zur poststrukturalistischen kritik des scale-konzepts. für eine topologische machtanalyse

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hatten den Boden dafür bereitet, so -dass es gelang, auf der nationalen Ebe- ne gegen den Widerstand des Wirt- schaftsministerium und der mächtigen Energiekonzerne die Förderung. von· emeuerbaren Energien durchzusetzen. Die unterlegenen Konzerne sammelten auf der supranatiQnalen Ebene. Durch Lobbying der EU-Kom- mission ut'ld -das Weiterziehen einer KJage an denEuropäischen Gericbtshof .versuchten sie verhasste verfügung zu kippen. Für, Förderung von emeuerharen Euergien als Teil einer wirklieben Lö- sung der. Klimaproblematik war. die Ebenederintemationalen Klimapolitik bisber irrelevant. Die Erfolge dieses Industriezweigsin Deutschland führte .. ber d!"'!!, dass sich die Deutsche Re- mit der .. rungskonfeIenz 2004 in Bonnfiireinen . .parallelen internationalen ProZess stark Die Bedeutung.von- natiom\len _ Vorreitern_fUr den Erfolg yqn interna- tionalen Ablrommen ist aus anderen . Bereichen. der internationalen (Um- welt-)Politik bekannt. Das Thema der Anpassung an den Klimawandel wurde lange Zeit als Konkurrenz zu vorsorgendemHandeln gesehen und hatte deshalb weder bei den Vorre.itern unter den Staaten- noch unter den Umwelt-NGOs eine Lobby. . Die besonderS betroffenen Entwick- lüligsläDder waren in den hanlllungen marginalisiert nnd die di- rekt Betroffenen "verletzlichen" Gruppen vollständig ab;"esend:Bei der von der internationalen und nationalen Ebeneerfoigenden Problemdelinition und -eingrenznng stehen geograpbische (Trockengebiete, tiefliegende Küsten) oder _sektorale (Subsistenzlandwirt- schaft, Tourismus) Deterininanten von- Verwundbarkeit im nicht aber so?:io-ökonomische.-wie lisierung oder Gender. 198 So überrascht. es auch nicht, dass eine Analyse der AnpaSsungsplanung in und Nicaragua' zu gendem Schluss kommt: ,,Die gegen-· wärtigen Instrumentarien und 'Strate- gien .zielen kaum auf die Förderung der Anpassungsfäbigkeit . der marginali- sierten Bevölkerung. Die lilteressen derjenigen Bevölkerungsgruppen; die sozialer, ökonomischer, derspezifischer und struktureller As- . pekte besonders verwundbar gegenüm;r den Folgen des Klimawandels sind, fliessen in die. ebenenü1iergrelfend"n politischen Plannugs- und Entschei- dangsprozesse nicht oder nur sehr un- ein." (Einleitung) . Das Buch' ist ein überzeugendes Beispiel für ein "thinking outside the box", das die ausgetreten· Pfade deS: Mainstreams verlüsst und den Klima- wandel als eine tiefgreifende Gesell- schaftskrise analysiert.. Es zeigt; dass lokale, nationale .und internationale' . Politikprozesse nicht imabhängig von- einander. begriffen werden können. Dass -die _ Integration von verschiedenen Theorien, Analyse- ebenen und' Themensträngen nicht immer Überzeugend gelingt und einige Kapitel daher eher. nebeneinander als . miteinander in Beziehung stehen, ist bei so einem ambitionierten Projekt den AutorInnen nachzusehen:· Ebenso. . dass keine einfa.;henLösnngenprüsen- tiert werden kÖnneiC :'" Lösungsansätze können nicht von oben verordnet werden, "sondern müs- sen im gesellschaftlieben Diskursent; wickelt Damitdas Buchseitien Beitrag dazu leisten kann, müssten die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem kollektiven sozialwissenschaftIichen Denkprozessh:erausgearbeitet und in . .eine alltags-mid poliliktauglicbe Spra- che übersetzt wenten. Damit -aus dem Denken ein neues Handeln wird. Andre .. Missbach WIDERSPRUCH .:....S4I08 Markos Wissen, BerndRöttger, So- . sanneHeeg(Hrsg.): PolitiesofScale. Räume der ·Globalisierung und Per- spektiven emanzipatorischer Westfälisches Dampfboot, .. 2008 (317 S.; 29.90) Erschütterungen hatte-es vorher schon gegeben, aber erit die Globalisierung . batdertraditionellenHnmangeographie endgültig den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Gleichsetzung von ..Raum"-mitNaturi die lange.als Grund· lage DisZiplin fungiert hatte, war nicht mehr aufrechtzuerhalten, als deutlich wurde,in welchem U1igeheuer- lieben Ausmaß produ- zierte TechnikNaturverändert. Unddje .orientierung an nationalstaatlich um:- grenzten Gebieten als ForscllUngsge- genständen der Geogruphie wurde of- fensichtlich obsolet, als grenzüber- schreitende·_ Praxis im Bereich von . Produktion und:Konsumtion, v.0I! Poli- .. tik und Kultur dominant wnrde. Im Ergebnis hat diese Erschiitlerung bisheriger Selbstverständlichkeiten die Geographie:von'ibrem bisherigen Sta- ttis der Hilfswissenschaft emanzipiert und sie zu einem der .. relevantesteil Ideenspeicher für PoliwlogInnen, So- zioIogInnen und kulturwissenscbaft- liche(n) Forscherlnilen" werden laSsen, :' schreiben Rianne;'cMahon upd Roger Keil im·vorliegenden Band.· Znm Teil ist dieser Bedeutungszuwachs aufden . sog. spatial turn zurückzufübren, der sich im Mainstream dei Gesellschafts- wissenschaft vollzog,_ als sich der Maßstab ökonomischer undpolitiscber Ptaxis nachdrücklich veränderte. So- weit dieser turn in cUe Gesell- . s_chaftswissenscJ;1aft Eingang erhielt,ist er_ ganz überwiegend in 'ab$trakten Reflexionen über den Raum verarbeitet worden. Die Herausgeber der Reip,e .. produktionen", deren dritter Band bier WIDERSPRUCH - 54!08 . zu besprechen ist, versuchen, die zen derartiger: Reflexionen dadurch und.überwindbar zu machen. dass sie weiterreichende _ analytische Konzepte verÖffentlieben. Dabei han- delt es sich msbesondere umDisku.ssio- nen im ZusammenhanR der sog. "Radi- cal Geography'\ um die Arbeiten der Klassiker dieser Forschungsrichtung wie vor'allemHenri Lefebvre und Da- vidHarvey,aberaueh nm Anwendungen und Fortentwicklungen dieser Ansätze, an denen hierzulande · gearbeitet. wird,. Auf diese Weise soU nicht nur dieDiskussion unter Geogra- pbinnen und GeOgrapben beeinllusst, sondern auch deutlich gemacht werden, dass . es den Gesellschaftswissen- -schaften an neuen Raumtheorie gebricht. Dieser Anspruch ist berecbtigt und . wird auch im vorliegenden Band der Reiheeingelöst,obwohl-un<!vielleicht sogar: weil - ·er die theoretischen und . analytischen Probleme, für die noch keine Lösung gefunden wurde, beson- ders deutlieb werden lässt. Beginnen Wir ,mit dem Titel: Dass die_ im Eng- lischen . gebräucb.Iiche Formulierung · Polincs 0/ Seal. für die deutsche. öffentlichung übernommen wurde, verweist auf eiO inbaltlicbes Problem. Wörtlich übersetzt niüsste ini Deut- schen von Politiken mit Ausrichtung auf unterschiedliebe die Rede sein. Dann sind w;! wiederum \lei einem Konzept; das scales in einordnet, ihnen jeweils spezifische Eigensch"ften und womöglich ein dialektisches Verbältnis· zuschreibt. Diese Gefahr ist auch in einigen · Beiträgen. zum vorliegendelJ; Band präsent (u.a. Stefan Kipfer, S; 91), be- sond.ers deutlich immer dann. wenD: die Zuordnung unterschiedlicher Kompe- tenzen zu lokalen, regionalen, natio- nalen oder internationalen politischen 199

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Politics of Scale. Räume der Globalisierung und Perspektiven emanzipatorischer Politik

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hatten den Boden dafür bereitet, so -dass es gelang, auf der nationalen Ebe­ne gegen den Widerstand des Wirt­schaftsministerium und der mächtigen Energiekonzerne die Förderung. von· emeuerbaren Energien durchzusetzen. Die unterlegenen Konzerne sammelten ihr~ Kräf~ auf der supranatiQnalen Ebene. Durch Lobbying der EU-Kom­mission ut'ld -das Weiterziehen einer KJage an denEuropäischen Gericbtshof .versuchten sie di~ verhasste Einspeise~ verfügung zu kippen.

Für, Förderung von emeuerharen Euergien als Teil einer wirklieben Lö­sung der. Klimaproblematik war. die Ebenederintemationalen Klimapolitik bisber irrelevant. Die Erfolge dieses Industriezweigsin Deutschland führte .. ber d!"'!!, dass sich die Deutsche Re­gi~ung mit der .. Renewables"~Regie­rungskonfeIenz 2004 in Bonnfiireinen .

. parallelen internationalen ProZess stark m~hte. Die Bedeutung.von- natiom\len

_ Vorreitern_fUr den Erfolg yqn interna­tionalen Ablrommen ist aus anderen . Bereichen. der internationalen (Um­welt-)Politik bekannt.

Das Thema der Anpassung an den Klimawandel wurde lange Zeit als Konkurrenz zu vorsorgendemHandeln gesehen und hatte deshalb weder bei den Vorre.itern unter den Staaten- noch unter den Umwelt-NGOs eine Lobby.

. Die besonderS betroffenen Entwick­lüligsläDder waren in den Klimayer~. hanlllungen marginalisiert nnd die di­rekt Betroffenen "verletzlichen" Gruppen vollständig ab;"esend:Bei der von der internationalen und nationalen Ebeneerfoigenden Problemdelinition und -eingrenznng stehen geograpbische (Trockengebiete, tiefliegende Küsten) oder _sektorale (Subsistenzlandwirt­schaft, Tourismus) Deterininanten von­Verwundbarkeit im Zentru~ nicht aber so?:io-ökonomische.-wie Margina~ lisierung oder Gender.

198

So überrascht. es auch nicht, dass eine Analyse der AnpaSsungsplanung in Tan'sani~ und Nicaragua' zu fol~ gendem Schluss kommt: ,,Die gegen-· wärtigen Instrumentarien und 'Strate­gien .zielen kaum auf die Förderung der Anpassungsfäbigkeit . der marginali­sierten Bevölkerung. Die lilteressen derjenigen Bevölkerungsgruppen; die ~ufgrund sozialer, ökonomischer, gen~ derspezifischer und struktureller As- . pekte besonders verwundbar gegenüm;r den Folgen des Klimawandels sind, fliessen in die. ebenenü1iergrelfend"n politischen Plannugs- und Entschei­dangsprozesse nicht oder nur sehr un­~ureichend ein." (Einleitung)

. Das Buch' ist ein überzeugendes Beispiel für ein "thinking outside the box", das die ausgetreten· Pfade deS: Mainstreams verlüsst und den Klima­wandel als eine tiefgreifende Gesell­schaftskrise analysiert .. Es zeigt; dass lokale, nationale .und internationale' . Politikprozesse nicht imabhängig von­einander. begriffen werden können. Dass -die _ an~prucbsvone, Integration von verschiedenen Theorien, Analyse­ebenen und' Themensträngen nicht immer Überzeugend gelingt und einige Kapitel daher eher. nebeneinander als . miteinander in Beziehung stehen, ist bei so einem ambitionierten Projekt den AutorInnen nachzusehen:· Ebenso.

. dass keine einfa.;henLösnngenprüsen­tiert werden kÖnneiC :'"

Lösungsansätze können nicht von oben verordnet werden, "sondern müs­sen im gesellschaftlieben Diskursent; wickelt V{erden~" Damitdas Buchseitien Beitrag dazu leisten kann, müssten die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem kollektiven sozialwissenschaftIichen Denkprozessh:erausgearbeitet und in . .eine alltags- mid poliliktauglicbe Spra­che übersetzt wenten. Damit -aus dem Denken ein neues Handeln wird.

Andre .. Missbach

WIDERSPRUCH .:....S4I08

Markos Wissen, BerndRöttger, So-. sanneHeeg(Hrsg.): PolitiesofScale.

Räume der ·Globalisierung und Per­spektiven emanzipatorischer Poli~. Westfälisches Dampfboot, Müns.ter~ .. 2008 (317 S.; € 29.90)

Erschütterungen hatte-es vorher schon gegeben, aber erit die Globalisierung . batdertraditionellenHnmangeographie endgültig den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Gleichsetzung von ..Raum"-mitNaturi die lange.als Grund· lage diese~ DisZiplin fungiert hatte, war nicht mehr aufrechtzuerhalten, als deutlich wurde,in welchem U1igeheuer­lieben Ausmaß ge~llschaftlich produ­zierte TechnikNaturverändert. Unddje .orientierung an nationalstaatlich um:­grenzten Gebieten als ForscllUngsge­genständen der Geogruphie wurde of­fensichtlich obsolet, als grenzüber­schreitende·_ Praxis im Bereich von . Produktion und:Konsumtion, v.0I! Poli- .. tik und Kultur dominant wnrde.

Im Ergebnis hat diese Erschiitlerung bisheriger Selbstverständlichkeiten die Geographie:von'ibrem bisherigen Sta­ttis der Hilfswissenschaft emanzipiert und sie zu einem der .. relevantesteil Ideenspeicher für PoliwlogInnen, So­zioIogInnen und kulturwissenscbaft­liche(n) Forscherlnilen" werden laSsen,

:' schreiben Rianne;'cMahon upd Roger Keil im·vorliegenden Band.· Znm Teil ist dieser Bedeutungszuwachs aufden

. sog. spatial turn zurückzufübren, der sich im Mainstream dei Gesellschafts­wissenschaft vollzog,_ als sich der Maßstab ökonomischer undpolitiscber Ptaxis nachdrücklich veränderte. So­weit dieser turn in cUe deu~he Gesell­. s_chaftswissenscJ;1aft Eingang erhielt,ist er_ ganz überwiegend in 'ab$trakten Reflexionen über den Raum verarbeitet worden.

Die Herausgeber der Reip,e .. Rauril~ produktionen", deren dritter Band bier

WIDERSPRUCH - 54!08 .

zu besprechen ist, versuchen, die Grt~n­zen derartiger: Reflexionen dadurch de~tlich' und.überwindbar zu machen. dass sie weiterreichende _ analytische Konzepte verÖffentlieben. Dabei han­delt es sich msbesondere umDisku.ssio­nen im ZusammenhanR der sog. "Radi­cal Geography'\ um die Arbeiten der Klassiker dieser Forschungsrichtung wie vor'allemHenri Lefebvre und Da­vidHarvey,aberaueh nm Anwendungen und Fortentwicklungen dieser Ansätze, an denen inzwis~hen-aucii hierzulande

· gearbeitet. wird,. Auf diese Weise soU nicht nur dieDiskussion unter Geogra­pbinnen und GeOgrapben beeinllusst, sondern auch deutlich gemacht werden, dass . es den Gesellschaftswissen­

-schaften an ein~r neuen Raumtheorie gebricht.

Dieser Anspruch ist berecbtigt und . wird auch im vorliegenden Band der Reiheeingelöst,obwohl-un<!vielleicht sogar: weil - ·er die theoretischen und . analytischen Probleme, für die noch keine Lösung gefunden wurde, beson­ders deutlieb werden lässt. Beginnen Wir ,mit dem Titel: Dass die_ im Eng­lischen . gebräucb.Iiche Formulierung

· Polincs 0/ Seal. für die deutsche. Ver~ öffentlichung übernommen wurde, verweist auf eiO inbaltlicbes Problem. Wörtlich übersetzt niüsste ini Deut­schen von Politiken mit Ausrichtung auf unterschiedliebe Ma~stähe die Rede sein. Dann sind w;! aber~cimel1 wiederum \lei einem Konzept; das scales in Hi~rarchien einordnet, ihnen jeweils spezifische Eigensch"ften und womöglich ein dialektisches Verbältnis· zuschreibt.

Diese Gefahr ist auch in einigen · Beiträgen. zum vorliegendelJ; Band präsent (u.a. Stefan Kipfer, S; 91), be­sond.ers deutlich immer dann. wenD: die Zuordnung unterschiedlicher Kompe­tenzen zu lokalen, regionalen, natio­nalen ~ oder internationalen politischen

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Institutionen diskutiert wird (Susanne Heeg). Die - im einzelnen durchaus interessanten - Ergebnisse hätten auch gefunden werden können, ohne dass vom Charme der angelsächsischen Terminologie (Bettina Köhler, S. 209) Gebrauch -gemacht worden wäre. Tat­sächlich benutzt etwaMargitMayer den Terminus nur in der Überschrift ihres Beitrages, spricht ansonsten aber- von Arenen. Auch für die Anwendung der Arbeitsgeographie von Andrew Herod auf ein konkretes Forschungsprojekt zum überbetriebliclienEngageme~t von Betriebsräten (Bernd Röttger) wäre mit dem Terminus .,Arena" durchaus aus­

, zukommen gewesen. Für einige Autorinnen_ und Autoren

zum vorliegenden Band liegt der Kern -der analytischen Konzeption Polities 0/ Seale in der Erkenntnis, dass Räume nicht nur durch konkrete ökonomische. politische und/oder kulturelle Strate­gien konstituiert werden, _also etwa

Au.I;"ch Verlagerung von Produktions­prozessen, durch mternationale gover­nanee oder die weltweite Vermarktung VOn Moden und Denkrichtungen, son­dern dass die so konstituierten Räume threrseits auf gesellschaftliche Prozesse und damit auch auf ganz ·konkrete Strategien zurückwirken. Wild diese Erkenntnis für kon~rete Analyse ge­nutzt, besteht allerdings die Gefahr, dass die neukonstituierten Räume ~eo­retisch gewissermaßen naturalisiert werden. Besonders deutlich wird diese Gefahr bei Versuchen, regulationstheo­retische Ansätze mit den änalytischen _Konzepten skalarer Praxis zu verknüp­fen (Christoph Scheuplein). Wir geraten hier leicht in jene Scholastik unter­schiedlicher Institutionen, die sich in vielen regulationstheoretischen Beiträ­gen finden lässt.

Andererseits beharrt etwa Anke Strüver nachdrü.cklich darauf, dass scales als analytische KonstrUkte zu .

200

verstehen und Skalierungen deshalb keinesfalls als konstitutive Elemente gesellschaftlicher Beziehungen miss­verstanden werden dürfen. Damit wird zugleich das in der Scale-Debatte be­liebte Konzept des jumping seale krIti­siert, das seales als· bereits bestehende Räume unterstellt, zwischen denen sich Akteure hin und her bewegen (kritisch auch MahonfKeil, Belina und Brenner). Um dieser Gefahr zu entgehen,schlagen einige vor, nicht seales-zu untersuchen, sondern skalare Praxis, also Strategien und Prozesse der Skalierung und Re­skalierung (nachdrücklich Belina). Der Fokus wird also auf Akteure und auf .

. deren einander widersprechende oder sich auch gegenseitig verstärkende Strategien !ier Veränderung räumlicher Maßstabsebenen verlagert.

Eine analytische Konzeption, -die darauf ausgerichtet wäre, das Verhält­nis zwischen sealing- als Prozeß und scale .-als - -noch. so .vorübergehender­Struktur zu· bestimmen. wird damit ausgeschlossen. Markus Wissen (S. 20) hält das für eine problematische Folge dieser Interpretation. Wer -sich ihr an­schließt, betont den instrumentellen Charakter -von Skalierungen und· sieht in diesen eine Dimension- der Räum­lichkeit sozialer Prozesse. Neil Brenner hebt hervor (S. 58, 80), dass es zusätz­liche Dimensionen räumlicher Prozesse gibt. Der Vorschlag (Paul zit. bei Ma­honlKeil, S. 41), statt von Globalisie­rung von resealing zu sprechen, ergibt sich folgerichti~ aus diesen Diskussio­nen.

Die Rezensent1n ist keine Geogra­phin. Trotz ihrer Beschäftigung mit der Integration der Humangeographie in Ge~enschaftswissenschaft tut sie sich deshalb immer noch schwer damit;dass physisch-materielle Bedingungen ge­sellschaftlicher PraXis in wissenschaft­lichen Diskussionen über Konzepte kritischer geographischer Analyse

WIDERSPRUCH - 54108

derzeit kaum eine Rolle spielen. Droso erleichterter war sie deshalb, in dem Beitrag von Matthias Bernt und Chri­stoph Görg den Hinweis zu finden, dass Fließrichtungen von Gewässern nicht gesellschaftlich konstruiert slnd (S. 246), ihrerseits aber durchaus Probleme aufwerfen können, die in gesellschaft­lich konstituierten Räumen bewältigt werden müssen. Tatsächlich werden im Zusammenhang der Diskussionen über Politics 0/ Seale - Bettina Köhler hat dies systematisch ausgeführt - Fragen nach Umwelt und- Kultur erst neuer-. dings gestellt (S. 208).

Dass ökologische Proze_sse sich nicht in die skalaren Strukturen staatlic

cher Regelungen einbinden lassen (Köhler, S. 213; Matthias Bemtl Chri­sloph Görg, S. 227f.), ist inzwischen ebenso Alltagswissen wie die Feststel­lung, dass die Definition eines ökolo­gischen Problems. vom jeweiligen Standpunkt abhängt. Globale Ressour­cennianagerdiskt.ttieren die Gefaludung des Regenwaldes· anders als .~e dort lebende Bevölkerung.(ibid, S. 213).

Hier treffen wir also wieder auf das potentielle scale jumping von Akteu­rinnen. ein Argument, dem_ sich wohl nichtentgeheIi lässt, sobald governance im Spiel ist (S.218). Köhler selbst konzentriert sich dann aber auf Ansät­ze, in denen die Produktion von· Natur thematisiert ist, anders gesagt~ in denen nicht nur wechselseitige Einflüsse zwi-·- . sehen gesellschaftlichep. und n~tür­lichen Gegebenheiten angenommen, sondern eine dermaßen weitgehende Durchdringung unterstellt wird. dass nicht mehr länger zwischen Natur und Gesellschaft unterschieden werden kann (S. 215).

Ebenso wie vorfindliche .. Natur" das Produkt einer langen Geschichte gesellschaftlicher Prozesse und Kon­flikte darstellt, ist jede politik zugleich "Umweltpolitik" (S. 217). Während es

WIDERSPRUCH - 54/08

sich dabei vielfach um nichtintendierte Handlungsfolgen ,handeln mag, wird die Strategie der skalaren Restrukturie­rurig häufig durchaus bewusst einge­setzt. wenn es darum geht, den Zugang zu natürlichen Ressourcen zu kontrol­lieren (S. 218).

Bernt/Görg weisen daraufhin, dass kritische Diskussionen im Feld der Umweltanalysen die unterschiec,llichen scales vorläufig zumeist noch als gege­ben unterstellen und _ damit wichtige Einsichten der Seale-Debatte (die Be-. deutung der Wahl einer- scale sowie Strategien der Reskalierung) ungenutzt bleiben. An zwei konkreten"_Problem­feldern, dem Millenium Ecosystem Assessment und der· Praxis des Stadt-. umbaus zeigen sie auf, welcher zusätz­liche analytische Gewinn ihrer Ansicht nach-aus den Ansätzen, die dem Zusam­menhang der Scale-Debatte entstam­men, zu ziehen ist.

. Ebenso wie gegen weitere Beiträge zu di~sem Band lässt sic.h de~noch einwenden;dass eine stringente wissen­sch~ftliche Analyse_ der räumlichen Dimensionen -gesellschaftlicher Praxis auch ohne die Terminologie der Politics ofSeale ausk9mmen kann. Worauf sie allerdings nicht verzichten kann, ist die nachdrückliche Warnung vor scalar traps, vor Argumentationen also, die einzelnenscales, levels, sites bestimmte Eigenschaften- und eine - zUD;lindest zeitweise Dauer zuschreiben. Kaum jemand ist besser gewappnet, diese· Warnungen theoretisch überzeugend zu formulieren als- Geographinne_n. und Geographen;die sich gründlich mitder Kritik esseritialistischer Raumkonzepte beschäftigt haben. Der vorliegende Band ist deshalb allen zu empfehlen, die sich an die Analyse von Städten, von Ressourcenkonfiikten. von governanee und von Strategien globaler Restruktu­rlerung wagen wollen.

Heide Gerstenberger

201

Durch,chnitt im Gesamtumfang von fünf Monaten im Laufe des gesamten Studium,. Fast jedelr zweite Absol­ventlin (46,1 %) hat Erfahrungen in freiberuflicher Tatigkeit gesammelt.

Hohe Internationale Ausrichtung: Fast zwei Drittel (65,9 %) der Dortmun­der Absolvent/innlen haben fachbezo­gene internationale Erfahrung während des Studiums erworben .. Dabei handel­tees sich um ein Austauschstudium an einer ausländischen Hochschule (44 %), um Praktika außerhalb Deutsch­lands (21,1 %) oder um Studienprojekte mitThemen und Aufenthalten im Aus­land (31,5 %). Für 9,3 % der Absolventl innlen ergab sich nach dem Studium eine Beschäftigung im Ausland, die auch zum Zeitpunkt der Befragung noch ausgeübt wurde. Dabei dominiert eindeutig Europa als Arbeitsmarkt. Aber auch bei den in Deutschland arbei­tenden Berufsanfängerlinneln spielen internationale Bezüge für ihre Tatig­keit eine Rolle. Jeweils 31,5 % gaben zudem an, dass Auslandserfahrungen und Fremdsprachenkenntnisse wich­tige Qualifikationen für ihre ersten Ein­stellungen waren.

Großer Stellenwert von Weiter­qualifikationen: In Hinblick auf die perspektivische Übernahme von Lei­tungsaufgaben durch die Absolventl innlen ist zu berücksichtigen, dass ein gutes Viertel von ihnen sich entweder über ein städtebauliches Referendariat (16,8 %) oder eine Promotion (8,6 %) weiterqualifiziert. Darüber hinaus ha-

i " ben 7,8 % ein weiteres, aufbauendes Zusatzstudium aufgeno~men bzw. absolviert und 13,4 % ihre Qualifikati­onen für den Arbeitsmarkt durch un­terschiedlichste und in der Regel we­niger umfangreiche Weiterbildungs­maßnahmen geschärft.

Ungleiche Berufschancen für Mönner und Frauen: Bei allen Unter­schieden im Detail sind die nach Ge­schlechtern differenzierten Daten im Bereich des Studiums weit weniger auffällig als beim Berufseinstieg und den Beschäftigungsverhältnissen. Für das Studium lässt sich zunächst fest- ' halten, dass Frauen tendenziell etwas bessere Abschlussnoten erzielen und mit ,einer etwas geringeren Studien­dauer auskommen. Auch sammeln sie

BUChe,1

mehr Auslandserfahrung, während die i , Männer etwas mehr Praxiserfahru~g in ,

::::~:uf!~~:~~~:~:E~::::~:~~~:~ I Absolventen insgesamt schneller und : leichter gelingt. Dies lässt sich unter . Umständen dadurch erklären, dass die I männlichen Absolventen in wesent- , lieh stärkerem Maße über Kontakte, i j Netzwerke und vorherige Beschäfti­gungen ihre erste Einstellung erhalten

haben als Frauen (62 zu 48,8 %). Nach Beschäftigungsverhältnissen dominie­ren die Frauen dann deutlich stärker im Öffentlichen Dienst(56,8 zu 36,6 %), die Männer dementsprechend in der Privatwirtschaft (46,6 zu 35,1%). Beson-ders auffällig ist, dass Beschäftigungen an Hochschulen für Frauen eine große Rolle spielen (25,7 zu 8,4%).

Auch bei der Qualität der Beschäf-tigungsverhältnisse lassen sich deut­liche Unterschiede zwischen den Ge-schlechtem feststellen, etwa in einem etwa doppelt so hohen Anteil von Absolventinnen in Teilzeitbeschäfti­gungen (14,9 zu 6,1 %) Und von Ab-solventen in Leitungsfunktionen (42,7 zu 24,4 %), Diese Unterschiede lassen sich auch beim Gehalt ablesen, wo-nach Absolventinnen nur auf 90 % des monatlichen Bruttoeinkommens der Absolventen kommen.

Ulla Greiwe und Volker Kreuzer sind Dipl.-Ing. Raumplanung,

Thomas Terfrüchte ist cand. ing. Raumplanung, AUe drei arbeiten am Studien- und Projektzentrum

des Instituts für Raumplanung (IRPUD) der Fakultät Rdumplanung,

Technische Universität Dortmund.

Literatur Bade, F.-JJBrand, CJGreiwe, U.ITerfrüchte,

TJUsunpv, K.: Absolventfnnenbefra­gung 2005, Arbeitspapiere des Instituts für Raumplanung, Nr. 185. Universität Dortmund 2005

Briedis, K.: Obergänge und Erfahrungen nach dem Hochschulabschluss. Ergeb­nisse der HIS-Absolventenbefragung des Jahrgangs 2005, Hannover 2007

Greiwe, UJKreuzer, VJTerfrüchte, T.: Absol­vemlnnenbefragung 2007. Materialien "studium und Projektarbeit" 10. Zur beruflichen Lage der AbsolventInnen

, der Abschlussjahrgänge 2002 bis 2006 der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund. Dortmund 2008

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I • Markus Wissen, Betnd Röttger,

Susanne Heeg (Hg.)

Politics of Scale 1 und Perspektiven : emanzIpato-

rischer Politik. Raumproduk­tionen: Theorie

l Münster 2008, , ISBN 978-3-I ' ~;~}:~;~;~'€ 1 Mit "Raumproduktionen: Theorie und

i.: g~SellschaftBlichhe PhraXisd': befahsst

l sich

, eine neu~ uc re, e, ,e Sie a s e,n 1 Forum kritischer Raumforschung im : Rahmen kritischer Gesellschaftstheo­: rie versteht. Die Beiträge in dieser Rei­l he bewegen sich jenseits des "Main­

!,.! streamll und wollen alternative For­schungsansätze und Debatten um ge­

i sellschaftliche Raumverhältnisse in die ! i raumbezogenen Wissenschaften ein-i bringen. Auch wenn der "Kritik"-Begriff , dabei vielleicht überstrapazieri wird, : so ist das Ansinnen der Buchreihe und ,

RaumPlanung 138/1~9 181

9

!BüCher

·damit des in ihrem Rahmen erschie- i der Raum- und Umweltforschung (z.

~~nb::~~~n~~~ti;Ö~i~~:~::i::~~~~ ! :~::~~i~~s~~:o~;:~~~~~:~~i:':)t!~ i

gefahrene Debatten mit neuen Denk- i feministisch-geografischen Ansätzen anstößen bereichert werden können.

Ein solcher Denkanstoß ist die "Scale-Debatte" der angloamerikani­schen Radical Geography. welche die räumlich-maßstäblichen Dimensionen sozialen Handeins diskutiert. Es geht darum. wie Akteure durch skalare Stra­tegien (das heißt durch Produktion und Veränderung räumlicher Maßstabsebe­nen) versuchen. Machtverhältnisse zu festigen. zu verschieben oder zu be­kämpfen. Der Sammelband stellt das Scale-Konzept vor, reflektiertes aus der Perspektive weiterer Ansätze kritischer Gesellschaftstheorie undwill seine po­litischen ImpJikationen thematisieren. Er öffnet so die deutschsprachige For­schung fOr international gefOhrte Dis­kussionen - auch indem Wissenschaft-ler wie Roger Keil oder Neil Brenner als Autoren in dieser Publikation direkt zu Wort kOmmen und indem immer wie­der auf Erkenntnisse und Annahmen von Forschern wie Henri Lefebvre. DavidHarvey. Bruno Latour oder Eric Swyngedouw Bezug genommen wird.

Damit geht notwendigerweise eine gewisse Theorielastigkeit des Bandes einher. Direkt praxisrelevante Erkennt­nisse fOr die räumliche Planung sind aus diesem Band nicht zu gewinnen. auch der selbstformulierte Anspruch. "Perspektiven emanzipatorischer Po­litik" zu bieten. wird kaum eingelöst. Dazu hätte es zweifelsohne einer Zu-sammenfassung bedurft. welche die theoretischen Erkenntnisse der Einzel-beiträge aufeinander bezieht und zu gemeinsamen. möglicherweise. dann auch politikrelevanten Schlussfolge­rungen zusammenfOhrt. In Ermange­lung dessen sind die Leser/innen selbst" gefordert. aus den Einzelkapiteln des Bandes Schlussfolgerungen fOr For­schungsansätze bzw. politisches und planerisches Handeln zu ziehen.

Die möglichen AnknOpfungspunk­te hierfOr sind vielfältiger Art: $0 setzt etwa Settina Köhler die Scale-Debatte in Bezug zu ökologischen Fragestel­lungen und thematisiert Matthias Bernt gemeinsam mit Christoph Görg Skalenprobleme als Herausforderung

182 RaumPlanung 138/139

1 i (A. StrOver) werden Forschungslinien

i aBUf~ehgriffen Undtztzudrscdale-D~batteu in i eZle ung gese i le erzelt zu n­i recht keine "Konjunktur" (mehr) in den , i Raumwissenschaften haben. 1 Es ist eine große Stärke der Scale­I . Debatte. die "Verwobenheit"· räum­I lichen Handeins abzubilden. Demnach

ist es beispielsweise abwegig. die I Globalisierung als einen universellen i Sachzwang aufzufassen. der quasi "von i oben" auf die Raumebene der Stadt i trifft und dort Handlungserfordernisse 1 auslöst. Lokale Probleme und Einfluss­i möglichkeiten sind zwar von natio-1 nalen und globalen Ebenen beein­I flusst - umgekehrt gilt dies allerdings ! ganz genauso. Die~e IIlnterdependenz­: knäuel" (Bernt/Görg) sind typisch fOr i 1 eine Welt. in der die Nationalstaaten i ihre Möglichkeiten fOr hierarchische , , Anordnungen in ihrem Herrschaftsbe-! reich zugunsten supranationaler und 1 regionaler Strukturen eingebOßt haben. i Die Scale-bebatte bereichert die poli-1 1 tikwissenschaftliche (und auch in der : Raumwissenschaft vielfach. rezipierte) : Debatte um IIMultj-leve'-Governancef~ i indem die räumlichen Maßstabsebe-, , nen politischen Handeins (z. B. Nation. i Region. Stadt) nicht mehr einfach als i gegeben hingenommen werden. son­I dem die durchaus konfliktreichen Pro­: zesse ihrer Produktion und Reprodukti­i on in den Mittelpunkt gerOckt werden. 1 1 Dabei spielen auch .emallzipatorische i Bewegungen eine Rolle (Beitrag Margit i Mayer). wenn lokale Anliegen im globa­lien Maßstab artikuliert werden und sich ! dadurch Handlungsräume verändern -i z. B. im Rahmen der Weltsozialforen. i Politics of Scale ist kein Buch für i Feinde von Anglizismen oder fOr Le­i ser/innen. die raumtheoretische Ab­i handlungen gerne als"Begriffsschiebe­irei" abtun. Wer jedoch einen kritischen i Blick auf die Rekonfiguration räum­. lichen Handeins in Zeiten der Glo­j balisierung werfen will und offen für . i gesellschaftstheoretische Herausfor­i derungen in den Raumwissenschaften !

'

1 ist; der wird hier Anregungen finden. Ludger Gailing, Berlin

• Götz von Rohr (Hg.)

Nachhaltiger Tourismus an Nord- und Ostsee S,=,:;,:~~~~~~n und ~mög~ C' IIchkeiten der

Landes~ und Rew

gionalpfanung, Arbeitsmaterial der ARL Nr. 340. Selbstverlag der Akademie für Raumforschung und Lpndesp'a~ nung. Hannover 2008, IS8N: 978-3-88838·340-3, 1265.,23,- €

In den deutschen KOstengebieten an Nord- und Ostseeist der Tourismus­bereich einer der wichtigsten ökono­mischen Impulsgeber. So hängen al­lein in Schieswig-Hoistein ca. 120.000 Arbeitsplätze von der Tourismuswirt­schaft ab. die dort ca. 5 Mrd. € Um­satz erzielt. Das sich verändernde Konsum- und Freizeitverhalten hin zu häufigeren und kürzeren Reisen. preis­werten Flugreisen mit Billigfluglinien sowie eine immer stärkere Differenzie­rung von Reisenden als Zielgruppen stellen eine Herausforderung für die

großen Tourismusdestinationen dar: Es müssen immer neue Themen und Profile entwickelt werden.

Unvermeidliche Nutzungskonflikte. insbesondere solche zwischen einem weiter expandierenden. ökonomisch erwünschten Tourismus und einer öko­logisch extrem sensiblen und schutz­bedOrftigen Naturlandschaft in den Küstenbereichen machen auch eine Anpassung \ler raumordnerischen und landesplanerischen Zielvorstellungen und Instrumente erforderlich.

Die Arbeitsgruppe "Nachhaltige Tourismuseniwicklung an Nord- und Ostsee" der Landesarbeitsgemeinschaft Bremen. Hamburg. Niedersachsen. Schieswig-Hoistein in der Akademie fOr Raumforschung und Landesplanung (ARL) hat zu diesem Spannungsbogen einen Oberblicksband herausgegeben.

Darin werden Länderprofile zum. Küstentourismus in den beteiligten Ländern Niedersachsen und Schles­wig-Hoistein vorgestellt. ergänzt um eine ausfOhrliehe Darstellung der schleswig-holsteinischen Tourismus­strategie 2006 und bezogen auf ihre

HR 2.2; NR 2.22, 2.27, 5.42, 4.43 Markus Wissen / Bernd Röttger / Susanne Heeg (Hrsg.) Politics of Scale. Räume der Globalisierung und Perspektiven emanzipatorischer Politik Münster: Westfälisches Dampfboot 2008 (Raumproduktionen: Theorie und Gesellschaftliche Praxis 3); 317 S.; 27,90 €; ISBN 978-3-89691-669-3

Der dritte Band dieser Buchreihe knüpft an zentrale Themen der im deutschen Sprachraum noch wenig verbreiteten .. Radical Geography" an, die mit Namen wie David Harvey, Doreen Massey oder .Edward Soja verbunden ist. Im Mittelpunkt steht die räumliche Dimension sozialer Konflikte, das dialektische Verhältnis zwischen Raum und Handeln. Dabei geht es nicht nur um die selektive Wirkung gegebener (geografischer) Räume auf die Tätigkeit unterschiedlicher sozialer Kräfte, sondern umgekehrt auch um die Produktion und Veränderung von (realen und fiktiven) Räumen mit dem Ziel, Machtverhältnisse zu festigen oder zu bekämpfen. Ausgehend von raumtheoretischen Reflexionen in Teil 1, mit denen zentra.le Konzepte der angloamerikanischen Scale-Debatte vorgestellt und diskutiert werden, analysieren die Autoren im weiteren Verlauf die Bedeutung dieser Debatte für sozialwissenschaftliche Konzepte wie Staat, Herrschaft und Macht. Zudem werden empirische Anwendungen in der Stadt-, Umwelt- und EU-Forschung vorgestellt sowie schließlich politische Perspektiven am Beispiel sozialer Bewegungen und gewerkschaftlicher Revitalisierungsperspektiven diskutiert. Ein längst überfälliges Buch, welches die inzwischen gut 3D-jährige Tradition der Radical Geography endlich auch einem breiteren Lesekreis von Studierenden und Sozia.lwissenschaftlern in Deutschland zugänglich macht. / BW (Autoren-Liste ZPol)

Erschienen online: 21.05.08

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Wissen, Markus, Bernd Röttger u. Susanne Heeg (Hg.), Polities oi Scale: Räume der Globalisierung und Perspektiven emanzipatorischer Politik, Westfälisches Dampfboot,

Münster 2008 (317 S., br., 29,90 €) Der >Spatial Turn< in den kritischen Sozialwissenschaften wird hier von Rianne Mahon

und Reger Keil vor dem _Hintergrund der traditionellen Skepsis der Linken gegenüber dem Raum dargestellt: » Beim Raum ging es um den Staat. Bei der Zeit ging es um die Revolution.« (35) Dann aber kam die sog. Globalisierung, und die Linke musste lernen, dass, so Markus Wissen, soziale Kämpfe auch immer eine räumliche Dimension haben, und dass die Reorganisation von Raum »ebenso Voraussetzung wie Medium und Resultat der Verschiebung soZialer Kräfteverhältnisse« ist (9). Es geht aber nicht einfach nur um den Raum, sondern um eine weitere Kategorie der Raumforschung, die Scale. Neil Brenner unterscheidet vier »Dimensionen der Räumlichkeit sozialer Prozesse«, und argumentiert, dass keine Perspektive, die eine dieser Dimensionen privilegiert, vollständig sein kann: das »Prinzip des Ortes«, der geographischen Nähe, der lokalen Einbettung der sozialen Prozesse; das Prinzip der Territorialität, des Ein- und Ausschlusses; jenes des Scaling, der vertikalen Differenzierung sozialer Beziehungen; und das der Vernetzung (60f). WaruI? also der Fokus auf Scale? Der Grund dafür liegt in der Globalisierungsdebatte. Dort dOITll­nierte zuerst die Darstellung der Globalisierung als Naturereignis und Sachzwang. Es kam, so Bernd Belina, zur Naturalisierung der globalen Scale und ihrer Dominanz über andere (115). Die linke Antwort auf diese Tendenz beging nun denselben Fehler und flüchtete sich in einen defensiven Lokalismus, oder das, was Matthias Bemt und Christoph Görg die »lure ofthe local~~ nennen: eine Betrachtungsweise, welche »die lokale Ebene geradezu als Gegengewicht zur Globalisierung, als Refugium alternativer Lebensweisen« konstruiert 0.26). Gegen diese Tendenz zur Glorifizierung sowohl des Globalen als auch des Lokalen entfaltet das Scale-Konzept seine Kraft. Zentrales Argument ist, dass räumliche Maßstabs­ebenen - also das >Lokale<, >Nationale<, >Globale< etc. - »nicht vorgegeben existieren, sondern sozial konstruiert oder produziert werden« (209). Das heißt, dass auch das Lokale nicht apriori als Ort einer emanzipatorischen Praxis angesehen werden kann, sondern zuerst auf die dort vorherrschenden, und eine Lokalität erst als solche produzierenden, sozialen Kräfteverhältnisse hin untersucht werden muss.

Anke Strüvers feministische Perspektive auf die Debatte wirft hier aber eine interes­sante Frage auf: Kann es sein, dass die Kritik an der Überhöhung >des Lokalen< ein wenig ins Leere läuft, weil sie auf eine Strohfrau zielt? Kann es sein, dass die Konzentration auf die lokale Ebene keine ontologische ist, sondern eine Frage des »strategischen Essentia­lismus« (130)? Bemt und Görg formulieren eine vorsichtige Kritik an einer Position, die nur von der »<resellschaftlichen Produktion des Raumes« ausgeht: wie kann diese mit nicht gesellschaftli~h konstruierten räumlichen Dimensionen von Ökosystemen umgehen, w~e z.B. der Fließrichtung eines Flusses (246)? Stefan Kipferverteidigt Lefebvres Raumtheone und sein Konzept des Urbanen gegen die Übernahme durch die Scale-Debatte, indem er zei<rt, dass das Urbane als genuin >multi-skalare< Problematik vom Scale-Konzept nicht aus~eichend erfasst werden kann (99). Henning Füller und Boris Michel argumentieren, dass Scale nicht nur ein inhaltlich unscharfes Konzept sei und Gefahr liefe, eine neue Runde des sog. Raumfetischismus einzuläuten, es transportiere auch »ein sehr reduziertes Machtverständrus« (152) - und schlagen im Gegenzug eine foucaultsche Machtanalytik vor. Ulrich Brand argumentiert, dass die durchaus produktive Scale-Debatte an zwei Problemen leide: erstens an einer Untertheorisierung des Staates (174); zweitens an der irrigen Annahme, die Produktion räumlicher Maßstabsebenen sei unproblematisch und leite sich relativ direkt und ungebrochen aus den Intentionen mächtiger Akteure ab (175ff)

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- um diese Probleme zu umgehen, schlägt er einen Rekurs aufPoulantzas und Gramsci vor. Christoph Scheuplein geht weniger auf die Scale-Debatte als solche ein, sondern diskutiert die Herangehensweise der französischen Regulationstheorie an das Problem der sozialen Konstruktion des Raumes. Bettina Köhler wiederum zeigt die produktiven Möglichkeiten der Verbindungzwischen der Diskussion über Polities ofScale und der Debatte über Political Ecologylgesellschaftliche Naturverhältnisse auf. Die Verbindung zwischen diesen beiden Ansätzen verortet sie in einem gemeinsamen »historisch-geographisch-materialistischen« Verständnis der gesellschaftlichen Produktion des jeweiligen Analysegegenstandes: Scales in einem Falle, >die Natur< im anderen (217ft), wobei Political Ecology ihrer Meinung nach dadurch bereichert würde, dass ihre Tendenz zur Naturalisierung bestimmter Maßstabs­ebenen problematisiert würde.

Der Untertitel des Bandes verspricht Perspektiven emanzipatorischer Politik - diese kommen jedoch zu kurz. Erst die zwei letzten Beiträge nehmen sich dieser Frage ernsthaft an. Margit Mayer analysiert die multiskalaren Praxen städtischer und globaler sozialer Bewegungen als Reaktion auf das scale-jumping verschiedener Machtapparate, auf welche sich diese Bewegungen beziehen. Es wird deutlich, wie lokale Bewegungen auf Protestre­pertoire und auch Machtressourcen anderer Scales zUIÜckgreifen ebenso, wie sog. globale Bewegungen immer auch in anderen Scales verwurzelt sind. Sie weist aber darauf hin, dass die von Brenner erwähnten anderen Dimensionen von Räumlichkeit ebenso notwendig sind, um die emanzipatorische Politik: heutiger sozialer Bewegungen zu verstehen (281). Bernd Röttgers Beitrag sticht mit Bezug auf die Kreativität des Ansatzes und die politische Qualität der formulierten These hervor: Sich auf einen Gramsci beziehend, der über den bekannten Theoretiker der Hegemonie deutlich hinausgeht, argumentiert er, dass sich aus der heutigen Krise der Gewerkschaften heraus Elemente einer neuen, autonomen Arbeiter­politik entwickeln. Er besteht darauf, dass diese neuen Kampffonnen sich vor allem auf der betrieblichen Scale konstituierten, um dann von dort aus auf anderen Scales, zum Beispiel den zivilgesellschaftlichen, Bünqnisse zu schmieden. - Am Ende bleibt der Eindruck, dass das zentrale Argument der Scale-Debatte, welches von Betina schon als »truism«, als Gemeinplatz bezeichnet wird-nämlich dass »die räumlichen Maßstabsebenen des Sozialen gesellschaftliche Produkte sind« (111) - eine durchaus produktive Feststellung ist, aber mittlerweile eben doch auch ein Gemeinplatz. Allerdings einer, der häufig vernachlässigt wird. Tadzio Müller (KassellBerlin)

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und in der Praxis administrativ­repressiven Führungsrolle der Partei schieden sich die Geister in Prag und Berlin." Zwar seien Wirtschaftsre­formen, die eine höhere Effizienz, auch eine gewisse Selbständigkeit der Betriebe und ein nach unten de­legiertes Gewinnstreben beinhalte­ten, grundsätzlich möglich gewesen. Nicht möglich hingegen wäre gewe­sen, die politischen Strukturen mit der letztendlichen Entscheidungsbe­fugnis der Partei und ihrer Führung anzutasten, was eben in der UdSSR der Fall war. Auch durften "die nati­onalen Reformversuche... nicht mit den sowjetischen allgemeinpoliti­schen und geostrategischen Interes­sen kollidieren ... " Typisch sei der Vorstoß der "Anti reformer gegen Ulbricht [gewesen], die sich genau wie Breshnew an dessen Anspruch rieben, das Sozialismuskonzepts jen­seits der Weisungen Moskaus wei­terzuentwickeln ... " Aus dieser Konstellation heraus hät­ten sich fur die Reformbestrebungen in den europäischen sozialistischen Ländern weitreichende Konsequen­zen ergeben: "Das Niederwalzen des Prager Frühlings fuhrte eben auch zum Zerschlagen des Reformansat­zes in der DDR und einer generellen Verkürzung reformerischer Ansätze auf wirtschaftlichem Gebiet, weil selbst ohne eine tatsächliche Demo­kratisierung das größere Gewicht der ökonomischen Eigendynamik immer auch eine Infragestellung der Füh­rungsrolle der Partei bedeuten muss­te, in dem Politbürokraten zumindest durch Technokraten hätten verdrängt werden können." (80) Hier wird ein weiterer Aspekt der "unverstandenen Weichenstellung"

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des Jahres 1968 gekennzeichnet: Es wurde allgemein im linken, sozialis­tischen Kräftespektrum nicht begrif­fen, dass Ende der 60er Jahre trotz anhaltender, noch immer Euphorie erzeugender Erfolge perspektivisch das Tor aufgebrochen wurde fur Ero­sion und Niedergang des realen So­zialismus im Osten, fur eine globale neoliberale Transformation des Kapi­talismus im Westen und dass diese beiden Entwicklungen schließlich ei­ne Niederlage aller linken und sozia­listischen Kräfte mit sich brachten und diese mit einer neuen "Weichen­stellung" konfrontierten.

Harald Neubert

Raumproduktionen Bernd Belina/Boris Michel, (Hrsg.), Raumproduktionen. Beiträge der Radical Geography - Eine Zwi­schenbilanz, Westfälisches Dampf­boot, Münster 2007, 307 s., 27,90 Euro;

Uwe Krächer, Die Renaissance des Regionalen. Zur Kritik der Regiona­lisierungseuphorie in Ökonomie und Gesellschaft, Westfälisches Dampf­boot, Münster 2007, 350 s., 29,90 Euro;

Markus Wissen/Bernd Rött­ger/Susanne Heeg, Politics 0/ Seale. Räume der Globalisierung und Per­spektiven emanzipatorischer Politik, Westfälisches Dampfboot, Münster 2008,317 s., 29,90 Euro

Die Klage über die "Raumverges­senheit" der Sozialwissenschaften zieht sich durch die letzten Jabrzehn­te. Zumindest in Deutschland hat dies einen besonderen Grund im Na­tionalsozialismus, der "das ganze

Buchbesprechungen

Vokabular aufgesogen oder doch zumindest kontaminiert" hat. Die Beschäftigung mit dem "Raum" war daher nach 1945 fast anrüchig; jahr­zehntelang galt es häufig als reaktio­när, sich mit dem "Raum" zu be­schäftigen. Mittlerweile erleben die Sozialwissenschaften jedoch einen beispiellosen "Spatial Turn": Dies schlägt sich in einer mittlerweile nicht mehr überschaubaren Flut von Buchveröffentlichungen zu diesem Themengebiet nieder. Doch die deutsche Debatte leidet un­ter der nach wie vor unzureichenden Zugänglichkeit zentraler Texte, die seit den 1970er Jahren vorwiegend in Englisch, teils auch in Französisch erschienen, bis heute aber nicht in das Deutsche übersetzt worden sind: Dies gilt gleichermaßen fur Henri Lefebvres 1974 erschienenes Buch "La Production de l'Espace" wie fiir David Harveys 1973 erschienenes Buch "Social Justice and the City". Zum Schließen dieser Lücke trägt nach einem von Jörg Dünne und Ste­phan Günzel 2006 herausgegebenen Band mit Grundlagentexten aus Phi­losophie und Kulturwissenschaften nun eine weitere Veröffentlichung bei: Bernd Belina und Boris Michel sind Herausgeber einer Zwischenbi­lanz mit Beiträgen der Radical Ge­ography. Es ist der erste Band der mittlerweile drei Bände umfassenden Reihe "Raumproduktionen". In der Einleitung zu ihrer Zwischen­bilanz der Radical Geography erläu­tern Belina und Michel, dass ihr Inte­resse vor allem der spezifischen Rol­le gilt, "die Räumlichkeit in sozialen Prozessen gegebenenfalls spielt" (8). Für sie zeichnen sich Versuche,

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"Raum" in kritisch-materialistischer Theorie zu integrieren, zudem da­durch aus, keine abstrakte Theorie "des Raumes" formulieren zu wol­len; vielmehr werde das Raumkon­zept jeweils in Bezug auf die konkre­te Problemstellung entwickelt. Der Sammelband bietet im ersten Teil ("Raumtheorie") eine Auswahl stärker theoretisch orientierter Bei­träge: So etwa David Harveys Aus­einandersetzung mit der Konstrukti­on einer historischen Geographie von Raum und Zeit (1990); ein Kapitel aus N eil Smiths Buch" Uneven Dele­lopment. Nature, Capital and the Production of Space" (1984); ein Kapitel aus Edward Sojas Buch "Postmodern Geographies" (1989) und Doreen Masseys Aufsatz "Poli­tik und Raum/Zeit" (1992).

Der zweite Teil ("Raumforschung") präsentiert konkrete Raumproduktio­nen und stärker empirische Untersu­chungen: unter anderem über Soziale Reproduktion in der privatisierten Stadt (Cindi Katz, 200 I), Klassen­kämpfe in Baltimore (Andy Merri­feld, 2002) oder Ursachen und Folgen der Anti-Obdachlosen-Gesetzgebung in den USA (Don Mitchel, 1997). Gegenstand der Dissertation Uwe Kröchers - zweiter Band der Reihe Raumproduktionen - ist die Frage, ob die Region fiir ökonomische und gesellschaftliche Zusammenhänge in der aktuellen gesellschaftlichen Ent­wicklung an Bedeutung gewinnt, wie von neueren regionalwissenschaftli­chen Ansätze behauptet.1

I Zu die,en An,ätzen zählt l(,öcher n.a. Ar, beiten über die räumlichen Ballungen von gleichartigen Unternehmen vor allem im "Dritten Italien", das Konzept regionaler

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Als Ergebnis seiner Rekonstruktion verschiedener neuerer regionalwis­senschaftlicher Ansätze und ihrer theoretischen und empirischen Kri­tik, stellt er fest: "Aus den theoreti­schen und empirischen Überlegun­gen lässt sich [ ... ] kein genereller Bedeutungsgewinn räumlicher Nähe ableiten, bei dem kleinräumige Pro­duktionsbeziehungen eine Renais­sance erfahren." (281) Obwohl die Arbeiten des new regio­nalism "hauptsächlich in einem pro­gressiv geformten Wissenschaftsmi­lieu entstanden [sind]" (282), sind sie dennoch anschlussfahig an neolibera­le Konzepte und "fungieren [ ... ] als Steigbügelhalter bei der neo liberalen Wettbewerbsformierung". (283) Als dominante Tendenzen für die ak­tuelle Raumordnungspolitik stellt Kröcher fest, dass die Zunahme "wei­eher" Steuernngsinstrumente nicht zum erhofften Machtgewinn der loka­len oder regionalen Ebene führt, son­dern der Durchsetzung des neolibera­len Programms von mehr Wettbe­werb und Privatisierung dient. Statt auf eine überregional ausgleichende Steuerpolitik wird zunehmend auf den marktwirtschaftlichen Wettbe­werb zwischen den Regionen gesetzt. In diesen Rahmen eingebettet dient die partielle Regionalisierung von Staatlichkeit vor allem "der Durch­setzung marktlieher Steuerungsmög­lichkeiten und einer besseren Privati­sierung bisher öffentlich organisier­ter Aufgabenbereiche". (295) In der angloamerikanischen Radical Geography wird seit einiger Zeit ü-

Produktionscluster oder dem "global city"­Ansatz.

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ber die räumlich-maßstäbliche Di­mension sozialer Konflikte disku­tiert. "Es geht darum," - so die Her­ausgeber des Sammelbandes über Politics of Scale2 in ihrem Vorwort -"wie Akteure durch skalare Strate­gien, d.h. durch die Produktion und Veränderung räumlicher Maßstabs­ebenen Machtverhältnisse zu festi­gen, zu verschieben oder zu bekämp­fen versuchen." (7) Um diese Debatte im deutschen Sprachraum bekannt zu machen, werden im dritten Band der Reihe Vorträge einer Konferenz in Toronto und eines Workshops in Wertpfuhl bei Berlin dokumentiert. Aufschlussreich ist die Einleitung von Markus Wissen (Zur räumlichen Dimensionierung sozialer Prozesse), der betont, "dass es sich bei der Schaffung, Abschaffung oder relati­ven Aufwertung von Maßstabsebe­nen nicht einfach um räumliche Kon­flikte, sondern um eine räumliche Dimension sozialer Konflikte han­delt", mit "skalarer Dimension", also die räumliche Maßstäblichkeit sozia­ler Prozesse gemeint ist. Zentral auch die Einschätzung, dass solche Pro­zesse "keineswegs neutrale, sondern zutiefst herrschaftsförmige Prozesse [sind]." (9) Zum Verständnis der Scale-Debatte sei es daher wichtig, sich die Umkämpftheit und Verän­derlichkeit von räumlichen Maß­stabsebenen bewusst zu machen.

2 Für den Begriff Scale lässt sich im Deut-schen nur schwer eine adäquate Überset­zung finden. Er bezeichnet sowohl die ein­zelne räumliche Maßstabsebene als auch das Verhältnis verschiedener Maßstabsebe­nen zueinander. In dem besprochenen Band wird deshalb die englische Bezeichnung Scale in vielen Fällen beibehalten.

Buchbesprechungen

Der Sammelband bietet Raum, um die Annahmen, Kategorien und Er­gebnisse der Scale-Debatte kritisch zu überprüfen und weiterzuentwi­ckeln: zunächst aus einer raumtheo­retischen Perspektive (mit Beiträgen von Rianne MahonIRoger Keil, Neil Brenner u.a.); dann indem die Scale­Debatte in Beziehung zu solchen An­sätzen gesetzt wird, die in den deutschsprachigen kritischen Sozi­alwissenschaften stärker diskutiert werden, also beispielsweise mit dem Poststrukturalismus (Henning Fül­ler/Boris Michel), der Gramsciani­sehen Hegemonietheorie (Ulrich Brand) oder der Regulationstheorie (Christoph Scheuplein). Die empiri­sche Fruchtbarkeit des Scale­Konzeptes wird am Beispiel der Stadt- und Umweltforschung (Mat­thias BerntiChristoph Görg) oder der Debatte über die Europäische Union (Susanne Heeg) überprüft. Und schließlich geht es etwa in den Bei­trägen von Margit Mayer zu mul­tiskalaren Praxen städtischer sozialer Bewegungen und von Bernd Röttger zur Revitalisierung der Gewerkschaf­ten um die Frage, "inwieweit sich mit dem Scale-Konzept emanzipato­rische politische Praktiken besser verstehen lassen und inwieweit das Konzept selbst solche Praktiken be­fruchten kann". (25)

Diese kurze Übersicht verdeutlicht, dass die drei Herausgeber Bemd Be­lina, Boris Michel und Markus Wis­sen und der Verlag Westfalisches Dampfboot mit den ersten drei Bän­den der Reihe Raumproduktionen tatsächlich das angekündigte Forum für kritische Raumforschung bieten. Mit dieser neuen Veröffentlichungs­möglichkeit für die kritisch-

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materialistischer Raumforschung verbindet sich die Hoffnung auf eine Intensivierung der sozial- und raum­wissenschaftlichen Debatte im deut­schen Sprachraum.

Hans Günter Bell

Soziale Gerechtigkeit Ursula Degner/Beate Rosenzweig (Hrsg.), Die Neuverhandlung sozia­ler Gerechtigkeit. Feministische Analysen und Perspektiven, VS­Verlag, Wiesbaden 2006, 364 s., 49,90 Euro

Schon der Titel verweist darauf, dass Gerechtigkeit nicht allein als norma­tives Konzept im Sinne einer "Ord­nung der Werte" zu begreifen ist, als vielmehr im Kontext sozialer Aus­handlungsprozesse und -kämpfe. Die Herausgeber stimmen mit der von Nancy Fraser einleitend entfalteten Gerechtigkeitskonzeption überein, die die Dimensionen der Anerken­nung, Umverteilung und Repräsenta­tion gleichermaßen zu berücksichti­gen versucht. Susanne Lettow arbei­tet in Auseinandersetzung mit alter­nativen egalitaristischen und antiega­litaristischen Positionen das Ver­dienst Frasers heraus, die Transfor­mation gesellschaftlicher Verhältnis­se, in denen soziale Ungleichheit systematisch hervorgebracht wird, mitzudenken. Geteilt wird ebenfalls die Einschätzung, dass Inhalt und Form sozialer Kämpfe umso weniger national sein können, je weniger Keynesianismus in einem Lande möglich ist und je mehr transnationa­Je Akteure mit Konzepten globaler Gerechtigkeit (Regina Kreide) he­gemoniale Strukturen der Weltwirt­schaft (Friederike Habermann) her-