k.west special osnabrück: konkret mehr raum

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OSNABRÜCK KONKRET »NEUE REALITÄT KREIEREN«: DIE KURATORINNEN IM INTERVIEW KONKRET ZEITGENÖSSISCH: DIE 18 POSITIONEN GEHEIMTIPP: FRIEDRICH VORDEMBERGE-GILDEWART GANZ KONKRET: TERMINE & VERANSTALTUNGEN

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Page 1: K.WEST Special Osnabrück: Konkret mehr Raum

OSNABRÜCK KONKRET»NEUE REALITÄT KREIEREN«: DIE KURATORINNEN IM INTERVIEW KONKRET ZEITGENÖSSISCH: DIE 18 POSITIONENGEHEIMTIPP: FRIEDRICH VORDEMBERGE-GILDEWARTGANZ KONKRET: TERMINE & VERANSTALTUNGEN

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2015Prämierte internationale Profi-Fotografien

im Kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück.Ausstellung vom 27.09.2015 bis zum 17.01.2016

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Page 3: K.WEST Special Osnabrück: Konkret mehr Raum

2015Prämierte internationale Profi-Fotografien

im Kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück.Ausstellung vom 27.09.2015 bis zum 17.01.2016

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3K.WEST 07_08/2015 |

DAS HOTEL-ARRANGEMENT ZU »KONKRET MEHR RAUM«

Reisedauer: 2 Tage / 1 Nacht Buchbar: Vom 13. Juni bis zum 13. September 2015, Dienstag bis Sonntag

Leistungen:Eine Übernachtung mit Frühstück, ein Consol Sonnenglas pro Zimmer, ein Gutschein »Osnabrücker Kaffeegenuss«, ein MERIAN Osnabrück und das Osnabrücker Land pro Zimmer, Touristisches Informationsmaterial.CityCard für 2 Tage: Eintrittskarte für die Museen und gleichzeitig Fahrkarte für das Stadtbusnetz Osnabrück / Belm.

Preis p. P. im DZ: ab 99,00 €

Zusatzleistungen:Einzelzimmerzuschlag: ab 40,00 €Verlängerungsnacht: auf AnfrageReiseversicherung: ab 5,00 € p. P. im DZ

»KONKRET MEHR RAUM« 13. JUNI – 13. SEpTEMbER 2015www.KONKRET-MEHR-RAUM.DE

Kunsthalle OsnabrückDi 13 bis 18 UhrMi bis Fr 11 bis 18 Uhram zweiten Do im Monat bis 20 UhrSa und So 10 bis 18 UhrMo geschlossen

EDITORIAL

»DER DENKRAUM HAT SICH GEwEITET«Die drei Kuratorinnen der Ausstellung im Gespräch.

EINE AUSSTELLUNG, DREI HÄUSERDrei Osnabrücker Museen haben sich für das Kunstereignis zusammen- getan – wir schauen auf die Geschichte und Gegenwart der Häuser.

KONKRET wEITERGEDACHTDie Idee einer Konkreten Kunst ist an die 100 Jahre alt. Was machen Künstler heute daraus? Auf der Suche nach Antworten haben wir uns umgesehen unter den 18 Arbeiten der Schau. Und erstaunliche Ergebnisse gefunden.

KULTURTERMINE RUND UM »KONKRET MEHR RAUM«

DER TALENTIERTE HERR VGDem Publikum ist er kaum bekannt. Wir stellen ihn vor: Friedrich Vordemberge-Gildewart – Vertreter der Konkreten Kunst und ein Fluchtpunkt des Projekts.

K.WEST SPECIAL »KONKRET MEHR RAUM« IN OSNABRÜCK

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SONDERAUSGAbE K.wEST »KONKRET MEHR RAUM« IN OSNAbRÜCK

K.wEST erscheint monatlich imVerlag K-West GmbHHeßlerstraße 37 | 45329 EssenTel.: 0201/86 206-33 | Fax: 0201/86 206-22www.kulturwest.de

REDAKTION V.I.S.D.p A. Wilink

TITELFOTO Michael Johansson, Public Square, Heger Tor, 2015. Courtesy / Foto: Michael Johansson.

MARKETING MaschMedia, Oberhausen

DRUCK Hitzegrad – Print Medien & Service GmbH, Dortmund

LAYOUT Herweg , Michalakopoulos, Pecher

IMPRESSUM

Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück und Felix-Nussbaum-HausDi bis Fr 11 bis 18 Uhrjeden ersten Do im Monat bis 20 UhrSa und So 10 bis 18 UhrMo geschlossen

Kunsthalle Osnabrück

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Natruper-Straße

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Lotter Straße

Rißmüller-platz

Felix-Nussbaum-Haus/Kultrugeschichtliches Museum

StadtgalerieCafé

Hegerstr.

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| OSNABRÜCK SPECIAL4

Editorial

Im Namen der Friedensstadt Osnabrück darf ich Sie ein-laden, eine Ausstellung zu besuchen, die durch einfache Reduktion mehr Raum schafft: KONKRET MEHR RAUM, so der Titel der Ausstellung, zeigt Rauminstallationen und künstlerische Projekte, die Bezug nehmen auf den in Os-nabrück geborenen Konkreten Künstler und Gestalter Friedrich Vordemberge-Gildewart. Die beteiligten Künst-ler haben sich an Vordemberge-Gildewart angelehnt, seine Formensprache jedoch weiterentwickelt, so dass eigenstän-dige Kunstwerke entstanden sind: So hat der schwedische Künstler Michael Johannsson ausgediente Möbel in das He-ger Tor so passgenau eingefügt, dass aus einem Rundbogen ein rechteckiger Durchgang geworden ist. Das Heger Tor erinnert an die Osnabrücker, die in der Schlacht von Water-loo vor 200 Jahren gefallen sind. In diesen Wochen wird an diesem Tor zur Osnabrücker Altstadt ebenso intensiv dis-kutiert wie auch fotografiert. Vielleicht zeigt sich darin das gemeinsame Merkmal aller Kunstwerke, die zusammenge-fügt die Ausstellung »KONKRET MEHR RAUM« bilden: Sie fordern den Betrachter zu eben den Fragen heraus, die immer wieder gestellt und immer wieder neu beantwortet werden müssen: Was ist eigentlich Kunst? Welche Aufgabe hat sie? Was zeigt sie? Und was macht Kunst insbesondere dann sichtbar, wenn sie nichts abbildet, sondern allein aus sich selbst Bildwelten schafft, die kein Vorbild haben? So reibt sich die zurzeit in Osnabrück ausgestellte Gegenwarts-kunst an der vertrauten Umgebung.

Wenn Sie in diesem Sommer Osnabrück besuchen, dann werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Menschen treffen, die am Rißmüllerplatz vor einer aus farbigen Strei-fen bestehenden Litfaßsäule stehen, die Rüdiger Stanko geschaffen hat. Oder Sie werden in der Dämmerung Men-schen sehen, die vor der Kunsthalle den Kopf in den Nacken legen, um »The Gildewart Line« von Pedro Cabrita Reis zu betrachten, der seine aus Leuchtröhren bestehende Linie direkt unterhalb des Daches der Kunsthalle angebracht hat. Oder Sie werden auf Menschen treffen, die gerade im Kulturgeschichtlichen Museum das vielleicht zarteste Werk der Ausstellung gesehen haben: »Lemniscate« von Zilvinas Kempinas: eine im Raum schwebende, liegende Acht, das Zeichen für die Unendlichkeit.

Im Felix-Nussbaum-Haus, im Kulturgeschichtlichen Mu-seum und in der Kunsthalle Osnabrück sowie auf dem Weg durch die Altstadt zeigen 20 Künstlerinnen und Künstler ihre Werke, die KONKRET MEHR RAUM schaf-fen. Die Kuratorinnen Valerie Schwendt-Kleveman, Eli-sabeth Lumme und Julia Draganovic haben das Konzept erarbeitet und die Ausstellung organisiert.

Für KONKRET MEHR RAUM haben Theater und Mor-genlandfestival sowie die Volkshochschule Osnabrück ein gemeinsames Begleitprogramm zusammengestellt, das Sie in diesem Heft finden. Die Osnabrücker Marketing und Tourismus GmbH hat für Sie ein attraktives Besuchs-programm zusammengestellt, so dass auch Sie sich in der Friedensstadt Osnabrück, deren Rathaus als Stätte des Westfälischen Friedens gerade als europäisches Kultur-erbe ausgezeichnet wurde, ganz KONRET MEHR RAUM verschaffen können.

Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit den Freunden der Kunsthalle Dominikanerkirche e.V. durchgeführt. Sponsoren und Förderer sind: Niedersächsische Sparkas-senstiftung, Sparkasse Osnabrück, Stiftung Niedersach-sen, Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Landschaftsverband Osnabrücker Land e.V., Bu-reau des arts plastiques des Institut français und des fran-zösischen Ministeriums für Kultur und Kommunikation.Folgende Firmen haben die Künstlerprojekte durch Geld- und Sachspenden an die Freunde der Kunsthalle Domini-kanerkirche ermöglicht: Handwerkskammer Osnabrück sowie der Firmen Feinhütte Halsbrücke, Fip Mineralöl, Meyer & Meyer, Sostmeier, Hellmann, Nosta, Heinrich Koch, Glas Deppen, Recyclingbörse Herford und Bünde, Möwe, Brüning Naturstein, Georgsmarienhütte GmbH, Tilebein Ingenieure u.a. Firmen. Ich danke allen Förderern und Unterstützern, die dazu beigetragen haben, dass »KONKRET MEHR RAUM« in der Friedensstadt Osnabrück entstehen konnte.

Wolfgang Griesert Oberbürgermeister

Wolfgang Griesert. Foto: Uwe Lewandowski

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MORGENLAND AT BIMHUIS AMSTERDAM 16. – 18. JULI 2015

OSNABRUECK

IM FOKUS ARMENIEN

22. – 26.JULI 2015

MORGENLAND–FESTIVAL.COM

Medienpartner:

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INTERVIEW: STEFANIE STADEL

»dEr dENKraUM Hat SiCH GEWEitEt«

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K.WEST: Drei Häuser, drei Kuratorinnen und ein großes gemeinsames Ausstellungsprojekt. Gut ein halbes Jahrhundert nach dem Tod von Friedrich Vordemberge-Gildewart beruft es sich auf das Werk dieses in Osnabrück geborenen Vertreters der Konkreten Kunst. Und nimmt sich vor, Tendenzen des Konkreten oder Konstruktivistischen in den Wer-ken zeitgenössischer Kollegen aufzutun. Wie kam es zu dieser Idee?SCHWINDT-KLEVEMAN: Die Vordemberge-Gildewart-Initiative kam 2012 auf mich zu mit der Frage, ob ich mir vorstellen könne, eine Ausstellung zu organisieren, die sich mit konkreten Positionen in der zeitgenössischen Kunst beschäftigt. Mir gefiel die Idee, die Sache ein-mal nicht historisch anzugehen. Also nicht zurückzuschauen, sondern auf das Hier und Jetzt, um herauszufinden, was Künstler heute auf dieser Basis schaffen. K.WEST: Dann haben Sie sich also an die Arbeit gemacht. Wie genau sind Sie vorgegangen? DRAGANOVIĆ: Als ich 2013 die Leitung der Kunsthalle übernahm und zu dem Kuratorinnen-Team stieß, gab es einen großen Brainstor-ming-Topf, gefüllt mit Namen von Künstlern. Ein gut gefüllter Pool an Möglichkeiten. K.WEST: Aus dem Sie dann zu dritt 18 Künstler herausgefischt haben. Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Auswahl getroffen?DRAGANOVIĆ: Wir haben uns gemeinsam angeschaut, wo es zum Beispiel Anknüpfungspunkte an Aspekte aus Vordemberge-Gilde-warts Schaffen gab. Wir haben Künstler gesucht, die solche Ideen – die Ideen der Konkreten Kunst – weitertreiben oder auch in Frage stel-len. Diese Kunstrichtung geht ja nicht vom Gegenstand aus, sondern von geometrischen Formen, aus denen man Neues schaffen kann. Sie will keine Realität abbilden, sondern neue Realität kreieren. Natürlich mussten die ausgewählten Künstler mit ihrem Werk diesen Vorgaben entsprechen. Positionen, die uns untereinander zu ähnlich erschienen, sind ausgeschieden, denn wir wollten auch eine Pluralität herstellen – eine Vielfalt veranschaulichen, ohne dabei Anspruch auf Vollstän-digkeit zu erheben.K.WEST: Das hört sich an, also ob Sie aus dem Vollen schöpfen konn-ten. Würden Sie sagen, dass die Prinzipien der Konkreten Kunst unter Zeitgenossen aktuell sind? DRAGANOVIĆ: Zwar bezeichnen sich wenige Zeitgenossen explizit als »Konkrete Künstler«, doch greifen viele von ihnen konstruktivistische Formen auf und verwenden selbstreferenzielle Prinzipien, die nicht ab-bilden, sondern Neues konstruieren wollen. Das ist aktuell schon sehr präsent in der Kunst – und zwar rund um den Globus.K.WEST: Dabei sehen die Arbeiten der 18 Künstler jetzt in Osnabrück ganz anders aus als das, was Konstruktivisten oder Konkrete Künstler vergangener Dekaden geschaffen haben. LUMME: Es ist ja auch nicht mehr wie etwa in der Konkreten Kunst der 50er und 60er Jahre, die daran glaubte, dass alles rational erfassbar sei, alles in geregelten Grenzen verlaufe. Viele der zeitgenössischen Künstler

Für das Ausstellungsprojekt »Konkret mehr Raum« haben sie gemeinsame Sache gemacht: Die freien Kuratorinnen Valérie Schwindt-Kleveman, Elisabeth Lumme und Julia Draganovic als Leiterin der Kunsthalle Osnabrück. Mit K.WEST sprachen die Drei über ihre Arbeit, über Konkrete Kunst und darüber, wie die Prinzipien dieser Kunstrichtung von Künstlern heute aufgegriffen und weitergedacht werden.

führen in ihren Werken eigentlich genau das Gegenteil vor. Sie heben das Fragile hervor, stellen alles Feste in Frage. DRAGANOVIĆ: Als Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg Prinzipien Konkreter Kunst aufgriffen, ging es ihnen nicht zuletzt darum, Abstand zu gewinnen von einer schlechten Vergangenheit. Man suchte Sicher-heit, strebte deshalb nach größtmöglicher Objektivität. Man wollte ein Regelwerk, das überall anwendbar ist und immer zu denselben Ergeb-nissen führt. Inzwischen ist klar, dass das nicht funktioniert – eine Folge der Globalisierung. Wir haben gemerkt, dass sich eine Weltanschauung nicht überall applizieren lässt. Und so verzeichnen wir heute eine Rück-kehr zum Subjekt, zum Individuellen, zu der Vielfalt der Mikrokosmen, wenn man so will.K.WEST: Und dies spiegelt sich nun auch in den Werken der Ausstel-lung wider. DRAGANOVIĆ: Genau. Die Künstler in Osnabrück wollen nicht mehr alles universell gleich machen. Denn der Glaube an ein allgemeingülti-ges Regelwerk ist geschwunden. Vielmehr zeigen ihre Werke, wie zer-brechlich die Norm ist. Das Risiko, dass etwas nicht funktioniert, ist auch immer eingebaut in diese neue konstruktivistische Kunst. Einer der Künstler türmt etwa Steine zu Bögen, die jeden Moment zu brechen drohen. Ein anderer bringt zwei schwere Marmorplatten in eine Balan-ce, die alles andere als stabil scheint. LUMME: Auch Ironie wird spürbar. Es gibt zum Beispiel ein Werk, in dem eine Umfrage unter Osnabrücker Bürgern ausgewertet wurde. Der Künstler hatte nach der Farbe der Zukunft gefragt. Den Antworten gemäß gestaltete er eine Litfaßsäule mit unterschiedlich breiten farbigen Streifen, in deren Anordnung er sich an den Namen der Befragten und an ihrer al-phabetischen Reihenfolge orientierte. Alles scheint also regelgerecht, alles mathematisch begründet. Alles folgt einer Ordnung – wie in der Konkreten Kunst. Das Ordnungssystem allerdings ist völlig aus der Luft gegriffen. K.WEST: Diese Arbeit ist also ortsspezifisch. Sie wurde speziell für diese Ausstellung geschaffen. Wie ist das mit den übrigen Werken?DRAGANOVIĆ: Der größte Teil ist eigens für diese Schau entstanden. Die meisten Künstler waren vor Ort, und viele haben sich auch den ge-nauen Platz für ihr Werk in einem der drei Häuser oder im öffentlichen Raum ausgesucht.K.WEST: »Konkret mehr Raum« – was genau haben Sie sich bei der Wahl dieses Ausstellungstitels gedacht? SCHWINDT-KLEVEMAN: Der Titel spricht unterschiedliche Dinge an. Zum einen weist er darauf hin, dass wir uns in dieser Ausstellung »mehr Raum« nehmen, indem wir drei Häuser und den öffentlichen Raum bespielen. Zum anderen nehmen sich auch die Künstler mehr Raum, denn viele schaffen raumgreifende Installationen. Und vor al-lem der Denkraum hat sich geweitet: Die Grundsätze Konkreter Kunst werden heute in ganz unterschiedliche Richtungen weitergedacht.DRAGANOVIĆ: Es gibt eben unendlich viele Möglichkeiten, von Punkt, Komma, Strich auszugehen und damit Neues zu schaffen.

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EiNE aUSStEllUNG, drEi HÄUSEr

Kunsthalle, Felix-Nussbaum-Haus und Kulturgeschichtliches Museum – für das Großprojekt »Konkret mehr Raum« haben sie sich zusammengetan und verschaffen den 18 künstlerischen Positionen so tatsächlich viel mehr Raum, als ein Haus allein dies könnte. Was die drei sonst noch zu bieten haben? K.WEST wirft einen Blick auf Geschichte und Gegenwart der Osnabrücker Institute.

TEXT: STEFANIE STADEL UND KATJA BEHRENS

KUNStHallESie ist noch nicht lange in Osnabrück: Vor zwei Jahren erst übernahm Julia Draganović die Leitung der Kunsthalle. Doch seither ist viel pas-siert im ehemaligen Klosterkomplex, der mitten in der Stadt liegt und seit 1992 als Ausstellungshaus dient. Wände wurden weggenommen, Teile der Deckenverkleidung verschwanden. Freigelegte Fenster lassen wieder mehr Licht in die Räume, und das Kirchenschiff wurde leerge-räumt. Hölzerne Stellwände, die über viele Jahre die Sicht versperrten, sind nicht wiederzuerkennen. Denn der Künstler Michael Beutler hat gemeinsam mit dem Architekten Etienne Descloux Sitzbänke daraus gezimmert. Sie laden nun zum Verweilen im Kirchenschiff, das neuer-dings in seiner ganzen Weite wirkt und dabei ohne künstliche Licht-quellen auskommt. Man verlässt sich aufs Tageslicht, das durch die von Verdunkelungsfolie befreiten Fenster einfällt und je nach Jahres- oder Tageszeit für wechselnde Raumeindrücke sorgt. Mit dem gründlichen »Facelift« will Draganović den ursprünglichen Bau wieder stärker in den Blick rücken – ein typischer Ausstellungsort ist er beileibe nicht. Als »Kloster zum heiligen Kreuz« für den Bettel-orden der Dominikaner im gotischen Stil erbaut, reichen seine Ur-sprünge bis 1283 zurück. In seiner wechselvollen Geschichte diente der Bau mal als Exerzierhalle, mal als Lager für Theaterkulissen. Brän-de und Plünderungen machten ihm zu schaffen. Und natürlich Kriege: Die Bombenangriffe der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs,

bei denen Osnabrücks mittelalterliche Altstadt zu 94 Prozent zerstört wurde, legten auch die Dominikanerkirche in Trümmer.In den 1960er-Jahren restaurierte man das mittelalterliche Gotteshaus erstmals und nutzte es fortan als eine Art kulturelles Mehrzweck-Ver-anstaltungsforum. Vor gut 20 Jahren schließlich wurde der Komplex zur Kunsthalle erklärt. Ein Ort der Begegnung mit zeitgenössischer Kunst. Als solchen will die neue Leiterin ihr Haus nun ausbauen. Vor allem das Kir-chenschiff soll in Zukunft installativen Arbeiten Raum bieten – bevorzugt Werken, die mit dem speziellen Ort umgehen. Wie das aussehen kann? Ein wunderbares Beispiel bietet zurzeit Susanne Tunns »Schwimmendes Raster«, das sich silbern glänzend auf dem Fußboden ausgebreitet hat.Auch am Äußeren des Gebäudes hinterlässt das Ausstellungsprojekt »Konkret mehr Raum« Spuren. Ganz oben läuft Pedro Cabrita Reis’ »Gildewart Line« ein Stück am Sandsteinfries der Kirche, wenig un-terhalb des Traufsteins entlang. Eine leuchtende Linie, die ein paar Jahre dort bleiben soll und ins Zentrum der Stadt weist, wo das El-ternhaus von Friedrich Vordemberge-Gildewart steht, der sich wenig umständlich VG nannte. Diese Richtung müsste man in etwa auch einschlagen, wollte man zu VGs zweiter Heimat gelangen. Zum Kul-turgeschichtlichen Museum und zum Felix-Nussbaum-Haus, wo ein eigener Raum für die Werke des Künstlers reserviert ist. Ein Gäste-zimmer sozusagen.

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Pedro Cabrita Reis: The Gildewart Line, Kunsthalle Osnabrück, Fassade, 2015. Courtesy Pedro Cabrita Reis. Foto: Hermann Pentermann.

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KUltUrGESCHiCHtliCHES MUSEUMDurch den neuen Gang gelangt man ins Kulturgeschichtliche Mu-seum. Das neoklassizistische Gebäude am Wall wurde 1890 erbaut und beherbergt Exponate zur Vor- und Frühgeschichte, zur Stadtge-schichte und Alltagskultur. Außerdem antike Kunst, Kunsthandwerk und Design, Trachten, Kostüme Waffen, Münzen und Medaillen. Dazu Grafiken und Gemälde vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Unbedingt sehenswert ist die umfangreiche Sammlung mit heraus-ragenden grafischen Arbeiten von Albrecht Dürer (1471 bis 1528). Darunter die Holzschnitt-Folgen: »Die Apokalypse«, »Die Große Passion« und »Das Marienleben«. Von 105 bekannten Kupfersti-chen befinden sich 56 in der Kollektion – Dürers Meisterstiche »Ritter, Tod und Teufel« etwa, »Melancholie« und »Der Heilige Hieronymus im Gehäuse«. Sieben Bücher mit Dürer-Drucken er-gänzen den Bestand von etwa 180 Blättern. Um die Sammlung öf-fentlich zeigen zu können, wurde im Jahr 2000 das Grafische Kabi-nett des Kulturgeschichtlichen Museums nach einem Entwurf von Libeskind eingerichtet, dem Architekten des Nussbaum Hauses. Die Stadt und ihre Geschichte gehören in Osnabrück erkennbar zusammen.

FElix-NUSSbaUM-HaUSHausherr Felix Nussbaum ist fünf Jahre jünger als Vordemberge-Gilde-wart, ebenfalls in Osnabrück geboren und 1944 in Ausschwitz ermordet worden. In den 70er Jahren erst entdeckte man den »vergessenen Künst-ler« wieder. Bilder wurden restituiert; und ein Konvolut von über 100 Werken kam nach Osnabrück. Das war der Beginn der »Sammlung Felix Nussbaum«, die seither hier gepflegt wird. Selbstporträts, Stillleben, Land-schaften, Hafen- und Straßenmotive gehören zum Werk. Vor allem be-handelte der Maler aber Kriegsthemen. Dabei kündet eine immer düste-rer werdende Palette von seiner zunehmenden Bedrohung und Isolation. Die Bilder im neusachlichen Stil schildern Nussbaums Lebensumstände und Erfahrungen – als Künstler, als Jude und als Vertriebener. 1994 war die bis heute auf mehr als 200 Stücke angewachsene Samm-lung für Osnabrück erworben worden und sollte bald eine eigene Blei-be bekommen. Noch im selben Jahr wurde ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben und wenig später Daniel Libeskind beauftragt mit der Realisierung des Felix-Nussbaum-Hauses als Erweiterung des Kultur-geschichtlichen Museums. 1998 fertiggestellt, war es das erste realisierte Gebäude des amerikanischen Star-Architekten überhaupt.Ein Haus, dem es unnachahmlich gelingt, eine Atmosphäre von Unsi-cherheit zu vermitteln und damit kongenial dem Lebensgefühl und der Orientierungs- und Haltlosigkeit des Künstlers Gestalt zu geben. Die kantige Silhouette des gesamten, nahezu fensterlosen Baus ist schon von weitem zu erkennen. Wie vom Blitz getroffen scheinen einzelne Gebäu-deteile abgesprengt oder abgesplittert zu sein. Eine blanke Betonwand gegenüber dem Kulturgeschichtlichen Museum lässt gleich erkennen, dass hier nicht Anschluss gesucht wird an bürgerlich-humanistische Tu-genden, die sich in repräsentativen Museumsbauten gern selbst feiern. Dass in der Architektur vielmehr das Schicksal des Künstlers zum Aus-druck kommen soll. Schon die schwere Eisentür im kantigen Riegel ist nicht wirklich ein-ladend, das gesamte Gebäude als »Museum ohne Ausgang« konzipiert – und nimmt damit Bezug auf das tragische Leben und den Tod des Künstlers im KZ: schmale, gezackte Fenster, geneigte Böden, teils von Gitterrosten aufgebrochen, schräge Wände, spitze Winkel, plötzliche Richtungswechsel. Die charakteristische Formensprache mit ihren Asymmetrien und ihren abweisend-spitzen Formen wird dann noch einmal aufgenommen, als Libeskind 2011 das Felix-Nussbaum-Haus erweitert, enger mit dem Kulturgeschichtlichen Museum verbindet und einen gemeinsamen Eingangsbereich schafft.

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Rüdiger Stanko, Die Farbe der Zukunft, Rißmüllerplatz. (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2015Foto: Hermann Pentermann

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KoNKrEt WEitEr- GEdaCHt

Vor bald hundert Jahren kam sie auf – die Idee einer Konkreten Kunst. Einer Kunst, die auf mathematisch-geometrische Grundlagen bauen und nichts als sich selbst zum Inhalt haben sollte. Was ist aus den alten Prinzipien geworden? Osnabrück geht der Frage nach und holt dazu 18 zeitgenössische Kunstwerke in die Stadt. Im großen Ausstellungsprojekt »Konkret mehr Raum« machen sie vor, wie aktuell die Strategien dieser Kunstrichtung bis heute sind. K.WEST hat sich umgesehen in der Stadt und in den drei beteiligten Museen.

TEXT: STEFANIE STADEL

GEStrEiFtES GEMEiNSCHaFtSWErK RÜDIGER STANKO: »FARBE DER ZUKUNFT« AUF DEM RISSMÜLLERPLATZ Er wählte keines der modernen Modelle, bei denen sich die Plaka-te hinter Kunststoffscheiben drehen. Rüdiger Stanko bevorzugte die klassische Litfaßsäule und setzte sie auf einen Grünstreifen mitten ins Verkehrsgetümmel nahe der Kunsthalle. Da kann sie jeder sehen und sich freuen über jenes kunterbunte Streifenmuster, das ihre Rundun-gen ziert. Vielleicht erkennt der Betrachter mit Blick auf die strenge geometrische Form des Zylinders und die klar definierten Farbstreifen ja sogar Anklänge an die Konkrete Kunst. Doch sollte man wissen, dass Stanko sein Muster nicht allein entworfen hat, um zu gefallen oder zu zitieren. Die Wahl der Farben, die Breite der Streifen, ihre Anordnung auf der Säule – all diese gestalterischen Entscheidungen sind nicht aus der Luft gegriffen. Der 1958 geborene, in Hannover beheimatete Künstler illus-triert damit vielmehr das Ergebnis einer Umfrage unter Osnabrücker Bürgern und macht sein Kunststück so zum Gemeinschaftswerk. Gefragt hatte er nach der Farbe der Zukunft und bekam ganz unter-schiedliche Antworten: von Frühlingsgrün über indisch Gelb und Kö-nigsblau zu Knallrot. Je breiter die Zustimmung für den ein oder an-deren Ton, desto dicker erscheint der entsprechend gefärbte Streifen auf der Säule. In der Reihenfolge schließlich richtete er sich nach dem Alphabet und den Namen der Befragten. Alles in bester Ordnung also: genau abgemessen und regelgerecht angeordnet. Das Ordnungssystem allerdings scheint ziemlich willkürlich – und so darf man wohl nicht zuletzt einen kräftigen Schuss Ironie hinter Stankos gestreifter Litfaß-säule vermuten.

SCHliCHtEr liCHtStriCH PEDRO CABRITA REIS: »THE GILDEWART LINE« AN DER FASSADE DER KUNSTHALLE Zuweilen kommen seine Arbeiten recht brachial daher. Etwa wenn Pe-dro Cabrita Reis mit rohen Brettern, schweren Stahlträgern oder un-geschlachten Ziegelmauern Ausstellungsräume erobert. Vergleichsweise zurückhaltend gibt er sich in Osnabrück. Am Tage fällt seine »Gilde-wart Line« kaum auf, und selbst bei Dunkelheit liegt dem schlichten Lichtstrich oben an der Fassade der ehemaligen Dominikanerkirche, wo heute die Kunsthalle sitzt, jede spektakuläre Geste fern. Er ist einfach da, verläuft still ein Stück am Sandsteinfries, wenig unterhalb des Trauf-steins entlang. Und erinnert dort noch einmal deutlich an den Anlass der Schau: an Friedrich Vordemberge-Gildewart und seine eleganten geometrischen Kompositionen.

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97K.WEST 07/2015 |

25.09. – NADEL UND FADEN

27.09.2015 21. Messe für textile

Kunst und Handarbeit

09.10.2015 Benefizgala –

Grenzenlose Hilfe –

10 Jahre HelpAge

11.10.2015 Salut Salon

„Ein Karneval der Tiere

und andere PHANTASIEN“

06.11.2015 1. Meisterkonzert 2015/2016

NDR Radiophilharmonie

21.11.2015 Glenn Miller Orchestra

directed by Wil Salden

23.11.2015 2. Meisterkonzert 2015/2016

Württembergisches Kammerorchester

Heilbronn

28.12.2015 Schwanensee

Bolschoi Staatsballett Belarus

06.01.2016 Das Phantom der Oper

mit Weltstar Deborah Sasson

und großem Ensemble

11.01.2016 Die große Wiener

Johann Strauss-Gala

„wienerisch-nostalgisch-verführerisch!“

22.01.2016 3. Meisterkonzert 2015/2016

Jan Vogler, Martin Stadtfeld

13.02.– IMPULSE international

14.02.2016 18. Kunstmesse für Malerei,

Bildhauerei, Graphik und Design

27.02.2016 Herman van Veen

„Fallen oder Springen“

28.02.2016 4. Meisterkonzert 2015/2016

Zürcher Kammerorchester

Ticket-Service OsnabrückHalleSchlosswall 1–9 · 49074 OsnabrückTelefon 05 41. 34 90 -24 [email protected]

Highlights

2015/2016Wie der ältere Kollege baut auch Cabrita Reis in seinem Werk für Os-nabrück auf klare Linienführung, die überhaupt nichts abbilden oder darstellen will. Auch wenn der 58-jährige Portugiese seinen Strich nicht mit dem Pinsel, sondern mit einer LED-Röhre zieht. Der Clou: Nicht nur formal kommt er Vordemberge-Gildewart dabei nahe, auch räum-lich sucht Cabrita Reis Kontakt zu dem Kollegen. Weist seine leuchtende Linie doch ins Zentrum der Stadt, etwa zu jenem Haus an der großen Gildewart 25, wo der kleine Friedrich damals zu Hause war.

FarbaKKordE DOMINIqUE JéZéqUEL: »HORIZONTAL ROUGE ROSE« IN DER KUNSTHALLE Was kann Farbe mit Architektur machen? Wie wirkt sie auf Menschen, die Räume betrachten, betreten, benutzen? Solche Fragen sind es wohl, die Dominique Jézéquel umtreiben, wenn er mit seinen Farben architektoni-sche Elemente verwandelt. In Osnabrück sind es die gläserne Eingangstür zur Kunsthalle und ein Fensterelement im Glasgang, die der Franzose in gleichmäßige farbige Rechteck-Felder gliedert. Jeder Ton ist aufs Feinste austariert, die ganze Komposition exakt abgestimmt. Dabei geht es ihm kaum um konkrete Berechenbarkeit, eher hat er es wohl auf Emotionen abgesehen, die seine Farbakkorde auslösen – und die sind naturgemäß völlig unberechenbar.

Dominique Jézéquel: Horizontal rouge rose. Kunsthalle Osnabrück, 2015. Foto: Hermann Pentermann.

ZEitVErtrEib MAARTEN BAAS: »SWEEPERS CLOCK« IM FOyER DER KUNSTHALLE Den lieben langen Tag kehren sie Dreck. Aber die beiden Arbeiter im Blau-mann fegen ihn nicht etwa weg. Sie schieben ihn schön vor sich her – im Kreis über eine Betonscheibe. Als hätten sie nichts Besseres zu tun. Maarten Baas’ Video schaut aus der Vogelperspektive auf das sinnlose Geschehen und lässt klar Kreis und Linie erkennen – die beliebten Zutaten des Konkre-ten Kunstwerks. Doch bei dem Niederländer stehen sie nicht für sich, son-dern bezeichnen sehr wohl einen Gegenstand: Die Betonscheibe entpuppt sich als Ziffernblatt und die beiden Schmutzstreifen erscheinen als Uhrzei-ger. Zwölf Stunden lang könnte man die Putzkolone bei der Arbeit verfol-gen, mit ansehen, wie die Uhrzeiger ihre Runden drehen und die Stunden verrinnen – aber wer würde damit schon seine kostbare Zeit verschwenden?

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KraFtaKt JOSE DáVILA: »JOINT EFFORT« IM FOyER DER KUNSTHALLE Haarscharf auf der Kippe hängen die beiden schweren Marmor-platten. Jose Dávila hat sie miteinander verbunden durch zwei Gurte, verankert an einem dicken Brocken aus einem Steinbruch bei Osnabrück. So halten sich die Platten quasi gegenseitig vom Fallen ab. Kennt man den Titel des Werks – »Joint Effort« –, dann mag man tatsächlich so etwas wie eine gemeinschaftliche Leis-tung erkennen: ein Kraftakt, der von allen Beteiligten – Stein-brocken, Haltegurte und Marmorplatten – zusammen bewältigt wird. Allerdings mutet das Ergebnis des Teamworks so wackelig an, dass man sich lieber fernhält, außer Reichweite der steinernen Schwergewichte, die alles platt machen könnten um sich herum. Vor der Kunst hat der 1974 in Mexiko geborene Dávila Architektur stu-diert. Sein Konstrukt gehorcht zwar physikalischen Gesetzen, dennoch verbreitet es Verunsicherung, das ungute Gefühl von Gefahr und die Gewissheit, dass zwar vieles berechenbar, nichts aber wirklich vorher-sehbar ist.

FUGE FÜr FUGE SUSANNE TUNN: »SCHWIMMENDES RASTER« IM KIRCHENSCHIFF DER KUNSTHALLE Die Blicke schweifen – nach rechts, nach links, durch die Weite des Raums, hinauf ins gotische Gewölbe. Wer schaut schon auf den Fußboden? Wen interessieren schon tönerne Fliesen mit Rissen und ramponierten Rän-dern? Im Kirchenschiff der Kunsthalle ist Susanne Tunn angetreten, uns die Augen zu verdrehen. Das gelingt ihr. Denn eben erst hereingekom-men, sind alte Sehgewohnheiten schnell vergessen – der wunderbar

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Jose Dávila, Joint Effort, 2014, Kunsthalle Osnabrück, 2015. Courtesy Jose Dávila Studio & Galerie Philipp von Rosen Leihgeber. Foto: Julia Draganovi

Susanne Tunn, Schwimmendes Raster, Kunsthalle Osnabrück, 2015.© VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Foto: Angela von Brill

verwandelte Boden zieht alle Blicke auf sich. Ein zartes, silberweiß glän-zendes Raster hat sich dort ausgebreitet. Beinahe könnte man meinen, dass es schwebt oder schwimmt auf dem rotbraunen Kachelgrund. Besonde-ren Reiz gewinnt das Ganze noch durch jene wandernden Lichtflecken – Reflexe des Sonnenlichts, das durch die Fenster fällt.Die zauberhafte Erscheinung gründet auf drei Tonnen Zinn und einer Menge Feinarbeit: Tunn und ihre Helfer haben das Schwermetall vor Ort geschmolzen, per Kelle aus den Kesseln geschöpft, um Fuge für Fuge damit auszufüllen. Mal geraten die Zinn-Fäden fein, mal etwas dicker – je nachdem, wie voll die Kelle war und wie ruhig die Hand, die sie führte. Immer wieder – vor allem dort, wo die Kachelränder aus-gebrochen sind – weiten sich die silbernen Linien zu kleinen Lachen. Nichts ist regelmäßig, nichts glatt und klar. Doch die vermeintlichen Unvollkommenheiten werden von der 1958 in Detmold geborenen Künstlerin gern akzeptiert und bewusst betont. Auch weil sie von der Entstehung des Werkes erzählen, von der Geschichte des Raumes, sei-ner Nutzung und Abnutzung.Gewöhnlich werden die Kacheln mit Füßen getreten. Müssen Stühle-rücken ertragen, Besenstriche und feuchte Lappen über sich ergehen lassen. Das schützende Netz verspricht ihnen aber nun etwas Ruhe. Für die kommenden Wochen und Monate kann der Fußboden – unbetreten – all die Bewunderung genießen, die ihm gewiss zu Teil werden wird.

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ZEUGEN dEr ZErbrECHliCHKEit VINCENT GANIVET: »C.3.1.3.« IM INNENHOF DER KUNSTHALLE Kann das gutgehen? Ein um die fünf Meter hohes Bogen-Bauwerk, ganz ohne Mörtel und Zement, ohne Stütze und Verstärkung? Ungute Gefühle machen sich breit im Innenhof des ehemaligen Dominikanerklosters, wo seit Jahrzehnten die Kunsthalle sitzt. Was Vincent Ganivet mitten drin aus Betonsteinen und hölzernen Keilen zusammengebaut hat, basiert zwar auf sorgsamen Computerberechnungen, ist aber offenbar nicht für die Ewigkeit gemacht. Imposante Bögen, wie sie Herrscher und Klerus einst errichteten, um die eigene Macht zu untermauern – hier werden sie radikal umgedeutet zu Zeu-gen der Zerbrechlichkeit. Denn der 1976 in Frankreich geborene Bildhauer konstruiert das vermeintlich Beständige absichtlich instabil. Eine ungüns-tige Böe, ein schwerer Lastwagen, der vorüberfährt, würden womöglich schon genügen, seine fragilen Monumente zum Einsturz zu bringen. Solide, präzise, mathematisch durchdacht: All jene Eigenschaften, die man einem konstruktivistischen Kunstwerk zuschreiben würde, bei Ganivet werden sie gründlich untergraben. So erahnt man zwischen den gebauten Bögen im Innenhof unversehens einen Hauch von Memento mori: Alles ist vergänglich, niemand weiß, wann das Ende kommen wird. Womöglich naht schon das nächste Donnerwetter und legt das sorgsam aufgetürmte Gebäu-de über Nacht in Trümmer.

Vincent Ganivet, Titel: C.3.1.3, Courtesy Vincent Ganivet, A. Eiling & J. Betz, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe. Kunsthalle Osnabrück, 2015. Foto: Hermann Pentermann

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dEr FadEN Wird ZUr liNiE MARIE COOL UND FABIO BALDUCCI: »UNTITLED (VIER BLATT A4 PAPIER, TISCH (180X100CM))« UND »UNTITLED (WASSER, BAUM WOLL- FADEN, TISCH, KLEBEBAND)« IM KREUZGANG DER KUNSTHALLE Ihre Mittel sind minimal. Ein Tisch, ein Stuhl und ein Stückchen Bind-faden reichen Marie Cool und Fabio Balducci für die Aktion. Im Vi-deo kann man Cool dabei zusehen, wie sie durch das langsame Heben und Senken eines Fadens, Wellen auf einer Wasseroberfläche erzeugt: geometrische Regelmäßigkeiten im Spiel mit einfachen Materialien und Naturelementen. Ähnliche Ideen verwirklicht das Künstlerduo einfach mit vier weißen Papierbögen. Langsam werden sie gegeneinander ge-schoben, bäumen sich auf – und neigen sich irgendwann wieder der Tischplatte zu. Die Linie, das Rechteck... – Elemente, die in der Konkre-ten Kunst festgefügt scheinen, hier geraten sie in Bewegung.

l WiE lEPorEllo ANDREAS KOTULLA: »LEPORELLO« IM KREUZGANG DER KUNSTHALLE Er braucht nicht viel: einen Stift in der Hand und den festen Plan im Kopf. Nicht einmal Papier ist nötig, denn Andreas Kotulla reicht die weiße Wand als Bildträger. Der 1972 in Hildesheim geborene Künstler findet sie im Kreuzgang der Kunsthalle und beschreibt darauf mit wenigen Linien zwei Motive aus seinem »topologischen Alphabet«, in dem er jedem Buchstaben von A bis Z einen bestimmten Gegenstand zugeordnet hat. L steht für Lepo-rello. Also zeichnet Kotulla ein solches mehrfach geknicktes Faltblatt an die Wand. Mit Blick auf den minimalen Eingriff drängen sich Fragen auf: Sind das bloß Linien? Welches Ding verbirgt sich dahinter? Ist es eindimensional oder räumlich? In welcher Beziehung steht es zur flachen Wand und zur dreidimensionalen Umgebung? So schlicht die Idee, so vielfältig sind die Überlegungen, die sie in Gang bringt.

iNdiVidUEllE GEoMEtriE DAVID SVOBODA: »OHNE TITEL« IM KREUZGANG DER KUNSTHALLE Ein paar Tage vor dem Start der Schau traf man ihn im Drunter und Drüber der Aufbauarbeiten – und bewunderte seine Geduld. David Svoboda saß seelenruhig in der Kunsthalle und zog sorgfältig seine Bleistiftstriche, den einen immer dicht neben den anderen auf weiße Tischplatten. Sie dienen dem Bildhauer nun als Bühne, als Präsentati-onsfläche für sein Ensemble skulpturaler Arbeiten: kleine Plastiken aus Gips, winzige Gießfiguren aus Zinn, handliche Marmor- oder Kalk-steinskulpturen treten in einen manchmal harmonischen, zuweilen auch angespannten Dialog. Oft erinnert die Gestalt dieser plastischen Schöpfungen an bekannte geometrische Figuren: Kegel, Ellipse, Zylinder... Doch weichen sie im Detail von der geläufigen Form ab. Sie durchbrechen die geometrische Regel, kehren das Individuelle hervor und distanzieren sich so nicht zu-letzt von konkreten oder konstruktivistischen Prinzipien. Darauf legt Svoboda Wert, wie es scheint. Denn der 1975 geborene Tscheche un-terstreicht das formale Eigenleben seiner Skulpturen noch, indem er sie zuweilen mit zarten Zeichnungen versieht, ihnen mit Bleistift oder Tinte die eigene künstlerische Handschrift aufdrückt.

raUM iM raUM BAPTISTE DEBOMBOURG: »VERZERRUNG: GEOMETRISCHE DISTORSI ON« IM FORUM DER KUNSTHALLE Er hängt kein Bild an die Wand, stellt keine Skulptur auf den Sockel, er installiert auch keine Objekte im Ausstellungssaal. Baptiste Debom-bourg, 1978 in Frankreich geboren, setzt gleich einen ganzen Raum in den Raum. Schauplatz des architektonischen Kunstgriffs ist das in den 70er Jahren errichtete Forum der Kunsthalle. Hier lässt Debombourg Wände kippen, stellt Pfeiler schräg und setzt dabei die Prinzipien der Statik komplett außer Kraft. Alles scheint zu kippen. Eine Idee, die gar nicht fern liegt – zumal in der Kunsthalle Osnabrück. Ein paar hundert Meter nur sind es von hier aus zum völlig »schrägen« Felix-Nussbaum- Haus, mit dem Daniel Libeskind Ende der 1990er Jahre ein Musterbei-spiel dekonstruktivistischer Baukunst lieferte.

Andreas Kotulla, Leporello, Kunsthalle Osnabrück, 2015. Courtesy / Foto: Andreas Kotulla

David Svoboda: Ohne Titel, Kunsthalle Osnabrück, 2015 (Detail). Courtesy / Foto: David Svoboda.

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Baptiste Debombourg, Distortion: a geometric aberration, Courtesy Krupic Kersting Galerie || kuk, Köln. Kunsthalle Osnabrück, 2015. Foto: Baptiste Debombourg

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VoM lEGoStEiN ZUM KÜCHENSCHraNK MICHAEL JOHANSSON: »PUBLIC SqUARE« IM HEGER TOR Ein Ruf ging durch Osnabrück. Gefragt waren Truhen, Schränken, Kisten, Kühlschränke, selbst Legosteine konnte Michael Johansson gebrauchen. Wie Bauklötze hat er das ausgediente Gebrauchsgut zueinander gefügt und so den Bogen des 1817 als Ehrendenkmal erbauten Heger Tores ausgekleidet. Wer hinein möchte in die Altstadt, passiert nun Johanssons Arrangement. Was sich einst in den Wohnungen nützlich machte, ist zum Baustein umgewidmet. Es korrespondiert dank seines schlichten Äußeren mit den einfachen geometrischen Formen des Konstruktivismus.Anderenorts hatte der 1975 geborene Schwede das Prinzip bereits mit diversen anderen Materialien erprobt. Für Arbeiten größeren Formats wurden auch schon Container, Autos und Wohnwagen verbaut. Gedan-ken an Konsumkultur und Wegwerfgesellschaft bleiben nicht aus mit Blick auf diese Art konstruktivistischer Akkumulationen. Hier kommt nun noch ein Schuss Lokalkolorit hinzu. Wählte der Künstler doch be-wusst Dinge, mit denen sich die Bürger der Gegend umgaben, und die sie nun nicht mehr haben wollen. Einst waren es mehr oder weniger private Gegenstände – jetzt werden sie öffentlich zur Schau gestellt auf Johanssons »Public Square«. Dort liegt übrigens auch eine Lieblings-kneipe von Friedrich Vordemberge-Gildewart. Er genoss die Gespräche und die guten Schnäpse in der »Alten Wirtschaft Peitsche«.

Michael Johansson, Public Square, Heger Tor, 2015, Courtesy / Foto: Hermann Pentermann

Hinrich Gross | Sigrid Sandmann: Ohne Titel, Felix-Nussbaum-Haus, Vertikales Museum, 2015. Courtesy / Foto: H. Gross | S. Sandmann. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015.

GESPiEGEltE ZEit ALICJA KWADE: »2TE 4TE DIMENSION« IM FELIX-NUSSBAUM-HAUS Es muss kostbar sein und zerbrechlich – jenes kleine grün leuchtende Gerüst. Dargeboten wird es auf einem schwarzen Hochglanz-Sockel, gut behütet unter einem schützenden Glassturz. Alica Kwade hat das wun-dersame Etwas zusammengesetzt und dazu feine Leuchtstäbchen be-nutzt, die aus Digitaluhren stammen. Das scheint wichtig. Denn immer wieder kreist die 1979 geborene Polin in ihren vielschichtigen Arbeiten um das Phänomen der Zeit – die vierte Dimension. Sie findet sich auch im Titel der Arbeit in Osnabrück: »2te 4te Dimension«.Was könnte die Künstlerin damit meinen? Schaut man sich ihre geome-trische Konstruktion genauer an, lässt es sich erahnen. Denn näher be-trachtet, sieht man sie zweimal – zum einen real und zum anderen im spiegelnden Sockel. Was ist wirklich, was Konstruktion, was Illusion? Ist die Zeit ein Phantom? Die vermeintliche Realität etwas, das sich mühelos verdoppeln lässt? Alles, was sicher schien, berechenbar und erklärlich – Kwade stellt es in Frage.

liCHt iM QUadrat HINRICH GROSS UND SIGRID SANDMANN: »OHNE TITEL« IM FELIX-NUSSBAUM-HAUS Zwei Künstler und zwei Werke – die allerdings auf den ersten Blick völlig identisch wirken. Per Diaprojektor nebeneinander an die nackte Betonwand geworfen, erscheinen die beiden Licht-Quadrate haargenau gleich groß und hell. Hinrich Gross und Sigrid Sandmann wollen damit nichts erzählen. Ihre flüchtigen Bilder haben keine Bedeutung, weisen nicht über sich hinaus oder auf irgendeinen Gegenstand hin. Sie stehen nur für sich – und haben insofern einiges gemein mit der Konkreten Kunst. Die Imagination des Betrachters mag in ihnen aber auch die un-gemalten Bilder Felix Nussbaums entdecken, denen Daniel Libeskind einen Teil seiner Betonarchitektur gewidmet hatte. Und eben diese Be-tonstruktur wird von Gross und Sandmann ins Licht gesetzt – und er-zeugt dann doch Unterschiede zwischen den beiden Quadraten.

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Žilvinas Kempinas: Lemniscate, Kulturgeschichtliches Museum, 2015. Leihgeber / Courtesy Musée d’Art Modern du Granduc Jean, Luxemburg. Foto: Hermann Pentermann.

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NiCHtS iSt UNENdliCH ŽILVINAS KEMPINAS: »LEMNISCATE« IM KULTURGESCHICHTLICHEN MUSEUM Das Videoband ist sein liebstes Material. Dabei interessiert Žilvinas Kempinas weniger die Aufnahme, vielmehr reizt ihn das flatterleichte Material. Er lässt es im Wind wirbeln, ver-spannt es zu Säulen und Wänden. Bei der Venedig Biennale 2009 formte er seine Bänder zum Tunnel, den die Besucher durchwandern konnten. Auch in Osnabrück macht der 1969 in Litauen geborene Wahl-New-Yorker das Magnetband nun zum Hauptdarsteller. Im Kulturgeschichtlichen Museum trifft man es in Begleitung von zwei stattlichen Stand-Ventilatoren, die in exakt vermessener Distanz vor der weißen Museums-wand platziert sind. Um das kinetische Wunderwerk in Gang zu bringen, braucht es bloß vier Hände, die das zur liegenden Acht geformte Flatterband vor die laufenden Rotoren halten. Los geht das Schauspiel – und findet kein Ende. Der gleich-mäßige Luftzug sorgt tatsächlich dafür, die bewegte Acht in Form und in der Schwebe zu halten. Ohne Pause dreht sie ihre Runden im Raum. Es hat beinahe etwas Kontemplati-ves, ihr dabei zuzuschauen. Bekannt ist sie als Symbol für das Unendliche, doch kann man ziemlich sicher sein: Wenn das Museum schließt, wenn die Lichter ausgehen und die Ma-schinen ausgeschaltet werden, wird auch die liegende Acht als unscheinbares schwarzes Magnetband zu Boden fallen.

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Dannielle Tegeder, The Library of Abstract Sound, Kulturgeschichtliches Museum, 2015 (Detail).Courtesy / Foto: Danielle Tegeder

Diana Sirianni, Diana Sirianni, »Neubarock V. Keeping Track«, Felix-Nussbaum-Haus, Vordemberge Gildewart-Raum, Courtesy Galerie Philipp von Rosen / Dianna Sirianni. Foto: Diana Sirianni

CollaGE-CHaoS DIANA SIRIANNI: »NEUBAROCK V. KEEPING TRACK« IM FELIX-NUSSBAUM-HAUS Eigentlich ist dieser Raum im Felix-Nussbaum-Haus dem wohlgeordneten Werk von Friedrich Vordemberge-Gildewart gewidmet. Doch nun hat die 32-jährige Diana Sirianni ihn in Besitz genommen mit einem dreidimen-sionalen Collage-Chaos, das alle Konstruktion zu spren-gen scheint. Zerschnittene Fotos, Fetzen, Schnipsel an Nylonfäden breiten sich aus in dem spitzwinkeligen Saal – man wähnt sich mitten in einer Explosion, die auf dem Höhepunkt zum plötzlichen Stillstand gebracht wurde. Sirriani, die erst vor zwei Jahren ihr Studium bei Gregor Schneider in Berlin abschlosss, trägt diese Bildidee seit 2014 von einer Ausstellungsstation zur nächsten weiter. Überall macht sie Fotos, um sie am nächstfolgenden Ort zu einer neuen Collage zu fügen.So werden auch in dieser Arbeit verschiedene Stätten greifbar: eine barocke Kirche in Rom, das Innere einer Köl-ner Galerie, der Messe-Stand auf der Art Cologne. Alles fliegt in die Luft. Und was ist daran konkret oder konst-ruktivistisch? Vor allem Siriannis Hintergedanken: Was sie interessiere bei ihren per Computer komponierten Raum-Explosionen, sei vor allem eines, so sagt sie: Es gehe ihr stets um die Frage, wie weit man einen Rahmen dehnen kann, ohne dass er seine Form verliert. »Wie weit kann ich die Teile auseinandernehmen und voneinander getrennt arrangieren, dass sie trotzdem noch ein Ganzes ergeben?« Auch das scheinbare Chaos ist also sorgsam durchkompo-niert und auf das Genaueste berechnet, allerdings mit den modernen Mitteln der Computertechnologie.

aUS bildErN Wird MUSiK DANNIELLE TEGEDER: »LIBRARy OF ABSTRACT SOUND« IM KULTURGESCHICHTLICHEN MUSEUM Kreise, Quadrate, Rauten, die sich überlagern. Punkte auf Strichen, Linien, die in die Tiefe fliehen. Das Vokabular dieser kleinen Blätter scheint vertraut. Man erinnert sich vielleicht an Kasimir Malewitsch und bestimmt an Wassily Kandinskys konstruktivistische Raumfantasien. Auch Dani-elle Tegeder hat sicher an die Avantgarde-Größen des frühen 20. Jahrhunderts gedacht, als sie diese ungegenständlichen Kompositionen zu Papier brachte. In ihrer »Library of Ab-stract Sound« im Kulturgeschichtlichen Museum reiht die US-Künstlerin sie, einheitlich gerahmt, auf schmalen Regal-brettern – ordentlich wie in einer Bibliothek. Beinahe etwas anachronistisch wirkten diese Kompositio-nen vielleicht, wäre da nicht der Bildschirm an der Wand gegenüber. Denn im Video kann man hören und sehen, wie Tegeder ihre Bilder zum Klingen bringt. Dafür hat sie jedes Blatt einzeln eingescannt und mit Hilfe einer speziel-len Software in Musik übersetzt. Schon Kandinsky ging es um das Hören von Farben, um das Sehen von Klängen. Es mag so scheinen, als wolle Tegeder diese Idee der Synästhesie mit den technischen Möglichkei-ten des 21. Jahrhunderts weiterdenken.

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KUratoriNNEN-FÜHrUNG dUrCH diE aUSStEllUNG »KoNKrEt MEHr raUM« 4. Juli 2015, 16 Uhr mit Julia Draganović, 18. Juli 2015, 16 Uhr mit Valerie Schwindt-Kleveman,22. August 2015, 16 Uhr mit Elisabeth Lumme.Treffpunkt: Kunsthalle Osnabrück.kunsthalle.osnabrueck.de

KoNKrEt iM GESPrÄCHPodiumsdiskussion mit den Gästen Amely Deiss und Belinda Grace Gardner.2. Juli 2015, 19.30 Uhr in der Kunsthalle Osnabrück.Eintritt 7 € / 5 €, Anmeldung erwünscht.VHS der Stadt Osnabrück, Tel.: 0541 / 3232243www.vhs-os.de

ProloG – JiVaN GaSParYaN, Jr.In Kooperation mit dem Morgenland Festival.21. Juli 2015, 22 Uhr, Kunsthalle Osnabrück.www.morgenland-festival.com

oSNabrÜCKEr KUltUrNaCHt Museen, Theater, Galerien und viele andere Kulturhäuser laden ein. Es gibt 120 Programmpunkte an knapp 40 Veranstaltungsorten.5. September 2015, 18 bis 24 UhrTel.: 0541 / 3232292,www.osnabrueck.de/kulturnacht

traNSForMatioNEN dEr KoNKrEtEN KUNSt VoN 1970 biS HEUtEVortrag von Dr. Tobias Hoffmann, Direktor des Bröhan-Museum, Berlin. In Kooperation mit dem Felix-Nussbaum-Haus.9. September, 19 Uhr, Felix-Nussbaum-Haus, Vortragssaal. Eintritt 7 € / 5 €, Anmeldung erwünscht.VHS der Stadt Osnabrück, Tel.: 0541 / 3232243www.vhs-os.de

FotoGraFiE KoNKrEt!Digitale Fotografie, Workshop unter der Leitung der Fotografin Angela von Brill.28. August, 18.00 bis 21.00 Uhr; 29. August, 10.00 bis 17.00 Uhr;30. August, 10.00 bis 14.00 Uhr.In der Volkshochschule Osnabrück.Teilnahmegebühr 81 € / 52 €, Anmeldung erforderlich.VHS der Stadt Osnabrück, Tel.: 0541 / 3232243www.vhs-os.de

UraUFFÜHrUNG: Exit_US Im Rahmen des Festivals Spieltriebe 6. Ein Ensemble aus Osnabrücker Amateurtheatergruppen erkundet in den Räumen der Kunsthalle Osnabrück das Phänomen der Apokalypse.11. und 12. September 2015, jeweils 17 Uhr, 13. September 2015, 16 Uhr.Start und Ziel jedes Festival-Tags ist das Theater am Domhof.www.spieltriebe-osnabrueck.de

tErMiNE rUNd UM »KoNKrEt MEHr raUM«

Angela Glajcar: Terforation 2014-061, Kulturgeschichtliches Museum, 2015. Courtesy Galerie Nanna Preußners. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Leihgeber Galerie Nanna Preußners, Hamburg. Foto: Valérie Schwindt-Kleveman.

riSSE iM QUadEr ANGELA GLAJCAR: »TERFORATION« IM OBERLICHTSAAL DES KULTURGESCHICHTLICHEN MUSEUMS Ein großer weißer Quader, sechs Meter ist er lang – doch wirkt er alles andere als schwer und massig. Im Gegenteil. Federleicht mutet Angela Glajcars Skulptur an, beinahe als würde sie hoch oben unter der Decke schweben. Denn sie ist nicht etwa aus Ton, Marmor oder Bronze gemacht. Die Künstlerin hat ausschließlich Papier benutzt. Zig Bögen sind es, die sich im gleichen Abstand hintereinander reihen, mit-ten im ansonsten leeren Oberlichtsaal des Kulturgeschichtli-chen Museums. Dabei verletzt die 1970 in Mainz geborene Bildhauerin die strenge Geometrie des Körpers durch geziel-te Zerstörung: Blatt für Blatt hat sie sich vorgenommen und per Hand mehr oder weniger große Löcher hineingerissen. Mit Blick auf das große Ergebnis, meint man ins Innere einer aufgebrochenen Form zu schauen. Gleich unwägbaren Erosi-onen zeichnen sich die Ausrisse dort ab.

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dEr talENtiErtE HErr VG

Dem breiten Publikum ist er nicht unbedingt ein Begriff. Dabei sind seine Werke in den Sammlungen des New yorker Museum of Modern Art oder des Pariser Centre Pompidou vertreten. Der Konkrete Künstler mit dem etwas umständlichen Namen Friedrich Vordemberge-Gildewart, den er lieber auf VG verkürzte, ist 1962 gestorben.

TEXT: ALEXANDRA WACH

Gabriele Ledermann: Porträt Friedrich Vordemberge-Gildewart, um 1920. © Museum Wiesbaden, Archiv Vordemberge-Gildewart

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Er wäre fast als Jahrhundertkind durchgegangen. 1899 als Sohn eines Tischlers geboren, übernimmt Friedrich Vordemberge nicht wie vor-gesehen den Familienbetrieb, sondern studiert nach der Lehre Archi-tektur, Skulptur und Malerei an der Technischen Hochschule in Han-nover. Um sich von seinem gleichnamigen Vetter zu unterscheiden, nimmt er 1920 den Namenszusatz »Gildewart« nach einer Altstadt-straße in seiner Geburtsstadt Osnabrück an. Die Kunstszene in Hannover steht damals entschieden mehr im interna-tionalen Fokus als heute. Der Konstruktivist El Lissitzky wirkt hier. Kurt Schwitters bastelt an seinem Merzbau, und die Galerie von Garvens fun-giert als Anlaufstelle für Abstraktion aus Frankreich und Russland. Rei-bung an den neuesten Entwicklungen der Avantgarde ist also vorhanden.Ab 1923 versucht sich VG nach einer Experimentierzeit mit Reliefs und Collagen an der Malerei. Narrative Elemente sucht man vergeb-lich. Die Farbpalette ist reduziert, die Formate sind klein: »Ich ent-wickle Bilder aus dem Material selbst, aus meinem eigenen Gespür für Komposition, nicht indem ich meine eigenen Versionen von Objekten aus der Natur produziere«, schreibt er ohne einen Hauch von Selbst-zweifeln. Geometrische Elemente spielen die Hauptrolle. Sie sind sich selbst genug, schließlich werde »ein Bild gebaut wie ein Haus«. Esoterische Meta-Theorien wie etwa noch bei Kandinsky sind überflüssig. Kein Wunder, gibt doch VG in dem Text »Raum – Zeit – Fläche« sein er-nüchterndes Credo zu Protokoll: »Das Kunstwerk entsteht durch Errech-nung«. Damit ist er nah am Bauhaus. Linien, Dreiecke und Primärfarben kennzeichnen seine antinaturalistische Grammatik. Mit dieser Kunst lässt sich alles gestalten: Schaufenster, Reklameplakate, Briefpapier und Häuser.

Als Mitbegründer der »Gruppe K« nimmt VG 1924 teil an einer Schau in der Kestnergesellschaft, die ohnehin der innovationsbewussten Jugend alle Türen offen hält. Von nun an geht es bergauf. Grund genug, um seine Bilder mit dem Kürzel »K« für Konstruktion zu signieren. In seinem Ster-bejahr wird er bei der Variation »K 223« angelangt sein. Inhalte mied VG bis zu diesen letzten Werken mehr als entschieden: »Der Gegenstand spielt bei mir eine absolut untergeordnete Rolle. Er existiert überhaupt nicht«. Doch zurück in die Goldenen Zwanziger. Der begabte Netzwerker lernt Schwitters, Schlemmer, Moholy-Nagy und Arp kennen. Namen wie Joachim Ringelnatz oder Hannah Höch tauchen in seinen Besucher-Büchern auf. Theo van Doesburg verschafft ihm die Mitgliedschaft in der »De Stijl«-Gruppe, die sich 1925 mit der Ausstellung »L´art d´aujourd´hui« in Paris bei den gleichgesinnten Kollegen Man Ray und Tristan Tzara vorstellt. Der Hauch der weiten Welt macht sich in Han-nover gut. VG gründet mit Schwitters die »abstrakten hannover« und klagt nicht gerade über fehlende Einladungen. Er baut Möbel und be-völkert seine Gemälde mit dynamischen Querstreifen, die der Zukunft optimistisch entgegen zu rasen scheinen. Die Grenzen des Tafelbildes überschreitet er mit plastischen Halbkugeln oder Rahmenfragmenten, die er in die Leinwände setzt. Und noch einer Gruppe gilt es 1931 beizutreten: »Abstraction-Créa-tion«, die sich ostentativ mit den figurativen Surrealisten um André Breton anlegt. Die Nationalsozialisten machen VG, der eine jüdische Frau hat, dann ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner Umtriebigkeit doch noch einen Strich durch die Rechnung. Seine Bilder werden in Hitlers diffamierender Schau »Entartete Kunst« gezeigt.

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Er bekommt Arbeitsverbot. Nach einer Zwischenstation in Berlin geht er 1937 ins Exil nach Zürich und dann Amsterdam, wo er mit Max Beck-mann in Kontakt steht. Der Heiterkeit seiner Farbwahl erteilt das aufge-zwungene Nomadentum keinen Dämpfer. Die Dreiecke und Linien tan-zen, als gäbe es keinen Morgen. Nach 1945 rückt VG nicht etwa von seiner Ästhetik ab, auch wenn die Flächen wachsen und die Textur der Farben noch heller wird. Eine »feudale, unterhaltende, schmuckhafte Aufgabe der Kunst« lehnt er weiterhin ab. In Hannover rückt der neue Direktor der Kestnergesellschafft seine Arbei-ten plötzlich in die Schublade der Gebrauchsgrafik. Dass der Exilant ein Jahrzehnt lang ohne die alten Kontakte aus der Heimat überleben musste und auch Brotjobs annahm, vergisst man da bereits gerne. Für eine Pro-fessur an der Ulmer Hochschule für Gestaltung reicht sein Ruf aber 1954 immer noch aus. Max Bill holt ihn zurück nach Deutschland, trotz der inzwischen verliehenen niederländischen Staatsbürgerschaft. Von nun an gilt er als Vermittler zwischen einer lange vernachlässigten Glanzära und der maßvollen Modernität der Adenauer-Republik. Bis zu seinem Tod bleibt er in Ulm Leiter der Abteilung für visuelle Kommuni-kation. Ein zweckfreier Artist, zugleich nützlicher Gestalter und ewiger Geheimtipp, der alle Formprobleme mit wissenschaftlicher Akribie zu lösen wusste und dabei das Sinnenspiel nicht aus den Augen verlor.

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Friedrich Vordemberge-Gildewart: K 208, 1956. © Museums- und Kunstverein Osnabrück e.V. Dauerleihgabe Felix-Nussbaum-Haus/Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück

KoNKrEtE KUNSt ––– WaS iSt daS?

Den Begriff Konkrete Kunst hat 1924 erstmals der nieder-ländische Künstler, Architekt, Schriftsteller und Kunsttheo-retiker Theo van Doesburg verwendet. Er meinte damit eine wissenschaftlich rationale Kunst, die auf exakte geometrische Formen baut und eigentlich nicht abstrakt ist sondern gegen-standslos. Denn sie will nicht vom Gegenstand abstrahieren, sondern mit eigenen Mitteln Neues schöpfen. Ihre Werke er-zählen nichts und haben auch keine symbolische Bedeutung. Das Kunstwerk dürfe nichts von den formalen Gegebenheiten der Natur, der Sinne und der Gefühle enthalten, so formulierte es van Doesburg. »Wir wollen Lyrismus, Dramatik, Symbolik usf. ausschalten. Das Bild muss ausschließlich aus plastischen Elementen konstruiert werden, d. h. aus Flächen und Farben. Ein Bildelement hat keine andere Bedeutung als sich selbst.«Nach van Doesburgs Tod wurden diese Ideen in der Gruppe »Abstraction-création« unter der Führung von Max Bill wei-terentwickelt. 1944 organisierte der Künstler, Architekt und Designer in Basel die erste Ausstellung »Konkrete Kunst«. Bill sah diese in ihrer letzten Konsequenz als reinen Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz. »Sie ordnet Systeme und gibt mit künstlerischen Mitteln diesen Ordnungen das Leben.«

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