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Effektive Ergotherapie bei Störungen der Aufmerksamkeit und der Grafomotorik
Eine konkrete Zielformulierung ermöglicht die Synthese der
medizinischen und der ergotherapeutischen Sichtweise zu einem
gemeinsamen Handlungs- und Therapiekonzept. (dieser Artikel wurde in gekürzter Form zur Publikation in „Pädiatrie Hautnah“ 3-2012 aufgenommen)
„Max kann in vier Wochen zehn Minuten am Tisch sitzen und ein Arbeitsblatt selbstständig
ausmalen“ – so kann laut „Ergotherapie im Arbeitsfeld Pädiatrie1“ ein ergotherapeutisches
Handlungsziel formuliert sein. Auch die Leitlinien der DGSPJ2 und das Ergotherapie-Lehrbuch3
betonen die Notwendigkeit konkreter Zielformulierungen bei der Verordnung von Ergotherapie.
Diese Formulierung konkreter, überprüfbarer, realistischer und alltagsrelevanter Ziele („küra-Ziele“)
bietet für alle Beteiligten folgende Vorteile:
1. Die Alltagskompetenz des Kindes steht im Mittelpunkt. Durch die Definition des Therapieziels
im Lebensalltag des Kindes werden die Eltern automatisch durch das Erteilen und
Nachbesprechen von Hausaufgaben in die Therapie einbezogen.
2. Durch die Formulierung konkreter Ziele kann die Fokussierung auf Schwächen und Defizite
überwunden und der sekundäre Krankheitsgewinn bei Eltern oder Kindern reduziert werden.
3. Die Therapiedauer beträgt in der Regel 10 bis 40 (-60) Stunden. Nach der Regelverordnung
können Eltern und Kinder in einer Therapiepause das bisher Erlernte im Alltag weiter trainieren.
Ein Überschreiten der Regelverordnung ist nur in Ausnahmefällen notwendig.
4. Bei dem in den Heilmittelrichtlinien vorgeschriebenen ärztlichen Kontrolltermin kann der
Verordnende überprüfen, ob die Ergotherapie zielorientiert erfolgt. So können u.a.
Chronifizierungsfaktoren wie fehlende Mitarbeit erkannt und thematisiert werden.
5. Die Eltern erhalten durch das Tempo des Therapiefortschrittes eine realistische Sicht auf das
Entwicklungspotential ihres Kindes. Es bedarf 10-20 Wochen Training, um die Anziehsituation
bei ADHS und Feinmotorischer Störung zu bewältigen. Die Hoffnung, dass die richtige Therapie
das Kind rund um die Uhr aufmerksam sein lässt, wird relativiert. Die Partizipation am
Therapieerfolg lässt Eltern verstehen, welche Impulse eine Veränderung bewirken können, so
dass die Eltern kleine Veränderungen - z. B. im Ablauf des Abendessens - selbst vornehmen
können.
küra-Ziele Das Ziel soll so konkret sein, dass der Patient, seine Eltern, der Therapeut und der Arzt eine genaue
Vorstellung davon haben, was am Therapieende erreicht sein soll, s. Abb.1-3). Überprüfbar werden
die Ziele z. B. durch Sonne-Wolken-Kalender zum selbstständigen Anziehen, „Zeit stoppen“ bei den
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Hausaufgaben (S. Abbildung 4), Punktepläne für vollständig gepackte Schulsachen am Vorabend und
zum Kontrolltermin mitgebrachte Arbeitsblätter oder Fotos/Videos. Die Quantifizierung des
Therapiefortschritts weckt oft den Ehrgeiz der Kinder, es noch besser zu machen, Punktepläne und
Kalender dienen gleichzeitig als Verstärker. Die Indikation zur Weiterverordnung ergibt sich nicht aus
dem Vorliegen von Defiziten, sondern aus dem Nachweis der Effektivität der Therapie für das
einzelne Kind in seiner speziellen Fragestellung und Zielvorgabe. Im Kontrolltermin kann der Arzt
positive Wertschätzung äußern anstatt erneut Funktionsdefizite zu thematisieren. Realistisch sind
Ziele, bei denen innerhalb von 10 Stunden Verbesserungen in Hinblick auf das Therapieziel zu
erwarten sind. Die Alltagsrelevanz verdeutlicht den medizinischen Aspekt der Verordnung.
Grafomotorik
Korrekte Stifthaltung im Drei-Punktgriff
Angemessener Stiftdruck
Kreis, Kreuz (U8), Viereck (U9) Dreieck (5-6 Jahre) malen
Figürliches Malen (Mensch, Sonne, Haus)
Einfache Schriftzeichen nachmalen
Abbildung 1 küra-Ziele Grafomotorik (Quelle: RopE-Manual)
Am Tisch sitzen bleiben, bis das Kind aufgegessen hat
Ausziehen und Zähne putzen, ohne zwischendurch etwas anderes zu tun
15 Minuten ein Buch ansehen mit Mutter/ Vater
10-15 Minuten Malen oder basteln können
Sich einmal am Tag 15-20 Minuten alleine beschäftigen
1-3 Aufträge zu Hause behalten und ausführen
1-3 Aufträge im Supermarkt behalten und ausführen
Tisch decken (abzählen, korrekt platzieren)
Socken sortieren und wegräumen
Tisch abräumen, ggf. Geschirr in Spülmaschine einräumen
Abbildung 2 küra-Ziele Konzentration und Ausdauer im Vorschulalter(Quelle: RopE-Manual)
Grundschulhausaufgaben in 30-45 Minuten
<= 1 Sache pro Woche in der Schule vergessen
Alle Unterrichtsaufgaben in der Schule schaffen, so dass zu Hause nichts nachgearbeitet werden muss
Abbildung 3 küra-Ziele bei ADHS im Grundschalter (Quelle: RopE-Manual)
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Abbildung 4 Verkürzung der Dauer der Hausaufgaben unter Ergotherapie
Medizinische Ergotherapie Die seit 2003 gültige ICF-Klassifikation der WHO (s. Abbildung 5) stellt die Betätigung in den
Mittelpunkt und verdeutlicht die enge und wechselseitige Verbindung zwischen Gesundheit
einerseits und Funktion, Tätigkeit und Teilhabe andererseits. Während Erziehung und Pädagogik sich
auf „erzogen sein“ und „gebildet sein“ beziehen und für jeden Menschen notwendig sind
(Nichterziehung bedeutet Verwahrlosung), ist eine Therapie nur für Kranke erforderlich. Heilmittel
dürfen eingesetzt werden, „um eine Krankheit zu heilen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder
Krankheitsbeschwerden zu lindern“ oder „um einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung
des Kindes entgegenzuwirken“ 4. Therapie hat also Krankheit und/oder Leiden zur Voraussetzung.
Abbildung 5 Nach der gültigen ICF steht die Aktivität im Mittelpunkt der Betrachtung
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Leiden entsteht nicht alleine dadurch, dass ein Kind nicht auf einem Bein hüpfen kann. Leiden
entsteht
wenn alle Kinder lachen, weil Jan sich nicht auf die Rutsche traut
wenn Jacqueline mit Problemen in der Kraftdosierung nie zum Kindergeburtstag eingeladen wird ("die kneift ja immer").
wenn Thomas immer als Letzter beim Fußball gewählt wird
wenn Nina von Eltern und Lehrern Provokationsverhalten unterstellt wird, weil sie sich die nur mündlich gestellten Hausaufgaben nicht merken kann
wenn es täglich Tränen bei den Hausaufgaben gibt
wenn Pascal gefüttert wird, weil es schneller geht, obwohl er gerne alleine den Löffel führen würde.
Ob die Beeinträchtigung des Kindes durch fehlende Partizipation so ausgeprägt ist, dass der
Krankheitsbegriff Anwendung findet, ist eine subjektive Entscheidung des Arztes. Wie bei allen
anderen Erkrankungen spielen die Erfahrung des Arztes, sein Normalitätsbegriff und die
Zumutbarkeit von vorübergehender Beeinträchtigung im Rahmen eines Entwicklungs- und
Heilungsprozesses eine Rolle.
Medizinische Aspekte der Verordnung können sein:
Vermeidung von Stress durch wiederkehrende Eskalationen bei Hausaufgaben oder
Mahlzeiten
Besserung körperlicher Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen bei ADHS oder
Schulterverspannungen bei verkrampfter Stifthaltung.
Ermöglichung ausreichender Bewegungszeiten (Adipositasprophylaxe) durch Reduktion der
Hausaufgabendauer
Linderung seelischer und körperlicher Not durch Reduzierung von Schuldzuweisungen,
Beleidigungen sowie körperlichen oder seelischen Verletzungen des Kindes.
Schaffung positiver Entwicklungsvoraussetzungen durch Wiedereingliederung des Kindes in
den Lernkreislauf (s. Abbildung 6) durch Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit von
Mutter und Kind, damit z. B. bei ADHS und Sprachentwicklungsstörung wieder abends
vorgelesen werden kann und die Fähigkeiten der Kinder durch die alltäglichen
Fördermöglichkeiten verbessert werden können (Rückführung in die Teilhabe).
Abbildung 6 Der Lernkreislauf (Zeichnung Werner Tiki Küstenmacher)
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Ergotherapie bei grafomotorischen Störungen Abbildung 7 zeigt ein Fließschema zum differenzierten Einsatz pädagogischer und therapeutischer
Maßnahmen.
Abbildung 7 Fließschema zum Vorgehen bei Grafomotorischen Störungen im letzten Jahr vor der Schule
Wenn ein Kind bei der U8 noch sehr ungeschickt mit dem Stift hantiert, hat es in der Regel keinen
Leidensdruck und keine „Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung“. Wenn die motorische
Unreife jedoch durch Verwöhnung oder fehlende Anregung (mit-)bedingt ist, vermindert die
fehlende feinmotorische Aktivität die Chancen auf Nachreifung der neuronalen Strukturen bis zum
Schulstart. Der Arzt kann die Eltern über die Zusammenhänge aufklären und zur Förderung der
Feinmotorik im Alltag anregen (dies kann auch an die MFA delegiert werden, S. FamilienErgo-
Beratung in der Arztpraxis, Pädiatrie Hautnah 8/2010). Bei einem Kontrolltermin wird bei
interessierter Nachfrage nach dem Fortschritt der häuslichen Förderung deutlich, ob die Eltern-Kind-
Achse stimulierbar ist und ob eventuell auftretende Probleme eher elterlicher oder kindlicher
Genese sind. Entsprechend können Eltern beraten werden, z. B. einen Elternkurs zu besuchen. Bei
nachvollziehbaren kindlichen Schwierigkeiten kann eine kurze ergotherapeutische Intervention die
Eigenmotivation des Kindes zur feinmotorischen Beschäftigung wiederherstellen. Über Ermutigung
und Erfolg gelangt das Kind wieder in den Lernkreislauf (S. Abbildung 6) und ins Handeln – die einzige
Möglichkeit, die weitere neuronale Reifung anzuregen.
Bestehen grafomotorische Schwierigkeiten noch in den letzten (12-)6 Monaten vor der Schule, sollte
eine Therapie erfolgen, bevor das Kind das Schreiben mit der verkrampften Stifthaltung
automatisiert hat und durch langsames Schreibtempo und Verspannungen in dieser zentralen und
unvermeidlichen Alltagsbetätigung beeinträchtigt ist. Leider fallen diese Störungen unbehandelt erst
in der zweiten oder dritten Klasse auf, so dass das Kind dann nicht nur ein jahrelang geübtes
Stiftführungsmuster durch ein anderes ersetzen muss, sondern auch den bereits erlernten
Schreibprozess mit den neuen motorischen Koordinationsmustern wieder automatisieren muss.
Fein-/Grafomotorische Störung ab 5 1/2 –6 Jahre
6 (-12) Monate vor der SchuleVerlauf / Prognose: wenn jetzt noch große Schwierigkeiten hohes Risiko für
ernsthafte Probleme beim Schreiben. DD/cave: hohe Korrelation Visumotorik und IQ
Aufklärung über Verlauf/Prognose, Beratung:
Malen üben: mind. 1 Vorschulheft
FamilienErgo:Brot schmieren, Abwaschen, Anziehen
Abtrocknen, Gemüse schälen, Wäscheklammern benutzen
Kontrolle 1-3 Mo
Probleme?nein
Weiter so! Kontrolle 8 Wochen nach Schulstart
überwiegend bei ElternElterntraining,
Erziehungsberatungja
nachvollziehbar beim Kind (Steckbrett, Fädeln, Deckel schrauben)
Bewegungsqualität? Mitbewegungen?? Vorschulheft Fehler++?
UND: Kooperationswille bei Eltern und Kind
ja
Ergotherapie:10-20 (-40) Stunden mit Elternanleitung:
Optimal: 2-10 Std. Einzel-Th, dann 10-20 Std. Gruppe
Ziele z. B.:korrekte Stifthaltung, adäquater Druck,
Haus, Baum, Mensch, Dreieck, Schriftzeichen nachmalen
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Die Differenzierung zwischen „auffällig“ und „krankhaft“ kann schwierig sein, wenn mit einer
auffälligen Stifthaltung ein funktional gutes Ergebnis erzielt wird (s. Abb. Abbildung 8). Die genaue
Beobachtung des Schreibprozesses (Mitbewegungen der mimischen Muskulatur oder der Schulter,
Ausschütteln der Hand nach dem Schreiben/Malen, auffälliger Stiftdruck) sowie das Vorliegen
neurologischer Softsigns (Mitbewegungen der Gegenhand bei einseitiger Diadochokinese,
Abbildung 9, Schwächen im Oppositionsversuch, Abbildung 10, auffälliger Händedruck bei
Begrüßung) ermöglichen eine erste Einschätzung. Auch eine erlernte Rechtshändigkeit durch
Imitation des rechtshändigen Umgebung bei einem Linkshänder sollte erwogen werden. Hinweise
können eine Linksbeinigkeit (Hüpfen, Einbeinstand links> rechts), „Linksäugigkeit“, Abbildung 11. Bei
vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Arzt und Ergotherapeut kann die Erfahrung des
Therapeuten im Rahmen einer Kurzverordnung genutzt werden.
Abbildung 8 Eine auffällige Stifthaltung allein ist keine Therapieindikation - wie die Stifthaltung des Zeichners Werner Tiki Küstenmacher verdeutlicht
Abbildung 9 Bei der einseitigen Diadochokinese soll die die andere Hand keine Mitbewegungen zeigen. Die Qualität der Diadochokinese gibt Einblick in die cerebrale Bewegungssteuerung, da die Diadochokinese im Alltag nicht geübt wird und daher nicht übungsabhängig ist (wie z. B. das Ergebnis das Maltests)
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Abbildung 10 Oppositionsversuch (nacheinander mit Zeige- bis Kleinfinger gegen den Daumen tippen). Beobachtung auf verkrampfte Feinmotorik, mimische Mitbewegungen, mangelnde taktil-kinästhetische Wahrnehmung (bei Wiederholung mit geschlossenen Augen) und Hinweise auf die Händigkeit (bei beidseitiger Ausführung muss die Nicht-dominante Hand – hier links - in der Regel stärker visuell kontrolliert werden)
Abbildung 11 „Äugigkeit“ Der Patient wird gebeten durch das „Fernrohr“ die Nase des Untersuchers zu fixieren. Durch Näherung des Fernrohrs ist der Patient gezwungen, sich für ein Auge im Durchblick zu entscheiden. Nota bene: Bei Visusdifferenzen wird die Entscheidung natürlich zugunsten des besseren Auges unabhängig von der zerebralen Dominanzseite ausfallen, so dass das Ergebnis allenfalls einen Hinweis gibt, aber nicht allein betrachtet werden darf.
Therapeutisch ist eine Kombination von Einzel- und Gruppentherapie ideal, da bei vielen Kindern
mit grafomotorischer Störung ähnliche Schwierigkeiten vorliegen. In zwei bis vier Einzelsitzungen
erfolgt die ergotherapeutische Befunderhebung zur Feststellung der Eignung des Patienten für die
Inhalte des Gruppentrainings. Die Eltern erhalten Anregungen für die häusliche Förderung bis zum
Gruppenstart. Im Gruppentraining kann die Gruppendynamik zur Motivation genutzt werden. Für
den Arzt bedeutet dies eine Budgetentlastung (Gruppentherapie kostet 1/3 der Einzeltherapie, 10
Stunden Gruppe à 45 Minuten etwa 110,- €). Für den Ergotherapeuten entwickelt sich aus dem
Gruppenangebot eine vermehrte Zuweisung im Bereich grafomotorische Störung. Wichtig für das
Zustandekommen einer Gruppe ist das Festlegen eines verbindlichen Starttermins, da Eltern bei
unbestimmtem Termin („wenn genug Kinder zusammenkommen“) angesichts des nahenden
Schulanfangs verständlicherweise auf Verordnung einer Einzeltherapie drängen.
Ergotherapie bei AD(H)S Unaufmerksamkeit, Ablenkbarkeit, Hyperaktivität und Impulsivität werden durch die
Interaktionsmuster verstärkt oder abgeschwächt. Häufig bestehen komorbide Auffälligkeiten in den
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Bereichen Feinmotorik, Sprache oder Lese-Rechtschreib-Schwäche, die die Symptomatik durch
Misserfolgserlebnisse verstärken. Die multimodale Therapie (Psycho-Edukation, Verhaltenstherapie,
medikamentöse Therapie) ist vielerorts auf Grund des begrenzten Angebots qualifizierter
Verhaltenstherapie nicht verfügbar. Während eine SI-Therapie bei ADHS inzwischen als obsolet gilt,
eröffnen einige von Ergotherapeuten angebotene Behandlungsansätze interessante Perspektiven,
die den Pädiater in seiner Beratungstätigkeit zum Umgang mit dem Kind entlasten können.
Grundsätzlich sind zwei Herangehensweisen möglich:
1. Zielgerichtete Einzeltherapie: Identifikation der problematischen Alltagssituationen
(anamnestisch, eventuell unter Zuhilfenahme strukturierter Assessments wie COSA oder
COPM, s.u.) und Erarbeitung von Handlungsstrategien für Eltern und Kind in ein oder zwei
konkreten Bereichen unter Kombination ergotherapeutischer und verhaltenstherapeutischer
Ansätze wie Verstärkerplänen (typ. Therapieziele s. Abb. 2+3)
2. Teilnahme an einem Gruppentraining zur Vermittlung von Handwerkszeug zur Bewältigung
häufiger Alltagssituationen (Aufmerksamkeit im Schulunterricht, Erwerb altersgerechter
Lernstrategien , Alltagsstrukturierung ). Der Therapieerfolg kann z. B. über die Verkürzung
der Hausaufgabendauer (s. Abbildung 4), Verminderung vergessener Arbeitsmittel oder
Hausaufgabeneinträge quantifiziert werden. Die qualitative Veränderung kann unmittelbar
erfasst werden, wenn Eltern oder Kinder auf die Frage: „Was hat sich in den letzten 10
Wochen bei Euch verändert“ spontan und emotional positiv über Verbesserungen berichten.
Zielgerichtete Einzeltherapie
Zur Sicherstellung der Zielorientierung in der Ergotherapie kann der Pädiater eine 6er-Verordnung
mit der Zielformulierung „Verbesserung der Selbstständigkeit/ im Verhalten und in
zwischenmenschlichen Beziehungen/Verbesserung der Ausdauer mit Durchführung COPM/COSA“
ausstellen. Der erste Teil der Zielformulierung entstammt den Heilmittelrichtlinien, der zweite Teil
setzt eine Qualifizierung des Therapeuten in COSA5 (Child occupation self assessment) oder COPM6
(Child occupation performance measure) voraus. Mit einem strukturierten Interview wird nicht nur
ermittelt, wie gut das Kind bestimmte Alltagsbetätigungen (Anziehen, Waschen, etwas einkaufen)
bewältigt, sondern auch, wie wichtig diese Betätigung für das Kind ist. Kinder- und Elternsicht
werden getrennt erhoben. Daraus werden konkrete Therapieziele in den Bereichen definiert, die für
das Kind besonders problematisch und besonders wichtig sind (Dauer: eine bis maximal drei
Therapieeinheiten). In den verbleibenden Therapieeinheiten wird mit dem Therapieprozess
begonnen, ergänzend kann z. B. ein Schul- oder Kita-Besuch durchgeführt werden (auch ohne
„verordneten“ Hausbesuch auf Vordruck 18 können innerhalb der gesamten Verordnung bis zu drei
Hausbesuche durchgeführt werden, um z. B. den Transfer des Therapiefortschritts in den Alltag zu
ermöglichen). Der Arzt erhält dann im Therapiebericht Vorschläge für „küra“-Therapieziele, die nach
kurzer Rückversicherung bei Eltern und Kind über die Therapiemotivation für die Weiterverordnung
übernommen und alle 10 Wochen kontrolliert werden können . Bei COPM ist auch eine
Quantifizierung des Therapieerfolgs vorgesehen.
Gruppentrainings
Folgende Qualitätskriterien lassen ein ergotherapeutisches ADHS-Gruppentraining aussichtsreich und
wirtschaftlich vertretbar erscheinen:
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Der Ergotherapeut hat ein bio-psycho-soziales Konstrukt von ADHS, das dem des
verordnenden Pädiaters entspricht
Der Ergotherapeut hat sich im Bereich ADHS und Verhaltenstherapie umfangreich
weitergebildet (z. B. Opti-Mind, Lauth- und Schlottke, Marburger Konzentrationstraining,
Intra-Act-Konzept u.a.m.)
Das Therapiekonzept ist von vornherein auf eine bestimmte Stundenzahl festgelegt. Dies
verdeutlicht Eltern, dass die Therapie nicht bis zur Normalisierung des Kindes fortgeführt
wird, sondern eine einmalige, begrenzte Chance darstellt, eingefahrene Verhaltensweisen
zu verändern.
Die Elternberatung - z. B. in Form von Elternabenden – ist zeitlich und inhaltlich integriert,
die Teilnahme der Eltern wírd dokumentiert und dem Arzt in den Zwischenberichten
mitgeteilt (wiederholtes Versäumen ohne triftigen Grund bedeutet Verordnungsende -dies
muss den Eltern vorher mitgeteilt werden)
Zusammenfassung Mit der zielorientierten Ergotherapie im Rahmen einer gelungen Kooperation kann der Pädiater
effektive Ergotherapie in Übereinstimmung der WANZ-Regel der kassenärztlichen Versorgung
verordnen (WANZ: wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig).
Ressourcen-orientierte pädiatrische Ergotherapie (RopE) ist wirtschaftlich, weil durch die
Zielorientierung die Therapiedauer verkürzt wird.
Sie ist ausreichend, weil das Therapieende im Erreichen des realistischen Therapieziels und nicht in
einer „Normalisierung“ des Kindes gesehen wird.
Sie ist notwendig, wenn die Indikation aus einem (drohenden) Leiden des Kindes in den Bereichen
Gesundheit, Teilhabe und Aktivität entsteht .
Sie ist zweckmäßig, wenn die Therapie zu nachvollziehbaren Fortschritten in den zuvor definierten
problematischen Bereichen der Alltagsbewältigung führt.
Zum Weiterlesen: RopE Manual: Ressourcen-orientierte pädiatrische Ergotherapie, R. Dernick und G. König, (Bezug: www.FamilienErgo.de)
konkrete Therapieziele für alle Störungsbereiche
Fließschemata für häufige Diagnosen
CD mit Vordrucken für Therapiebericht, KiTa-Nachfrage zur Therapieempfehlung, etc.
Verordnungsbeispiele mit Kommentaren
Unter Berücksichtigung der Heilmittelrichtlinien, der Leitlinien der DGSPJ und der ICF der WHO
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1 Heller B (2006) Behandlungsprozess. In: Becker H, Steding-Albrecht U Ergotherapie im Arbeitsfeld
Pädiatrie Georg Thieme Verlag, Stuttgart 100
2 Strassburg, H. M. (2004) Indikationen zu Ergotherapie im Kindesalter,
www.dgspj.de/llergotherapie.php
3 Haase, F C (2007) Ergotherapeutischer Behandlungsprozess. In Scheepers, C., Steding- Albrecht, U.,
Jehn, P. Ergotherapie- Vom Behandeln zum Handeln, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 191-193
4 Kassenärztliche Vereinigung (2004), Heilmittelrichtlinien Sonderdruck der Kassenärtzlichen
Vereinigungen in Deutschland. Redaktion: KV Nordrhein, Tersteegenstr. 9, 40474 Düsseldorf, Erster
Teil, II Grundsätze der Heilmittelverordnung, Punkt 7
5 Pätzold, I., Wolf, M., Hörning, A., Hoven, J. (2005) “Weißt du eigentlich was mir wichtig ist?“,
Modernes Lernen, Dortmund
6 Gede, H., Kriege, S., Strebel, H., Sulzmann-Dauer,I. (2007) Kinder zu Wort kommen lassen: Die
adaptierte Version des Canadian Occupational Performance Measure für Grundschulkinder (COPM a-
kids). Handbuch und Materialien zur praktischen Anwendung, Schulz-Kirchner, Idstein