leitfaden für die rollstuhlversorgung · leitfaden zur rollstuhlversorgung 6 für eine kompetente...

96
1

Upload: tranthien

Post on 30-May-2019

234 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

1

Leitfaden für die Rollstuhl-VersorgungVon SORG Rollstuhltechnik GmbH + Co. KG

Page 2: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

2

Wir sind Mitglied im rehaKIND e.V.

Internationale FördergemeinschaftKinder- und Jugend-Rehabilitation

Impressum:SORG Rollstuhltechnik GmbH + Co.KGBenzstraße 3-568794 Oberhausen-RheinhausenFon +49 7254 9279-0 Fax +49 7254 9279-10Mail [email protected] www.sorgrollstuhltechnik.de

Stand: 31. Januar 2017, 11:19 vorm.Technische Änderungen und Druckfehler vorbehalten.

© by SORG Rollstuhltechnik GmbH + Co.KG Benz-straße 3-5, 68794 Oberhausen-Rhein hausen. Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmi-gung von SORG Rollstuhltechnik GmbH + Co. KG ist es nicht gestattet, diesen Leitfaden oder auch nur Teile daraus in irgendeiner Form zu vervielfältigen. Die Verletzung dieser Rechte ist im Rahmen der gel-tenden Gesetze strafbar und verpflichtet zum Scha-denersatz.Wir sind zertifiziert nach dem Qualitätsmanagement-System ISO 9001:2008

Page 3: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

3

Inhaltsverzeichnis

Impressum: 2

Vorwort 5 Warum ein Rollstuhlleitfaden aus dem

Hause SORG ? 5

1. Rechtliche Aspekte 8 Pflichten, Ansprüche, Definitionen 8 Indikation einer Rollstuhl versorgung 11 Frühförderung 12

2. Medizinische Aspekte 15 Hinweise zur Rollstuhlversorgung: 16 Medizinische Indikation 19

3. Praktische Aspekte 393.1 Funktionsweise der Rollstühle 39Baugruppen 39 1 Rahmen, Rahmenlänge und Sitztiefe

40 2 Sitz und Sitzbreite 41 3 Die Antriebsräder 42 5 Greifringe 43 6 Bremsen 44 7 Seitenteile 44 8 Rückenlehne 45 9 Beinstütze und Fußplatte 46 10 Einstellungen an den Rädern 48

3.2 Unsere Rollstuhlmodelle 533.2.1 Übersicht Rollstühle mit starrem Rah-

men 543.2.2 Übersicht Rollstühle mit faltbarem Rah-

men 553.2.3 Übersicht kantelbare Rollstühle und

Sitzschalenfahrgestelle 563.2.4 Übersicht Stehfahrer 573.3 Ausstattungskomponenten 593.3.1. Rahmen 59

3.3.2. Räder 613.3.3. Sitz 623.3.4. Rücken 633.3.5. Seitenteile 653.3.6 Beinstützen 653.3.7. Bremsen 66

3.4 Tipps zum Anpassen des Rollstuhls 67

3.4.1 Starr oder faltbar? 673.4.2 Sitzplatte oder Sitzbespannung? 683.4.3 Sitz 683.4.4 Rücken 703.4.5 Beinstütze und Fußplatte 723.4.7 Greifpunkt und Schwerpunkt 74

4. Mobilität und Inklusion im frühesten Kindesalter 79

Überlegungen zur frühkindlichen Rollstuhlver-sorgung 79 Kopf oder Beine? 79 Fehlentwicklung durch Schamgefühl 81 Was Hänschen nicht lernt… 81 Individuell angepasste Rollstuhlversor-

gung als Schlüssel zur Inklusion 83 Körperführung 83 Greifpunkt 84 Kraftaufwand 84 Motivation 85 Design 87

5. Anhang 89Stichwortverzeichnis der gebräuchlichsten Begriffe 89

Ataxie 89Athetose 89Abduktion 89Ampu tation 89Atrophie 90Cerebral parese 90Diparese 91(Paresen) 91Dorsal 91

Page 4: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

4

Dystro phie 91Extension 92Extraktion 92Extremität 92Flexion 92Hemi parese 92Hydroce phalus 92Hyperton 92Hypoton 92Kontrak tur 92Lateral 92Lateral flexion 92Kyphose 92Lordose 92Luxation 92Multiple Sklerose 93Muskel dystrophie 93Opistho tonus 93Osteo porose 93Osteo genesis imperfekta 94Phoko melie 94Physio logie 95Prophy laxe 95Rotation 95Skoliose 95Skolio ti sche Fehl haltung 95Spastik / Spasmus 95Spina bifida 95Spinale Muskel atrophie 96Spitzfuß 96Syndrom 96Tetra parese 96

Page 5: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

5

VorwortWarum ein rollstuhlleitfaden aus dem hause sorG ?

Wir wollen mit diesem Leitfaden zu einer kom petenten Verordnungs-praxis verhelfen, die den bestmög-lichen therapeutischen Effekt für jeden einzel nen Betroffenen erzielt und die verant wortlich mit den Gel-dern der Soli darge mein schaft um-geht. Wir meinen damit eine Versor-gungs kompetenz ganz im Sinne des §4 SGB IX, die mit einem kon kreten The ra pieziel vor Augen die jeweils zweck mäßigs ten Kompo nen ten verwendet, die eine Ent wick lung des Roll stuhl fahrers beabsichtigt, die seine Fähigkeiten und Fertig-keiten erhalten und wenn möglich aus bau en möchte, die ihm eine maximale Ei gen ständigkeit und selbstbestimmte Lebens füh rung ermög li chen und erhalten sowie die Be hinderung abwenden, beseitigen und/oder mindern möchte.

Ausgehend vom intensiven Dia-log mit be hin derten Menschen, The-rapeuten und Ärzten haben wir in 25 Jahren Firmenge schichte einen so liden und höchst um fang reichen Wissens schatz im Einsatz unserer Rollstühle aufbauen können. Pa ral-lel dazu haben wir unsere Erfah rung in der Roll stuhl technik kontinuier-lich ausgebaut. Deshalb ent wickeln und produ zieren wir heute mit mo-dern ster Technologie Rollstühle, Sitzschalen fahr gestelle und Steh-fahrer, die höchste Qualitätsan-sprüche erfüllen und nahezu allen indivi duellen Versor gungsvor gaben

gerecht werden. Sollte es dennoch eine Lücke in unserem umfang-reichen Op tions sortiment geben, können wir diese schnell und mit pfiffigen Lösungen aus un serer Sonder bau-Ab teilung schließen.

Individualität, Kreativität, Funk-tionalität und Qualität sind dabei die Schlüsselbegriffe, die uns zu ei nem der führen den Hersteller in der Kinder-Reha und im Sonder-bau gemacht haben. Ein flächen-deckender, qualifizierter Service, ein nachhaltiger Umgang mit den ökologischen Ressourcen und eine strikte Orien tierung am gesetzlichen Wirt schaftlichkeits gebot flankie-ren unsere tägliche Arbeit für eine individu elle, behindertengerechte Versorgung. Denn Roll stuhl ist nicht gleich Roll stuhl!

Mit diesem Ziel vor Augen wird man vor dem Hintergrund der De-batte um das Ge sund heits wesen vor allem von der kontraprodukti-ven Frage stel lung nach der Ver sor-gungsleistung (= den reinen Kosten) weg kommen müs sen. Vielmehr wol-len wir alle am Versor gungs prozess Beteiligten dafür sen si bilisieren, mit einer erfolgsorientierten Ver sor-gungs strate gie (= Habi litation) die Lebens qualität und Au tonomie des behinderten Menschen auf Dauer zu ver bes sern. Zum anderen wollen wir hel fen, durch Prävention nach-haltig Kosten einzu sparen! Dafür veranstalten wir Schulungen für alle am therapeutischen Entscheidungs-prozess Beteiligten, in denen wir unsere langjährigen und umfangrei-chen Erfahrung weitergeben wollen.

Ziel des Leitfadens

Rollstuhl ist nicht gleich Rollstuhl

Strategie

Page 6: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

6

Für eine kompetente Versorgung-spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend:

1. Das profunde Wissen über die Krankheits bilder und ihre mögliche Entwicklung (Fort­schreitung, Stabi li sierung, Ver­bes se rung).

Wer weiß, wohin sich ein be-stimmtes Krank heits bild entwickeln kann, welche Richtung die Erkran-kung einschlägt und weiß, welche funk tio nellen Einschränkungen dabei auftreten können, wird auch kompetent und verantwortlich eine the ra peutische Strategie mitge-stalten können. Dann kann auch entschieden werden, ob und inwie-weit der Betroffene aktiviert werden kann oder muss, ob die Auswirkun-gen der Erkrankung gemildert oder sogar verbessert werden können oder ob die Progression nur verlang-samt werden kann und der Status Quo stabilisiert werden muss. Die ärztliche Diagnose kann und soll durch dieses Wissen nicht ersetzt werden, aber die Therapie und die Wahl der Hilfsmittel mit allen ihren Aus stattungsvarianten kann ziel-gerichteter und somit effizienter erfolgen.

2. Die detaillierte Kenntnis der einzelnen Roll stuhl modelle, de­ren Ausstattungspalette und die antropometrischen Anpass­möglichkeiten.

Je passgenauer eine Rollstuhl-ver-sorgung wie ein Maßanzug sitzt, je differenzier ter die ge wünsch ten Fahr-eigenschaften des Rollstuhls ein ge stellt

sind, je detaillierter und besser die ein zel nen Ausstattungsmodule an die individu ellen Vorgaben des Be-nutzers angepasst sind (nämlich: thera peu-tische Ziele, Körpermaße, Rest mobili tät und funk tio nellen Einschrän kungen), um so mehr trägt das Hilfsmittel zur Akti-vie rung bzw. Habilitierung (lateinisch: habilis =geschickt, geeignet, fähig) des Benut-zers bei und somit zu seiner „Teil habe“ am sozialen Umfeld (= Inklusion).

Dafür werden wir Sie im Folgenden• mit dem komplexen Thema Roll-

stuhl vertraut machen, • die Unter scheidungsmerkmale

ver deutlichen, • den Nutzen katalog heraus-

arbeiten,• die unterschied lichs ten Ansätze

beleuchten • und eine Hand habe für den Ge-

brauch reichen.

3. Die Berücksichtigung der sozi­alen und psy chi schen Situation des Betroffenen (Beruf, Hobbys, Familie, Motivation).

Wesentlich wichtiger als die Dia-gnose sind für uns als Hersteller von Rollstüh len die individuellen Lebens um stände eines Betroffe-nen, seine Akti vitäten im täglichen Leben und die vorhande nen oder die aus zuglei chen den Funktionen. Weil jeder Mensch anders ist, jede Behinderung anders aus ge prägt ist, die Funktionsfähigkeiten, die per-sön lichen Umstände und Lebens-situationen indi viduell verschieden sind, ist kein Hilfsmittel wie das andere.

Krankheits­bilder

Rollstuhl­modelle

soziale Situation

Page 7: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

7

Das Erschei nungs bild eines Roll-stuhls wird eben falls eine Rolle spie-len, weil Ge wicht, De sign, Ma terial-qualität, Farbe und Bezugsstoffe ent schei dend zur Akzeptanz des Hilfsmittels beitra gen. Diese Akzep-tanz ist eine unabding bare Vor aus-setzung für die Motivation des Be-troffenen, sein Hilfsmittel auch per-manent zu benutzen. (Das teuerste Hilfsmittel ist ein nicht akzeptiertes Hilfs mittel! Und die teuerste Versor-gung ist eine – weil nicht passend oder zweckmäßig – abgebrochene!) Denn nur durch die re gel mäßige Anwendung kann die Versorgungs-stra tegie erfolgreich zur Steige rung der Bewe gungs- und Lebens qualität beitragen.

Im praktischen Teil werden wir dann den Nutzen katalog und die technischen Aspek te dieses me-chanischen Therapie geräts heraus-arbeiten.

Denn jedes Hilfs mittel muss, um „zweck mäßig“ zu sein, die ganz spezifischen, von Fall zu Fall unter-schied lichen, behinderungsbe-dingten Ein schrän kungen mindern, ausgleichen oder sogar auf heben. Dafür haben wir einen um fang-reichen Aus stattungskatalog, mit dem äußerst differenziert nahezu jede Versor gungsstrategie unter-stützt werden kann. Das Maß der Aktivität, der Mobilität, der Teilhabe am sozialen Umfeld des Be hinderten kann damit spürbar verbessert und ausgebaut werden.

Ausgestattet mit dieser profun-den Ver sor gungs kompe tenz wird konsequenter weise eine optimale und deshalb wirt schaft liche Versor-gungs qualität erfolgen!

Die folgenden Texte basieren auf einer Viel zahl von Informationen und Erfahrungen der Benutzer un serer Rollstühle, Eltern, The ra peu ten, Päda gogen, Ärzten, Entschei dungs-trägern, Kostenträ gern und Reha-Techniker und werden ggf. durch die jeweils ange gebenen Literaturquel-len ergänzt und unter mauert.

praktische Anwendung

Page 8: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

8

1. Rechtliche Aspekte Pflichten, ansPrüche, definitionen

Das Sozialversicherungsrecht wird in der Bun des republik Deutsch-land (historisch bedingt) in zahlrei-chen Einzelgesetzen geregelt, die in zwölf Bereiche aufgeteilt sind. Die jeweiligen Sozial gesetzbücher (SGB) sind mit römischen Ziffern numme-riert (I – XII) und gelten als jeweils eigen ständige Gesetze.

Die Rechte und Pflichten der Gesetzlichen Krankenversicherung werden im Fünften Buch des Sozi-algesetzbuchs (SGB V) beschrieben, die der Versicherten im SGB IX bzw. XI.

Im § 1 SGB V wird die Kranken-versicherung als Solidargemein-schaft*1 definiert, mit der Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesund heitszustand zu bes-sern. Ca. 90 % der deutschen Bevöl-kerung sind aktuell in einer Gesetz-lichen Kranken versicherung (GKV) versichert.

Insbesondere werden im SGB V die Leistungen beschrieben, die die GKVs ihren Versicherten im Rahmen der Krankenbehandlung zu gewäh-ren haben. Die Krankenbehandlung umfasst dabei gemäß § 27 SGB V

neben der ärztlichen und zahnärzt-lichen Behandlung unter anderem die Versorgung mit:• Arzneimitteln• Hilfsmitteln• Heilmitteln• häuslicher Krankenpflege und

Haushaltshilfe• ambulanter Palliativversorgung

Im Sozialgesetzbuch (SGB) IX, § 2, Abs. 1 wird de fi niert, wann ein Mensch als behindert gilt. Dem nach ist ein Mensch dann behindert, wenn

„seine körper li chen Funktionen, geistigen Fä hig keit oder die seeli­sche Gesundheit mit hoher Wahr­schein lich keit länger als sechs Mo­nate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und des halb die Teilhabe am Le ben in der Gesellschaft beeinträchtigt“ ist.

Folgt aus diesen Defi zi ten eine Beein träch tigung der Teilhabe an einem oder mehreren Lebensberei-chen, liegt per Defi nitionem eine Be-hin derung vor. Um diese Be einträch-tigungen der Teilhabe zu min dern, aus zugleichen oder aufzu heben, haben sich die gesetzlichen Kran-ken kassen verpflich tet, geeig nete Hilfs mittel bereit zustellen. Durch den §33 im SGB V haben be hin-derte Menschen einen ge setzlich versicher ten An spruch auf solche Leistungen*2.

*1 § 1 SGB V, Solidarität und EigenverantwortungDie Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufga-

be, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheits-bewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesund-heitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Le-bensverhältnisse hinzuwirken

*2 § 33,1 SGB V, 5. Abschnitt, Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Kör-

perersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfs mit teln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Be hin derung vorzubeugen oder eine Behin-derung auszu gleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Ge-brauchs gegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. …

*3 SGB IX § 1 „Selbstbestimmung und Teilhabe ...“Behinderte … erhalten Leistungen nach diesem Buch und den

für die Rehabilitationsträger geltenden Leis tungsgesetzen, um ihre

Rechtliche Grundlage durch dieSozialge­setzbücher

Aufgaben der Solidar­gemein­schaft

Definition von Behin­derung

Page 9: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

9

Eine Versorgung mit einem Roll-stuhl erfolgt in erster Linie unter dem vom Gesetzgeber im SGB IX §§ 1 und 4 geforderten Aspekt „Selbst-bestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“*3 ��, also der „In-tegration ins soziale Umfeld“, kurz Inklusion.

Ziel dieser gesetzlichen Forde-rung ist die Ver besserung oder der Erhalt der eigenstän di gen Lebens-führung im häus li chen und/oder sozi alen Umfeld. Sie wird immer ab-hängig von Art und Schwere der Ein-schrän kung des Patienten er folgen. Funktions- und Fähigkeits störungen in Be zug auf die Selbst versorgung, Selbständigkeit und Alltags be wäl-tigung können eine Rollstuhlver sor-gung in allen Indikationsbereichen not wen dig machen.

Der Gesetz geber fordert in §12, SGB V, „Wirtschaftlichkeitsgebot“*4

von einer Hilfsmittel ver sor gung: „Die Leistungen müssen aus-

reichend, zweck mäßig und wirt-schaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht über schreiten.“

Leider variieren die jeweili-gen Versorgungs kon zepte je nach Leis-tungsträger. Die gesetzlichen Kranken kassen (GKK) sind aber zu einem Basisausgleich verpflichtet, der die Grundbedürfnisse im Alltag des Betrof fenen sicherstellt. Zu die-sem Basisaus gleich gehören nach aktueller Rechtssprechung: • alle körperlichen Grundfunktio-

nen (Sitzen, Liegen, Gehen, Ste-hen, Treppensteigen),

• die allgemeinen alltäglichen Ver-richtungen

• elementare Körperpflege, • die Möglichkeit zur selbststän-

digen Verrichtung von Alltagsge-schäf ten, Einkäufen und Besor-gungen

• auto no mes Wohnen, die Mög-lichkeit zum Verlassen der Woh-nung),

• die Erschließung eines körperli-chen und geis tigen Freiraums,

• das Erlernen eines lebensnotwen-digen Grund- und Schulwissens,

• die Teilnahme am gesellschaftli-chen Leben

• und bei Kindern ganz besonders die Inte gra tion in die Gruppe Gleichaltriger.

Selbstbestimmung und gleich berechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benach teili gungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird den besonderen Bedürf nissen behin-derter und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder Rechnung getragen.

SGB IX § 4 (1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die not wendigen Sozial-

leistungen, um unabhängig von der Ur sache der Behinderung 1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre

Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pfle gebedürftigkeit

zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vor zei tigen Bezug anderer Sozialleistungen zu ver meiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,

3. die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder

4. die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstän-dige und selbstbestimmte Lebens führung zu ermöglichen oder zu er-leichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Er rei chung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leis tungs träger geltenden besonderen Vorschriften

Definition der Ansprü­che zum Ausgleich

Umfang der Ansprüche,

Wirtschaft­lichkeits­gebot

Basisaus­gleich der Grundbe­dürfnisse

Page 10: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

10

Wenn die Versorgungsleistung aber unter dem rein for malen Aspekt der „puren” Kos ten eva luiert und ge-währt wird, statt unter strategi schen Ge sichtspunkten, dann können Versor gungs ab sicht und gesetzli-che Leis tung schnell in Kon flikt ge-raten. Die Reihe von pauschalisier-ten Ableh nungen bei Hilfs mitteln ist dafür ein beredtes Zeugnis. Hier kann eine auf gleicher Augenhöhe geführte Kom mu nikation aller am Versor gungs prozess Betei ligter und noch mehr die Erarbeitung eines ge-meinsamen Versorgungskonzepts kon struktiv sein.

Eine Versorgung mit einem Roll-stuhl ist immer eine Handlung für den Betrof fenen und gegen die Behin derung. Sie ist eine dyna mi-sche, voraus schauende, nachhal-tige Thera pie ent schei dung ganz im Sinne des SGB IX mit klaren Perspektiven: • Abwendung, Beseitigung oder

Minderung der Behinderung, • Verhütung ihrer Verschlimmerung

oder Milde rung ihre Folgen, • Zuwachs der Autonomie des Be-

trof fenen, • aktive Integration in sein soziales

Umfeld,• Steigerung der Lebensqualität, • Verringerung von Folge- oder Ko-

lateral schä den.

Vor diesem Hintergrund kann dann ge trost unter stellt werden, dass jede Komponente einer Ver-sorgung zweckmäßig ist und ausrei-chend dafür, die vom SGB IX gefor-derte Inte gration zu erreichen. Das „Maß des Notwen digen überschrei-ten“ kann sie aber nicht, weil es ein „Zuviel an Integration“ nicht geben kann. Jede gegenteilige Debatte würde auf eine Aus grenzung hinaus-laufen, statt die „Not-wen den de“ In-klusion zu unterstützen.

SGB V Abs. 1 § 33 regelt den Um-fang des Anspruchs der Versicher-ten auf Leistungen nach dem Ge-setzbuch*5. „Der Anspruch umfasst auch die notwendige • Änderung, • Instandsetzung und • Ersatzbeschaffung von Hilfsmit-

teln, • die Ausbildung in ihrem Ge-

brauch und … • zur Erhaltung der Funktionsfähig-

keit und der tech nischen Sicher-heit notwendigen War tungen und technischen Kon trollen.

Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hin-ausgehen, haben sie die Mehrko-sten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen.“

neben anderen Sozialleistungen erbracht. ... (3) Leistungen für behinderte ... Kinder werden so geplant und

gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Um-feld getrennt und gemeinsam mit nicht behinderten Kindern betreut werden können. ...

*4 SGB V 2. Abschnitt § 12 „Wirtschaftlichkeitsgebot“:(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirt-

schaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschrei-ten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, kön-nen Versicherte nicht bean spruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Fest betrag.

*5 SGB V 5. Abschnitt § 33: … Der Anspruch umfasst auch die notwendige Än derung, In-

standsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfs mitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor un-vertretbaren gesund heitlichen Risiken erforderlich, ... notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Wählen Versicherte Hilfsmit-tel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen.

Ziel einer Rollstuhl­versorgung

Konflikt-herde

Wartungs­ und Ersatz­leistungen

Page 11: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

11

indikation einer rollstuhl­versorGunG

Für gewöhnlich denkt man beim Thema Roll stuhl-Indikation in erster Linie an Parese/Plegie (Läh mung), Extraktion (Amputation) oder Myas-thenie (Mus kelschwäche) der unte-ren Extre mitäten zur Kompensation fehlender oder be ein trächtigter Geh-funktionen. Tatsächlich können alle Arten von motorischer Beeinträchti-gung bis hin zu stark ein geschränk-ter oder auf gehobe ner Gebrauchsfä-hig keit aller Extremi tä ten ein Indiz für eine Rollstuhl versor gung sein. Darüber hinaus kann ein Roll stuhl auch bei nicht kompensierbarer, erheb licher Herz- und Ateminsuffi-zienz, bei allen Arten von Ataxien (Störungen der Bewegungskoordi-na tion) oder Stö rungen des Stoff-wechsels und des Gleich gewichts indiziert sein.

Die Indikation eines Rollstuhls bei teil weiser oder voll stän di ger Beeinträch ti gungen von Körper-funkti onen kann begrün det sein 1.) in erwor benen Erkran kungen oder 2.) in angeborene Schädi gungen.

Zu 1.) zählen: • neurologisch progrediente Er-

krankungen,• Muskelerkrankungen, • Unfäl le, die zu Lähmungen oder

Extraktionen führen, • Schädigungen des Gehirns infol-

ge von Trau mata oder Mangel-durchblutung.

• Zu 2.) zählen: • Störungen des Nerven- und

Muskelsystems, • Störungen der Cerebralfunktio-

nen, • Schädigungen des Skelettes.

Unter folgenden Vor ausset-zungen kann eine Rollstuhlver sor-gung medi zinisch indiziert sein, z.B. bei beeinträchtigter Mobilität bzw. absoluter Gehunfähigkeit: 1. durch Lähmungen• Querschnittlähmungen (Tetra-

oder Paraparese, Tetraplegie) • Meningomyelozelen• Hemiplegien • Spina Bifida • Progressive Muskeldystrophien• Infantile Cerebralparese• Multiple Sklerose• Posttraumatische Hirnschäden2. durch Gliedmaßenverlust• Ein- oder beidseitige Oberschen-

kelamputation• Amputation in Kombination mit

ausgeprägten Kreislauf- oder Gleichgewichts störungen

• oder bei Belastungsinsuffizienz des verblie benen Beins

• Amputation eines Beins und ei-nes Armes

• Hüftextraktion 3. durch Gliedmaßendefekt/-

defor-mation• Dysmelie• Phokomelie (Contergan®)• Osteogenesis Imperfekta• Skoliosen4. durch Gelenk-Kontrakturen

oder -Schäden mit erheblichem Ausmaß, nicht ur-

sächlich behan delbar, verursacht durch:

• Polyarthose• Polyarthritis, • Morbus Bechterew• Arthrogryposis multiplex• neurogene Funktionsstörungen5. durch sonstige Erkrankungen

wie:• Herz- und Kreislaufinsuffizienz• Gleichgewichtsstörungen• Kachexie

diverse Krankheits­bilder

Page 12: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

12

Bei der Indika tion eines Roll-stuhls darf man aber nicht von ei-nem „Sche ma F“ aus gehen: Stuhl-mo dell X für Krank heits bild Y, weil eine eindeutige Zuordnung von Krankheitsbild und Art des Roll-stuhls nicht möglich ist. Bei der Aus-wahl sind neben medizinisch-thera-peutischen Aspekten immer auch die Lebensumstände des Benut-zers von Bedeutung. Die ein zel nen Bausteine eines Roll stuhls können deshalb so unterschied lich sein, wie die Erfordernisse zum individuellen Basis aus gleich unter schied lich sind. Daraus ergibt sich eine Vielzahl völ-lig unterschiedlicher und individuell ge stal teter Versorgungen.

Leider wird bei einer Versorgung oft nur die Diag nose angege ben, die nicht erkennen lässt, warum und wozu der Roll stuhl erfor der lich wird. Im Sinne einer effizienten (und deshalb wirt schaft lichen) Versor-gung wird die Bewertung, was mit dem Rollstuhl er reicht werden soll und wel che Aus wirkungen er auf die Befrie di gung der elementaren Lebens Bedürfnisse des Be hin-derten haben soll künftig mindes-tens genau so wichtig. (Eine Beinpro-these ist auch nicht indiziert, um die fehlende Bein länge auszu gleichen, sondern damit der Ampu tierte wie-der gehen kann.)

Im Gegensatz zu unserer Ge-setzgebung stellt die WHO (Welt-gesundheitsorganisation) mit der „ICF“ (Inter nationale Klassifikation der Funk tions fähigkeit) deutlich mehr das Ziel der Teilhabe an den verschiedenen Lebensbe rei chen (Par tizipa tion) in den Vordergrund statt die wirk li chen oder vermeintli-chen Defizite. Wäh rend bei uns eine

Roll stuhlversorgung aufgrund einer abstrakten Diagno se (der Defi zi te) ärztlich verordnet wird, orientiert sich die ICF an den möglichen Ef-fekten einer Roll stuhl-Versorgung und den po si tiven Aspekten der Interak tion, nämlich zwi schen einer Person mit einem be stimmten Ge-sundheitszustand und ihren individu-ellen Kon textfaktoren (Umfeld und Körper funktio nen). Sie richtet also den Blick auf die Auswirkung en der vielschichtigen Beeinträch tigungen, z.B. im Hinblick auf • Mobilität, • Selbstversorgung, • häusliches Leben, • Kommunikation, • Erwerbstätigkeit, • gemeinschaftliches soziales Leben,immer vor dem Hintergrund der komplexen Le bens situ ation des Behinderten.

frühförderunG

Bisher wenig ins Blickfeld ge-rückt ist die sehr frühzeitige Indikati-on von Rollstühlen bei Kleinkin dern schon ab deren 12. Lebens monat. Auch dann nicht, wenn sich Defizite einzelner Körperfunktionen bereits ankündigen und/oder abzeich nen. Glücklicher weise setzt sich jedoch immer mehr die Er kennt nis durch, dass eine solche Verord nungs-strate gie Frühförderung im wahren Wortsinn ist.

Hier kann über den Basisaus-gleich hin aus nachhaltig die kör-perliche und geis tige Ent wicklung nahe am „Normalzu stand“ ein ge-leitet und geför dert werden sowie den drohenden Fol geschäden durch nicht thera pierte Funktionsde fi zite entgegen ge wirkt werden. Das ist

Kein „Schema F“ möglich!

Denkansatz der WHO ­ die ICF

(Inter nationale Klassifikation der Funk tions­fähigkeit)

Früh­ und Frühst­förderung

Page 13: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

13

die wohl kostengünstigste Form von Integration und Prä vention. Des halb ist davon auszu gehen, dass eine Roll stuhlversorgung oftmals schon viel früher indi ziert ist, als erst dann, wenn Defizite bereits akut oder gar irreparabel sind.

*1 “Die Meinung, dass durch eine zu frühe Rollstuhlversorgung die Kinder zu faul würden, das Laufen zu erlernen, ist leider sehr verbreitet. Auch bei den Entschei­dungsträgern. Kinder, die sehr spät ein aktives Fortbewegungsmittel bekommen und das Laufen lernen müssen, obwohl sie ohne Hilfsmittel wie Schienen, Stützen, Gehwagen etc. nicht laufen können und auch mit den Hilfen nur sehr langsam von der Stelle kommen, werden viel eher bewegungsfaul. Sie erleben nämlich Fortbewegung als etwas sehr Anstrengendes und Mühsa­mes (mit einer nur vagen Perspek­tive, in ferner Zukunft frei gehen zu können, was aber in der Regel oft nicht realistisch ist).

Kinder, die früh erleben, dass sie relativ leicht dorthin gelangen kön­nen, wo sie hin möchten, erleben Fortbewegung als etwas Positives und Förderliches zur Erreichung ih­rer Ziele.

Aus unserer Erfahrung, in der wir viele Kinder mit den unterschied­lichsten Versorgungen über einen langen Zeitraum beobachten konn­ten, erhöht die frühe Versorgung mit einem gut angepassten Rollstuhl langfristig die Mobilität und auch die Aktivität. Ein anderes Vorurteil über den Rollstuhl ist, dass derjenige, der Rollstuhl fährt, keine anderen Mög­lichkeiten mehr zur Verfügung hat.

Dabei ist der Rollstuhl nur ein Fort­bewegungsmittel neben anderen. Und ein Kind sollte viele verschie­dene Bewegungserfahrungen ma­chen können. Aus den Erfahrungen mit Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Behinderung haben wir gelernt, dass eine frü­hestmögliche Rollstuhlversorgung gerade für Kinder mit Spina bifida von unschätzbarem Wert für die Entwicklung ihrer Mobilität und da­mit auch für ihre gesamte Persön­lichkeitsentwicklung ist. Innerhalb der Wohnung kann sich bereits ein 1­ bis 2­jähriges Kind mit entspre­chend kleinem Rollstuhl oder ande­rem Fahrgerät, dass es selbst bedie­nen kann, gut und sicher fortbewe­gen und alleine dorthin gelangen, wo es hin möchte, um Erfahrungen zu sammeln und zu begreifen.

Das gesellschaftliche Bild des Roll­stuhls ist nach wie vor geprägt von ei­nem Stigma des Nicht­mehr­könnens. Ausdrücke wie „an den Rollstuhl ge­fesselt“ verdeutlichen und verstärken dieses Denken. Das späte Verordnen des Rollstuhls, erst wenn der Nutzer gar nicht mehr gehen kann, zeigt deutlich, dass der Rollstuhl nicht als das gesehen wird, was er eigentlich ist, nämlich ein pfiffiges Fortbewegungsgerät, sondern eher drohend wie ein Damo­klesschwert über einem hängt.“

Als einer der füh renden Rollstuhl-her-steller in der Kinder-Reha sind wir selbst-verständlich in der Lage, auch bei aller-kleinsten Rollstühlen so detail liert und diffe renziert zu versorgen, wie wir das bei Er wach senenrollstühlen können.

Motivation

*1 Rollstuhlversorgung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, Susanne Bröxkes und Ute Herzog (Hrsg.) ISBN 3-9809245-0-5

Page 14: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

14

Page 15: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

15

2. Medizinische Aspekte

Im Zusammenhang mit einer kompe-tenten, zweckmäßigen und wirtschaft-lichen Versorgung sind zum einen eine profunde Kenntnis der Krank heits bilder und deren Verlauf von großem Vorteil: • Ist die Erkrankung heilbar? • Welchen Ver lauf nimmt sie in aller

Regel?• Welche Pro ble me können auftreten? • Welche Zusammen hänge sind zu be-

rück sich tigen? • Wie im allge mei nen verläuft voraus-

sichtlich die geistige Entwicklung des Betroffenen?

Zum anderen ist die genaue indi-viduelle Be trach tung des Kindes, des Jugend lichen oder Er wachse nen von mindes tens gleichgroßer Be deu tung. Denn ein und dieselbe ärztliche Di ag-nose kann völlig unter schiedliche Er-schei nungs bilder haben.

Ein Kind mit Osteogenesis Imperfecta (OI) kann gehen, ein anderes kann sich nur schwer mit dem Rollstuhl fortbewe-gen. Ein tetrapare ti sches Kind kann mit dem Rollstuhl fahren, das andere sich nicht auf dem Boden vom Rücken auf den Bauch drehen. Ein dipareti sches Kind kann gehen, ein anderes nicht. Die Möglichkei ten eines Kindes mit Spina bi-fida hängen u.a. von der Höhe der Spalt-bildung ab.

Vor einer Pau schalisierung in der Verordnung sei deshalb ein dringlich gewarnt!

Denn eine Diagnose kann nur einen be grenzten Aufschluss über die unter-schied lichen Er for dernisse an das Hilfs-mittel geben. Für eine nachhaltige Ver-sor gungsstrategie mit einem Rollstuhl aber sind vor allem die Aus wir kungen auf die Beeinträchti gungen der Körper-funktionen des Erkran kten aus schlag-gebend.

Daraus ergibt sich dann folgende Fragestellung: (diese Liste erhebt keinen An spruch auf Vollständigkeit)

• Wie ist der Rumpf-Tonus (schlaff/fest, kontrol liert/willkürlich)?

• Wie der Tonus der Extremitäten (geschmei dig/steif)?

• Verfügt das Kind über Kopfkontrolle? • Wo kann das Kind am besten aufge-

richtet werden? • Müssen Positionierungshilfen einge-

setzt werden?• Wenn ja: genügen Stützpelotten oder

bedarf es einer Orthese?• Ist das Kind seitlich betont, wenn ja,

zu welcher oder auf welcher Höhe der Wirbel säule?

• Kann es mobilisiert werden?• Muss es mobilisiert werden?• Kann das Kind stehen, wenn ja:

selbst ständig?• Wird das Kind gehen können, wenn

ja: selbstständig oder mit Hilfsmit-teln?

• Kann das Kind sich mitteilen, wenn ja: sprachlich?

• Kann es kommunizieren?• Wird es zur Schule gehen können?• Wird das Kind seinen Alltag autonom

gestalten können.• Etc.

Aufgrund des sich hieraus ergeben-den Erscheinungsbildes des Betroffenen und der größtmöglichen Berücksich-tigung seines sozialen Umfelds, kann dann ein detaillierter Anforderungskata-log an das Hilfsmittel erarbeitet werden. So kann über die optimale Anpassung und Ausstattung der größtmögliche the-ra-peutische Effekt erzielt werden.

Deshalb können die folgenden Hinweise lediglich eine vage Richtung aufzeigen und lediglich vor dem Hinter-grund der medizini schen Faktoren be-trachtet werden. Sie sind naturgemäß unvollständig.

Ziele und Strategien der Thera­pie

Page 16: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

16

hinWeise zur rollstuhlver­sorGunG:

Die Begriffe Plegie und Parese wer-den fälsch li cher weise oft in der selben Bedeu tung verwendet. Tatsächlich aber ist Parese eine nur teil-weise Lähmung bzw. Steifheit, Plegie (Paralyse) eine völ-lige Lähmung oder Er-starrung. Im Fol-genden werden wir diesen Unterschied nicht wesentlich weiterverfolgen.

Tetraplegiker bei Restmobilität der oberen Extremi-

täten: benötigt Stabilisierung im Rumpf-bereich aufgrund fehlender Rumpfkon-trolle; leichter Aktivrollstuhl mit Positio-nierungshilfen (anatomische Sitz- und Rücken einheit) sowie Greifhilfen an den Antriebsrädern (Maxgrepp-Greifring oder Greifringüberzüge), Kippe ligkeit/Schwerpunktein stellung des Rollstuhls.

Di-/Paraplegiker bei Funktionstüchtigkeit der obe-

ren Körperhälfte, hat meist noch gute Funktionsfähig keit von Schultern, Armen und Rumpf, oft sehr mobil, kann den Rollstuhl sicher, ausdauernd und schnell bewegen; benötigt einen sehr leichten, wendigen und robusten Aktivrollstuhl, meistens sehr aktiv eingestellt.

Hemiplegiker Patient treibt den Rollstuhl mit der

nicht betroffenen Seite an bzw. trippelt mit dem gesunden Bein, niedrige Sitz-höhe, Fuß raste abklappbar; besonde-re Be ach tung erfordern die Bereiche Symmetrie, Auf rich tung und Lagerung des betroffenen Arms, sowie Positionie-rungs hilfen (Pelotten. anatomische Sitz- und Rücken einheit, Kopfstütze); zusätz-lich jede Form von Einhandhil fen wie: Einhandbetrieb UNO, Doppel greif ring, Einhandlenkung, Einhandbremse.

Multiple Sklerose individuelle An passung, je nach indi-

viduellen Funk tions ausfällen; unwill kür-liches Augenflattern mit einhergehenden

Gleichge wichts störungen, Zittern bis hin zu moto rischem Kontrollverlust; progres-siver Krankheitsverlauf be dingt die Ein-planung von Adaptionsmöglich keiten.

Parkinson und Ataxie gleiche Vorgehens weise wie vorher,

d.h. eine befundsbezogene Roll stuhl-versorgung.

Spina Bifida sehr leichter, mitwachsender Kinder-

rollstuhl, nicht zum Reinwachsen, mögli-che Skelettdeformationen berücksichti-gen bei schwacher Rumpfstabilität ggf. mit Stützsystemen arbeiten, wenn nötig Sitzschalensystem.

Spastische oder infantile Ce-rebral parese

Benutzer hantiert oft sehr kraftvoll aber ungezielt, sehr stabiler Aktivroll-stuhl (u. U. verstärkter Rahmen) mit dy-na mischer Beinstütze, um den Spasmen entgegen wir ken zu können, optimale Sitzstabilität durch anatomische Sitz- und Rückenformteile (Aktivität geht auf Kosten der Sitzhaltung) eventuell Sitz-schale (bei Skoliose).

Osteogenesis Imperfekta je nach Grad der Erkrankung ein sehr

leichter Aktivrollstuhl, Höchstmaß an individueller Einstellbarkeit auf den er-gonomisch optimalen Greifpunkt, muss auch mit kuriosen Dimensionen möglich sein (extrem kurze Sitztiefe zu extremer Sitzbreite, extremer USL oder Armlänge etc.), Körperführungssysteme (Pelotten, bzw. anatomischer Sitz oder auch Sitz-schale).

Spinale Muskelatrophie je nach Grad der Erkrankung ein sehr

leichter Aktivrollstuhl, mit einem Höchst-maß an individueller Einstellbarkeit auf den ergono-misch optimalen Greifpunkt, je nach Schlaffheit des Muskeltonus Körper füh rungs systeme (Pelotten, bzw. anatomischer Sitz oder auch Sitzscha-le).

Krankheits­bilder und Besonder­heiten

Page 17: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

17

Muskeldystrophie sehr reduzierte Leis tungs fähigkeit,

geringe Ausdauer, schwacher Mus-keltonus bis zur Erschlaffung einzelner Glied maßen oder Muskelgruppen, bei Restmobilität ein sehr leichter Aktivroll-stuhl für eine optimale Kräfteökonomie, bei fehlender Rumpfstabilität häufig Sitzschalen ver sor gung nach Abdruck, dann Rollstuhl mit Sitzschalenvorrich-tung

Im Folgenden führen wir einige der geläu figsten Krankheitsbegriffe und -bil-der auf. Bitte beachten Sie, dass diese allgemeinen Informationen keinen Arzt-besuch ersetzen. Für die medi zinische Rich tigkeit können wir keine Garantie übernehmen.

Page 18: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

18

Page 19: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

19

medizinische indikation Welcher rollstuhl Passt für Welche versorGunG?

Die folgenden medizinischen Informationen dürfen nicht als Ersatz für Beratung, Diagnose und/oder Behandlung durch anerkannte Ärzte angesehen werden. Behandlungen dürfen nur von dafür qualifizier-ten Personen begonnen oder abgesetzt werden.

Amputation ICD 10

Versorgung Bei Verlust eines oder beider Beine:Aktiv­Rollstuhl­ Rahmen möglichst mit geradem Vorderrahmen (90°, um näher an Verrich tungen heranfahren zu können) ­ Beinstütze ggf. abnehmbar­ ggf. Bein lage rung hochschwenkbar (Trombosenprophylaxe)­ passiver Radstand (wegen Schwer­punktverlagerung)­ ggf. Radstandverlängerung­ geteilte Beinstütze (gesundes Bein kann trippeln)­ Kippschutz ­ abklappbares Seitenteil (zum leich te­ren Transfer aus/in den Rollstuhl)

Bei Verlust eines Armes zusätzlich:­ Einarm­Antriebshilfen (Doppelgreif­ring, UNO) ­ Einhandlenkung­ Einhandbremse­ Rückrollsperre (bei hügeligem Um­feld)

Definition:Verlust (operativ oder traumatisch) von Extremi-täten. Kein reales Krank heits bild, aber mit teil-weise erheb lichen Beeinträchtigungen der Teilha-be und der auto nomen Gestaltung des täglichen Lebens verbunden

Y88.0 ff

UrsachenInfektionen, Gefäßerkrankungen, Unfälle, Tu-more. Ca. 80% gehen auf Durchblutungs stö-rungen sowie alle Ar ten der chronisch-arteriellen oder venösen Insuffi zienz zurück. Oft im Zusam-menhang mit Diabetes mel litus, arterielle Hyper-tonie, Nikotin-Abusus und/oder Adipo si tas.

I10.0C00 ffE10 ffE66.0-9J68.0-9

FolgenBei einseitiger Ex trak tion der unteren Extremi-täten wird durch eine Prothesenversorgung das Gehen u.U wieder möglich, durch Gleichge wichts- und Kreislauf störungen und/oder Über belastung des erhaltenen Beines erschwert. Ge fahr von Ödemen, Dekubitalge schwür und/oder Hyperke-ratose

L89

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr) 18.99.02. 1012Vector (starr) 18.50.03. 1067Jump alpha gerade oder abdu (faltbar), 18.50.03. 1037/38Jump beta (faltbar) 18.50.03. 1xxx

Page 20: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

20

Ataxie ICD 10

Versorgung Bei Restmobilität ­ Aktiv­Rollstuhl ­ abhängig von der Progression mit Sitzkantelung, Rückenwinkelverstel­lung und Positionie rungs hilfen ­ oder anatomische Sitz­ und Rücken­form teile ­ oder Sitzschalen (nach Ausmaß der Posi tio nie rung)­ ggf. Pelotten­ ggf. Abduktionskeil­ Kopfstütze- Armauflagen­ ggf. dynamische Beinstütze­ Greifringüberzug (zur besseren Grif­figkeit) oder ­ Noppengreifringe ­ verlängerter Radstand (wegen spon­taner SchwerpunktverlagerungKippschutz­ verriegelbare Bremse (um ungewollte Übergriffe zu verhindern)­ oder Begleiterbremse (vom Begleiter bedien­ und verriegelbar)­ höhenverstellbare Schiebegriffe oder –bügel (wegen Kantelung)

Zusätzlich, zur Stabilisierung des ge­samten Tonuses, des Kreislaufes und des Stoffwechsels sowie zur Entlas­tung der Wirbelsäule:­ Stehfahrer

Definition:Überbegriff für Störungen der Koordination von Be we gungsabläu fen aufgrund von Entzün dung en oder Erkrankungen des Kleinhirns; kann auch ge-netische (hereditäre) Ursachen haben. Die ersten Symptome treten um das 2. bis 3. Le bensjahr auf. Kenn zei chnend sind eine zere belläre Ataxie (u.a. Gang- und Standunsi cher heit) mit Klein-hirndystrophie (Substanz schwund) vor allem im Bereich des Vermis, Athe tose (dystone Bewe-gungsstörung), Stö rungen der Augenbewegungen sowie ein phy si scher und später auch psychi-scher Ent wick lungs rück stand. Außerdem haben die betroffe nen Kinder durch einen T-Zell-Defekt eine ver minderte Im munkompetenz, so dass sie zu In fekten neigen und weitaus häufiger als die Nor mal bevölkerung Leukämien und Hodgkin-Lym phome entwickeln. Die Krebsrate soll um den Faktor 100 höher liegen. Weitere häufige Sym-ptome sind Hyper sali vation (Speichelfluss) und Hypogonadismus (Reifestörung)

G11.0 ff

Ursache(n): entzündliche Erkrankungen des Nervensys tems mit Schädigung des Kleinhirns und/oder Rü cken-marks, vor allem bei der multiplen Skle ro se. Ata-xien können auch durch chronische Ver giftungen ausgelöst werden, sowie Schlag an fälle, Blutungen oder Durch blutungs stö rungen des Kleinhirns.

Folgenführt zu Störungen der Bewegungskoordi nation, zu Bewe gungen falschen Aus maßes mit daneben zeigen (Dysmetrie), über schießenden, ausfah-renden Bewegungen (Hy per metrie) oder zu un-flüssig-verwackelten Be we gungen und damit zur Unfähigkeit einer raschen Folge anta go nistischer Bewe gungen; bei zerebellarer Ataxie: breitbei-niger, un si che rer, wacke liger, zittriger Gang; bei spina ler Ataxie: Sensi litäts störungen; bei Rumpf-Ata xie: Unfähig keit, selbstständig und ungestützt gerade zu sitzen oder zu gehen.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXTilty Vario (kantelbar), 18.99.02. XxxxVector (starr) 18.50.03. 1067Pablo mini/II/III (Stehfahrer) 28.29.01. 3008

Page 21: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

21

Atrophie (Spinale Muskelatrophie) ICD 10

Versorgung Bei Restmobilität: Aktiv­Rollstuhl zur Erhaltung der Restmobilität und Verzögerung der Progression­ extrem leichtgängiger Rollstuhl mit geringem Gewicht, ­ anatomische Sitz­ und Rücken form­teile zur Stabilisierung der Sitzpo sition­ ggf. Pelotten­ ggf. Abduktionskeil­ Kopfstütze- Armauflagen­ ggf. Rückrollsperre (bei hügeligem Umfeld)ggf. Antriebshilfen

fortgeschrittene Progression: ­ Sitzkantelung, Rückenwinkelverstel­lung und Positionie rungs hilfen ­ Sitzschalen (nach Ausmaß der Posi­tio nie rung)­ ggf. dynamische Beinstütze­ Greifringüberzug (zur besseren Grif­figkeit) ­ verlängerter Radstand (wegen spon­taner SchwerpunktverlagerungKippschutz­ verriegelbare Bremse (um unge wollte Übergriffe zu verhindern)­ oder Begleiterbremse (vom Begleiter bedien­ und verriegelbar)­ höhenverstellbare Schiebegriffe oder –bügel (wegen Kantelung)

starke Progression­Sitzschalenrollstuhl, kantelbar mit ­ Sitzschale (ggf. nach Abguss)­ Zimmeruntergestell für den Transfer zu Hause­ weitere Optionen wie oben

Definition:Als Atrophien werden eine Gruppe neuromusku-läre Erkran kungen bezeichnet, die fortschreiten-den Mus kelschwund nach sich ziehen. Die für uns wichtigste Forme ist die Spinalen Mus kel atro phie (SMA Typ II und III).Die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist ein Mus-kel schwund, der durch einen fort schreitenden Rückgang von motorischen Nervenzellen im Rük-kenmark entsteht. Die Muskelfasern, die von den erkrankten Nervenfa sern nicht mehr richtig ange-sprochen bzw. akti viert (innerviert) werden, kön-nen sich nicht mehr zusammen ziehen und somit keine oder nur geringe Bewegungen ausführen. Durch die feh lende Reizung werden die einzelnen Muskel fasern schmächtig. Sie tritt selten auf (10/ 100.000 Geborene/Jahr).

M62.0 M62.5 ffG 1 2 . 0 G 1 2 . 1 G12.9

Ursache(n): häufig Folge eines Gende fekts, auch durch mangel-haften Stoffwechsel herbeigeführter Schwund des Ge samtkörpers, einzelner Organe oder Organteile oder Muskeln.

FolgenDer Rückgang der 2. Motoneuronen verursacht, dass die Impulse vom Gehirn nicht mehr an die Mus keln weitergeleitet werden. Muskelschwund (Atro phie), Lähmungen und verminderte Mus kel-spannung sind die Folge. Die akute Form (SMA Typ I) beginnt bereits in utero; Muskel tonus und Spontanbewe gung en sind vermin dert, die Muskeleigenre flexe erlöschen. Die Kinder errei-chen weder eine Kopfkontrolle noch können sie frei sitzen. Früher Tod durch Atem schwäche. Bei der intermediären Form setzt die Schwäche in den ersten Lebensmonaten und -jahren ein. Die schon erlernten Fähigkeiten (gehen, stehen, sitzen) ge-hen dann wieder ver loren; bei Typ I, Typ II und teilw. auch Typ III Ver krüm mungen der Wirbelsäule und Defor mie rungen des Brustkorbes (Skoliosen); oft Pro gres sion bis zum kompletten Pflegefall.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXVector (starr) 18.50.03. 1067Tilty Vario (kantelbar), 18.99.02. 1013Loop (kantelbar), 26.99.01.3034Loop (kantelbar mit 12“-Rädern), 26.99.01. 1045

Page 22: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

22

Cerebralparese ICD 10

Versorgung abhängig von der Form,bei Einsatz der oberen Extremitäten:­ sehr leichtgängiger Aktivrollstuhl mit geringem Gewicht­ abduzierter Rahmen für große Bein­freiheit und Aufrichtung des Beckens­ große Antriebs­ und Lenkräder für möglichst erschütterungsarme Fahrei­genschaften (Spasmen)­ ggf. Sitzfederung (BESY) ­ und/oder Schiebhilfe (Outdoor­Vorbau)­ anatomische Sitz­ und Rückenein heit für stabilisierte Sitzposition­ ggf. Positionierungshilfen (Pelotten, Abduktionskeil, Kopfstütze, Gurte)­ dynamisches Fußbrett (Spasmen)­ verriegelbare Bremsen (unkontrol­lierte Bewegungen)­ vom Begleiter bedienbar­ Radschutz­ Speichenschutz­ Fußpositionierung

Definition:Unter dem Ausdruck infantile Zerebralparese oder Cerebralparese (auch Morbus Little) ver-steht man Bewegungs störungen, deren Ursache in einer frühkindli chen Hirnschädigung liegt. Sie hat zahlreiche Varianten und ist charakterisiert durch Stö rungen des Nerven- und Muskelsys-tems, wodurch die willkürliche Bewegungsko ordi-na tion gestört wird. Am häufigsten sind spasti-sche Mischformen und eine Muskelhyper tonie.Die Formen:• Infantile Zerebralparese • Spastische tetraplegische Zerebralparese• Spastische diplegische Zerebralparese • Infantile hemiplegische Zerebralparese • Dyskinetische Zerebralparese • Ataktische Zerebralparese • Sonstige infantile Zerebralparese

G80- G82

G80.G80.0G80.1G80.2G80.3G80.4G80.8

Ursache(n): Stö rungen des Nerven- und Muskelsys tems

FolgenDie Entwicklung verläuft gehemmt, pri mitive Re flexe bleiben erhalten, die Bildung physio lo gi-scher Reflexbahnen bleibt aus. Die motorische Entwicklung verläuft verlangsamt oder einge-schränkt. Beim Hoch heben verfügt der Säugling über eine verminderte Kör persteifigkeit, das Um-drehen, Robben/Krabbeln und Laufen ist ver-zögert oder wird nicht erreicht. Der Muskelto nus, die Muskelstärke, die Muskelkoordination und die Bewegungsabläufe sind betroffen. Durch die spastischen Lähmungen kommt es zu Gelenkversteifungen, wobei die Beugemuskeln UND die Adduktoren von der Spastik betroffen sind: Die Hüfte steht angewinkelt gebeugt und nach innen gedreht. Ellen bogen, Handgelenk, Finger und Kniegelenk neigen zur Beugeverstei-fung (Flexion). Der Unterarm ist stark gebeugt und der Daumen ist nach innen gedreht (Prona-tion). Das Sprung gelenk und der Fuß stehen in Spitzfußstellung. Die Wirbelsäule zeigt eine hochgradige Ver krümmung (Skoliose).

Die Begriffe Plegie und Parese werden oft mit der selben Bedeutung verwendet (Tetraplegie/Tetraparese). Tatsächlich meint: Parese eine nur teilweise Lähmung bzw. Steifheit, Plegie (Paralyse) eine völlige Lähmung oder Erstarrung

Page 23: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

23

bei einseitiger Betonung:wie oben aber zusätzlich­ Doppelgreifring­ Einhandlenkung­ Einhandfeststellbremse ­ Greifringüberzug­ Noppengreifringe­ abklappbares Fußbrett (geteilt) zum Trippeln mit dem nicht betroffenen Bein­ ggf. Antriebshilfen­ Rumpforthese oder Sitzschale­ ggf. Sitzschalenadapter (KLICK 30°+) für Faltrollstuhl

bei kompletter Betroffenheit:Aktivrollstuhl kantelbar mit umleg ba­ren Rückenwie oben aber zusätzlich ausziehbare Schiebegriffe/­bügel (wegen Kantelung)­ Kopfstütze­­ ggf. hochschwenkbare Beinstützen mit phyys. Drehpunkt - Wadenauflagen­ ggf. Sitzschale (nach Abdruck)

ErscheinungsformenEs lassen sich verschiedene Formen von Bewe-gungs- und Haltungsbesonderheiten unter schei-den, oftmals handelt es sich um Mischformen:

Hemiparese (32 %), betroffen sind die Extremitä-ten einer Körperhälfte (Arme und Beine), ty pi sche Steigerung des Muskeltonus.Diparese (40 %): Beine stärker betroffen als Arme. Intelligenz normal entwickelt.Tetraparese (2 %): generalisierte Lähmung aller Extremitäten, verzögerte motorische und gele-gent lich auch kogni tive Entwicklung (kogni tive Behinderung), Gehfähigkeit bei nur ca. 10 % der Betroffenen. Insgesamt ungünstige Prognosen.Paraparese: Spastische Lähmung beider Beine.

Seltener:Bilaterale Hemiparese: Spastische Parese aller Extremitäten mit Bevorzugung der Arme.Monoparese: Spastische Lähmung einer Extre-mität.Triparese Spastische Parese von drei Extremi-täten.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXVector (starr), 18.50.03. 1067Jump alpha (faltbar), 18.50.03. 1079Jump beta (faltbar), 18.50.03. 1xxxTilty Vario (kantelbar), 18.99.02. 1013Loop (kantelbar), 26.99.01.3034Loop (kantelbar mit 12“-Rädern), 26.99.01. 1045

Normal Hemiparese Diparese Tetraparese hemi=halb di=beide tetra= vier

Page 24: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

24

Diparese ICD 10

Versorgung bei intakten oberen Extremitäten:­ sehr leichtgängiger Aktivrollstuhl mit geringem Gewicht zur Erhaltung der Restmobilität und Prophylaxe der Gelenkversteifung­ abduzierter Rahmen für große Bein­freiheit und Aufrichtung des Beckens­ große Antriebs­ und Lenkräder für möglichst kraftschonende Fahreigen­schaften ­ ggf. Outdoor­Vorbau (wegen Erschüt­te rungsminderung und Optimierung der Kräfteökonomie, auch als Schiebhilfe)­ anatomische Sitz­ und Rückenein­heit für stabilisierte Sitzposition­ ggf. Positionierungshilfen (Pelotten, Abduktionskeil, Kopfstütze, Gurte)­ oder leichte Sitzschale­ verriegelbare Bremsen (unkontrol­lierte Bewegungen)­ vom Begleiter bedienbar­ Radschutz­ Speichenschutz­ Fußpositionierung­ ggf. Antriebshilfe

Ggf. z.B. bei erforderlicher Sauerstoff­ver sorgung passende Trägersysteme im Sonder bau

Definition:Wörtlich: „Erschlaffen“; gemeint ist jedoch eine Lähmung zweier Gliedmaßen (Arm und Bein) oder eines Gliedmaßenpaares (beide Beine bzw. Arme). Wird auch als „inkomplette Kraft-minderung“ bezeichnet, während Paralyse oder Plegie eine komplette körperliche Lähmung von Skelettmuskeln bezeichnet. Als Synonym wird oft auch „Paralyse“ verwendet, die aber weiter gefasst ist und auch Muskel- bzw. Nerven grup-pen einschließt, die nicht das Skelett sys tem bewegen.

F44.0 ffG.82.6ggf. auch Z99.1

Ursache(n): Paresen sind meistens durch neurologische Störungen verursacht, z. B. des ersten Motoneu-rons, das die Bewegungsinformationen vom Gehirn über das Rückenmark sendet, wo sie jedoch nicht weitergeleitet werden.

FolgenSchlaffer, morbider bis erloschener Muskel to nus, der sich auch auf Organe auswirken kann. Bei fehlender Mobilisierung können eine komplette Versteifung der Gelenke und/oder eine totale Unterversorgung der betroffenen Abschnitte/Organe eintreten. Die Mobilisations-Prophylaxe bei Gelenks versteifungen ist unerlässlich, weil ein Wiedererlangen der Nervenfunktionen nie ausgeschlossen werden kann.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXVector (starr), 18.50.03. 1067Jump alpha (faltbar), 18.50.03. 1079Jump beta (faltbar), 18.50.03. 1xxxTilty Vario (kantelbar), 18.99.02. 1013

Page 25: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

25

Hemiparese ICD 10

Versorgung bei einseitiger Beeinträchtigung:­ leichtgängiger Aktivrollstuhl mit geringem Gewicht zur Erhaltung und zum Ausbau der Restmobilität und Prophylaxe der Gelenkversteifung­ große Antriebs­ und Lenkräder für möglichst kraftschonende Fahreigen­schaften ­ ggf. Outdoor­Vorbau (zur Optimie­rung der Kräfteökonomie und als Schiebehilfe)­ Sitzplatte zur Aufrichtung des Beckens­ anatomische Sitz­ und Rückenein­heit für stabilisierte Sitzposition­ ggf. Positionierungshilfen (Pelotten, Abduktionskeil, Kopfstütze, Gurte)­ oder leichte Sitzschale­ Einhandfeststellbremse ­ Einhandlenkung­ Einhandantrieb (Doppelgreifring oder UNO)­ ggf. Greifringüberzug bei Antreiben mit dem Handballen­ geteilte Fußbank (seitlich hochklappbar zum Trippeln mit dem nicht betroffenen Bein)­ und/oder Beinstütze abnehmbar (zur besseren Erreichbarkeit von Verrichtungen)­ Fußpositionierung­ ggf. Beinstütze geteilt hochschwenk­bar (Thrombosenprophylaxe)

Ggf. bei Sauerstoff ver sorgung pas­sende Trägersysteme im Sonder bau

Definition:Gemeint ist die komplette Lähmung einer ganzen Körperseite. Man spricht auch von einer Hemiplegie. Der Begriff wird auch für Organe außerhalb des Bewegungssystems verwendet, z.B. für die halbseitige Kehlkopflähmung.

M62.0 ffggf. auch Z99.1

Ursache(n): Ursache ist oft eine zentrale Läsion (beispiels-weise Schlag anfall) und tritt typischerweise auf der kontralateralen Seite der Schädigung auf (die betroffenen Nervenbahnen kreuzen zur Gegenseite und der Schädigungsort liegt vor dieser Kreuzung.

Folgengeschwächter Muskel to nus der nichtbetrof-fe nen Seite, komplett erschlaffter Tonus der betroffenen Seite. Kann sich auch auf Organe auswirken kann. Bei fehlender Mobilisierung können eine komplette Versteifung der Gelenke und/oder eine totale Unterversorgung der betroffenen Abschnitte/Organe eintreten. Die Mobilisations-Prophylaxe bei Gelenks verstei-fungen ist unerlässlich, um ein Wiedererlangen der Nervenfunktionen nicht auszuschließen. Ggf. auch Beeinträchtigung der Atmung.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXVector (starr), 18.50.03. 1067Jump alpha (faltbar), 18.50.03. 1079Jump beta (faltbar), 18.50.03. 1xxxTilty Vario (kantelbar), 18.99.02. 1013

Page 26: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

26

Tetraparese ICD 10

Versorgung zur Frühkindlichen Mobilisierung ­ abhängig von der Restmobilität bzw. vom Sitz der Parese bzw. Maß der Einschränkung

­ dann sehr leichtgängiger Aktivroll­stuhl zur gezielten Aus bil dung eines min. Muskeltonus

­ ideale Anpassbarkeit des optima­len Greifpunkts­ Mitwachsfunktion für langen, ver­trau ten Gebrauch des Hilfsmittels­ abduzierter Rahmen für große Bein­freiheit und Aufrichtung des Beckens­ große Antriebs­ und Lenkräder für möglichst kraftschonende Fahreigen­schaften ­ anatomische Sitz­ und Rückenein­heit zur Stabilisierung der Haltung­ ggf. Positionierungshilfen (Pelotten, Abduktionskeil, Kopfstütze­ integrierte Feststellbremse (zur gu ten und gefahrlosen Erreichbarkeit auch mit kurzen Armen)­ ggf. vom Begleiter feststellbar­ ggf. kantelbarer Rücken zur Kreis­lauf stabilisierung zur Entlastung des ganzen Tonus­ winkelverstellbarer Rücken (s.o.)­ ausziehbare Schiebehilfen (wg. Kantelung) ­ Kippschutz

bei einseitigen Restfunktionen­ Doppelgreifring­ Einhandantrieb­Einhandlenkung­ Noppengreifring(e)­ Greifringüberzug­ Begleiterbremse (Trommelbremse nicht nur in hügeligem Umfeld)­ Rückrollsperre (in hügeligem Umfeld)

Definition:Es handelt sich um eine Form der Querschnitt-lähmung, bei der alle vier Gliedmaßen betroffen sind (Beine und Arme). Unterschieden wird zwi-schen kompletter und inkompletter Lähmung: bei vollständiger Zerstörung der Neuronen sen-sibel und motorisch keine Funktion; bei inkom-pletter Lähmung (50 - 60%) können motori sche oder sensorische Kontrolle auch unterhalb des Lähmungsniveaus ganz oder teilweise vorliegen.

M62.0 ffG82.5

Ursache(n): Meist eine schwere Schädigung des Rücken-marks im Bereich der Halswirbel; traumatisch, idiopathisch (ohne fassbare Ursache), In fek-tions- oder Erbkrankheit, Tu mor, Entzün dungen oder. Seltener kann auch ein beidseiti ger Aus fall übergeordneter Zentren im Gehirn durch einen Schlaganfall eine Tetraparese auslösen.

FolgenTritt eine Lähmung bereits im Säuglingsalter auf, besteht wegen der fehlenden Bewegungs-möglichkeiten die Gefahr, dass sekun däre, le-bens wichtige Stimuli nicht wahrgenom men werden können. Die infantilen Reflexe per sis-tieren dadurch häufig, eine Reflexüberla ge rung wird ausgeprägt. Eine frühkindliche Mobili sie-rung kann ähnliche senso rische Ersatzstimuli verschaffen und die Progression der Parese ver-mindern. Bei einer inkompletten Lähmung (50 bis 60% der Fälle) ist wenigstens eine teilweise motori sche oder sensorische Kontrolle vorhan-den. Durch Schmerzen (stech end, brennend oder pochend) im Lähmungs grenz bereich oder darunter wird eine schwere Einschränkung der Lebensqualität verursacht. Sie sind teilweise per manent oder werden bei einer Reizung aktiv. Bei Nervenschädigungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbel bleibt die Arm-/Handfunktion intakt und man spricht von Paraplegie (Ober be-griff, beinhaltet auch Tetraparese).

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02.1012Kika (kantelbar), 18.99.02.1009.Vector (starr), 18.50.03.1067Jump alpha (faltbar), 18.50.03.1079Jump beta (faltbar), 18.50.03.1xxx

Page 27: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

27

Spina Bifida ICD 10

Versorgung Muss im Einzelfall entschieden werden­ sehr leichtgängiger Aktivrollstuhl mit geringem Gewicht zur gezielten Aus bil­dung eines normalen. Muskeltonus­ ideale Anpassbarkeit des optimalen Greifpunkts­ große Antriebs­ und Lenkräder für möglichst kraftschonende Fahreigen­schaften ­ Mitwachsfunktion für langen, ver­trau ten Gebrauch des Hilfsmittels­ abduzierter Rahmen für große Bein­freiheit und Aufrichtung des Beckens­ anatomische Sitz­ und Rückenein heit zur Stabilisierung der Haltung­ ggf. Positionierungshilfen (Pelotten, Abduktionskeil, Kopfstütze­ integrierte Feststellbremse (zur gu­ten und gefahrlosen Erreichbarkeit auch mit kurzen Armen)­ ggf. vom Begleiter feststellbar­ ggf. kantelbarer Rücken zur Kreis­lauf stabilisierung zur Entlastung des ganzen Tonus­ winkelverstellbarer Rücken (s.o.)­ ausziehbare Schiebehilfen (wg. Kantelung) ­ nach hinten wegklappbare Fußplatte zum leichteren ein­ und Aussteigen­ Kippschutz

Definition:“Wirbelspalt“ oder „Spaltwirbel“. Es handelt sich um eine Fehlbildung des Neuralrohrs, die unter-schied liche Ausprägungen haben kann und sich ent sprechend unterschiedlich schwer auswirkt.Leichte Form: Spina bifida occulta (verborgen),schwere Form: Spina bifida aperta (offen). Durch den Spalt treten Teile des Rückenmarks, der Rückenmarkshäute und Nerven in einer Blase sichtbar nach außen hervor. Dadurch ver lieren die Nervenstränge an der betroffenen Stel le ihren Schutz und es kommt zu Schädi gungen.

Q76.0 Q05.ff

Ursache(n): Diese Fehlbildung entsteht zwischen dem 22. und 28. Tag der Embryonalentwicklung, der sog. primären Neurulation, also der Bildung des Neuralrohrs aus der Neuralplatte sowie dessen Verschlusses, bei der Spina bifida am unteren Ende.

FolgenJe nach Schweregrad der Rückenmarksschädi-gung, sind Menschen mit Spina bifida aperta kaum oder aber sehr stark körperlich beein-träch tigt. Probleme beim Gehen sind ebenso möglich wie Querschnittlähmungen. Oft tritt ge-meinsam mit Spina bifida aperta ein Hydro ze-phalus auf (ca. 80%). Beim alleinigen Vorlie gen einer Spina bifida ist die kognitive Entwick lung des Kindes nicht beeinträchtigt, während zu-sätz li che Fehlbildungen des Gehirns wie z.B. ein Hy dro zephalus die Prognose negativ beein flus-sen. Die häufigsten Beeinträchti gungen sind: Muskellähmungen (Paresen), Verlust von Berüh-rungs- und Schmerzempfindungen, Fehl stel-lungen und Deformierungen an Gelenken (z.B. Klumpfüsse, Hüftgelenksluxationen). Be günstigt werden auch Gehirnschäden, die z.B. zu Epilep-sie führen oder tödlich enden können.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXVector (starr), 18.50.03. 1067Jump alpha (faltbar), 18.50.03. 1079Jump beta (faltbar), 18.50.03. 1xxx

Page 28: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

28

Hydrocephalus ICD 10

Versorgung Bei Restmobilität ­ leichtgängiger Aktivrollstuhl (Erhal­tung und Ausbau) der Restmobilität ­ ideale Anpassbarkeit des optimalen Greifpunkts­ ggf. kantelbarer Rollstuhl mit umleg­barem Rücken zur Kreis lauf stabili­sie rung zur Entlastung des ganzen Tonus­ Mitwachsfunktion für langen, ver­trau ten Gebrauch des Hilfsmittels­ anatomische Sitz­ und Rückenein heit zur Stabilisierung der Haltung­ ggf. Positionierungshilfen (Pelotten, Abduktionskeil, Kopfstütze­ integrierte Feststellbremse (zur gu­ten und gefahrlosen Erreichbarkeit auch mit kurzen Armen)­ ggf. vom Begleiter feststellbar (bei Bewusstseinsstörungen)­ winkelverstellbarer Rücken (s.o.)­ ausziehbare Schiebehilfen (wg. Kantelung) ­ Kippschutz­ ggf. Sitzschale nach Abdruck­ ggf. Sitzschalenadapter (bei faltbarem Rollstuhl)

Definition:Siehe auch: Spina bifida(Auch Hydrozephalus geschrieben) Eine krank-hafte Erweiterung der liquorgefüllten Flüssig-keits räume (Ventrikel) des Gehirns, auch Wasser-kopf genannt.

Q03.ffQ05.0 G91.ffG91.0 G91.2G91.3

Ursache(n): Produktion und Resorption von Hirn-Rücken-marks-Flüssigkeit (Liquor) halten sich im Nor-mal fall das Gleichgewicht. Wird zu viel Liquor produziert, oder wenn die Verbindung zwischen den einzelnen Liquorräumen verschlossen ist, oder wenn zu wenig Flüssigkeit resorbiert wird, kann sich ein Hydrocephalus entwickeln. Abfluss- und Resorptionshindernisse sind meist die Folge einer Hirnhautentzündung, einer an-ge borenen oder frühkindlichen Fehlbildung des Ge hirns oder einer pränatale Gehirninfektionen beim Föten. Zusätzliche Ursachen können Ein-blutungen in liquorführende Hirnstrukturen und Tumore sein.

FolgenGangstörung, Epilepsie, Demenz, Bewusstseins- und/oder Atemstörungen, InkontinenzSiehe auch Spina bifida

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXTilty Vario (kantelbar), 18.99.02 xxxxVector (starr), 18.50.03. 1067Jump alpha (faltbar), 18.50.03. 1079Jump beta (faltbar), 18.50.03. 1xxxLoop (kantelbar), 26.99.01. 3034

Page 29: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

29

Plegien (Querschnittslähmung) ICD 10

Versorgung abhängig vom AusmaßParaplegiker: ­ leichter, sportlicher Aktivrollstuhl­ ggf. mit gekröpftem Rahmen (zur besseren Steuerung über die Hüfte),­ leichte Anpassbarkeit des optimalen Greifpunkts; ­ optimalen Sitzkomfort (Dekubitus­Prophylaxe)­ ggf. Lumbalknick­ ggf. Sitzplatte (Beckenaufrichtung)­ ggf. anatomisches Sitzkissen zur Beckenführung­ ggf. Spastikerbeinstütze­ ggf. Rückrollsperre­ einstellbarer RadsturzGreifringüberzug zur besseren Griffig-keit (vor allem beim Abbremsen in hügeligem Umfeld)­ ggf. Beckengurt

Tetraplegiker: ­ sehr leichtgängiger Aktivrollstuhl mit niedriger Sitzhöhe (Mittrippeln des gesunden Beines), ­ verstellbare Schiebehilfen­ ggf. Trommelbremsen vom Begleiter bedienbar (in hügeligem Umfeld)­ Sitzwinkeleinstellung,­ anatomische Sitzeinheit,­ anatomische Rückeneinheit,­ rutschfeste Greifring­Überzüge,­ ggf. abnehmbare Beinstützen zum näher Heranfahren (Tisch etc.) ­ oder abklappbare 90° Fußplatte - Auflage für betroffenen Arm (Armpolster oder Therapietisch) ­ ggf. Einhandantrieb,­ ggf. Einhandlenkung,­ ggf. Einhandbremse­ ggf. Zusatz­ und Hilfsantriebe

Definition:Lähmungsbild, das aus einer unvollständigen oder vollständigen Schädigung des Rücken-mark-Querschnittes resultiert. Bei Erwachsenen stellen Unfälle mit einer Bruchverletzung der Wirbelsäule die Hauptursache dar, bei Kindern dagegen Erkrankungen und Tumoren.

G82.0 ff

Ursache(n): Unfall, Tumor, Entzündungen. Man unterschei-det: Paraplegie – Läsion unterhalb der Hals-wirbel. Sie bedeutet, je nach Lage der Rücken-marksverletzung, Lähmung der Rumpf- und Beinmuskulatur sowie den Verlust des Empfin-dungsvermögens für Berührung, Schmerz, Temperaturen und Lagesinn. Zusätzlich sind Darm-, Blasen- und Sexualfunktion gestört.

FolgenTetraplegie – Läsion innerhalb der Halswirbel-säule. Sie bedeutet über die Symptome der Paraplegie hinaus Lähmung an den Armen, also an allen vier Gliedmaßen (Tetra = vier). Die Schädigung des Halsmarkes führt zusätzlich zu einer Beeinträchtigung der Atmung.Motorische Störungen: völliges Fehlen der Rückenmarks funk tion mit schlaffer Lähmung nach 3 - 6 Wochen:Spastische Lähmung unterhalb der Läsions höhe, schlaffe Lähmung der Muskeln des zer störten Segments.Sensible Störungen: Da die Verbindung der auf-steigenden Bahnen zum Gehirn unterbrochen ist, können sensible Reize nicht wahrgenommen werden. Oberflächensensibilität: Schmerz- und Temperaturempfinden Druck- und Berüh rungs-empfinden (Druckstellengefahr), Tiefen sen si-bilität: Lageempfinden über Stellung der Mus keln und Gelenke des Körpers. Ohne Sichtkon trolle ist es dem Betroffenen nicht möglich, die Stellung der Beine unter der Bettdecke anzu geben.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Vector (starr) 18.50.03. 1067Jump alpha (faltbar) 18.50.03. 1079Jump beta (faltbar) 18.50.03. 1xxx

Page 30: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

30

Kyphose / Lordose ICD 10

Versorgung Restmobilität erhalten, aus­ und auf bauen, Wiederherstellung der Lenden lordose­ Aktiv Rollstuhl ­ abhängig von der Progression mit Sitzkantelung, Rückenwinkelverstel­lung und Positionie rungs hilfen­ anatomische Sitz­ und Rückenform­teile ­ oder Sitzschalen (nach Ausmaß der Posi tio nie rung)­ ggf. Pelotten­ ggf. Abduktionskeil­ Kopfstütze­ ggf. Fixierungssysteme oder physio lo­gi sches Korsett. - Armauflagen­ ggf. dynamische Beinstütze­ Greifringüberzug (zur besseren Griffigkeit) oder ­ Noppengreifringe ­ verlängerter Radstand (wegen spontaner SchwerpunktverlagerungKippschutz­ Feststellbremse in die Seitenteile integriert (bessere Erreichbakeit)

Ggf. zusätzlich, zur Stabilisierung des ge samten Tonuses, des Kreislaufes und des Stoffwechsels sowie zur Entlas tung der Wirbelsäule:­ Stehfahrer

Definition:Im Sinne einer Missbildung, ist es die patholo-gi sche Krümmung der Wirbelsäule, wird in der Fachsprache beim Menschen als eine nach hin-ten (dorsal) konvexe Krümmung der Wirbelsäule bezeichnet. Natürlicherweise kommt Kyphose im Brustbereich (Brustkyphose) vor, gelegent-lich auch am Ende der Wirbelsäule. Man unter-scheidet: Posturale Kyphose, Scheuermann-Kyphose, Angeborene Kyphose

M40.0 ffM42.0 ffQ76.4

Ursache(n): Sie kann entweder das Ergebnis von degenera-ti ven Erkrankungen sein, z. B. Arthritis, Morbus Bechterew, Entwicklungsstörungen (Morbus Scheuermann), Osteoporose mit Kompres sions-frak turen der Wirbelkörper und/oder von Ver-letzungen (posttraumatische Kyphose). Über ein Drittel der schwersten Fälle von Hyper kyphose haben Wirbelfrakturen. Ansonsten kann der al-ternden Körper den Verlust von Muskel-Skelett-Integrität entwickeln.

Folgen:Bedingt durch fehlendes und/oder falsches Gehen, Sitzen und Stehen sind die Muskeln des Bewegungsapparates nicht in der Lage, die aufrechte natürliche Körperhaltung zu halten. Daher kommt es i.d.R. zu einem Zusammen-sinken der Wirbelschwingungen. Dies führt zu einer sichtbaren Verbiegung des Rückens und kann zu star ken Beschwerden und Schwie rig-keiten der Atmung und der Verdauung, Herz-Kreislauf-Unregelmäßigkeiten, neurologischen Be einträchtigungen, oder einer erheb lich ver-kürz-ten Lebenserwartung führen. Der Patient fühlt starke Schmerzen, die durch körperliche Aktivität (langes Stehen oder Sitzen) verschlimmert werden. Dies hat negative Aus-wirkungen auf die Lebensführung, weil das Maß der Aktivität ge bremst wird (Isolation unter Gleichaltrigen bei Kindern).

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr) 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXTilty Vario (kantelbar), 18.99.02. 1013Vector (starr) 18.50.03. 1067Pablo mini/II/III (Stehfahrer) 28.29.01. 3008

Page 31: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

31

Luxation ICD 10

Versorgung Aktivrollstuhlleichtgängig (Erhal tung und Ausbau der Restmobilität) ­ ideale Anpassbarkeit des optimalen Greifpunkts­ anatomische Sitz­ und Rückenein heit sowie­ feste Sitzplatte zur Stabilisierung der Haltung­ ggf. Positionierungshilfen (Pelotten, Abduktionskeil, Kopfstütze­ integrierte Feststellbremse (zur gu­ten und gefahrlosen Erreichbarkeit auch mit kurzen Armen)­ ggf. vom Begleiter feststellbar (bei spastischen Begleiterscheinungen)­ ggf. kantelbarer Rollstuhl mit umleg­barem Rücken zur Kreis lauf stabili sie­rung und zur Entlastung des Becken­Rücken bereichs­ winkelverstellbarer Rücken (s.o.)­ ausziehbare Schiebehilfen (wg. Kantelung) ­ ggf. Beinlagerung, hochschwenkbar­ Kippschutz wegen verändertem Schwerpunkt

Definition:Ein vollständiger oder unvoll stän diger Kontakt-verlust zweier Knochenenden, die zusammen ein Gelenk bilden. Sie stellt grundsätzlich eine schwere Schädigung des Gelenkes dar. Das Gelenk wird dabei weit über den normalen Bereich hinaus gedehnt. Die Einteilung erfolgt in der Regel nach der Ursache der Luxation.

T14.3 M43.0 ff

Ursache(n): Die Luxation kann bereits bei der Geburt vor lie-gen oder sie entwickelt sich aus einer angebore-nen Gelenkdysplasie. Am häufigsten bei Neuge-borenen sind die Hüftdysplasie und die angebo-rene Hüftluxation (bei etwa 0,1 %). Alle Gelenke können betroffen sein. Typische Beispiele sind:• Fußfehlstellung • Zerstörung des Gelenk-Band-Apparates (sep-

tische Arthritis durch einen Gelenkinfekt).• Rheumatisch bedingte Arthritis mit Zerstö-

rung der Seitenbänder, des Halteapparates und der Gelenkkapsel.

• zunehmende Fehlstellung bis zur Luxation bei schlaffen und spastischen Lähmungen (bei Spastik der Adduktorenmuskeln oft progressive Hüftsubluxation).

• In Folge eines gelenknahen Tumors.• Bei Osteonekrose mit Deformierung des be-

nach barten Gelenks. Schwerwiegender ist meist die Arthrose.

• Veraltete traumatische, nicht reponierte Luxation.

FolgenBedingt durch chronische Erkrankungen oder Fehlstellungen entsteht eine zunehmende Ge-lenkzerstörung, die schleichend zur vollstän di-gen Luxation führt. Eine alleinige Reposition ist meist nicht möglich und nicht sinnvoll, da es bei fehlender Stabilität umgehend zur erneuten Luxation kommt. Bei Hüftluxation kommt es zu einem instabilen Tonus vor allem im Becken-Beinbereich mit Unfähigkeit zu stehen oder zu gehen.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr) 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXTilty Vario (kantelbar), 18.99.02. 1013Vector (starr) 18.50.03. 1067

Page 32: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

32

Multiple Sklerose ICD 10

Versorgung Aktivrollstuhl­ möglichst abduzierter Rahmen ­ mit gutem Sitzkomfort (Dekubitus­pro phylaxe)­ ggf. feste Sitzplatte (SitzFix) mit anatomisch geformtem Sitzkissen­ gute Einstellbarkeit des optimalen Greifpunkts (Kräfteökologie)­ große Antriebsräder­ ggf. externe Antriebshilfen­ Rückrollsperre (bei hügeligem Umfeld)­ Muldenrücken (zur Stabilisierung der aufrechten Sitzhaltung)­ ggf. Kopfstütze­ Bremshebel verlängert oder in die Seitenteile integriert­ Spastiker­Fußraste­ Kippschutz

Definition:MS ist eine entzündliche Erkrankung des Ner ven-systems, die unterschiedlich ver lau fen kann und meist im frühen Erwachse nen alter beginnt; auch Enzephalomyelitis disseminata (ED) ge nannt.

G35

Ursache(n): Angenommen wird eine im Gehirn und Rü cken-mark verstreut auftretende Entzün dung. Der Prozess geht mit Verkalkung und Vernarbungen an den Markscheiden der Nervenzellen in Gehirn und Rücken mark einher.

FolgenJe nach Krankheitsverlauf können zuneh men de Beeinträchtigungen auftreten, die erhalten blei-ben: Nystagmus (un will kür liches Augenflattern) Zittern bei zielgerich te ten Bewegungen, skan-dieren de, mono tone Staccato-Sprache, Mus-kelschwäche, Lähmungen, Missem pfin dung en und Empfindungsstörungen, Spastik, Blasen- und Darmstörungen, Ataxie

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Vector (starr) 18.50.03.1067Jump alpha (faltbar) 18.50.03.1079Jump beta (faltbar) 18.50.03.1xxx

Page 33: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

33

Muskeldystrophie ICD 10

Versorgung bei Restmobilität so lange wie möglich extrem leicht­gängiger Aktivrollstuhl zum Erhalt der Restmobilität und Verlangsamung des Muskelabbaus; siehe Plegien und/oder Paresen­bei SitzschalenversorgungSitzschalenrollstuhl

zur skelettalen Stabili sie rung, zur Stimulation des Kreis laufes und des Stoffwechsels sowie zur Stär kung der Wirbelsäule:

Definition:degenerative progressive, meist symmetrisch aus gebildete Muskelschwäche mit Muskelab-bau, bei dem das Mus kel gewe be wird in Fett- und Bindege webe umgewandelt. Es sind mehr als 30 verschiedene Formen bekannt. Es treten am häufigsten Typ Dychenne (1: 5.000) seltener Becker- Kiener (1: 60.000) auf, an denen fast ausschließlich Männer erkranken.

G71.0 ff

Ursache(n): Ein für die Stabilität der Muskelmembran wich-tiges Protein, das Dystrophin, wird gar nicht oder in funktionsgestörter Form gebildet, was früher oder später zum Untergang von Muskel fa sern und Ersatz durch Fett- oder Bindegewebe führt.

FolgenTyp Dychenne: Schwä chung der Becken- und Oberschenkel muskulatur schon im Kleinkind-alter. Schnelle Progression. Sobald die Herz- und Atemmusku la tur abgebaut wird, verläuft die Krankheit im jungen Erwachsenenalter meist töd lich. Ca. 3. bis 5. Lebensjahr: leichte Muskel schwä che der Beine, führt zu Stolpern und Fallen. Im weiteren Verlauf: Treppensteigen nur mit Zuhilfenahme eines Geländers möglich, Watschelgang, Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen erheblich erschwert. Kinder klettern an sich selbst hoch (Gowers-Manöver) oder benut-zen Möbel. Ca. 5 bis 7 Jahre: Trep pen stei gen und Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen nur noch mit Unterstützung möglich, Erkran kung befällt auch die Schulter- und Armmusku la tur. 7 bis 12 Jahre: An he ben der Arme kaum noch möglich. Ab dem 18. Jahr fast immer voll stän-dige Pflegebedürftigkeit.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXVector (starr), 18.50.03. 1067Jump alpha (faltbar) 18.50.03.1079Jump beta (faltbar), 18.50.03. 1xxxTilty Vario (kantelbar), 18.99.02. 1013Loop (kantelbar), 26.99.01.3034Loop (kantelbar mit 12“-Rädern), 26.99.01. 1045

Page 34: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

34

Osteogenesis Imperfekta ICD 10

Versorgung zur frühzeitigen Mobilisierung ­ sehr kleiner, nach antropometrischen Vorgaben dimensionierter Aktivrollstuhl mit geringem Gewicht zum Auftrainieren des gesamten Tonus­ sehr leichtgängig­ hervorragende Anpassbarkeit auf den optimalen Greifpunkt (Kräfteökonomie)­ gute Erreichbarkeit der Antriebsräder auch mit kurzen Armen­ gute Erreichbarkeit der Feststellbremsen (ins Seitenteil integriert) - Bremsrichtung in Reflexbewegung­ ggf. Bremse vom Begleiter bedienbar­ große Variabilität beim Einstellen der Fußplatte (ggf. sehr kurze USL)­ ggf. hochklappbare Fußplatte (zum auto­nomen Ein stei gen)­ anatomisch geformtes Sitz­ und Rücken­element (zur optimalen Positionierung)­ ggf. Positionierungshilfen (Pelotten, Abduktionskeil, Kopfstütze)­ ggf. Sitzschale­ ggf. Sitzkantelung mit Rückenwinkelver­stellung­ Schiebehilfen (Verminderung der Erschüt­te rungen beim Fahren, ländliches Umfeld, Kopfsteinpflaster etc.

Zusätzlich Stehfahrer Pablo minibesonders nach Frakturen und Begradigungsoperationen (Umstel­lungsosteotomien) zur Anregung der Knochenneubildung und damit schnelleren Knochenheilung, sowie zum Erhalt und Aufbau der Muskulatur.

­ zur skelettalen Stabili sie rung, zur Stimulation des Kreis laufes und des Stoffwechsels sowie zur Stär kung der Wirbelsäule

Definition:Die OI (umgangssprachlich auch Glasknochen-krankheit) ist eine genetische Bindegewebsstö-rung mit dem Hauptmerkmal einer abnorm hohen Knochen brü chig keit.

Q78.0 ff

Ursache(n): Ursache ist das genetisch defekte Kollagen Typ I, welches Hauptbestandteil des Bindegewebes und damit das wichtigste Protein für den Aufbau der Knochenmatrix ist. Durch die Verminderung der Synthese des Kollagens kommt es zum Ver-lust der Knochenstabilität und damit zu seiner abnorm hohen Brüchigkeit.

Folgenviel andere Symptome: Kleinwuchs, skelettale Deformierungen, Verbiegung der Wirbelsäule (Skoliose und Kyphose), überdehnbare Gelenke (Luxationen), Herz-Insuffizienz, redu zierter Muskeltonus, etc.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Mio Move (kantelbar), 18.99.02. 10XXVector (starr), 18.50.03. 1067Pablo mini (Stehfahrer) 28.29.01. 3008

Page 35: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

35

Osteoporose ICD 10

Versorgung bei Restmobilität - Sehr leichtgängiger Rollstuhl, mit differenzierter Anpassbarkeit an die individuellen Funktionseinschrän­kungen (kurzer Radstand zur leichten Manövrierbarkeit).

bei Einschränkungen der Hände und/ oder Finger:­ Maxgrepp­Greifring oder­ Greifringüberzüge (zum Antreiben mit dem Handballen)­ ggf. ins Seitenteil integrierte Feststellbremse mit Knopf (bei ver­ringer ter Feinmotorik).

bei Einschränkungen der Beine­ abduzierter Rahmen (Beinfreiheit)­ hervorragender Sitzkomfort (Dekubi­tusprophylaxe), ­ leichte Sitzneigung, ­ ggf. Sitzplatte (SitzFix für aufrechte Beckenhaltung)­ wegklappbares oder abnehmbares Fußbrett (zum leichteren Ein­ und Aus steigen)­ möglichst geringes Eigengewicht zum leichten Verladen ins Auto,

­ Leichtgewichts­ oder Aktivrollstuhl, ggf. mit Zusatzantriebe (muss im Einzelfall entschieden werden)

Definition:95 % der Osteoporose, die sog. primäre Osteo-porose, treten im höheren Lebensalter auf. Sie ist die häufigste Knochen er kran kung. Therapeutisch wesentlich wichtiger ist die zweite Form,die sog. sekundären Osteoporose. Sie ist die Folge einer anderen Grunderkrankung und/oder die Folge einer medikamentösen Therapie, aber auch die Folge einer starken Bewegungs einschränkung (Immobilisation) mit Erschlaffung der Muskeln.

M80.0M81.0M82.0

Ursache(n): Die Osteoporose entwickelt sich meist aus ei nem unzureichenden Knochenaufbau in jungen Jah-ren und/oder aus einem beschleunigten Abbau der Knochen in späterer Zeit aufgrund eines Un-gleichgewichts von Osteoklasten- und Osteobla-sten-Aktivität.Die Ursachen für die Entwicklung einer (Alters-) Osteoporose (sog. primäre Osteoporose) sind in den meisten Fällen (95%) nicht klar erkennbar. Allerdings sind eine Reihe von Faktoren be kannt, die das Risiko für eine Osteoporose erhöhen:• Alter, Geschlecht: (ca. 80% Frauen),• bestehende Frakturen nach dem 50. Lebens-

jahr, Oberschenkelhalsbrüche der Eltern,• unzureichende Versorgung mit Mineralien

bzw. Vitamin D, bzw. ungenügende Vitamin D-Bildung durch zu geringe Sonnenlicht-Exposition,

• Ernährungsfehler, Untergewicht, • Unzureichende körperliche Aktivität ,• Übermässiger Alkoholkonsum (bei Frauen

mehr als 20 g Alkohol pro Tag, entsprechend ca. 0,5 l Bier oder 0,25 l Wein), Rauchen

Page 36: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

36

ICD 10

Allerdings kann eine Osteoporose auch als Fol-ge anderer Erkrankungen bzw. deren medi ka-mentöser Behandlung auftreten (sog. se kun däre Osteoporose, 5% der Fälle). Hierzu gehören • hormonelle Ursachen:

• Überproduktion des körpereigenen Korti-sons oder unzureichende Eigenproduktion der Sexualhormone,

• Überfunktion der Schilddrüse, • Gestörte Magen-/Darmfunktion, z. B. durch:

• chronisch entzündliche Darmerkrankungen• Magersucht (Anorexia nervosa),• Störungen der Nierenfunktion,

• Immobilisation (Bewegungseinschränkungen bis hin zur Bettlägerigkeit),

• medikamentöse Ursachen: • Langzeittherapie z. B. mit Kortison, • Heparin (Blutverdünner), • Mittel gegen Epilepsie, • Depressionen, • Magenübersäuerung (Protonenpumpen-

hemmer)• Krebserkrankungen,• Rheumatische und andere chronisch entzünd-

liche Erkrankungen (z. B. rheumatoide Arthri-tis, Polyarthritis, Morbus Crohn, Asthma)

Folgen Die Osteoporose bereitet insbesondere älteren Menschen eine hohe Krankheitsbelastung in Form von Schmerzen, Bettlägerigkeit, manch mal sogar dauerhafte Pflegebedürftigkeit be deutet.In Folge der Abnahme der Knochenmasse und Verschlechterung ihrer Architektur und Stabilität führt sie zu einer erhöh ten Knochenbruchgefahr und Ein schrän kung der Mobilität.Die Heilung von Knochenbrüchen ist bei Vor-liegen einer Osteoporose nicht gestört. Die Folgen der Brüche können jedoch vor allem bei Älteren nachhaltig sein und durch Folgeer kran-kungen wie z.B. Lungenentzündung und/oder Lungenembolie auch zum Tode führen.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Mio (starr), 18.99.02. 1012Vector (starr), 18.50.03. 1067 Jump alpha (faltbar) 18.50.03.1079Jump beta (faltbar) 18.50.03.1xxx

Page 37: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

37

Rheumatische Erkrankungen (PCP) ICD 10

Versorgung bei Restmobilität ­ Sehr leichtgängiger Rollstuhl, mit differenzierter Anpassbarkeit an die individuellen Funktionseinschrän­kungen (kurzer Radstand zur leichten Manövrierbarkeit).

bei Einschränkungen der Hände und/ oder Finger:­ Maxgrepp­Greifring oder­ Greifringüberzüge (zum Antreiben mit dem Handballen)­ ggf. ins Seitenteil integrierte Feststellbremse mit Knopf (bei ver­ringer ter Feinmotorik).

bei Einschränkungen der Beine­ abduzierter Rahmen (Beinfreiheit)­ hervorragender Sitzkomfort (Dekubi­tusprophylaxe), ­ leichte Sitzneigung, ­ ggf. Sitzplatte (SitzFix für aufrechte Beckenhaltung)­ wegklappbares oder abnehmbares Fußbrett (zum leichteren Ein­ und Aus steigen)­ möglichst geringes Eigengewicht zum leichten Verladen ins Auto,

­ Leichtgewichts­ oder Aktivrollstuhl, ggf. mit Zusatzantriebe (muss im Einzelfall entschieden werden)

Definition:PCP steht für primär-chronische Polyarthri tis oder rheumatiode Arthritis. Es treten Bewe gungs-einschränkungen auf, die alle Gelenke betreffen können. Abgesehen von der entzündlich aktivierten Ar-thro se ist die rheumatoide Arthritis die häufigste entzündliche Gelenkerkrankung. Weltweit sind etwa 0,5–1 % der Bevölkerung betroffen. In Deutsch land schätzt man die Zahl der Erkran-kungen auf 800.000, wobei Frauen rund drei-mal so häufig betroffen sind wie Männer. An der rheumatoiden Arthritis können Menschen aller Altersgruppen erkranken. Häufig ist ein Auftre ten zwischen 35 und 45 Jahren. Es können jedoch auch Kinder betroffen sein; dies nennt man dann eine juvenile idiopathische Arthritis. Die Prävalenz nimmt mit steigendem Alter zu.

M05M06

Ursache(n): Ein Teil der in den Bereich der rheumatischen Erkrankungen fallenden Krankheitsbilder ent-stehen aus Verschleiß in Verbindung mit Ent-zündungen. Die genaue Ursache der chroni-schen Arthritiden (Gelenkentzündungen) ist nach wie vor unbekannt. Es ist nur erforscht, dass Störungen in der Kontrolle der Abwehr reaktion des Körpers und in der Entzündungs reaktion eine wesentliche Rolle spielen.

FolgenDie auftretenden Bewegungseinschränkungen sind mit starken Schmerzen verbunden und füh-ren bei schwerem Krankheitsverlauf zu starken Deformitäten und versteiften Gelenk fehl stel-lungen. Ebenso können Missempfindungen, Ö deme und Gelenkfehlstellungen auftreten. Ho-her Krafteinsatz und Tätigkeiten, die die Ge len ke beanspruchen, sind unbedingt zu meiden.

Rollstuhlmodellemit HmVzNr.

Vector (starr) 18.50.03.1067Jump alpha (faltbar) 18.50.03.1079Jump beta (faltbar) 18.50.03.1xxx

Page 38: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

38

Page 39: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

39

3. Praktische Aspekte

3.1 Funktionsweise der Rollstühle

BauGruPPen

Jedes Teil am Rollstuhl kann Aus-wirkungen auf den Gebrauchsnut-zen haben. Deswegen ist es sinn voll, die einzelnen Komponenten und ihre Variabilität, vor allem aber ihre Wechselwirkung und ihren gegen-seitigen Einfluss gut zu kennen. Im Folgenden stellen wir die einzelnen Baugruppen eines Roll stuhls dar und gehen dann auf ihre jeweiligen Adaptionsmöglichkeiten ein.

1. Rahmen2. Sitz 3. Antriebsrad4. Lenkrad5. Greifring6. Feststellbremse7. Seitenteil8. Rücken9. Kleiderschutz10. Beinstütze11. Fußplatte12. Steckachse13. Lochplatte14. Schiebegriffe

1

6

814

2 7 9

4 10 11

12 13

53

Page 40: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

40

1 rahmen, rahmenlänGe und sitz­tiefe

Die Abduktion eines Rollstuhlrah-mens ist eine Erfindung Hugo Sorgs und ist an allen unseren Rollstühlen machbar. Sie bewirkt eine größere Beinfreiheit und über dieses breit-beinige Sitzen eine bessere Becken-aufrichtung. Auf die Frage, welche Vorteile wann ein gerader, abduzier-ter oder gekröpfter Rahmen hat, ge-hen wir später genauer ein.

Die Wahl (wenn vorhanden) ob langer oder kurzer Rahmen ist ei-nerseits von den Körpermaßen des Benutzers ab hängig und wird in al-ler Regel von uns im Werk aufgrund unserer Erfahrungswerte entschie-den. Andererseits sind die benötigte Sitztiefe und die erforderliche Unter-schenkellänge zusätzliche Entschei-dungs kriterien.

Die Sitztiefe (1) ist das Maß von Kniekehle bis hin ters te Beckenkan-te (bei aufrechtem Sitzen). Dabei soll te die Faustregel berücksichtigt werden: Zwi schen Kniekehle und Vorderkante Sitz sollen ca. 2 Finger-breit Freiraum erhalten bleiben (2). Die Diffe renz daraus ist dann die benötigte und im Bestellblatt anzu-gebende Sitztiefe.

Bei einem Muldenrücken wird an der hintersten Stelle des Rücken-blechs bis ca. zwei fingerbreit in der Kniekehle gemessen.

Ein kürzerer Rollstuhlrahmen ist wendiger und drehfreudiger als ein vergleichbarer langer. Deswe-gen wird man bei einem sehr akti-ven und sportlichen Rollstuhlfahrer eher einen so kurz wie möglichen Rahmen bestimmen; bei eher unsiche ren, instabilen und/oder unkontrollierten Be nutzern dagegen einen eher langen Rahmen. Wobei über den Radstand (3) ebenfalls großer Einfluss auf die Wendigkeit des Rollstuhls ausgeübt werden kann. (Über die Einstellung siehe: „Schwerpunkt“ S 46)

Vor allem bei kleinen und/oder kraftreduzier ten Kindern kann man über die Rahmen- und Rad-standslänge entscheidenden Ein-fluss auf deren Kräfteökonomie nehmen. Ein differenziertes Erwä-gen dieses Faktums bei der Roll-stuhlanpassung ist deswegen un-umgänglich!

1

2

3

Page 41: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

41

2 sitz und sitzBreite

Für die Sitzbreite folgt man der Faustregel: größte Körperbreite auf der Hinterseite des Benutzers (1) PLUS jeweils rechts und links einen bis zwei Fingerbreit „Spiel“ (2). Da-mit ist der Fahrer noch ausreichend seitlich gestützt, ohne seine stabile Haltung zu verlieren.

Bei der Frage Sitzbespannung oder feste Sitzplatte, ist vor allem die Beckenaufrichtung zu berück-sichtigen. Menschen mit geringer oder fehlender Beckenkontrolle soll-ten deshalb auf eine Sitzbespan-nung verzichten und statt dessen eine feste Sitzplatte verwenden. Die Sitzbespannung gibt der Beckenbe-wegung nach und kann somit die Aufrichtungsdefizite des Beckens nicht kompensieren.

Ein Rollstuhlfahrer sitzt mehr oder minder sein komplettes wa-ches Leben im Rollstuhl. Deswegen lautet die Maxime: so bequem wie möglich. Das heißt: größtmögliche Auflagefläche, denn je größer die Fläche, auf die der Druck (Patien-tengewicht) verteilt wird, umso ge-

ringer ist die absolute Last pro cm². Für eine Dekubitusprophylaxe ist diese Regel unbedingt zu beachten. Deswegen sind anatomisch geform-te Sitzkissen oder ähnliches einem Standard Sitzkissen unbedingt vor-zuziehen. Der Kissenbezug muss atmungsaktiv strapazier fähig und leicht zu reinigen sein. Wir empfeh-len einen Austauschbezug zum häu-figen Wechsel.

Unbedingt vermeiden sollte man ein „Hinein wachsen“ in den Roll-stuhl. Ein zu breit bemessener Roll-stuhl ist ganz besonders bei kleinen Kindern kontraproduktiv, weil er ihnen die notwendige und erforder-liche Stabilisierung ihrer Haltung nicht bie ten kann (Skoliosengefahr) und weil das selbstständige Antrei-ben des Rollstuhls enorm erschwert oder gar unmöglich wird. Alle un-sere Roll stühle können (zum Groß-teil ohne Zukaufteile) in der Breite mitwachsen und so ihre Benutzer über einen sehr langen Zeitraum begleiten.

122

Page 42: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

42

3 die antrieBsräder

Die Antriebsräder sind hinten positioniert und haben großen Ein-fluss auf die Wendigkeit des Roll-stuhls. Die Größe der Antriebsräder ist abhängig von der gewünschten Sitzhöhe (USL) und dem optimalen Greifpunkt des Benutzers.

Alle unsere Räder verfügen über Steckachsen, die mit einem Knopf in der Nabenmitte (1) die Arretierfeder bedienen und damit schnell und bequem entfernt bzw. eingesteckt werden können. Wichtig ist dabei, dass die Arretierfeder unbedingt fest eingeschnappt ist, damit sich das Rad während der Fahrt nicht löst.

Je größer die Antriebsräder, umso leichtläufiger ist der Rollstuhl. Mit größeren Rädern braucht man zum Antreiben auch weniger Kraft als mit kleineren. Unebene Untergründe können damit wesentlich erschütte-rungs armer passiert werden. Ein weiterer Vorteil, möglichst große Antriebsräder zu wählen, besteht darin, dass vor allem die kleinen, jungen Benutzer aus der „Frosch-perspektive“ heraus kommen; ein Umstand, der von den Betroffenen selbst sehr gewünscht ist. Zusätz-lich wird der Reibungswiderstand

umso kleiner, je größer die Räder sind, was z.B. beim Geschobenwer-den für die Begleitperson von Vor-teil ist. Luftbereifung optimiert die Dämpfungseigen schaften und för-dert ein komfortables Abrollen.

4 die lenkräder

Kleine Lenkräder ermöglichen zwar eine kom pakte Rollstuhlgeo-metrie, sehen pfiffig aus und sparen Gewicht, haben aber den Nachteil, dass sie, vor allem beim Outdoor-Ein-satz, schwerer über Hindernisse und Unebenheiten fahren können. Zu-sätzlich ge ben sie Er schütterungen durch den Untergrund unmittelbarer an den Rollstuhlrahmen und somit an seinen Benutzer ab (kann bei ent sprechend dis po nierten Benut-zern Spasmen aus lösen).

Unbedingt darauf zu achten ist, dass die Lenk kopfachse exakt im 90°-Winkel zum Boden steht (2). Ein anderes Maß verändert den Nachlauf mit großem Einfluss auf die Kursstabilität und die Kon-taktführung zum Untergrund. Der Rollstuhl neigt zur Geradeausfahrt und das Lenken wird schwerer. Zu-sätzlich be wirkt es beim Drehen/Lenken einen Höhenversatz vorne

1

90°2

Page 43: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

43

am Rollstuhl. Er fährt in Wellen, „bäumt“ sich auf und sinkt wieder.

Größere und/oder luftbereifte Lenkräder (bis 200 mm Durch-messer) sehen zwar weniger gut proportioniert aus, erhöhen aber ungemein den Fahrkomfort. Große Lenkräder werden nicht gleich von jeder Unebenheit abgelenkt, son-dern kompen sieren diese und fol-gen wesentlich besser der Spur. Die Überwindung von Hindernissen wird mit großen Lenkrädern wesentlich erleichtert.

Bei der Größenwahl der Lenkrä-der ist also ein guter Kompromiss zwischen Aussehen und Funk tio-nalität zu finden.

5 GreifrinGe

Alle unsere Rollstühle verfügen serienmäßig über Greifringe. Bei den Profilrädern ist der Greifring in die Radfelge integriert und bildet mit ihr eine Einheit. Dies hat den Vorteil, dass die Verletzungsgefahr für ein-gequetschte Finger der Benutzer ausgeschlossen ist. allerdings ist das Gewicht um ca. 800gr pro Rad schwerer.

Da der Rollstuhl mit den Greifrin-gen ange trie ben wird, können auch hier im Sinne einer größt möglichen Differenzierung wegen der Kräfte-öko no mie verschieden Optionen der Montage aus ge wählt werden:

weit oder eng, hoch oder Standard.

„Weit“ bedeutet, dass der Ab-stand zwischen Reifen und Greifrin-ge 23 mm beträgt, womit ein reales Zugreifen und Umfassen mit den Fingern ermöglicht wird, bei „eng“ jedoch nur 13 mm. Das kann wegen der Armlänge des Benutzers von Be deutung sein oder wenn er mehr mit dem Hand ballen seinen Stuhl antreibt.

„Hoch“ (3) bedeutet, dass der Greifring fast so groß ist wie das An-triebsrad (Greifweg und Arm länge), „Standard“ (4), dass der Greifring um 2 Zoll (= ca. je 24,5 mm oben und unten) kleiner ist als das An-triebsrad, was den Vorteil hat, dass man nicht so schnell mit den (schmutzigen) Raddecke in Berüh-rung kommt.

Bei einarmigem Betrieb des Roll-stuhls ist ein Doppelgreifring oder ein Einhand antrieb (UNO) von Vor-teil. Die Anbringung erfolgt je nach Vorgabe links oder rechts. Weitere Hilfe bei motorischen Störungen kann ein Noppengreifring sein.

3

4

Page 44: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

44

6 Bremsen

Die Kniehebelbremse sichert den Rollstuhl vor unbeabsichtigtem Fortrollen, deswegen nennen wir sie Feststellbremse. Sie ist keinesfalls eine Bremse zum Verlangsamen der Fahrt, also keine Betriebs- oder Fahr-bremse. Diese Funktion kann we-sentlich zuverlässiger und uneinge-schränkt von einer Trommelbremse (bedienbar durch die Be gleit person) übernommen werden. Ebenfalls unbe dingt zu beachten ist bei luft-befüllten Rädern der Fülldruck, weil er für die Funktionstüchtigkeit der Feststellbremse verantwortlich ist.

Die Kniehebelbremse liegt na-turgemäß im Bereich des Benut-zerknies. Das kann unter verschie-denen Gesichtspunkten unpassend sein, z.B. • bei kleinen Kindern, die sich zum

Bremsen weit nach vorne neigen müssen und so aus dem Roll-stuhl kippen können,

• bei Benutzern mit kurzen Armen,• bei Benutzern mit entsprechen-

den physischen und/oder moto-rischen Defiziten,

• beim regelmäßigen seitlichen Übersetzen in/aus den/dem

Rollstuhl• etc.

Deswegen bieten wir eine große Anzahl unter schiedlichster Bremssy-steme und -hebel an, mit denen jede individuelle Vorgabe berücksichtigt werden kann (sieh Optionen).

7 seitenteile

Die Seitenteile (1 rot) schützen den Fahrer vor Kälte, Schmutz und Nässe durch die Räder und stabili-sieren seine Körperhaltung (siehe auch „Sitzbreite“). Sie sind zusätz-lich Montagefläche für Armauflagen, Therapietische oder Radschützer (2 grün) und können in der Höhe auf die Bedürfnisse des Be nutzers an-gepasst werden.

Mit der Vielzahl an Mög lichkeiten (z.B. wegklappbar) können wir auch in diesem Bereich den Gebrauchs-nutzen des Roll stuhls exakt nach den therapeutischen Vorgaben stei-gern (siehe Optionen).

1

2

Page 45: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

45

8 rückenlehne

Die Rückenlehne stützt den Be-nutzer nach hinten ab und gibt ihm zusätzlichen Halt im Becken. Als Faust regel bei aktiven Benutzern kann behauptet werden, dass sie so niedrig wie möglich ausfallen soll (1), um seinen Bewegungsfrei-heit mit den Armen nicht zu beein-trächtigen.

Sie sollte also bis unterhalb der Schul terblätter reichen (2), um Beu-gungen und Drehungen im Becken-Rumpf-Bereich zu ermöglichen.

Es kann aber auch, abhängig vom Krankheits bild, erforderlich sein, dass der Rücken wesentlich

weiter nach oben gezogen wird. (Diese lange Rückenform ist mit einer Rückenbespannung nur sehr schwer herstellbar!) Mit einem sol-chen langen Rücken (3) wird einer Über streckung nach hinten entge-gengewirkt und eine Auflage für den Kopf geschaffen (optional). Deswegen bieten wir für alle unsere Rollstühle (faltbar oder starr) einen anatomisch geformten festen Mul-den rücken an.

Am festen Muldenrücken können auch Körperführungspolster (Pelot-ten) montiert werden, mit denen der Benutzer in seiner aufrechten Hal-tung stabilisiert werden kann.

Bei der Rückenbespannung ist eine weiche, nachgiebige Form der Rumpf-Schulterstützung ge geben, die im Falle von einstellbaren Rük-ken gur ten sehr differenziert ange-passt werden kann (z.B. Lumbal-stützung etc.). Das kann bei aktiven Be nutzern von großem Vorteil sein, bei Benutzern mit gestörter Mobili-tätskontrolle dagegen absolut von Nachteil. Deshalb ist auch hier wie-der exakt die Versorgungsstrategie im Auge zu behalten.

2

1

3

Page 46: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

46

9 Beinstütze und fussPlatte

Als dem untersten Punkt der Po-sitionierung des Fahrers in seinem Rollstuhl kommt der Bein stütze eine besondere Bedeutung zu. Auch wenn es paradox erscheint, ist die Beinfreiheit (also die Möglichkeit, die Position der Beine und Füße zu verändern) für den Sitzkomfort und die tägliche Benutzungsdauer von enormer Wichtigkeit. Des wegen bieten wir bei allen unseren Stühlen einen abduzierten Rahmen an, mit dem bereits oben im Kniebereich viel Spielraum entsteht. Zusätzlich richtet sich durch die etwas breit-beini gere Sitzpo sition automatisch das Becken auf, was wiederum für eine ermüdungsarme Positionie-rung erforder lich ist.

An der Beinstütze (1, rot) ist die Fußplatte (2, grün) montiert:

innen (3) = im Rahmen mit zu-sätzlichen Haltern,

außen (4) = als Verlängerung der Rahmenrohre.

Der therapeutische Nutzen des Innenanbaus (3) besteht darin, we-sentlich flexibler auf die Distanz der Füße zum Benutzer, die Unterschen-kellänge und den Aufstellwinkel der Füße auf die Fußplatte reagieren zu können (extrem kurze USL möglich!). Bei kurzen Sitztiefen mit kurzen USL würde ein Außenanbau einen ex-trem kurzen Rah men erforderlich machen, was aber aus div. ande ren Gründen (z.B. Lenkradanbringung etc.) nicht möglich ist. Allerdings be-deuten die zusätzlichen Halter auch zusätzliches Gewicht.

Der therapeutische Nutzen des Außenanbaus (4) besteht darin, lange Sitztiefen und lange USL ver-wirk lichen zu können. Über die Ein-stellmöglich keiten an der Fußplatte kann man zusätzlich auch die Di-stanz der Füße zum Rollstuhl be-einflussen.

1

1

2

3

4

Page 47: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

47

Die Fußplatte sollte so ange-bracht werden, dass bei leicht aus-gestreckten Beinen (75°) die Ferse gut aufsitzt. Lediglich die Fußspitze darf „in der Luft hängen“. Dabei ist auch darauf zu achten, dass durch den Einstellwinkel der Fußplatte keine Überdehnung der Schienbein-muskulatur entsteht oder umge-kehrt der Waden.

Ebenfalls von großer Bedeutung ist das Wechselspiel zwischen „Po-sition Lenkräder“ und „Position Fuß-platte“, wenn ein Kind z.B. (1) aus therapeutischen Gründen über die Fußplatte einsteigen soll.

Ist aber die Fußplatte vor den Lenkrädern positioniert, besteht die Gefahr, (2) dass das Kind beim Ein-steigen mit seinen Rollstuhl nach vorne überschlägt. Deswegen sind bei allen unseren Kinder-Rollstüh-len die Lenkräder immer vor der Fußplatte montiert (1).

Aus der Vielzahl der unterschied-lichen Bein stützen und Fußplatten seien hier nur einige we nige exem-plarisch genannt:

• durchgehende Fußplatte (gibt dem Rollstuhl insgesamt mehr Stabilität)

• geteilte Fußplatte (erleichtert weggeklappt das Einsteigen, er-möglicht das Trippeln)

• Beinstütze abnehmbar und nach außen weg schwenkbar (lässt den Fahrer näher an Verrich tungen heran fah ren, kürzt die Rahmen-länge, ermöglicht das Trippeln mit dem/den gesunden Bein/en, verringert das Packmaß beim Trans port)

• Beinstütze hochschwenkbar (ge-eignet als Aufl age für Gipsbein, zur Thrombosenprophylaxe, als Positionierungsausgleich beim Kanteln um Druckstellen in der Kniekehle zu verhindern)

• Fußplatte nach hinten oder seit-lich wegklappbar (erleichtert das Ein- und Aussteigen

• Dynamische Beinstütze (gefeder-te Fußplatte, die in alle drei Rich-tungen nachgibt; kann Spasmen vermindern und verhindern)

2

1

Page 48: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

48

10 Einstellungen an den Rädern

Neben dem Sitzkomfort ist der Schwerpunkt des Rollstuhlfahrers (1) ein bedeutender Faktor für den Gebrauchsnutzen eines Rollstuhls.

Der Schwer punkt (x) liegt bei ei-nem neutral eingestellten Rollstuhl knapp vor der Achse (in Fahrtrich-tung), bei einem sehr aktiv einge-stellten hinter und bei einem pas-siv eingestellten deutlich vor der Achse.

Von der optimalen Einstellung des Schwerpunkts sind viele Fakto-ren abhängig:• Länge des Greifwegs (Kräfteöko-

nomie), • Sitzkomfort,• Wendigkeit,• Fahreigenschaften,• Kippeligkeit.

horizontale achse

Eine Verstellung des Körper-schwerpunkts ent lang der horizon-talen Achse nach hinten (aktive Einstellung) erfolgt, indem die Ach-sen der Antriebsräder nach vorne verschoben werden (2). Das hat fol-gen de Auswirkungen: • Entlastung der Lenkräder, • Senkung des Rollwiderstands,• Erhöhung der Kippeligkeit,• bessere Manövrierbarkeit,• längerer Greifweg auf den An-

triebsrädern.

Für geübte, kräftige Fahrer mit einem Rest an Rumpf-Becken-Kon-trolle ist eine solche Einstellung des Schwerpunkts von großem Vorteil. Sie können damit Hinder-nisse (durch Ankippen auf die Hin-ter räder) wesentlich leichter und selbstständig überwinden und sie werden schneller.

1

2

Schwer­punktein­stellung

neutral

aktiv

Page 49: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

49

Für ungeübte, unsichere Fahrer aber und auch zu Beginn einer Erst-ver sorgung sollte der Rollstuhl eher passiv eingestellt sein (3), indem die Antriebsräder deutlich hinter den Körperschwerpunkt montiert werden, sodass der Schwerpunkt nach vorne verlagert ist. Das hat fol-gende Effekte:• verbesserte Kippstabilität nach

hinten, • erhöhte Sicherheit bei Kantel-

rollstühlen.• kürzerer Greifweg auf den An-

triebsrädern,

Mit zuneh men der Fahr-Erfahrung und Kraft kann die Einstellung des Schwerpunkts den Fähigkeiten und dem Geschick des Benutzers ange-passt werden.

3passiv

Page 50: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

50

vertikale achse

Der Körperschwerpunkt kann auf drei Arten in der Höhe verändert werden:• über die Lochplatte der Antriebs-

räder, • über den Sitztragewinkel oder• über die Kissenstärke (minimal)

Eine Verstellung der Antriebs-räder in der Lochplatte nach oben (rot) ent lang der vertikalen Achse bewirkt dass: • sich das Sitzge fälle nach hinten

verstärkt,• der Schwerpunkt nach unten

und hinten rutscht,• die Kippeligkeit verstärkt wird

An den Lenkradgabeln muss der entsprechende Ausgleich erfolgen (Lenk radachse analog versetzen und Lenkradadapter wieder auf 90° nachjustieren).

Durch das größere Sitzgefälle wird ein ähnlicher Effekt wie bei ei-ner aktiven Schwerpunkteinstellung erzielt. Zu sätz lich wird die seitlich Kippeligkeit verbessert und das An-

kippverhalten für die Begleit person erleichtert. Allerdings ändert sich auch die Schulter-Antriebsrad-Posi-tion deutlich, wodurch ermüdende Schulterarbeit beim Antreiben pro-voziert wird.

Bei einer Verstellung der An-triebsräder in der Lochplatte nach unten (grün) entsteht ein umge-kehrter Effekt:• das Sitzgefälle ist negativ und

kippt nach vorne, • der Schwerpunkt rutscht nach

oben und vorne• der Stuhl wird passiver, • die Belastung auf die Lenkräder

nimmt zu, der Stuhl ist weniger wendig,

Eine Verstellung der Sitzhöhe durch ein dickeres Sitzkissen und/oder durch Verstellen des Sitztrage­winkels nach oben hat folgende Auswirkungen: • Der Greifweg (bei gleichbleiben-

der Armlänge) wird kürzer, • für längere Arme kann die Schul-

ter-Antriebsrad-Position optimiert werden,

• der Rollstuhlfahrer kommt näher

Sitzwinkel und Sitz­höhe

Sitzkissen

Page 51: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

51

an sein soziales Umfeld heran,• größere USL können realisiert

werden.

Allerdings wird dadurch auch der komplette Roll stuhl kippanfälliger, sowohl nach hinten, als auch nach der Seite.

radsturz

Um einen möglichst optimalen Greifpunkt zu erzeugen ist man in jüngerer Vergangenheit zuneh mend dazu übergegangen, die Antriebs-räder mit einem so genannten „ne-gativen Radsturz“ auszu statten.

Dadurch können die Antriebsrä-der oben näher an Benutzer heran-geführt werden, was bei (kleinen) Kindern und Menschen mit kurzen Armen oder Menschen mit beein-trächtigter Kontraktur kon trolle der Arme von enormem Vorteil sein kann. Ein breites, kräfteraubendes Ausholen mit den Armen und uner-gonomische Schulterarbeit wird da-durch vermieden.

Positive Effekte eines möglichst großen Rad sturzes sind eine er-höhte seitliche Kippstabilität, eine günstige Greifposition der Hände und ein Schutz vor Verletzungen der Hände an Engstellen (Türen etc.). Zusätzlich wird die Wendigkeit des Rollstuhls erhöht. Je größer der Radsturz, desto leichter lässt sich der Rollstuhl auf der Stelle drehen.

richtig falsch

ca.20 mm ca. 70 mm

Page 52: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

52

Je größer der Radsturz, umso größer wird die Sitzneigung nach hinten. Dadurch verändert sich (ne-ben dem Schwerpunkt) auch die Radspur. D.h.: die Antriebsräder stehen vorn weiter auseinander als hinten, wodurch ein sogenannter „Radiereffekt“ entsteht – der Rollwi-derstand erhöht sich, der Lauf wird schwerer. Ausgleichen kann man diesen Effekt durch das Anbringen von konischen Unter legscheiben zwischen Lochplatte und Rollstuhl-rahmen.

lenkrad

Die Größe des Lenkrads hat ebenfalls großen Einfluss auf den Fahrkomfort und somit auf den Ge-brauchsnutzen des Rollstuhls. Je größer der Durchmesser, umso ge-ringer ist der Rollwider stand, umso leichter und erschütterungsarmer können unebene Untergründe be-fahren werden. Allerdings verrin-gern sich dadurch auch die Ein stell-möglichkeiten des Schwerpunktes und das Maß der USL nimmt ab, weil durch die frei rotie ren den gro-ßen Lenkräder die Fußplatte ent-sprechend hoch angebracht werden muss.

Kompensieren ließe sich dieser Umstand, in dem man die (großen) Lenkräder weiter nach hin ten an-bringt, um nicht mit der Fußplatte zu kollidie ren. Dadurch aber erhöht sich die Kippelig keit des Rollstuhls nach vorne, erst recht dann, wenn das Kind / der Benutzer über die Fuß-platte in seinen Rollstuhl einsteigen soll (siehe S44/45 „Beinstütze“).

Zusätzlich ist der optische Ein-druck von großen Lenkrädern eher störend, was sich auf die Motiva tion des Fahrers, sein Hilfsmittel oft und regel mäßig zu benutzen, auswirken kann.

13°

6 cm

3 cm

Page 53: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

53

3.2 Unsere Rollstuhlmodelle

Im Folgenden stellen wir Ihnen unser Rollstuhlprogramm für den Bereich Kinder, Ju gend liche und Erwachsene vor, sowie einen leider nur kleinen Auszug aus unserer zweiten Kern kom petenz neben der Kinder-Reha, dem Sonderbau. Hier hat unsere Firma in 25 Jahren schon viele herausragende Lösungen ent-wickelt. Vieles aus diesem reichen Erfahrungs schatz transferieren wir kontinuierlich in unser Standardpro-gramm, wo durch dieses oft differen-zierter sein kann als an dern orts der Sonderbau.

Je besser und detaillierter die einzelnen Module an die indivi-duellen Vorgaben des Benutzers (Körpermaße, Rest mobilität, funk-tionellen Einschränkungen und therapeutischen Ziele) angepasst (adap tiert) werden können, je ge-nauer eine Roll stuhlversorgung wie ein „Maßanzug sitzt“ und je diffe-renzierter die gewünschten Fahrei-genschaften des Rollstuhls einge-stellt werden können, um so stärker kann das Hilfsmittel zur Aktivierung des Benutzers beitragen und somit seine Teilhabe am sozialen Umfeld unterstützen und ausbauen. Unser Ziel ist nicht eine Festschreibung des Status Quo, sondern eine Habili-tierung der Benutzer, ihnen also alle Möglichkeiten zu bieten, ihren Alltag zu erleichtern, ein selbstbestimm-tes Leben zu er möglichen und ihre Lebensqualität zu steigern.

Adaptiv­Rollstühle PG 18.50.03. Vector, Jump alpha, Jump betaSonder­Rollstühle PG 18.99.02.Mio, Kika, Tilty VarioSitzschalen­Rollstühle PG 26.99.01. Tilty II, Siro IIStehfahrer PG 28.29.01. Pablo mini, Pablo II und III

Alle unsere Rollstühle sind für den In- und Outdoor-Bereich geeig-net, verfügen über eine umfangrei-che Optionspalette und viele, im Sonderbau bereits erprobte Ausstat-tungs- oder Bauvarianten. XXL-Ver-sionen, Gerätehalter oder sonstige Veränderungen sind im Sonderbau ohne Einschränkung möglich.

Jump alpha und Jump beta sind faltbare Rollstühle und lassen sich problemlos in allen üblichen Fahrzeugen oder Verkehrsmitteln trans por tieren.

Mio und Vector sind Starr-rahmenrollstühle, bei denen mit ihren in telligenten Rahmengeo-metrien, steckbaren Rä dern und umlegbaren Rücken (optional) eben-falls ein gut handlebares Packmaß er reicht wird.

Kika und Tilty Vario sind kantelbare Roll stühle, die ebenfalls durch ihre steckbaren Rä der und den umlegbaren Rücken einfach und platzsparend transportiert werden können.

Tilty II und Siro II sind für Sitzschalen ausgelegt.

Die Stehfahrer der Pablo-Reihe sind aus schließ lich für den Indoor-Bereich bestimmt.

Page 54: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

54

Modell mögliche Maße Eigenschaften Krankheitsbild icdMio 18.99.02.1012 SB 18-30 (+2) cm

ST 18-30 (+4) cmRH 17,5-35 (+5) cmRäder 20“-24”Lenkräder 4”-5,5”

Starrer Rahmen,Sitztragewinkel, mitwachsend ohne ZukaufteileSB + 2 cmST + 4 cmRH + 5 cm

Einhandtherapie mit Doppelgreifringen möglich

AmputationAtrophieCerebralparese,Di- oder HemipareseTetrapareseHydrocephalusLuxationKyphose/LordoseMuskeldystrophieOsteogenesis imper-fektaSpina bifida

I10.0/Y88.0M62.0/G12.0G80.0ff/G82

G62/M82.5Q03/05, G91F14.3/M43.0M40/42, Q76G71.0 ffQ72Q05/Q76

Mio Carbon18.99.02.1012 SB 18-30 (+2) cm

ST 18-30 (+4) cmRH 17,5-35 (+5) cmRäder 18“-24”Lenkräder 4”-5”

siehe Mio

kann jederzeit auf einen „Aluminium-Mio“ umgerüstet werden, auch parziell

siehe Mio+ extrem kraftredu-zierte Kinder

siehe Mio

Mio Move18.99.02.1020 SB 20-34 cm

ST 18-36 cmRH 25-45 cmRäder 20“-24”Lenkräder 4”-5”

Starrer Rahmen, komplette Sitz-Rückeneinheit mechanisch kantelbar

AmputationAtrophieCerebralparese,Di- oder HemipareseTetrapareseHydrocephalusLuxationKyphose/LordoseMuskeldystrophieOsteogenesis imper-fektaSpina bifida

I10.0/Y88.0M62.0/G12.0G80.0ff/G82

G62/M82.5Q03/05, G91F14.3/M43.0M40/42, Q76G71.0 ffQ72Q05/Q76

Vector 18.50.03.1067 SB 26-46 (+4) cm

ST 28-46 (+4) cmRH 25-45 (+5) cmRäder 20“-24”Lenkräder 4”-7”

Starrer Rahmen, mitwachsend ohne Zukauteile,SB + 4 cmST + 4 cmRH + 5 cmSitztragewinkel

AmputationAtrophieCerebralparese, Di-, Hemi- oder Tetra-pareseHydrocephalusLuxationKyphose/LordoseMuskeldystrophieOsteogenesis imper-fektaPlegieSpina bifida Rheumatische Erkran-kungen

I10.0/Y88.0M62.0/G12.0G80.0ff/G82

G62/M82.5Q03/05, G91F14.3/M43.0M40/42, Q76G71.0 ffQ72F44.4/G82Q05/Q76M05/06

3.2.1 Übersicht Rollstühle mit starrem Rahmen

Page 55: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

55

Modell mögliche Maße Eigenschaften Krankheitsbild icdJump alpha 18.50.03.1079

SB 24-38 cm ST 26-36 cmRH 25-45 cmRäder 20“-24”Lenkräder 4”-7”

Faltbarmitwachsend ohne Zukaufteile SB + 2 cmST + 4 cmRH + 5 cm

AmputationCerebralparese, Di-, Hemi- oder TetrapareseMultiple Sklerose Muskelathrophie/-dystrophiePlegienRheumatische Erkrankungen Spina bifida

I10.0/Y88.0G80.0ff/G82

G35G71.0 ff F44.4/G82M05/M06Q05/Q76

Jump beta Sport­Rahmen 18.50.03.1084 SB 28-60 cm

ST 34-50 cmRH 25-55 cmRäder 20“-26”Lenkräder 4”-7”

Faltbar,abnehmbare Beinstütze, opt. XL-Rahmen für lange USL

AmputationCerebralparese, Di- oder HemipareseMultiple Sklerose MuskeldystrophiePlegieRheumatische Erkrankungen Spina bifida

I10.0/Y88.0G80.0ff/G82

G35G71.0 ff F44.4M05/M06Q05/Q76

Jump beta BSA­Rahmen18.50.03.1083 SB 28-54 cm

ST 18-30 cmRH 38-50 cmRäder 20“-26”Lenkräder 4”-7”

Faltbar, opt. XL-Rahmen für lange USL

AmputationMultiple Sklerose MuskeldystrophiePara- oder TetraplegieRheumatische Erkrankungen

I10.0/Y88.0G35G71.0 ff S14/24/34, G82M05/M06

3.2.2 Übersicht Rollstühle mit faltbarem Rahmen

Page 56: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

56

Modell mögliche Maße Eigenschaften Krankheitsbild icdMio Move18.99.02.1020 SB 20-34 cm

ST 18-36 cmRH 25-45 cmRäder 20“-24”Lenkräder 4”-5”

Starrer Rahmen, komplette Sitz-Rückeneinheit mechanisch kantelbar

AmputationAtrophieCerebralparese,Di- oder HemipareseTetrapareseHydrocephalusLuxationKyphose/LordoseMuskeldystrophieOsteogenesis imper-fektaSpina bifida

I10.0/Y88.0M62.0/G12.0G80.0ff/G82

G62/M82.5Q03/05, G91F14.3/M43.0M40/42, Q76G71.0 ffQ72Q05/Q76

Tilty Vario 18.99.02.1013 SB 28-40 (+4) cmST 30-30 (+4) cmRH 30-45 (+5) cmRäder 20“-24”Lenkräder 4”-6”

kantelbar, Rücken umlegbar mitwachsend ohne Zukaufteile

AmputationAtrophieCerebralparese,Di- oder HemipareseTetrapareseHydrocephalusLuxationKyphose/LordoseMuskeldystrophieSpina bifida

I10.0/Y88.0M62.0/G12.0G80.0ff/G82

G62/M82.5Q03/05, G91F14.3/M43.0M40/42, Q76G71.0 ffQ05/Q76

LoopSORG 26.99.01.3016(12“Räder) 26.99.01.3024

RahmenbreitenGr.1: 30, 34, 38, 42 cmgeeignet ab ST 32 cm

Gr.2: 34, 38, 42, 46 cm geeignet ab ST 38 cm

Gr.3: 38, 42, 46, 50 cm geeignet ab ST 44 cm

RH 43 oder 58 cmRäder 12”, 20“-24”Lenkräder 5”-7”

Sitzschalen-fahrgestell,kantelbar, Rücken umlegbar

AtrophieCerebralparese,HydrocephalusSpina bifida

M62.0/G12.0G80.0ff/G82Q03/05, G91Q05/Q76

3.2.3 Übersicht kantelbare Rollstühle und Sitzschalenfahrgestelle

Page 57: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

57

Modell mögliche Maße Eigenschaften Krankheitsbild icd

Boogie 28.29.01.3xxx Rahmenbreiten Gr.1: 36 cm (+4 cm) fürKörpergröße 80-110 cm Räder: 24”, 26”, 28”

Gr.2: 40 cm (+4 cm) fürKörpergröße 100-130 cm Räder: 28”, 30”, 32”

Gr.1: 44 cm (+4 cm) fürKörpergröße 120-150 cm Räder: 32”, 36”

Gr.1: 48 cm (+4 cm) fürKörpergröße 140-170 cm Räder: 36”, 40”

Stehfahrer zentrale Mittelsäule um 15° verstellbar

AtrophieDi- oder HemipareseSpina bifida Kyphose/LordoseOsteogenesis imperfektaMuskeldystrophie

M62.0/G12.0G80.0ff/G82Q05/Q76 M40/42, Q76Q72.0 ffG71.0 ff

3.2.4 Übersicht Stehfahrer

Page 58: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

58

Page 59: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

59

3.3 Ausstattungskom-ponenten

Im Folgenden führen wir einige unserer Ausstattungskomponenten auf. Aufgrund ihrer Vielzahl und den unzähligen Varianten lässt sich hier leider nur ein unvollständiges Bild wiedergeben. Unsere Reha-Fachbe-rater geben Ihnen detailierte Aus-kunft und beraten Sie gerne.

Viele dieser Komponenten sind aus der langjährigen Erfahrung und dem permanenten Austausch mit Betroffenen und Therapeuten ent-wickelt worden. Mit der profunden Kenntnis dieser umfangreichen Optionspalette, kann eine zielge-richtete Versorgung exakt auf die Möglichkeiten und Erfordernisse des Benutzers zugeschnitten wer-den, ohne ggf. fatale Kompromisse eingehen zu müssen. Mit dieser Detailkenntnis kann eine gute und allemal förderliche „therapeutische Tiefenschärfe“ erreicht werden

Viele Ausstattungskomponenten haben wir aus dem Sonderbau in unser Standardprogramm übernom-men. Dadurch ist unser Standard oft differenzierter, als andernorts der Sonderbau.

3.3.1 rahmen

Alle unsere Rollstühle gibt es mit abduziertem Rahmen. Das ist besonders für die Beinfreiheit und eine optimale Beckenaufrichtung hilfreich, damit man mit leicht ge-spreizten Beinen sitzen kann.

Beim Mio gibt es zwei Rahmen-Formen (Retro­ und Stier­Rahmen). Beim Retro­Rahmen haben die Kin-der die Möglichkeit, sich beim Ein-steigen auf den vorderen Rahmen-rohren abstützen zu können. Der

Stier­Rahmen hingegen bietet den Vorteil, dass durch die tiefe Rah-menführung die vorderen Rahmen-rohre sehr tief liegen und somit ein „Weit-Heranfahren“ auch an niedri-ge Tische möglich ist. Beide Formen gibt es mit unterschiedlich starker V-förmiger Abduktionen.

Mio und Mio Move haben jeweils eine V-förmige Abduktion, die nach vorne immer breiter wird.

Aus therapeutischen Überlegun-gen heraus kann es erforderlich werden, unübliche Konstellationen zu wählen (z.B. kleiner Rahmen mit großen Antriebsrädern etc.). Hier muss dann im Einzelfall entschie-den werden, ob und wie das bau-technisch zu berwerkstelligen ist, bzw. ob hier der Sonderbau greifen muss.

Retro-Rahmen Stier-Rahmen

Page 60: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

60

Abduziert bedeutet, dass der Rahmen im Beinbereich nach au-ßen weggeleitet wird, damit einen größere Beinfreiheit entsteht. Unse-re Modelle haben hier unterschied-lich starke Abduktionsmöglichkeiten von leichter Abduktion (3 cm je Sei-te) (1) über starke Abduktion (6 cm je Seite) bis zur V-förmigen Abdukti-on (Mio) (2), bei der die Abduktion nach vorne immer größer wird.

Im sonderbau haben wir auch schon 10 cm Abduktion je Seite gebaut.

Gerader Rahmen (3) bedeutet, dass die Fußplatte und der Beinbe-reich so breit ist wie der Rahmen.

Gekröpft (4) bedeutet, dass der Rahmen im Bein- und Fußbereich enger wird, wodurch ein enger physischer Kontakt zum Rahmen entsteht.

abduziert

gerade gekröpft

V­förmigabduziert

bis zu 6 cm

ca. 3 cm

1 2

43

Page 61: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

61

3.3.2 räder

Neben den Standard­Rädern ha-ben wir als einziger Rollstuhlherstel-ler eine weitere Standardvariante (ohne Aufpreis) im Sortiment, die Profil-Räder (1). Bei ihnen bilden Greifring und Radfelge eine durch-gehende Einheit, wodurch der Zwi-schenraum zwischen Greifring und Rad ausgefüllt ist.

Die Finger können nicht mehr dazwischen eingeklemmt werden. Zusätzlich kann ein ergonomisches Silikonpolster eingezogen werden, wodurch ein Antreiben mit dem Daumenballen möglich wird.

Ein ähnlicher Effekt kann mit dem um 20 mm breiteren Maxgrepp-Greifring (2) erreicht werden.

Als weitere Option bieten wir im Bereich Räder:• Leichtlauf­Räder, • Spider­Wheels und• Übersetzungs­Räder.

Der deutliche Vorteil der Leicht­lauf­Räder liegt in ihrem Gewicht (ca. 600 gr pro Rad weniger), was bei kraftreduzierten Kindern ein wichtiges Argument gegen die Stan-dard-Räder ist. Zusätzlich verfü-gen die Leichtlauf-Räder über eine gleichhohe Stabilität, können also unbedenklich auch bei sehr aktiven Benutzern eingesetzt werden und nehmen einen Ausflug ins Gelände nicht krumm.

Bei den Spider­Whells sind Fel-gen, Speichen und Radnaben in ei-nem Teil aus Magnesium gegossen. Deshalb verfügen die Räder neben ihrem schnittigen Design auch über den Vorteil höchster Stabilität und Belastbarkeit. Allerdings schlagen die Räder mit ca. 1.100 gr pro Rad Mehrgewicht (im Vergl. zu Standard-Rädern) zu Buche. Die Räder sind lieferbar in 22“ und 24“.

Unser kraftschonendes Über­setzungs­Rad (22“ und 24“) mit der HmVzNr.: 18.99.08.0005 hat einen integrierten Übersetzungs-mechanismus, der ähnlich einer Gangschaltung beim Fahrrad funk-tioniert: Bei einer kompletten Um-drehung des Greifrings legt das Rad lediglich eine halbe Umdrehung zurück. Im Sonderbau ist möglich, einen zweiten Greifring fest an das Rad zu montieren, damit man zwi-schen Übersetzung und Normal-An-trieb wechseln kann.

13 mm

33 mm

2

1

Page 62: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

62

3.3.3 SitzDie Optionsvielfalt in der Baugruppe

Sitz umfasst: • Sitzplatte (Alu) fest verschraubt,• Sitzplatte SitzFix steckbar und (op-

tional) verlängerbar,• Verriegelung für SitzFix ,• anatomisch geformter Sitz (auf

Alu-Platte),• Standard-Sitzbespannung, • anpassbare Sitzbespannung,• Sitzschalenadapter KLICK (für falt-

bare Rollstühle),• Sitzschalenadapter KLICK+30°

(kantelbar um 30°).

Die Sitzplatte ist über Sitztragewin-kel in der Höhe und in der Tiefe ein-stellbar (außer beim Tilty Vario). Sie ist bei für alle Rollstühle mit starrem Rahmen geeignet und kann sich dem Breitenwachstum anpassen.

Der SitzFix (1) ist für alle faltbaren Rollstühle geeignet, hat optional eine Sitzverlängerung um 4 cm und kann verriegelt werden (2).

Das anatomisch geformte Sitzkissen ist auf eine Aluplat-te montiert und hat vorne eine leichte Abduktion (zur Auf-richtung des Bek-kens) an der dick-sten Stelle (vorne) ist es 5 cm stark, an der dünnsten 3.

Im Gegensatz zur Standard-Sitz-bespannung gibt es bei der an-pass-baren die Möglich-keit mit den einzeln einstellbaren Sitz-gurten eine punk-tuelle Stützung herzustellen.

anatomisches Sitzkissen

Standard-Sitzkissen

Standard-Sitzbespannung

anpassbare Sitzbespannung

+ 4 cm

1

2

Page 63: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

63

3.3.4 rücken

Ebenso wie beim Sitz, gibt es beim Rücken die Möglichkeit zwi-schen der „unflexiblen“ Standard-Rückenbespannung (1) und der an-passbaren (2) zu wählen.

Der Vorteil der anpassbaren Rückenbespannung ist, dass über die einzelnen Rückengurte eine ebenso punktuelle wie differenzier-te Stützung erreicht werden kann. Diese individuelle Anpassung ist vor allem für aktive Benutzer sehr von Vorteil.

So sehr ein flexibler Rücken für aktive Fahrer von Vorteil sein kann, kann er bei Menschen mit schwa-chem Rumpftonus von Nachteil sein. Für diese Menschen bieten wir unseren festen Muldenrücken an, von dem es drei unterschiedliche Formen mit jeweils unterschiedli-chen Muldentiefen gibt.

Mit den jeweiligen Formen der Oberkante, können die jeweiligen Methoden der Positionierung un-terstützt werden. Zusätzlich sind die Muldenrücken eine gute Mög-lichkeit, weitere Positionierungshil-fen (Pelotten) und/oder Gurte zu montieren.

1

2

Page 64: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

64

Für unseren Kantelstuhl Mio Move haben wir einen patentierten Muldenrücken entwickelt, der zum Kanteln verlängert bzw. versenkt werden kann (1). Diese Rückenform lässt sich im Sonderbau auch für andere Stühle fertigen.

Der Muldenrücken bzw. die Sta-bistange am Rücken sind die Basis für die Montage von Kopfstützen, von denen wir ebenfalls eine Viel-zahl von Modellen für unterschied-lichste Therapieansätze anbieten.

Die therapeutischen Ansätze für einen umlegbaren Rücken können als bekannt vorausgesetzt werden. Interessant aber in diesem Zu-sammenhang ist, dass wir nahezu alle unserer Rollstuhlmodelle mit einem winkelverstellbaren Rücken ausstatten können. Sogar die falt-baren Rollstühle. Dabei gibt es die Varianten

• mit Raster um 40° (2)• mit Gasdruckfeder um 30° (3)

1

Gasdruckfeder

Raster

2

3

Page 65: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

65

3.3.5 Seitenteile

Alle unserer Seitenteile können in der Höhe auf das erforderliche Benutzermaß eingestellt werden. Sie sind fest mit dem Rahmen ver-schraubt und entweder aus Alumini-um oder aus schwarzem Kunststoff. Für einen häufigen Transfer über die Seitenteile hinweg bieten wir die Desk-Seitenteile an, die nach hinten

wegklappbar und vorne im Rahmen verriegelbar sind.

Für alle unsere Stühle bieten wir eine Alu-Kunststoff-Kombination an. In diesem Seitenteil kann eine

Seilzugbremse integriert werden. Am Seitenteil können diverse

Arten Kleiderschutz angeschraubt werden, die ebenfalls alle in der Höhe einstellbar sind. Ebenso kön-nen am Seitenteil (außer an der Kunststoff-Version)alle Arten von Armauflagen bzw. ein Therapietisch mit Haltern unter den Armpolstern montiert werden.

3.3.6 Beinstützen

Neben den klassischen Beinstützen, die alle in der Höhe, im Winkel und in der Tiefe angepasst werden können, seien hier vor allem die ungewöhnlicheren Lösungen dargestellt:

hoch- und seitlich wegschwenk-bar (1)Jumbo-Abduktion (2)doppelte Fußplatte (3)

1

2

12 cm

3

Page 66: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

66

3.3.7 Bremsen

Die sog. Kniehebelbremse ist eine Feststellbremse, mit der (bei vorgeschriebenem Reifenfülldruck) der Rollstuhl zuverlässig am Fortrollen (auf ebenem Gelände) gehindert werden kann. Zum Abbremsen der Fahrt ist sie NICHT geeignet. Für dieses Manöver sind Trommelbremsen geeignet, weil über den Bedienhebel das Abbremsen fein dosiert werden kann. Bedingt gilt dies auch für die Begleiterbremse, eine Kniehebelbremse, die vom Begleiter mit einem Bedienhebel betätigt werden kann.

Alle unserer Kinder-Rollstühle haben (teilweise optional) eine im Kleider-schutzseitenteil integrierte Seilzug­bremse. Ihr Vorteil besteht vor allem darin, dass sie auch mit kurzen Armen körpernah bedient werden kann und sich das Kind zum Feststellen nicht aus dem Rollstuhl heraus beugen muss. Im Gegenteil schiebt das Kind den Bremshebel zum Bremsen von sich weg und sich selbst gleichzeitig in den Stuhl hinein. Das entspricht der Reflexbewegung bei Gefahr.

Bei der Wahl der Bremsen ist entscheidend, ob der Benutzer kon-trolliert und gesteuert den Brems-hebel bedienen kann. Bei einem unkontrollierten Tonus sind vom Begleiter bedienbare Bremsen von großer und sicherheitsrelevanter Wichtigkeit. Darüber hinaus können die Kniehebelbremsen auch in ihrer jeweiligen Position verriegelt werden, womit ein unkontrollierter Übergriff verhindert werden kann. In den Bestellblättern sind alle jeweils möglichen Bremstypen aufgeführt.

Eine weitere, höchst sinvolle Bremse, ist unsere Rückrollsperre, mit der an Steigungen bis 7% automatisch das Zurückrollen verhindert wird, ohne die Vorwärtsfahrt zu beeinträchtigen

Kniehebelbremse

Trommelbremse

integrierte Seilzugbremse

Kniehebelbremse verriegelbar

Rückrollsperre

Page 67: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

67

3.4 Tipps zum Anpassen des Rollstuhls

3.4.1 Starr oder faltbar?Bei der Wahl eines Rollstuhls ob falt-

bar oder starr, sind verschiedene Fakto-ren von Bedeutung. Wenn der Rollstuhl oft transportiert werden muss, kann ein faltbarer Rollstuhl wegen des ver-fügbaren Stauraumes erforderlich wer-den. Wir geben aber zu bedenken, dass gerade bei kleinen Kinder roll stühlen ein faltbarer nur unmerkliche Platzein-sparung bietet. Dagegen schlägt das zu-sätzliche Gewicht gerade bei schwachen und/oder kleinen Kindern wesentlich mehr zu Buche. Denn grund sätzlich ist ein Faltrollstuhl schwerer als ein ver-gleich barer Starrrahmen-Rollstuhl, denn der Falt mechanismus erhöht das Ge-wicht.

Ein Starrrahmenrollstuhl ist dagegen verwindungs steifer und liegt deswegen besser auf der Straße. Den noch kann ein Falt-Rollstuhl eine sehr ähnlichen Sitz komfort wie bei einem Starrrahmen-Rollstuhl bieten.

Unsere feste Sitzplatte aus Alumini-um, der SitzFix, kann in die Kreuz-streben so eingehängt werden, dass ein Faltrollstuhl eine durchaus vergleichbare Stabilität zu einem Starrrahmen-Roll-stuhl erhält. Die Verwindungssteif heit wird wesentlich erhöht. Ebenfalls sind bei allen unseren faltbaren Rollstühlen verschiedene feste Muldenrücken mög-lich. Der Rollstuhl bleibt faltbar.

Sowohl der Sitz Fix als auch der feste Muldenrücken lassen sich mit maximal zwei Hand griff entfernen und der Stuhl kann zum Transport genauso

einfach gefaltet werden wie mit Sitz- und Rückenbespannung.

Zusätzlich kann unsere Trend-Serie für be son dere Belastungen über 120 kg sowohl fest ver schraubt als auch starr verschweißt werden. Eine Ausführung des kompletten Rollstuhls in Stahl ist ebenfalls möglich. Hierbei bleibt dann die Falt bar keit des Rollstuhls erhal-ten aber die Belast barkeit wird enorm erhöht. Unsere Trend-Serie ist zudem Basis für viele, ausgefallene Mobilitäts-lö sungen im Sonderbau. Unsere Reha-Fachberater stehen Ihnen gerne bera-tend zur Seite. Anruf genügt.

Jump mit Sitzbe-spannung, faltbar

feste Sitzplatte SitzFix

Mio mit Sitz-platte, Rahmen starr

Page 68: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

68

Als Neuheit im Bereich Starrrah-men-Rollstuhl haben wir den Vector ent-wickelt, den es seit Mai 2009 auf dem Markt geben wird. Vector ist sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Er-wachsene geeignet (SB 20-46 cm + je-weils 4 cm).

Er ist ein in allen Richtungen ohne Zukaufteile mitwachsender Starrrah-men-Rollstuhl, bei dem sich die Anpas-sung an die ver änderten Maße einrich-ten lässt. Gleichzeitig haben wir durch ein neues Rahmen konzept sein Gewicht wesentlich verringert.

3.4.2 Sitzplatte oder Sitzbe­spannung?

Der therapeutische Nutzen des Sitz­Fix bzw. der festen Sitzplatte besteht in der wesentlich sta bileren Sitzposition im Vergleich zu einer Bespan nung. Durch die feste Unterlage, die nicht (wie bei ei-ner Sitzbespannung oder bei Sitzgurten) durch hängen kann, wird eine aktivere Becken po sition erzielt, die quasi von unten her gestützt wird, wo durch ein we sent lich längeres, er mü dungsarmes Sitzen möglich wird. Der gesamte Mus-keltonus profitiert davon. Darüber hin-aus ist der SitzFix eine gute Basis für anato misch gefor mte Sitzteile. Er kann mit einer Keilauf nahme für einen Sitz-scha len adapter ausge stattet werden,

wodurch aus einem Faltrollstuhl ein Sitz-schalenuntergestell werden kann.

Eine Sitzbespannung dagegen ver-mittelt den Eindruck eines unmittelba-ren, direkten Kontakts zum Rollstuhl-rahmen, weil jede „Bewegung“ des Rahmens auf die Bespannung bzw. die Gurte über tragen wird. Gerade bei sehr sportlichen und akti ven Fahrern ist dieser Effekt gewünscht, weil in sei-ner Umkehrung der Fahrer mit seiner Restmo bi li tät im Becken-Rumpf-Bereich den Rollstuhl mit steuern kann. Durch kleine Impulse des Becken-Rumpf- und/oder des Becken-Bein-Bereichs wird das Lenken unterstützt. Diese Übertragung der Rest mobilität auf den Rollstuhlrah-men würde dann durch eine Sitzplatte gehemmt werden.

3.4.3 SitzEin Mensch im Rollstuhl sitzt mehr

oder weni ger 2/3 des Tags in seinem Hilfsmittel. Des halb ist beim Sitz vor allem auf eine gute Stabilisierung des Benutzers zu achten, die ihn in seinem Bewe gungspotential nicht einschrän-ken darf. Der Sitz sollte keinesfalls die genommenen Körpermaße um 2 cm auf jeder Seite überschreiten, da sonst die Benutzer im Beckenbereich nicht mehr ausreichend gestützt werden kön-nen mit z.T. verherenden Folgen. Bei mangelhafter seitlicher Stützung kön-nen Skoliosen entstehen, bei fehlen-der rektaler Stützung Erschlaffung des Becken-Rumpf-Tonus, Aufrichtungs- und Wahrnehmungsdefizite.

feste Sitzplatte Sitzgurte

Page 69: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

69

Mit dieser Toleranz ist die dickere Winterkleidung des Benutzers oft hin-reichend berücksichtigt. Für einen Grö-ßenangleich an die sich ändernden Kör-permaße der Benutzer gibt es mehrere Optionen: • beim Vector, Mio, Kika und beim Tilty

Vario ist das Wachstum in der Breite, in der Tiefe und in der Rückenhöhe (z.T. ohne Zukauf von weiteren Teilen) bereits im Rahmen eingebaut,

• der SitzFix kann optional in der Län-ge um 4 cm mitwachsen (der Wachs-tumsschub bei Kin dern und Jugend-lichen ist oft wesentlich mehr in die Länge als in die Breite gerichtet),

• für ein Wachstum in die Breite ha-ben wir für Faltrollstühle ein Um-bauset (Kreuzstrebe, Sitz, Rücken, Fußplatte).

Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Posi tio nie rung der Beine, ausgehend vom Sitz. Grundsätzlich gilt: • Die Kniekehle muss druckfrei gehal-

ten sein, da es sonst zu Stauungen und Druck stellen kommen kann.

• Zwischen Kniekehle und Vorderkante Sitz sollen mindestens zwei Finger-breit (des Be nutzers) Platz bleiben.

Deshalb muss beim Anpassen dar-auf geachtet werden, dass die Schenkel im Bereich der Kniekehle nicht auf der Sitzkante hängen bzw. aufliegen. Die flache Hand des Benutzers soll bequem unter die Kniekehle geschoben werden können.

Bei der Angabe der Unterschenkel-länge ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass wir grundsätzlich OHNE Kissen messen. Z.B.: • gemessene USL = 30 cm• Kniekehlenspielraum = ca. 1-2 cm• angegebene USL = 32 cm (ergibt

sich aus: reales Maß 30 cm plus 2 cm Kniekehlenspielraum),

• geplante Kissenstärke = 3 cm• wir liefern den Rollstuhl dann mit ei-

ner Distanz von 29 cm zwischen Fuß-platte und Sitzplatte (3 cm Kissen-stärke + 29 cm eingestellte Länge = 32 cm angegebenes USL-Maß).

Darüber, ob und wie viel Platz zwi-schen den Knien erforderlich ist, gibt Ih-nen ihr/e Thera peut/in exakte Auskunft. Er/sie verordnet ggf. einen so genannten Abduktionskeil, mit dem die Knie ge-spreizt und eine aktivere Becken position erreicht wird. Bei unserem anatomisch geformten Sitzkissen ist durch die Frä-sung des Schaumstoffs be reits eine leicht Abduktion der Beine angelegt.

Bei einem haltungsstabilen und akti-ven Be nutzern empfehlen wir, abhängig vom jeweiligen Krankheitsbild, für aus-reichend Platz zwischen den Knien zu sorgen, damit ein Umlagern/Wechseln der Belastung in den Beinen möglich wird (meist genügt ca. eine Handbreit). Durch die Möglichkeit der Rahmen-Abduktion (Verbreiterung des Rah mens im Knie- und Fußbereich) bei allen unse-rer Rahmen können wir eine maximale Beinfreiheit und somit eine gute Druck-stellen-Prophylaxe ge währleisten.

Daneben kann bei aktiven Be­nutzern (z.B. mit Plegien) eine beson­ders „schmale“ Positionierung der Knie gewünscht sein, wofür wir beim Vector einen V­Rahmen anbieten und beim Trend Sport den geraden Rah­men. Durch diese sehr mit dem Roll­stuhl verbundene Sitzweise wird ein Steuern des Rollstuhls mit dem ganzen (Ober­)Körper unterstützt.

falsch richtig

Rahmen­varianten: abduziert, gerade, gekröpft

Page 70: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

70

3.4.4 RückenBei selbstständig mobilen Rollstuhl-

benutzern darf die Rückenhöhe die Arm-bewegung beim An treiben des Rollstuhls nicht beeinträchtigen. Als Faustregel bei aktiven Fahrern geht man von ei-ner Rücken höhe bis zur Unterkante der Schulterblätter aus.

Sollte der Rollstuhlfahrer wegen seiner insta bilen Haltung oder wegen seines schwachen Mus kel tonus (Hyper-tonie) dennoch über dieses Maß hin aus gestützt werden müssen, bieten sich unsere festen Muldenrücken an, die mit unter schied lichen Formen der Oberkan-te ggf. auch den Nacken-Kopf-Bereich berücksichtigen.

Zusätzlich bietet der feste Mulden-rücken auch die Möglich keit zur Mon-tage von Positionierungshilfen wie Pe-lotten und/oder Kopfstützen. Bei unse-

rem neuen Kantelstuhl Mio Move haben wir sogar einen paten tierten auszieh ba-ren Rücken, mit dem das „integrierte Kopf stützen blech“ nach Belieben mit einem Handgriff herausgezogen oder weggescho ben werden kann. Unsere qualifizierten Reha-Fach berater geben Ihnen gerne Tipps und Anregungen.

Die Verstellbarkeit des Rückenwin-kels um 40° ist optional bei allen unse-ren Rollstühlen möglich (auch bei den faltbaren).

Rückenhöhe Rückenrohre Rückenhöhe RückenrohreRückenhöhe Rückenrohre

gerade Oberkante, um 2 cm länger als der Rücken

gerade Oberkante, um 10 bzw. 20 cm länger als der Rücken

gewölbte Oberkan­te, um 5, 10 oder 15 cm länger als der Rücken

Modell 1 Modell 2 Modell 3

Rückenverlängerung beim Kikaunverlängert verlängert

90° 125°

130°

Page 71: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

71

Bei Mio Move kann die Rück enlehne separat um ca. 36° nach hinten umge-legt werden und- zum Transport - nach vorne umgeklappt.

Zusätzlich kann beim Mio Move die komplette Sitz-Rückeneinheit von -5° bis +35° gekantelt werden und beim Tilty Vario von 0° bis +26°.

Dies bedeutet vor allem bei pas-siven Kindern und Jugendlichen eine Entlastung der Wirbelsäule und zusätz-liche Stimu lation des Kreislauf- und Stoff wechsel-Systems.

Die Rückenbespannung kann (z.T. optional) auch anpassbar sein. Durch die verstellbaren Klett bän der lassen sich einzelne Partien des Rückens stär-ker oder schwächer stützen, was einer anato misch angepassten Führung und einer Lumbal stützung entsprechen kann.

0°35°

126°

Page 72: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

72

3.4.5 Beinstütze und FußplatteOft herrscht bezüglich der Beinstütze

babylo nische Sprachverwirrung, da eine Vielzahl von un ter schied lichen Bezeich-nungen für die selbe Baug ruppe auf dem Markt verbreitet ist: Fußbrett, Fußbank, Fuß stütze, Fußauflage etc.

Wenn wir von Beinstütze reden, mei-nen wir die Teile, mit denen die Fußplatte am Rollstuhl befestigt ist. Die Fußplatte ist das Teil, worauf die Füße stehen.

Bei der Beinstütze gibt es die Varianten(1) Anbau innen mit Fußplatte durch-

gehend fest verschraubt (Winkelein-stellung und Distanzregulierung zum Rollstuhl über ein Konusgelenk,

(2) Anbau außen mit Fußplatte durch-gehend fest verschraubt (Beinstütze steckt im vorderen Rah menrohr),

(3) Anbau innen mit Fußplatte durchge-hend seitlich hochklappbar

(4) Anbau außen mit Fußplatte durchge-hend seitlich hochklappbar

(5) Anbau innen mit Fußplatte geteilt seitlich hochklappbar

(6) Anbau außen mit Fußplatte geteilt seitlich hochklappbar

(7) Anbau innen mit Fußplatte durchge-hend seitlich und nach hinten hoch-klappbar

(8) Anbau außen mit Fußplatte durchge-hend seitlich und nach hinten hoch-klappbar

(9) Anbau außen mit Fußplatte durchge-hend, seitlich hochklappbar und zu-sätzlich nach außen abschwenkbar

(10) Beinstütze nach außen abschwenk-bar und komplett abnehmbar (mit den Fußplattenvarianten durchge-hend bzw. geteilt)

(11) Beinstütze nach außen abschwenk-bar, hochschwenkbar und komplett abnehmbar (mit den Fußplattenvari-anten durchgehend bzw. geteilt)

(1) (2)

(5) (6)

(9)

(3) (4)

(7) (8)

(10) (10)

(9)

(11)

Page 73: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

73

Bei den kantelbaren Rollstühlen und bei den Sitzschalenuntergestellen wird die Beinstütze unter den Sitz ge-schraubt, damit sie beim Kanteln dem Benutzer folgen kann.

(1) Anbau mittig, Fußplatte durchge-hend

(2) Anbau mittig, hochschwenkbar mit Fußplatte geteilt.

(3) Dynamische Beinstütze , in alle Rich-tungen gefedert zum Dämpfen und Mindern ein schießender Spasmen

(4) GENEX, in alle Richtungen gefedert mit Knie-Drehgelenk, hochschwenk-bar, zum Dämpfen und Mindern ein-schießender Spasmen.

Für Benutzer mit unregelmäßigem Muskel tonus (Spasmen) haben sich unsere Beinstützen mit dynamischer Fußplatte bestens bewährt, die in alle drei Rich tungen gefedert ist und bei einschießendem Spas mus hilft, diesen zu mindern und die zerstöreri schen Kräfte abzuschwächen. Bei den hoch-schwenkbaren Beinstützen haben wir die dyna mische Federung auch in das Knie-Drehgelenk eingebaut, damit die Federung bei dorsalen Spas men auch im Kniebereich wirken kann. Daher kommt auch der Name dieser dynami-schen Bein stütze: GENEX.

(1) (2)

(3)

(3)

Page 74: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

74

Für die Einstellung der Fußplatte (Fuß-bank/ Fuß brett etc.) auf die Unterschen­kellänge (USL) gilt grund sätzlich:

Die Fußplatte wird idealerweise in der Höhe so eingestellt, dass die im rech-ten Winkel auf stehen den Beine mit der Kniekehleninnenseite nicht die vordere Oberkante des Sitzes be rühren; dadurch werden Druckpunkte und folg lich Durch-blutungsstörungen vermieden (siehe auch „Sitz“ S 59).

Die Fußplatte sollte so eingestellt sein, dass die Füße immer mit min. 90° aufstehen können, auch (und erst recht) bei leicht nach vorne weg gestreckten Unterschenkeln.

Je weiter die Füße nach vorne (also vom Be nutzer weg) platziert werden (Kniewinkel >90°), umso mehr muss der Winkel der Fußplatte nach gestellt wer-den, damit der Fuß nicht über dehnt wird. Um dann die Gefahr des Abrut schens zu vermeiden, bieten wir Fer sen halter oder Fußplatten mit hinterer Hochkantung an.

Die maximal mögliche Unterschenkel-länge (USL) an einem Rollstuhl ist abhän-gig vom den Komponenten:

• maximal möglicher Abstand zwi-schen Oberkante Sitz und Fußplatte (Herstellerangabe)

• und der Stärke des Sitzkissens.Das heißt, dass die Herstellerangabe

immer um die Stärke des Sitzkissenss erweitert werden kann. Deshalb sind zur korrekten Einstellung der Fußplatte im-mer beide Maße erforderlich!

3.4.6 Greifpunkt und Schwerpunkt

Gerade bei kraftreduzierten Men-schen ist bei der Anpassung des Roll-stuhls be son deres Augenmerk auf die persönlichen Gegebenheiten zu legen. Die optimale Schulter-Antriebs rad-Position ent schei det letztlich über die Kräfteökonomie, mit der man seinen Rollstuhl antreiben kann. Dafür gibt es drei Faktoren: 1. den Schwerpunkt (die Kippeligkeit)2. die Entfernung der Antriebsrädern

zum Benutzer 3. die Greifstrecke, die dem Benutzer

zum Antreiben bleibt.

Idealer Weise greift der Benutzer zum Antreiben sei-nes Rollstuhls die Greifrei-fen knapp hinter seinem Körperschwer-punkt und zieht sie nach vorne in Rich-tung seiner Knie. Wichtig ist, dass dabei die Schultern nicht übermäßig nach oben gezogen werden müssen. Es gilt, einen Kompromis aus Schwerpunkt, Greifweg und Greifpunkt (hinter der Körperachse) zu finden und den Sitz exakt auf dieses optimale Maß einzustellen.

Zu 1 ­ Grundsätzlich gilt: Je aktiver der Benutzer seinen Roll-

stuhl fahren kann, um so „kippeliger“ kann er ihn einstellen, weil dadurch das Antreiben des Rollstuhls leichter wird. Man spricht dann von einer „aktiven Ein-stellung“. Je weiter der physische Schwer-punkt des Benutzers sich nach hinten an (oder sogar über) die Achse der Antriebs-räder schiebt, umso aktiver (= kippeliger) ist der Rollstuhl eingestellt.

aktiver Schwerpunkt passiver Schwerpunkt

Fuß­ und Kniewinkel

90°

90°

Page 75: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

75

Das sollte jedoch nur sehr erfahre-nen Rollstuhlfahrern vorbehalten sein, weil mit der Kippeligkeit das Risiko wächst, nach hinten überzuschlagen. Schon alleine deswegen empfiehlt sich die Verwendung eines Kippschutzes!

Zu 2 ­ Grundsätzlich gilt:Damit aktive Fahrer möglichst we-

nig Kraft aufwenden müssen, sollten die Antriebsräder so nahe wie möglich am Körper des Benutzers sein. Denn je weiter man seine Arme seitlich vom Körper weg strecken muss, um die An-triebsräder betäti gen zu können, umso mehr Kraft zum Antreiben wird benötigt. Der Abstand zwischen Körper und An-triebsrad lässt sich gut über den Rad-sturz re gulieren.

Ihr Sanitätshaus / Ihr Reha-Techniker wird nach der optimalen Position für Sie suchen und die entsprechenden Ein-stellungsarbeiten für Sie übernehmen.Über die Sitzhöhe reguliert man den Ab-stand zwischen Ellbogen und Oberkante Antriebsrad. Ist dieser Abstand zu groß, verkürzt sich dadurch die Länge des Greif- und somit Antriebsweges; ist der Abstand zu klein, muss zum „Überwin-den“ des Zenits am Antriebsrad die kom-plette Schulterpartie eingesetzt werden.

Zu 3 ­ Grundsätzlich gilt:Je geringer der Abstand zwischen Ell-

bogen und Oberkante Antriebsrad, umso länger ist zwar der Greifweg, umso mehr wird aber die Schulter zum Antreiben des Rades mitbeansprucht. Diese Schul-ter arbeit gilt es so weit wie möglich zu re-duzieren, da sie extrem kraftaufwendig und folglich ermü dend ist. Zudem ist sie ursächlich für enorme Ver spannungen im Schulter-Nacken-Bereich.

Optimal ist eine Position, bei der der Benutzer das Antriebs rad von “hinter seiner Körperachse” holen kann und nach vorne weg noch ca. ein Viertel des Rades zur Verfügung hat.

Der optimale Greifpunkt ist in ganz beson de ren Maß bei (sehr) kleinen Kin-dern entscheidend für den Erfolg der Rehabilitation. Denn die Kleinen sollen mit ihrem Hilfsmittel Kräfte aufbauen und nicht verbrauchen. Ein schnelles Ermüden kann die Kinder demotivieren und überfordern. Die Reha-Maßnahme

6 cm 3 cm

langer Greifweg ­ starke Schulterar­beit

idealer­Greifweg ­ geringe Schulterar­beit

Page 76: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

76

würde sich gegen den Benutzer wenden. Deshalb kann bei allen unseren Stühlen über die Lochplatte und/oder über den Sitztrage winkel sehr einfach und höchst differenziert der optimale Greifpunkt einstellen. Die dafür erforder lichen Ar-beiten übernimmt Ihr Sanitätshaus bzw. Ihr dafür qualifizierter Reha-Techniker gerne für Sie.

Gleichzeitig mit der Einstellung des optimalen Greifpunktes muss der Schwerpunkt des Roll stuh les be-rücksichtigt und ggf. auf die Anfor de-rungen des jeweiligen Benutzers an-gepasst werden. Durch einen passiven Kipppunkt (d.h.: der Schwerpunkt des Benutzers liegt wesentlich vor der Rad-achse), ist zwar die Kippstabilität des Roll stuhls deutlich höher, gleichzeitig aber wird das Antreiben des Rollstuhls viel kraftaufwendiger, weil der Greifweg enorm verkürzt ist.

Ein zu aktiv eingestellter Schwer-punkt kann den Benutzer beim Erlernen der Möglich keiten und Grenzen seines Rollstuhls schnell er schrecken, weil die Gefahr des Nach-hinten-Kippens zu groß ist. Dieses sollte gerade am An fang (und bei kleinen Kindern) unbedingt vermie-den und/oder durch Kippschützer kom-pensiert werden.

Erst wenn sich der Benutzer mit sei-nem neuen Gefährt hinreichend vertraut gemacht hat und unter Verwendung eines Kippschutzes die Grenzen des Rollstuhls kennen gelernt hat, kann man von einer anfänglich eher passiven zu einer eher ak tiven Einstellung des Schwerpunktes wechseln. Die gewünschte Position lässt sich wie beschrieben regulieren.

sehr kurzer­Greifweg ­ keine Schulterar­beit

Page 77: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

77

4. Mobilität und Inklusion im frühesten Kindesalter Überlegungen zur frühkindli­chen Rollstuhlversorgung

Vor über zwanzig Jahren konnte die Fachwelt auf der REHACARE erstmals einen kleinen Faltrollstuhl mit (für da-malige Verhältnisse) winzigen 22 cm Sitzbreite in Augenschein nehmen. Da-mals hielten viele diesen Rollstuhl für einen Werbegag, für ein Modell, manche sogar für etwas therapeutisch Unseri-öses. Aber der Clou des „Muby“ (so der Name des Kleinen) bestand darin, dass er nicht nur ein etwas kleiner gebauter Erwachsenen-Rollstuhl war, sondern be-reits sehr viele Aspekte der kindlichen Physiognomie berücksichtigt hatte, die in der heutigen Kinder-Reha außerhalb jeder Diskussion stehen und probater Standard sind. Er war einer der ersten Kinder-Rollstühle, bei denen auf Pro-portionen, Physiognomie, motorische Möglichkeiten und Kräfteökonomie der kindlichen Benutzer großes Augenmerk gelegt wurde. Vielleicht war Muby sogar das Initialereignis für eine kindgerech-ten Rollstuhlversorgung.

Vieles hat sich in der Zwischenzeit getan und vieles ist auf den Weg ge-bracht worden, weil die führenden deut-schen Rollstuhl-Hersteller (allen voran die in rehaKIND organi sierten) immer und immer wieder die Notwendig keit einer kindgerechten Rehaversorgung ins Zentrum ihrer Entwicklungsarbeit gestellt und den Status quo der Hilfsmit-tel für Kinder kontinuierlich gestei gert haben. Dennoch ist die frühkindliche Reha für viele Entschei dungsträger im-mer noch eine eher hypothetische Denk-übung denn praktischer Alltag. Denn als kaum 20 Jahre später der selbe badi-sche Tüftler, Hugo Sorg, einen noch viel kleineren Kinder-Rollstuhl in Düsseldorf vorgestellt hatte, waren die Reaktionen wieder ähnlich wie 20 Jahre davor. Zu-gegebenermaßen wirkt ein Rollstuhl, dessen Sitzfläche kleiner als ein DIN-

A5-Blatt ist, auf den ersten Blick mehr wie ein Spielzeug als wie ein therapeu-tisches Hilfsmittel. Allerdings ist es seit dem nur 14 cm breiten „Knuffi OI“ (OI steht für Osteogenesis Imperfekta) erst-mals möglich, kleinste und besonders kraftreduzierte Kinder zu mobilisieren.

Mit diesem Artikel soll aufgezeigt wer-den, worin der Sinn einer solchen frühen und frühsten Mobilisierung liegt. Er soll die Entwicklungsschritte darstellen, die hin zu einem mobilen und autonomen Leben als Basis für die Inklusion führen. Und er will erklären, welche Rolle dabei ein individuell konfiguriertes und optimal angepasstes, also kindgerechtes Hilfs-mittel über nimmt. Denn Rehabilitation will ja dem Wortsinn nach habilitieren, also geschickt machen, befähigen und nicht den Status Quo zementieren.

Kopf oder Beine?Im Vergleich zu vielen wilden Tieren,

die sofort nach der Geburt stehen und laufen können müssen, lässt sich der Mensch zum Erlernen der selbststän-digen, aufrechten Mo bilität zu guns ten seiner kognitiven Fähigkeiten ver gleichs-weise viel Zeit; im Durchschnitt sind das ca. 2-3 Jahre. Resultat dieser deutlichen Verschiebung in der Entwicklung von Kindern zugunsten ihrer geistigen Fähig-keiten ist eine reflektierte und kontrol-lierte Rezeption von Aktion und Motorik. Im Gegensatz dazu bleibt bei Tieren die Überlagerung von Reflexen erhalten. Zielgerichtete, intellektuell kontrollierte Bewegung ist ihnen deshalb nicht mög-lich. Allerdings ist die geistige Entwick-lung bei Menschen immer abhängig von der gleichzeitigen Entwicklung seiner motori schen Fertigkeiten. Denn die ze-rebrale Entwicklung ohne gleichzeitige motori sche Aktionen ist ebenso unmög-lich, wie motori sches und haptisches Lernen ohne eine gleichzeitige zerebrale Steuerung oder Rezeption. Ersteres hat mit der Fähigkeit zur Abstraktion und Wahrnehmung zu tun, Zweites mit der Kontrolle von Reflexen und Bewegungs-mustern. Beide „Entwicklungs stränge“ sind also voneinander abhängig. Unsere

Vestibuläre Stimmula­tion

Page 78: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

78

Sprache spie gelt diesen Zusammen-hang sinn fällig wieder und benutzt für kognitive Fähigkeiten „motorisch“ be-setzte Wörter: be-greifen, ver-stehen, be-halten, ver-werfen, er-fassen, er-fahren, etc.

Maßgeblich für diesen Zusammen-hang ver antwortlich ist das Vestibulum (Gleich ge wichts organ) im Innenohr. Es ist die Grund lage für die sogenannte kinästhe tische Wahr nehmung. Das sind Informationen an das Gehirn über die Muskel- und Sehnen spannung, Muskel-länge, Gelenk stellung und Position des Körpers im Raum. Man spricht dabei von einer Proprio zeption (Eigen wahr-nehmung) des Körpers, weil die Infor-mationen nicht von der Außenwelt über Sinnesorgane ans Gehirn geliefert wer-den, sondern aus dem eigenen Körper kommen. Dabei werden bei jeder Ände-rung der Position des Kindes im Raum, z.B. wenn das Baby hochge halten oder über die Schulter gelegt oder aufgerich-tet wird, durch den Einfluss des Vestibu-lums Reflexe der Grobmotorik aus gelöst, die die neue, veränderte Lage aus zuglei-

chen versuchen. Durch die perma nente Wiederholung dieser Sinnes reizung lernt das Kind im Verlauf der ersten 12 Mona-te, seine reflexhaften, grobmoto ri schen Bewegungen zu kontrol lieren und geziel-te, eigenständige und vor allem kon trol-

Anna Jean Ayres „Bausteine der kindlichen Entwicklung“ Heidelberg 1984

sensorische und kinäs­thetische Wahrneh­mung

Page 79: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

79

lierte Be we gungsmuster auf zubauen. Diese Kontrolle über die Grob motorik ist dann die Basis für die spätere Ent-wicklung einer Feinmotorik.

Je des „normale“ Kind durchlebt - quasi völlig neben bei - diesen Lern-prozess in der Regel zwischen dem 12. und 18. Monat. Die ersten Lernschritte dazu finden in den oberen Extremitä-ten statt, das Kind lernt seine Kopf-haltung zu kon trol lieren (das Zentrum der kinästhe tischen Wahr nehmung!). Danach lernt es, den Rumpf zu steuern (selbstständiges, aufrechtes Sitzen), sei-ne Extremitäten als „zu sich gehörend“ zu erleben und sie zielgerichtet zu be-nutzen (Greifen, Strampeln), dann mit den Armen und später mit „allen Vieren“ zu krabbeln, sich selbstständig aufzu-richten und schließlich zu laufen.

Was aber geschieht bei Kindern, denen aufgrund ihrer Behinderung die Möglichkeit zu einer „normalen“ Ent-wicklung erschwert oder sogar versperrt ist, wenn sie sich nicht aufrichten und das Laufen lernen können?

Fehlentwicklung durch Scham­gefühl

Zugegeben: die Nachricht von der Behinderung des eigenen Kindes ist für viele Eltern nach wie vor ein Schock. Strategien, um die Behinderung so lange wie möglich vor dem Umfeld zu ver heim-lichen, sind da durchaus verständlich. Wenn aber einem Kind diese elementa-ren Entwick lungs schritte im natür lichen Zeitfenster versagt bleiben, muss es wenigstens ersatzweise ver gleichbare sensorische und kinestäthi sche Wahr-nehmungen erleben, nämlich Mobilität (also Verände rung im dreidimensionalen Raum) in der aufrechten Haltung (die Basis unseres Seins und un serer Wahr-nehmung). Ein kindgerechter und opti-mal angepasster Rollstuhl kann diese Ver mitt ler rolle übernehmen. Dabei geht es viel weniger um einen Ausgleich der physischen Defizite seines Benutzers, als um die so „Not“-wendige vestibuläre

Stimulation. Ohne diese wird eine Pha-lanx von Spätfolgen provoziert:

Fortbestand von reflexbedingten Be-wegungsmustern, fehlende Rumpf- und Kopfkontrolle, Wahrnehmungsdefizite, Spasmen, Skoliosen, Streckkrämpfe der Extremitäten, Ausbildung von Kontrak-turen und Bewegungs-Dysfunktionen, neurogene und neuromuskuläre Dystro-phien und Atrophien, Kreislauf-, Stoff-wechsel- und Verdauungsinsuffizienzen, psychomotorische Unruhe bis hin zu einem Ophistotonus und Hyperkinesen der mimischen Muskulatur mit evtl. Kieferstarre, gebremste bis blockierte Sprachentwicklung mit Fehlfunktionen der Kommunikations- und Interaktions-fähigkeit, etc.

Was Hänschen nicht lernt…Eine früh zeitige Versorgung mit ei-

nem Kinderroll stuhl kann dabei ent-scheidende Weichen in der Ent wicklung eines Kindes stellen und nachhaltige Effekte erzielen. SORG Rollstuhltechnik z.B. hat in inten siver Kooperation mit Therapeuten und Fachkräften exakt für

Bewegungs­drang versus Beeinträch­tigung

Laura, Osteogenesis Imperfekta, 13 Monate, mit ih-rer Mutter bei ihrer ersten Rollstuhlfahrt in einem Knuffi OI, SB 14 cm, ST 16 cm.

Page 80: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

80

diese frühkind li che Rehaversorgung ei-nen der kleinsten Kinderrollstühle auf dem Markt entwickelt, der serien mäßig angeboten wird, den bereits erwähn-ten Knuffi OI. Sein Nachfolger Mio ist die ultra leichte Weiter ent wick lung von SORG, die noch differen zierter auf die antropometri schen Vorgaben des Kin-des eingestellt werden kann. Mit ei-nem solchen Hilfs mittel wird auch den kleinsten Be nutzern im „normalen“ (= na tür lichen) Ent wick lungsfenster die Mög lichkeit gegeben, ersatzweise die sensorischen und kinästhetischen Er-fahrungen zu sammeln, die ihnen ihre Behinderung verwei gert. Denn ein kind-gerechtes Hilfsmittel kann sich zum einen den aktuellen Fertig keiten des Kin des anpassen ohne es physisch zu überfor dern und ist zum an deren ge-eignet, weiter reichende Entwick lungs-schritte zu initiieren.

Dennoch vertreten einige Eltern, Ärz-te und Therapeuten leider immer noch die Auffassung, dass eine Rollstuhlver-sorgung nur als „Ultima Ratio“ in Be-tracht gezogen werden sollte. Grund lage dieser Skepsis ist sicher die „klassische“ Überlegung, dass ein Rollstuhl „nur“

eine motori sche Beeinträchtigung aus-gleicht, maximal noch den motorischen Abbau verlangsamt. (Ausge blendet wird dabei, dass ein Rollstuhl auch ein Hilfs-mittel für weitreichende und nachhaltige Entwicklungsschritte ist.) Diese restrik-tive Sichtweise fordert jedoch vom be-troffenen Kind im täglichen Leben einen unnötigen und deswegen kontraproduk-tiven Kräfteaufwand ab. Denn Mobilität ist ein grundsätzliches Bedürfnis, weil damit das Erleben neuer Räume, neu-er sinn li chre Eindrücke, neuer sozialer Interaktionen verbunden ist. Mobilität ist hier sogar Mittel zum Zweck, denn ein Kind kann mit ihr (und nur mit ihr!) z.B. seiner Mutter folgen, um Nahrung, Zuneigung, Wärme etc. zu bekommen, kann sich nur mit ihr von der Mutter ent-fernen, um Selbstständigkeit und auto-nome Kompetenzen zu erlernen. Diese Kompetenzen sind dann der Schlüssel für alle weiteren Entwicklungsschritte, seien dies: kognitive, motorische, sozi-ale, interaktive, kreative oder intellektu-elle Kompetenzen. Sie sind der Schlüs-sel zum Individuum!

Und genau deshalb wollen (und müssen!) sich Kinder bewegen. Von Anfang an. Wenn ein Kind nicht gehen kann, zum Gehen aber gezwungen wird (ob mit oder ohne Hilfsgeräte), erlebt es Mobilität nicht als beglückend und/oder als Instrument für seine neuen Eindrük-ke, sondern als schmerz hafte, Kräfte raubende und erschöpfende Angelegen-heit. Bewegung wird ein perma nen tes, unangenehmes Muss, in dem es keinen (selbstbestimmten) Freiraum von Bewe-gung gibt. Das Kind kann nicht wählen zwischen Bewegung und Nichtbewe-gung, ganz nach seinen eigenen physi-schen Möglichkeiten. Deswegen kann es auch nicht an seine Grenzen gehen, um sich weiter zu ent wickeln, weil es perma-nent an seiner Grenze ist. Besonders bei Muskel schwä che erkran kungen ist dies ein eminent wichtiger Aspekt. Mit der Lust an Bewegung erlischt dann auch die Motivation zum Erobern oder Erfor-schen des eigenen Wirkungskreises, er-lischt das Inte resse am Umfeld, baut der

Page 81: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

81

(noch vorhandene) Muskeltonus ab, wird das Kind apathisch und kann auch nicht in seiner intellektuellen Entwicklung mit anderen Kindern schritt halten.

Individuell angepasste Roll­stuhlversorgung als Schlüssel zur Inklusion

Neben dem eminent wichtigen As-pekt der Motivation des Kindes (auf die später noch tiefer ein ge gangen wird) gibt es bei der frühkindlichen Roll stuhl-versor gung einige Schlüsselbegriffe, auf die unbedingt zu achten ist, um den Roll-stuhl optimal auf die an tropometrischen Vorgaben des Kindes anzupassen:

Körperführung, Greifpunkt, Kraftaufwand.

KörperführungHaltung, Gleichgewicht und Muskel-

to nus können selbst bei noch nicht vollstän diger Aus prägung über eine ana-tomische Sitz- und/oder Rückenform so weit stabi li siert werden, dass das Kind so wenig wie möglich aber so viel wie nötig gestützt ist.

Über den natürlichen, Drang nach Bewe gung wird quasi nebenbei der Mus kel tonus insgesamt verbessert und mit ihm die auto no me Haltung und

Kör

pers

chw

erpu

nkt

Kör

pers

chw

erpu

nkt

Das Kind soll Kräfte aufbauen nicht ver­brauchen!

Page 82: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

82

Gleichge wichtskontrolle. Der Einsatz ei-ner fixierenden Schale muss dann unter Vorbehalt erörtert werden, wenn damit eine freie Entfal tung des Bewegungs-triebs ge hin dert würde. Die anatomi-schen Formteile haben den Vorteil, dass sie bei fort geschrittener ves ti bulärer Sicherheit (Hal tung, Gleich gewicht) dem größer werdenden Bewegungsvolumen nicht hinderlich sind.

GreifpunktEntscheidend für die Kraftökono-

mie ei nes kleinen, schwachen Kindes sind die opti ma le Schul ter-Antriebsrad-Position (Greif punkt/Schwerpunkt) und der sich daraus ergebende Greif weg. Eine subtile Ein stellung ist enorm wich-tig, aber für einen qualifizierten Reha-Techniker meist mit geringem Auf wand möglich. Bei einem klei nen, schwachen Kind sollte man den Schwer punkt an-fänglich eher pas siv einstellen, damit der Stuhl beim Antreiben nicht zu leicht kippelt (nach hinten kippt) und das Kind sich er schrickt (Bild rechts). Bei auf-rechter Sitz haltung des Kindes liegt der Mittel punkt des Schulterge lenks exakt senkrecht über der Achse (Bild links). Dann sind idealer weise zwischen Ober-kante Antriebsrad und der 90°-Ellbo-gen-Haltung des Kindes zwei Fingerbreit Abstand. Sollte das Kind beim Antreiben zu sehr aus den Schultern heraus arbei-ten und diese am Kamm des Antriebsra-des nach oben ziehen, kann leicht über die Sitzhöhe korrigiert werden; ebenso bei eher kurzen Armen. Über die Grö-ße des An triebs rads kann ebenfalls ein ermüden des Schulteranheben bzw. der optimale Greifweg beeinflusst werden.

KraftaufwandZwar können heute im Kinderbe-

reich, Dank permanenter Weiterent wick-lung und modern ster Leicht bau technik

Gut erkenn­bar: die opti­male Schul­ter­Antriebs­rad­Position bei Laura in einem Knuffi OI von SORG mit SB und ST 14cm, mit der ein kräf tescho­nender, lan­ger Greifweg e r m ö g l i ch t wird, ohne die Schulter anheben zu müssen.

Page 83: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

83

Roll stühle gebaut werden, die zum Glück leichter sind als ihr Be nutzer (eine Selbst ver ständlichkeit, die sich erst in den ver gange nen 10 Jahren einge-funden hat). Den noch begegnet man im Verlauf einer Versor gung immer wieder dem Thema Gewicht; vor allem der Be-fürchtung, der Rollstuhl sei zu schwer. Zu beobachten ist, dass Eltern oftmals als erste Aktion den möglichen künfti-gen Rollstuhl ihres Kindes anheben und das Gewicht beurteilen. Ent scheidend aber ist, wie viel Kraft das Kind aufwen-den muss, um den Roll stuhl auto nom antreiben zu können. Das Gewicht ist hierbei nur ein Kriterium von vielen und eher unterge ord net. Denn ein vermin-derter Reifendruck oder verschmutzte Lenkradachsen haben einen viel hö-heren Einfluss auf den Rollwiderstand (und somit auf die Kräfteökonomie) als das Gewicht selbst. Über den op ti malen Greifpunkt und eine an gemes sene Radgröße gibt es viel mehr Einspar po-ten tial! Zwar sieht ein sehr kleiner Kin-derrollstuhl mit sehr klei nen Rädern „pro portionierter“ und „niedlicher“ aus, zu bedenken aber ist, dass sich mit klei-nen Rädern auch immer nur ein klei ner

Greif weg ergibt. Des wegen baut SORG z.B. auch an sehr kleinen Roll stühlen immer das größt mög liche Rad an, um mit dem opti malen Greif weg eine posi-tive Kräfte bilanz zu erzielen. Das Kind soll ja beim Fahren Kräfte aufbauen und nicht ver brauchen.

MotivationWenn ein Kind zum 1. Mal in sei nem

Leben in einem (selbst verständ lich opti-mal angepassten) Roll stuhl sitzt und nach oft schon wenigen Minuten selbst her aus ge funden hat, wie dieses tech-nische Gerät funktio niert, kann man eindrucksvoll er le ben, was es bedeu-ten kann, sein Leben „selbst be stimmt“ meistern zu dürfen! Eltern müssen dann aber damit rechnen, dass ihr Kind erst-mals einen eigenen Willen artikuliert und auch ausführt, was durchaus zu „Konflikten“ führen kann, die die Eltern bis dahin nicht kannten. Denn das Kind erlebt eine bis dahin nicht ge kannte Selbstständigkeit, die es aufgrund sei-nes natürlichen Spiel- und Entdecker-triebs auskosten will:

Das Kind will sich von der Mutter

Gut erkennbar: der unbändige Bewegungsdrang des kleinen Nic, 13 Monate (links), als man ihn zum 1. Mal in einen Rolli gesetzt hat. Leider muss Nic seine Arme viel zu weit entfernt vom Körper führen, was sehr schnell ermüdet. Seine Armlänge ist nur 21 cm effizient, bei einer Entfernung von 16 cm zum Greifring. Dagegen beträgt bei Laura, 13 Monate (rechts) die maximal effiziente Armlänge 31 cm bei nur 7 cm maximaler Entfernung der Greifringe.

Page 84: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

84

oder dem Vater entfernen, um zu… Und es kann sich nun ent fer nen.

Es will sich an nähern, um zu… Und es kann sich nun selbstständig und selbst verant wortlich der Mutter oder dem Vater annähern um Nähe, Nahrung etc. zu be kommen.

Eine höchst effiziente, intrin si sche Moti vation ent wickelt sich, wodurch der Ge brauch des Hilfs mittels zur Selbstver-ständlichkeit wird. Quasi spielerisch ent wickelt das Kind über die Motorik die Fertig keit, eine zweck gerich te te Ak-tion intellektuell zu reflektieren und zu analysieren und die Zusammenhänge zu erkennen und wird diese auch zu-nehmend ver ba lisieren wollen. (Ab häng-ig von Art und Schwere der Behin derung wird dies auch gelingen!) Das Maß an Abstrak tions fähigkeit steigert sich (Ziel/Definition und Weg/Mittel), wodurch die motorischen Fertig keiten die kogni-tiven begünstigen und die kognitiven die motorischen. Abgesehen von allen positiven Effekten der Au to motorik auf den gesamten Muskel tonus, den Stoff-wechsel, das Herz-Kreislauf-System, die At mung etc. trägt die frühkindliche Mobilität vor allem auch auf die Körper-wahrnehmung, die Ko ordination der Kör-perhälften, auf das Aktivi tätsniveau und die Bewegungs pla nung bei (Ziel/Weg oder Zweck/Mittel). Zusätz lich ist diese frühzeitige Mobili sierung ein fundamen-tales Ereignis in der Entwicklung der psychischen und emotio na len Stabilität des Kindes. Das ist mit Blick auf die Inklusion ein ent scheidender Faktor. Kommu nika tion als Fol ge eigener sen-sorischer Wahrneh mung (Reaktionen auf das eigene Ver halten) wird das Fun-dament, auf dem sich das Kind und der spätere Erwach sene in die Gesell schaft, in das soziale Um feld einbringen (inte-grieren) und daran teilhaben können und werden.

All diese Prozesse und Effekte funkti-onieren aber nur dann, wenn sich das Kind für seine Aktivitäts-Abenteuer und den damit verbundenen Kraft aufwand moti viert fühlt. Der Rollstuhl muss als In-strument, als reines Transportmittel qua-si aus der Wahrneh mung ver schwinden.

Er muss wie selbstverständ lich sei-nen Dienst tun, was er nur dann kann, wenn er dafür auch optimal auf die in-dividuellen Anforderungen angepasst wurde. Deshalb vertritt auch rehaKIND so vehement die Forderung nach einer individuell angepassten, kindgerechten Rehaversor gung, weil ohne diese der Einzelne seinen Inklusionsanspruch gar nicht leben kann.

Page 85: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

85

DesignSpätestens zwischen dem 3. und 4.

Jahren, wenn die Selbst ein schät zung und das Selbstver trau en einsetzen (und noch mehr, wenn Letzteres noch nicht be son ders stabil ist), erhalten optische Merk male eine zusätzliche, weitrei-chende Bedeutung, die ent schei dend über die Akzeptanz des Hilfs mit tels be-stimmen (also über die Moti va tion zur An wendung und somit über den thera-peutischen Erfolg).

Design, Farbe, Stoffe, Trends (Hypes) oder sonstige Raffi nessen des ge sam-ten Erschei nungs bildes können enorm dazu beitragen, dass ein Kind (und noch stärker ein Jugend licher) seine Behin-derung, seine „Andersartigkeit“ oder sogar seine Außensei ter rolle kom pen-siert und sich in eine Gruppe inte grieren kann. Dafür ist das komplette Erschei-nungsbild des Rollstuhls verantwortlich:

Rahmengeometrie,Design des ZubehörsFarbgebungAusstattung.

Je minimalistischer die Rahmengeo-metrie ausfällt, umso stylischer wird der Rollstuhl empfun den. Je weniger Rohr man wahrnimmt, umso weniger erzeugt der Rollstuhl (z.B. bei den Freun den) den

Eindruck eines Hilfsmittels – und rückt dadurch den Eindruck des Behindert-seins in den Hintergrund. Allerdings erweckt ein dickeres Rohr auch bei klei-nen Stühlen keineswegs den Eindruck von „Globigkeit“ oder Schwerfälligkeit, sondern wirkt im Gegenteil durch den Ein druck hoher Stabilität vielmehr ver-trauenerweckend.

Das gleiche (je weniger, umso bes-ser) gilt auch für alle Zubehörteile wie Sitz- und Rücken kissen, Schiebegriffe, Räder und Greifringe, Fußplatte und Seitenteile. Eine Carbon-Optik wird ei-ner Metalloptik allemal vorgezogen und Prägungen einer Kantung. Pfiffige tech-nische Details (z.B. Lenkräder mit LED) erhöhen zusätzlich die Akzeptanz des Hilfsmittels beim Benutzer.

Die Farbgebung ist einer der wenigen Punkte bei einer Rollstuhlverordnung, die der Benutzer selbst und unabhän-gig von allen therapeutischen Aspekten bestimmen kann. Mit der Option der Mehrfarbigkeit können hier pfiffige und höchst ansprechende Lösungen ge-schaffen werden. Zusätzlich zur Farbe

Der Mio wirkt wegen des minimalistischen Konzepts sehr filigran und gut proportio­niert, obwohl der Durchmesser des Rahmenrohrs ein Drittel größer ist als bei „normalen“ Stühlen.

Page 86: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

86

der Rahmenteile kann z.B. über den Speichenschutz und/oder die Rückenfolie ein hohes Maß an Indivi-dualität zum Ausdruck gebracht werden.

Vor dem Hintergrund der Inklusion fällt dem De-sign also eine ganz entscheidende Rolle zu. Ein Kind oder ein Jugendlicher muss sich mit/in seinem Roll-stuhl „sehen lassen können“. In einem tollen, flotten „Gerät“ kann man sich präsentieren und wird wahr-genommen, erfährt man Beachtung und gewinnt dadurch Selbstvertrauen, kann man sich einbringen und wird somit integriert. Der „Nebeneffekt“ eines solch lustvollen (und deshalb regelmäßigen) Ge-brauchs ist die enorm hohe therapeutische Effizienz – die Basis für Inklusion „von unten nach oben“.

Page 87: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

87

5. AnhangErklärung der gebräuchlichsten BegriffeFür die medi zinische Richtigkeit können wir keine Garantie übernehmen.

Ataxie (griech. ataxia ἀταξία - Unordnung‘ ‚Unregelmäßigkeit‘) ist ein Oberbegriff für ver-schie dene Störungen der Bewegungskoordination. Eine Ataxie kann auftreten, auch wenn keine Lähmung (Parese) vorliegt, also bei normaler Muskelkraft. Ursache(n): Erkrankung des Kleinhirns (sog. Zerebellare Ataxie: breitbeiniger, unsi che-rer, wacke liger, zittriger Gang) oder des Rückenmarks (sog. Spinale Ataxie: Sensi litäts-störungen, Störung von Zielbewegungen) sowie Kleinhirn-Durchblutungs stö rungen oder Kleinhirn-Blutungen, also Schlaganfälle des Kleinhirns lösen eine Ataxie aus.Ataxien treten nicht selten im Verlauf entzündlicher Erkrankungen des Nervensys-tems mit Schädigung des Kleinhirns und/oder Rückenmarks auf, vor allem bei der multiplen Sklerose. Ataxien können auch durch chronische Vergiftungen ausgelöst werden, am häufigsten durch eine akute Kleinhirnfunktionsstörung im Rahmen eines akuten Alko holrausches (reversibel) oder durch einen chronischen Alkoholis-mus (schlechtere Besse rungstendenz), ebenso als häufige Nebenwirkung von Medikamenten aus der Gruppe der Benzodiazepine, auch in geringer Menge, welche aber nach dem Absetzen reversibel ist. Ataxien durch Vergiftungen mit Schwerme-tallen (besonders Quecksilber) oder Pestiziden sind selten.

Athetose (griech. θετός thetós - nicht an seiner Stelle) Die Athetose ist der medizinische Fachbe griff für unwillkürliche, sich langsam abspielende, ausfahrende, bizarre, schraubenför mige Bewegungen von Händen oder Füßen und im Gesicht zu sehen ist, die meist mit Gelenküberdehnung einhergehen. Sie wird zu den extrapyrami-dalen Hyperkinesien gerechnet. Häufige Ursache ist eine perinatale Schädigung der Basalganglien, die dazu führt, dass Bewegungen nicht fließend sondern „schlagar tig“ ablaufen. Die Übergänge von Athetose zu Dystonie und zu choreatischen Stö rungen sind fließend.Die Behandlung zielt auf ein Verändern der Haltungskontrolle durch willkürliche Steue-rung unwillkürlicher Bewegungen. Sie soll die Atmung verbessern und zur Unterstüt-zung der Kommunikation, zur Erleichterung bei der Nahrungsaufnahme und der Selbst ständigkeit bei der Fortbewegung (auch mit Hilfsmitteln) beitragen. Zudem zielt sie auf das Vermeiden von Sekundärschäden auf senso-motorischer und emotional-sozialer Ebene.

Abduktion (Iat. abducere - wegführen) wegführen eines Körperteils von der Mittellinie eines Körpers (z.B. seitl. Heben der Arme, Spreizen der Beine, Spreizen der Finger) Im Rollstuhlbau wird mit Abduktion ein Rahmen bezeichnet, der nach vorne breiter ist/wird, um den Beinen mehr Bewegungsfreiheit zu geben. Die Rahmenabduktion kann unterschiedlich breit ausfallen (Tilty Vario 5 cm je Seite)

Ampu tation (lat. amputatio - abtrennen) Als Amputation wird die Abtrennung eines Körperteils be zeich net. Die Amputation erfolgt dabei aus verschiedenen Ursachen: chirurgisch, wenn das Leben des Patienten bedroht ist oder eine Heilung des betroffenen Körper-teils nicht zu erwarten ist oder als Unfallfolge (traumatisch).Ursache(n): Akute oder chronische arterielle Durchblutungsstörungen stellen neben Verletzungen und Infektionen die häufigsten Ursachen für eine Amputation dar. Die weit überwiegende Ursache der chronischen arteriellen Durchblutungsstörung ist eine generalisierte Atherosklerose. Entsprechend dem Verteilungsmuster der Gefäß ver-schlüsse ist die untere Extremität am häufigsten amputationsgefährdet.Die Behandlung mit einem Hilfsmittel zielt hauptsächlich auf den Erhalt einer größt-mög lichen Mobilität, um so die Selbstständigkeit in Lebensführung und Lebens ge-staltung (wieder) herzustellen und/oder zu verbessern.

Page 88: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

88

Atrophie (griech. ἀτροφία, lat. atrophia = Abmagerung, Auszehrung, Verkümmerung) Die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist ein Muskelschwund, der durch einen fort schreitenden Rückgang von motorischen Nervenzellen im Rückenmark entsteht. Sie tritt selten auf (10/100.000 Geborene/Jahr). Der Rückgang der 2. Motoneuronen verursacht, dass die Impulse vom Gehirn nicht an die Muskeln weitergeleitet werden. Muskelschwund (Atrophie), Lähmungen und verminderte Muskelspannung sind die Folge. Sind Hirn-nerven betroffen, kommt es zusätzlich zu Einschränkungen der Schluck-, Kau- und Sprechfunktionen. Man spricht von einer Spinobulbären Muskelatrophie Typ Kennedy (SBMA) oder Bulbärparalyse.Die Therapie und insbesondere die Rehabilitation bei Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen zielen auf die Verbesserung und den Erhalten der (motorischen) Selbst-ständigkeit und Selbstversorgung sowie der Teilhabe am sozialen Leben. Die Behand lung ist am besten durch ein interdisziplinär arbeitendes Team aus Ärzten, Kranken pfle gern, Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen und Sozial arbeitern.Ambulante Therapien wie Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie sind not-wendig zur Erhaltung der vorhandenen Fähigkeiten. Stationäre Behand lungs maß nahmen (Rehabilitation) mit einer Dauer von ca. 4 - 6 Wochen verbessern die vorhan denen Fähigkeiten und muskuläre Funktionen und beeinflussen den Verlauf günstig.Bei langsam fortschrei tenden neuromuskulären Erkrankungen brachte ein 12-wöchiges Training mit moderatem Widerstand eine Zunahme der Kraft um 4 bis 20% ohne negative Effekte. Es gibt aber auch Hinweise, dass bei rasch fortschreitenden neuromuskulären Erkrankungen das Risiko einer Schwächung durch zu intensives Training groß ist. Grundsätzlich müssen Patienten mit neuro muskulären Erkrankungen angehalten werden, nicht bis zur Erschöpfung zu trainieren. Die beübten Patienten müssen über die Warnzeichen einer Überbelastung informiert werden. Dennoch ist durch Training mit leichter bis mäßiger aerober Belastung eine Besserung der physi-schen Kondition und der Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems zu erzielen. Das Training trägt auch bei, Schmerzen durch Fehlbelastungen zu mindern und depressive Verstimmungen zu bessern.

Cerebral­parese

(Iat. cerebrum-Gehirn, parese-Lähmung) Bleibende, nicht fortschreitende Schädigung der Gehirns vor, während oder nach der Geburt. Die dadurch hervorgerufene Behin derung ist charakterisiert durch Störungen des Nerven- und Muskelsystems im Bereich der willkürlichen Bewegungskoordination. Am häufigsten sind spastische Mischformen und eine Erhöhung der Muskelspannung (Muskelhypertonie).Man spricht von Zerebraler Kinderlähmung, Infantiler Paralyse, Paralysis infantum; nach dem englischen Orthopäden William John Little auch (veraltet) von der Littleschen Krankheit oder Morbus Little. Die Menschen, die von einer ICP betroffen sind, werden im Allgemeinen auch Spastiker genannt.Das menschliche Gehirn sendet Befehle an den Bewegungsapparat, der die ausge führ-ten Aktionen an das Gehirn zurückmeldet. So entsteht ein Kreislauf, der bei Kindern mit zerebralen Bewegungsstörungen durch die Fehlfunktion des motorischen Rinden gebietes beeinträchtigt ist. Eine zerebrale Bewegungsstörung wird zum einen meist durch eine hohe Muskelspannung (Muskelhypertonie) oder ständiges Wechseln von starken und schwachen Muskelverspannungen (Muskelhypotonie) sichtbar. Zum an deren ist die Zusammenarbeit verschiedener Muskeln gestört. Ein Mensch mit Zere bral parese kann seine Muskeln nicht wie üblich kontrollieren.Eine Zerebralparese lässt sich bei schwer betroffenen Kindern schon bald nach der Geburt erkennen, bei anderen erst nach drei bis vier Monaten. Allgemein spricht man aber erst nach Ende des ersten Lebensjahres von einer Zerebralparese. Es gibt keine bestimmte Behandlungsmethode bei Zerebralparesen, jedes Kind reagiert anders.

Page 89: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

89

In Folge von häufig auftretenden spastischen Lähmungen kommt es zu einer einge-schränkten Bewegungsfähigkeit der betroffenen Extremitäten. Die Hör- und Sprach-störungen beeinträchtigen zusätzlich die Teilnahme am sozialen Leben. Kognitive Einschränkungen können die Selbstständigkeit und die Bewältigung des Alltags zusätz lich beeinträchtigen, wodurch die Betroffenen oftmals ausgegrenzt und sozial isoliert werden. Hier kann die Nutzung eines Rollstuhls ausgleichend indiziert sein. Die selbst ständige Bewältigung des Alltags (z. B. essen und trinken, Toiletten gang, an- und ausziehen) kann in wesentlichen Teilen wieder ermöglicht, wenigstens aber unterstützt werden.

Diparese(Paresen)

Die Diparese bezeichnet eine Cerebrale Bewegungsstörung von zwei Gliedmaßen (Arm und Bein) oder eines Gliedmaßenpaares (beide Beine bzw. Arme).

Als Paraparese bezeichnet man die Lähmung beider Beine, z. B. als Symptom einer Querschnittlähmung, wenn das Rückenmark unterhalb einer bestimmten Höhe geschädigt ist. „Paraplegie“ wird darüber hinaus als Synonym für Querschnittlähmung verwendet, auch wenn nicht nur beide Beine gelähmt sind.

Hemiparese bezeichnet die Lähmung einer Körperseite (Einseiten- oder Halbseiten-lähmung). Ist die Körperseite komplett gelähmt, spricht man auch von einer Hemi plegie. Sie ist bedingt durch eine zentrale Läsion (z. B. Schlaganfall) und tritt typischer weise auf der kontralateralen Seite der Schädigung auf, da die betroffenen Nerven bahnen zur Gegenseite kreuzen und der Schädigungsort vor dieser Kreuzung liegt.

Tetraparese bezeichnet eine Lähmung aller vier Extremitäten. Dabei wird zwischen spastischer und schlaffer Tetraparese unterschieden. Bei einer schlaffen Tetraparese ist der Muskeltonus vermindert (hypoton). Spastische Tetraparesen zeigen einen er höhten (hypertonen) Muskeltonus. Eine spastische Tetraparese entsteht typischer weise durch eine Schädigung des Rücken marks oder durch einen frühkindlichen Hirnschaden. Tritt eine Lähmung bereits im Säuglingsalter auf, besteht wegen der fehlenden Bewe-gungsmöglichkeiten die Gefahr, dass sekundäre, lebenswichtige Reize nicht aufge-nommen werden können. Z.B. wird das Vestibulum nicht stimuliert bzw. die Reizung nicht wahrgenommen. Die Reflexkontrolle wird – wenn überhaupt - nur spärlich erlernt Häufig persistieren dadurch die infantilen Reflexe wie der symmetrisch-tonische Nacken-Reflex (STNR), der tonische Labyrinth-Reflex (TLR) oder der asymmetrisch-tonische Nacken-Reflex (ATNR). Betroffene haben u.a. Probleme mit der Auge-Hand-Koordination, dem Zusammenführen beider Hände oder dem Überkreuzen der Körper mitte, bleiben meist parallel betont, verfügen kaum über die Wahrnehmung der eige nen Körperposition (oben, unten, rechts, links, vorne, hinten).

Dorsal (Iat. dorsum - Rückseite) Hinten, zum Rücken hin liegend. Z.B.: dorsale Extension = Streckkrampf nach hinten über die WS

Dystro phie Unter einer Dystrophie (griech. dys „schlecht/fehl“ und trophein „ernähren“, „wachsen“; „Fehlernährung“, „Fehlwachstum“) – werden in der Medizin degenerative Besonderheiten verstanden, bei denen es durch Entwicklungsstörungen einzelner Gewebe, Körperteile, Organe oder auch des gesamten Organismus zu entsprechenden Degenerationen (Fehlwüchsen) kommt.Die Myotone Dystrophie DM1 (auch Morbus Curschmann-Steinert genannt) ist eine Form der Muskelerkankung mit Muskelschwäche, Linsentrübung und Hormonstörung. Sie ist die häufigste Myotonie und befällt Jungen öfter als Mädchen. Man unterschei det die angeborene Form mit einer Manifestation bei Geburt als „floppy infant“ (mus kel-schwaches Neugeborenes) von der adulten Form mit einem Erkran kungs gipfel in der zweiten bis dritten Lebensdekade.

Page 90: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

90

Klinisch äußert sich die adulte Form durch fortschreitende Muskelschwäche beson-ders im Gesicht-Hals bereich sowie im Bereich der Beine, Herzrhythmusstörungen, Linsentrübungen, Hormonstörungen mit Hodenatrophie, bzw. Menstru ations störungen, Schwangerschaftskompli kationen und bei fortschreitender Krankheit durch starke Schmerzen in den Gelenken sowie Muskelkonvulsionen.

Extension Streckung.

Extraktion (siehe: Amputation)

Extremität Gliedmaße; Arme und Beine.

Flexion Beugung.

Hemi parese (Iat. hemi – halb) Cerebrale Bewegungsstörung, bei der eine Seite des Körpers betroffen ist (siehe Diparese ff).

Hydroce­phalus

(griech. Hydro- ὑδρο- ‚Wasser-‘; kephalē κεφαλή ‚Kopf‘) Auch Hydrozephalus geschrie-ben, ist eine krankhafte Erweiterung der liquorgefüllten Flüssigkeits räume (Ventrikel) des Gehirns. Er wird auch Wasserkopf genannt.

Hyperton Erhöhte Muskelspannung.

Hypoton Niedrige Muskelspannung.

Kontrak tur Einschränkung der Beweglichkeit eines Gelenkes z.B. durch Verkürzung der über ein Gelenk hinwegziehenden Muskulatur oder Schrumpfung der um ein Gelenk liegenden Gelenkkapsel; Beugekontraktur: Gelenk kann nicht gestreckt werden, wegen Verkürzung der an der Beugeseite gelegenen Weichteile. Streckkontraktur: Gelenk kann nicht gebeugt werden, wegen Verkürzung der, an der Streckseite gelegenen Weichteile.

Lateral Seitlich.

Lateral flexion Seitliche Verbiegung der Wirbelsäule (nach links oder rechts).

Kyphose Als eine Kyphose (griech. Κύφωση, wörtlich „Buckelung“ von κύφος, kýphos, „Buckel“) wird eine nach hinten (dorsal) konvexe Krümmung der Wirbelsäule bezeichnet. Na tür-licher weise kommt Kyphose im Brustbereich (Brustkyphose) vor und am Ende der Wir-bel säule noch als eine kleine Kyphose, die sogenannte Sakralkyphose. Erst bei einer krankhaften Verstärkung der Kyphose, in diesem Fall jene der Brustwirbelsäule, spricht man von einem Rundrücken, einer Hyperkyphose, einem Buckel (lat. Gibbus).

Lordose Lordose ist der medizinische Fachbegriff für eine nach vorne (ventral) konvexe Krümmung der Wirbelsäule (Hohlkreuz). Die entgegengesetzte Krümmung wird als Kyphose bezeichnet. Als Hohlkreuz (oder Hyperlordose) wird eine Fehlhaltung mit übertriebener Lordose der Lendenwirbelsäule bezeichnet, bei der sich die Bauchpartie nach vorn wölbt. Auslöser kann zum einen Bewegungsmangel oder eine zu schwache Rückenmuskulatur sein, die die Wirbelsäule nicht optimal stützen kann.

Luxation Eine Luxation (lat. luxare „verrenken“) oder Verrenkung ist ein vollständiger oder unvollständiger (Subluxation) Kontaktverlust gelenkbildender Knochenenden. Als luxierter Knochen wird immer der körperfernere Knochen bezeichnet. Eine Luxation stellt grundsätzlich eine schwere Schädigung eines Gelenkes dar. Bei Kindern ist es möglich, dass das Gelenk weit über den normalen Bereich hinaus gedehnt wird.Bedingt durch chronische Erkrankungen oder Fehlstellungen entsteht eine zunehmen de

Page 91: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

91

Gelenkdestruktion (Zerstörung), die schleichend über eine Subluxation zur vollstän digen Luxation führt (Destruktionsluxation). Diese ist nicht schmerzhafter als die eigentlich zu Grunde liegende Erkrankung oder Fehlstellung. Eine alleinige Reposition ist meist nicht möglich und nicht sinnvoll, da es bei fehlender Stabilität umgehend zur erneuten Luxation kommt. Alle Gelenke können betroffen sein. Typische Beispiele sind:Fußfehlstellung mit Hallux valgus und Kontrakturen der kleinen Zehen (Hammer zehe, Krallenzehe). Durch einen Gelenkinfekt (septische Arthritis) ausgelöste Zerstörung des Gelenk-Band-Apparates. Rheumatisch bedingte Arthritis mit Zerstörung der Seitenbänder, des Halteappa rates und der Gelenkkapsel (typisch an den Händen und Füßen).In Folge eines gelenknahen Tumors. Bei Osteonekrose mit konsekutiver Deformierung des benachbarten Gelenks, v.a. bei Hüftkopfnekrose. Meist kommt es nur zur Subluxation. Das schwerwiegendere Problem ist meist die Arthrose.

Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose (MS), auch als Encephalomyelitis disseminata (ED) bezeichnet, ist eine chronisch-entzündliche Entmarkungserkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), deren Ursache trotz großer Forschungsanstrengungen noch nicht geklärt ist. Sie ist neben der Epilepsie eine der häufigsten neurologischen Krankheiten bei jungen Erwachsenen und von erheblicher sozialmedizinischer Bedeutung.Bei der Multiplen Sklerose entstehen in der weißen Substanz von Gehirn und Rücken-mark verstreut vielfache (multiple) entzündliche Entmarkungsherde, die vermutlich durch den Angriff körpereigener Abwehrzellen auf die Myelinscheiden der Nervenzell fortsätze verursacht werden. Da die Entmarkungsherde im gesamten ZNS auftreten können, kann die Multiple Sklerose fast jedes neurologische Symptom verursachen. Sehstörungen mit Minderung der Sehschärfe und Störungen der Augenbewegung sind typisch, aber nicht spezifisch für die Multiple Sklerose.Die Krankheit ist nicht heilbar, jedoch kann der Verlauf durch verschiedene Maß nahmen oft günstig beeinflusst werden. Entgegen der landläufigen Meinung führt die Multiple Sklerose nicht zwangsläufig zu schweren Behinderungen. Auch viele Jahre nach Beginn der Erkrankung bleibt die Mehrzahl der Patienten noch gehfähig.

Muskel­dystrophie

(Siehe Spinale Muskeldystrophie)

Opistho tonus Der Opisthotonus (grich. ópisthen - rückwärts, Tonus - Spannung) ist ein Krampf vor allem der Streckmuskulatur des Rückens. Er führt zu einer starken Rückwärtsneigung des Kopfes und zur Überstreckung von Rumpf und Extremitäten. Er kommt als Symptom bei einigen neurologischen Erkrankungen wie Schädigungen des Mittel hirnes, Gehirnblutungen, Ahornsirupkrankheit, Meningitis und auch bei Tetanus sowie als Nebenwirkung im Rahmen der Frühdyskinesien bei Neuroleptika gabe vor.

Osteo porose Die Osteoporose (griech. ὀστέον „Knochen“ und πώρος „Tuffstein“) ist eine häufige Erkrankung des Knochens, die ihn für Frakturen anfälliger macht. Die auch als Knochenschwund bezeichnete Krankheit ist gekennzeichnet durch eine Abnahme der Knochendichte durch den übermäßig raschen Abbau der Knochensubstanz und -struktur. Die erhöhte Frakturanfälligkeit kann das ganze Skelett betreffen.Die Osteoporose ist die häufigste Knochenerkrankung im höheren Lebensalter. Am häufigsten (95 Prozent) ist die primäre Osteoporose, das heißt diejenige Osteoporose, die im Gegensatz zur sekundären Osteoporose nicht als Folge einer anderen Erkrankung auftritt. 80 Prozent aller Osteoporosen betreffen postmenopausale Frauen. 30% aller Frauen entwickeln nach der Menopause eine klinisch relevante Osteoporose. Sekundäre Osteoporosen sind seltener (5%), wobei Erkrankungen im Vordergrund

Page 92: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

92

stehen, die eine Behandlung mit Glukokortikoiden während einer längeren Zeitspanne erfordern und/oder zu einer Immobilisation führen.

Osteo genesis imperfekta

Osteogenesis imperfecta (OI) (griech. οστέον - Knochen, γένεσις - génesis Entstehung, lat. imperfecta - unvollkommen). Umgangssprachlich auch „Glasknochenkrankheit“, weil die Knochen brüchig wie Glas sind. OI ist eine seltene Erbkrankheit. Die Betrof fenen selbst fühlen sich nicht krank, sondern eher behindert und lehnen deshalb den Begriff „Glasknochenkrankheit“ ab. Hauptmerkmal der OI ist das veränderte Kollagen vom Typ I, was zu einer abnorm hohen Knochenbrüchigkeit mit unterschiedlichen Krankheitsbildern führt. Das Kollagen vom Typ I macht ca. 90 % der Knochenmatrix aus. Durch das „Fehlen schattengebender Knochensubstanz erscheinen die Knochen bei Röntgenaufnahme oft nur als milchglasähnliche, verwaschene Struktur. Aktuell unterscheidet man nach David Sillence 7 verschieden Ausprägungen der OI. Unter den OI-Betroffenen gibt es von Fußgängern bis zur nahezu kompletten Immobilität eine Vielzahl von Ausprägungen. Aufgrund der hohen Ausprägungsvariabilität lassen sich die Betroffenen nicht immer klar einem OI-Typen zuordnen.Mit der extremen Knochenbrüchigkeit treten oft noch viele weitere Symptome auf. Für eine Rollstuhlversorgung relevant sind unter anderem:• Kleinwuchs• skelettale Deformierungen• abnorm deformierte Extremitäten• auffällige Proportionsverschiebung• Verbiegung der Wirbelsäule (Skoliose und Kyphose)• überdehnbare Gelenke (Luxationen)• schwacher Muskultonus• Herzklappenfehlbildungen oder • offene Herzkammerscheidewand oder• Herzklappenundichtigkeiten (alle wichtig für die Kräfteökonomie)Die Physiotherapie nimmt in der OI-Behandlung eine wachsende Rolle ein. Es hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Ruhigstellung (= keine Frakturen provozieren), zum vermehrten Knochenabbau führt. Stattdessen werden die Betroffenen zunehmend zu mehr Aktivität aufgefordert. Es gibt gute Ergebnisse darüber, dass verstärken Muskel-masse die skelettale Anfälligkeit kompensieren kann. Bis dato gibt es aber kein ein-heitliches physio therapeutisches Behandlungskonzept. Um hier den Betroffenen als auch den Therapeuten eine Hilfe an die Hand zu geben, veröffentlichte die Deutsche Gesell-schaft für Osteogenesis imperfecta Betroffene 1997 das von Willy Hagelstein entwickelte Bewegungsprogramm Glasfit.

Phoko melie Phokomelie (griech. φώκη phōkē ‚Robbe, Seehund‘ und μέλος mélos ‚Glied‘; Synonyme Robbengliedrigkeit und Phokomelus) bezeichnet eine Fehlbildung der Gliedmaßen des Fötus (Dysmelie) mit flossenartigem Sitz der Hände bzw. Füße am Schulter- bzw. Hüftgelenk oder fehlenden langen Röhrenknochen der GliedmaßenPhokomelien können wie andere Arten von Dysmelie vererbt oder durch äußere Einflüsse hervorgerufen sein, beispielsweise als Nebenwirkungen von Medikamenten und Hormonpräparaten.Das bekannteste Beispiel für medikamentöse Nebenwirkungen, die eine spezielle Art der Dysmelie, die Phokomelie, verursachen, ist Thalidomid, der Wirkstoff von Contergan®, das Ende der 1950er Jahre auf den Markt gebracht wurde. Es sollte unter anderem als Schlafmittel für Frauen in der Schwangerschaft dienen, verursachte aber in Tausenden von Fällen Dysmelien, insbesondere Phokomelien, beim heranwachsenden Fötus.

Page 93: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

93

Physio logie Die Physiologie (grich. φύσις phýsis ‚Natur‘ und λόγος lógos ‚Lehre‘, Vernunft‘) ist die Lehre von den physikalischen und biochemischen Vorgängen der Zellen, Gewebe und Organe und ihrem Zusammenwirken im Gesamtorganismus. In der medizinischen Umgangssprache wird physiologisch im Sinne von normal, beim gesunden Menschen auftretend, nicht krankhaft verwendet.

Prophy laxe Vorbeugung.

Rotation (auch Torsion) Drehung.

Skoliose Skoliose (griech. σκολιός, skolios „krumm“) ist eine Seitverbiegung der Wirbelsäule bei gleichzeitiger Rotation (Verdrehung) der Wirbel, welche nicht mehr durch Einsatz der Muskulatur aufgerichtet werden kann. Die Wirbelsäule bildet dabei in der Regel mehrere, einander gegenläufige Bögen, die sich kompensieren, um das Körpergleich gewicht aufrechtzuerhalten (S-Form).Die Skoliose zählt zu den Wachstumsdeformitäten. Sie entsteht und verschlechtert sich während der Jugend in Zeiten verstärkten Körperwachstums, wie zum Beispiel in den pubertären Wachstumsschüben. Ist die Ursache bekannt, spricht man von einer symptomatischen Skoliose, ist sie unbekannt von einer idiopatischen.Ursachen der symptomatischen Skoliosen sind u.a.Fehlbildungsskoliose (kongenitale Skoliose) durch angeborene Wirbelfehlbildungen, Klippel-Feil-Syndrom, Spina bifida u. a. Neuropathische Skoliose durch Nerven- und Muskelerkrankungen, wie z.B. Zere bral-paresen, spinale Muskelatrophien oder auch Poliomyelitis Myopathische Skoliose durch Muskeldystrophien oder Arthrogrypose Skoliose durch Systemerkrankungen wie Neurofibromatose, Skelettdysplasien, Osteogenesis ImperfektaDie symptomatische Skoliose hat nichts mit der sogenannten „Säuglingsskoliose“, einer meist nur kurzfristig bestehenden Haltungsabweichung im 1. Lebensjahr, zu tun.

Skolio ti sche Fehl haltung

Passiv wieder korrigierbare Fehlhaltung der Wirbelsäule.

Spastik / Spasmus

Die Begriffe Spastik bzw. Spastizität (griech. σπασμός spasmos, „Krampf“; latinisiert Spasmus) beschreiben eine Unwillkürliche Muskelanspannung bzw. erhöhte Eigenspannung der Skelettmuskulatur, die immer auf eine Schädigung des Gehirns oder Rückenmarks zurückzuführen ist. Die häufigste Ursache der Spastik ist eine durch einen Hirninfarkt verursachte hypoxische Schädigung motorischer Hirnregionen. Auch Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma oder Rückenmarksverletzungen können zur Schädigung der extrapyramidalen Bahnen führen. Andere Auslöser für Spasmen sind Erkrankungen wie Spastische Spinalparalyse, Multiple Sklerose oder Amyotrophe Lateralsklerose (bei ca. 20 % der Betroffenen).Eine frühkindliche Hirnschädigung kann ebenfalls spastische Lähmungen auslösen. Hierfür gibt es unterschiedliche Ursachen, wobei in den meisten Fällen ein Sauerstoffmangel während der Geburt ursächlich ist.

Spina bifida Bei der Spina bifida (lat. spina = Stachel, Dorn, Dornfortsatz des Wirbelkörpers und bifidus = in zwei Teile gespalten), somit auf deutsch „Wirbelspalt“ oder „Spaltwirbel“, auch „offener Rücken“ – handelt es sich um eine Neuralrohrfehlbildung, die unter-schiedliche Ausprägungen haben kann und sich entsprechend unterschiedlich schwer auswirkt. Das zeitliche Fenster für die Entstehung dieser Fehlbildung liegt zwischen dem 22. und 28. Tag der Embryonalentwicklung, bei der Bildung des Neuralrohrs aus der

Page 94: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

94

Neuralplatte sowie dessen Verschlusses – im Falle der Spina bifida des unteren Endes. Im Gegensatz zur Spina bifida aperta (offen, sichtbar) hat die occulta (verbor gen, nicht sichtbar) in der Regel medizinisch keine besondere Bedeu tung.

Spinale Muskel­atrophie

Bei den spinalen Muskelatrophien handelt es sich um eine Gruppe von Erkrankungen, die auf einem Untergang von motorischen Nervenzellen im Rückenmark beruhen. Durch den Untergang des zweiten motorischen Neurons im Rückenmark kommt es zu einem Schwund und zur Schwäche der Muskulatur. Beim Gesunden ziehen sich Mus kel fasern durch die Aktivierung durch Nervenfasern (Innervation) zusammen. Dadurch wird der Muskel je nach der Zahl der beteiligten Muskelfasern kürzer, er spannt sich an, eine Bewegung wird durchgeführt. Die Muskelfasern, die von den erkrankten Nervenfasern nicht mehr richtig angesprochen bzw. aktiviert (innerviert) werden, können sich nicht mehr zusammenziehen.So wie der gesamte Muskel schmächtiger wird, wenn er nicht mehr eingesetzt wird, z.B. wenn ein Arm nach einem Knochenbruch einige Wochen im Gips ruhiggestellt wird, werden auch die einzelnen Muskelfasern schmächtig, wenn die sie aktivierenden Ner-venfasern nicht mehr funktionstüchtig sind. Ist eine größere Zahl von Muskelfasern be troffen, sieht man auch die Substanzabnahme des Muskels. Da hier der Muskel nicht primär erkrankt ist, sprechen wir von einer sogenannten Muskelatrophie im Gegensatz zur Muskeldystrophie, wo der Muskel selbst erkrankt. Durch diesen Krankheitsprozess nehmen Kraft und Ausdauer des Muskels ab. Einteilung:SMA Typ I - Werdnig-Hoffmann (Akute infantile SMA); das freie Sitzen wird per definitionem nie erlernt. Die Erkrankung beginnt bereits in utero oder während den ersten 3 Lebensmonaten. Der Tod tritt meist in den ersten beiden Lebensjahren durch Ateminsuffizienz oder Infektion ein.SMA Typ II - chronische infantile SMA (Intermediäre SMA); freies Sitzen wird erlernt, Gehen ohne Hilfe nie möglich, Erkrankungsbeginn meist im ersten Lebensjahr, eingeschränkte Lebenserwartung.SMA Typ III - Kugelberg-Welander (Juvenile SMA); Gehen ohne Hilfe möglich, bei Beginn > 3 Jahre (Typ IIIb) milder Verlauf, Lebenserwartung nicht deutlich reduziert.SMA Typ IV - Adulte SMA; Erkrankungsbeginn > 30 Jahre, unterschiedliches Fort schreiten, normale Lebenserwartung.

Spitzfuß Ein Spitzfuß ist eine Fehlbildung des Fußes, die durch einen Hochstand der Ferse gekennzeichnet ist. Der Fuß ist in Beugung (Plantarflexion) im oberen Sprunggelenk fixiert. Der Fuß ist passiv nicht mehr in eine 90°- Stellung zwischen Fuß und Unterschenkel zu bekommen.

Syndrom Gruppe von gleichzeitig zusammen auftretenden Krankheitsbildern.

Tetra parese (griech. tetra- vier) Cerebrale Bewegungsstörung, bei der alle vier Extremitäten betroffen (siehe Diparese)

Page 95: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

95

Page 96: Leitfaden für die RollstuhlVersorgung · Leitfaden zur Rollstuhlversorgung 6 Für eine kompetente Versorgung - spraxis sind deshalb die folgenden 3 Punkte entscheidend: 1. Das profunde

Leitfaden zur Rollstuhlversorgung

96

SORG Rollstuhltechnik GmbH + Co.KGBenzstraße 3­5D 68794 Oberhausen­Rheinhausen (Germany)Fon +49 7254 9279.0Fax +49 7254 9279.10Mail [email protected] www.sorgrollstuhltechnik.de