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Grundzüge des Rechts für Bauwissenschaft Herbst 2016 ‚Skript‘: Module 07/Module 08 Gérard Hertig (ETH Zurich) www.hertig.ethz.ch 1 Vertrag Entstehung & Erfüllung

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Grundzüge des Rechts für Bauwissenschaft

Herbst 2016 ‚Skript‘: Module 07/Module 08

Gérard Hertig (ETH Zurich) www.hertig.ethz.ch

1

VertragEntstehung & Erfüllung

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A. Vertragsentstehung

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Beispiel 1 (Siehe auch BGE 114 II 131 - 1988)

Am 4. Oktober 2015 verkauft Georg, ein namhafter Kunstkenner, an Arnold für CHF 25‘ooo eine Zeichnung, die mit „Picasso“ unterschrieben ist. Georg garantiert die Echtheit des Bildes.

Als Arnold 2016 die Zeichnung versteigern will, kommen beim Auktionshaus Zweifel über deren Echtheit auf. Das „Comité Picasso“ bestätigt die Fälschung.

Nachdem keine aussergerichtliche Einigung erzielt werden kann, beschreitet Arnold den Rechtsweg. Er behauptet, es sei kein Kaufvertrag zustande gekommen.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Beispiel 1 (Siehe auch BGE 114 II 131 - 1988)

Arnold irrt beim Kauf über die Echtheit des Bildes. Seine Kaufentscheidung beruht auf einer falschen Vorstellung der Sachlage (Motivirrtum).

Motivirrtum: nur beachtlich, wenn er wesentlich ist Subjektive Wesentlichkeit: Arnold hätte kein

unechtes Bild für diesen Preis gekauft. Objektive Wesentlichkeit: Arnold durfte nach Treu

und Glauben von der Echtheit ausgehen, da Georg einen namhaften Kunstkenner ist. Ein durchschnittlicher Dritter hätte ebenso gehandelt.

→ Grundlagenirrtum, kein gültiger Vertrag

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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I. Einführung1. Begriffe

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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Rechtsverhältnis Beziehung zwischen einer Person und einer anderen

Person/Sache, die durch die Rechtsordnung mit Rechten und Pflichten ausgestattet ist

Schuldverhältnis (Obligation) Definition: Rechtsbeziehung zwischen Gläubiger und

Schuldner, wonach • der Gläubiger vom Schuldner eine Leistung fordern

kann (Forderung Recht des Gläubigers)

• der Schuldner verpflichtet ist zu leisten (Schuld Verpflichtung des Schuldners)

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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Entstehungsgründe von Obligationen1. Willenserklärung, die eine Rechtsfolge nach sich ziehen sollZwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft• Beide/mehrere Parteien sind Gläubiger und

Schuldner• Beispiele: Kaufvertrag, Gründung einer Gesellschaft

Einseitiges Rechtsgeschäft• Besteht aus einer Willenserklärung• Nur eine Partei ist jeweils Gläubiger und Schuldner• Beispiele: Errichtung einer Stiftung, Kündigung

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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Beispiel 2: Einseitige Rechtsgeschäft Am 21. März 1985 starb Hanny X. Mit öffentlich beurkundeter

letztwilliger Verfügung hatte sie ihre gesetzlichen Erben von der Erbschaft ausgeschlossen. Für die Auslegung eines Testamentes ist von dessen

Wortlaut auszugehen. Ist er für sich selbst betrachtet und aus sich selbst erklärt

klar, so hat es bei dieser Aussage zu bleiben. Sind dagegen die Testamentsbestimmungen so unklar, dass

sie ebensogut im einen wie im andern Sinne verstanden werden können bzw. sich mehrere Auslegungen mit guten Gründen vertreten lassen, so dürfen ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Beweismittel zur Auslegung herangezogen werden

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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2. Ausservertragliche Entstehungsgründe

Deliktsrecht: Geschädigter (Gläubiger) fordert vom Täter (Schuldner) Schadenersatz (siehe Modul 10)

Ungerechtfertigte Bereicherung (62 OR)

Ansprüche aus Familien-, Erb- und Sachenrecht

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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Relatives Recht Wirkt zwischen den Parteien eines Schuldverhältnisses

(„inter partes“) Beispiel: Vertrag, Schadenersatz aus unerlaubten

Handlungen

Absolute Rechte Wirken gegenüber jedermann („erga omnes“) Beispiel: Sachenrecht, Patent- und Urheberrecht

A B

A

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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I. Einführung2. Vertragsfreiheit

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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Grundsatz des privatautonomen Handeln Wirtschaftsfreiheit (Art. 28 BV)

Persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV)

Konkretisierung: Vertragsfreiheit Abschlussfreiheit• Positiv: Recht, einen Vertrag abzuschliessen• Negativ: Recht, keinen Vertrag abschliessen zu müssen

Aufhebungs- und Änderungsfreiheit Formfreiheit und Inhaltsfreiheit Auswahl des Vertragspartners

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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Beschränkungen1. Abschlussfreiheit: Kontrahierungszwänge• Abschlusszwang des Monopolisten, Universal-

dienstverpflichtung der Post, Interkonnektions-verträge der Swisscom

• Anschluss- und Benutzungszwang im Baurecht• Notwegrecht des Grundeigentümers, etc.

2. FormfreiheitArt 11 Abs. 1 Obligationenrecht

Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besonderen Form, wenn das Gesetz eine solche vorschreibt.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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Beschränkungen

3. Inhaltsfreiheit

Beispiele: Unmöglichkeit, WiderrechtlichkeitSittenwidrigkeit, Übervorteilung

4. Auswahl des Vertragspartners: Diskriminierungsverbot (selten)

Art. 19 Abs. 1 Obligationenrecht

Der Inhalt des Vertrages kann innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt werden.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Begriffe 2. Vertragsfreiheit

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II. Abschluss1. Allgemeines

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Voraussetzungen für wirksamen Vertragsabschluss Rechts-, Handlungs- und Geschäftsfähigkeit

Rechtsbindungswille der Parteien Übereinstimmende Willenserklärungen Gegenseitiger Austausch

Art. 11 Abs. 1 ZivilgesetzbuchRechtsfähig ist jedermann.

Art. 12 ZivilgesetzbuchWer handlungsfähig ist, hat die Fähigkeit, durch seine Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen.

Art. 13 ZivilgesetzbuchDie Handlungsfähigkeit besitzt, wer volljährig und urteilsfähig ist.

Art. 1 Abs. 1 ObligationenrechtZum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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II. Abschluss2. Antrag und Annahme

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Antrag (Synonym: Offerte, Angebot)

Wille, mit Partner einen Vertrag abzuschliessen Enthält alle wesentlichen Punkte des Vertrags Empfangsbedürftige Willenserklärung• Erst wirksam, wenn bestimmte Person davon Kenntnis erlangt• Sobald Erklärung im „Machtbereich“ des Empfängers, z.B. im

Briefkasten (Kenntnis des Inhalts nicht erforderlich) Wirkungen eines abgegebenen und zugegangenen

Antrags• Antrag kann durch Antragsteller grundsätzlich weder

widerrufen noch einseitig verändert werden• Empfänger kann Vertrag durch Annahme zu den Bedingungen

des Antrags abschliessen

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Annahme (Synonym: Akzept)

Übereinstimmung mit dem Antrag

Weicht die Annahme vom Antrag ab: Neuer Antrag

Grundsatz: Schweigen ist keine Annahme

Ausnahme : Ist wegen der besonderen Natur des Geschäftes odernach den Umständen eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten, so gilt der Vertrag als abgeschlossen, wenn der Antrag nicht binnen angemessener Frist abgelehnt wird (Art. 6 OR)

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Sonderfälle: Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)• Vorformulierte Klauseln; auf eine Vielzahl von

Verträgen anwendbar• Kein zwingendes Gesetzesrecht, sonder private

Vereinbarungen• Bindend, wenn sie in einen Vertrag ausdrücklich oder

global übernommen werden• VerbraucherschutzUnklare Klauseln können im Sinne des Verbrauchers gedeutet

werdenUngewöhnliche Klauseln werden mitunter nicht angewendetKontrolle über das Gesetz den unlauteren Wettbewerb

( Klausel kann nichtig sein)

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Beispiel 3: AGB (Siehe auch BGE 84 II 556)

Die Colcao AG in Zürich schloss mit der Versicherungs-gesellschaft "Schweiz" einen Vertrag für die Versicherung von Gütertransporten ab.

Der Vertrag enthielt AGB‘s. Die Colcao AG wollte diese AGB’s für nicht anwendbar erklären lassen.

Die ganze Rückseite ausfüllende Text ist überschrieben als Auszug aus den für schweizerische Gütertransport-policen geltenden Allgemeinen Bedingungen.

"ABVT 1940" eindeutig als anwendbar erklärt.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Beispiel 4: AGB (Siehe auch BGE 135 III 1)

Eine Versicherung behält sich in ihrer AGB 2005 das Recht vor, die Prämien und Selbstbehalte zu ändern, räumt dem Versicherten jedoch das Kündigungsrecht ein, sollte er mit der Änderung nicht einverstanden sein. Beruht die Vertragsänderung aber auf einer

behördlichen Anordnung bei einer gesetzlich geregelten Deckung, wird das Kündigungsrecht des Versicherten ausgeschlossen. Der Versicherungsnehmer ist damit nicht

einverstanden und macht die Ungewöhnlichkeitsregel geltend.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Beispiel 4: AGB (Siehe auch BGE 135 III 1)

Ungewöhnlichkeitsregel: Klauseln auf deren Vorhandensein die schwächere oder weniger

geschäftserfahrene Partei nicht gesondert aufmerksam gemacht worden ist.

zu einer wesentlichen Änderung des Vertragscharakters führen oderin erheblichem Masse aus dem gesetzlichen Rahmen des

Vertragstypus fallen.

Je stärker eine Klausel die Rechtsstellung des Vertragspartners beeinträchtigt, desto eher als ungewöhnlich zu qualifizieren.

Hier: Ungewöhnlich

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Sonderfälle: Stellvertretung• Handlungen des Vertreters führen zu Vertragswirkung zwischen

dem Vertretenen und dem Dritten (Art. 32 ff. OR)

• Gewillkürte Stellvertretung (Art. 32 ff. OR) Bestellung des Stellvertreters durch Vertrag (Bevollmächtigung) Sonderfälle im kaufmännischen Verkehr: Prokura, Handlungsvollmacht Keine Stellvertretung bei höchstpersönlichen Geschäften

(Eheschliessung, Errichtung eines Testaments)

• Gesetzliche Stellvertretung Bestellung des Stellvertreters durch Gesetz Hauptfall: Vertretung der Kinder durch die Eltern (Art. 304 ZGB)

Vertreter Vertretener

Dritter

Grundverhältnis (Auftrag)

Bevollmächtigung

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Beispiel 5: Stellvertretung Reto Müller (M) betreibt eine kleine Druckerei, für die

er seit vielen Jahren einen Mitarbeiter(S) beschäftigt. M bittet S, bei der Print AG eine neue Papierschneide-

maschine zu erwerben. Dabei sagt M zu S, dass die Maschine nicht mehr als CHF 10‘ooo kosten solle. M teilt der Print AG per E-Mail folgendes mit: „Ich bin am Erwerb einer Papierschneidemaschine interessiert.

Die weiteren Detail-Kaufverhandlungen und den Vertragsschluss wird mein Mitarbeiter S für mich eigenständig übernehmen. Er hat mein volles Vertrauen.“

S ist vom Vertrauensbeweis seines Chefs so begeistert, dass er am nächsten Tag beim Hersteller die beste Papierschneidemaschine für CHF 25‘ooo bestellt

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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Beispiel 5 : Stellvertretung

M wurde beim Vertragsschluss wirksam von S vertreten.

Die Anweisung von M an S betraf nur das Innenverhältnis (Verfügungsbefugnis)

Sie beschränkte nicht die Vertretungsmacht des S im Aussenverhältnis zur Print AG.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel1. Allgemeines 2. Antrag und Annahme

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III. Formvorschriften

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Allgemeines Willenserklärungen können schriftlich oder

mündlich, ausdrücklich oder konkludent/stillschweigend erfolgen

Wer eine Erklärung nicht liest und sie dennoch unterschreibt, ist grundsätzlich an die Erklärung gebunden

Grundsatz der FormfreiheitArt 11 Abs. 1 Obligationenrecht

Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besonderen Form, wenn das Gesetz eine solche vorschreibt.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Arten von FormvorschriftenFormvorschrift Merkmale Beispiele

Einfache Schriftlichkeit

Schriftform → Erklärung Unterschrift

Lehrvertrag (Art. 344a OR) Schenkungsversprechen (Art. 243 OR)

Qualifizierte Schriftlichkeit

Qualifizierende Merkmale

Testament (Art. 505 Abs. 1 ZGB), Merkmal: Handschriftlichkeit

Konsumkreditvertrag (Art. 11 KKG)Merkmal: Effektiver Jahreszins

Mietzinserhöhung (Art. 269d Abs.1 OR)Merkmal: bestimmtes Formular

Öffentliche Beurkundung

Festgelegtes Verfahren Festhalten einer

Erklärung in Urkunde Urkundperson/Notar

Grundstückkauf (Art. 216 OR) Ehevertrag (Art. 184 ZGB) Erbvertrag (Art. 512 ZGB) Bürgschaft (Art. 493 Abs. 2 OR)

Registereintrag Bestimmte gesetzliche Voraussetzungen

Übertragung von Grundstücken(Art. 656 Abs. 1 ZGB)

Gründung einer AG (Art. 643 Abs. 1 OR)

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Beispiel 6: Formvorschriften (Siehe auch BGE 118 II 395)

L verpachtete ein geerbtes Heimwesen ihrem Bruder F.

Nachdem eine sechsjährige Pachtdauer abgelaufen war, forderte F von seiner Schwester, den Hof käuflich erwerben zu können.

Er berief sich dafür auf eine anlässlich der Erbteilung geschlossene mündliche Vereinbarung.

Inzwischen streiten die Erben von F mit L um den Kauf des Heimwesens.

Sie machen geltend, es wurden Briefe zwischen den Geschwistern gewechselt, in welchen sie einen Teilungsvertrag vereinbarten.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Beispiel 6: Formvorschriften (Siehe auch BGE 118 II 395)

Die Auffassung der Erben, ein Teilungsvertrag könne auch dadurch zustande kommen, dass Briefe mit den entsprechenden Willenserklärungen ausgetauscht werden, erscheint als zutreffend.

Es ist kein Grund zu sehen, warum die Unterschriften beim Erbteilungsvertrag notwendigerweise auf der gleichen Urkunde angebracht sein müssten.

Es ist somit davon auszugehen, dass ein Erbteilungsvertrag auch durch den Austausch von Briefen zustande kommen kann.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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IV. Auslegung von Verträgen

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Wirklicher Wille des Vertragsparteien massgebend, nicht die unrichtige Bezeichnung im Vertragstext

Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen nach dem „objektiven“ Empfängerhorizont→  wie sie vom Empfänger in gutem Glauben

verstanden werden mussten und durften

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Beispiel 7: Auslegung (Siehe auch BGE 115 II 484)

Ein Mietvertrag über ein Restaurant wurde mit folgender Bestimmung ergänzt:"Die Vertragsdauer wurde für beide Parteien um weitere 10 Jahre verlängert und ist bis zum 31. März 1987 unkündbar.

Wird der Vertrag weder von der einen noch der anderen Partei wenigstens 1 Jahr vor Ablauf der Mietzeit durch eingeschriebenen Brief gekündigt, so gilt er jeweils auf 5 weitere Jahre verlängert, wieder mit jährlicher Kündigungsfrist.„

Die neu eingefügte Kündigungsbestimmung ist wegen zwingendem Gesetzesrecht ungültig → Vertrag ist lückenhaft.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Beispiel 7: Auslegung (Siehe auch BGE 115 II 484)

Ist ein lückenhafter Vertrag zu ergänzen, so hat der Richter - falls dispositive Gesetzesbestimmungen fehlen - zu ermitteln, was die Parteien nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Punkt in Betracht gezogen hätten. Bei der Feststellung dieses hypothetischen Parteiwillens hat er

sich am Denken und Handeln vernünftiger und redlicher Vertragspartner sowie an Wesen und Zweck des Vertrages zu orientieren. Auszugehen ist davon, dass die Parteien im Jahre 1976 eine

Vertragsdauer von vorerst zehn Jahren vereinbarten, welche sich um weitere fünf Jahre verlängern sollte, sofern keine der Parteien die Kündigung aussprach.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Beispiel 8: Vertragsanpassung (Siehe auch BGE 101 II 17) Es wurde ein Vertrag über Unterhaltsansprüche eines

ausserehelichen Kindes geschlossen. Das Kind klagte nach Abschluss des Vertrages auf Erhöhung des

Unterhalts. Die Voraussetzungen für einen Eingriff des Richters in den

Vertrag auf Grund der clausula rebus sic stantibus sind nicht erfüllt Wohl ist der Lebenskostenindex seit 1967 um 44% gestiegen. Da

die Teuerungsrate jedoch schon damals 4% betrug, war die seither eingetretene Geldentwertung, wie übrigens auch die Verbesserung der finanziellen Lage des Beklagten, durchaus voraussehbar. Unter diesen Umständen ist eine Berufung auf die clausula rebus

sic stantibus zum vornherein ausgeschlossen.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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V. Willensmängel

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Allgemeines Irrtum, Täuschung und Drohung Wille wird mangelhaft gebildet oder mangelhaft erklärt

Art. 23 ObligationenrechtDer Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat.

Art. 28 Abs. 1 ObligationenrechtIst ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung … zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn … nicht verbindlich....

Art. 29 Abs. 1 ObligationenrechtIst ein Vertragschliessender von dem anderen … widerrechtlich durch Erregung gegründeter Furcht zur Eingehung eines Vertrages bestimmt worden, so ist der Vertrag für den Bedrohten unverbindlich.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Irrtum

Erklärungsirrtum(mangelhafte Kundgabe des

Willens)

unwesentlich

Wesentliche Fälle(Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1-3

OR)

Irrtum im Erklärungsakt

Irrtum im Erklärungsinhalt

Motivirrtum(mangelhafte

Willensbildung)

Unwesentlich(Art. 24 Abs. 2 OR)

Grundlagenirrtum(Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4)

Irrtum Nur ein wesentlicher Irrtum ist beachtlich

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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Beipiel 9: Irrtum Ein Ehepaar sucht seit einiger Zeit ein schönes Designer-

Ledersofa für das gemeinsame Wohnzimmer. Eines Abends kommt die Ehefrau voller Freude nach

Hause: Sie hat in einem Möbelgeschäft das perfekte Sofa gefunden und für CHF 10‘000 erworben.

Das Sofa soll in drei Tagen geliefert werden. Daraus entwickelt sich ein mittlerer Ehekrach, da der

Ehemann am selben Tag in einem anderen Möbelhaus ebenfalls ein Sofa für CHF 9‘000 gekauft hat.

Kann sich die Ehefrau vom ersten Vertrag lösen?→  irrelevanter Motivirrtum.

I. Einführung II. Abschluss III. Form IV. Auslegung V. Willensmängel

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B. Vertragserfüllung

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I. Einführung

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Grundfrage

Wer soll an wen was, wann, wo und wie leisten?

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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II. Erfüllung

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Gläubiger (An wen?) Grundsatz: Schuldner muss an den Gläubiger leisten; leistet

er an einen Dritten, hat er nicht erfüllt, die Leistungsver-pflichtung gegenüber dem Gläubiger besteht fort

Ausnahmen: Weisung, Konkurs, Zession

Leistungsgegenstand (Was?) Vertragliche Hauptpflicht• Nur die vertraglich geschuldete Leistung befreit• Die Pflichten, die für den Vertrag charakteristisch sind

Vertragliche Nebenpflichten• Obhuts- und Schutzpflichten: Schutz des Besuchers von Sportanlässen• Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten: Aufklärungspflicht des Arztes

bei Operationsrisiko

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Erfüllungszeit (Wann?)

Grundsätzlich können Ansprüche sogleich erfüllt (Erfüllbarkeit) und eingefordert (Fälligkeit) werden

Bei einem vollkommen zweiseitigen Vertrag werden beide Leistungen gleichzeitig fällig (Zug um Zug))

Keine Leistungspflicht ohne Gegenleistung

Sonderfall: Dauerschuldverhältnis

• Beispiele: Arbeits-, Miet-, Lizenz-, Darlehensvertrag

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Beispiel 10: Ingenieurvertrag (siehe auch BGE 4A.55/2012)

Im Rahmen der Errichtung eines Schulhauses übertrug die Stadt X. als Bauherrin dem A. die Bauingenieurarbeiten. Zu diesem Zweck wurde ein Ingenieurvertrag geschlossen,

worin sich A. zur ingenieurtechnischen Bearbeitung der Tragkonstruktion, zur Ausführungsplanung und zur Überwachung der Realisierung des Bauvorhabens verpflichtete. Als Vertragsgrundlage wurde die SIA-Ordnung 103

(Ausgabe 2003) mit Ausnahme der Bestimmungen über Tarifanpassungen bezeichnet. Das Honorar betrug pauschal Fr. 100'000.

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Beispiel 1o: Ingenieurvertrag (siehe auch BGE 4A.55/2012)

Zur Vergabe der Baumeisterarbeiten wurde ein Submissionsverfahren durchgeführt. Im Leistungsverzeichnis für die offerierenden

Baumeister war unter anderem die Erbringung eines Abdichtungssystems "U" des Produzenten V. oder ein gleichwertiges System zur Gewährleistung der Wasserdichtigkeit der Bodenplatte und der Wände des UG des Schulhauses gefordert. Für die Erstellung der Submissionsunterlagen war A.

zuständig. Die S. Bauservice AG erhielt aufgrund ihres Angebots den Zuschlag.

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Beispiel 10: Ingenieurvertrag (siehe auch BGE 4A.55/2012)

In der Folge schloss die S. Bauservice AG mit der Firma W.als Subunternehmerin für das System der Wasserdichtigkeit einen Vertrag. Das Produkt von W. war ein Alternativprodukt zur "U." W. gewährte eine zehnjährige Systemgarantie unter der

Bedingung, dass die Bewehrung der Bodenbetonplatte den hohen Anforderungen nach SIA-Norm 262 genüge. Die S. Bauservice AG mahnte danach die Stadt X., weil sie

der Auffassung war, der A. habe bei der Berechnung der Statik des Schulhauses Fehler gemacht.

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Beispiel 10: Ingenieurvertrag (siehe auch BGE 4A.55/2012)

Aufgrund verschiedener gutachterlicher Prüfungen wurde ein Baustopp verhängt und dem A. der Auftrag entzogen.

Die S. Bauservice AG teilte danach die Stadt X. mit, dass die Armierungsanforderungen an die Bodenplatte nicht erfüllt seien, weshalb die zehnjährige Systemgarantie der W. nicht mehraufrecht erhalten werden könne.

Die Stadt X. wollte an der Systemgarantie festhalten. Sie entschied deshalb, die von der S. Bauservice AG offerierten Massnahmen zu deren Aufrechterhaltung in Auftrag zu geben mit dem Vorbehalt der Rückforderung.

Die Stadt X. reichte danach eine Klage gegen A. und S. Bauservice AG auf Bezahlung von SFR 800’000.

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Beispiel 10: Ingenieurvertrag(siehe auch BGE 4A.55/2012)

Den Ingenieurvertrag mit stets gleichem Inhalt gibt es nicht. Vielmehr ist darauf abzustellen, welche Leistungen die Parteien im konkreten Vertrag vereinbart haben.

Ingenieurleistungen, bei denen ein mess- und objektivierbarer Erfolg geschuldet ist, sind dem Werkvertragsrecht zu unterstellen. Dies gilt insbesondere für Vorarbeiten, Vorstudien, Vorprojekte, Ausführungspläne und Ausschreibungsunterlagen.

Eine Spaltung der Rechtsfolgen ist denkbar, indem sich etwa die Haftung für einen Planungsfehler nach werkvertraglichen

Regeln, jene für unsorgfältige Bauleitung nach auftragsrechtlichen Regeln richten kann .

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Beispiel 10: Ingenieurvertrag(siehe auch BGE 4A.55/2012)

Der Vertrag zwischen Stadt X. und A. ist also ein gemischten Vertrag mit Verpflichtungen werkvertraglicher und auftragsrechtlicher Natur.

Da A. auch die Fachplanung übernommen hat und deshalb seine Pläne in Absprache mit der S. Bauservice AG derart anpasste, dass die Wasserdichtigkeit gewährleistet sei, so sei diese Aufgabe werkvertraglicher Natur, denn aus dieser Leistung sei ein objektiv messbarer Erfolg geschuldet.

Die vorliegend im Fokus stehenden Planfehler in Bezug auf den Armierungsgehalt der Bodenplatte seien bezüglich der Haftungsfrage den werkvertraglichen Normen zuzuordnen.

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III. Verjährung

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann Forderung nicht mehr gerichtlich durchgesetzt werden

Verjährung als „Einrede“ Kann vom Schuldner gegen den Anspruch des Gläubigers

geltend gemacht werden Wird Verjährung vom Schuldner nicht geltend gemacht, kann

Gläubiger die Forderung durchsetzen; Verjährung wird nicht von Amts wegen berücksichtigt

Grundsätzlich verjähren alle Forderungen des Privatrechts Ausnahmen im Sachen-, Erb- und Persönlichkeitsrecht

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Normale Verjährungsfrist: 10 Jahre (Art. 127 OR)

Kürzere Verjährungsfristen 5 Jahre: z.B. Mietzinsforderungen, Arbeits-, Arzt- und

Anwaltsverträge (Art. 128 OR) 1 Jahr (ab Kenntnis von Schaden & Schuldner, sonst 10

Jahre ab Tag der Handlung): Schadenersatz aus unerlaubter Handlung (Art. 60 OR)

2 Jahre (ab Kenntnis von Schaden & Schuldner, sonst 10 Jahre ab Tag der Handlung): Schadenersatzansprüche im Strassenverkehr (Art. 83 SVG)

2 Jahre (ab Ablieferung/Abnahme, mit Ausnahmen): Gewährleistungsrechte wegen Mängeln im Kauf- und Werkvertragsrecht (Art. 210, 371 OR)

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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IV. Leistungsstörungen

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Einführung Schuldner leistet nicht, zu spät oder nicht

vereinbarungsgemäss Verhinderung der Erfüllung durch den Gläubiger Übersicht

Leistungsstörung Charakteristik

Unmöglichkeit Leistung ist unmöglich (z.B. Leistungsgegen-stand ist „untergegangen“)

↑ Positive Vertragsverletzung

Mangelhafte Hauptleistung oder Verletzung einer Nebenpflicht

Schuldnerverzug Schuldner leistet verzögert, obwohl die Leistung noch möglich wäre

Gläubigerverzug Gläubiger verzögert die Entgegennahme der Leistung des Schuldners

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Unmöglichkeit Rechtsfolgen

Unmöglichkeit

anfänglich

objektiv

Vertrag ist nichtig

(Art. 20 OR)

subjektiv

Von Schuldner verschuldet

Schadenersatz (Art. 97 OR)

nachträglich

objektiv

Von Schuldner unverschuldet

Schuldner ist frei; evtl. Rückerstattungspflicht

(Art. 119 OR)

subjektiv

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Positive Vertragsverletzung Schlechtleistung der vertraglichen Hauptpflicht oder Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht

Voraussetzungen1. Verletzung einer vertraglichen Pflicht2. Schaden3. Kausalzusammenhang zwischen 1 und 24. Verschulden (Exkulpationsbeweis des Schädigers)

Rechtsfolge: Schadenersatz Teilweise durch Sonderregelungen ersetzt (z.B. Gewähr-

leistungsrecht beim Kaufvertrag)

Art. 97 Abs. 1 ObligationenrechtKann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig be-wirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Schuldnerverzug (Art. 102 ff. OR)

Voraussetzungen

• Fälligkeit der Forderung: Gläubiger darf die Forderung einfordern und einklagen

• Fällige Forderung wird nicht erfüllt, obwohl Leistung möglich ist

• Gläubiger setzt Schuldner mittels Mahnung in Verzug (Art. 102 Abs. 1 OR)

Nicht erforderlich bei vereinbartem Verfalltag (Art. 102 Abs. 2 OR)

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Schuldnerverzug (Art. 102 ff. OR)

Rechtsfolgen• Allgemein: Ersatz des Schadens aus verspäteter Erfüllung (Art.

103 Abs. 1 OR) Aber: Exkulpationsmöglichkeit, wenn Schuldner fehlendes

Verschulden nachweist (Art. 103 Abs. 2 OR)

• Bei Geldschulden: Verzugszins (verschuldensunabhängig) von mindestens 5% (Art. 104 OR)

• Gläubiger kann nach Setzung einer angemessenen Nachfrist weiterhin Erfüllung und Schadenersatz wegen

Verspätung verlangen, auf Leistung verzichten und Ersatz des Nichterfüllungs-

schadens verlangen, oder auf Leistung verzichten und vom Vertrag zurücktreten(Art. 107 ff. OR)

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen

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Gläubigerverzug (Art. 91-95 OR)

Voraussetzungen• Schuldner bietet Leistung an• Gläubiger verhindert Erfüllung durchWeigerung der AnnahmeVerweigerung von Vorbereitungs- oder

Mitwirkungshandlungen Rechtsfolgen• Schuldner kann nicht in Schuldnerverzug geraten• Gläubiger trägt das Risiko für den zufälligen Untergang der

Leistung• Schuldner kann seine Verpflichtung durch Hinterlegung der

Sache erfüllen (Art. 92 OR)

I. Einführung II. Erfüllung III. Verjährung IV. Leistungsstörungen