckel, Muslimische Religionsgemeinschaften alsKörperschaftendesöffentlichenRechts,in:Antes/Ceylan(Hrsg.),MuslimeinDeutschland.HistorischeBestandsaufnahme,aktuelleEntwicklungenundzukünftigeForschungsfragen,2017,S.77ff.;zumReligionsunterricht:ders.,MuslimischeVerbändealsReligionsgemein-schaftenundVertragspartnerdesLandesNiedersachsen,in:Thümler(Hrsg.),WofürbrauchtNiedersachseneinenVertragmitmuslimischenVerbänden,2016,S.125ff.,127ff.,jeweilsm.w.N.

[110]DazuseihiernurverwiesenaufJ. Ipsen,StaatsrechtII.Grundrechte,20.Aufl.2017,§3III.S.49f.;T. Kingreen/R. Poscher,GrundrechteStaatsrechtII,33.Aufl.2017,§6IVRn.304f..;M. Sachs,VerfassungsrechtII–Grundrechte,3.Aufl.2017,S.177;U. J. Schröder,AL2015,S.327;M. Wienbracke,ZJS2013,S.148;K. A. Schachtschneider,PrinzipiendesRechtsstaates,2006,S.342f.;A. Emmerich-Fritsche,DerGrundsatzderVerhältnismäßig-keitalsDirektiveundSchrankederEG-Rechtsetzung,2000,S.140f.;insbes.mitBlickauffinanzielleZuwendungenJ.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,2015,S.266.

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23RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

einereichhaltigeRechtsprechungdesBVerfG,diediesesRechtnachgrundrechtsanalogen

Strukturenentfaltethatundinzwischenweitgehendgefestigterscheint.111

Nicht nur eine staatliche Rechnungsprüfung kann das kirchliche Selbstbestimmungsrecht

erschweren.Auchz.B.eineBeeinflussungvonOrganisationsentscheidungenaufSeitender

ReligionsgemeinschaftenkannhierinRedestehen.Eskanndarumgehen,dassderStaat

verlangt,dieReligionsgemeinschaftmögesichseinenstaatlichen,möglicherweiseareligiösen

Wirtschaftlichkeitsvorstellungenunterwerfen.Eskannsein,dasseineFörderungdiePersonal-

hoheitderReligionsgemeinschaftberührt.112DerStaatdarfsichabernichtinAngelegenheiten

derReligionsgemeinschafteneinmischenundüberfinanzielleFörderungEinflussmöglichkeiten

erkaufen,dieihmvonVerfassungwegenuntersagtsind.HingegensollenLenkungsauflagen

inVergabebestimmungenvonZuwendungsrichtlinienunbedenklichsein,daderStaatnicht

zurLeistungandieReligionsgemeinschaftenverpflichtet sei.113Dasabererscheint fraglich,

weil–mangelseinesAnspruchsaufFörderung–diesesArgumentimmeraufstaatlicherSeite

insFeldgeführtwerdenkönnte,wenndieReligionsgemeinschaftsichdenstaatlichenVorstel-

lungennichtfügenmöchte.

NachderRechtsprechungdesBundesverfassungsgerichtsmeint„ordnenundverwalten“im

SinnevonArt.140GGi.V.m.Art.137Abs.3WRV,dassdieReligionsgemeinschaftalleAn-

gelegenheitenaufderGrundlageihresSelbstverständnissesrechtlichgestaltendarf.114Dem

säkularenStaatistesverwehrt,dieAufgabenderReligionsgemeinschaftenselbstfestzulegen,

weilerdenGlaubenoderUnglaubenseinerBürgernichtbewertendarfundihmsomitdie

BefugnisundderMaßstabzurBestimmungderausseinerSichtrichtigenreligiösenAnsichten

undAuswirkungenaufdasreligiöseLebenderGemeinschaftenfehlt.115

AufdieLeistungsverwaltungdesStaatesübertragen,bedeutetdies,dassderStaatkeineBe-

einflussungderreligiösenAngelegenheitendurchfinanzielleZuwendungenvornehmendarf,

umdie innereOrdnungder Religionsgemeinschaft in bestimmteRichtungen zu lenken.116

FernerverlangtauchdasSelbstbestimmungsrecht(wiederParitätsgrundsatz,undwieesder

religiös-weltanschaulichenNeutralitätdesStaatesentspricht),dassdieFörderungfürallegelten

muss,dasheißtsiemussallgemeingehaltenseinunddarfnichtgezieltundexplizitnurbe-

stimmtereligiöseInhalte(mittelbar)unterstützen.117

[111]AusderkaummehrzuüberschauendenLiteraturzumSelbstbestimmungsrechtderReli-gionsgemeinschaftenseihierverwiesenaufS. Korioth,FreiheitderKirchenundReligions-gemeinschaften,in:Merten/Papier(Hrsg.),HandbuchderGrundrechteinDeutschlandundEuropa,Bd.IV/1,2011,S.617ff.(Rn.21ff.)m.umfangr.w.Nachw.;vgl.auchS. Muckel,in:Friauf/Höfling(Hrsg.),BerlinerKommentarzumGG,Art.140/Art.137WRVRn.25ff.m.w.N.

[112]Vgl.G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundes-republikDeutschland,Bd.1,S.881.

[113]G. Robbers,in:Listl/Pirson(Hrsg.),HandbuchdesStaatskirchenrechtsderBundesrepu-blikDeutschland,Bd.1,S.882.

[114]Vgl.nurBVerfGE70,138(165).

[115]Vgl.M. Heckel, in:Badura/Dreier (Hrsg.),Festschrift50 JahreBundesverfassungsge-richt,Bd.2,S.379(411).

[116]F. Strich,GrundrechtlicheSchrankenbeiderstaatlichenFörderungsgewährung,S.223.

[117]F. Strich,GrundrechtlicheSchrankenbeiderstaatlichenFörderungsgewährung,S.228f.

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24 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

4. Kulturstaatliche Förderung umfasst muslimische Empfänger

Esistbereitserläutertworden,dassausderKulturstaatsverpflichtungkeineFörderpflichtab-

geleitetwerdenkann,wohlabereinBegründungsansatzfüreinefakultativeFörderung–so

auchfürMuslime.AngesichtsdersteigendenZahlinDeutschlandlebenderMuslimekönnte

derStaataufdaswachsendeBedürfnisdermuslimischenBevölkerungnachreligiösenEnt-

faltungsmöglichkeitenmiteinerfinanziellenFörderungihrerGemeinschaften–mitdemVer-

weisaufseineKulturstaatlichkeit–reagieren.DieFörderungwärealsoderKulturförderung

zuzuschreiben.SelbstredenddarfessichauchdabeinichtumeineverdeckteParteinahme

handeln, die nur vordergründig auf sachlichenGründenberuht.Auchhier darf es zudem

nichtzumZirkelschlusskommen inderArt,dassderStaateineReligionsgemeinschaftauf-

grundihrerkulturellenBedeutungfördert,damitsiealskulturellrelevanterFaktorbestehen

bleibtunddauerhaftgefördertwerdenkann.118UnterdenBegriffderförderungsbedürftigen

und-würdigenKulturmussimhiesigenKontexteineunbeschränkteZahlanReligionsgemein-

schaftensubsumiertwerdenkönnen,sodasses–wasebenauchfürdenIslamgilt–unzu-

lässigwäre,alleinaufhistorischeWurzelnundGüter(Bauteno.ä.)abzustellen.ImGegenteil:

EsistderaktuelleBeitragderbetreffendenReligionsgemeinschaftzumkulturellenLebenin

Deutschlandmaßgeblich:AnzahlundGrößederkulturellenVeranstaltungen,Förderungen,

StiftungenoderEinrichtungen,dievonderReligionsgemeinschaftbetriebenwerden.119Der

GottesdienstselbstkanneinIndizfüreinebesonderekulturelleRelevanzsein,trotzfehlender

EigenschaftalssäkularesKriterium.120KulturelleBedeutungdürftejedenfallszubejahensein,

wennfürdiebreiteÖffentlichkeitbestimmteVeranstaltungenAußenstehendeundReligions-

angehörigeanziehenunddadurchaufein repräsentatives Interesse stoßen.121Verzeichnet

eine islamische Gemeinschaft bei einer öffentlich zugänglichen (religiösen) Veranstaltung

größereBesucherzahlenalsdiekatholischeKirchebeieinemvergleichbarenSonntagsgottes-

dienst,solltediesbeiderBewertungkulturellerBedeutungBerücksichtigungfinden.

„DerIslamgehörtzuDeutschland.“DieserSatzdesfrüherenBundespräsidentenChristian Wulff

ist allseits bekannt,wennauchhochgradigumstrittengeblieben.Der Streit soll hier nicht

aufgegriffenwerden.Tatsacheistjedenfalls,dassMuslimeinDeutschlandleben,dassesimmer

mehrwerdenunddassvielevonihnendeutscheStaatsbürgersind.Auchwennes„den“Islam

nichtgibt,sokanndochnichtübersehenwerden,dassdiezwischen4und5MillionenMuslime

inDeutschlanddieKulturlandschaftprägen.DasgeschiehtauchundgeradedurchdieArbeit

dervielenverschiedenenGemeinschaftenundVerbände,welcheschonjetztmöglicherweise

einenbedeutendenBeitragfürdiedeutscheGesellschaftinsgesamt,jedenfallsaberfürderzeit

etwasechsProzentderdeutschenBevölkerungleisten.122Esist,wieAlfred Albrecht schonvor

vielenJahrenanregte,inderTatnäherzuprüfen,wasdieKonkretisierungdesKulturstaats-

auftragesaufdieneuepluralistischeKulturstrukturhingebietet.123

[118]Vgl.J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,S.235.

[119]J.-B. Schrooten,GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,S.236.

[120]A.A.BVerwGUrt. v.25.11.2010–2C32.09,BeckRS2011,46076Rn.20,dasdieöffentlicheBedeutungeinesBezirkskongressesder Zeugen JehovasunterBezugaufdenGottesdienstcharakterablehnte.

[121]Vgl. J.-B. Schrooten, GleichheitssatzundReligionsgemeinschaften,S.236.

[122] Die Zahlen sind entnommen aus http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Working-Papers/wp71-zahl-muslime-deutschland.pdf?blob=publicationFilezuletztabgerufenam30.10.2017.

[123]A. Albrecht,ReligionspolitischeAufgabenangesichtsderPräsenzdesIslaminderBun-desrepublikDeutschland,in:Marré(Hrsg.),EssenerGesprächezumThemaStaatundKirche,Bd.28,S.82(86ff.).

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25RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

C) FINANZIERUNG AUS DEM AUSLAND

ErhobenwirdimmerwiederdieForderung,dieFinanzierungmuslimischerVerbändeausdem

Auslandzuunterbinden,weildamitunerwünschteEinflüsseeinerausländischenMachtinge-

sellschaftlicheodergarschulischeVorgängeimInlandverbundenseien.MancheForderung

setztnichtsoumfassendanundwendetsichgegeneinzelneFinanzierungsvorgängeoderdie

damitengverflochteneEntsendungtürkischerImamenachDeutschland,diebeiihrerArbeit

hierzulandeausderTürkeibezahltwerden.124

MitunterwirdderleikombiniertmitderForderungnachErlasseinesIslamgesetzes,wiedies

2016inÖsterreichgeschehenist.125Aus§5Abs.1Nr.3i.V.m.§6Abs.2desösterreichischen

Islamgesetzes126ergibtsicheinVerbotderAuslandsfinanzierungislamischerReligionsgemein-

schaften,dienachdiesemGesetzdieRechtspersönlichkeiterlangenmöchten.127Einsolches

GesetzistinDeutschlandausverfassungsrechtlichenGründennichtdenkbar.Eswiderspräche

invielfacherHinsichtdemSelbstbestimmungsrechtderReligionsgemeinschaften,wiees in

Art.140GGi.V.m.Art.137Abs.3WRVverfassungsrechtlichverankertist.Vorallemwärees

kein„fürallegeltendesGesetz“imSinnedieserVorschrift,sonderneinspezifischdenIslam

inDeutschlandbetreffendesRegelwerk–alsogenaueinsolchesGesetz,wieArt.140GG

i.V.m.Art.137Abs.3Satz1WRVesausschließt.Daherwärees–unabhängigdavon,dass

einRegelwerkzumIslamnichtindieGesetzgebungskompetenzdesBundesfiele,sondernin

diederLänder128–verfassungsrechtlichnichthaltbar,ebenauchnichtalsGesetzeinesoder

mehrererLänder.

Auch eine aus dem Ausland kommende Finanzierung einer in Deutschland bestehenden

ReligionsgemeinschaftodersonstigenreligiösenVereinigung,diemitausländischenStellen

verbundenist,wiedasinderangedeutetenWeisebeiderDİTİBderFallist,kannausverfas-

sungsrechtlichenGründennichtperseunterbundenwerden.ManmagdieDİTİB,wieesmit-

untergeschieht,als„verlängertenArm“destürkischenAmtesfürreligiöseAngelegenheiten

verstehen.EinejuristischeUntersuchungbedarfgenauerenHinsehens.DieDİTİBstehteindeu-

tigunterdemEinflussdestürkischenStaates.Sieistdarumaberkeine„Außenstelledertür-

kischenRegierung“129oderStelle,derenWirkenhierschondeshalbproblematischerscheint.

DieDİTİBbestehtausdenhierinDeutschlandlebendenMenschen.BisindieVorständeder

LandesverbändegehörenihrzahlreichePersonenan,dienichtdietürkische,sondernnurdie

deutscheStaatsangehörigkeithaben.SiealstürkischeOrganisationzuverstehen,gehtschon

deshalbzuweit.WennderEinflussdesDiyanetjedenfallsaufdieLandesverbände,wiedar-

gelegt,begrenztist(jedenfallsnichtdieInhaltedesReligionsunterrichtsnachArt.7Abs.3GG

bestimmt), sinddieDİTİB-Landesverbände, fürdiedas zutrifft,Religionsgemeinschaften

[124]Vgl.etwadenArtikelinSüddeutsche.dev.20.4.2016„CSU-AbgeordneterwillMoschee-Steuer“ zur Forderung des CSU-Politikers Radwan, muslimische ReligionsgemeinschaftensolltenalsKörperschaftendesöffentlichenRechtsSteuernerhebendürfen,damitihreFinan-zierungausdemAuslandgestopptwerdenkönne;fernerseiverwiesenaufdieAntwortderBundesregierungaufeineKleineAnfragederAbgeordnetenVolkerBecku.a.,in:BT-Drucks.18/13658,S.1ff.;AntwortderBundesregierungaufdieKleineAnfragederAbgeordnetenUllaJelpkeu.a.,in:BT-Drucks.18/12259.S.2ff.

[125]Vgl.F.A.Z.v.4.4.2017,S.4:„EinIslamgesetzfürKakanien“.

[126]Gesetzaus2015i.d.F.vom14.10.2017,BGBl.INr.39/2015.

[127]ZumAntragserfordernis:§3Abs.1Satz1IslamG.

[128]SomitRechtauchderParl.StaatssekretärimBundesinnenministeriumKrings, in:Deutscher Bundestag. Plenarprotokoll 18/230. Stenographischer Bericht. 230. Sitzung v.26.4.2017,S.23154(zuFrage17desAbgeordnetenVolkerBeck).

[129] SoaberC. Starck, Staatsverträgedes LandesNiedersachsenmitMuslimverbänden,NdsVBl.2016,S.353(354).

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26 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

i.S.v.Art.7Abs.3GGundArt.140GGi.V.m.Art.137Abs.3WRV.130Alssolcheverfügen

sienichtnurüberdievonArt.2Abs.1GGgeschützteVereinsautonomieunddiemit ihr

verbundenenFreiräume.SiesindvielmehrTrägerdesSelbstbestimmungsrechtsderReligions-

gemeinschaftenausArt.137Abs.3WRV.ObsieihreFinanzmittelausdemIn-oderAusland

beziehen,istihrersomitverfassungsrechtlichgeschütztenEntscheidungüberlassen.Eingriffe

indiesesRechtsindzwaraufgrundeinesfürallegeltendenGesetzesmöglich(alsonichtauf-

grundeinesGesetzeswiedemösterreichischenIslamgesetz).SiebedürfenabereinerRecht-

fertigung, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes standhalten muss.

EinevölligeUntersagungderausländischenFinanzierungdürftedieseHürdenichtnehmen,

solangenichtVerhaltensweisenvonMitgliedernoderBedienstetendesVerbandesdieRechte

DritteroderverfassungsrechtlichverbürgteGemeinschaftswertesystematischundinweit-

reichendemMaßeverletzt.131

Es lässt sichnichtderNachweis führen,dassdieFinanzierungmuslimischerVerbändeaus

demAusland– indenKategoriendesGefahrenabwehrrechtsausgedrückt–abstrakt,also

typischerweise und unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls gefährlich ist für

dieVerfassungsordnung inDeutschlandoder fürRechteoderBelangeEinzelner.Daswäre

abernotwendigfüreinrechtlicheinwandfreiesVerbot.EskommtvielmehraufdenEinzelfall

an und damit auf die Frage, ob sich in einzelnen, je spezifischen Fallkonstellationen eine

konkreteGefahrfürschützenswerteRechteoderGüternachweisenlässt.Dannkanngegen

MissständeoderRechteverletzendenVerhaltensweiseEinzelner,wiesiez.B.indersog.Spitzel-

affäre132zutagegetretensind,diezuständigestaatlicheStelledienotwendigenMaßnahmen

ergreifen.AlssolchekommenzunächstschulrechtlicheReaktioneninBetracht,wieeinAus-

schlussbetroffenerLehrervomReligionsunterricht.Aberaucheinordnungsrechtliches,ein

aufenthaltsrechtlichesodergareinstrafrechtlichesVorgehen–etwagegenHassprediger–

erscheintdurchausdenkbar. Rechtsstaatlich angemessenes, d.h. vor allemdemGrundsatz

derVerhältnismäßigkeitgenügendes,staatlichesVorgehensetztamkonkretenRechtsverstoß

bzw.derkonkretenGefahrenemanationan.DennnurdieseäußereAktualisierungeinerKette

vonUrsachenistalsVerhaltenhinreichendfassbar.133

ImÜbrigenwirdmanfüreinvölligesVerbotderAuslandsfinanzierungeinerReligionsgemein-

schafteinegesetzlicheErmächtigungsgrundlagefordernmüssen,diehinreichendbestimmt

undbereichsspezifischgefasstist.Siebesteht,soweitersichtlich,derzeitnicht.Ausdendarge-

legtenGründenkannsieinverfassungsrechtlicheinwandfreierWeiseaberauchkaumerlassen

werden.Denn siedarf nicht nurReligionsgemeinschaftenbetreffen, damit sie ein für alle

geltendesGesetzi.S.v.Art.140GGi.V.m.Art.137Abs.3WRVist.Andernfallsistsieschon

[130]Vgl.S. Muckel,MuslimischeVerbändealsReligionsgemeinschaftenundVertragspartnerdesLandesNiedersachsen,in:Thümler(Hrsg.),WofürbrauchtNiedersachseneinenVertragmitmuslimischenVerbänden?,2016,S.125(161f.);mitBlickaufdenDİTİB-LandesverbandNiedersachsenundBremene.V.Vgl. zurDİTİB imAllgemeinenauchdie sehrdifferenzierte AnalysevonTheresa Beilschmidt,DİTİBzwischenHerkunftsstaatorientierung,Kooperations-erwartungenundlokalerVernetzunginDeutschland,in:U.Hunger/N.J.Schröder(Hrsg.),StaatundIslam.InterdisziplinärePerspektiven,2016,S.225(234,pass.).

[131]Vgl.H. M. Heinig,in:https://www.derwesten.de/politik/tuerkische-gemeinde-unterstuetzt-forderung-nach-moschee-steuer-id11751980.html.[zuletztabgerufenam30.10.2017].

[132] Dazu etwa F.A.Z. v. 7.2.2017, S. 4: „Die Bespitzelung und ihre Vertuschung“; SZ v.24.2.2017,S.6:„TürkischeLehrprobe“;F.A.Z.v.24.2.2017,S.1:„SchwereVorwürfegegentürkischeKonsulate“undS.3:„KritischeLehrerbittemelden“;SZv.28.3.2017,S.1:„TürkeninDeutschlandwerdenausspioniert“;F.A.Z.v.7.4.2017,S.4:„20TürkenunterSpionage-verdacht“.

[133]ZuRechtweistC.Möllers,ReligiöseFreiheitalsGefahr,VVDStRL68(2009),S.47(83),daraufhin,dassderSchutzderReligionsfreiheitganzkonkretepolizeirechtlicheGefahrenerzeugenkann.

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wegeneinesVerstoßesgegendieseVorschriftverfassungswidrig.Siemussdarüberhinaus-

weisendallegesellschaftlichaktivenVerbändebetreffen,dieausdemAuslandfinanziertwerden

können.Schondaserscheintschwerabgrenzbar.ImÜbrigenwäreeinesolcheRegelungauch

unterdemGesichtspunktderGeeignetheitdesEingriffsfragwürdig,diealsTeilderVerhältnis-

mäßigkeitinjedemFallzuprüfenwäre.DasösterreichischeBeispielzeigtnämlich,dassesim

Ergebnisnichtgelungenist,dieausländischenFinanzströmezuunterbinden.Offenbarsind

die fürösterreichischemuslimischeVereinigungenbestimmtenGelderausderTürkeinicht

mehrunmittelbargeflossen,sondernüberprivatetürkischeInstitutionen.134

D) FAZIT

DerIslamstelltfürdasdeutscheRechtnachwievoreineHerausforderungdar.Längstaber

bestehen hierzulande zwischen dem Islam als solchem und den muslimischen Verbänden

einerseitsunddemReligionsverfassungsrecht(daslängstkein„Staatskirchenrecht“mehrist)

andererseitsUnvereinbarkeiten,dieunlösbarerscheinen.EsbestehenmuslimischeReligions-

gemeinschaftenaufdeutschemBoden,vondeneneinesogarschonalsKörperschaftdesöffent-

lichen Rechts anerkannt worden ist; weitere werden folgen. Es wird bereits mancherorts

islamischerReligionsunterrichtalsordentlichesLehrfachi.S.v.Art.7Abs.3GGerteilt.Und

muslimischeOrganisationenwerdenvonstaatlichenStellenfinanziellunterstützt,namentlich

wennundsoweitsiegemeinwohldienlicheAufgabenerfüllen,wiez.B.inderIntegrationsarbeit

mitausländischenFlüchtlingen.SoerscheintdieZeitreif,überdieFinanzierungislamischer

OrganisationeninDeutschlandinsgesamtnachzudenkenundsieindasSystemdesdeutschen

Religionsverfassungsrechts, aber auch des sonstigen Verfassungs- wie Verwaltungsrechts

einzufügen.DasbedarfdifferenzierterÜberlegungen,diepauschaleLösungen imErgebnis

nichtzulassen.SiezeigenimWesentlichen,dassmuslimischeVerbände–wieandereReligions-

gemeinschaften und religiöse Vereine – vorbehaltlich anders lautender vertraglicher Rege-

lungenineinzelnenLändernkeinenoriginärenAnspruchauffinanzielleFörderungdurchden

Staathaben.Siekönnenabererwarten,dassderStaatinsbesonderebeiZahlungenzurso-

zialenoderkulturellenFörderungendie rechtlichenMaßgabeneinhält (etwadasGleichbe-

handlungsgebot)unddierechtlichenGrenzendenkbarerEinflussnahmen(aufgrundvorallem

derreligiös-weltanschaulichenNeutralitätdesStaatesunddesSelbstbestimmungsrechtsder

Religionsgemeinschaften)einhält. Schließlich solltedeutlichwerden,dassdieFinanzierung

muslimischerVerbändeausdemAuslandnichtperserechtswidrigistundnichtohneweiteres

unterbundenwerdenkann.

[134]C. Felke/F. Otto,WarumÖsterreichsIslamgesetzkeinVorbildist,in:ZeitOnline,http://www.zeit.de/-gesellschaft/zeitgeschehen/2017-04/islamgesetz-cdu-wahlkampf-oesterreich-deutschland[zuletztabgerufenam30.10.2017].

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ÖFFENTLICHER FINANZIERUNG MUSLIMISCHEN LEBENS IN DEUTSCHLAND

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28 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

DIE GLEICHSTELLUNG DES ISLAM IN DEUTSCHLAND:

MEHR STILLSTAND ALS FORTSCHRITT

Aiman Mazyek

IndenvergangenenzehnJahrenhatderBundinderIntegrationspolitikwichtigeWeichen

gestellt. Man denke zum Beispiel an die Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz, den

AufbauvonZentrenfürIslamischeTheologieanHochschulenoderdenvielzitiertenSatzvon

BundespräsidentWulffvom3.Oktober2010:„DerIslamgehörtzuDeutschland.“DieseFest-

stellungwurdeinderFolgevonzahlreichenanderenPolitikernaufgegriffenundwiederholt.

DieshatindermuslimischenCommunitydenBlickaufDeutschlandzumPositivenverändert.

VieleerfülltesjedochinjüngererZeitmitSorge,dasseinigePolitikerinderIntegrationspolitik

härtereTöneanschlagenunddamitnach rechts rücken.DaseinseitigeAnklagenvonMig-

rant_innen– vorallemvonMuslimen–ohne jeglicheAnerkennung fürgeleistete Integra-

tionserfolgewirftunszurück.WirlaufengegenwärtigGefahr,aufderStellezutretenoder

garRückschrittezumachen.DiesteigendeIslamfeindlichkeitinunseremLand,dieinsbeson-

dere rechteGruppenwiePegidaundAfDgeschickt fürweitereRessentimentsgegenüber

Minderheitenforcieren,bedrohtunserMiteinander.WirwünschenunsmehrdieSensibilität

und,dassalleGruppen–ebenauchdieMuslime–angesprochenundnichtgegeneinander

ausgespieltwerden.DasvonderFriedrich-Ebert-StiftungmitnamhaftenStakeholdernund

MultiplikatorenerarbeiteteundimletztenJahrherausgegebeneund„LeitbildfürdieEinwan-

derungsgesellschaft“,istindieserHinsichteinpositivesBeispiel.

Esistwichtig,dieMenschenmitzunehmen,erstRechtdiehiergeborenenoderlangeinunserem

LandlebendenMenschenmitEinwanderungsgeschichte.NichtzuletztvordemHintergrund

dergegenwärtig laufendenRegierungsbildungmiteinemvoraussichtlichneuenCSUInnen-

undHeimatministerwünschenwirunsdienotwendigeSensibilitätdafürunddieFortsetzung

einesbegonnenenPartizipationsprozessesmitdenmuslimischenVerbändenundetablierten

Organisationen.

DennnochimmeristdieGleichstellungundGleichbehandlungderislamischenReligionsge-

meinschaftenungelöst-auchnachdreiWahlperioden,indenendieDeutscheIslamKonferenz

(DIK)getagthat.SelbstverständlichmussdabeidieEinhaltungunsererWerteeingefordert

werden.DieaktuellenVerwerfungenzwischenderTürkeiundDeutschlandsowiederenAus-

wirkungenaufdietürkisch-islamischenInstitutionen,habendiesenprozesszuletztbelastet.

UndauchwennReligionLändersacheist,solltederBundgeradejetzteineVorreiterrolleein-

nehmenundeinenneuenAufschlagzurFragederNeugliederungundIntegrationdesIslam

indasdeutscheStaatswesenundimRahmenunseresReligionsverfassungsrechtesunternehmen.

UndeinderentscheidendenFragendabeiwirddiezukünftigeFinanzierungdesislamischen

Gemeindewesenssein.DieserArtikelzeigteinigederaktuellenHerausforderungenfürmusli-

mischeVerbändeunddieIntegrationdesIslaminsgesamtinDeutschlandauf.

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29DIE GLEICHSTELLUNG DES ISLAM IN DEUTSCHLAND: MEHR STILLSTAND ALS FORTSCHRITT

ISLAMUNTERRICHT

DieSituationdesislamischenUnterrichtsanstaatlichenSchuleninDeutschlandistnochsehr

unbefriedigend.BislangwirdleidernureinBruchteildermuslimischenSchüleranstaatlichen

Schulen,zumBeispielinNordrhein-Westfalen,HessenoderNiedersachsen,entsprechendunter-

richtet.DievollmundigeAussagederPolitik,wirhättenbereitsislamischenReligionsunterricht,

trifftalsonurteilweisezu.DerUnterrichtwieauchdieLehrerausbildungandenUniversitäten

musserstnochstarkausgebautwerden,sonstbleibteseineNischenveranstaltung.Esgibt

z.B.inNRWislamischenReligionsunterrichtanetwa200Schulenmitrund200Lehrerinnen

undLehrer.Damitwerdenca.20000Schüler_innenerreicht–voninsgesamt360000musli-

mischenSchüler_innen.Dasbedeutet,dassnachfast10JahrendasAngeboterstfünfProzent

derZielgruppeerreicht.UndesfindetfastausschließlichmitjüngerenKindernstatt,dennim

SekundarbereichIIgibteswenigerals10SchulenmiteinementsprechendenUnterrichtsan-

gebot.UnddasallesimgrößtenBundeslandmitübereinerMillionenMuslimen.

ErschwertwirddieSituationnochdurchdasUrteildesOberverwaltungsgerichtMünstervom

9.November2017.Darin entschieddasGericht in letzter Instanz, dassder Zentralratder

MuslimeundderIslamratkeineReligionsgemeinschaftensind.AusSichtdesZentralratesist

dieEntscheidungdesGerichts falsch.DerZMDhatdeshalbgegendasUrteileineNichtzu-

lassungsbeschwerdeeingelegt.Wenn sienichtgreift, istderZMDbereit,bis zumBundes-

verfassungsgerichtzugehen.Dies istmandenSchülerinnenundSchülern,aberauchden

LehrerinnenundLehrerndesislamischenReligionsunterrichtsschuldig.

WasdieVerfasstheitderislamischenReligionsgemeinschaftenangeht,beispielsweisemitBlick

aufihreGrößeunddieVerlässlichkeitderDauer,dieDurchlässigkeitvonobennachuntenund

umgekehrt,hatderZentralratlängstdieVoraussetzungenerfüllt,alsReligionsgemeinschaft

zugelten.DasProblemist:EslassensichnichteinfachdieMerkmalevonKircheneinszueins

aufdieMuslimeübertragen.StattdassdasGerichtunserReligionsverfassungsrechtimSinne

derRechtsfortbildungweiterentwickeltundauchdasWesendermuslimischenGemeinden

unddiedahinterstehendenReligionsgemeinschaftenerfasst,hates–nachmeinerAuffassung

„päpstlicheralsderPapst“–dieausdemGlaubensbekenntniserwachsenePluralitätundVielfalt

moniert.DabeihattemandochjahrelangdieislamischeVielfaltgelobtunddaraufgedrängt,

dassbeispielsweiseVerbändemultiethnischundkonfessionelloffenseinsollten.DasUrteil

hatzudemnochnichteinmaldievonderLandesregierungNRWinAuftraggegebenenundin

BezugaufdenStatusderReligionsgemeinschaftfürunsüberauspositivenRechtsgutachten

inseineBewertungeinfließen lassen.Dies istkeinverfassungskonformerUmgangmitden

muslimischenReligionsgemeinschaften,dieseitüber30JahrenarbeitenundderenMitglieder

z.T.mehralseinhalbesJahrhundertinDeutschlandleben.Aberesentsprichtwohlinetwa

demStanddesderzeitigenDiskursesüber„denIslam“inDeutschland,deraufderStelletritt.

ISLAMISCHE THEOLOGIE AN UNIVERSITÄTEN

Ein weiterer wichtiger Baustein ist das Islam-Studium an den staatlichen Universitäten in

Deutschland.BereitsvorzehnJahrenerhieltderZentralrateineAnfragedesDeutschenWissen-

schaftsrats,oberislamischeLehrstühleandenUniversitätenunterstützenwürde.Dazuwar

derZentralratsofortbereit.Inzwischenwurdeauchschoneinigeserreicht,abernochnicht

genug.Diederzeitigen fünfZentren für IslamischeTheologie reichennichtaus.Es istz.B.

wichtig,dasszusätzlichdieImam-AusbildungandendeutschenUniversitätenmöglichwird.

DasabergehtnurzusammenmitdenislamischenReligionsgemeinschaften.

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30 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

EineEntwicklungindierichtigeRichtunggibtesderzeitbeiderEinrichtungderislamischen

TheologieanderHumboldt-UniversitätinBerlin.HieristderZentralratübereinenBeiratge-

meinsammitanderenVerbändenvertreten.ZwaristderentsprechendeVertragnochnicht

abgeschlossen, steht jedochkurz vorderUnterschrift.DieBeiratslösung ist einmögliches,

abergleichsam‚hinkendes‘ModellundkannnureineÜbergangslösungsein,insofernesein

Sonderrechtdarstellt.Idealerweisesollteessosein,dassdieReligionsgemeinschaftendirekt

anderEtablierungderislamischenTheologiebeteiligtwerden,sowiediesbeiderkatholischen

undevangelischenKirchederFallist.

IMAM-AUSBILDUNG

Wiebereitserwähnt,wirdvielüberdieAusbildungvonImamenundSeelsorger_innengeredet.

AufdermuslimischenSeitewirdvonnichtwenigenAkteurendabeiderFehlergemacht,sich

weiteraufeineEthnisierungdesIslaminDeutschlandeinzulassenundtrotzüberkommener

Strukturen nach ehemaligen Herkunftsländern zu unterscheiden. Das ist keine Sünde, hat

sicherlich auch seinen Platz in einer plural ausgerichteten Religionsgemeinschaft, jedoch

bremst es mittelfristig die Integration der Muslime in Deutschland. Der religionspolitische

StillstandunddieKonzeptlosigkeitinTeilenderdeutschenPolitikverschlimmertdiesenTrend

nochweiter.

DeutlichwirddieserMissstandbesondersanderAusbildungderalsImametätigenMenschen

inDeutschland.Diesefindet imMomentüberwiegend imAuslandoder imSelbststudium

statt.WennesnachdemZentralratginge,wärederenAusbildungschon lange ineinigen

der IslamischenTheologischenZentreneingebettetworden. In einigen Ländern sindauch

schonZwischenschritteundAlternativvorschlägevorgelegtworden.Abereshapertander

Umsetzung.DabeipassthierdasVorbildderKirchengut:DieImamausbildungsollte–eben

wiebeidenKirchen–gemeinsamvonderReligionsgemeinschaftundderUniversitätdurch-

geführtwerden.WieindenPriesterseminarenderkatholischenKirchemussdasCurriculum

unddiepraktischeAusbildungvonderReligionsgemeinschaftverantwortetwerden,sowie

esdasGrundgesetzauchvorsieht.Die Imamesollen jaspäter indenGemeindenarbeiten;

UniversitätundMoscheesindhierbeiPartner,bzw.solltendassein.Diesewürdedannfür

dasnötigeVertrauensorgen,damitdieGemeindeneinesTagesdieseImameundSeelsorger

übernehmen.EinekünstlicheAbgrenzungzudenReligionsgemeinschaften führt zunichts.

DiePolitisierungderMuslimemitAbstempelungenin„konservativ“oder„liberal“,etc.geht

andermuslimischenRealitätvorbeiundstärktimZweifelRadikaleandenRändern.

DerzeitwirdeingroßerTeilderetwa1000Imameinden2500GemeindeninDeutschland

vonAnkarabezahltund inderTürkeiausgebildet.EinkleinerTeilvon ihnenstammt inzwi-

schen aus Deutschland, spricht die deutsche Sprache, was sehr begrüßungswert ist, und

absolviert seine Ausbildung in Ankara. Einige dieser Imame sind auch in anderen als den

DİTİB-Moscheentätig,vorrangigintürkischen.DerandereTeilderImame,z.B.auchinden

ZMD-Moscheen,setztsichzusammenausAkademikern,diehierzulandeoderimAuslandIslam-

wissenschaftstudierthaben,oftaberkeineklassischeImam-Ausbildunggenossenhaben.Der

VIKZbildethierzulandeImameimRahmeneigenerLehrgängeaus.

AuchdieFinanzierungderImamausbildungmussbedachtwerden.FürdenÜbergangmüsste

diebestehendeAusbildungislamischerReligionslehrer_innengenutztundindenStudiengängen

einzusätzlichesModul„SeelsorgeinderGemeinde“eingerichtetwerden.WährendderAus-

bildungkönntendiejungenLeutedannzufünfzigProzentvoneinerGemeindefinanziertwer-

den,zu50ProzentalsBeamtedurchdenStaatalsLehrertätigsein.SowäredieNeutralitätdes

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Staatesnichtangetastet,esgäbeeintragbaresFinanzierungsmodell,dasfürdieGemeinden

aufgrundihrerfinanziellenBelastungauchleistbarwäre.Zudemwirddaswichtigeundseit

JahrengenannteZielerreicht,deutschsprachige,hieraufgewachseneundderdeutschenKultur

undMentalitätvertrautenImameindenMoscheenzuhaben.

EinParadigmenwechselhinzudeutschenImamenwirdnurüberdieInstallierungeinerImam-

ausbildunginDeutschlandgelingen,dieesderzeitsonichtgibt.Umdiesezuschaffen,müssen

Übergangsreglungenmitden islamischenReligionsgemeinschaftenvereinbartwerden,wie

etwadergeradeskizzierteVorschlag.ZudembrauchtesauchdenpolitischenWillen,sich

diesemThemaunddendazugehörigenFinanzierungsfragenzuwidmen.

KÖRPERSCHAFT

EinweiteresProblemistdieAnerkennungmuslimischerOrganisationenalsKörperschaftdes

öffentlichen Rechts. Die Anerkennung scheiterte bislang an verschiedenen Gründen. Man

könntehierweitzurückgreifen.EsliegenseitJahrenAnträgedesIslamratesunddesVerbands

der islamischenKulturzentren (VIKZ)beidenLändernvor,dieebenfalls seit Jahren in ihrer

BearbeitungkeinenFortschrittmachen.DerZMDhingegensetztstattaufdenKlagewegauf

KooperationenmitdenLänderninFormvonStaatsverträgenodergemeinsameVereinbarungen

wieinHamburg,NRWundNiedersachsen.DieserWegistaberinzwischenindermuslimischen

Gemeinschaftsehrumstritten,weildieErgebnissebescheidensindundursprünglicheVerein-

barungen,wiez.B.derStaatsvertraginNiedersachsenoderderAnerkennungsprozessüber

GutachteninNRW,vonderPolitiknichtumgesetztwerden.DassaucheineformelleAnerken-

nungalsReligionsgemeinschaftmöglichist,zeigtdasBeispielderAhmadiyyainHessen,die

schonlangealsKörperschaftendesöffentlichenRechtsanerkanntist.DerZMDhatesseiner-

zeitineinerPressemitteilungsehrbegrüßt,dassandereReligionsgemeinschaftendiesenStatus

erhalten.EsbeweistdieFlexibilitätdesRechtesundstärktunserReligionsverfassungsrecht.

ZUSAMMENARBEIT MIT STAATLICHEN STELLEN UND DER KONTEXT ISLAM = TERROR

DieZusammenarbeitmitstaatlichenStellenistwichtigundmusskonsequentausgebautwerden.

UnsereGesellschaft istweiterhinfragil,wasdasöffentlicheReizthema„GewaltundTerror“

imKontextvonislambezogenenDebattenangeht.DiesgiltumsomehrseitdemEinzugder

AfDinfastalleParlamente,davieleAkteuredieserParteieineGleichsetzungvonIslamund

Terrorbehauptet.DasbelastetdasFortkommenbeidenBildungs-undStrukturfragen.Der

mittlerweileseitJahrzehntenanhaltendeMisstrauensdiskursüber„den“Islamlähmtdieweitere

InstitutionalisierungunddamitFestigkeitderStrukturenfürdeutscheMuslime.DieserDiskurs

verlangt immerwiedereineErklärung zurHaltung zumExtremismus,obgleich inzwischen

mehrfachmitWortundTatbewiesen.DamitwirdvielZeitundKraftvergeudet,wäreninzwischen

diefünfteGenerationdeutschermuslimischerKinderaufdenislamischenReligionsunterricht

wartet.

DIE GLEICHSTELLUNG DES ISLAM IN DEUTSCHLAND: MEHR STILLSTAND ALS FORTSCHRITT

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32 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

POLITIK MUSS BEIM THEMA ISLAM GESTALTUNGSWILLEN ZEIGEN

AntimuslimischeFeindbildersindallgegenwärtig.DieBedrohungfürdieMitgliederdesZMD

sindspürbargrößergeworden.MorddrohungenoderAnkündigungenvonAnschlägenpassie-

ren immerwieder,auchpersönlichgegenmich.Esgibt viele justitiableDrohungengegen

dieZMD-Geschäftsstellen.ÜbergewisseZeiträumestandenMitarbeiterinnenundMitarbeiter

unterPolizeischutz,wennsiedieGeschäftsstellebetratenoderverließen.Esgibtgelegentlich

Anschlagspläne,diedannzufälligöffentlichwerden,wiedieeinesinzwischensuspendierten

Bundeswehroffiziers.

AntimuslimischeHetzkampagnen insozialenMedienhaben indenvergangenenJahrenzu-

genommen.DieweiterstetigsteigendenZahlenvonÜbergriffenaufMuslimeundAnschläge

aufMoscheenoderauchFlüchtlingsunterkünftesprechenBändeundmachendeutlich,dass

antimuslimischerRassismus inDeutschlandeineernstzunehmendeundgesamtgesellschaft-

licheBedrohungdarstellt.ÜberwiegendwirddiesjedochkaumalsBedrohungwahrgenommen

undimmernochderFokusaufdenreligiös-muslimischmotiviertenExtremismusgelegt.Die

Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Laut Verfassungsschutz existieren derzeit 400

muslimischeGefährderundüber10.000gewaltbereiteRechtsextremisten–dergegenwärtige

Diskursverläuftgenauandersherum.DiesistleidereinErfolgderPopulisten.WennalsoPolitik

nichtschnellGestaltungswillenzeigtundstattdesseneherdemPopulismusFolgeleistet,wird

sichdieSituationweiterverschlechternzuLastendesgesellschaftlichenFriedensinunserem

LandundunterHinnahmederSchwächungunsererverfassungsgemäßenPrinzipienderall-

gemeinenReligionsfreiheit.

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33DIE GLEICHSTELLUNG DES ISLAM IN DEUTSCHLAND: MEHR STILLSTAND ALS FORTSCHRITT

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34 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

FINANZIERUNG RELIGIÖSER UND SOZIALER DIENSTE DER DİTİB

Bekir Alboğa

1. RELIGIÖSE DIENSTE

DİTİBwurdeimJahr1984vonetwa250MoscheegemeindenalsihrDachverbandgegründet.

DieseMoscheevereinewurdeninitiativvonderbereitsbestehenden,zivilentürkisch-muslimi-

schenArbeitnehmerschaftdererstenGenerationaufgebaut.GemäßVereinsrechtwarDİTİB

zunächstDachverbanddieserGemeinden.BinnenkurzerZeitentwickeltesichdieDİTİBzur

größtenReligionsgemeinschaftmuslimischerMoscheegemeindenundzu ihrerDachorgani-

sationen innerhalbDeutschlands.DasGrundgesetzderBundesrepublikDeutschlandbildet

ausdrücklichdenRahmen,indemDİTİBarbeitet,sodassbisheuteihreDiensteausschließlich

imEinklangmitderRechtsordnunggeleistetwerden.

DaDİTİBsichvonAnfanganalsReligionsgemeinschaftwahrnahmundalsMigrantenselbst-

organisationverstandunddefinierte,verpflichtetesiesichauchdazu,ausschließlichreligiöse

undsozialeDiensteanzubietenundganzundgarparteipolitischneutralzuseinundzubleiben.

DaranhältDİTİBseitjeherundbisheutekonsequentfest.

DieeinzelnenMoscheegemeinden,dieaufeigeneInitiativeMitgliedimDİTİB-Dachverband

wurden, entschieden sich überdies ebenfalls selbst, Gebetsräume zu unterhalten und mit

derZeitauch repräsentativeGotteshäuserzubauen,umdie religiösenDienste ineigenen

Moscheenleistenzukönnen.DiesistderTatsachegeschuldet,dassdieGemeindemitglieder

vorallemabden80erJahrenzunehmendfeststellten,dasssienichtmehrindieTürkei,ihre

ursprünglicheHeimat,zurückkehren,sonderninDeutschlandbleibenwürden.

Die Räumlichkeiten der DİTİB-Moscheegemeinden, die als muslimische Gebetsräume be-

nutzt oder als neueMoscheengebautwerden,werden vonder jeweiligenGemeinde vor

Ortgemietetoderneuerrichtet.SowohldieMiet-oderBaukostenalsauchdie laufenden

KostennachderFertigstellungdesMoscheebauswerdenausschließlichvonderGemeinde

vorOrtgetragen.BisheutefließenkeinerleistaatlicheoderöffentlicheGelder indieDİTİB-

Moscheegemeindenkassen.Ausnahmefällesindhierbeiäußerstselten.Auchvomdeutschen

StaatbekommendieMoscheegemeindenkeinerleifinanzielleFörderungfüreinenMoschee-

bau,denUnterhaltderMoscheesowiereligiöseodersozialeDienste.DieMoscheegemeinden

finanzierensichalsolediglichausSpendenundMitgliedsbeiträgen,welchediemuslimischen

GläubigeninFormvonGeldleistungoderphysisch-körperlicher,aberauchgeistigerEigenleis-

tung,erbringen.WenneinMoscheevereinsvorstandauseigenenKräftenbeispielsweiseeinen

Moscheebaunichtfinanzierenkann,sowendetersichaneineBankinderjeweiligenStadt,

umeinenBaukreditinAnspruchzunehmen.DieswürdendiemuslimischenGemeindenaus

religiösenGründengernevermeiden,dadasKreditwesenundZinsausreligiösenGründen

ehernegativbewertetwerden.

DieVorstandsmitgliedereinerDİTİB-Moscheegemeinde,dievondeneingetragenenMitglie-

dernundausdenReihenderjeweiligenGemeindedemokratischgewähltwerden,übendas

AmtehrenamtlichausunddürfenkeineGeldleistungfürdiesesehrenamtlicheEngagement

erhalten.DİTİB-GemeindenvorOrtsindgemäßihrerSatzungdemokratischundtransparent

aufgebautundandersorganisiertalsvieleMoscheegemeindenaußerhalbderDİTİB.

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35FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND FINANZIERUNG RELIGIÖSER UND SOZIALER DIENSTE DER DITIB

Esgibtbundesweitungefähr6.500EhrenamtlicheindenMoscheevorständen.Hinzukommen

nochehrenamtlichaktiveFrauenundMänner inderJugend-,Frauen-undElternarbeit,so

dassetwa25.000weiblicheundmännlicheGläubigeihrekostbareZeitfürdieseehrenamtliche

Beschäftigungaufbringen.

Um vor allem die religiösen Dienste, die eine muslimische Moscheegemeinde unerlässlich

benötigt,anbietenzukönnen,bemühensichdieMoscheevereinsvorständeumeinenhaupt-

amtlichenReligionsbeauftragten,auchalsImambekannt.DiesakraleBetreuungdurcheinen

Religionsbeauftragten mit theologisch-religiösem Wissen und spezifischer Berufserfahrung

istdasFundamenteinerMoscheegemeindenebendemGemeindevorstand.UmeinenReligions-

beauftragtenanzustellen,musseineMoscheegemeindenichtnurübereinGebets-undGe-

meindehausverfügen,sonderndarüberhinauseineWohnungfürdiemännlichenundweib-

lichen Religionsbeauftragten, die selbst für ihre Nebenkosten aufkommen, zur Verfügung

stellen.WenneineMoscheegemeindeeinenReligionsbeauftragtengemäßderWürdedes

Amtesselbstfinanzierenmüsste,wärendiesmonatlichetwa4.000-5.000€,wozudiemeisten

MoscheevereinefinanziellnichtinderLagesind.

LässtmanalsobeiderBetrachtungzunächstaußenvor,dassesderzeitkeineinDeutschland

studiertenislamischenTheologinnenundTheologengibt,diediesesAmtimGanzenausüben

könnten,istdieÜbernahmederHonorarederReligionsbeauftragtendurchdieDIYANET-Religions-

behördefürdieVorständederMoschee-GemeindeneinegroßeErleichterung.DasBetreiben

einerMoscheeerforderteinenhohenfinanziellenAufwand.AußerdempotenziellenGehalteines

ImamsodereinerPredigerinsindzahlreicheKostenzutragen.DabeiwerdenderMoscheebau,sein

Unterhalt,religiösesowiesozialeDienste,BeratungsangeboteundähnlichesvomMoschee-

vereinsvorstandalleinausderGemeindekasseohneöffentliche FörderungoderZuschüsse

finanziert.

NunhatsichdieSituationderMuslimedahingehendentwickelt,dassdieGemeindenzuneh-

mendvonMuslimenderzweitenunddrittenGenerationgetragenwerden.DieseMenschen

habendasBedürfnisnacheinemReligionsbeauftragten,der ihreLebensweltkenntundim

Sinnedes Islamverständnisseshier vorOrt Lösungenaufzeigt.DieDİTİBhat sichandiese

wandelndenBedürfnisseangepasstundbereits2006–alsovierJahrevorderEmpfehlung

desWissenschaftsrates–den„InternationalenStudiengangfürTheologie“insLebengerufen.

DİTİBermöglichtinZusammenarbeitmitderDIYANET-Religionsbehördeundmehrerentheo-

logischen Hochschulen diverser Universitäten deutschen Abiturientinnen und Abiturienten

türkischerHerkunftmitStipendiendieAufnahmeeinestheologischenStudiumsinderTürkei.

DenAbsolventendiesertheologischenStudiengängewirdseitensderDİTİB-AkademieinKöln

dieergänzendeAus-undFortbildunginihrenMoscheegemeindeninDeutschlandangeboten,

umsiefürallepraktischenAufgabeneinesImamsgänzlichzubefähigenundzusensibilisieren.

Bereitscirca60dieserAbsolventinnenundAbsolventenwerdenaktuellinDİTİB-Gemeinden

imPraktikumsstadiumalsReligionsbeauftragteundPredigerinnenbeschäftigt.DİTİBarbeitet

verstärktandemZiel,dassinnerhalbdernächstenzehnJahrevieleImameinDeutschland

geboren,hierzurSchulegegangenundhiersozialisiertsind.

FürdiereligiöseUnterweisungvonmuslimischenKindernundJugendlicheninWochenend-

kursenbeispielsweisestellendieVorständevongrößerenGemeindenaufgrunddergroßen

Nachfrage zudem zusätzliche theologische Hilfskräfte ein und bezahlen deren Honorare

ebenfallsausderGemeindekassedesMoscheevereins.

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36 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

DieGläubigeninderMoscheegemeindewerdeninjedemAlterundinjederLebenslagereligiös,

theologisch, pädagogisch, emotional und seelsorgerisch betreut. Daher wünschen die Ge-

meinden hauptamtliche Religionsbeauftragte, die bestenfalls ein Hochschulstudium der

islamischenTheologieabsolvierthabensollten,beidemsienebentheologischenundpäda-

gogischenauchpraxisrelevanteFähigkeitenerwerbenkonnten.Dasmentale,sprachlich-emo-

tionaleundseelsorgerischeVerhältniszwischendemReligionsbeauftragtenunddenGemein-

demitgliedernisteinewichtigeKomponentefürseelischeVitalitätundempathischeMentalität

innerhalbeinerfunktionierendenMoscheegemeinde.UmdieWertedesIslamindenGemeinden

zu vermitteln und im muslimischen Alltagsgeschehen vorzuleben, müssen Religionsbeauf-

tragte alsoneben ihrer theologisch-theoretischenAusbildung vor allemauch impraktisch

anwendbaren,psychologisch-seelsorgerischenBereichund inder fürsorglichen Interaktion

mitderGemeindefirmundgeschultsein.

DieMoscheegemeindenundihreGläubigenerwartenvoneinemTheologenmitHochschul-

qualitätennebenderVorbeter-undPredigertätigkeitreligiöseDiensteinbesonderenLebens-

situationen,wieetwaaufAnfrageinKrankenhäusern,inGefängnissenundinJugendsozial-

einrichtungenoderinNotfällen.DieseErwartungleitetsichvondenjenigenislamischenGe-

botenab,diezureligiöserundgesellschaftlicherVerantwortungaufrufen.

EinTheologeodereineTheologinsolltebeidiesemanspruchsvollenAufgabenspektrumdaher

würdigundangemessenhonoriertwerden.OhneeineKooperationmitderDIYANETund

ohnederenÜbernahmeder FinanzierungwürdendieMoscheegemeindenund ihregesell-

schaftlichen und friedenstiftenden Beiträge unter fehlenden Kompetenzen und Qualitäten

nichtnurleiden,siewärenwahrscheinlichnichtdurchführbar.

GrundsätzlichistdieDIYANET-Religionsbehördeverpflichtet,allentürkisch-muslimischenBür-

gerinnenundBürgern,gleichgültig,wosieleben,religiöseDienstezuunterbreitenundihnen

einen Religionsbeauftragten zur Verfügung zu stellen, wenn sie ein muslimisches Bethaus

einrichten oder eine neue Moschee errichten. Dies ähnelt der Finanzierung der Auslands-

pfarrerinderevangelischenundkatholischenKirche.DainDeutschlanddieDeutungshoheit

unddasRecht,dasreligiösePersonalfreibestimmenzukönnen,auchfürdiemuslimischen

Gemeindengilt,habendieDİTİB-MoscheegemeindendieseKooperationmitderDIYANETin

Anspruchgenommen.DieFinanzierungdesreligiösenPersonalsindenMoscheenwirdnicht

nurinderTürkei,sondernebenfallsinBelgienundinähnlicherFormauchinvielenanderen

EU-LändernwieinGriechenland,inItalienundinweiterenLändern,vonderStaatskasseüber-

nommen.ChristlicheGläubigeausDeutschlandwerdenindiesenLändernebenfallsinihrer

Muttersprachereligiösundseelsorgerischbetreut.

FrankreichundDeutschlandsinddurchdiePraxisvonLaizismusundKirchensteuerzweibe-

sondereEinzelfälle.IhreVorgehensweisewirdvondenmeistenwestlichen,christlichgepräg-

tenStaatennichtübernommen.

2. SOZIALE DIENSTE

DieDİTİB-ReligionsgemeinschaftbietetnebenreligiösenauchvielfältigesozialeDiensteund

finanziertdieseausSpenden-undSponsorengeldernsowieMitgliedsbeiträgen.

NebendenbereitserwähntenreligiösenDienstensowiereligiösenUnterweisungenvonmuslimi-

schenKindernundJugendlicheninWochenendkorankursenbietendieDİTİB-Moscheegemeinden

ebenfallsHausaufgabenbetreuungfürSchülerinnenundSchüler,DeutschkursefürMigranten

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37

undFlüchtlingesowie InformationsveranstaltungenundWorkshopszurFörderungvonbe-

ruflichenQualifikationen.DieVorständestellendiverseMöglichkeitenundRäumlichkeitenals

EigenanteiloderkostenloszurVerfügung.

Die Wohlfahrt und gegenseitige Solidarität gehören zu den wichtigsten Bestandteilen der

islamischen Religion und Lehre. Zur positiven Gestaltung der Beziehungen zwischen den

MenschengehörtdieFürsorgefürdenAnderen.DemsozialenLebenliegtdasStrebennach

Gerechtigkeitzugrunde.Jedenalsgleichwertiganzuerkennenundsolidarischzusein,gehörtzu

denGrundeinstellungen,diezumehrGerechtigkeitführen.TeilenbedeutetdasTeilenmaterieller

GüterundimmateriellerRessourcenwieEmpathie,FürsorgeundZuneigunggleichermaßen.

JedeMuslimaundjederMuslimistdazuangehalten,soweitdazuinderLage,denMenschen

imdirektenundindirektenLebensumfeldzuhelfen.

MaterielleUnterstützungundzweckgebundeneSpendendieneninderDİTİB-Religionsge-

meinschaftbeispielsweisefolgendenZwecken:

• HilfezurSelbsthilfe

• SozialeInklusiondurchzielgruppenorientierteDienstleistungen

• StudienbeihilfenanbedürftigeStudentinnenundStudenten,Doktorandinnenund

Doktoranden,teilweiseauchSchülerinnenundSchüler

• HilfskampagnenbeiNaturkatastrophenundmenschlichenNotlagen

• UnterstützungvonMoscheebauten

• OpferabgabeinVertretunganbedürftigeMuslimeinärmerenTeilenderWelt

• Seelsorgerischer,theologischerundsozialerBeistandfürdieFlüchtlingeinmateriellerwie

immateriellerHinsicht

Diereligiöse,sozialeundseelsorgerischeBetreuungmuslimischerGläubigerundMigranten

durchehrenamtlicheLeistunginteilsorganisierterFormdurchdieDİTİBseit1984hatauch

ohnestaatlicheZuschüsseundFördergelderdie Integrationnachhaltigpositivmitgestaltet.

StaatlicheZuschüsseundFördergeldersindohnehinerstindenletztenJahrenalleinezweck-

gebundenfürProjektemitklardefinierten Inhalten,ZielenundTeilnehmergruppenerfolgt,

diehierexemplarischaufgegriffenwerdensollen.

3. PROJEKTE

AuflokalerEbeneundindenBundesländernführenDİTİB-Gemeinden,Landesverbände,Frauen-

und Jugendverbände in eigener Trägerschaft oder alsKooperationspartner Projektedurch.

DieseunterschiedlichenProjekteinBereichenwieBildung,Flüchtlingshilfe,Radikalisierungs-

prävention sowieFamilienhilfewerdenhauptsächlichdurchdieehrenamtlichenGemeinde-

mitgliederkoordiniertoderdurchgeführt.

LauteinerUntersuchungausdemJahr2015,dievonderDIKüberdasBAMFinAuftragge-

gebenundvomZentrumfürTürkeistudienundIntegrationdurchgeführtwurde,arbeitenmin-

destens10.000ehrenamtlichaktiveDİTİB-MitgliederimBereichderKinder-undJugendhilfe

undSeniorenarbeit.EssindkaumhauptamtlicheMitarbeiterzuverzeichnen.Dieserschwert

denZuganginbestehendeFördersysteme,NetzwerkeundGremienundverhindertimErgebnis

eineprofessionellereArbeit.DadurchkanndieQualitätundEinhaltungvonbisherinderSozial-

arbeitentwickeltenStandardsnichtdurchgehendgesichertwerden.DieseSituationverhindert

zugleicheinenstrukturellenAufbaudauerhafterundnachhaltigersozialerAngebote.

FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND FINANZIERUNG RELIGIÖSER UND SOZIALER DIENSTE DER DİTİB

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38 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

DieVereineundGemeindenmöchten ihreStrukturenmittlerweileprofessionalisieren.Dies

wäredurchHauptamtlichebesserzukoordinieren.AucheineRegelförderungzuakquirieren

undfinanzielleUnterstützungfürdieprofessionelleArbeitzusichern,isteinwichtigerBedarf.

AusdiesemGrundhabenwirmit sechsweiterenmuslimischenVerbändenkooperiertund

das„IslamischeKompetenzzentrumfürWohlfahrtswesen–IKWe.V.“gegründet.DasZieldes

Vereinsistes,dieGemeindendurcheineBundesförderunginderWohlfahrtsarbeitzustärken.

EbenfallshatDİTİBimJahr2016eineinmaligesProjektmitweiterenvierVerbändenimBe-

reichderFlüchtlingshilfegetragen,dasauchvomBundesministeriumfürFamilie,Senioren,

FrauenundJugendgefördertwurde. ImRahmendiesesProjekteswurdenbundesweit inner-

halbvondreiMonatenbislang481ehrenamtlicheFlüchtlingsbeauftragteakquiriertundzer-

tifiziert.LeiderkonntenwirdieseseinmaligesProjektaufgrundaktuellerDiskussionennicht

weiterführenunddamitdenEinsatzvongeschultenEhrenamtlichennichtweiterunterstützen

oderdieFlüchtlingshilfeausbauen.

EinweiteresProjekt,„GegenwartGeschwisterlichGestalten“,wirdimRahmendesBundes-

programms„MenschenStärkenMenschen“gefördert.Dadurchhabenwirbislangbundesweit

mitzweiweiterenKooperationspartnernüber3.500PatenschaftenfürGeflüchtetegebildet.

MiteinemweiterenProjektfördernwir Jugendliche in ihrenStrukturen,arbeitenpräventiv,

umeinerRadikalisierungvorzubeugenundtragendabeijährlich20%derProjektkosten.

DasbeschriebeneSpannungsfeld„Finanzen“wirktsichalsoaufvielerleiEbenenausundbe-

dingtwiederumanderedamiteinhergehendeDiskussionen.VielleichthilftunsinderKontex-

tualisierungeinRückblickaufdieEntwicklungderMuslimeinDeutschland,diegrößtenteils

alsGastarbeiterinden70ernund80erneinwanderten:WirbeobachteneineTransformation

vonGastarbeiternüberAusländerundMigrantenhinzudeutschenMuslimen.EineEntwick-

lung,die indenAnfängen inden70erund80er Jahrennichtnurundenkbar,nein, sogar

explizitunerwünschtwar.WennsichauchdieRahmenbedingungenseitdemgeänderthaben,

sindBemühungenumdieMuslimedochsehrzögerlichundwerdenrechtschnelldurchver-

schiedensteDiskussionenimKeimerstickt.

DasSpannungsfeld„Finanzen“müsstealsoumdieFelder„Erwartungshaltungen“,„Angebots-

strukturen“und„Bedürfnislagen“erweitertwerden–diesistimaktuellgegebenenRahmen

jedoch nicht möglich. Zusammengefasst: Die Erwartungshaltung ist auf allen Seiten sehr

hochunddieFinanzierungderAngebotsstrukturdringendnotwendig,umdieBedürfnislagen

diverserAkteureentsprechendzubedienen.

Die hauptsächlich von 25.000 ehrenamtlich aktiven Muslimen getragene Belastung, aber

auchFinanzierung,kannnichtmitderSituationderKircheninDeutschlandverglichenwerden.

DieKirchenundandereanerkannteReligionsgemeinschafteninDeutschlandgreifenaufimmense

öffentliche,aberaucheigeneFinanzquellenzurück,diedenMuslimenschlichtwegverschlossen

sind.DiewenigenProjektförderungen,dieäußerstdetailbeflisseninHinblickaufEinhaltung

vonZiel, InhaltundFinanzrahmenrealisiertwerden,werden langfristigandieserSituation

nichtsändern.Diesistinsbesonderedeshalbkontraproduktiv,weilMuslimelängstTeildieser

Gesellschaft sind,hier lebenundsterben, ihreProduktivität, ihreArbeitundEhrenamtein-

bringenundihreSteuernverrichten.NebeneinerAnerkennungdieserLeistungensollteeine

FinanzierungvonsozialenProjektenundArbeitenderNormalfallsein,nichtdervieldiskutierte

Ausnahmefall.

OhnefinanzielleFörderungwirdesaberschwersein,SozialarbeitindenMoscheegemeindenzupro-

fessionalisierenunddieVielfaltinderAngebotslandschaftzusichern.AlsDİTİBtunwirunserBestes.

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4. FAZIT

DieFinanzierungderImamedurchdiereligiöseDIYANET-BehördesolltenichtalsVorwand

instrumentalisiertwerden,umDİTİBinderÖffentlichkeitalsnegativ,fremdartigundintegra-

tionsfeindlichdarzustellen.DİTİBisteinsehrvertrauensvollerPartnerfürdieTeilnahmeder

MuslimeamgesellschaftlichenLebeninsgesamt.DieDİTİBschütztdurchdieintensiveArbeit

derImameunddieerwähntenProjekteseitJahrenJugendlicheerfolgreichvorRadikalität.

DiereligiösenundsozialenDienstederDİTİBsolltenkeinesfallspolitischenundlaizistischen

DebattenundOpportunitätenzumOpferfallen.LösungenkönnennurgemeinsamimDialog

undGesprächmitDİTİBundDIYANETgefundenwerden,fallssiegesuchtwerden.

FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND FINANZIERUNG RELIGIÖSER UND SOZIALER DIENSTE DER DİTİB

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40 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

FINANZIERUNGSFRAGEN AUS SICHT EINER KLEINEREN MUSLIMISCHEN

ORGANISATION AM BEISPIEL DES LIBERAL-ISLAMISCHEN BUND

Nushin Atmaca

DerLiberal-IslamischeBund(LIB)ist–imVergleichzumZentralratderMuslimeinDeutschlandund

derDİTİB,derenPositionenzurFragederFinanzierungmuslimischerOrganisationenebenfallsin

diesemArbeitspapierdargelegtwerden–einkleinerundjungerVerein.SeitseinerGründung

imJahr2010zählterca.300Mitglieder,vondenendiemeisten–sofernsiekeinenermäßigten

Beitragzahlen–einenMitgliedsbeitragvon80EuroproJahrandenVereinentrichten.Hinzu

kommenSpendenvonMitgliedernoderunszugeneigtenPersonen.AusdiesenZahlenlässt

sichohneSchwierigkeitenableiten,dassesunsnochnichtmöglichist,einenGeschäftsführer

odereineGeneralsekretärinzufinanzieren.Somitarbeitenalle,dieVorstandsmitgliederinbe-

griffen,ehrenamtlichfürdenVerein.DashatzurFolge,dasswirnichtalleAnfragenwahrnehmen

können,dieunserreichen,dasieteilweisemitberuflichenVerpflichtungenkollidierenoder

unsereZeit-undEnergiereservenübersteigen.DiesmagzuEnttäuschungenaufderanderen

Seiteführenundmöglicherweiseauchzu„verpasstenChancen“fürdenLIB.Vorallemzeigt

dieseSituationaberdeutlich,wieengOrganisationsstrukturenunddamitauchderTätigkeits-

undWirkungsradiusvondenfinanziellenMöglichkeiteneinesAkteursabhängen.

Nunließesichkritischeinwenden,dassdiesesDilemmaselbstverschuldetsei:EinVereinvon

derGrößedesLIBübernehmesichmöglicherweisemitdemAnspruch,bundesweittätigzu

sein.AllerdingssteigtdieNachfragenachderArbeitdesVereinsstetigundderLIBhatsich

alspolitischerundgesellschaftlicherAnsprechpartneretabliert.Wirwerdenals Partner für

sozialeodergesellschaftspolitischeProjekteebensoangefragtwiealsReferierende,alsTeil-

nehmendeaufPodienoderalsExpertinnenundExpertenfür informelleGespräche.Neben

unserem gesellschafts- bzw. religionspolitischen Engagement kommen wir außerdem den

Aufgabennach,dieGlaubensgemeinschaftentraditionellerweisezugeschriebenwerden.So

beratenwirMenschen,diesichmitpersönlichenFragenundAnliegenanunswenden,schließen

Ehen, bieten eine religiöse Gemeinschaft. Dabei bilden unsere Gemeinden in Köln, Berlin,

FrankfurtundHamburgdenKernunseresspirituellenLebens.Aberauchhiermachtsichdie

finanzielleSituationbemerkbar:KeineunsererGemeindenverfügtüberangemieteteRäume,die

ausschließlichihnenzurVerfügungstehen.EingeschränktefinanzielleMöglichkeitenführen

somit unter anderem zu fehlender Sichtbarkeit,waswiederumdieGewinnungneuerMit-

glieder erschwert.1 Zudem kann keine unserer Gemeinden einen Imam oder eine Imamin

entlohnen,wobeihinzugefügtwerdenmuss,dassdiese(hierarchische)Strukturauchnichtin

allenGemeindengewünschtist.GegründetwurdendieGemeindennichtdurchdenVorstand,

sonderndurchVereinsmitgliedervorOrt.SiesindsomitErgebnisklassischer„Basisarbeit“.

Dazupasst,dassdieAufgabengebietedesLIBsowohldurchdieAnliegendesVorstandsund

derMitglieder,alsauchexterngeformtwurden.ImErgebnisarbeitenwirinhaltlichundorga-

nisatorischzuunterschiedlichstenThemenundsindinverschiedeneProjekteundStrukturen

eingebunden.Finanziellaberhinkenwirhinterher.

[1]GleichzeitigsindunsaucheinigeMenschenverbunden,dieunteranderemausAngstvor gesellschaftlicher Diskriminierung den Schritt scheuen, offizielles Mitglied eines mus-limischenVereinszuwerden.DiesmageinErgebnisderoftmalsmitunwidersprochenenStereotypenaufgeheiztenDebattenumIslamundMuslimeinunseremLandsein.

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41FINANZIERUNGSFRAGEN AUS SICHT EINER KLEINEREN MUSLIMISCHEN ORGANISATION …

WasaberistnunmitdenfinanziellenMitteln,dieunsdurchMitgliedsbeiträgeundSpenden

zurVerfügungstehen,tatsächlichmöglich?WirkönnendamitöffentlicheDiskussionsveran-

staltungenorganisieren,wie beispielsweise jene am14.2.2018 in Berlin zumThema „Isla-

mischeWerte–auchinDeutschland?“DamitleistenwirnichtnureinenBeitragzurgesell-

schaftlichenDebatte,sonderntragenauchzumAbbauvonVorurteilenundRessentiments

bei.WirkönneninterreligiöseBegegnungenmitunserenPartnerngestalten,wiedie jährliche

Kooperation unsere Kölner Gemeinde mit der dortigen Luther-Kirche zeigt. Damit zeigen

wirdasGemeinsameaufunderinnerngleichzeitigdaran,dassUnterschiedezwischenden

Religionenwederverwischtwerden,nocheinerBegegnung imWegestehenmüssen.Wir

könnenimMonatRamadanzumgemeinsamenFastenbrecheneinladen,entwederaufBundes-

vereinsebene, wie 2017 in Berlin geschehen, oder auf lokaler beziehungsweise regionaler

Ebenewieebenfalls2017inFrankfurt.DergelebteIslamwirddamitTeildesöffentlichenLebens.

Magdasauchbeidemeinenoderderanderenaufgrundderhäufignegativkonnotierten

islambezogenen Debatten Ängste hervorrufen, so tragen solche Einladungen doch zum

KennenlernendesalsvermeintlichfremdempfundenenundzurSichtbarkeiteinerreligiösen

Minderheitbei,dielängstselbstverständlichseinsollte.Letztlichkönnenwirdurchdieuns

zurVerfügungstehendenMittelThementagefürunsereMitgliederorganisierenundunsere

Öffentlichkeitsarbeit,inFormvonFlyer-,Plakat-undBroschürendrucku.ä.finanzieren.Trotz

dieserBreiteanAktivitätensindwirbeidenmeistengemeinsammitKooperationspartnern

durchgeführtenProjekten– seies imgesellschaftspolitischen, sozialenoder interreligiösen

Bereich – ausschließlich ideeller Partner, da unsere finanziellen Ressourcen eine monetäre

Beteiligung ausschließen. Auch andere Aktivitäten bzw. Entwicklungen sind aufgrund der

finanziellenSituationunmöglichoderzumindesterschwert.

WederunsereGemeindennochunserVorstandverfügenübereigeneRäume.DieGemeinden

sindGastentwederindenRäumenvonKirchenodervonsozialenTrägern.DieSchaffungeiner

bezahltenStelle,wiebeispielsweisedieeinerGeschäftsführungfürdenLIB, istmomentan

ebenfallsWunschdenken.DamitistauchdemweiterenStrukturaufbauundeinerdamitmeist

einhergehendenProfessionalisierungderVereinstätigkeit ein Riegel vorgeschoben. Ebenso

schwieriggestaltetsichdieAnwerbungvonProjektgeldern.ZwarführtderLIBeineigenes

Projektdurch–„EmpowermentstattAntisemitismus“–undistanweiterenalsPartnerbeteiligt.

AllerdingsgibteszunehmendFörderausschreibungen,diedieEinbringungvonEigen-bezie-

hungsweiseDrittmittelnverlangen,soauch imBundesprogramm„Demokratie leben!“des

BundesministeriumsfürFamilie,Senioren,FrauenundJugend.HierhatderLIB2017einen

Projektantrageingereicht,derzurFörderungalssogenanntesModellprojektausgewähltwurde

undeinfinanziellesVolumenvonknapp260.000€überzweiJahreumfassthätte.Letztlich

musstederAntragjedochzurückgezogenwerden,dasichdieEinwerbungvonDrittmitteln,

diemindestens20%derFördersummeumfassenmussten,alsunerwartetschwieriggestaltete

undEigenmittelindergefordertenHöheschlichtnichtvorhandenwaren.DassProjektemit

gesellschaftspolitisch wertvollen Impulsen und Beiträgen nicht umgesetzt werden können,

weilsieanfinanziellenVorgabenderFörderrichtlinienscheitern,wardurchausfrustrierend.

NunsolldieserBeitragnichtdazudienen,dieSchwierigkeitenkleinerermuslimischerOrga-

nisationenzubeklagen.VielmehrergebensichausderobenbeschriebenenSituationeinige

Schlussfolgerungen,die Teil einer konstruktivenDebatteüberMöglichkeitenundGrenzen

derFinanzierungreligiöserOrganisationenimAllgemeinenundmuslimischerOrganisationen

imBesonderenwerdenkönnen.DasBeispieldesLIBzeigt,dassVereinesichimLaufeihrer

Entwicklungprofessionalisierenmüssen,umdenwachsendenAufgabengerechtzuwerden.

DazugehörenderAufbauunddieFestigungvon(Organisations-)StrukturensowiedieÜber-

nahmeständigerAufgabendurchbezahlteAngestellte,umsowohlfürMitgliederalsauchfür

externeAnfrageneinekontinuierlicheundständigeAnsprechbarkeit,PräsenzundBetreuung

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42 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

zugarantieren.AnalldieseBeobachtungenschließtsichdahereinefundamentaleFragean:

Wie ist die Finanzierung der ganz grundlegenden Arbeit von muslimischen Vereinen

und Organisationen möglich, ohne auf eine dauerhafte Finanzierung aus dem Aus-

land zurückzugreifen?Hierseihinzugefügt,dassnachMeinungderVerfasserinnichtder

ausländischeGeldgeberpersedasKritischeeinerdauerhaftenFinanzierungausdemAusland

darstellt.VielmehristdieDauerhaftigkeitdasProblem,dennsiebringtunterUmständeneine

EinflussnahmeaufInhalteundLehremitsichundstelltdamitdieUnabhängigkeitdesUnterstüt-

zungsempfängersinFrage.

EineerstedarananknüpfendeÜberlegungwärediefolgende:EinefinanzielleFörderungdurch

dendeutschenStaatübereinengewissenZeitraum,wirdvonvielenMuslimenalsGefährdung

derdieeigenenUnabhängigkeitabgelehnt.2ZugleichverweisendiemeistenStaatsrechtler

aufdieUnmöglichkeiteinerdirektenFörderungdergenuinreligiösenAufgabenvonReligions-

gemeinschaftendurchden religiös-weltanschaulichneutralenStaat.Andererseits stehtder

säkularedeutscheStaatdenReligionsgemeinschaftengrundsätzlichpositivgegenüber,unter

anderemweil siewichtige soziale undgesellschaftsstabilisierendeAufgabenwahrnehmen.

GäbeesdannnichtdieMöglichkeit,eineunabhängigeStellewiebeispielsweiseeineStiftung

„dazwischenzuschalten“,diestaatlicheGeldernachgründlicherPrüfungeineseingereichten

FörderantragsanmuslimischeVereinevergibt?AufdieseWeisekönnteeine„Anschubfinan-

zierung“fürProfessionalisierungundislamischenStrukturauf-und-ausbauebensogewährt

werdenwieGelderfürganzkonkreteAnliegenundVorhaben.

InBezugaufdieFörderungkonkreterProjekte,dievonehrenamtlicharbeitendenVereinen

durchgeführtwerden,stelltsichalszweiteÜberlegungdieFragenachderSinnhaftigkeiteines

Eigen-bzw.Drittmittelanteils.DieFörderlandschaftistbegrenztundjeneVereineverfügenoft

nichtüberdiepersonellenundzeitlichenKapazitäten,dieesbraucht,umbeiunterschiedlichsten

DrittmittelgebernweitereAnträgeeinzureichenbzw.Gesprächezuführen.WäreesinAnbe-

trachtdieserTatsachennichtwichtiger,fürgutundsinnvollbefundeneProjektetatsächlichzu

fördern,alsihnenzusätzlicheHürdenaufzuerlegen?

Drittenswärezuermöglichen,dassdieseelsorgerischen,sozialenundweiterenLeistungen,

diebislangerbrachtwerden,auchohnedauerhafteFinanzierungausdemAuslanderbracht

werdenkönnen.DaheristzumeinenderGesetzgeberinderPflicht,einenrechtlichenRahmenzu

entwickeln,derdieFinanzierungderbestehendenStrukturenundderenAusbaudurchdirekte

oderindirektestaatlicheFörderungundUnterstützungermöglicht.Zumanderenistesander

Exekutive,bereitsvorhandenerechtlicheMöglichkeiteninbestehendenFörderprogrammenaus-

zuschöpfen,ummuslimischeVereineundOrganisationen indenunterschiedlichenStadien

eineAntragstellungzuermöglichenunddamitindirektihreEntwicklungfinanziellzufördern.

[2]InderPraxiswürdesichdieseBefürchtungstaatlicherEinflussnahmewahrscheinlichalsunbegründeterweisen,dadasTransparenzgebotöffentlichfinanzierterTräger,dasRechts-staatprinzipunddieparlamentarischeKontrolleöffentlicherBudgetsdementgegenstünden.DennochzeigtalleindieseBefürchtungeinmalmehrdienegativenAuswirkungenunsererhiesigenDebattenum IslamundMuslime:unabhängigdavon,obes sichumdieEinrich-tungvonInstitutenfürIslamischeTheologieandeutschenUniversitätenhandeltoderumdieFragederIntegrationvonMenschenmuslimischenGlaubens:DerWunschnacheinemwahlweise„liberalen“,„europäischen“oder„deutschen“IslamwirdvonNichtmuslimenallent-halbengeäußertundmarkiertdamitdiedavonabweichendenGlaubensverständnissealsunerwünscht,selbstwennsiesichinnerhalbdesrechtlichenRahmensbewegen.

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Abschließendistfestzuhalten,dasseinegedanklicheLoslösungvondemindieserDebatteimmer

wieder zitierten Staatskirchenrecht bzw.demStatus der „Körperschaft desöffentlichen

Rechts“unumgänglichscheint.BeideswirdindieserDebattemuslimischenVereinenundVer-

bändenentgegenhalten,umihnenzuverdeutlichen,dasssieihreOrganisationsformändern

und/odersichdenhistorischgewachsenenkirchlichenStruktureninDeutschlandannähern

müssten.NursowürdensiedenfüreinefinanzielleUnterstützungnotwendigenrechtlichen

Erfordernissengerecht.Demlässtsichentgegnen:NichtdieheutigeRealitätsollte inhisto-

risch gewachsene Strukturen gepresst werden. Vielmehr sollte das Recht ebenso wie die

strukturellenAnforderungenmodernisiertundderheutigenRealitätangepasstwerden.Denn

letztlichgehtesbeiderFragederFinanzierungmuslimischerVereineauchdarum,dermusli-

mischenMinderheitdiegleichberechtigteAusübungihrerReligionzuermöglichen–und

damitumdieWahrnehmungeinesinunseremGrundgesetzverankertenRechts.

FINANZIERUNGSFRAGEN AUS SICHT EINER KLEINEREN MUSLIMISCHEN ORGANISATION …

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44 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

GRÜNDUNG EINER ISLAMISCHEN STIFTUNG BERLIN ZUR

TRANSPARENTEN FINANZIERUNG DES ISLAMISCHEN LEBENS

Lydia Nofal

BisherfehltnochimmereineangemesseneGrundfinanzierungdesmuslimischenreligiösen

LebensinBerlin.DiesbetrifftdenMoscheebau,Moscheeunterhalt,dieFinanzierungderImame,

religiösesowiesozialeDienstleistungen,aberzumBeispielauchdieFinanzierungdesEigen-

anteilsderReligionsgemeinschaftbeiderBezahlungdermuslimischenReligionslehreran

BerlinerSchulen.UndnichtzuletztfehltesanderFinanzierungeinerdringendnotwendigen

Öffentlichkeitsarbeit–geradeangesichtsderimmerwiederkehrendenöffentlichenDebatten

überislambezogeneThemen.

AufGrundmehrererFaktorenkanndavonausgegangenwerden,dasssichdieFragenachder

FinanzierungmuslimischenLebensinderZukunftzuspitzenwird.Hierzuzählen:

• MoscheegemeindengeratenaufGrundderMietentwicklunginBerlingenausowieauch

inanderenGroßstädtenmehrundmehrunterDruck.ZwaristBerlinnochweitentfernt

vondenEntwicklungeninMünchen,wodieMietentwicklungdazugeführthat,dasses

keineeinzige innerstädtischeMoscheemehrgibt,dochauch inBerlinstehenvieleGe-

meindenangesichtsderMietentwicklungenuntergroßemfinanziellenDruck.

• FürdieGemeindenistesnacheinerKündigungsehrschwierig,neuegeeigneteRäum-

lichkeitenzufinden,somusstez.B.dasTeibaKulturzentrumzweiJahrelangohneeigene

Räumeauskommen.

• Insbesondere inarabischsprachigenMoscheen istdieZahlderMoscheebesucherinnen

und-besucheraufGrunddesZuzugsderFlüchtlingestarkgestiegen,sodassteilweisein

Treppenhäusern,imEingangsbereich,undzumTeilimFreienodersogaraufGehwegen

gebetetwird.VieleMoscheenverfügennichtüberToiletten,Waschräume,Büroräume,

Seminarräumeetc.

• DieErwartungenderGemeinden(und,nebenbeibemerkt,auchderPolitikundderGesell-

schaft)andieImamesteigen.Manerwartettheologischgutausgebildete,inderImam-

tätigkeitgeschulteundmitderhiesigenLebenswirklichkeitundSprachevertrauteImame.

Imame,diediesenAnsprüchengenügen,erwartenaber–zuRecht–eineihrerQualifikation

entsprechende Bezahlung, was die finanziellen Möglichkeiten der meisten Moscheen

weitübersteigt.

• InsbesonderejungeBerlinerMusliminnenundMuslimeerwarteneinreligiösesAngebot

undreligiöseOrte,dieihreLebenswirklichkeitwiderspiegeln.Dochinsbesonderehier

fehltesanfinanziellenRessourcen,umsolche–nichtmiteinerHerkunftskulturver-

bundenen–Angeboteaufzubauen.

• ZudemwächstdasBedürfnisgeradeunterjungenMusliminnenundMuslimennacheinem

eigenen,dieGrenzenderVerbändeüberschreitendenRaumzumAustauschüberreligiöse

FragenundzuselbstbestimmterReflexion.

• SozialeDienstleistungenderMoscheenwerdenfastausschließlichehrenamtlicherbracht.

DiessetztderProfessionalitätdersozialenArbeitaberengeGrenzenundwirddenstei-

gendenErwartungenderMenschenandieseDienstenichtgerecht.

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45GRÜNDUNG EINER ISLAMISCHEN STIFTUNG BERLIN ZUR TRANSPARENTEN FINANZIERUNG DES ISLAMISCHEN LEBENS

DiessindeinigederHerausforderungen,aufdiediemuslimischeCommunityAntwortenfor-

mulierenmuss.DieserBeitragkonzentriertsichimWeiterenaufzweibesondersdringende

Fragen:DieFragederMoscheebau-bzw.Moscheekauf-Finanzierung sowiedieBezahlung

derImame.

NocheinWortzurRolledesStaats:DieTrennungvonReligionundStaatunddiestaatliche

NeutralitätinreligiösensowieweltanschaulichenFragenbedeutetnichteindesinteressiertes

IgnorierenderHerausforderungenundEntwicklungen,vordenenbeispielsweiseMuslimein

Deutschlandstehen.DiegrundgesetzlichgeboteneNeutralitätverpflichtetdenStaatzudem,

alleKirchenundReligionsgemeinschaftengleichzubehandelnundnicht inderenreligiöse

Selbstbestimmung einzugreifen. Das deutsche Religionsverfassungsrecht ermöglicht somit

durchaus,dieUnterstützungund/oderBegleitungvonAntwortenaufdieobenangesprochenen

Herausforderungen. Inder föderalenBundesrepublikDeutschland istReligionLändersache.

DiesermöglichgeraderegionalpassendeAntwortenaufdiegegebenenHerausforderungen

desislamischenLebensinDeutschlandzuentwickeln,wasichalsgroßeChanceansehe.

1. DIE BISHERIGE FINANZIERUNG DES MOSCHEEKAUFS

BeiderMehrzahlderknapp100BerlinerMoscheenhandeltessichumangemieteteGewerbe-

räume.EsgibtaberauchGemeinden,dieinzwischenübereigeneImmobilienverfügen,insbe-

sondereGemeindenderDİTİB,derIslamischenFöderationBerlin(IFB)unddesVerbandsder

islamischenKulturzentren(VIKZ).DabeihandeltessichaberzumeistnichtumMoscheen,die

alssolchegebautwurden,sondernumdenAnkaufehemaligerGewerberäume.

DieFinanzierungdesKaufsmussdieGemeindevorOrtübernehmen.DafürwerdenSpenden

unterdenBesucherinnenundBesuchergesammelt.BeiBedarfwerdenauchSpendeninan-

derenMoscheengesammelt,dieimgleichenVerbandorganisiertsind,oderzudenenman

einengutenKontaktunterhält.NormalerweisewerdenauchKrediteinAnspruchgenommen,

dieübervieleJahreabgezahltwerden.VIKZ-Mitgliedergehenz.B.auchvonTürzuTür,umbei

islamischbzw.türkischklingendenNamenzuklingelnundumUnterstützungzubitten.Bisweilen

wirdeineGemeindevonerfolgreichenUnternehmernunterstützt,derenSpendenwesentlichzur

Finanzierungbeitragen.AuchkannmanchmalderVerbandunterstützen,wenndieGemeinde

Problemehat,ihreRatenzuzahlen.

BeidengekauftenMoscheegebäudenhandeltessichnormalerweiseumeinWaqf.Waqfist

dasarabischeWortfürStiftungundmeint,dasseinGebäudeoderaucheinandererStiftungs-

gegenstanddauerhaftfürreligiöseZweckegestiftetwurde.ImislamischenGlaubenistdiefinan-

zielle Unterstützung eines religiösen Waqf eine von drei Dingen, die den Tod überdauern

undEinflussaufdasJenseitshaben.DahergibtesunterdenGläubigendurchauseinegroße

Bereitschaftzuspenden.

Allerdings,auchwenndieGemeindenganzoderzueinemgroßenTeildieSpendenfürden

Kaufselbergesammelthaben,istderEigentümernormalerweisenichtdieGemeinde,sondern

(beiDİTİBundVIKZ)derBundesverbandodereineStiftung,diemitdemVerbandengverbun-

denist(z.B.derIslamWaqfe.V.,verbundenmitderIFB).DanebengibtesauchdiePraxis,dass

eineislamischeStiftungeinGebäudeerworbenhatundanschließendderGemeindedasNut-

zungsrechtvertraglichüberlässt.OderabereineGemeindemietetRäumlichkeitenbeieiner

islamischenStiftungan,unddasRechtsverhältnisbeschränktsichaufeineMieter-Vermieter

Beziehung.DabeientsprechendieBedingungenallerdingsnormalerweisenichtdenendesfreien

Marktes,daesAufgabederStiftungist,religiösesLebenzufördern.Dies ist insbesondere

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46 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

eineOptionfürGemeinden,derenMitgliedschaftsowieBesucherinnenundBesucherwirt-

schaftlichnichtinderLagesind,eineMoscheeselbstzutragen.Grundsätzlichgilt:zumeist

werdendenGemeindendieRäumenurüberlassen,auchwenndieGeldervorOrtgesammelt

werden.EinerderGründe,warumdieGemeindennichtEigentümersind,istdieErfahrung,

dassGemeinden,diejaalseingetrageneVereineorganisiertsindundindenennureinBruch-

teilderBesucherauchMitgliedersind,voneinerkleinenGruppe„gekapert“werdenkannund

diegroßeMehrheitderBesucherverdrängt.DassineinemsolchenFallauchdasGebäude

betroffenwäre,solldiegezeigtePraxisverhindern.

SpendenausdemAusland sindmirbeiMoscheen türkischerHerkunftskulturaus jüngerer

VergangenheitnichtbekanntundauchsonstdiegroßeAusnahme.Dietürkischsprachigen

Gemeindensindauchzumeistwirtschaftlichwesentlichbesseraufgestelltalsz.B.diearabisch-

sprachigenGemeinden– sowohl sunnitischwie schiitisch.Esgibt jedochzumindesteinen

BerlinerFall,indemeineausländischeStiftung(Mit-)EigentümereinesMoscheegebäudesist.

ImGegensatzzuSpenden,dieaneineMoscheegemeinde/Verband/Stiftunggetätigtwerden

undnichtmiteinerEinflussnahmeverknüpftwerden,istdieMiteigentümerschaftnatürlich

einWegzuKontrolleundEinflussnahmeundversperrtdamiteinerMoscheegemeindeeine

eigenständige,unabhängigeWeiterentwicklung,dieeine stärkereAuseinandersetzungmit

demeigenenUmfeldunweigerlichmitsichbringt.

Nicht nur der Erwerb eines Moscheeraumes bedeutet einen finanziellen Kraftakt für eine

Gemeinde,sondernauchdessenUnterhalt,InsoferndiejeweiligeGemeindedafürselbstauf-

kommenmuss.DerUnterhaltskosteneinerMoscheesindrechthoch,insbesondereaufGrund

derHeiz-undvorallemauchWasserkosten(religiöseWaschung)undliegenoftmonatlichim

vierstelligenBereich.

2. FINANZIERUNG DER IMAME

Währenddie ImamederDİTİB vonder türkischenReligionsbehördeausAnkarafinanziert

werden,werdendieImamederanderenMoscheenauchvonderGemeindeselbstfinanziert.

Diesbedeutetauch,dassdieDİTİB ImameunabhängigervondemjeweiligenMoscheevor-

standsind.DiesbedeutetfürdieGemeindeneinegroßefinanzielleHerausforderung.Neben

KleinspendenderBesucherundmancherortsauchMitgliedsbeiträgengibtesnochverschie-

deneweitereMöglichkeitenderFinanzierungeinesImams,wiedasErhebenvonSchulgeld

fürdieKoranschule,dasBetreibeneinerTeestube,einesFriseurgeschäftsoderkleinerLäden

fürMitgliederinderMoschee.SolcheEinnahmenfließenaberinderPraxisstetszunächstin

dieFinanzeriungderlaufendenKosteneinerMoschee.Erst,wennnochGeldübrigseinsollte,

washäufignichtderFallist,wirddiesfürdieBezahlungdesImamseingesetzt

DennochstehtinderPraxisderallermeistenBerlinerGemeindennebendemUnterhaltder

MoscheenurwenigGeldzurVerfügung.InFolgedessenwerdenImamemeistnurinTeilzeit

eingestelltundschlechtbezahlt.FürweitereAufgabeninderGemeindewiesozialeArbeit,

Jugendarbeit,Seelsorge(überdieTätigkeitdesImamshinaus)oderÖffentlichkeitsarbeitfehlt

denGemeindendasGeld.Diesfindetdaherfastimmerehrenamtlichstatt.

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3. DIE IDEE EINER STIFTUNGSGRÜNDUNG ZUR TRANSPARENTEN

FINANZIERUNG DES MOSCHEEBAUS UND ISLAMISCHEN LEBENS IN BERLIN

DieUnterstützungderFinanzierungvonMoscheebautenoderdesislamischenLebensdurch

ausländischeStiftungenwirdinDeutschlandmitgroßemMisstrauengesehen.DieFurchtvor

ausländischerEinflussnahmeistgroß–undwieobenerwähntbisweilendurchausberechtigt.

Dabeiwirdjedochmanchmalvergessen,dasswirineinerglobalisiertenWeltlebenundinter-

nationaleZusammenarbeit sowiepersonelleundfinanzielleVerflechtungenzurNormalität

gehören.SchonseitvielenJahrzehntenunterstützendiedeutschenKirchenzahlreichePartner-

kirchenimAuslandfinanziell.DieEvangelischeKircheinDeutschlandwähltPfarrerinnenund

PfarrerausDeutschlandfürdenDienstinvielendeutschsprachigenGemeindenweltweitaus,

bezahlt und begleitet diese für ihren Pfarrdienst als interkulturelle Begleitung und Brücke

deutschsprachigerChristenweltweit.Inderrömisch-katholischenKircheDeutschlandswirbt

manangesichtsdesPriestermangels inzwischenumPriesterausPolen,Südamerika,Afrika

oder Asien. Auch in vielen der anderen fremdsprachigen orthodoxen und freikirchlichen

christlichenGemeindeninDeutschlandsindPfarrertätig,diesowohlzudenHerkunftskirchen

alsauchzumdeutschenKontextengeVerbindungenpflegen.Diesspiegeltdieinternationa-

lenMigrationsbewegungenausunterschiedlichenGründenwiederundfordertdazuheraus,

die Formen gegenseitiger Unterstützung transparent und verantwortlich zu gestalten – in

ÜbereinstimmungmitdeutschemundeuropäischemRecht.

Esgiltzubeachten,dassesEinzelfälleinEuropagibt,indenenGelderausdemAuslandge-

nutztwurden,umdauerhaftenEinflusszunehmenaufdieLehreunddieGemeinde–ganz

davonabgesehen,dasszumTeileinIslamverständnisgefördertwurde,dassdiemeistenMuslime

in Europa ablehnen. Zugleich herrscht in zunehmendem Maße in Politik und Gesellschaft

AngstvordemImporteinesradikalenReligionsverständnissesundderaktuellenSpannungen

ausderarabischenWelt.

Esgiltaberauchzubeachten,dasssich–wieobenausgeführt–vieleGemeindenohnefinan-

zielle Unterstützung aus dem Ausland den Kauf oder Bau von würdigen und geeigneten

Räumen für eine Ausübung ihres grundgesetzlich geschützten kollektiven Glaubenslebens

nichtleistenkönnen.Diessiehtmanauchdaran,dassessichauchbeidenbishergekauften

MoscheeräumenmeistumehemaligeFabriketagenhandelt.KaumeineMoscheegemeinde

inBerlinverfügtübereinarchitektonischalsMoscheekonzipiertesundgebautesGebäude,

dasicheineDurchschnittsgemeindeeine„echte“Moscheeschlichtnichtleistenkann.Soer-

gibtsichdiegemeinsamzuregelndeHerausforderung,wieGelderausdemAuslandineiner

FormnachDeutschlandfließenkönnen,dietransparentundimAustauschmitAkteurenaus

GesellschaftundPolitikgeschieht.

Ein unter Berliner Muslimen derzeit diskutierter Vorschlag lautet, in Berlin eine Islamische

Stiftungzugründen,dieauchGelderausdemAuslandannimmtunddiesedanninKenntnis

desdeutschenRechtsundderhiesigenBedürfnissevonMusliminnenundMuslimennutzt

zum (Teil-)ErwerbvongeeignetenRäumlichkeiten fürMoscheegemeinden.Darüberhinaus

kann die Stiftung weitere Aufgaben finanzieren zur Entfaltung und Unterstützung islami-

schenLebens inBerlin imRahmenderAnerkennungundWertschätzunggesellschaftlicher

undreligiöserVielfalt.DieseStiftungsolltebreitgetragenseinundauchnicht-muslimische,

z.B.Kirchenvertretermiteinbeziehen.

Dieskönntesicherstellen,dassGeldgeberkeinenEinflussaufdieGemeindenausübenkönnen

undwirtrotzdeminderLagesind,denMusliminnenundMuslimengeeigneteundwürdige

Gebetsräume–undnichtlängerumfunktionierteoderimprovisierteFabriketageninBerliner

GRÜNDUNG EINER ISLAMISCHEN STIFTUNG BERLIN ZUR TRANSPARENTEN FINANZIERUNG DES ISLAMISCHEN LEBENS

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48 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

Hinterhöfen–zurVerfügungzustellen.EskönntezudemdieaktuellherrschendeRaumnot

einigerGemeindenlindern,sodassMenschennichtmehraufderStraßebetenmüssen.Auch

bietetdiesdieGelegenheit,eine„deutsche“MoscheeinBerlinzugründen,sodassauchfür

dieMuslime,dienichttürkisch,arabischodereineandereHerkunftssprachesprechenoder

wenigAnknüpfungspunkteandieHerkunftskulturenderMehrzahlderMuslimehaben,ein

entsprechendesreligiösesAngebotindeutscherSprachezurVerfügungsteht.DerBedarfist

enorm.NichtzuletztkanneinesolcheStiftungdieEntfaltung islamischenLebens inBerlin

fördern und die Anerkennung und Wertschätzung religiöser und gesellschaftlicher Vielfalt

fördern.

4. STRUKTUR UND AUFGABEN EINER BERLINER ISLAMISCHEN STIFTUNG

DieAntwortenaufvieledieStiftungbetreffendeFragenmüssennochausgehandeltwerden,

daherhandeltessichbeidenfolgendenPunktenumVorschläge,diealsDiskussionsgrundlage

dienensollen:

• Eshandeltsichumeineselbstständige,rechtsfähigeStiftungmiteigenerSatzung,Gremien,etc.

• ZentralesOrganderStiftungkönnteeinzehnköpfigesKuratoriumsein,bestehendaus

MuslimenundNichtmuslimen.

• SiebenMitgliederdesKuratoriumssindMuslime,die seitvielen Jahren indermuslimi-

schenCommunity inBerlinVerantwortungtragenunddaher indenGemeindenhohe

Wertschätzunggenießen.ZudemsollensiediemuslimischeCommunitymöglichstbreit

widerspiegeln.DieAuswahlerfolgtimRahmeneinesAushandlungsprozesses,indendie

GemeindenundGlaubensgemeinschafteneinbezogenwerden,diesichindenvergangenen

Jahrengesellschaftlichengagierthaben,z.B.imRahmendesBerlinerIslamforums.Drei

MitgliederdesKuratoriumssindjeeinVertreterderevangelischenundderkatholischen

Kirche sowieeinVertreterder Zivilgesellschaft.DiesedreiMitgliederwerden vonden

siebenmuslimischenMitgliederndesKuratoriumsgemeinsambestimmt.Dieswürdeeine

Berücksichtigunggesamtgesellschaftlicher InteressenfördernunddasVertrauen indie

Stiftungstärken.

• Das Gründungskapital von 100.000 € wird durch Spendensammlungen unter Berliner

Muslimeneingeworben.

• Zu-Stiftungen–auchausdemAusland–ermöglichenes,dieZielederStiftungmittelfristig

umzusetzen.

• DieStiftungkannImmobilienerwerbenundMoscheegemeindengeeigneteGebäudezur

Verfügungstellen.

• Möglichistauch,dassStiftungundGemeindeanteiligdieKostenübernehmenunddas

MoscheegebäudegemeinsamerBesitzderGemeindeundderStiftungist.Dieswürdedie

PositionderGemeindestärken.

• InsbesondereunterstütztdieStiftungdenAufbaudeutschsprachigerMoscheeninBerlin,

so dass die Muslime, die nicht türkisch, arabisch oder eine andere Herkunftssprache

sprechenoderwenigAnknüpfungspunkte andieHerkunftskulturenderMehrzahl der

Muslimehaben,einentsprechendesreligiösesAngebotvorfinden.Denngeradedieser

(überwiegendjungen)ZielgruppefehltesandenfinanziellenMitteln.

• DieStiftungfördertzudemdieEntfaltungundUnterstützungislamischenLebensimRah-

menderAnerkennungundWertschätzungvonreligiöserundgesellschaftlicherVielfalt.

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Hierzukannzählen:

–EineBezuschussungderGehälterderImame,umeineangemesseneFinanzierung

von inDeutschlandakademisch ausgebildeten Imamen (inAnlehnunganden

TVöD)zuermöglichen.

–dieFörderungderAnerkennungundWertschätzungreligiöserundgesellschaft-

licherVielfalt

–dieFinanzierungeinesRechtshilfefondsfürislamischeGemeindeninBerlin.

DieUmsetzungderStiftungsideebedeutetkeineswegs,dassdamitalleFinanzierungsfragen

dermuslimischenCommunitygelöstsind,eshandeltsichvielmehrumeinenBaustein,der

durchweitereergänztwerdenmuss.

DieserBeitragverstehtsichalseinDiskussionsbeitrag,wiedieFinanzierungislamischenLebens

inBerlinzukünftigermöglichtwerdenkann.KritikundErgänzungensindwillkommen.Denn

beiderFragenachderzukünftigenFinanzierungislamischenLebensinBerlinhandeltsichum

eineFrage,dieunsalleangeht–egalobMuslimodernicht.DenndiegesellschaftlichenFolgen,

dieentstehen,wennwiresnichtschaffen,dieseProblemeanzupacken,werdenebensouns

allebetreffen.

GRÜNDUNG EINER ISLAMISCHEN STIFTUNG BERLIN ZUR TRANSPARENTEN FINANZIERUNG DES ISLAMISCHEN LEBENS

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50 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

DIE LEGENDE VON EINER UMFASSENDEN STAATLICHEN FINANZIERUNG

CHRISTLICHER GLAUBENSVERMITTLUNG – KEIN TRAGBARES MODELL

ZUR FINANZIERUNG VON MOSCHEEN UND ISLAMISCHEN VERBÄNDEN

Ehrhart Körting

WährendmeinerTätigkeitalsInnensenatordesLandesBerlinvon2001bis2011binichbei

Gesprächen inmuslimischenGemeindenhäufigdarauf angesprochenworden,warumdie

KirchenvomStaatgefördertwürden,diemuslimischenVerbändeundMoscheenhingegen

nicht.DenGesprächenhaftetehäufigdieVorstellungan,dassdie islamischenReligionsge-

meinschaftenaufgrundderNichtförderungihrerMoscheendurchdenStaatimVerhältniszu

denchristlichenKirchendiskriminiertwürden.

AuchinderöffentlichenDebatteüberdieFinanzierungvonReligionsgemeinschaftenspielen

LeistungendesStaatesanKirchenoderkirchlicheOrganisationeneineerheblicheRolle.Ins-

besondereKirchenkritikerweisendaraufhin,dassderStaatdiechristlichenKirchenmitMilliar-

denbeträgenfinanziere.SohatCarstenFrerk inseinem„ViolettbuchKirchenfinanzen“von

2010rund19MilliardenEuroaufgelistet,dievomStaatandieKirchengezahltwerden.Auch

JohannAlbrechtHauptlistetinseinen„DiePrivilegienderKirchen“(2010,veröffentlichtauf

www.humanistische-union.de)vielfältigefinanzwirksame„Sonderregelungen“fürdieKirchenauf.

FüreinerealistischeDiskussionmusszwischenmittelbarenundunmittelbarenStaatsausgaben

fürdieKirchenundkirchlicheTrägervonEinrichtungenunterschiedenwerden.Diesunter-

nimmtdieserArtikelundunterbreitetanschließendeinenVorschlag,wasdarausfürdie(öffent-

liche)FinanzierungmuslimischerOrganisationenfolgt.

1. ALLGEMEINE FÖRDERUNG GEMEINNÜTZIGER ORGANISATIONEN

1.1 Finanzierung von Sozialeinrichtungen und sozialen Diensten

KirchlicheTrägerundStiftungennehmenwieandereTrägerauchanstaatlicherFinanzierungihrer

sozialenAngeboteteil.DasbetrifftetwaKrankenhäuser,Senioreneinrichtungen,Behindertenwerk-

stätten,PflegeheimeundAltenpflegeangebote.EinerechtlicheSonderstellungnehmendiekirch-

lichenTrägerimVerhältniszuanderenTrägerndabeinichtein.DiskriminiertwerdenandereTräger

somitjuristischnicht,auchnichtislamischeAnbieter.DiekirchlichenTrägerhabenlediglicheinen

faktischenWettbewerbsvorteil,weilessichumlangeanerkannteundbewährteAngebotehandelt.

1.2 Die Förderung von Kindertagesstätten

InDeutschlandgibteseineVielzahlvonstaatlichgefördertenKindertagesstättenkirchlicher

Träger.MiteinerFörderungderGlaubensvermittlunghatdasnichtszutun,wennaucheine

religiösePrägungvorliegt.InersterLiniegehtesunseremVerständnisnachumdiedemStaat

obliegendeKinderbetreuung.SoweitkirchlicheTräger (übrigensauchvieleanderegemein-

nützigeTräger)denStaat imSinnedesSubsidiaritätsprinzipsvondieserAufgabeentlasten,

habensieAnspruchaufErstattungihrerAufwendungen.

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AuchislamischeKindertagesstättenhabenunterdemGesichtspunktderGleichbehandlung

AnspruchaufstaatlicheFörderung,wennsiedieVoraussetzungenebensoerfüllenwiechristliche

KindertagestättenundinentsprechendePlanungenaufgenommenwerden.Insofernliegtauch

hierkeinerechtlicheDiskriminierungvor.

1.3 Die Förderung von Privatschulen

AucheineVielzahlvonKonfessionsschulenwirdinDeutschlandmitöffentlichenGeldernge-

fördert.MaßgebendisthierfürdasjeweiligePrivatschulrechtderLänder;esgiltnichtnurfür

christlicheSchulensondernfürallenichtstaatlichenTräger,beispielsweiseWaldorf-Schulen.

IslamischeSchulensindmöglich,abernochselten.EinBeispielistdiestaatlicheanerkannte

islamischeGrundschuleinBerlin.AuchdiederGülen-Bewegungzuzurechnendenbundesweit

sechsPrivatschulensindzunennen.

EsgibtallerdingsBesonderheitenaufgrundderVerträgezwischenStaatundKirche.Sogibtes

nachdemBayerischenSchulfinanzierungsgesetzeineSonderregelungfürkirchlicheSchulen

derjenigenRechtsträger,dieunterdasKonkordatmitdemHeiligenStuhlvom29.März1924

undunterdenVertragmitderEvangelisch-LutherischenKircheinBayernrechtsdesRheins

vom15.November1924fallen(Art.29Abs.2desGesetzes).SiegiltaberauchfürTräger

andererReligionsgemeinschaftenundweltanschaulicheGemeinschaften,dieKörperschaften

desöffentlichenRechtssind.

BundeseinheitlichwirddasRechtzurErrichtungvonPrivatschulenmitAusnahmederprivaten

Volksschulengewährleistet(Art.7Abs.4Satz1GGmitArt.7Abs.5GG).BeiBekenntnis-oder

Weltanschauungsschulen–unddiesgiltfüralleSchulendieserArt,nichtnurfürdiechrist-

lichenSchulen–wirdselbstdieZulassungprivaterVolksschulenerleichtert.DieSchulträger

erhalten nach dem zitierten Bayerischen Gesetz Leistungen für den Personalaufwand und

LeistungenfürdenSchulaufwand,wozuinBayernauchBaumaßnahmengehören(Art.31,32

desGesetzes).ÄhnlicheRegelungenzumindestfürdenPersonalaufwandgibtesauchinden

anderenBundesländern.

NichtstaatlicheislamischeSchulensindnachgeltendemRechtmöglich.Dietatsächlichen

Startbedingungensind–wiefürPrivatschulenanderernichteingeführterPrivatschulträger–

sicherlichschwieriger.MiteinerFörderungislamischerSchulengehtaucheineAufsichtdes

genehmigendenundförderndenLandeseinher(vgl.Art.7Absatz4Sätze2und3GG).Zwar

istdieZahlislamischerSchuleninDeutschlandimVergleichzuanderenPrivatschulennoch

sehrbegrenzt,rechtlichwerdensiebeiderFörderungdeslaufendenBetriebesjedochnicht

diskriminiert.

1.4 Die Absetzbarkeit der Kirchensteuer und von Spenden an

Religionsgemeinschaften von der Einkommensteuer als indirekte Förderung

DiewichtigsteFörderungderReligionsgemeinschafteninDeutschland,aberauchallerge-

meinnützigenOrganisationenwieauchderParteien,bestehtinsteuerlichenVergünstigungen

fürdieBürgerinnenundBürger,dieihrerseitsBeiträgeoderSpendenanKirchen,Religionsge-

meinschaften,gemeinnützigeOrganisationenoderParteienerbringen.Ebensowiebeianderen

SteuerbegünstigungenzahltderStaathierzwarnicht,abererverzichtetaufEinnahmen,was

diegleichenwirtschaftlichenKonsequenzenhatwieeinedirekteFörderung.

DIE LEGENDE VON EINER UMFASSENDEN STAATLICHEN FINANZIERUNG CHRISTLICHER GLAUBENSVERMITTLUNG

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52 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

Die Zahlung der Kirchensteuern und von Spenden ist eine Entscheidung jedes Einzelnen.

Durchdas freiwilligeBekenntnis zueinerReligionsgemeinschaftunddurchdie freiwilligen

SpendensindesLeistungenvonPrivaten.DieSpendenbereitschaft,wieauchdieBereitschaft

einerReligionsgemeinschaftanzugehören,wirddurchdieSteuervergünstigunggefördert.

DieSteuerbegünstigungderKirchensteuerzahlernach§10Absatz1Ziffer4EStGgiltfür

alleKirchensteuern,nichtnurfürchristlicheKirchen.Sieistdeshalbnichtdiskriminierendim

VerhältniszuanderenalsKörperschaftdesöffentlichenRechtsanerkanntenReligionsgemein-

schaften.DasdeutscheSteuerrechtkenntzusätzlichdieSteuerabzugsfähigkeitvonMitglieds-

beiträgenundSpendenangemeinnützigeOrganisationennach§10bAbsatz1EStG.Dies

wirdfürzusätzlicheSpendennebenderKirchensteuervonAngehörigenchristlicherKirchen

genutzt.EsgiltauchfüralleMoscheenundIslamischenVerbände,dienichtKörperschaften

desöffentlichenRechtssind,derenGemeinnützigkeitaberanerkanntist.Insofernkönnendie

MuslimeingleicherWeisedieSteuerabzugsfähigkeitihrerMitgliedsbeiträgeundSpenden

geltendmachen.

DieSteuerbegünstigungvonMitgliedsbeiträgenundSpendensetztGemeinnützigkeitvoraus.

Gemeinnützigistnach§52Abs.2Nr.2Abgabenordnung(AO)auchdieFörderungderReligion.

DiesgiltfüralleReligionsgemeinschaftengleichermaßen.AusgenommensindnurVereinigungen,

auchreligiöseVereinigungen,dieverfassungsfeindlicheBestrebungenunterstützen(vgl.§51

Abs.3AO).

HierbestehtfüreinigeMoscheenundMoscheeverbände,deneninVerfassungsschutzberichten

einenichtdemokratischeAusrichtungvorgeworfenwird,eineSperre.Dasgiltübrigensnicht

nurfürreligiöseOrganisationensondernfüralleextremistischenVereineundOrganisationen

gleichermaßen.InhaltlichistdieseSperreselbstverständlich:WerdendemokratischenStaat

ablehntundbekämpft,hatkeinenAnspruchaufFörderungoderindirekteFörderungseiner

ZieledurchdendemokratischenStaat.

EinSonderthema,dasichhiernichtvertiefe,istdieArtderKirchensteuererhebungdurchdie

staatlichenFinanzämternachdenKirchensteuergesetzenderLänder.Grundsätzlichkönnen

alleReligionsgemeinschaften,dieKörperschaftendesöffentlichenRechtssind,dieKirchen-

steuerndurchdieFinanzämtereinziehenlassen.NichtalleReligionsgemeinschaftenmachen

davonGebrauch.DiemeistenislamischenReligionsgemeinschaftenhabenbishereineAner-

kennungalsKörperschaftdesöffentlichenRechtsnichtangestrebt.EineAusnahmebilden

nurineinigenBundesländerndieAhmadiyyaMuslimJamaatunddieAlevitischeGemeinde

Deutschland.DiestaatlicheVerwaltungsleistungwirdnachdenjeweiligenlandesrechtlichenRe-

gelungenvondenReligionsgemeinschaftenvergütet.ObdieVergütunginallenBundesländern

imVergleichzudenentstehendenKostenangemessenist,kannhiernichtuntersuchtwerden.

EinweiteresSonderthemaergäbesich,wenndieZahlderKirchenaustritteimbisherigenUmfang

anhältunddieBereitschaftzuSpendenanReligionsgemeinschaftenabnimmt.Heuteistdie

KirchejanichtnurTrägerderGlaubensvermittlungsondernbedientvielfältigesozialeBedürfnisse.

DasgleichegiltfürdieMoscheenundislamischenVerbände.DerPfarrerundderImamsind

nichtnurdiejenigen,dieeineGlaubensbotschaftvermitteln,sondernzugleichRatgeber,die

beiFamilien-undErziehungsproblemenoderbeiArbeitslosigkeitbishinzurObdachlosigkeit

inAnspruchgenommenwerden.DiesesozialeFunktionerstrecktsichnachmeinenErfahrungen

biszurHilfebeiderKriminalitätspräventionvonJugendlichenundderWiedereingliederung

vonStraftätern.Langfristigkannmanbeidenjenigen,diekeineKirchensteuernzahlenund

keineSpendenanReligionsgemeinschaftenleisten,übereineSozialabgabenachdenken,die

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allegemeinnützigenOrganisationen–undebenauchdieReligionsgemeinschaften–inihrer

sozialenArbeitunterstützt.

1.5 Steuerbegünstigungen bei der Grundsteuer und Gebührenbefreiungen

VonderGrundsteuerbefreitistGrundbesitzvonReligionsgemeinschaften,dieKörperschaften

desöffentlichenRechtssind.DasselbegiltfürjüdischeKultusgemeinden,§3Abs.1Nr.4und

§4Nr.1Grundsteuergesetz.EineentsprechendeRegelunggibtesfürDienstwohnungender

GeistlichenundKirchendienernach§3Abs.1Nr.5Grundsteuergesetz.DieBefreiungengelten

füralleReligionsgesellschaften,diedenStatusalsKörperschaftdesöffentlichenRechtshaben

undfürdiejüdischenGemeinden.FürandereKörperschaftengibteseineähnlicheSteuerbe-

freiungfürdenGrundbesitz,dergemeinnützigenodermildtätigenZweckendient,§3Abs.1

Nr.3 Buchstabe b Grundsteuergesetz, aber beispielsweise nicht für Dienstwohnungen der

GeistlichenundsonstigenMitarbeiter.

HinzukommenlandesrechtlicheRegelungenzurGebührenbefreiungderKirchenbeiVerwal-

tungskosten und bei Gerichtskosten, die nach Johann Albrecht Haupt (aaO, S. 12f.) aber

teilweiseähnlichfürandereKörperschaftenundprivatrechtlichorganisierteReligionsgemein-

schaftengelten.AusGründenderGleichbehandlungsolltendieislamischenundanderen

Religionsgemeinschaften,dienichtalsKörperschaftendesöffentlichenRechtsorganisiertsind,

völliggleichgestelltwerden.

2. FÖRDERUNG DER RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN DURCH

STAATLICH FINANZIERTEN RELIGIONSUNTERRICHT

DieFörderungdesReligionsunterrichtsistinArt.7Absatz4GGfürdiemeistenBundesländer

verfassungsrechtlichgarantiert.SieistinzwischennichtmehraufchristlichenReligionsunter-

richtbeschränkt;inetlichenBundesländernwirdauchislamischerReligionsunterrichtgefördert.

HierzugibteskeinebesonderegrundgesetzlicheGarantienachArt.7Absatz4GG,aberden

zubeachtendenGleichbehandlungsgrundsatz.AuchistvomUmfangherderislamischeReligions-

unterrichtnochimAufbaubegriffen.AberderSachenachistindenBundesländerndieBe-

reitschaftzurGleichstellungvorhanden,gleichesgiltfürdenalevitischenReligionsunterricht.

SoistauchdieErteilungislamischenReligionsunterrichtsbeispielsweiseinNordrhein-Westfalen

nachdemGesetzzurEinführungvonislamischemReligionsunterrichtalsordentlichesLehr-

fachvom22.Dezember2011(Gesetz-undVerordnungsblatt.NRW.2011,S.725)möglich.

Ein anderesBeispiel ist Berlin.DerReligionsunterrichtwirdnicht alsordentliches Lehrfach

erteilt,sondernvondenReligionsgemeinschaften,diedafürbiszu90%derKostenerhalten.

DasgiltnichtnurfürdiechristlichenKirchen.AusdemGleichbehandlungsgrundsatzergibt

sichnacheinemUrteildesOVGBerlinvom16.Dezember1994dieFinanzierungauchfürUn-

terrichtsanbieteraußerhalbderKirchen.DeswegenerhältinBerlindieIslamischeFöderation

nachdemHaushaltsplan2017Zuschüssevonmehrals500.000€(vgl.www.berlin.de/sen/

kulteu/religion-und-lebensanschauung).

DIE LEGENDE VON EINER UMFASSENDEN STAATLICHEN FINANZIERUNG CHRISTLICHER GLAUBENSVERMITTLUNG

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54 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

3. FÖRDERUNG DER RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN DURCH THEOLOGIE-

LEHRSTÜHLE UND -PROFESSUREN AN DEN UNIVERSITÄTEN UND FÖRDERUNG

KIRCHLICHER HOCHSCHULEN UND FORTBILDUNG

AnetlichenHochschulen inDeutschlandgibt es theologische Fakultätenbeziehungsweise

einzelneLehrstühle.SiestellenaufgrundihrerstaatlichenFinanzierungeineindirekteFörderung

vonKirchendar.BesondersumfangreichistdasinBayernderFall,wieeinBlickaufdieInternet-

AuftrittederHochschulenzeigt.AndenstaatlichenUniversitäteninWürzburg(mit16Lehr-

stühlenbzw.Professuren),Regensburg(mit13Lehrstühlenbzw.Professuren),Augsburg(mit

16Lehrstühlenbzw.Professuren)undMünchen(mit20Lehrstühlenbzw.Professuren)bestehen

FakultätenfürkatholischeTheologie.

AnderUniversitätinMünchenbestehtaußerdemeineEvangelischeTheologischeFakultätmit

11Lehrstühlen.FernergibtesInstitutebzw.LehrstühleinWürzburg,Regensburg,Nürnberg

undBamberg,sowieeinenFachbereichinErlangen.DanebenbietendieUniversitätAugsburg

StudiengängefürEvangelischeReligionslehreundfürKatholischeReligionslehreunddieUni-

versitätPassaufürKatholischeReligionslehrean.

ZusätzlichgibteskirchlicheHochschulen(dieKatholischeStiftungsfachhochschuleinMünchen,

diekatholischeUniversitätEichstätt-Ingolstadt,dieAugustana-HochschulederEvangelisch-

Lutherischen Kirche in Neuendettelsau, die Evangelische Hochschule Nürnberg), die einen

AnspruchaufstaatlicheZuschüsseinHöhevon80%desPersonal-undSachaufwandshaben

(Art.84Abs.2BayerischenHochschulgesetzes).

SoweistderHaushaltsplan2017vonBayerninKapitel1506Titel68671-0Leistungenzum

laufendenAufwandderKath.UniversitätEichstätt-Ingolstadtvon43.160.900€aus.Nach

denErläuterungenwerdenaufGrundeinesam8.Juni1988geschlossenenVertrages85%des

Aufwandesersetzt.EbensowerdennachKapitel1549Titel68601unterHinweisaufArt.84

BayHSchGZuschüssezumlaufendenBetriebfürdieKath.StiftungsfachhochschuleMünchen

unddieEvangelischeHochschuleNürnbergvon10.205.400€geleistet.Weiterwirdnach

Kapitel1506Titel68613-1einZuschuss fürdenBetriebderHochschulederEvang.-Luth.

KircheinBayerninNeuendettelsauvon945.000€gezahlt.

SchließlichweistderHaushaltsplanWissenschaft inBayern imKapitel1503Titel68624-5

„soweitnichtTitelanandererStelledesHaushaltseinschlägigsind“einenZuschussfürnicht-

staatlichetheologischeAusbildungsstättenvoninsgesamt663.000€aus,davon497.000€

fürkatholisch-theologischeund166.000€fürevangelisch-theologischeAusbildungsstätten.

EineähnlicheFörderungderTheologiegibtesinBaden-WürttembergandenUniversitätenund

durchFörderungkirchlicherHochschulen:KatholischeFakultätengibtesnachdenInternet-Auf-

trittenandenUniversitäteninFreiburg(mit21Professuren)undTübingen(mit17Lehrstühlen);

evangelischeFakultätenanderUniversitätTübingen(mit15Lehrstühlen)undHeidelberg(mit

33Professoren,außerplanmäßigenundHonorarprofessoren).

ZusätzlichgibtesAbteilungenundInstitutefürTheologie/ReligionspädagogikandenPäda-

gogischenHochschulen.DanebenwerdendieKatholischeHochschuleFreiburgmitStudien-

gängenfürSozialeArbeitundHeilpädagogik,dieEvangelischeHochschuleLudwigsburgmit

AusbildungsgängenzurSozialenArbeitunddieEvangelischeHochschuleFreiburgmitAusbil-

dungsgängenzurSozialenArbeitundzurReligionspädagogikgefördert.

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DieZuschüssefürdiekirchlichenHochschulenbetragennachKapitel1403Titel68492des

HaushaltsvonBaden-Württemberg12.147.300€,diesonstigenZuschüsse(bereinigtumden

AnteilfürdientaIsny)1.210.000€.AußerdemwerdenimHaushaltsplanvonBaden-Württem-

berg2017nachKapitel0455Titel68411ZuschüsseandieEvangelischenLandeskirchenund

dieRömisch-KatholischenDiözesen fürdieArbeitder kirchlichenAkademien inHöhe von

266.800€gezahlt.

AlsweiteresBespielnenntNordrhein-Westfalen imHaushaltsplan2017nebendenWissen-

schaftsausgabenfürdieUniversitätenundHochschulenimKapitel05300indenTiteln684

11und68412ZuschüsseandieEvangelischenKirchenundandieKatholischeKirchezur

kirchlichenLehrerfortbildungvonjeweils588.000€

DieindirekteFörderungderKirchendurchFinanzierungvonLehrstühlenundProfessurenfür

TheologieindenHochschulenderBundesländeristnichtmehraufdiechristlichenKirchen

beschränkt.InzwischenwerdenZentrenfürislamischeTheologieinTübingen,Frankfurt(mit

Gießen), Münster, Osnabrück und Erlangen-Nürnberg gefördert. Auch in Berlin ist an der

Humboldt-UniversitäteinInstitutfürislamischeTheologieimAufbau.Insofernwirddieisla-

mischeTheologiezwardemGrundenach,abernochlangenichtdemUmfangnachgleich

gestellt.EinevölligerechtlicheGleichstellungislamischerReligionsgemeinschaftenaufFörde-

rungstehtnochaus.BeispielsweisegibtArt.84Abs.2desBayerischenHochschulgesetzes

nureinerKirchenachMaßgabedesStaatshaushaltseinenAnspruchaufZuschüssezurErrichtung

undzumBetriebeinernichtstaatlichenFachhochschule.

AuchgibtesnochkeinedenchristlichenEinrichtungenvergleichbarestaatlicheFörderung

fürislamischeHochschulenodernichtstaatlicheAusbildungsstättenfürislamischeTheologie.

EineFörderungnicht-staatlicherislamischerAusbildungsstättenistmöglich.Ihrwürdenicht

entgegenstehen,dasseshistorischeAnsprüchefürdiekirchlichenAusbildungsstättengäbe.

DieKatholischeUniversitätEichstättwurdebeispielsweiseerst1843alsBischöflichesLyzeum

wieder gegründet und 1924 in Bischöfliche Philosophisch-Theologische Hochschule umbe-

nannt. IhrerFörderung liegtdemnachkeineEntschädigungaufgrundeinerSäkularisierung

zugrunde. Vielmehr könnten islamische Hochschulen und Ausbildungsstätten wie andere

nichtstaatliche Ausbildungsstätten gefördert werden. Damit hat das fördernde Land aller-

dingsaucheineAufsichtüberdienichtstaatlicheEinrichtung.

4. SEELSORGE IM JUSTIZVOLLZUG UND IN BESONDEREN VERHÄLTNISSEN

DiechristlicheSeelsorgeimJustizvollzugwirdvondenLändernfinanziert.Sowerdenbei-

spielsweise inBaden-Württemberg imHaushaltsplan2017nachKapitel0508Titel67102

ErstattungenanKirchenverwaltungenfürSeelsorgerindenJustizvollzugsanstalteninHöhe

von920.000€geleistet.

DerHaushaltsplanvonBayernsiehtalsweiteresBeispielimKapitel0405Titel42201für

dieSeelsorgeimVollzugfünfStellenfürDekane(BesoldungsgruppeA15)und25Stellenfür

PfarrerinnenundPfarrer(Bes.GruppenA13undA14)vor.AuchbeiderBundeswehrwerden

nachKapitel1413desHaushaltsplansdesBundes2017dieMilitärseelsorgeunddiehaupt-

amtlichenMilitärgeistlichenausStaatsmittelnbezahlt.

EshandeltsichbeidenangeführtenRegelungenundentsprechendenRegelungeninanderen

BundesländernzwarumausderchristlichenTraditionDeutschlandsherzuleitendeFörderungen,

DIE LEGENDE VON EINER UMFASSENDEN STAATLICHEN FINANZIERUNG CHRISTLICHER GLAUBENSVERMITTLUNG

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56 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

inzwischengehtesabernichtmehrnurumspezifischeRegelungenfürdiechristlicheReligions-

vermittlung.SohatbeispielsweisedasJustizministeriumNiedersachsen,wiedenInternetseiten

von „Celle Heute“ zu entnehmen ist am 18.12.2012 eine Vereinbarung zur muslimischen

SeelsorgeimJustizvollzugmitdemLandesverbandderMuslimeinNiedersachsene.V.,Schura

NiedersachsenunddemDİTİBLandesverbandderIslamischenReligionsgemeinschaftenNieder-

sachsenundBremene.V.geschlossen,dieaucheineRegelungzurVergütungderislamischen

Seelsorgerenthält.NachderLandtagsdrucksache17/2558vom4.12.2014gabesangesichts

derhohenZahlderInhaftiertenmuslimischenGlaubensBedarfanseelsorgerischerBetreuung.

AllerdingsgabesnochkeineanGehaltskostenorientierteVergütung,sondernlediglicheine

EntschädigungwegenZeitversäumnis,fürNachteilebeiderHaushaltsführungundfürVer-

dienstausfall.

ImRahmendesGleichbehandlungsgebotswirdindenJustizvollzugsanstaltenauchdiemusli-

mischeSeelsorgeentsprechenddemBedarfvomjeweiligenBundeslandzufinanzierensein.

GleichesgiltfürdieMilitärseelsorgefürmuslimischeBundeswehrangehörige(wiefürAnge-

hörigeandererReligionsgemeinschaften)ausBundeshaushaltsmitteln.

DiesgiltentsprechendfürvergleichbarebesondereLebenslagen.Flüchtlingesindnichtinder

Lage,ihreSeelsorgerzubezahlen.DieLeistungennachdemAsylbewerberleistungsgesetz

beispielsweiselassenkeinenRaumfürMitgliedsbeiträgeoderSpendenanMoscheenoder

Moscheeverbände.Hier istesAufgabedesSozialstaates,dieentsprechendenSeelsorgeleis-

tungenzufinanzieren.

5. UNMITTELBARE FÖRDERUNG DER KIRCHEN UND RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

DURCH STAATLICHE FINANZIERUNG VON KIRCHENBAUTEN UND STAATS-

LEISTUNGEN AN DIE KIRCHEN

DiebisherigenPrüfungenhabenergeben,dassdieuntersuchtenstaatlichenLeistungen im

wirtschaftlichenErgebnisnichtdiskriminierendsindimVerhältnisvondenKirchenzuanderen

Religionsgemeinschaften,insbesondereMoscheevereinenundislamischenVerbänden,insofern

die Moscheevereine und islamischen Verbände derartige Unterstützungen grundsätzlich

ebenfallsinAnspruchnehmenkönnen.RechtlichgibtesimGrundsteuer-undGebührenrecht

undbeiderFinanzierungvonnichtstaatlichenHochschulenabernochGleichstellungsbedarf.

AndersstelltsichdieSituationbeieinerBetrachtungderunmittelbarenstaatlichenBauleistungen

undStaatsleistungenandieKirchendar,diesichausArt.140GGmitArt.137derWeimarer

Reichsverfassungergeben.IchbetrachtedabeinurdieEvangelischenKirchenunddieRömisch-

KatholischeKirche.DieAltkatholischeKirchebleibtunberücksichtigt,weil siezahlenmäßig

eineuntergeordneteRollespielt,auchwennsieinvielenBundesländerngefördertwird.Ebenso

betrachteichnichtdiejüdischenGemeinden.DieFörderungjüdischerFriedhöfe,dieWieder-

herstellungzerstörterSynagogenistunterdemGesichtspunktderWiederherstellungdesim

DrittenReichvernichtetenjüdischenLebensmitanderenFörderungennichtvergleichbar.In

einigenBundesländernwerdenauchnochweitereReligions-undWeltanschauungsgemein-

schaftengefördert,diehieraufgrunddervergleichsweisegeringenFördersummenunberück-

sichtigtbleiben.

DiestaatlichenBauleistungenunddieStaatsleistungenandieKatholischenKirchenunddie

EvangelischenKirchenergebensichausdenHaushaltsplänenderBundesländer.Begründet

werdensiemitaltenVerpflichtungenaufgrundderfrüherenSäkularisationvonKirchengütern

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durchdieLandesherrninDeutschlandundausvertraglichenBindungen.Siefallenindenein-

zelnenBundesländernunterschiedlichaus.HäufigfindenwirnebendenStaatsleistungenan

dieKirchenindenLandeshaushaltsplänenverstreutEinzelleistungen.

5.1 Staatliche Finanzierungen von Baumaßnahmen an Kirchengebäuden

NebendendirektenStaatsleistungenderLänderandieKirchengibtesZahlungenaufgrund

vonBauverpflichtungenfürKirchenundPfarrhäuser.DiesedienenjedochheutederDenk-

malpflegeundnicht(mehr)derFörderungderReligionsgemeinschaft.Aufdievollständige

Einzeldarstellungder Länderwird verzichtet.Besonderswill ichnuraufdiePfarrhäuser in

Baden-WürttembergundaufKirchenbautennachdemHaushaltsplan inBayernverweisen

unddieszurVeranschaulichungmitDatenauseinigenLändernergänzen.

SogibtesinBaden-Württemberg533regelmäßigbewohntePfarrhäusermitstaatlicherBau-

pflicht,vondenen278unterDenkmalschutzstehen.Hiervonwerden314vonderEvange-

lischenKirche inWürttemberg,109vonderEvangelischenKirche inBaden,70vonder

KatholischenKircheinWürttembergund40vonderKatholischenKircheinBadengenutzt.

DiewichtigstenrechtlichenGrundlagenfürdieseBaulastensindnachderLandtagsdruck-

sache14/2914vom26.Juni2008fürWürttembergdasKomplexablösungsgesetzvom19.April

1865undfürBadendasBadischeBauediktvom26.April1808.

BesondersanschaulichunddetailliertistderHaushaltsplanvonBayern,derfürdasJahr2017

fürsächlicheVerwaltungsausgaben,ZuweisungenundZuschüsse,sowieBaumaßnahmenin

Kapitel0553eineSummevon31.271.600€ausweist.FürInstandsetzungsmaßnahmender

unterDenkmalschutzstehendenDomeinAugsburg(Baubeginnab955),Bamberg(Baubeginn

ab1190),Eichstätt(BaubeginndesgotischenWestschiffesab1256),München(Baubeginn

1468),Passau(BaubeginndesbarockenBaus1668),Regensburg(Baubeginn1273),Würzburg

(Baubeginnum1040)undFreising(Baubeginn1159)werdenindenTiteln51913,79103

und791046.664.200€vorgesehen.

Weitere7.000.000€betreffennachTitel71000-9Baumaßnahmenanstaatseigenenkirchlichen

Gebäuden.DieeinzelnenBaumaßnahmenwer-den inderAnlageSzumHaushaltsplan05

nachgewiesen.EshandeltsichdurchwegumunterDenkmalschutzstehendeBauten,beginnend

mitderTheatinerkircheSt.Kajetan inMünchenundendendmitderDominikanerkirche in

Regensburg.

8.040.000€werdenfürBauverpflichtungenankirchen-eigenenGebäudenaufgrundbeson-

dererRechtsverhältnisseausgewiesen.(Kapitel0553Titel79101-0).Auchhiernennendie

ErläuterungendurchwegdenkmalgeschützteBauten, die PfarrkircheBernried (neugebaut

nachdemDreißigjährigenKrieg),dieKlosterkircheMarktIndersdorf(neugebaut1264),die

PfarrkircheTuntenhausen(neuerrichtetab1548),diePfarrkircheWeihenlinden(Baubeginn

1653),diePfarrkircheAldersbach(Gründungab1120),PfarrkircheAsbach(gebautab1771),

dieKlosterkircheRegensburg-Prüfening(erbautbis1109),dieFilialkircheReichenbach(barocker

Umbauab1695),diePfarrkircheWaldsassen(erbautab1685),dieStadtkircheBayreuth

(Wiederaufbauab1611),dieevangelisch-lutherischeKircheCreußen(erbautbis1477),die

evangelisch-lutherischePfarrkircheMünchberg (Wiederaufbaubis1872),dieevangelisch-

lutherischeKircheNürnberg-Mögldorf(erbautab1414)unddieKuratiekircheOberwittelsbach

(nachgewiesenab1418).

DIE LEGENDE VON EINER UMFASSENDEN STAATLICHEN FINANZIERUNG CHRISTLICHER GLAUBENSVERMITTLUNG

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58 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

Zusätzlich werden im Haushaltsplan 2017 von Bayern neben Ausgaben für staatseigene

GrundstückeundstaatseigenekirchlicheGebäudeimTitel51712-0dieBewirtschaftungvon

kircheneigenenGebäudenmit35.000€undimTitel51912-8dieUnterhaltungderkirchen-

eigenenGrundstückemit3.060.000€aufgeführt.DerHaushaltsplanverweistdarauf,dass

aufgrundbesondererRechtstiteldemStaatdieprimäreodersubsidiäreBaupflichtobliegt.

AuchimHaushaltvonHessenwerdenfür2017imKapitel0402/Buchungskreisnummer2395

FörderproduktNr.2SanierungsmaßnahmenanderElisabethkircheMarburg(errichtetab1235),

derOrgelinstandsetzungderabdem14.Jahrhundertnachgewiesenenund1978neugebauten

OrgeldesLimburgerDoms,anDachundFassadedesLimburgerDoms(eingeweiht1235)und

amDomzuFulda(geweiht1712)vonzusammen1.648.000€genannt.

Mecklenburg-Vorpommernweistfür2017imKapitel0904inTitel893.01keineEinzelkosten

fürBaumaßnahmenaus,sondernunter„AblösungenfürKirchenbaulasten“einenBetragvon

3.222.000€.DieAnsprücheausstaatlichenPatronatensindnachArt.13desGüstrowerVer-

tragesmitdenEvangelischenKirchenvom20.1.1994(GVOBl.M-VS.559)durcheinepauschale

jährlicheBeteiligungdesLandesandenBaulastenersetztworden.

DerHaushaltvonRheinland-PfalzweistinKapitel1559Titel89301für2017Kostenvon

460.200€zurSanierungdesSpeyererDoms(erbautbis1106)aus.AusdemHaushaltvon

Schleswig-HolsteinwirdnachKapitel0941Titel89302dieSanierungdesSt.Petri-Domsin

SchleswigmitGesamtkostenvon17.300.000€miteinemAnteilvon4.100.000mitfinanziert,

davoneinTeilbetragvon500.000€imJahr2017.

WiedargestelltsinddiestaatlichenBauleistungenfürKirchengebäudeundkirchlichgenutzte

staatlicheGebäudeindenLändernsehrunterschiedlich.NachmeinerAuffassunggehörensie

nichtindieDiskussionumstaatlicheFinanzierungderKircheninDeutschland.Auchwennsie

teilweiseaufaltenRechtstitelnbeziehungsweiseaufStaatsverträgenzwischenKirchenund

Staatberuhen,sinddieKostenfastausschließlichderDenkmalpflegeundderPflegevonKultur-

einrichtungenzuzurechnen–deswegendieNennungderhistorischenDatenderKirchenbauten.

DiePflegedieseskulturellenErbesisteigenestaatlicheAufgabeundkanndahernichtzurFinanzie-

rungvonReligionsgemeinschaftengerechnetwerden.DasgiltvielleichtnichtfürallePfarrhäuser,

abererfahrungsgemäßpraktischfürallegenanntenDomeundKirchen,dieimÜbrigentatsäch-

lichweitmehrvonkulturinteressiertenTouristengenutztwerdenalsvonGottesdienstbesuchern.

NebendenstaatlichenKirchenbaulastengibtesnochweitereöffentlicheKirchenbaulasten

fürKirchenundPfarrhäuser,diedenGemeindenobliegenkönnen.SielassensichdemStaats-

haushaltsplannichtentnehmen.DasBundesverwaltungsgerichthatinseinemUrteilvom5.

Februar2009–7C11.08–klargestellt,dasskommunaleKirchenbaulastendurchdieKirchen-

gutsgarantiedesArt.140GG,Art.138Abs.2WRVerfasstwerden(RdNr.34desUrteils).Wenn

manvondergesamtenöffentlichenHandausgeht,mussmandieindenLandeshaushalten

ausgewiesenenZahlennochergänzen.AberauchhiergehtesderSachenach inzwischen

mehrumDenkmalpflegeundnichtumFinanzierungderGlaubensvermittlung.Hessenhat

ineinerRahmenvereinbarungvom17.12.2003zurAblösungderKirchenbaulastendiekom-

munalenVerpflichtungengeregeltundabgelöst(einsehbarwww.kirchenrecht-online.de).Die

baulastverpflichtetenStädteundGemeindeerhieltenhierzufürdieaufzubringendenLeistungen

eineFörderungvon50%durchdasLand.

DurchdieFinanzierungdesbauhistorischkulturellenErbesderKircheninDeutschlandwerden

andereReligionsgemeinschaftenwiederIslamoderandereWeltanschauungsgemeinschaften,

dieeinederartigebauhistorischeTraditionnichthaben,nichtdiskriminiert.

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5.2 Unmittelbare Staatsleistungen an die Kirchen

EinUnterschied inderstaatlichenFörderungzwischenKirchenundanderenReligionsgemein-

schaftenbestehtnurindenunmittelbarenStaatsleistungenandieKirchen.Eslohntsich,diesehr

unterschiedlichenRegelungenindeneinzelnenBundesländernanzusehen.AusPlatzgründenwird

hiernurexemplarischdieSituation inBaden-Württembergaufgezeigtundanschließendeine

Übersichtder2017ausgewiesenenStaatsleistungenindeneinzelnenBundesländerngegeben.

Derbaden-württembergischeHaushaltsplandesJahres2017weistinKapitel0455Titel684

01PauschalleistungenfürdieEvangelischeLandeskircheBadeninHöhevon15.806.900€

aussowie imKapitel0455Titel68402PauschalleistungenfürdieEvangelischeLandes-

kircheWürttemberginHöhevon43.202.000€.DiekatholischeErzdiözeseFreiburgerhält

29.268.000€(Titel68403)unddieDiözeseRottenburg-Stuttgart29.384.300€(Titel68404).

MitzudenStaatsleistungenzu rechnensindnachKapitel0455Titel68414Pauschalleis-

tungenfürdieEvangelischenSeminareunddasEvangelischeStiftinTübingeninHöhevon

2.290.200€.DiePauschalleistungenfürdieSeminaresowieStiftegehenaufdasWürttem-

bergischeKirchengesetzvom3.März1924zurück.DieEvangelischenSeminaresindder

SachenachGymnasienmitInternatsbetrieb.DasEvangelischeStiftvergibtStipendienmit

Wohnmöglichkeiten fürEvangelischeStudierende,dieeineAusbildungalsPfarrer/Pfarrerin

anstreben,undfürStudierendefürdasLehramtanGymnasien.

EbensoweistderHaushaltsplan inKapitel0455 imTitel68415vonBaden-Württemberg

PauschalleistungenfürdieKatholischenKonvikteunddasKatholischeWilhelmsstiftinTübingen

von1.295.000€aus.AuchhiergiltweiterhindasWürttembergischeKirchengesetzvon1924.

DasWilhelmsstiftunterstütztKatholischeTheologiestudenten.

Übersicht über die im Jahr 2017 gezahlten Staatsleistungen nach Bundesländern

Bundesland Staatsleistungen an evangelische

Landeskirchen

Staatsleistungen an katholische

Diözesen

Weitere Staatsleis-tungen an evange-lische und katho-

lische Empfänger

Baden-Württemberg 59.008.900€ 58.652.300€ 3.585.200€

Bayern 23.959.000€ 71.685.000€

Berlin 7.702.000€ 3.524.000€

Brandenburg 11.459.000€ 1.266.000€ 750.000€

Bremen – –

Hamburg – –

Hessen(2016) 34.555.000€ 14.013.000€

Mecklenburg-Vorpommern 12.305.500€ 640.600€ 230.000€

Niedersachsen 36.483.000€ 9.356.000€

Nordrhein-Westfalen 9.117.000€ 13.490.700€

Rheinland-Pfalz 24.936.000€ 31.608.000€

Saarland 193.700€ 588.200€

Sachsen 25.617.300€ 25.617.300€ 15.000€

Sachsen-Anhalt 28.010.500€ 5.675.300€

Schleswig-Holstein 13.332.750€ 230.250€ 11.100€

Thüringen 18.818.000€ 5.772.000€

DIE LEGENDE VON EINER UMFASSENDEN STAATLICHEN FINANZIERUNG CHRISTLICHER GLAUBENSVERMITTLUNG

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60 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

6. FAZIT

EinenüchterneAnalysederstaatlichenFörderungderchristlichenKirchenbeziehungsweise

christlicherTrägerzeigt,dassdieangeblichestaatlicheFinanzierungderchristlichenKirchen

weitgehendeineLegendeist,diesichbeiPrüfungdereinzelnenFeldernichtaufrechterhalten

lässt. InsbesonderegibtesbeiderFörderungvonSozialeinrichtungenundsozialenDiensten,

vonKindertagesstätten,vonPrivatschulen,derAbsetzbarkeitvonKirchensteuernundSpenden,

demstaatlichfinanziertenReligionsunterricht,derSeelsorgeimJustizvollzug,derFinanzierung

vonBaumaßnahmenanKirchengebäudenkeine rechtlicheDiskriminierung vonMoscheen

undislamischenVerbänden–oderanderenreligiösenOrganisationen.InwenigenBereichen,

wiedieGrundsteuer-undGebührenregelungensowiedieFörderungprivaterHochschulen

stehteinerechtlicheGleichstellungnochaus,auchwennimwirtschaftlichenErgebnisteilweise

jetztschoneineGleichbehandlungerfolgt.

Faktisch besteht für die Moscheen und islamischen Verbände jedoch Nachholbedarf. Das

betrifftnichtnurdieFörderungder islamischenTheologieandenUniversitätenundHoch-

schulen,sondernauchdieFörderung islamischerKindertagesstättenundSchulen,den isla-

mischenReligionsunterricht,dieSeelsorgeimJustizvollzugsowiedieFörderungislamischer

Sozialeinrichtungen.DierechtlichenVoraussetzungensindweitgehendandieAnerkennung

derGemeinnützigkeitgebundenundkeinesfallsimmerandieVerleihungdesKörperschafts-

status.DieAnerkennungalsgemeinnützigkann–wieobenausgeführt–beiMoscheenund

VerbändenaneinerNennunginVerfassungsschutzberichtenscheitern.Darinliegtaberkeine

Diskriminierung,sondernesistSachederMoscheenundVerbände,bestehendeZweifelüber-

zeugendauszuräumen.

AuchFinanzmittelfürbesondereVeranstaltungenwieKirchentageoderaktuelldas500jährige

ReformationsjubiläumsindkeinePrivilegierungderchristlichenKirchen.HierwerdenKirchen-

veranstaltungenbehandeltwiegroßeKulturveranstaltungenoderdasDeutscheTurn-und

Sportfest. Ein deutscher Islamtag oder ein Bundestreffen einer anderen Religionsgemein-

schaftkönntebeiBerücksichtigungderGrößederReligionsgemeinschaftundderBedeutung

desTreffensgleichermaßengefördertwerden.

GrundsätzlichbleibtnureinBereich,indenendiechristlichenKircheninDeutschlandprivile-

giertsind,nämlichbeidenunmittelbarenStaatsleistungen,dieausArt.140GGmitArt.137

derWeimarerReichsverfassunghergeleitetwerden.AberauchdieBedeutungdieserStaats-

leistungenrelativiertsich.ZubetrachtenbleibeninsoweitnurdieunmittelbarenZahlungen,

dieunter6.2dargestelltsindunddieinderSumme527Millionen€ergeben.

DieseunmittelbarenStaatsleistungenbetreffennureinenkleinenTeilderAufwendungender

christlichen Kirchen zur Glaubensvermittlung. Diese finanzieren sich nach statistischen Er-

hebungennurzuunter5%ausStaatsleistungenundzuüber95%ausLeistungen,dievon

denKirchenangehörigenderRömisch-KatholischenundderEvangelischenKirchedurchKirchen-

steuernundSpendenaufgebrachtwerden.DieobendargestelltenvondenkirchlichenTrägerner-

brachtenDienstleistungeneinschließlichderHochschulangebotelasseichebensounberücksichtigt

wiedieFinanzierungderSeelsorgeimJustizvollzugundinderBundeswehrsowiedieFinanzierung

besondererVeranstaltungenundvonBaumaßnahmenanhistorischenKirchengebäuden.

NachdenVeröffentlichungendesStatistischenBundesamtsnahmendieRömisch-Katholische

Kircherund6,15Milliarden€unddieEvangelischeKircherund5,45Milliarden€imJahr2016

anKirchensteuernein(Quelle:statista,DasStatistikPortal,EinnahmenderKatholischenund

EvangelischenKircheinDeutschlanddurchdieKirchensteuervon2004bis2016).DieZahlen

für2017dürftenaufgrundderunverändertenBeschäftigungslageannäherndgleichsein.

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NebendenKirchensteuernstehenderRömisch-KatholischenKircheunddenEvangelischen

KirchennachdenobigenZahlenderHaushaltsplänederLänderfür2017(Hessennachden

Ausgaben2016)rund527Millionen€anunmittelbarenStaatsleistungenzu.

DieUngenauigkeitenbeidenZahlenunddenVergleichsjahrenkönnenbeieinerGrundbetrach-

tungaußerAchtgelassenwerden.527Millionen€anunmittelbarenStaatsleistungenfürdie

beidengroßenKircheninDeutschlandstehen11,6Milliarden€anKirchensteuereinnahmen

gegenüber.DieunmittelbarenStaatsleistungenentsprechen4,5%derKirchensteuereinnahmen.

Ländermäßigvariiertdas,weilsowohldieKirchensteuerhöhewieauchdieStaatszuschüsse

unterschiedlichsind.AberschondieGlobalbetrachtungzeigt,dassdieStaatsleistungenbei

derFinanzierungderRömisch-KatholischenKircheunddenEvangelischenKircheninDeutsch-

landeinenuruntergeordneteRollespielen.

UngeachtetderFrage,dassdieunmittelbarenStaatsleistungenandieKirchendemGrunde

nachaufaltenGesetzen,VerträgenoderbesonderenRechtstitelnberuhen,dienachArt.140

GGi.V.m.Art.138Absatz1WeimarerReichsverfassungbiszueinerAblösungBestandsschutz

haben,auchwennderenHöhe imEinzelfall bezweifelbar seinmag, zeigt sich,dassdiese

unmittelbarenStaatsleistungenheutenurnochzueinemunwesentlichenTeilzurFinanzierung

dereigentlichenKirchenaufgaben,d.h.derGlaubensvermittlungbeitragen.Diehäufigvor-

getrageneThese,diechristlichenKircheninDeutschlandwürdenwesentlichdurchStaatsleis-

tungenmitfinanziert,stelltsichnachdendargestelltenDatenalseineLegendedar.

EinestaatlicheFinanzierungderislamischenGlaubensvermittlungfürdieMuslimeinDeutsch-

landwürdederenFinanzproblemeselbstdannnichteinmalansatzweiselösen,wennden

MoscheenundislamischenVerbändenihrerMitgliedsstärkeentsprechendFörderungenzur

Verfügunggestelltwürden,wasausverfassungsrechtlichenGründenaberunmöglichist.

WesentlicheTeilereligiösgeprägterDienstleistungenkönnenvonMoscheegemeindenoder

islamischenVerbändenheuteschonebensoerbrachtundvomStaatgefördertwerden,wie

dasbeichristlichenEinrichtungenderFallist.IslamischeKrankenhäuser,Senioreneinrichtungen,

Behindertenwerkstätten, Pflegeheime und Altenpflegeangebote können ebenso staatliche

UnterstützunginAnspruchnehmenwieislamischeKindertagesstättenoder islamischePrivat-

schulen oder Akademien zur Imamausbildung. Ebenso können Moscheen und Islamische

Verbände in ihrer IntegrationsarbeitoderbeiderDeradikalisierungvonreligiösenExtremisten

unmittelbargefördertwerden.VieleMoscheenundislamischenVerbändehabendieseMög-

lichkeiten bisher unzureichend genutzt. Aber auch die zuständigen Regierungsstellen und

BehördeninderBundesrepublikDeutschlandhabenvondiesenMöglichkeitenzuwenigGe-

brauchgemacht.SiekönntenmehrundaktivberatendaufMoscheenundislamischeVerbände

zugehenunddieMoscheenundislamischenVerbändedamitvoneinerFörderungausdem

Auslandunabhängigermachen.

ImEinzelfallkannesauchAnschubfinanzierungendurchdenStaatoderkommunaleHilfe-

stellungengebenwiedieHilfebeiderGrundstücksbeschaffungfüreinenMoscheebaudurch

die Stadt Monheim in Nordrhein-Westfalen (www.spiegel.de/politk/deutschland/monheim

vom27.10.2016).

BeidereigentlichenGlaubensvermittlungaberbleibtesmitdendargestelltenAusnahmenwie

beispielsweisebeiderFinanzierungderSeelsorgeindenJustizvollzugsanstalten,beiderBundes-

wehrundbeiFlüchtlingenletztlichAufgabederMoscheenundislamischenVerbändedenBau

vonGebetsstättenunddieFinanzierungvonImamenundsonstigenMoscheemitarbeiternent-

wederüberdenWegdereigenen„Kirchensteuererhebung“oderdurchSpendensicherzustellen.

DIE LEGENDE VON EINER UMFASSENDEN STAATLICHEN FINANZIERUNG CHRISTLICHER GLAUBENSVERMITTLUNG

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62 DIE FINANZIERUNG MUSLIMISCHER ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND

DIE AUTORINNEN UND AUTOREN

Dr. Bekir AlboğaistGeneralsekretärderTürkisch-IslamischenUnionderAnstaltfürReligion

(DİTİB)undLehrbeauftragteramInstitutfürIslamischeTheologieanderUniversitätMünster.

Nushim Atmacagehörtseit2011demLiberal-IslamischenBund(LIB)an,dessenersteVor-

sitzendesiederzeitist.SiearbeitetamLeibniz-ZentrumModernerOrientinBerlin.

Lukas HentzschelistwissenschaftlicherMitarbeiteramInstitutfürKirchenrechtundrheini-

scheKirchenrechtsgeschichte

Dr. Ehrhart KörtingistJuristundwaru.a.VizepräsidentdesVerfassungsgerichtshofesBerlin,

Justizsenatorundvon2001-2011BerlinerInnensenator.

Aiman Mazyekistseit1994MitgliedimZentralratderMuslimeinDeutschland(ZMD)und

seit2010dessenVorsitzender.

Dr. Dietmar Molthagen verantwortet denArbeitsbereichReligionundPolitik im Forum

BerlinderFriedrich-Ebert-Stiftung.

Prof. Dr. Stefan MuckelistProfessorfürÖffentlichesRechtundKirchenrechtanderUni-

versitätzuKölnundzugleichDirektordesInstitutsfürKirchenrechtundrheinischeKirchen-

rechtsgeschichte.

Lydia Nofalarbeitethaupt-undehrenamtlichinmehrerenmuslimischenProjekteninBerlin.

ZudemistsieeinederSprecher_innendesArbeitskreisesmuslimischerSozialdemokrat_innen.

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63IMPRESSUM

IMPRESSUM

ISBN978-3-96250-064-1

HERAUSGEGEBENVON

Dr.DietmarMolthagen

fürdieFriedrich-Ebert-Stiftung•ForumBerlin

Hiroshimastraße17•10785Berlin

Tel.:030/269357322•E-Mail:[email protected]

LEKTORAT:GabyRotthaus,DietmarMolthagen

GESTALTUNG:AndreaSchmidt•Typografie/im/Kontext

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